DIE REFORMATION

von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


Die Bewegung der Reformation verdient ihren Platz in der Geschichte der großen Häresien.
Die Reformation war nicht eine bestimmte, sondern eine allgemeine Bewegung. Es wurden nicht einzelne häretische Lehrsätze aufgestellt, die von der Kirche Christi hätten verurteilt werden können. Es wurde nicht wie bei der Häresie des Islam oder der Sekte der Katharer eine neue Religion gegründet, die ganz geschieden ist von der Alten Kirche. Stattdessen schuf die Reformation eine allgemeine moralische Atmosphäre, die wir noch heute Protestantismus nennen. Die Reformation erzeugte eine Menge Häresien, aber nicht eine einzelne, klar umrissene Häresie. Charakteristisch ist, dass die Gesamtheit der Häresien die Atmosphäre schufen, die wir heute noch als Protestantismus kennen.
Obwohl die unmittelbaren Früchte der Reformation vergangen sind, wie viele andere Häresien der Vergangenheit, so blieb doch die Atmosphäre des Protestantismus bestehen, Eine Revolution gegen die geistliche Autorität, gegen die kirchliche Hierarchie. So wurde die Kraft des christlichen Europa gebrochen und ein Geist des Zweifels und der Rebellion gesät. Keine der alten Häresien hatte das erreicht. Sie hatten einzelne häretische Lehrsätze aufgestellt, die von der Kirche Christi verurteilt wurden. Aber die Reformation hat eine Atmosphäre des Zweifels, des Protestes, der Revolution geschaffen, der heute aktiver denn je ist.
Das ist die Hauptsache, wie wir die Reformation verstehen müssen. Der Geist des Protestantismus hat sich Stufe für Stufe weiter entwickelt.
Dieser Geist des Protestantismus ist stark in der modernen englischsprachigen Welt. Diese englischsprachigen Nationen sind mit der rühmlichen Ausnahme Irlands protestantisch. Aber außer in Großbritannien und Südafrika gibt es in diesen Nationen auch große katholische Minderheiten.
In der protestantischen Welt weiß man, was protestantischer Geist ist. Man kennt ihn wie den Geschmack seines Lieblingsessens. Aber die wenigsten Protestanten haben eine Idee des Katholizismus. Die gebildeten Katholiken wissen recht gut, was die Lehren der Reformation sind. Die katholische Kirche ist die uralte apostolische Kirche mit einer sehr klaren intellektuellen Philosophie. Dagegen ist der Protestantismus historisch jünger und zeichnet sich vor allem durch einen diffusen Geist des Zweifels an der Autorität der Kirche aus.
Auch wenn die Protestanten wenig über die katholische Kirche wissen, die katholische Kirche aber die Lehren der Reformation gut kennt, so definieren sich doch vor allem die Protestanten als Nicht-Katholiken.
Heutige Katholiken und Protestanten neigen dazu, Katholizismus und Protestantismus als zwei völlig unterschiedliche Religionen zu sehen, bis hin zur Prägung der Charaktere ihrer Anhänger.
Aber die Bewegung der Reformation im 16. Jahrhundert verstand sich als eine allgemein ökumenische Bewegung der Christenheit, die verschiedene Fragen des Glaubens für die ganze christliche Kirche diskutieren wollte. Man wollte einen allgemeinen Religionsfrieden durch das Erreichen eine Übereinstimmung in Fragen der christlichen Doktrin. Die Reformatoren verstanden sich ursprünglich nicht als Gründer einer neuen Religion, sondern beanspruchten für sich, die katholische Kirche durch eine Rückkehr zum Evangelium zu erneuern und zu reinigen.
Die Bewegung der Reformation selbst dauerte etwa ein Menschenleben lang, aber der Geist des Protestantismus lebt viel länger. 130 Jahre nach Luthers erster Herausforderung der kirchlichen Lehrautorität wurde im Westfälischen Frieden das christliche Europa gespalten in katholische und protestantische Gebiete. Damit war die Spaltung und Trennung besiegelt.
Das ist wichtig zu wissen, dass die wichtigsten Reformatoren nicht das katholische Christentum beseitigen wollten, sondern vom Evangelium aus erneuern. Noch weniger wollten sie eine neue Gegen-Religion stiften.
Die Reformatoren wollten die katholische Kirche reinigen, reformieren, vom Evangelium her erneuern. Und es gab im damaligen Katholizismus, das weiß der Himmel, genug Mißstände, Aberglauben, Entstellungen der Reinheit des Evangeliums. Es gab genug, was die Reformatoren zu recht angreifen konnten.
Zur Zeit des reformatorischen Bewegung, etwa von 1520 bis 1600 waren zwei unterschiedliche Kräfte in der europäischen Christenheit am Wirken, der Geist der Reform und der Geist des Konservatismus. Diese beiden Kräfte versuchten sich gegenseitig zu überzeugen, und jede dieser beiden Strömungen hoffte, schließlich universell gültig in der Einheit der Kirche zu werden.
Diese beiden Strömungen verhärteten sich zu zwei feindlichen Parteien, ja, feindlichen Armeen. Aus ihnen gingen geschiedene Kulturen hervor, die protestantische Kultur und die katholische Kultur, die streng voneinander geschieden waren. Die Einheit der westeuropäischen Christenheit zerbrach in zwei Fragmente. So gab es schließlich getrennte Staatskirchen und Stadtstaatskirchen, die Kirche von England, die Kirche von Schottland, die Kirche von Zürich, die Kirche von Hamburg und was nicht alles noch.
Die erste Phase der Reformation dauerte ein Menschenleben lang, danach folgte für ein weiteres Menschenleben die zweite Phase, die reichte bis zur Vertreibung der katholischen Könige von England.
In dieser Zeit wurde Europa klar gespalten in Protestanten und Katholiken, zwei Lager, die sich feindlich, antagonistisch gegenüberstanden, bis hin zum physischen Kampf. Es war die Zeit der Religionskriege in Frankreich, Irland und der großen deutschsprachigen Welt. Diese Kämpfe dauerten etwa bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Die katholische Kirche gab nun die Protestanten verloren, die Protestanten hatten nun eigene Gebiete, da der neue Glaube gesiegt hatte.
Die erste Phase begann also 1517 mit dem Thesenanschlag Luthers. Da entstand die europäische Bewegung der Reformation. Die Welt teilte sich in zwei kämpfende Parteien, Protestantismus und Katholizismus, mit jeweils verschiedener Philosophie. Es gab nun zwei Strömungen, die eine wollte den Untergang der alten katholischen Kirche und die andere die Rückbesinnung auf die alte Kirche. Beide Bewegungen wollten in der europäischen Zivilisation herrschend werden.
Die zweite Phase währte etwa das ganze 17. Jahrhundert und war vom Religionskrieg zwischen den Katholiken und den Protestanten geprägt.
England, vor allem zur Zeit Cromwells, war protestantisch geworden, ebenso Deutschland, Holland und Skandinavien. Die mediterranen Länder im Süden blieben katholisch.
Die Niederlande spalteten sich in das protestantische Holland im Norden und das katholische Belgien im Süden.
Die Schweiz und Deutschland teilten sich in protestantische und katholische Gebiete. Frankreich blieb katholisch, aber mit einer wohlhabenden protestantischen Minderheit. Italien, Spanien und Portugal blieben ganz der katholischen Kirche treu.
So war also die erste Phase der Reformation eine Phase der kämpferischen Diskussionen, die zweite Phase war eine Phase des physischen Religionskrieges und der endgültigen Spaltung in feindliche Lager.
In der folgenden Zeit entstand auch im Mutterschoß der katholischen Kultur ein antikatholischer Geist des Zweifels. In der protestantischen Kultur entstand die Überzeugung, dass es nun einmal verschiedene Religionen und Philosophien gab, dass man das im Geist der Toleranz tolerieren müsse.
Seite an Seite mit dieser religiösen Differenz ging der politische Kampf zwischen den Nationen katholischer und den Nationen protestantischer Kultur weiter. Im neunzehnten Jahrhundert war das Übergewicht der politischen Macht an die protestantischen Nationen England und Preußen gefallen. Und so nannte man die beiden Säulen des Protestantismus: London und Berlin.
So gab es also erst eine Phase des intellektuellen Kampfes, dann die Phase des Religionskrieges mit der endgültigen Spaltung, dann kam das Zeitalter der allgemeinen Skepsis, da die Fragen nach Katholizismus und Protestantismus nicht entscheidend waren, dann die Phase der politischen Machtkämpfe, wobei London und Berlin siegten. Die protestantische Bewegung war damals unter sich geeinter als der Katholizismus. Frankreich, die führende katholische Macht, war durch den Terror der Revolution und die Tyrannei Napoleons antiklerikal geworden.
Der Anfang der geistigen Revolution der Reformation, die ganze Generationen von Christen erschütterte und spaltete, ist mit dem Jahr 1517 anzusetzen, als Martin Luther rebellierte gegen die kirchliche Lehrautorität.
Aber es gab schon zweihundert Jahre vor Luthers Aufstand eine Schwächung des Papsttums, als nämlich die Päpste ihren Thron vom Ewigen Rom weg in die babylonische Gefangenschaft in Avignon verlegten.
Wichtig ist auch, dass nach der Pest in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts und der Verlegung des Apostolischen Stuhls nach Avignon das Papsttum entscheidend geschwächt war durch rivalisierende Päpste und Gegenpäpste.
Der Heilige Stuhl hatte eine lange Auseinandersetzung mit der weltlichen Macht der Kaiser zu bestehen. Dies betraf Deutschland, Norditalien, Ostfrankreich, die Niederlande und die Westslawen.
Kaiser Friedrich II. war einer der gefährlichsten Männer des Mittelalters. Er beherrschte die deutschen Staaten, die Niederlande, Ostfrankreich, das östliche und südliche Italien. Der Papst hatte nur noch Autorität über Mittelitalien. Kaiser Friedrich II. forderte die Kirche heraus. Letztlich ging die Kirche siegreich aus diesem Streit hervor, aber das Papsttum war erschöpft von den politischen Zänkereien.
Wie es oft der Fall ist, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Der sich über den Streit zwischen dem Papst und Kaiser Friedrich II. freute, war der König von Frankreich. Nun war im vierzehnten Jahrhundert das Papsttum französisch. Die Päpste residierten in Avignon. Die Papstburg in Avignon ist das bleibende Denkmal dieser Epoche.
Dieses Zwischenspiel ereignete sich gerade zu der Zeit, da in den europäischen Völkern das Nationalbewusstsein erwachte. Das Papstamt muss universal sein, aber in jener Zeit wurde es als national-französisch gesehen, was gewissermaßen eine Enttäuschung für die europäischen Nationen war.
Die Tendenz der westlichen Christenheit, in rivalisierende Parteien zu zersplittern, trat ein nach den Kreuzzügen, die noch das einheitlich-europäische Ideal des christlichen Rittertums hatten. Nun aber im Hundertjährigen Krieg war die Christenheit wieder in sich zerstritten.
Der Hundertjährige Krieg war ein Krieg zwischen der englischen Dynastie, die französisch sprach, der Dynastie der Plantagenet, und der französischen Königsfamilie, der kapetingischen Dynastie.
Der Streit zwischen der englischen und französischen Dynastie entzündete sich an der Frage um den legitimen Thronfolger. Die Details müssen hier nicht ausgeführt werden. Der große Soldatenkönig der Engländer war König Heinrich V.
Es ist bekannt, dass in jener Zeit die heilige Jungfrau Jeanne d'Arc für den Thron Frankreichs kämpfte. Die Dynastie der Plantagenet brach zusammen. Aber in jenen kriegerischen Zeiten war auf Seiten der Engländer wie auf Seiten der Franzosen das Nationalbewusstsein enorm gewachsen. Das führte zur Schwächung des Prinzips der katholischen Universalität.
Was noch schrecklicher war als der Hundertjährige Krieg, das war der Schwarze Tod, die Pest, die etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung hinraffte.
Nach der Pest schaute besonders England nach einem einigenden Band, das die Nation zusammenhielt. Die Obrigkeit sprach schon nicht mehr französisch. Die verschiedenen Dialekte des einfachen Volkes wurden zu einer einheitlichen Schriftsprache zusammen geschmolzen. Es war die Zeit des Dichter-Genies Chaucer.
Die Pest hatte nicht nur physisch Europa zerrüttet, sondern auch geistig-moralisch, da der erlebte Horror des Schwarzen Todes viel Verzweiflung in den Seelen erzeugt hatte.
Eine weitere Folge der Pest war das abendländische große Schisma. Jeweils England und Frankreich präsentierten rivalisierende Anwärter auf den Apostelstuhl. Die Idee einer zentralen geistigen Autorität wurde dadurch untergraben.
Ein weiterer Faktor war die Entstehung von Literatur in den Volkssprachen. Es wurde weniger lateinisch gedichtet, stattdessen südfranzösisch, englisch, italienisch, in Hochdeutsch oder Niederdeutsch. Wenn man Anfang des 14. Jahrhunderts gesagt hätte: Lasst uns nicht lateinisch beten, sondern in unserer Volkssprache – wäre man für einen Narren gehalten worden. Aber Mitte des 15. Jahrhunderts wollte man Abstand nehmen vom rückständigen Mittelalter und bevorzugte Literatur und Gebete in den Volkssprachen.
Des weiteren begann man, den Papst nicht mehr als geistliche Zentralgewalt der universellen Kirche zu sehen, sondern als eine Art südlichen oder italienischen Fürsten. Dazu kamen soziale Unruhen, die sich gegen das Privateigentum und die Ämter richteten.
Auch gab es Streit zwischen den Klerikern und den Laien. Der weltliche Besitz des Klerus war sehr groß. Es ging den Klerikern zu sehr um weltlichen Besitz und politische Macht. Auch der Papst war sehr interessiert am weltlichen Besitz. Der Klerus war zerfressen von Korruption und politischer Machtgier.
Die Idee der Nation und des Volkes wurde stärker betont. So rebellierten die Böhmen gegen die Deutschen. Die nationale Bewegung der Böhmen waren die Hussiten. Der Reformer Jan Hus bestand darauf, dass die Laien bei der Eucharistiefeier aus dem heiligen Kelch das Blut Christi trinken müssten. Die katholische Kirche sagte, der Empfang der Hostie sei der vollgültige Empfang Christi. Die Bewegung der Hussiten schwächte die Autorität des zentralen geistlichen Autorität.
Zu diesen nationalen und sozialen Unruhen und der Verweltlichung des Klerus kam im fünfzehnten Jahrhundert die Wiederentdeckung der griechischen Literatur hinzu. Nach der aristotelischen Scholastik begann sich wieder ein christlicher Neuplatonismus zu bilden. Die Naturwissenschaft machte große Fortschritte. Europäer haben Afrika erforscht, den Weg um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien gefunden und schließlich Amerika entdeckt.
So entstand in dieser Zeit der Ruf nach einer allgemeinen Reform der Kirche. Lasst uns die Kirche reformieren! Der Klerus einschließlich des Papstes soll entweltlicht werden, gereinigt von politischer Macht, Besitzgier, Reichtum, Korruption und Sittenlosigkeit! Kehren wir zurück zum einfachen und reinen Ideal des Evangeliums!
Diese sozialen, nationalen und religiösen Unruhe hätten leicht in einen europäischen Krieg umschlagen können.
Der Vorfall, der den Ausschlag zum großen Aufstand gab, war das Werk eines einzigen Mannes, nämlich Martin Luthers. Er protestierte gegen den in der Tat abscheulich Missbrauch des Ablasses, der den Massen vorgaukelte, man könne Gnade für Geld kaufen. Allerdings verwarf Luther nicht nur den Missbrauch des Ablasses, sondern verneinte die Vollmacht der Kirche Christi, den Gläubigen einen Ablass zu spenden. Das katholische Wesen des geistlichen Ablasses darf man nicht verwechseln mit dem schrecklichen Missbrauch des Ablasshandels zu Luthers Zeiten.
Der Tag von Luthers Thesenanschlag an der Stadtkirche von Wittenberg am Tag vor Allerheiligen 1517 ist in der Tat der Beginn der Reformation. Bis dahin hatten sich die konservativen Kräfte der Kirche, wenn sie auch moralisch verdorben waren, noch recht sicher gefühlt. Nun aber wurden die Strömungen, die nach einer allgemeinen Reform von Kirche und Gesellschaft riefen, zu einer unaufhaltsamen Flut.
Die nun entstehende Reformation verstand sich in der ersten Phase, die ein Menschenleben lang währte, als eine Reformbewegung innerhalb der katholischen Religion, als eine Reform der katholischen Kirche durch die Rückkehr zum Evangelium. Erst die zweite Phase ließ das entstehen, was wir heute Protestantismus nennen, eine neue Religion, die sich von der katholischen Religion in wesentlichen Glaubensüberzeugungen unterschied.
Die erste Phase der Reformation verstand sich also nich als katholisch. Männer des extrem linken Flügels, wie Calvin, dachten immer noch an die Eine Christenheit. James I., der bei seiner Thronbesteigung in England den Papst als ein Monster darstellte, bestand doch darauf, dass er katholisch sei.
Das müssen wir verstehe, dass die Reformation ursprünglich ein katholischer Familienstreit war. Sie wurde zu einer Art geistlichem Bürgerkrieg. Dazu kamen revolutionäre Bestrebungen der Armen. Und erst im weiteren Verlauf entstand das, was wir heute kennen, die Spaltung des Christentums in eine katholische Kirche und eine antikatholischen kirchliche Bewegung. Das führte zum Verlust der geistlichen Einheit Europas.
Nun darf man die Sicht der Reformatoren nicht mit unserer heutigen Sicht verwechseln. Wir wissen heute, was sich aus den Reformbestrebungen der reformatorischen Bewegung ergab, nämlich die Spaltung der Christenheit, die Entstehung einer neuen antikatholischen Religion namens Protestantismus. Das konnten die Reformatoren damals nicht sehen. Ihnen ging es um die Reform der katholischen Kirche, die ja selbst von sich behauptet, dass sie immer reformiert werden muss.
Die Notwendigkeit einer Reform der katholischen Kirche war evident. Der mystische Leib Christi war entstellt durch Sittenlosigkeit, Korruption und Verweltlichung. Das wagte kaum einer der Zeitgenossen zu leugnen. Die Sünden besonders der katholischen Kleriker lagen offen zutage.
Jeder, der zwischen 1450 und 1500 geboren wurde, wusste in aller Klarheit, dass die Kirche reformiert werden musste. Männer von großer Integrität und großem Wissen waren bestrebt, die Kirche zu reinigen und zu erneuern.
In solchen revolutionären Zeiten bilden sich zwei Gruppen: Die Bewahrer der Tradition, die oft aus Gewohnheit und Bequemlichkeit oder gar aus materiellen Interessen am Herkömmlichen festhalten wollen, und andererseits die Gruppe der Revolutionäre. Diese Revolutionäre stellen nun allerlei Konzepte zur Reform von Kirche und Gesellschaft vor, die einen fordern gemäßigte Reformen, die andern radikale Revolutionen, das führt bis zur Propaganda der allgemeinen Anarchie, des Bürgerkrieges oder gar des Terrors.
In den Turbulenzen der Anfangszeit der Reformation meldeten sich viele Wissende und Gelehrte zu Wort. Allerdings erhoben auch viele Unwissende lauthals die Stimme. In diesen gemischten Chor von Weisen und Narren mischte sich noch die schreiende Stimme der Wahnsinnigen.
Die Notwendigkeit der Reform der katzholischen Kirche war evident. Die Sünden, die den mystischen Leib Christi von innen angriffen, lagen offen zutage.
Das gab es etwa die Masse von unhistorischen und nachweislich falschen Legenden. Zu diesen zählt zum Beispiel die nachweislich falsche sogenannte Konstantinische Schenkung, die dem Papst weltlichen Besitz und weltliche Macht zusprach. Des weiteren gab es die Überwucherung der apostolischen Tradition durch allerhand ungeistliche Altweiberfabeln und pseudokatholische Mythen. Dazu kamen die Betrügereien im Handel mit offensichtlich gefälschten Reliquien. Besonders die Rückkehr zum griechischen Original des Neuen Testaments machte offenbar, wie weit sich die Katholiken in gewissen Bereichen vom Wort Gottes entfernt hatten.
Dazu kam eine Verknöcherung der Kleriker, die sich oft entfernten von der reinen katholischen Wahrheit und stattdessen mehr an ihrem Wohlleben interessiert waren und private Lieblingsideen lehrten, die oft im Widerspruch zum Wort Gottes und der klaren Offenbarung der katholischen Weisheit standen. Diese Lehren der Kleriker mussten korrigiert oder ganz verneint werden.
Das Hauptübel aber war die Verweltlichung der Beamten des Kirchenapparats. Diese Angestellten der Kirche zogen die zeitlichen Güter den ewigen Gütern vor. Sie waren in die Welt, die politische Macht, den Besitz, das Geld und die perversen Lüsten so sehr verliebt, dass die Kirche weniger als Jungfrau Jerusalem, mehr als Hure Babylon erschien, wie schon Dante sagte.
Ein besonderer Skandal war der moralisch verdorbene Papst Alexander VI. mit seiner machtgierigen Familie.
Jeder redliche Mensch guten Willens musste gegen diese Übel protestieren. So entstanden die Turbulenzen, die, vermischt mit Gewalt, den mystischen Leib Christi zu zerreißen drohten.
Es wäre gut gewesen, wenn bei all den Turbulenzen und konstruktiven und destruktiven Leidenschaften die Einheit der Kirche nicht zerstört worden wäre, wenn nach einer Zeit des Familienstreits, nach einer Reinigung der Kleriker, nach einer Entweltlichung der Kirche und einer Rückbesinnung auf das Original des Neuen Testaments, doch die Eine Kirche weiter existiert hätte. Denn diese Eine Universelle Kirche ist doch der wahre Patriotismus der Christen.
Es gab keinen einheitlichen Plan für die Reformation nach dem lutherischen Aufschrei in den deutschen Staaten und der Forderung nach einer Reformation vonseiten der gelehrten Männer des Humanismus im Allgemeinen. Selbst diejenigen, die instinktiv Feinde des katholischen Glaubens waren, hatten keine einheitliche Strategie.
Luther war nicht der geistliche Führer der Reformation. Und auch Zwingli war es nicht, der in seinem persönlichen Glauben die zentralen Lehren des katholischen Glaubens verneinte und begann, die religiösen Stiftungen zu plündern. Die Reformation blieb intellektuell führerlos, bis ein Mann von Genie sein Buch herausgab. Und das war Jean Calvin, dessen Buch das schärfste Instrument der Reformation war, voller machtvoller Argumentation und beredsamer Predigten. Jean Calvin war ein Franzose, Sohn eines Kirchenbeamten und Rechtsanwalts. Nach der Exkommunikation seines Vaters durch den zuständigen Bischof und die Beschlagnahme seines Einkommens, das Jean Calvin genossen hatte, begann' Calvin seine gewaltige Arbeit für die Reformation.
Es wäre ungerecht zu behaupten, dass das Unglück seines Vaters und private Geldstreitigkeiten mit dem Bischof die Ursache für Calvins Werk gewesen seien. Er stand schon vorher auf der Seite der revolutionären Kräfte. Er arbeitete aber nun als eine Hauptfigur an der Zerstörung der alten Religion. Was auch immer sein persönliches Motiv gewesen, er wurde sicherlich zum Gründer der neuen Religion. Es war das Werk von Jean Calvin, eine Gegen-Kirche zu gründen.
Er erwies sich als derjenige, der der reformatorischen Logik zum Triumph verhalf. Er handelte nicht instinktiv, sondern intellektuell. Er war nicht aus blinden Leidenschaften antiklerikal, sondern er verkündete mit großer intellektuelle Sachlichkeit eine neue Lehre, einen neuen Glauben. Er war ein wahrhaft großer Häresiarch! Man ist geneigt, ihn mit Mohammed zu vergleichen, der 900 Jahre vorher sich vom Judentum und Christentum loslöste und eine neue Lehre, einen neuen Glauben verkündete. Die Lehre Calvins war eine kirchliche Gemeinschaft ohne geweihtes Priestertum und ohne Sakramente. Alles, was heute in den vielen verschiedenen evangelischen Gemeinschaften als Grundglaube gemeinsam ist, geht auf Calvins neue Lehre zurück.
Die neue Lehre der Reformatoren bestand im Kern darin, das Böse in die Gottheit hineinzuprojizieren. So entstand die Vorstellung von einem sowohl liebenden als auch schrecklichen Gott, eine Art neuer Moloch. Diese Lehre wurde von Hegel weiterentwickelt und führte über Marx und Lenin zur satanischen Tyrannei des Kommunismus. Auch die calvinistische Auffassung, dass ein Zeichen für die Gnadenwahl des Menschen der materielle Wohlstand war, die Verachtung von Demut und Armut, führte über die protestantische Ethik zum Geist des Kapitalismus. Die Lehre Calvins führte zur modernen Theologie, Wunder abzulehnen. Calvin und Luther waren sich einig darin, dass es des Menschen freien Willen nicht gäbe.
Dieser Calvin hatte begonnen, die alte apostolische Kirche anzugreifen und die neue Gegen-Kirche zu gründen. Er machte es wie Mohammed, der auch zu seiner Zeit die überlieferte christliche Religion durch eine neue Religion ersetzt hatte und fast den ganzen christlichen Orient in einen islamischen Orient verwandelt hatte. Calvin machte es, wie es alle Revolutionäre taten, er gründete kleine Zellen, zuerst in Frankreich, dann in ganz Europa. Diese kleinen calvinistischen Zellen setzten sich für das Evangelium, für den Glauben ein, wie sie sagten, sie verbreiteten die neue Lehre Calvins in Europa, zerrissen die Einheit der christlichen Kirche, die Einheit des katholischen Europa.
Diese reformatorische Häresie ist auch heute, 500 Jahre später, noch zu keinem Abschluss gekommen. Das ursprüngliche Anliegen der Reformatoren ist wenig bekannt, aber der Geist des Protestantismus hat dauerhafte Früchte geteilt und spaltet die heutige Christenheit in eine katholische Kirche und tausende antikatholische protestantische kirchliche Gemeinschaften.
Nachdem der Krieg zwischen den katholischen und protestantischen Christen getobt hatte, war Europa gespalten. Norddeutschland und Holland und Skandinavien und England wurden antikatholisch fixiert, Bayern und Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal blieben der katholischen Kirche treu.
Es ist schwierig, die Verwirrung und den allgemeinen Kampf zu verstehen, der Europa im Dreißigjährigen Krieg erschütterte, denn viele verschiedene Faktoren führten zum Ausbruch des Krieges.
Die Reformation brach 1517 aus. In Frankreich begann 1559 der französische Religionskrieg und dauerte vierzig Jahre. Zwanzig Jahre danach begann der Religionskrieg in Deutschland und dauerte dreißig Jahre. Erst um 1650 endeten die Religionskriege in Europa in einer Sackgasse.
Mit 1518 begannen vor allem England und Frankreich, sich der Persönlichkeit ihrer Nationen bewusst zu werden. Man begann mit Königs-Gottesdiensten und sah in dem König nicht nur den Führer des Staates, sondern auch das Oberhaupt der nationalen Religion. Liturgie, Gebete und Bibel wurden landessprachlich formuliert, und das allgemeine Latein Europas geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Es entwickelte sich der moderne Staat mit moderner Wirtschaftsstruktur. Dazu kamen geographische Entdeckungen und Weiterentwicklung in den mathematischen Wissenschaften.
Beim Zusammentreffen so vieler Faktoren ist es schwierig, die Geschichte der Religionskriege zu schreiben. Wir können aber die größte Linie begreifen, wenn wir bestimmte Schwerpunkte setzen.
Zum einen war zwar der Protestantismus ursprünglich eine rein negative Bewegung, die die Korruption des katholischen Klerus bekämpfte, aber der Protestantismus wurde zu einer positiven Religion mit dem Auftreten Calvins. 1536 erschien sein Buch. Wenn auch der lutherische Protestantismus große Flächen abdeckte, so war es doch der Geist Calvins, der viele Dissidenten und antikatholische Sekten schuf, die aktiv gegen die katholische Religion kämpften.
Calvin war ein Franzose. Er richtete sich an die Franzosen. Darum brach die Gewalt auch zuerst auf französischer Erde aus. Die französischen Religionskriege waren grausamer als die Religionskriege in anderen Ländern. Nach einem halben Leben des Schreckens kam es zu keinem Sieg, sondern bloß zu einem Waffenstillstand. Es war die katholische Hartnäckigkeit der Hauptstadt Paris, die den Sieg der Calvinisten verhindert hatte.
Die Deutschen hatten den religiösen Krieg noch abwehren können, als er in Frankreich schon wütete. Aber in einigen deutschen Ländern führten die Wirren der Reformation zur sozialen Revolution der Bauern.
Deutschland war in viele Stadtstaaten und Herzogtümer zersplittert. Über alle diese herrschte der Habsburger Kaiser in Wien. Aber der Kaiser hatte nicht genug Geld und Macht zu verschenken. Der Kaiser wurde herausgefordert durch eine böhmische Revolte, die die Einheit Deutschlands herstellen mit der einheitlichen deutschen Religion des katholischen Glaubens. Die Habsburger Kaiser von Wien und Spanien widersetzten sich dieser böhmischen Revolte.
Zwei Faktoren verhinderten den Triumph des Katholizismus in Deutschland. Das war zum einen das militärische Genie des protestantischen Königs von Schweden, Gustav Adolpf, und zum anderen das diplomatische Genie des Kardinals Richelieu, der die Fäden zog in der Regierung Frankreichs.
Frankreich hatte jenseits der Pyrenäen die spanische katholische Monarchie sitzen und hätte auf der anderen Seite ein vereintes katholisches Deutschland mit einem mächtigen Kaiser gehabt. Der französische Kardinal Richelieu stand zwar auf der Seite der katholischen Sache, aber mehr noch auf der Seite der französischen Sache. So verbündete er sich mit König Gustav Adolf von Schweden, um die katholische Einheit Deutschlands und einen mächtigen katholischen Kaiser von Deutschland zu verhindern, gerade als die Sache des deutschen Katholizismus kurz vorm Sieg stand.
Richelieu entdeckte das Genie Gustav Adolfs. Er bot ihm drei Wannen voll Gold an. Gustav Adolf nahm fünf Wannen voll Gold.
Gustav Adolf konnte sich die Zukunft noch nicht vorstellen, als er die goldenen Wannen der Franzosen annahm. Es war schwierig, die Position des Kaisers anzugreifen. Wie Alexander der Große, Cromwell und Napoleon war Gustav Adolf ein militärisches Genie. Er staunte, wie leicht er auf den Kampagnen seine Siege erreichte.
Die Siege Gustav Adolfs dauerten aber nur ein Jahr. 1632 fiel er in der Nähe von Leipzig im Krieg. Aber in dieser kurzen Zeit hatte er das protestantische Deutsche Reich geschaffen. Er tat, was zweieinhalb Jahrhunderte später Bismarck tat. Nun waren die Deutschen gespalten, und es war nicht mehr möglich, dass die Deutschen einheitlich zum Glauben der Väter bekannten.
Der deutsche Protestantismus stand so fest, dass er bis heute seine Macht erhöhte, bis heute von Berlin aus eine überwiegend neuheidnische Bevölkerung regiert wird.
Die Religionskriege in Deutschland waren allmählich im Sand verlaufen. Jede Partei hielt fest an ihren Gewinnen. Und so ist die religionspolitische Karte von Europa vom siebzehnten Jahrhundert bis heute ziemlich gleich geblieben.
Man liest die Geschichte als Militärgeschichte, vom französischen Glaubenskrieg über die deutschen Religionskriege, man spricht von Staatsmännern, Kriegern und Schlachten. Es scheint weniger um eine Glaubenslehre oder eine Moral zu gehen. Wenn man tiefer sieht, erkennt man, dass das treibende Motiv die nackte Gier war.
Im alten katholischen Europa, vor Luthers Revolution, hatte es einen riesigen geistlichen Besitz gegeben, Bistümer und Pfarreien waren versorgt. Es gab Volksschulen und Universitäten. Es gab Handwerkergilden. Es gab Krankenhäuser. Es gab Wallfahrtsorte. All das stand unter der Schirmherrschaft der katholischen Kirche und war eine begehrte Beute.
Der erste Akt der Reformatoren, wo immer sie erfolgreich waren, war es, die Schätze der katholischen Kirche zu plündern und zu rauben. Die die Wiederherstellung des katholischen Glaubens versuchten, wollten, dass sich der Reichtum der Kirche wieder erhole.
Deshalb waren die Kämpfe in England nicht so heftig. England war nicht so sehr betroffen von den neuen Lehren der Reformatoren, aber die Klöster waren aufgelöst und das Eigentum der Kirche an die Herren der Dörfer und die Kaufleute in den Städten übergegangen. Das gleiche gilt von den Schweizer Kantonen. Die französischen Dorfherren, in England Squires genannt, und die großen Adligen teilten sich die Beute.
Die französische Krone fürchtete die Stärkung der Aristokratie und der Kaufleute durch die gewaltige Beute. So kam es zum Französischen Glaubenskrieg. In England aber war der Thron in den Händen eines Kind-Königs und zweier Frauen. Daraus ergab sich die Abwesenheit eines Religionskrieges in England.
Das war der universalen Raubzug gegen die katholische Kirche, der auf das Zeitalter der religiösen Revolution folgte. Gier bestimmte den Charakter des Konflikts.
Aber nicht allein die Habgier der protestantischen Räuberbanden ist zu tadeln, sondern auch die oft ungerechte Art und Weise, wie die Äbte der Klöster ihren Besitz an materiellen Gütern zusammengerafft hatten.
Ohne die Missbräuche unter den katholischen Klerikern hätte der protestantische Raubzug wahrscheinlich nicht stattgefunden. So wurde, wo die Reformation siegte, der geistliche Besitz zum Besitz der Laien. Im Rest des katholischen Europa, wie Italien und Spanien, besaß die Kirche nur noch die Hälfte ihres vorherigen Besitzes. Die neuen protestantischen Bischöfe und Geistlichen, die protestantischen Schulen und Krankenhäuser besaßen ein Zehntel der alten Reichtümer.
Die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts war die Zeit des religiösen Streites zwischen Armeen gewesen. Nun war die katholische Einheit Europas verloren. Im Rest des katholischen Europa war die Macht der Kirche geschrumpft. Im protestantischen Teil Europas hatten die Laien die Macht übernommen. Europa war gespalten in zwei Kulturen, die sich misstrauisch, ja, feindlich gegenüberstanden und so ist es bis heute geblieben. Es sind zwei verschiedene Religionen, verschiedene Glauben, verschiedene Kulturen. Da nun der einheitliche Glaube Europa nicht mehr beseelte, da der Streit um die Lehre so verheerend gewesen waren, wandte sich die Masse der Menschen von Fragen der Ewigkeit, von Fragen der gesunden Lehre ab und suchten stattdessen zeitliche Lüste und Gewinne. Man befasste sich mehr mit nationalen Problemen und sorgte sich um die Vermehrung des Reichtums. Die Säkularisierung Europas nahm ihren Anfang.
Nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatte die Welt den Sieg der Puritaner-Armee in England gesehen, den Sieg der deutschen Protestanten durch den Beistand des intriganten Kardinals Richelieu, der Triumph die niederländischen Neugläubigen über das katholische Spanien. Europa fiel vom religiösen Kampf erschöpft zurück. Die Kriege um die wahre Religion waren zuende. Keine Partei hatte vollständig gesiegt. England versuchte, das katholische Irland zu ermorden, Frankreich versuchte, die Hugenotten zu ermorden. Ab 1700 war es klar, dass die Zeit des Religionskrieges beendet war.
Nun war die Einheit in Europa gespalten in zwei Kulturen. Es entwickelte sich selbständig die protestantische Kultur Seite an Seite mit der katholischen Kultur. Menschen können zwar die große glorreiche Vergangenheit nicht vergessen, den Universal-Katholizismus Europas, aber nun entwickelten sich Nationalreligionen. Die alte moralische Einheit war dahin.
Die griechisch-orthodoxe Kirche des Ostens war bedeutungslos geworden. Russland dominierte die orthodoxen Christen. Im Osten triumphierte der Islam. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts reichte Europa von Polen bis zum Atlantik.
Die italienische Halbinsel war katholisch bis auf eine kleine Population in den nördlichen Bergen, die evangelische Gottesdienste feierten.
Iberien, also Spanien und Portugal, war der katholischen Kirche treu geblieben. In den deutschsprachigen Gebieten hatte der Kaiser von Wien versucht, das Reich für den Katholizismus zurückzugewinnen, war aber gescheitert, nicht zuletzt durch die Bestrebungen des Kardinals Richelieu.
Die deutschsprachigen Länder waren gespalten in protestantische und katholische Staaten und Städte.
Der Zahl nach waren die Protestanten in Deutschland schwächer als die Katholiken. Grob gesagt, war der Protestantismus in Norddeutschland und der Katholizismus in Süddeutschland vorherrschend. Es gab aber auch im Norden Katholiken und im Süden protestantische Regionen. Dass der Norden überwiegend protestantisch geworden war, lag weniger an einer Hinneigung des nordischen Temperaments zum Protestantismus, als mehr in seiner räumlichen Entfernung vom kaiserlichen Wien.
Skandinavien, das heißt Dänemark und Schweden und Norwegen, fiel ganz in protestantische Hände. Polen, obwohl es nie Teil des Römischen Reiches gewesen war, blieb der katholischen Kirche treu. Polen ist eins der stärksten katholischen Gebiete der Welt. Die Polen, wie auch die Iren, wurden wegen ihres rechten Glaubens heftig verfolgt.
Die Niederlande wurden überwiegend protestantisch, vor allem der Norden, also Holland. Der Protest der Holländer war vor allem ein Protest gegen die katholische Majestät von Spanien. Aber es gibt auch heute noch eine bedeutende Minderheit von Katholiken in Holland.
Die südlichen Niederlande blieben katholisch. Während im Norden der Niederlande die reichen Großgrundbesitzer und Kaufleute zum Calvinismus übergelaufen waren aus Protest gegen die spanische Krone, blieb die Oberschicht des Südens dem Katholizismus treu. Doies ist heute das katholische Belgien.
Die Schweizer Kantone, die nach und nach eine Nation wurden, waren geteilt. So ist bis heute die Schweiz geteilt in protestantische und katholische Kulturen.
Frankreich war nach dem Ende der Religionskriege und des Krieges von Kardinal Richelieu gegen die Hugenotten katholisch geblieben, sowohl die Krone als auch das Volk. Es gab aber auch eine protestantische Minderheit, die zwar zahlenmäßig klein war, aber durch ihren Reichtum doch einflussreich. So war La Rochelle, der Hafen am Atlantik, und Montpellier und Nimes im Süden noch stark protestantisch beeinflusst. Ein Großteil der Banken und des Handels war in protestantischen Händen.
England und Schottland waren seit 1650 unter einer gemeinsamen Monarchie protestantisch geworden. Aber nicht unbedeutende Teile des englischen Volkes liebten noch die alte Religion. Wohlhabende Katholiken versuchten, sich Privatkapellen zu halten. Für die einfachen Katholiken wurde es immer schwieriger, die Messe zu besuchen und die heilige Kommunion zu empfangen. Der Hass der britischen Protestanten auf die ausländischen Katholiken war groß.
Irland blieb katholisch. Etwa ein Zwanzigstel war protestantisch. Aber neunzehn Zwanzigstel des Landes waren in den Händen von britischen protestantischen Abenteurern. Irland war der Versuch, ob es dem Protestantismus noch gelänge, die katholische Kirche auszurotten und einen vollständigen Sieg in Europa zu erreichen. Die über Irland herrschenden Abenteurer waren nicht nur Protestanten, sondern von einem besonderen Hass auf die katholische Kirche erfüllt, die sie ganz zerstören wollten.
So sah die Karte Europas aus nach dem Ende der Religionskriege. Europa war in zwei Parteien gespalten. Aber es gab nicht nur geographische Folgen, sondern auch moralische. Moralisch hatten die Religionskriege die Religion zweifelhaft gemacht. Nun entstand der Zustand, in dem die Menschen die Religion als eine Nebensache betrachteten.
Politische Erwägungen, Ehrgeiz getrennter Nationen und sperater Dynastien wurden wichtiger als die Fragen der Religion. Da der Religionskrieg unentschieden ausgegangen waren, dachten viele Menschen, dass die religiösen Differenzen wahrscheinlich übertrieben worden waren. Die Folge der Religionskriege war, dass die Religion insgesamt geschwächt worden war. Immer mehr Menschen begannen zu denken, dass die religiöse Wahrheit unzugänglich und unerkennbar sei, dass dagegen der Mensch sehr wohl erkennen könne, was weltlicher Wohlstand und Armut bedeuten und was politische Macht oder Schwäche bedeuten. Religiöse Lehren gehören nach dieser Meinung zu einer unsichtbaren Sphäre, die sich der Erkenntnis von Gut und Böse entzieht.
Das ist die wichtigste Frucht des unentschiedenen Religionskrieges. Am Ende verharrten beide Parteien auf ihren Positionen. Noch gab es genügend religiöse Inbrunst auf beiden Seiten, aber subtiler, nicht mehr öffentlich proklamierter Art. Die Religion wurde den weltlichen Dingen untergeordnet, vor allem der Geldgier und dem Patriotismus.
Der Protestantismus arbeitete mehr im Untergrund. Er würde aber bald ans Licht kommen. Noch war der Protestantismus zahlenmäßig kleiner als der Katholizismus, auch ärmer, aber der Protestantismus hatte mehr Vitalität.
Die Revolution mit ihrer Begierde hatte ja den Protestantismus hervorgebracht, der Kampf gegen die Tradition und die herkömmlichen Bindungen, die den Rahmen der katholischen Gesellschaft für tausend Jahre gegeben hatten. Die soziale Frage wurde im Protestantismus schärfer ins Auge gefasst. Die Auflösung der traditionellen Gesellschaft hatte Energien freigesetzt, vor allem die Energie des Wettbewerbs. Alle Formen der Innovation wurden im Protestantismus mehr gefördert als im Katholizismus. Beide Parteien waren stark in den Fortschritten der Naturwissenschaften, der Besiedlung fremder Länder, der europäischen Expansion in der ganzen Welt, aber in all dem waren die Protestanten stärker als die Katholiken.
In der protestantischen Kultur wurden die traditionellen Rechte der freien Bauern nicht mehr geschützt. Die Reichen kauften die Ländereien. Große Menschenmassen wurden mittellos. Der Kapitalismus entstand und damit das moderne Proletariat.
Der protestantische Kapitalismus war allen Neuerungen gegenüber offener als die traditionelle Bauernschaft der katholischen Kultur. Der Geist des Wettbewerbs siegte. Die protestantische Kultur war freier als die katholische, da kein Amt die Gesellschaft zusammenhielt. So entstand eine freie Philosophie und ein neues Denken, das am Anfang anregend und belebend war.
Aber die Hauptsache war nach dem Zerbruch der katholischen Einheit Europas das Aufkommen der Bankgeschäfte. Wucher wurde überall betrieben, aber in der katholischen Kultur wurde er streng begrenzt, dagegen entfaltete er sich frei in der protestantischen Kultur. Die protestantischen Kaufleute von Holland waren die Begründer der heutigen Bankenherrschaft, Die Engländer folgten ihnen. Die noch relativ kleinen protestantischen Nationen häuften so eine ungeheure wirtschaftliche Macht an. Mobiles Kapital und Kredite nahmen zu. Der Kaufmannsgeist blühte unter den Holländern und Engländern. Die universelle Zulassung des wirtschaftlichen Wettbewerbs begünstigte die protestantische Partei Europas.
So war das Leben nach dem Westfälischen Frieden. Im achtzehnten Jahrhundert gab es wirtschaftlichen Fortschritt. Noch hatte der Katholizismus die alten Throne mit ihrer traditionellen Glorie, die Kaiserkrone, den Kirchenstaat, die spanische Monarchie mit ihrer überseeischen Herrschaft und die herrliche französische Monarchie. Aber auf der Seite des Protestantismus stand der Geist des Kapitalismus.
Darüber hinaus war das Vertrauen in die Zukunft stark bei den Protestanten. Die Katholiken waren entmutigt. Der Niedergang des religiösen Gefühls Mitte des achtzehnten Jahrhunderts schadete mehr der katholischen als der protestantischen Kultur. In den katholischen Gesellschaften gab es Spaltungen unter den Menschen. Der Skeptiker war der Feind seines frommen Landmannes.
Frankreich, Italien, Spanien waren unter sich uneins. In der protestantischen Kultur waren Meinungsverschiedenheiten und Skeptizismus allgemeine Tugenden. Die Menschen nahmen dies als gewöhnlich hin. Diese Kraft des Protestantismus nahm immer mehr zu. Zur Hilfe kam die falsche Philosophie des Skeptizismus. Es wurde offenbar, dass nach dem Zerfall der Einheit Europas der protestantischen Kultur auf lange Zeit die Vorherrschaft gehören würde.
Zeichen des politischen Wachstums des Protestantismus waren weitere Steigerungen der finanzielle und militärischen Macht. Der englische Kommerz breitete sich schnell aus. Die Holländer steigerten ihre Bankgeschäfte. Schließlich fiel der Seemacht England das große Indien in die Hände.
Auf der militärischen Seite begründete das protestantische Deutschland die Armee von Preußen. Ihre große Disziplin führte sie von Sieg zu Sieg. Die englische Flotte war die stärkste Flotte der Welt und schütze den englischen Handel und Einfluss im Orient. Die Preußen gewannen Kriege und Kampagnen. Ihr Soldatenkaiser Friedrich II. war sicher einer der großen Heerführer der Geschichte.
Auch die Katholiken gingen ins Feld. Da war Österreich mit seinem katholischen Kaiser, da war das große spanische Weltreich mit dem größeren Teil des besiedelten Amerika.
Die zunehmende Macht des Protestantismus und die abnehmende Macht der katholischen Kirche hatte aber auch ein spirituellen Grund. Die Abnahme des Glaubens schwächte die katholische Kirche, nicht aber den Protestantismus. Der ganze Ton des protestantischen Geistes war absolute Gesinnungsfreiheit in Fragen der Religion. Jeder Mensch entschied individuell für sich, was ihm wahr erschien. Es gab keine Lehrautorität. So arbeitete dieser protestantische Geist für das Chaos. Die Autorität der katholischen Regierungen wurden untergraben. Entweder führte die katholische Autorität zu einer Lähmung des Denkens, wie in Spanien, oder sie spaltete die Gesellschaft in Fromme und Skeptiker, wie in Frankreich.
England als Seemacht hatte seinen Würgegriff auf Indien gelegt. Preußen hatte sich als starke Militärmacht etabliert. Aber niemand sah voraus, dass England und Preußen die Führer des Christentums werden sollten. Indien wurde ausgebeutet und mehrte Englands Reichtum und Macht. England wollte den ganzen Orient beherrschen. Preußen absorbierte Deutschland und wollte herrschen in Europa. England übernahm auch die französische Kolonie Kanada. Allerdings dachte damals noch keiner daran, dass die Ausbeutung der Kolonien zur enormen Stärkung der eigenen Wirtschaftspotenz führen würde.
Später, als England seine Kolonien in Nordamerika aufgeben musste und Nordamerika unabhängig wurde, wurde das zu Unrecht als ein Schlag gegen die englische Macht gesehen. Nur sehr wenige haben vorhergesehen, was die neue Republik von Nordamerika für die Zukunft bedeuten würde. Ihre große und schnelle Expansion in Bevölkerungszahlen und Reichtum machte sie zu einem einflussreichen Faktor des Protestantismus in der ganzen Welt. Erst später kamen katholische Einwanderer hinzu, aber auch blieben die Vereinigten Staaten von Amerika eine im wesentlichen protestantische Gesellschaft.
Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts haben die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege die katholische Partei geschwächt, die protestantische Partei gestärkt.
Die Französische Revolution war antiklerikal. Napoleon aber begrente den Terror der Revolution. Er versuchte, Europa unter seinem Stern zu einen. Wenn er auch kein Katholik war, so wäre doch ein von Napoleon geeintes Europa ein katholisches Europa gewesen, denn Napoleon schätzte die staatsbildende Kraft der katholischen Revolution. Allerdings blieb sein Eroberungszug im Schnee von Moskau stecken. Wenige sehen, dass damit die Vision eines geeinten katholischen Europa in weite Ferrne versank.
Nach der Niederlage Napoleons war England unangefochten die erste militärische Seemacht. Spanien war gering und unbedeutend geworden. England betrieb intensiven Handel mit Südamerika. Preußen ward auf dem Festland die vorherrschende militärische Macht. Die katholischen deutschen Gebiete am Rhein wurden dem protestantischen Preußen hinzugegeben. Das war eine Niederlage für den katholischen Habsburg-Kaiser von Österreich. Italien formierte sich als bedeutende Nation. Die italienischen Patrioten sympathisierten mirt dem protestantischen Geist und rebellierten gegen den katholische König in Neapel und gegen den päpstlichen Kirchenstaat. Frankreich verfiel einer langen Reihe von politischen Experimenten und war im Inneren geistig gespalten.
Das protestantische Preußen wurde immer mächtiger. Preußen zerstörte die militärische Macht des katholischen Österreich und schuf das Deutsche Reich, indem die Katholiken eine Minderheit waren, von dem das katholische Österreich abgetrennt war. Berlin war die Hauptstadt des Deutschen Reiches. Preußen besiegte auch die französische Armee, nahm Paris ein und eignete sich französische Gebiete an.
Folge des Deutsch-Französischen Krieges war die Errichtung der französischen parlamentarischen Republik mit schlechten Gesetzen und noch schlechteren Sitten. Die antikatholische Fraktion trieb Frankreich in den Ruin. Eine großer antikatholischer Strom überflutete Frankreich.
England wurde einflussreicher im Osten, löste Frankreich in der Herrschaft über Ägypten ab, nahm sich des Suezkanals an und eroberte Zypern. Italien war zwar geeint, aber schwach und verachtet. Spanien und Portugal waren ohne Hoffnung auf Genesung. Frankreich war zerrissen und wurde von der schlimmsten Sorte Berufspolitiker regiert. Die Sonne von Österreich schien nicht mehr. Preußen hatte Karriere gemacht. Nordamerika hatte sich von seinem Bürgerkrieg erholt und war leistungsstärker als je zuvor. Die katholische Kultur schien vernichtet. Es schien, dass der Protestantismus zum Führer der weißen Rasse aufgestiegen war.
Die Sache war nicht nur politisch, sondern hatte auch wirtschaftliche Gründe. Die neuen Maschinen, die schnellere Kommunikation des Denkens und der Menschen und der Waren, waren ein Produkt der protestantischen Kultur. Die katholischen Nationen versuchten, dies zu kopieren.
So war es auch mit den staatlichen Institutionen. Die englische Institution des Parlaments, unter den Aristokraten erfunden, wurde überall nachgeahmt. Diese Herrschaft der Aristokratie war ungeeignet für Menschen, die den Gedanken der Gleichheit aller Bürger hegten. Aber das Ansehen Englands war groß. Die Völker kopierten die englischen Institutionen.
Der Prüfstein für den Wert der katholischen Kultur war Irland. Es schien endgültig ruiniert zu sein. Die irische Bevölkerung war enteignet und litt Hunger. Der Wohlstand des katholischen Irland sank so schnell, wie der des protestantischen England stieg. Niemand konnte sich vorstellen, dass Irland nach seinen schrecklichen Erfahrungen im neunzehnten Jahrhundert, wieder von den Toten auferstehen könnte.
Der Papst war seines Besitzes beraubt und war Gefangener des Vatikan. Die italienische Regierung schien sein Herr zu sein, die sich mehr und mehr gegen die Religion stellte.
Das Bildungssystem in Europa wurde mehr und mehr geschieden von der Religion, und selbst in den großen katholischen Ländern fiel das Bildungssystem in antikatholische Hände. Es ist schwer zu sagen, wann die Geschichte eine Wende nahm. Das Weströmische Reich, die spanische Weltmonarchie, die türkische Herrschaft im Osten, alles begann unterzugehen, bevor der Untergang wahrgenommen wurde. So ging es auch den absolutistischen Monarchien Europas.
Mitte des 17. Jahrhundert sprachen die Menschen noch von der quasi Weltmonarchie der spanischen Krone, und doch hatte sie schon in Holland ihren Todesstoß erhalten und verblutete langsam.
So war es auch mit der protestantischen Vorherrschaft über das Abendland, mit der antikatholischen, evangelischen Führung der weißen Zivilisation. Aber wann trat der Wandel ein?
Manche nennen das Jahr 1900, die Zeit des Burenkrieges. Ende des 19. Jahrhunderts begann der Wandel.
Die protestantischen Mächte waren größer als je zuvor, aber die Reaktion rührte sich, und ihr Vordringen war die Aufgabe der nächsten Generation. Zwischen 1885 und 1904 wandte sich das Blatt. Es zielte zwar nicht auf die Wiederherstellung der katholischen Kultur in Europa oder auf die katholische Kirche als universale Einheitskirche, aber die neuen Ideen brachen die bisher allmächtige protestantische Kultur auf.
Der moderne Rückgang der protestantischen Vorherrschaft durch eine völlig neue Bedrohung und die katholische Reaktion auf diese neue Bedrohung ist nun mein Thema. Ob man nun sagt, dass der Zerfall der protestantischen Herrschaft schon 1890 einsetzte oder ob man das Datum 1904 ansetzt, so gibt es doch keinen Zweifel daran, dass Anfang des 20. Jahrhunderts die protestantische Herrschaft untergraben wurde.
Der protestantische Geist mit seinen verschiedenen Häresien begann an Einfluss zu verlieren. Der Protestantismus wurde mit seiner geistigen Wurzel ausgerissen, und so fielen auch die politischen Früchte dieses Baumes.
Zwei Gründe kann man für diesen Niedergang der protestantischen Herrschaft anführen. Da war zum einen das Erstarken des Neuheidentums und zum andern die erneuerte Vitalität der katholischen Kirche.
Zwar gab es keine Rückkehr zur alten katholischen Kultur. Irland war arm und stand unter protestantischer Fremdherrschaft. Polen konnte nicht mehr auf die Auferstehung hoffen. In Frankreich stritten sich die Gläubigen und die Ungläubigen. Der Sieg schien auf der Seite der Ungläubigen. Religion wurde aus den Volksschulen vertrieben. Große Massen von Bauern verloren ihren Glauben. Dem Niedergang der Religion folgte auf dem Fuß der Niedergang in der Architektur, den Künsten, der Literatur. Das herkömmlich klare Denken der Franzosen wurde verwirrt. Es gab keine Wiederbelebung Spaniens und Italiens. Die Parlamente standen unter dem Einfluss der Freimaurer. So war auch die katholische Kultur schwach.
Aber es zeigte sich eine Wiederbelebung des Katholizismus in den gebildeten Schichten der katholischen Nationen. Diese waren zwar zahlenmäßig eine Minderheit, aber sie waren bedeutend, denn sie beeinflussten die Universitäten, die Philosophie und Literatur ihres Landes. Vor einem Lebensalter hätte niemand gewagt zu prophezeien, dass an der Universität von Paris Thomas von Aquin gelesen werden würde. Aber so war es. Und das strahlte in ganz Westeuropa aus. Papst Leo XIII. spielte bei dieser katholischen Erneuerung eine Hauptrolle.
Dennoch war die Rückkehr Europas zur katholischen Kirche nicht in Sicht. Der Niedergang des Protestantismus ging von dessen eigenen inneren Widersprüchen aus. Zwar erholten sich Polen und Irland, aber ein katholisches Europa stand nicht zu erwarten.
Es gab große Konvertiten. Und es gab auch Männer des Geistes, die dem überlieferten Atheismus und Agnostizismus kritisch gegenüberstanden und eine gewisse Sympathie für den Katholizismus hatten, ohne doch zu konvertieren.
Aber nicht diese katholische Erneuerung beeinflusste den Hauptstrom der Geschichte. Der Protestantismus zerfiel aufgrund seiner eigenen geistigen Widersprüche. Damit trat die Phase der Geschichte auf den Plan, den man die Moderne nennen kann.
Der Protestantismus war in einen antitoxischen Zustand der Selbstvergiftung geraten, der ihn seiner Lebensenergie beraubte.
Es war das Schwinden der Autorität der Bibel durch die kritische Wissenschaft. Die katholische Kirche hatte das griechische Alte Testament und den von der Kirche definierten Kanon des Neuen Testaments für göttlich inspiriert erklärt. Der Protestantismus lehnte die Autorität der Kirche ab und die Lehrhoheit des kirchlichen Lehramts und gab die Bibel in die Hände der Laien zur freien subjektiven Interpretation. Die Bibel war ein Buch der Kirche. Aber der Protestantismus riss die Bibel aus dem Kontext der Kirche und sprach: Bibel contra Kirche. Der Protestantismus betete die Bibel an. Aber mit den historischen Wissenschaften, angewandt auf die Bibel, schwand zum großen Teil die Autorität der Bibel.
Zwar hielten einige Protestanten sehr buchstäblich an dem Text der Bibel fest, doch die Mehrheit des Protestantismus von Skandinavien über England bis nach Nordamerika wurde von der modernen Bibelwissenschaft erschüttert. In dieser Wissenschaft leugnete man die Authentizität der Evangelien, leugnete die Historizität des Alten Testaments, leugnete man die Jungfrauengeburt und alle Wunder Jesu. Und da die Bibel das einzige Fundament des Protestantismus war, fiel der Protestantismus durch die Erschütterung der modernen Wissenschaft in Trümmer. Auch moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Schöpfung standen im Widerspruch zur buchstäblichen Auslegung der Bibel. Das führte entweder zum Zweifel an dem Schöpfergott oder zu einer fundamentalistischen Verneinung der modernen Naturwissenschaften.
Ein anderer Grund für die Erschütterung der protestantischen Herrschaft war ein sozio-ökonomischer. Der Geist des freien Wettbewerbs hatte die Bauernschaft und die Dorfgemeinschaften zerstört und den modernen Industriekapitalismus mit einem armen Proletariat hervorgebracht. Es entstanden Bankenherrschaft und Wucher-Ökonomie. Der Mensch wurde dem Profit geopfert. Die soziale Ungerechtigkeit des Industriekapitalismus war und ist evident.
Dazu kam auch der nationale Wettbewerb unter den verschiedenen protestantischen Kulturen. Sowohl die britische als auch die deutsche Nation hielten sich für eine überlegene Rasse, für das einzig wahre Kulturvolk. Aber es kann nur eine Herrenrasse geben, nicht zwei.
Die Stimmung der Selbstanbetung führte zu Konflikten. Die protestantischen Nationen konnten einig sein in der Ablehnung der katholischen Kultur, aber sie konnten untereinander nicht die Einheit bewahren.
Der Protestantismus hatte begonnen als ein humanistischer Aufstand der menschlichen Vernunft gegen die Autorität der Kirche. Aber mit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war jedes Vertrauen in die menschliche Vernunft verschwunden. Die Engländer sagten: Wir sind nicht vernünftig, aber wir sind Gottes Land. Statt auf die Vernunft setzte man nun auf Instinkte oder den Zufall.
Nichts kann tödlicher sein, sowohl für das Individuum wie für die Gesellschaft. Diese Abhängigkeit vom Zufall und von den niederen Instinkten und diese Vernachlässigung von Vernunft und Verstand führte dann auch zu politischen Exzessen, zu dem Streben nach Weltmacht und all ihren giftigen Folgen.
All diese Dinge in Kombination führten zu dem großen Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg.
Die Bankenherrschaft, der Wucher, die Profitgier blieben bestehen. Die Ausbeutung der Klasse des Proletariats durch die Klasse der Kapitalisten blieb bestehen. Der nationale Egoismus blieb besten. Nach dem Ersten Weltkrieg kam eine Zeit von politischen Experimenten. Da gab es die parlamentarische Demokratie sozialdemokratischer und liberal-bürgerlicher Berufspolitiker, da gab es aber auch den Despotismus der kommunistischen oder faschistischen Terrorregime. In jedem Fall gab es einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit.
Die alte weiße Welt, in Abgrenzung zur katholischen Kultur, beherrscht von dem triumphalen Protestantismus, sie war nicht mehr.
Doch aus dem Untergang des triumphalistischen Protestantismus entstand keine Umkehr Europas zur katholischen Kultur. Die Wiederherstellung des wahren Glaubens in Europa ist nicht in Sicht. Doch allein durch den von Gott geoffenbarten katholischen Glauben kann die Zivilisation gerettet werden.