von Josef Maria von der Ewigen Weisheit
Die
Bewegung der Reformation verdient ihren Platz in der Geschichte der
großen Häresien.
Die
Reformation war nicht eine bestimmte, sondern eine allgemeine
Bewegung. Es wurden nicht einzelne häretische Lehrsätze
aufgestellt, die von der Kirche Christi hätten verurteilt werden
können. Es wurde nicht wie bei der Häresie des Islam oder der Sekte
der Katharer eine neue Religion gegründet, die ganz geschieden ist
von der Alten Kirche. Stattdessen schuf die Reformation eine
allgemeine moralische Atmosphäre, die wir noch heute Protestantismus
nennen. Die Reformation erzeugte eine Menge Häresien, aber nicht
eine einzelne, klar umrissene Häresie. Charakteristisch ist, dass
die Gesamtheit der Häresien die Atmosphäre schufen, die wir heute
noch als Protestantismus kennen.
Obwohl
die unmittelbaren Früchte der Reformation vergangen sind, wie viele
andere Häresien der Vergangenheit, so blieb doch die Atmosphäre des
Protestantismus bestehen, Eine Revolution gegen die geistliche
Autorität, gegen die kirchliche Hierarchie. So wurde die Kraft des
christlichen Europa gebrochen und ein Geist des Zweifels und der
Rebellion gesät. Keine der alten Häresien hatte das erreicht. Sie
hatten einzelne häretische Lehrsätze aufgestellt, die von der
Kirche Christi verurteilt wurden. Aber die Reformation hat eine
Atmosphäre des Zweifels, des Protestes, der Revolution geschaffen,
der heute aktiver denn je ist.
Das
ist die Hauptsache, wie wir die Reformation verstehen müssen. Der
Geist des Protestantismus hat sich Stufe für Stufe weiter
entwickelt.
Dieser
Geist des Protestantismus ist stark in der modernen
englischsprachigen Welt. Diese englischsprachigen Nationen sind mit
der rühmlichen Ausnahme Irlands protestantisch. Aber außer in
Großbritannien und Südafrika gibt es in diesen Nationen auch große
katholische Minderheiten.
In
der protestantischen Welt weiß man, was protestantischer Geist ist.
Man kennt ihn wie den Geschmack seines Lieblingsessens. Aber die
wenigsten Protestanten haben eine Idee des Katholizismus. Die
gebildeten Katholiken wissen recht gut, was die Lehren der
Reformation sind. Die katholische Kirche ist die uralte apostolische
Kirche mit einer sehr klaren intellektuellen Philosophie. Dagegen ist
der Protestantismus historisch jünger und zeichnet sich vor allem
durch einen diffusen Geist des Zweifels an der Autorität der Kirche
aus.
Auch
wenn die Protestanten wenig über die katholische Kirche wissen, die
katholische Kirche aber die Lehren der Reformation gut kennt, so
definieren sich doch vor allem die Protestanten als Nicht-Katholiken.
Heutige
Katholiken und Protestanten neigen dazu, Katholizismus und
Protestantismus als zwei völlig unterschiedliche Religionen zu
sehen, bis hin zur Prägung der Charaktere ihrer Anhänger.
Aber
die Bewegung der Reformation im 16. Jahrhundert verstand sich als
eine allgemein ökumenische Bewegung der Christenheit, die
verschiedene Fragen des Glaubens für die ganze christliche Kirche
diskutieren wollte. Man wollte einen allgemeinen Religionsfrieden
durch das Erreichen eine Übereinstimmung in Fragen der christlichen
Doktrin. Die Reformatoren verstanden sich ursprünglich nicht als
Gründer einer neuen Religion, sondern beanspruchten für sich, die
katholische Kirche durch eine Rückkehr zum Evangelium zu erneuern
und zu reinigen.
Die
Bewegung der Reformation selbst dauerte etwa ein Menschenleben lang,
aber der Geist des Protestantismus lebt viel länger. 130 Jahre nach
Luthers erster Herausforderung der kirchlichen Lehrautorität wurde
im Westfälischen Frieden das christliche Europa gespalten in
katholische und protestantische Gebiete. Damit war die Spaltung und
Trennung besiegelt.
Das
ist wichtig zu wissen, dass die wichtigsten Reformatoren nicht das
katholische Christentum beseitigen wollten, sondern vom Evangelium
aus erneuern. Noch weniger wollten sie eine neue Gegen-Religion
stiften.
Die
Reformatoren wollten die katholische Kirche reinigen, reformieren,
vom Evangelium her erneuern. Und es gab im damaligen Katholizismus,
das weiß der Himmel, genug Mißstände, Aberglauben, Entstellungen
der Reinheit des Evangeliums. Es gab genug, was die Reformatoren zu
recht angreifen konnten.
Zur
Zeit des reformatorischen Bewegung, etwa von 1520 bis 1600 waren zwei
unterschiedliche Kräfte in der europäischen Christenheit am Wirken,
der Geist der Reform und der Geist des Konservatismus. Diese beiden
Kräfte versuchten sich gegenseitig zu überzeugen, und jede dieser
beiden Strömungen hoffte, schließlich universell gültig in der
Einheit der Kirche zu werden.
Diese
beiden Strömungen verhärteten sich zu zwei feindlichen Parteien,
ja, feindlichen Armeen. Aus ihnen gingen geschiedene Kulturen hervor,
die protestantische Kultur und die katholische Kultur, die streng
voneinander geschieden waren. Die Einheit der westeuropäischen
Christenheit zerbrach in zwei Fragmente. So gab es schließlich
getrennte Staatskirchen und Stadtstaatskirchen, die Kirche von
England, die Kirche von Schottland, die Kirche von Zürich, die
Kirche von Hamburg und was nicht alles noch.
Die
erste Phase der Reformation dauerte ein Menschenleben lang, danach
folgte für ein weiteres Menschenleben die zweite Phase, die reichte
bis zur Vertreibung der katholischen Könige von England.
In
dieser Zeit wurde Europa klar gespalten in Protestanten und
Katholiken, zwei Lager, die sich feindlich, antagonistisch
gegenüberstanden, bis hin zum physischen Kampf. Es war die Zeit der
Religionskriege in Frankreich, Irland und der großen
deutschsprachigen Welt. Diese Kämpfe dauerten etwa bis zum Beginn
des 18. Jahrhunderts. Die katholische Kirche gab nun die Protestanten
verloren, die Protestanten hatten nun eigene Gebiete, da der neue
Glaube gesiegt hatte.
Die
erste Phase begann also 1517 mit dem Thesenanschlag Luthers. Da
entstand die europäische Bewegung der Reformation. Die Welt teilte
sich in zwei kämpfende Parteien, Protestantismus und Katholizismus,
mit jeweils verschiedener Philosophie. Es gab nun zwei Strömungen,
die eine wollte den Untergang der alten katholischen Kirche und die
andere die Rückbesinnung auf die alte Kirche. Beide Bewegungen
wollten in der europäischen Zivilisation herrschend werden.
Die
zweite Phase währte etwa das ganze 17. Jahrhundert und war vom
Religionskrieg zwischen den Katholiken und den Protestanten geprägt.
England,
vor allem zur Zeit Cromwells, war protestantisch geworden, ebenso
Deutschland, Holland und Skandinavien. Die mediterranen Länder im
Süden blieben katholisch.
Die
Niederlande spalteten sich in das protestantische Holland im Norden
und das katholische Belgien im Süden.
Die
Schweiz und Deutschland teilten sich in protestantische und
katholische Gebiete. Frankreich blieb katholisch, aber mit einer
wohlhabenden protestantischen Minderheit. Italien, Spanien und
Portugal blieben ganz der katholischen Kirche treu.
So
war also die erste Phase der Reformation eine Phase der kämpferischen
Diskussionen, die zweite Phase war eine Phase des physischen
Religionskrieges und der endgültigen Spaltung in feindliche Lager.
In
der folgenden Zeit entstand auch im Mutterschoß der katholischen
Kultur ein antikatholischer Geist des Zweifels. In der
protestantischen Kultur entstand die Überzeugung, dass es nun einmal
verschiedene Religionen und Philosophien gab, dass man das im Geist
der Toleranz tolerieren müsse.
Seite
an Seite mit dieser religiösen Differenz ging der politische Kampf
zwischen den Nationen katholischer und den Nationen protestantischer
Kultur weiter. Im neunzehnten Jahrhundert war das Übergewicht der
politischen Macht an die protestantischen Nationen England und
Preußen gefallen. Und so nannte man die beiden Säulen des
Protestantismus: London und Berlin.
So
gab es also erst eine Phase des intellektuellen Kampfes, dann die
Phase des Religionskrieges mit der endgültigen Spaltung, dann kam
das Zeitalter der allgemeinen Skepsis, da die Fragen nach
Katholizismus und Protestantismus nicht entscheidend waren, dann die
Phase der politischen Machtkämpfe, wobei London und Berlin siegten.
Die protestantische Bewegung war damals unter sich geeinter als der
Katholizismus. Frankreich, die führende katholische Macht, war durch
den Terror der Revolution und die Tyrannei Napoleons antiklerikal
geworden.
Der
Anfang der geistigen Revolution der Reformation, die ganze
Generationen von Christen erschütterte und spaltete, ist mit dem
Jahr 1517 anzusetzen, als Martin Luther rebellierte gegen die
kirchliche Lehrautorität.
Aber
es gab schon zweihundert Jahre vor Luthers Aufstand eine Schwächung
des Papsttums, als nämlich die Päpste ihren Thron vom Ewigen Rom
weg in die babylonische Gefangenschaft in Avignon verlegten.
Wichtig
ist auch, dass nach der Pest in der Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts und der Verlegung des Apostolischen Stuhls nach Avignon
das Papsttum entscheidend geschwächt war durch rivalisierende Päpste
und Gegenpäpste.
Der
Heilige Stuhl hatte eine lange Auseinandersetzung mit der weltlichen
Macht der Kaiser zu bestehen. Dies betraf Deutschland, Norditalien,
Ostfrankreich, die Niederlande und die Westslawen.
Kaiser
Friedrich II. war einer der gefährlichsten Männer des Mittelalters.
Er beherrschte die deutschen Staaten, die Niederlande, Ostfrankreich,
das östliche und südliche Italien. Der Papst hatte nur noch
Autorität über Mittelitalien. Kaiser Friedrich II. forderte die
Kirche heraus. Letztlich ging die Kirche siegreich aus diesem Streit
hervor, aber das Papsttum war erschöpft von den politischen
Zänkereien.
Wie
es oft der Fall ist, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.
Der sich über den Streit zwischen dem Papst und Kaiser Friedrich II.
freute, war der König von Frankreich. Nun war im vierzehnten
Jahrhundert das Papsttum französisch. Die Päpste residierten in
Avignon. Die Papstburg in Avignon ist das bleibende Denkmal dieser
Epoche.
Dieses
Zwischenspiel ereignete sich gerade zu der Zeit, da in den
europäischen Völkern das Nationalbewusstsein erwachte. Das Papstamt
muss universal sein, aber in jener Zeit wurde es als
national-französisch gesehen, was gewissermaßen eine Enttäuschung
für die europäischen Nationen war.
Die
Tendenz der westlichen Christenheit, in rivalisierende Parteien zu
zersplittern, trat ein nach den Kreuzzügen, die noch das
einheitlich-europäische Ideal des christlichen Rittertums hatten.
Nun aber im Hundertjährigen Krieg war die Christenheit wieder in
sich zerstritten.
Der
Hundertjährige Krieg war ein Krieg zwischen der englischen Dynastie,
die französisch sprach, der Dynastie der Plantagenet, und der
französischen Königsfamilie, der kapetingischen Dynastie.
Der
Streit zwischen der englischen und französischen Dynastie entzündete
sich an der Frage um den legitimen Thronfolger. Die Details müssen
hier nicht ausgeführt werden. Der große Soldatenkönig der
Engländer war König Heinrich V.
Es
ist bekannt, dass in jener Zeit die heilige Jungfrau Jeanne d'Arc für
den Thron Frankreichs kämpfte. Die Dynastie der Plantagenet brach
zusammen. Aber in jenen kriegerischen Zeiten war auf Seiten der
Engländer wie auf Seiten der Franzosen das Nationalbewusstsein enorm
gewachsen. Das führte zur Schwächung des Prinzips der katholischen
Universalität.
Was
noch schrecklicher war als der Hundertjährige Krieg, das war der
Schwarze Tod, die Pest, die etwa ein Drittel der europäischen
Bevölkerung hinraffte.
Nach
der Pest schaute besonders England nach einem einigenden Band, das
die Nation zusammenhielt. Die Obrigkeit sprach schon nicht mehr
französisch. Die verschiedenen Dialekte des einfachen Volkes wurden
zu einer einheitlichen Schriftsprache zusammen geschmolzen. Es war
die Zeit des Dichter-Genies Chaucer.
Die
Pest hatte nicht nur physisch Europa zerrüttet, sondern auch
geistig-moralisch, da der erlebte Horror des Schwarzen Todes viel
Verzweiflung in den Seelen erzeugt hatte.
Eine
weitere Folge der Pest war das abendländische große Schisma.
Jeweils England und Frankreich präsentierten rivalisierende Anwärter
auf den Apostelstuhl. Die Idee einer zentralen geistigen Autorität
wurde dadurch untergraben.
Ein
weiterer Faktor war die Entstehung von Literatur in den
Volkssprachen. Es wurde weniger lateinisch gedichtet, stattdessen
südfranzösisch, englisch, italienisch, in Hochdeutsch oder
Niederdeutsch. Wenn man Anfang des 14. Jahrhunderts gesagt hätte:
Lasst uns nicht lateinisch beten, sondern in unserer Volkssprache –
wäre man für einen Narren gehalten worden. Aber Mitte des 15.
Jahrhunderts wollte man Abstand nehmen vom rückständigen
Mittelalter und bevorzugte Literatur und Gebete in den Volkssprachen.
Des
weiteren begann man, den Papst nicht mehr als geistliche
Zentralgewalt der universellen Kirche zu sehen, sondern als eine Art
südlichen oder italienischen Fürsten. Dazu kamen soziale Unruhen,
die sich gegen das Privateigentum und die Ämter richteten.
Auch
gab es Streit zwischen den Klerikern und den Laien. Der weltliche
Besitz des Klerus war sehr groß. Es ging den Klerikern zu sehr um
weltlichen Besitz und politische Macht. Auch der Papst war sehr
interessiert am weltlichen Besitz. Der Klerus war zerfressen von
Korruption und politischer Machtgier.
Die
Idee der Nation und des Volkes wurde stärker betont. So rebellierten
die Böhmen gegen die Deutschen. Die nationale Bewegung der Böhmen
waren die Hussiten. Der Reformer Jan Hus bestand darauf, dass die
Laien bei der Eucharistiefeier aus dem heiligen Kelch das Blut
Christi trinken müssten. Die katholische Kirche sagte, der Empfang
der Hostie sei der vollgültige Empfang Christi. Die Bewegung der
Hussiten schwächte die Autorität des zentralen geistlichen
Autorität.
Zu
diesen nationalen und sozialen Unruhen und der Verweltlichung des
Klerus kam im fünfzehnten Jahrhundert die Wiederentdeckung der
griechischen Literatur hinzu. Nach der aristotelischen Scholastik
begann sich wieder ein christlicher Neuplatonismus zu bilden. Die
Naturwissenschaft machte große Fortschritte. Europäer haben Afrika
erforscht, den Weg um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien gefunden
und schließlich Amerika entdeckt.
So
entstand in dieser Zeit der Ruf nach einer allgemeinen Reform der
Kirche. Lasst uns die Kirche reformieren! Der Klerus einschließlich
des Papstes soll entweltlicht werden, gereinigt von politischer
Macht, Besitzgier, Reichtum, Korruption und Sittenlosigkeit! Kehren
wir zurück zum einfachen und reinen Ideal des Evangeliums!
Diese
sozialen, nationalen und religiösen Unruhe hätten leicht in einen
europäischen Krieg umschlagen können.
Der
Vorfall, der den Ausschlag zum großen Aufstand gab, war das Werk
eines einzigen Mannes, nämlich Martin Luthers. Er protestierte gegen
den in der Tat abscheulich Missbrauch des Ablasses, der den Massen
vorgaukelte, man könne Gnade für Geld kaufen. Allerdings verwarf
Luther nicht nur den Missbrauch des Ablasses, sondern verneinte die
Vollmacht der Kirche Christi, den Gläubigen einen Ablass zu spenden.
Das katholische Wesen des geistlichen Ablasses darf man nicht
verwechseln mit dem schrecklichen Missbrauch des Ablasshandels zu
Luthers Zeiten.
Der
Tag von Luthers Thesenanschlag an der Stadtkirche von Wittenberg am
Tag vor Allerheiligen 1517 ist in der Tat der Beginn der Reformation.
Bis dahin hatten sich die konservativen Kräfte der Kirche, wenn sie
auch moralisch verdorben waren, noch recht sicher gefühlt. Nun aber
wurden die Strömungen, die nach einer allgemeinen Reform von Kirche
und Gesellschaft riefen, zu einer unaufhaltsamen Flut.
Die
nun entstehende Reformation verstand sich in der ersten Phase, die
ein Menschenleben lang währte, als eine Reformbewegung innerhalb der
katholischen Religion, als eine Reform der katholischen Kirche durch
die Rückkehr zum Evangelium. Erst die zweite Phase ließ das
entstehen, was wir heute Protestantismus nennen, eine neue Religion,
die sich von der katholischen Religion in wesentlichen
Glaubensüberzeugungen unterschied.
Die
erste Phase der Reformation verstand sich also nich als katholisch.
Männer des extrem linken Flügels, wie Calvin, dachten immer noch an
die Eine Christenheit. James I., der bei seiner Thronbesteigung in
England den Papst als ein Monster darstellte, bestand doch darauf,
dass er katholisch sei.
Das
müssen wir verstehe, dass die Reformation ursprünglich ein
katholischer Familienstreit war. Sie wurde zu einer Art geistlichem
Bürgerkrieg. Dazu kamen revolutionäre Bestrebungen der Armen. Und
erst im weiteren Verlauf entstand das, was wir heute kennen, die
Spaltung des Christentums in eine katholische Kirche und eine
antikatholischen kirchliche Bewegung. Das führte zum Verlust der
geistlichen Einheit Europas.
Nun
darf man die Sicht der Reformatoren nicht mit unserer heutigen Sicht
verwechseln. Wir wissen heute, was sich aus den Reformbestrebungen
der reformatorischen Bewegung ergab, nämlich die Spaltung der
Christenheit, die Entstehung einer neuen antikatholischen Religion
namens Protestantismus. Das konnten die Reformatoren damals nicht
sehen. Ihnen ging es um die Reform der katholischen Kirche, die ja
selbst von sich behauptet, dass sie immer reformiert werden muss.
Die
Notwendigkeit einer Reform der katholischen Kirche war evident. Der
mystische Leib Christi war entstellt durch Sittenlosigkeit,
Korruption und Verweltlichung. Das wagte kaum einer der Zeitgenossen
zu leugnen. Die Sünden besonders der katholischen Kleriker lagen
offen zutage.
Jeder,
der zwischen 1450 und 1500 geboren wurde, wusste in aller Klarheit,
dass die Kirche reformiert werden musste. Männer von großer
Integrität und großem Wissen waren bestrebt, die Kirche zu reinigen
und zu erneuern.
In
solchen revolutionären Zeiten bilden sich zwei Gruppen: Die Bewahrer
der Tradition, die oft aus Gewohnheit und Bequemlichkeit oder gar aus
materiellen Interessen am Herkömmlichen festhalten wollen, und
andererseits die Gruppe der Revolutionäre. Diese Revolutionäre
stellen nun allerlei Konzepte zur Reform von Kirche und Gesellschaft
vor, die einen fordern gemäßigte Reformen, die andern radikale
Revolutionen, das führt bis zur Propaganda der allgemeinen Anarchie,
des Bürgerkrieges oder gar des Terrors.
In
den Turbulenzen der Anfangszeit der Reformation meldeten sich viele
Wissende und Gelehrte zu Wort. Allerdings erhoben auch viele
Unwissende lauthals die Stimme. In diesen gemischten Chor von Weisen
und Narren mischte sich noch die schreiende Stimme der Wahnsinnigen.
Die
Notwendigkeit der Reform der katzholischen Kirche war evident. Die
Sünden, die den mystischen Leib Christi von innen angriffen, lagen
offen zutage.
Das
gab es etwa die Masse von unhistorischen und nachweislich falschen
Legenden. Zu diesen zählt zum Beispiel die nachweislich falsche
sogenannte Konstantinische Schenkung, die dem Papst weltlichen Besitz
und weltliche Macht zusprach. Des weiteren gab es die Überwucherung
der apostolischen Tradition durch allerhand ungeistliche
Altweiberfabeln und pseudokatholische Mythen. Dazu kamen die
Betrügereien im Handel mit offensichtlich gefälschten Reliquien.
Besonders die Rückkehr zum griechischen Original des Neuen
Testaments machte offenbar, wie weit sich die Katholiken in gewissen
Bereichen vom Wort Gottes entfernt hatten.
Dazu
kam eine Verknöcherung der Kleriker, die sich oft entfernten von der
reinen katholischen Wahrheit und stattdessen mehr an ihrem Wohlleben
interessiert waren und private Lieblingsideen lehrten, die oft im
Widerspruch zum Wort Gottes und der klaren Offenbarung der
katholischen Weisheit standen. Diese Lehren der Kleriker mussten
korrigiert oder ganz verneint werden.
Das
Hauptübel aber war die Verweltlichung der Beamten des
Kirchenapparats. Diese Angestellten der Kirche zogen die zeitlichen
Güter den ewigen Gütern vor. Sie waren in die Welt, die politische
Macht, den Besitz, das Geld und die perversen Lüsten so sehr
verliebt, dass die Kirche weniger als Jungfrau Jerusalem, mehr als
Hure Babylon erschien, wie schon Dante sagte.
Ein
besonderer Skandal war der moralisch verdorbene Papst Alexander VI.
mit seiner machtgierigen Familie.
Jeder
redliche Mensch guten Willens musste gegen diese Übel protestieren.
So entstanden die Turbulenzen, die, vermischt mit Gewalt, den
mystischen Leib Christi zu zerreißen drohten.
Es
wäre gut gewesen, wenn bei all den Turbulenzen und konstruktiven und
destruktiven Leidenschaften die Einheit der Kirche nicht zerstört
worden wäre, wenn nach einer Zeit des Familienstreits, nach einer
Reinigung der Kleriker, nach einer Entweltlichung der Kirche und
einer Rückbesinnung auf das Original des Neuen Testaments, doch die
Eine Kirche weiter existiert hätte. Denn diese Eine Universelle
Kirche ist doch der wahre Patriotismus der Christen.
Es
gab keinen einheitlichen Plan für die Reformation nach dem
lutherischen Aufschrei in den deutschen Staaten und der Forderung
nach einer Reformation vonseiten der gelehrten Männer des Humanismus
im Allgemeinen. Selbst diejenigen, die instinktiv Feinde des
katholischen Glaubens waren, hatten keine einheitliche Strategie.
Luther
war nicht der geistliche Führer der Reformation. Und auch Zwingli
war es nicht, der in seinem persönlichen Glauben die zentralen
Lehren des katholischen Glaubens verneinte und begann, die religiösen
Stiftungen zu plündern. Die Reformation blieb intellektuell
führerlos, bis ein Mann von Genie sein Buch herausgab. Und das war
Jean Calvin, dessen Buch das schärfste Instrument der Reformation
war, voller machtvoller Argumentation und beredsamer Predigten. Jean
Calvin war ein Franzose, Sohn eines Kirchenbeamten und Rechtsanwalts.
Nach der Exkommunikation seines Vaters durch den zuständigen Bischof
und die Beschlagnahme seines Einkommens, das Jean Calvin genossen
hatte, begann' Calvin seine gewaltige Arbeit für die Reformation.
Es
wäre ungerecht zu behaupten, dass das Unglück seines Vaters und
private Geldstreitigkeiten mit dem Bischof die Ursache für Calvins
Werk gewesen seien. Er stand schon vorher auf der Seite der
revolutionären Kräfte. Er arbeitete aber nun als eine Hauptfigur an
der Zerstörung der alten Religion. Was auch immer sein persönliches
Motiv gewesen, er wurde sicherlich zum Gründer der neuen Religion.
Es war das Werk von Jean Calvin, eine Gegen-Kirche zu gründen.
Er
erwies sich als derjenige, der der reformatorischen Logik zum Triumph
verhalf. Er handelte nicht instinktiv, sondern intellektuell. Er war
nicht aus blinden Leidenschaften antiklerikal, sondern er verkündete
mit großer intellektuelle Sachlichkeit eine neue Lehre, einen neuen
Glauben. Er war ein wahrhaft großer Häresiarch! Man ist geneigt,
ihn mit Mohammed zu vergleichen, der 900 Jahre vorher sich vom
Judentum und Christentum loslöste und eine neue Lehre, einen neuen
Glauben verkündete. Die Lehre Calvins war eine kirchliche
Gemeinschaft ohne geweihtes Priestertum und ohne Sakramente. Alles,
was heute in den vielen verschiedenen evangelischen Gemeinschaften
als Grundglaube gemeinsam ist, geht auf Calvins neue Lehre zurück.
Die
neue Lehre der Reformatoren bestand im Kern darin, das Böse in die
Gottheit hineinzuprojizieren. So entstand die Vorstellung von einem
sowohl liebenden als auch schrecklichen Gott, eine Art neuer Moloch.
Diese Lehre wurde von Hegel weiterentwickelt und führte über Marx
und Lenin zur satanischen Tyrannei des Kommunismus. Auch die
calvinistische Auffassung, dass ein Zeichen für die Gnadenwahl des
Menschen der materielle Wohlstand war, die Verachtung von Demut und
Armut, führte über die protestantische Ethik zum Geist des
Kapitalismus. Die Lehre Calvins führte zur modernen Theologie,
Wunder abzulehnen. Calvin und Luther waren sich einig darin, dass es
des Menschen freien Willen nicht gäbe.
Dieser
Calvin hatte begonnen, die alte apostolische Kirche anzugreifen und
die neue Gegen-Kirche zu gründen. Er machte es wie Mohammed, der
auch zu seiner Zeit die überlieferte christliche Religion durch eine
neue Religion ersetzt hatte und fast den ganzen christlichen Orient
in einen islamischen Orient verwandelt hatte. Calvin machte es, wie
es alle Revolutionäre taten, er gründete kleine Zellen, zuerst in
Frankreich, dann in ganz Europa. Diese kleinen calvinistischen Zellen
setzten sich für das Evangelium, für den Glauben ein, wie sie
sagten, sie verbreiteten die neue Lehre Calvins in Europa, zerrissen
die Einheit der christlichen Kirche, die Einheit des katholischen
Europa.
Diese
reformatorische Häresie ist auch heute, 500 Jahre später, noch zu
keinem Abschluss gekommen. Das ursprüngliche Anliegen der
Reformatoren ist wenig bekannt, aber der Geist des Protestantismus
hat dauerhafte Früchte geteilt und spaltet die heutige Christenheit
in eine katholische Kirche und tausende antikatholische
protestantische kirchliche Gemeinschaften.
Nachdem
der Krieg zwischen den katholischen und protestantischen Christen
getobt hatte, war Europa gespalten. Norddeutschland und Holland und
Skandinavien und England wurden antikatholisch fixiert, Bayern und
Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal blieben der
katholischen Kirche treu.
Es
ist schwierig, die Verwirrung und den allgemeinen Kampf zu verstehen,
der Europa im Dreißigjährigen Krieg erschütterte, denn viele
verschiedene Faktoren führten zum Ausbruch des Krieges.
Die
Reformation brach 1517 aus. In Frankreich begann 1559 der
französische Religionskrieg und dauerte vierzig Jahre. Zwanzig Jahre
danach begann der Religionskrieg in Deutschland und dauerte dreißig
Jahre. Erst um 1650 endeten die Religionskriege in Europa in einer
Sackgasse.
Mit
1518 begannen vor allem England und Frankreich, sich der
Persönlichkeit ihrer Nationen bewusst zu werden. Man begann mit
Königs-Gottesdiensten und sah in dem König nicht nur den Führer
des Staates, sondern auch das Oberhaupt der nationalen Religion.
Liturgie, Gebete und Bibel wurden landessprachlich formuliert, und
das allgemeine Latein Europas geriet mehr und mehr in Vergessenheit.
Es entwickelte sich der moderne Staat mit moderner
Wirtschaftsstruktur. Dazu kamen geographische Entdeckungen und
Weiterentwicklung in den mathematischen Wissenschaften.
Beim
Zusammentreffen so vieler Faktoren ist es schwierig, die Geschichte
der Religionskriege zu schreiben. Wir können aber die größte Linie
begreifen, wenn wir bestimmte Schwerpunkte setzen.
Zum
einen war zwar der Protestantismus ursprünglich eine rein negative
Bewegung, die die Korruption des katholischen Klerus bekämpfte, aber
der Protestantismus wurde zu einer positiven Religion mit dem
Auftreten Calvins. 1536 erschien sein Buch. Wenn auch der lutherische
Protestantismus große Flächen abdeckte, so war es doch der Geist
Calvins, der viele Dissidenten und antikatholische Sekten schuf, die
aktiv gegen die katholische Religion kämpften.
Calvin
war ein Franzose. Er richtete sich an die Franzosen. Darum brach die
Gewalt auch zuerst auf französischer Erde aus. Die französischen
Religionskriege waren grausamer als die Religionskriege in anderen
Ländern. Nach einem halben Leben des Schreckens kam es zu keinem
Sieg, sondern bloß zu einem Waffenstillstand. Es war die katholische
Hartnäckigkeit der Hauptstadt Paris, die den Sieg der Calvinisten
verhindert hatte.
Die
Deutschen hatten den religiösen Krieg noch abwehren können, als er
in Frankreich schon wütete. Aber in einigen deutschen Ländern
führten die Wirren der Reformation zur sozialen Revolution der
Bauern.
Deutschland
war in viele Stadtstaaten und Herzogtümer zersplittert. Über alle
diese herrschte der Habsburger Kaiser in Wien. Aber der Kaiser hatte
nicht genug Geld und Macht zu verschenken. Der Kaiser wurde
herausgefordert durch eine böhmische Revolte, die die Einheit
Deutschlands herstellen mit der einheitlichen deutschen Religion des
katholischen Glaubens. Die Habsburger Kaiser von Wien und Spanien
widersetzten sich dieser böhmischen Revolte.
Zwei
Faktoren verhinderten den Triumph des Katholizismus in Deutschland.
Das war zum einen das militärische Genie des protestantischen Königs
von Schweden, Gustav Adolpf, und zum anderen das diplomatische Genie
des Kardinals Richelieu, der die Fäden zog in der Regierung
Frankreichs.
Frankreich
hatte jenseits der Pyrenäen die spanische katholische Monarchie
sitzen und hätte auf der anderen Seite ein vereintes katholisches
Deutschland mit einem mächtigen Kaiser gehabt. Der französische
Kardinal Richelieu stand zwar auf der Seite der katholischen Sache,
aber mehr noch auf der Seite der französischen Sache. So verbündete
er sich mit König Gustav Adolf von Schweden, um die katholische
Einheit Deutschlands und einen mächtigen katholischen Kaiser von
Deutschland zu verhindern, gerade als die Sache des deutschen
Katholizismus kurz vorm Sieg stand.
Richelieu
entdeckte das Genie Gustav Adolfs. Er bot ihm drei Wannen voll Gold
an. Gustav Adolf nahm fünf Wannen voll Gold.
Gustav
Adolf konnte sich die Zukunft noch nicht vorstellen, als er die
goldenen Wannen der Franzosen annahm. Es war schwierig, die Position
des Kaisers anzugreifen. Wie Alexander der Große, Cromwell und
Napoleon war Gustav Adolf ein militärisches Genie. Er staunte, wie
leicht er auf den Kampagnen seine Siege erreichte.
Die
Siege Gustav Adolfs dauerten aber nur ein Jahr. 1632 fiel er in der
Nähe von Leipzig im Krieg. Aber in dieser kurzen Zeit hatte er das
protestantische Deutsche Reich geschaffen. Er tat, was zweieinhalb
Jahrhunderte später Bismarck tat. Nun waren die Deutschen gespalten,
und es war nicht mehr möglich, dass die Deutschen einheitlich zum
Glauben der Väter bekannten.
Der
deutsche Protestantismus stand so fest, dass er bis heute seine Macht
erhöhte, bis heute von Berlin aus eine überwiegend neuheidnische
Bevölkerung regiert wird.
Die
Religionskriege in Deutschland waren allmählich im Sand verlaufen.
Jede Partei hielt fest an ihren Gewinnen. Und so ist die
religionspolitische Karte von Europa vom siebzehnten Jahrhundert bis
heute ziemlich gleich geblieben.
Man
liest die Geschichte als Militärgeschichte, vom französischen
Glaubenskrieg über die deutschen Religionskriege, man spricht von
Staatsmännern, Kriegern und Schlachten. Es scheint weniger um eine
Glaubenslehre oder eine Moral zu gehen. Wenn man tiefer sieht,
erkennt man, dass das treibende Motiv die nackte Gier war.
Im
alten katholischen Europa, vor Luthers Revolution, hatte es einen
riesigen geistlichen Besitz gegeben, Bistümer und Pfarreien waren
versorgt. Es gab Volksschulen und Universitäten. Es gab
Handwerkergilden. Es gab Krankenhäuser. Es gab Wallfahrtsorte. All
das stand unter der Schirmherrschaft der katholischen Kirche und war
eine begehrte Beute.
Der
erste Akt der Reformatoren, wo immer sie erfolgreich waren, war es,
die Schätze der katholischen Kirche zu plündern und zu rauben. Die
die Wiederherstellung des katholischen Glaubens versuchten, wollten,
dass sich der Reichtum der Kirche wieder erhole.
Deshalb
waren die Kämpfe in England nicht so heftig. England war nicht so
sehr betroffen von den neuen Lehren der Reformatoren, aber die
Klöster waren aufgelöst und das Eigentum der Kirche an die Herren
der Dörfer und die Kaufleute in den Städten übergegangen. Das
gleiche gilt von den Schweizer Kantonen. Die französischen
Dorfherren, in England Squires genannt, und die großen Adligen
teilten sich die Beute.
Die
französische Krone fürchtete die Stärkung der Aristokratie und der
Kaufleute durch die gewaltige Beute. So kam es zum Französischen
Glaubenskrieg. In England aber war der Thron in den Händen eines
Kind-Königs und zweier Frauen. Daraus ergab sich die Abwesenheit
eines Religionskrieges in England.
Das
war der universalen Raubzug gegen die katholische Kirche, der auf das
Zeitalter der religiösen Revolution folgte. Gier bestimmte den
Charakter des Konflikts.
Aber
nicht allein die Habgier der protestantischen Räuberbanden ist zu
tadeln, sondern auch die oft ungerechte Art und Weise, wie die Äbte
der Klöster ihren Besitz an materiellen Gütern zusammengerafft
hatten.
Ohne
die Missbräuche unter den katholischen Klerikern hätte der
protestantische Raubzug wahrscheinlich nicht stattgefunden. So wurde,
wo die Reformation siegte, der geistliche Besitz zum Besitz der
Laien. Im Rest des katholischen Europa, wie Italien und Spanien,
besaß die Kirche nur noch die Hälfte ihres vorherigen Besitzes. Die
neuen protestantischen Bischöfe und Geistlichen, die
protestantischen Schulen und Krankenhäuser besaßen ein Zehntel der
alten Reichtümer.
Die
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts war die Zeit des religiösen
Streites zwischen Armeen gewesen. Nun war die katholische Einheit
Europas verloren. Im Rest des katholischen Europa war die Macht der
Kirche geschrumpft. Im protestantischen Teil Europas hatten die Laien
die Macht übernommen. Europa war gespalten in zwei Kulturen, die
sich misstrauisch, ja, feindlich gegenüberstanden und so ist es bis
heute geblieben. Es sind zwei verschiedene Religionen, verschiedene
Glauben, verschiedene Kulturen. Da nun der einheitliche Glaube Europa
nicht mehr beseelte, da der Streit um die Lehre so verheerend gewesen
waren, wandte sich die Masse der Menschen von Fragen der Ewigkeit,
von Fragen der gesunden Lehre ab und suchten stattdessen zeitliche
Lüste und Gewinne. Man befasste sich mehr mit nationalen Problemen
und sorgte sich um die Vermehrung des Reichtums. Die Säkularisierung
Europas nahm ihren Anfang.
Nach
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatte die Welt den Sieg der
Puritaner-Armee in England gesehen, den Sieg der deutschen
Protestanten durch den Beistand des intriganten Kardinals Richelieu,
der Triumph die niederländischen Neugläubigen über das katholische
Spanien. Europa fiel vom religiösen Kampf erschöpft zurück. Die
Kriege um die wahre Religion waren zuende. Keine Partei hatte
vollständig gesiegt. England versuchte, das katholische Irland zu
ermorden, Frankreich versuchte, die Hugenotten zu ermorden. Ab 1700
war es klar, dass die Zeit des Religionskrieges beendet war.
Nun
war die Einheit in Europa gespalten in zwei Kulturen. Es entwickelte
sich selbständig die protestantische Kultur Seite an Seite mit der
katholischen Kultur. Menschen können zwar die große glorreiche
Vergangenheit nicht vergessen, den Universal-Katholizismus Europas,
aber nun entwickelten sich Nationalreligionen. Die alte moralische
Einheit war dahin.
Die
griechisch-orthodoxe Kirche des Ostens war bedeutungslos geworden.
Russland dominierte die orthodoxen Christen. Im Osten triumphierte
der Islam. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts reichte Europa von
Polen bis zum Atlantik.
Die
italienische Halbinsel war katholisch bis auf eine kleine Population
in den nördlichen Bergen, die evangelische Gottesdienste feierten.
Iberien,
also Spanien und Portugal, war der katholischen Kirche treu
geblieben. In den deutschsprachigen Gebieten hatte der Kaiser von
Wien versucht, das Reich für den Katholizismus zurückzugewinnen,
war aber gescheitert, nicht zuletzt durch die Bestrebungen des
Kardinals Richelieu.
Die
deutschsprachigen Länder waren gespalten in protestantische und
katholische Staaten und Städte.
Der
Zahl nach waren die Protestanten in Deutschland schwächer als die
Katholiken. Grob gesagt, war der Protestantismus in Norddeutschland
und der Katholizismus in Süddeutschland vorherrschend. Es gab aber
auch im Norden Katholiken und im Süden protestantische Regionen.
Dass der Norden überwiegend protestantisch geworden war, lag weniger
an einer Hinneigung des nordischen Temperaments zum Protestantismus,
als mehr in seiner räumlichen Entfernung vom kaiserlichen Wien.
Skandinavien,
das heißt Dänemark und Schweden und Norwegen, fiel ganz in
protestantische Hände. Polen, obwohl es nie Teil des Römischen
Reiches gewesen war, blieb der katholischen Kirche treu. Polen ist
eins der stärksten katholischen Gebiete der Welt. Die Polen, wie
auch die Iren, wurden wegen ihres rechten Glaubens heftig verfolgt.
Die
Niederlande wurden überwiegend protestantisch, vor allem der Norden,
also Holland. Der Protest der Holländer war vor allem ein Protest
gegen die katholische Majestät von Spanien. Aber es gibt auch heute
noch eine bedeutende Minderheit von Katholiken in Holland.
Die
südlichen Niederlande blieben katholisch. Während im Norden der
Niederlande die reichen Großgrundbesitzer und Kaufleute zum
Calvinismus übergelaufen waren aus Protest gegen die spanische
Krone, blieb die Oberschicht des Südens dem Katholizismus treu.
Doies ist heute das katholische Belgien.
Die
Schweizer Kantone, die nach und nach eine Nation wurden, waren
geteilt. So ist bis heute die Schweiz geteilt in protestantische und
katholische Kulturen.
Frankreich
war nach dem Ende der Religionskriege und des Krieges von Kardinal
Richelieu gegen die Hugenotten katholisch geblieben, sowohl die Krone
als auch das Volk. Es gab aber auch eine protestantische Minderheit,
die zwar zahlenmäßig klein war, aber durch ihren Reichtum doch
einflussreich. So war La Rochelle, der Hafen am Atlantik, und
Montpellier und Nimes im Süden noch stark protestantisch
beeinflusst. Ein Großteil der Banken und des Handels war in
protestantischen Händen.
England
und Schottland waren seit 1650 unter einer gemeinsamen Monarchie
protestantisch geworden. Aber nicht unbedeutende Teile des englischen
Volkes liebten noch die alte Religion. Wohlhabende Katholiken
versuchten, sich Privatkapellen zu halten. Für die einfachen
Katholiken wurde es immer schwieriger, die Messe zu besuchen und die
heilige Kommunion zu empfangen. Der Hass der britischen Protestanten
auf die ausländischen Katholiken war groß.
Irland
blieb katholisch. Etwa ein Zwanzigstel war protestantisch. Aber
neunzehn Zwanzigstel des Landes waren in den Händen von britischen
protestantischen Abenteurern. Irland war der Versuch, ob es dem
Protestantismus noch gelänge, die katholische Kirche auszurotten und
einen vollständigen Sieg in Europa zu erreichen. Die über Irland
herrschenden Abenteurer waren nicht nur Protestanten, sondern von
einem besonderen Hass auf die katholische Kirche erfüllt, die sie
ganz zerstören wollten.
So
sah die Karte Europas aus nach dem Ende der Religionskriege. Europa
war in zwei Parteien gespalten. Aber es gab nicht nur geographische
Folgen, sondern auch moralische. Moralisch hatten die Religionskriege
die Religion zweifelhaft gemacht. Nun entstand der Zustand, in dem
die Menschen die Religion als eine Nebensache betrachteten.
Politische
Erwägungen, Ehrgeiz getrennter Nationen und sperater Dynastien
wurden wichtiger als die Fragen der Religion. Da der Religionskrieg
unentschieden ausgegangen waren, dachten viele Menschen, dass die
religiösen Differenzen wahrscheinlich übertrieben worden waren. Die
Folge der Religionskriege war, dass die Religion insgesamt geschwächt
worden war. Immer mehr Menschen begannen zu denken, dass die
religiöse Wahrheit unzugänglich und unerkennbar sei, dass dagegen
der Mensch sehr wohl erkennen könne, was weltlicher Wohlstand und
Armut bedeuten und was politische Macht oder Schwäche bedeuten.
Religiöse Lehren gehören nach dieser Meinung zu einer unsichtbaren
Sphäre, die sich der Erkenntnis von Gut und Böse entzieht.
Das
ist die wichtigste Frucht des unentschiedenen Religionskrieges. Am
Ende verharrten beide Parteien auf ihren Positionen. Noch gab es
genügend religiöse Inbrunst auf beiden Seiten, aber subtiler, nicht
mehr öffentlich proklamierter Art. Die Religion wurde den weltlichen
Dingen untergeordnet, vor allem der Geldgier und dem Patriotismus.
Der
Protestantismus arbeitete mehr im Untergrund. Er würde aber bald ans
Licht kommen. Noch war der Protestantismus zahlenmäßig kleiner als
der Katholizismus, auch ärmer, aber der Protestantismus hatte mehr
Vitalität.
Die
Revolution mit ihrer Begierde hatte ja den Protestantismus
hervorgebracht, der Kampf gegen die Tradition und die herkömmlichen
Bindungen, die den Rahmen der katholischen Gesellschaft für tausend
Jahre gegeben hatten. Die soziale Frage wurde im Protestantismus
schärfer ins Auge gefasst. Die Auflösung der traditionellen
Gesellschaft hatte Energien freigesetzt, vor allem die Energie des
Wettbewerbs. Alle Formen der Innovation wurden im Protestantismus
mehr gefördert als im Katholizismus. Beide Parteien waren stark in
den Fortschritten der Naturwissenschaften, der Besiedlung fremder
Länder, der europäischen Expansion in der ganzen Welt, aber in all
dem waren die Protestanten stärker als die Katholiken.
In
der protestantischen Kultur wurden die traditionellen Rechte der
freien Bauern nicht mehr geschützt. Die Reichen kauften die
Ländereien. Große Menschenmassen wurden mittellos. Der Kapitalismus
entstand und damit das moderne Proletariat.
Der
protestantische Kapitalismus war allen Neuerungen gegenüber offener
als die traditionelle Bauernschaft der katholischen Kultur. Der Geist
des Wettbewerbs siegte. Die protestantische Kultur war freier als die
katholische, da kein Amt die Gesellschaft zusammenhielt. So entstand
eine freie Philosophie und ein neues Denken, das am Anfang anregend
und belebend war.
Aber
die Hauptsache war nach dem Zerbruch der katholischen Einheit Europas
das Aufkommen der Bankgeschäfte. Wucher wurde überall betrieben,
aber in der katholischen Kultur wurde er streng begrenzt, dagegen
entfaltete er sich frei in der protestantischen Kultur. Die
protestantischen Kaufleute von Holland waren die Begründer der
heutigen Bankenherrschaft, Die Engländer folgten ihnen. Die noch
relativ kleinen protestantischen Nationen häuften so eine ungeheure
wirtschaftliche Macht an. Mobiles Kapital und Kredite nahmen zu. Der
Kaufmannsgeist blühte unter den Holländern und Engländern. Die
universelle Zulassung des wirtschaftlichen Wettbewerbs begünstigte
die protestantische Partei Europas.
So
war das Leben nach dem Westfälischen Frieden. Im achtzehnten
Jahrhundert gab es wirtschaftlichen Fortschritt. Noch hatte der
Katholizismus die alten Throne mit ihrer traditionellen Glorie, die
Kaiserkrone, den Kirchenstaat, die spanische Monarchie mit ihrer
überseeischen Herrschaft und die herrliche französische Monarchie.
Aber auf der Seite des Protestantismus stand der Geist des
Kapitalismus.
Darüber
hinaus war das Vertrauen in die Zukunft stark bei den Protestanten.
Die Katholiken waren entmutigt. Der Niedergang des religiösen
Gefühls Mitte des achtzehnten Jahrhunderts schadete mehr der
katholischen als der protestantischen Kultur. In den katholischen
Gesellschaften gab es Spaltungen unter den Menschen. Der Skeptiker
war der Feind seines frommen Landmannes.
Frankreich,
Italien, Spanien waren unter sich uneins. In der protestantischen
Kultur waren Meinungsverschiedenheiten und Skeptizismus allgemeine
Tugenden. Die Menschen nahmen dies als gewöhnlich hin. Diese Kraft
des Protestantismus nahm immer mehr zu. Zur Hilfe kam die falsche
Philosophie des Skeptizismus. Es wurde offenbar, dass nach dem
Zerfall der Einheit Europas der protestantischen Kultur auf lange
Zeit die Vorherrschaft gehören würde.
Zeichen
des politischen Wachstums des Protestantismus waren weitere
Steigerungen der finanzielle und militärischen Macht. Der englische
Kommerz breitete sich schnell aus. Die Holländer steigerten ihre
Bankgeschäfte. Schließlich fiel der Seemacht England das große
Indien in die Hände.
Auf
der militärischen Seite begründete das protestantische Deutschland
die Armee von Preußen. Ihre große Disziplin führte sie von Sieg zu
Sieg. Die englische Flotte war die stärkste Flotte der Welt und
schütze den englischen Handel und Einfluss im Orient. Die Preußen
gewannen Kriege und Kampagnen. Ihr Soldatenkaiser Friedrich II. war
sicher einer der großen Heerführer der Geschichte.
Auch
die Katholiken gingen ins Feld. Da war Österreich mit seinem
katholischen Kaiser, da war das große spanische Weltreich mit dem
größeren Teil des besiedelten Amerika.
Die
zunehmende Macht des Protestantismus und die abnehmende Macht der
katholischen Kirche hatte aber auch ein spirituellen Grund. Die
Abnahme des Glaubens schwächte die katholische Kirche, nicht aber
den Protestantismus. Der ganze Ton des protestantischen Geistes war
absolute Gesinnungsfreiheit in Fragen der Religion. Jeder Mensch
entschied individuell für sich, was ihm wahr erschien. Es gab keine
Lehrautorität. So arbeitete dieser protestantische Geist für das
Chaos. Die Autorität der katholischen Regierungen wurden
untergraben. Entweder führte die katholische Autorität zu einer
Lähmung des Denkens, wie in Spanien, oder sie spaltete die
Gesellschaft in Fromme und Skeptiker, wie in Frankreich.
England
als Seemacht hatte seinen Würgegriff auf Indien gelegt. Preußen
hatte sich als starke Militärmacht etabliert. Aber niemand sah
voraus, dass England und Preußen die Führer des Christentums werden
sollten. Indien wurde ausgebeutet und mehrte Englands Reichtum und
Macht. England wollte den ganzen Orient beherrschen. Preußen
absorbierte Deutschland und wollte herrschen in Europa. England
übernahm auch die französische Kolonie Kanada. Allerdings dachte
damals noch keiner daran, dass die Ausbeutung der Kolonien zur
enormen Stärkung der eigenen Wirtschaftspotenz führen würde.
Später,
als England seine Kolonien in Nordamerika aufgeben musste und
Nordamerika unabhängig wurde, wurde das zu Unrecht als ein Schlag
gegen die englische Macht gesehen. Nur sehr wenige haben
vorhergesehen, was die neue Republik von Nordamerika für die Zukunft
bedeuten würde. Ihre große und schnelle Expansion in
Bevölkerungszahlen und Reichtum machte sie zu einem einflussreichen
Faktor des Protestantismus in der ganzen Welt. Erst später kamen
katholische Einwanderer hinzu, aber auch blieben die Vereinigten
Staaten von Amerika eine im wesentlichen protestantische
Gesellschaft.
Ende
des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts haben die
Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege die
katholische Partei geschwächt, die protestantische Partei gestärkt.
Die
Französische Revolution war antiklerikal. Napoleon aber begrente den
Terror der Revolution. Er versuchte, Europa unter seinem Stern zu
einen. Wenn er auch kein Katholik war, so wäre doch ein von Napoleon
geeintes Europa ein katholisches Europa gewesen, denn Napoleon
schätzte die staatsbildende Kraft der katholischen Revolution.
Allerdings blieb sein Eroberungszug im Schnee von Moskau stecken.
Wenige sehen, dass damit die Vision eines geeinten katholischen
Europa in weite Ferrne versank.
Nach
der Niederlage Napoleons war England unangefochten die erste
militärische Seemacht. Spanien war gering und unbedeutend geworden.
England betrieb intensiven Handel mit Südamerika. Preußen ward auf
dem Festland die vorherrschende militärische Macht. Die katholischen
deutschen Gebiete am Rhein wurden dem protestantischen Preußen
hinzugegeben. Das war eine Niederlage für den katholischen
Habsburg-Kaiser von Österreich. Italien formierte sich als
bedeutende Nation. Die italienischen Patrioten sympathisierten mirt
dem protestantischen Geist und rebellierten gegen den katholische
König in Neapel und gegen den päpstlichen Kirchenstaat. Frankreich
verfiel einer langen Reihe von politischen Experimenten und war im
Inneren geistig gespalten.
Das
protestantische Preußen wurde immer mächtiger. Preußen zerstörte
die militärische Macht des katholischen Österreich und schuf das
Deutsche Reich, indem die Katholiken eine Minderheit waren, von dem
das katholische Österreich abgetrennt war. Berlin war die Hauptstadt
des Deutschen Reiches. Preußen besiegte auch die französische
Armee, nahm Paris ein und eignete sich französische Gebiete an.
Folge
des Deutsch-Französischen Krieges war die Errichtung der
französischen parlamentarischen Republik mit schlechten Gesetzen und
noch schlechteren Sitten. Die antikatholische Fraktion trieb
Frankreich in den Ruin. Eine großer antikatholischer Strom
überflutete Frankreich.
England
wurde einflussreicher im Osten, löste Frankreich in der Herrschaft
über Ägypten ab, nahm sich des Suezkanals an und eroberte Zypern.
Italien war zwar geeint, aber schwach und verachtet. Spanien und
Portugal waren ohne Hoffnung auf Genesung. Frankreich war zerrissen
und wurde von der schlimmsten Sorte Berufspolitiker regiert. Die
Sonne von Österreich schien nicht mehr. Preußen hatte Karriere
gemacht. Nordamerika hatte sich von seinem Bürgerkrieg erholt und
war leistungsstärker als je zuvor. Die katholische Kultur schien
vernichtet. Es schien, dass der Protestantismus zum Führer der
weißen Rasse aufgestiegen war.
Die
Sache war nicht nur politisch, sondern hatte auch wirtschaftliche
Gründe. Die neuen Maschinen, die schnellere Kommunikation des
Denkens und der Menschen und der Waren, waren ein Produkt der
protestantischen Kultur. Die katholischen Nationen versuchten, dies
zu kopieren.
So
war es auch mit den staatlichen Institutionen. Die englische
Institution des Parlaments, unter den Aristokraten erfunden, wurde
überall nachgeahmt. Diese Herrschaft der Aristokratie war ungeeignet
für Menschen, die den Gedanken der Gleichheit aller Bürger hegten.
Aber das Ansehen Englands war groß. Die Völker kopierten die
englischen Institutionen.
Der
Prüfstein für den Wert der katholischen Kultur war Irland. Es
schien endgültig ruiniert zu sein. Die irische Bevölkerung war
enteignet und litt Hunger. Der Wohlstand des katholischen Irland sank
so schnell, wie der des protestantischen England stieg. Niemand
konnte sich vorstellen, dass Irland nach seinen schrecklichen
Erfahrungen im neunzehnten Jahrhundert, wieder von den Toten
auferstehen könnte.
Der
Papst war seines Besitzes beraubt und war Gefangener des Vatikan. Die
italienische Regierung schien sein Herr zu sein, die sich mehr und
mehr gegen die Religion stellte.
Das
Bildungssystem in Europa wurde mehr und mehr geschieden von der
Religion, und selbst in den großen katholischen Ländern fiel das
Bildungssystem in antikatholische Hände. Es ist schwer zu sagen,
wann die Geschichte eine Wende nahm. Das Weströmische Reich, die
spanische Weltmonarchie, die türkische Herrschaft im Osten, alles
begann unterzugehen, bevor der Untergang wahrgenommen wurde. So ging
es auch den absolutistischen Monarchien Europas.
Mitte
des 17. Jahrhundert sprachen die Menschen noch von der quasi
Weltmonarchie der spanischen Krone, und doch hatte sie schon in
Holland ihren Todesstoß erhalten und verblutete langsam.
So
war es auch mit der protestantischen Vorherrschaft über das
Abendland, mit der antikatholischen, evangelischen Führung der
weißen Zivilisation. Aber wann trat der Wandel ein?
Manche
nennen das Jahr 1900, die Zeit des Burenkrieges. Ende des 19.
Jahrhunderts begann der Wandel.
Die
protestantischen Mächte waren größer als je zuvor, aber die
Reaktion rührte sich, und ihr Vordringen war die Aufgabe der
nächsten Generation. Zwischen 1885 und 1904 wandte sich das Blatt.
Es zielte zwar nicht auf die Wiederherstellung der katholischen
Kultur in Europa oder auf die katholische Kirche als universale
Einheitskirche, aber die neuen Ideen brachen die bisher allmächtige
protestantische Kultur auf.
Der
moderne Rückgang der protestantischen Vorherrschaft durch eine
völlig neue Bedrohung und die katholische Reaktion auf diese neue
Bedrohung ist nun mein Thema. Ob man nun sagt, dass der Zerfall der
protestantischen Herrschaft schon 1890 einsetzte oder ob man das
Datum 1904 ansetzt, so gibt es doch keinen Zweifel daran, dass Anfang
des 20. Jahrhunderts die protestantische Herrschaft untergraben
wurde.
Der
protestantische Geist mit seinen verschiedenen Häresien begann an
Einfluss zu verlieren. Der Protestantismus wurde mit seiner geistigen
Wurzel ausgerissen, und so fielen auch die politischen Früchte
dieses Baumes.
Zwei
Gründe kann man für diesen Niedergang der protestantischen
Herrschaft anführen. Da war zum einen das Erstarken des
Neuheidentums und zum andern die erneuerte Vitalität der
katholischen Kirche.
Zwar
gab es keine Rückkehr zur alten katholischen Kultur. Irland war arm
und stand unter protestantischer Fremdherrschaft. Polen konnte nicht
mehr auf die Auferstehung hoffen. In Frankreich stritten sich die
Gläubigen und die Ungläubigen. Der Sieg schien auf der Seite der
Ungläubigen. Religion wurde aus den Volksschulen vertrieben. Große
Massen von Bauern verloren ihren Glauben. Dem Niedergang der Religion
folgte auf dem Fuß der Niedergang in der Architektur, den Künsten,
der Literatur. Das herkömmlich klare Denken der Franzosen wurde
verwirrt. Es gab keine Wiederbelebung Spaniens und Italiens. Die
Parlamente standen unter dem Einfluss der Freimaurer. So war auch die
katholische Kultur schwach.
Aber
es zeigte sich eine Wiederbelebung des Katholizismus in den
gebildeten Schichten der katholischen Nationen. Diese waren zwar
zahlenmäßig eine Minderheit, aber sie waren bedeutend, denn sie
beeinflussten die Universitäten, die Philosophie und Literatur ihres
Landes. Vor einem Lebensalter hätte niemand gewagt zu prophezeien,
dass an der Universität von Paris Thomas von Aquin gelesen werden
würde. Aber so war es. Und das strahlte in ganz Westeuropa aus.
Papst Leo XIII. spielte bei dieser katholischen Erneuerung eine
Hauptrolle.
Dennoch
war die Rückkehr Europas zur katholischen Kirche nicht in Sicht. Der
Niedergang des Protestantismus ging von dessen eigenen inneren
Widersprüchen aus. Zwar erholten sich Polen und Irland, aber ein
katholisches Europa stand nicht zu erwarten.
Es
gab große Konvertiten. Und es gab auch Männer des Geistes, die dem
überlieferten Atheismus und Agnostizismus kritisch gegenüberstanden
und eine gewisse Sympathie für den Katholizismus hatten, ohne doch
zu konvertieren.
Aber
nicht diese katholische Erneuerung beeinflusste den Hauptstrom der
Geschichte. Der Protestantismus zerfiel aufgrund seiner eigenen
geistigen Widersprüche. Damit trat die Phase der Geschichte auf den
Plan, den man die Moderne nennen kann.
Der
Protestantismus war in einen antitoxischen Zustand der
Selbstvergiftung geraten, der ihn seiner Lebensenergie beraubte.
Es
war das Schwinden der Autorität der Bibel durch die kritische
Wissenschaft. Die katholische Kirche hatte das griechische Alte
Testament und den von der Kirche definierten Kanon des Neuen
Testaments für göttlich inspiriert erklärt. Der Protestantismus
lehnte die Autorität der Kirche ab und die Lehrhoheit des
kirchlichen Lehramts und gab die Bibel in die Hände der Laien zur
freien subjektiven Interpretation. Die Bibel war ein Buch der Kirche.
Aber der Protestantismus riss die Bibel aus dem Kontext der Kirche
und sprach: Bibel contra Kirche. Der Protestantismus betete die Bibel
an. Aber mit den historischen Wissenschaften, angewandt auf die
Bibel, schwand zum großen Teil die Autorität der Bibel.
Zwar
hielten einige Protestanten sehr buchstäblich an dem Text der Bibel
fest, doch die Mehrheit des Protestantismus von Skandinavien über
England bis nach Nordamerika wurde von der modernen Bibelwissenschaft
erschüttert. In dieser Wissenschaft leugnete man die Authentizität
der Evangelien, leugnete die Historizität des Alten Testaments,
leugnete man die Jungfrauengeburt und alle Wunder Jesu. Und da die
Bibel das einzige Fundament des Protestantismus war, fiel der
Protestantismus durch die Erschütterung der modernen Wissenschaft in
Trümmer. Auch moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die
Schöpfung standen im Widerspruch zur buchstäblichen Auslegung der
Bibel. Das führte entweder zum Zweifel an dem Schöpfergott oder zu
einer fundamentalistischen Verneinung der modernen
Naturwissenschaften.
Ein
anderer Grund für die Erschütterung der protestantischen Herrschaft
war ein sozio-ökonomischer. Der Geist des freien Wettbewerbs hatte
die Bauernschaft und die Dorfgemeinschaften zerstört und den
modernen Industriekapitalismus mit einem armen Proletariat
hervorgebracht. Es entstanden Bankenherrschaft und Wucher-Ökonomie.
Der Mensch wurde dem Profit geopfert. Die soziale Ungerechtigkeit des
Industriekapitalismus war und ist evident.
Dazu
kam auch der nationale Wettbewerb unter den verschiedenen
protestantischen Kulturen. Sowohl die britische als auch die deutsche
Nation hielten sich für eine überlegene Rasse, für das einzig
wahre Kulturvolk. Aber es kann nur eine Herrenrasse geben, nicht
zwei.
Die
Stimmung der Selbstanbetung führte zu Konflikten. Die
protestantischen Nationen konnten einig sein in der Ablehnung der
katholischen Kultur, aber sie konnten untereinander nicht die Einheit
bewahren.
Der
Protestantismus hatte begonnen als ein humanistischer Aufstand der
menschlichen Vernunft gegen die Autorität der Kirche. Aber mit
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war jedes Vertrauen in die
menschliche Vernunft verschwunden. Die Engländer sagten: Wir sind
nicht vernünftig, aber wir sind Gottes Land. Statt auf die Vernunft
setzte man nun auf Instinkte oder den Zufall.
Nichts
kann tödlicher sein, sowohl für das Individuum wie für die
Gesellschaft. Diese Abhängigkeit vom Zufall und von den niederen
Instinkten und diese Vernachlässigung von Vernunft und Verstand
führte dann auch zu politischen Exzessen, zu dem Streben nach
Weltmacht und all ihren giftigen Folgen.
All
diese Dinge in Kombination führten zu dem großen Zusammenbruch im
Ersten Weltkrieg.
Die
Bankenherrschaft, der Wucher, die Profitgier blieben bestehen. Die
Ausbeutung der Klasse des Proletariats durch die Klasse der
Kapitalisten blieb bestehen. Der nationale Egoismus blieb besten.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam eine Zeit von politischen Experimenten.
Da gab es die parlamentarische Demokratie sozialdemokratischer und
liberal-bürgerlicher Berufspolitiker, da gab es aber auch den
Despotismus der kommunistischen oder faschistischen Terrorregime. In
jedem Fall gab es einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit.
Die
alte weiße Welt, in Abgrenzung zur katholischen Kultur, beherrscht
von dem triumphalen Protestantismus, sie war nicht mehr.
Doch
aus dem Untergang des triumphalistischen Protestantismus entstand
keine Umkehr Europas zur katholischen Kultur. Die Wiederherstellung
des wahren Glaubens in Europa ist nicht in Sicht. Doch allein durch
den von Gott geoffenbarten katholischen Glauben kann die Zivilisation
gerettet werden.