DSCHEMIL UND BOTEINAH

Von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


1

Ich bin alt geworden, Boteinah,
Wir sind getrennt,
Du die Jugend,
Ich das Alter.
Es ist Zeit, zu tun,
Was Winde und Sonne tun.
Erst werden wir poliert,
Dann werden wir getötet.
Erst ist das Herz voll Leidenschaft
Und dann der Geist voll Weisheit.


2

Dschemil, du bist alt und weise geworden!
Liebst du deine junge Törin Boteinah wirklich?


3

Du bist alt geworden, Geliebter,
In den Augen der anderen Frauen.
Aber für mich bist du ein weißer Hirsch,
Der schmachtet nach der Quelle des Lebens,
Die sich im ewigen Frühling ergießt!


4

Bist das du, Geliebte,
Oder ist das nur dein Bild?


5

Ich bin's, Geliebter, mit Fleisch und Blut,
Mit meinem Namen. Ich bin zeitlos,
Ich bin das Morgen zu deinem Gestern.


6

Liebt sie dich wirklich, Dschemil?
Oder liebt sie nur die Perlen deiner Poesie?
Hat sie geschaut in deine dunkle Nacht
Wie die Mondgöttin aus dem Orient
Oder hatte sie ein Herz von Stein?


7

Es ist Liebe, Geliebter!
Ich wählte lieber den Tod
Und den Eingang ins Absolute,
Als einen andern Mann zu nehmen!
Die Liebe hat keinen Anfang,
Die Liebe hat kein Ende.
Dschemil und Boteinah
Und Boteinah und Dschemil.
Das ist die Liebe, Geliebter.
Ich wünschte, ich wäre
Dreißig Jahre älter,
Dass ich dir an Weisheit gliche!


8

In den Lüften will ich das Licht sein,
Um deinen Schatten zu bilden.
In den Nächten will ich ein Maulwurf sein,
In deinem Nabel zu wühlen.


9

Hast du sie verführt, o Dschemil,
Wie deine Biographen sagen,
Oder hat Boteinah dich verführt?


10

Ich verlobe mich mit ihr.
Es schütten alle Himmel
Milch auf unser Brot.
Immer, wenn ich zu ihr komme,
Blüht mein Leib wie eine Blume.
Jeder Morgen schüttet
Tropfen für Tropfen
Wein in ihren Becher.


11

Hat Gott dich für sie erschaffen, Dschemil,
Und bleibst du ihr ewig treu?


12

Mir wurde befohlen und anvertraut
Die Liebe zu Boteinah.
Ich sorge mich nicht
Um meine ausgegossene Gegenwart,
Verschüttet wie Wassertropfen
Auf ihre Trauben-Haut.
Ich sorge mich nicht
Um die Unsterblichkeit der Seele.
Die Unsterblichkeit folgt der Liebe
Wie der Schoßhund folgt meiner Herrin.
Ich weiß nur, dass ich geschaffen bin,
Boteinah zu lieben.


13

Erkläre mir Liebe, Dschemil,
Und wie du dich erinnerst
In der Zeit des Wandels
An die Idee der absoluten Schönheit.


14

Männer, die lieben,
Sind wahnsinnig idiotisch,
Sie müssen brennen,
Ohne zu verbrennen,
Und nicht, sich selbst zu erleuchten,
Sondern um Boteinah zu erleuchten.


15

Höher als die Nacht flog Dschemil
Und zerbrach seine Krücken.
Und er lehnte sich an mein Ohr
Und flüsterte mir ins Ohr:
Wenn ich dich sehe, Boteinah,
Können alle anderen Frauen sterben!
Mach du deinen Freund
Zu deinem Geliebten!
Da drüben glitzert Boteinahs Name
Wie der Reim auf Nonne.


16

Die Araber erzählen von Dschemil,
Dass er verliebt war
In seine Nichte Boteinah.
Alles sollte zu ihrem Glück verhelfen.

Sie sorgen sich nicht ängstlich
Um die Zustimmung ihrer Mütter,
Wie es sonst der Brauch war
Bei einer frommen Verlobung.
Es ward als unsittlich angesehen
Die Verlobung von Onkel und Nichte.
Aber Dschemil war ein Dichter
Und sang seine Lieder dem Wind.

Damit verletzte der Dichter
Den Codex der Beduinen:
Man sei immer diskret
Und zeige nie offen seine Gefühle.
Ansonsten fällt das Mädchen
Mit ihrer ganzen Sippe
In Ungnade.

Deshalb kam die Sippe zusammen
Und verweigerte sich der Verlobung
Des Onkels mit der Nichte.
Stattdessen gab die Mutter das Mädchen
Einem jungen törichten Bauern.
Das ist das Drama der Liebe.

Dchemil versank im Wahnsinn
Und lebte mit den Schakalen in der Wüste.
Denn die arabischen Dichter
Sterben vor Liebeskummer
Und können ohne die Geliebte nicht leben!


17

Die aufgeblühte Rose auf Boteinahs Wangen
War purpurrot und liebkoste Dschemils Augen.
Sie weinte die ganze Nacht und sprach von ihren Nöten,
Er sah sie unten in der Umarmung eines Glanzes.

Und die Perlen ihrer Lippen sagten: Küss mich,
Küss mich und heile mein Herz!
Ich bin müde, mein Körper wird schwer.
Komm, schlaf mit mir und ruhe an meinen Brüsten!


18

Seltsam, Boteinah, wie die Müdigkeit über dich kommt,
Wenn meine Augen nachts nicht schlafen können.
Es scheint, dass meine Augen nicht wissen,
Was Schlaf ist, denn meine Seele ist zu traurig.
Ich will dein Bild betrachten, Boteinah,
Dann wandert meine Seele zu den Peris.
Dein Bild kommt aber immer wieder zurück zu mir
Und wirft mir ohne Ende mein Alter vor.


19

Die Zukunft eines Landes oder einer Rasse
Liegt nicht in den Händen eines einzigen Mannes,
Und sei es der Kaiser oder der Richter.
Nicht aufzuhalten ist der Lauf der Menschheit.
Es geht zu immer höheren Höhen!
Ich sehe die Menschheit aufsteigen Schritt um Schritt,
Von Osten nach Westen strömt die Menschheit,
Vor solchem Licht verblassen die Sterne am Himmel.
Die stolzen Adler und die süßen Nachtigallen
Verkünden eine ewige Freudenbotschaft!
Ich bin nur der Mann mit dem Schreibwerkzeug.


20

Es ist Wahrheit, keine Lüge, dass ein Emir mit seiner schwarzen Sklavin den Sohn Dschemil zeugte.

Dschemil verliebte sich in Boteinah, seine junge Nichte, die Tochter seiner Schwester. Eines Tages wurde sein Stamm von einem feindlichen Stamm angegriffen. Nur Dschemils außerordentliche Tapferkeit bewahrte seinen Stamm vor der Sklaverei.. Zur Feier seiner Tapferkeit wurde Dschemil der Name gegeben: Beschützer des Stammes und Wagenlenker des Sonnenwagens!

Aber das war nicht der Lohn, den Dschemil erwartet hatte. Er war bereit, aus Liebe zu Boteinah zu sterben. Enttäuscht von seinem Stamm, bekannte er offen seine Liebe zu Boteinah und seine Begierde, sie zur Frau zu nehmen.

Der Stamm hatte es nicht eilig, Boteinah und Dschemil zu vereinigen. Wenn Dschemil auch ein Heros war, so trug er doch nur alte Kleider und alte Schuhe. Auch behauptete der Stamm, Boteinah habe die Ehe mit einem jungen, aber reichen Mann in Aussicht.

Dschemil erklärte, er würde keine andere Frau heiraten, wenn er Boteinah nicht haben könne, aber er würde den Stamm, der ihm seine Geliebte verweigere, im Blut ersäufen. Der tapfere Heros wurde traurig, aber eines Tages explodierte sein Zorn.

Warum weigert sich Boteinahs Mutter, mich Sohn zu nennen? Warum gibt sie mir nicht Boteinahs Hand, da ich Boteinah mehr liebe als mein Leben? Dies fragte er seine Mutter, die schwarze Sklavin.

Die schwarze Sklavin sagte zu ihrem Sohn: Dschemil, nie wird man Boteinah einem armen alten Mann geben, der nichts anderes kann, als Gedichte schreiben! Da verzehrte Bitterkeit Dschemil, er ging zu seiner Schwester und bat um Boteinahs Hand, aber seine Schwester wurde einfach nur wütend.

Da sagte die Schwester: Auch dem wahnsinnigen Medschnun ward seine Layla nicht gegeben. Sprich nicht mehr von Boteinah, Dschemil.

Dschemil ging in die Wüste. Das war der einzige Ort, wo er willkommen war. Er wanderte den ganzen Tag allein umher und verzehrte sich vor Sehnsucht nach Boteinah. Dann aber kehrte er zu seiner Mutter zurück.

Boteinah führte ein Gespräch mit ihrer Mutter:

Mama, lass mich nicht in diesen schrecklichen Qualen! Ich liebe Dschemil! Aber die Mutter sagte: Ich will nichts mehr hören von Dschemil! Aber Boteinah sagte: Aber ich liebe einzig Dschemil! Er ist so weise und barmherzig!

Boteinahs Mutter war verrückt vor Eifersucht.

Dschemil aber zog in den Krieg, besiegte die Feinde, und kehrte als Sieger zu seinem Stamm zurück. Wieder hielt er um Boteinahs Hand an. Wieder wurde sie ihm verweigert. Zornig ging er in die Wüste. Sein Herz war hart wie Stein geworden, und er weinte Tränen, hart wie Diamanten.

Dschemil saß auf der Höhe einer Düne in der Wüste. Unten kämpfte sein Stamm gegen die Feinde. Männer starben, Frauen wurden vergewaltigt, Kinder aufgeschlitzt. Aber Dschemil saß unbeweglich auf seiner Höhe.

Warum rettest du uns nicht, rief sein Stamm. Er sagte: Da ich es nicht wert bin, dass mir euer Blut gegeben wird, so ist mir euer Blut gleichgültig.

Siehst du nicht, wie man die junge Frau von dir entfernt, die allein du liebst?

Warum soll ich sie retten, wenn sie doch einem jüngeren und reicheren Mann gegeben wird?

Wenn du uns rettest, welchen Lohn willst du dafür haben?

Die Hand Boteinahs!

Gesegnet bist du, Dschemil! Du hast dir Boteinah redlich verdient! - Mit diesen Worten sprang Dschemil auf, stürzte sich in den Krieg und erschlug die Feinde.

Der Krieger, der Boteinah entführen wollte, gab seinem Pferd die Sporen. Aber Boteinah fiel vom Pferd. Dschemil eilte herbei. Der Feind jagte davon. Dschemil reichte Boteinah die Hand. Sie war am Oberarm tätowiert, es war das Zeichen der Nachtigall. Und so ward ihr Liebesbund besiegelt.

Die Ehe ward vollzogen. Und in der Hochzeitsnacht zeugte Dschemil einen Sohn, den er ebenfalls Dschemil nannte. Und der kleine Dschemil begann schon früh, phantasievolle Bücher zu schreiben. Der junge Dschemil war auch ein Meister des Schwertkampfs. Die Siege des jungen Dschemil erregten noch mehr Eifersucht als die Siege seines Vaters Dschemil in dessen Jugend.


21

Dschemil zog in andere Länder, er war gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Bis zu seinem Tod blieb er im Exil. Boteinah blieb zurück. Aber sie schrieben sich täglich zärtliche Briefe. Ddschemil starb in der Fremde an Liebeskummer, so sehr verzehrte er sich nach seiner Nichte. Dass er fern von ihr leben musste, hat ihn ermordet.

Ob nun Dschemil und Boteinah verheiratet waren oder nicht, ob sie sich in körperlicher Liebe vereinigten oder nicht, die Liebe von Dschemil und Boteinah war, wie der Meister sagt, platonische Liebe.



22

Dschemil war der Hirte seiner Herde.
Boteinah weidete ihre Tiere.
Aber es fehlte das erquickende Wasser
In den Grenzen des Irak.
Und so tranken Boteinahs Kamele
Aus dem Bach, der dem Dschemil gehörte.


23

Liebe stirbt, wenn sie sich nicht erfüllen kann.
Ich sah die Knospen wiederkommen
Und Dschemil kämpfen im Krieg,
Ach was für ein grausamer Krieg!
Aber Bouteinah blieb heiter
'Und war bereit zum Martyrium,
Für ihre Liebe zu sterben!


24

Dschemil drückte seine Liebe zu Boteinah so aus, dass er in den Krieg zog, in den Dschihad der Liebe, er sah es als seine religiöse Pflicht an, die Geliebte zu erobern, das Herz der Geliebten zu gewinnen, und wenn er dafür als Märtyrer sterben müsste! Er verglich seinen Liebesschmerz mit dem Tod in der Schlacht!


25

Dschemil, ein alter Mann, glaubte nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Aber eines Tages sah er seine junge Nichte zum ersten Mal.

Ein Blick, und ihr schüchternes Lächeln hat ihn verwandelt. Er fragte sich, ob es noch ein Traum sei oder ob er schon erwacht sei.

Die Zeit verging und offenbarte ihm, dass Boteinah Wirklichkeit war.


26

Dies ist die Stunde, wir müssen weinen.
Was geschah mit unserer Liebe?
In der Zeit plagt uns das fehlende Glück.

Ich kann es nicht leugnen,
Dass ich dich liebe, Dschemil,
Obwohl du ein alter Mann bist.
Meine Mutter aber will,
Dass ich dich meide.

Gesegneter Augenblick,
Da sich meine Hoffnung erfüllt!
Ich sehe das Ziel der Liebe schon vor mir!

Die Frauen können mich beneiden!
Bin ich schon tot?
Ich will mein Leiden bis zum Ende tapfer ertragen!

Dschemil, du erinnerst dich jede Nacht
An die Jungfrau mit den geflochtenen Zöpfen.

Die Sonne über den Wolken
Ist eifersüchtig auf Boteinahs Haar!


27

Der Vogel des Morgens fliegt
Und trägt mein Heil auf den Flügeln.
Darf ich hoffen,
Wenn ich dich anrufe?
Vogel, bring ihr meine Verse!
Gott führe dich, geflügelter Bote!
Siehst du hier unten das Land,
Wo ich einsam in der Wüste stehe,
An Boteinah denkend,
Wahnsinnig, irre, idiotisch?
Ich träume von einem Tag,
Da nichts uns scheidet.
Der Tod ist meine einzige Hoffnung!


28

Oh, er richtet seine Augen auf mich!
Er spricht mit mir,
Er wartet auf meine Antwort.
Stummer Austausch.
Ich gebe mit meinen Blicken Antwort.
Eine frohe Verkündigung:
Wir werden uns wiedersehen!
Dann noch eine frohe Verkündigung:
Wir werden uns im Tode wiedersehen!
Ich verzweifelte, ich starb, ich ward zu Nichts,
Ich ward neu geboren
Im Reich der jungen Hoffnung!
Wie oft bin ich gestorben!
Wie oft bin ich auferstanden!
Würden alle Menschen und Genien auch
Mich hindern wollen, zu dir zu kommen,
Siehe, hier bin ich!

29

Ich verliebte mich in sie,
Und nun leide ich an der Liebe.
Durch sie ists mir geschehen,
Dass ich einsam durch die Wüste wandre.

Was bin ich doch ein Liebhaber
Ungetröstet!
Meine Leidenschaft lebt noch in mir,
Doch meine Kraft hat mich verlassen!

Boteinah will ich lieben,
Bis mein Herzschlag aufhört!
O meine Dichter-Zunge
Ist von meiner Impotenz betroffen!

Sie beklagt sich über die Gleichgültigkeit
Und die Feindschaft der Menschen.
Und über mich muss sie weinen
Und spricht von mir mit Bedauern!

Aber sie wird geliebt!
Tausend Schlangenbisse
Befallen meine Glieder
Und verbrennen mein Fleisch!

Heiß ist meine Liebe zu Boteinah!
Meine Schreie dringen zu Gott!
Der Ruf meiner bräutlichen Liebe
Macht ihre Mutter zu einer Waise.

Sie wird grob behandelt
Von der ganzen Sippschaft.
Die Mutter gehe mit Gott,
Aber sie gehe!

Das unergründliche Schicksal
Hat uns geschieden.
Boteinah, von allem Bösen
Will ich dich erlösen!

30

Dschemil liebte das Mädchen Boteinah. Aber die Sippe Boteinahs wollte nichts von Dschemil wissen. Dschemil hatte in Gedichten von der Liebe des Mädchens zu ihm, dem Alten, gesprochen. Von der Liebe einer Frau zu einem Mann zu sprechen, verstieß gegen den Ehren-Codex der Araber. Darum wurde Boteinah mit einem reichen Jüngling verheiratet, der aber ein Dummkopf war. Dschemil und Boteinah liebten sich weiterhin, rein platonisch, auf die Ferne, nur durch Briefe und Verse kommunizierend, ohne den körperlichen Liebesakt zu vollziehen. Dschemil klagte seinem jungen Mädchen seine verzehrende Sehnsucht in Versen:

Meine intime Busenfreundin!
In deinem ganzen jungen Leben,
Hast du jemals von einem Mann gehört,
Der ermordet wurde von seiner Geliebten
Und um seine Mörderin trauerte, so wie ich?

Dschemil wurde der erste Dichter in der Liebespoesie der Araber, der die Liebe ein Martyrium nannte und den wahren Märtyrer den Mann, der aus Liebe zu seiner Geliebten sterbe.

Du sagst, Dschemil, dass du in den Dschihad ziehst?
Aber was ist der Dschihad neben einer schönen Frau?
Denn das Plaudern mit hübschen Mädchen ist eine Wonne.
Und wer von seiner Geliebten ermordet ist,
Der allein ist ein wahrer Marterzeuge der Liebe!

Berühmt ist der wahnsinnige Medschnun, der Dichter, der seine Geliebte Layla mit den langen schwarzen Harren anbetete. Layla selbst war eine poetische Träumerin, und von ihr stammen diese Verse:

Ich bin die, durch die Medschnun wahnsinnig wurde!
Er las mir seine Gedichte vor,
Ich las ihm meine Gedichte vor,
Und da ist er geschmolzen im Feuer der Liebe!

Ein Gottesgelehrter sagte einmal zu Dschemil: Wenn du die Heilige Schrift studieren würdest, wäre das sinnvoller, als Liebesgedichte zu schreiben. Aber Dschemil gab zur Antwort: Die Propheten sagen: Die göttliche Weisheit spricht durch den Mund der Poesie!

Dschemil und Boteinah gehörten zu dem Volk der Araber, die feurige Liebhaber sind. Solch einen Liebhaber fragte einmal ein Kaufmann: Was ist mit deinem Herzen los? Du fliegst wie ein Vogel am Himmel und löst dich auf wie Salz im Wasser! Warum fehlt dir die Festigkeit und Tatkraft des Weltmannes? Der Liebende sagte: Ich sehe mit den Augen der Seele, was du nicht siehst! Ein anderer Araber wurde von einem Fremden gefragt, zu welchem Volk er gehöre. Der Araber sagte: Ich gehöre zu dem Volk der Liebenden, die sterben, wenn sie lieben! Ein junges Mädchen, die ihn hörte, sagte: Beim Schoße Abrahams! Dieser Märtyrer der Liebe ist ein wahrer Araber!

Und Dschemil sang:

Meine Freunde, sagt mir, wenn der Frühling kommt
Im Irak, wo mein geliebtes Volk lebt!
Wie rasche ist der Frühling wieder vorüber!
Aber meine Geliebte ist fern von mir!
Botheinah, du fesselst mich an die Qual!
Die Turteltaube hat Mitleid mit mir
Und begleitet mit ihrem Gurren meinen Kummer,
Mein Leid der glühenden Leidenschaft!
Der Neid der Dummköpfe feuert nur meine Liebe an
Und die Verbote der Mutter machen mich treu.
Die 'Trennung hat meine Gefühle nicht erstickt,
In einsamen Nächten lieg ich und will nicht verzichten!
Boteinahs Lippen sind mir die Quelle des Lebens!
Begreifen denn ihre Lippen mein Dürsten nicht?
Wie ich verdurste, wenn ich ihr Antlitz nicht sehe!
Oft fürchte ich, der Tod überfällt mich unvorbereitet,
Während meine Seele ohne Liebe nicht leben kann!

Dschemils Freund und Bruder im Glauben, Azza, sagte zu Dschemil: Liebster, möchtest du, dass ich zu Botheinahs Familie gehe und ihr ein Gedicht von dir vorlese? Dschemil sagte freudig Ja. Azza kam zu Boteinah und ihrer Mutter. Die Mutter sagte: Was willst du uns heute sagen? Azza sagte: Ich möchte euch heute ein Liebesgedicht eines verkannten Genies vorlesen. Tu das, sagte die Mutter, wir sind neugierig. Und so las Azza folgendes Gedicht von Dschemil Boteinah vor:

Ich sende meinen Freund und Bruder zu dir,
Er ist klug wie ein Engel Gottes.
Sag mir den Ort, wo wir uns treffen können,
Und sag mir, was ich tun soll.
Das letzte Mal, da ich dich traf,
War es im Wadi, wo du dein Kleid gewaschen.

Boteinah hob ihren Schleier und sagte: Geh, Azza! Die Mutter fragte: Was ist mit dir, Boteinah? Das Mädchen sprach: Es ist ein Hund zu mir gekommen in der Nacht, da alle gesunden Menschen schlafen. Und Boteinah ging zu ihren Freundinnen und sagte: Lasst uns in den Palmenhain gehen und ein Lamm braten für Azza. Aber Azza sagte: Nein danke, ich bin in großer Eile, denn Dschemil wartet auf eine Antwort. Der Ort eures Treffens wird der Palmenhain sein. Da ging Boteinah mit ihren Freundinnen und ihrem Schoßhund zum Palmenhain. Dort traf sie sich mit Dschemil. Sie waren in Liebe zusammen, bis die Morgenröte anbrach. Es gab nie auf Erden zwei Liebende, die keuscher waren als Dschemil und Boteinah. Sie wussten beide sehr genau, was der andere fühlte. Und sie übertrafen sich gegenseitig in der anspruchsvollen Vorstellung einer heiligen Ehe.


31

Wenn ich in der Liebe bin,
Fühl ich mich wie der König der Welt,
Die ganze Erde ist mein Eigentum
Und ich fahre gen Himmel auf meinem Flügelpferd!

Wenn ich in der Liebe bin,
Bin ich wie das fließende Licht der Gottheit,
Den Augen des Fleisches unsichtbar,
Und die Liebesgedichte in meinem Notizbuch
Sind wie Gärten von Mohn und Mimosen.

Wann ich in der Liebe bin,
Fließt lebendiges Wasser aus meinen Händen
Und Rosen blühen auf meiner Zunge.
Wenn ich in der Liebe bin,
Bin ich außerhalb der Zeit,
Leb ich im ewigen Leben.

Wenn ich mein junges Mädchen liebe,
Seh ich die Bäume spazieren gehen
Wie Unbeschuhte Mönche.


32

Mein geliebter Herr!
Dies ist der Brief eines törichten Mädchens.
Hat dir schon einmal ein törichtes Mädchen geschrieben?
Was ist an meinem Namen gelegen?
Ob ich nun Layla oder Suleika heiße
Oder Fatima oder Aischa
Oder Maria -
Das dümmste an uns sind unsre Namen,
Mein geliebter Meister!

Mein geliebter Meister,
Ich wage nicht, dir von meinen Ängsten zu sprechen.
Vielleicht ist der Vater im Himmel zornig?
Siehe, im Nahen Osten
Wird ein christliches Mädchen
Von arabischen Männern vergewaltigt
Und vor und nach der Vergewaltigung
Danken sie Allah!
Ein jessidisches Mädchen
Wird verkauft als Sexsklavin!
Schiitische Ehebrecherinnen
Werden nach der Scharia gesteinigt!
Was soll da aus mir werden,
Dem Mädchen mit den schönen Zöpfen?
Der Rosenkranz der Muslime
Zur Anrufung der Namen Allahs
Ist gebildet aus Totenschädeln
Arabischer Frauen!

Mein Meister, mein Herr,
Verachte mich bitte nicht
Wegen des einfachen Stils meines Briefs.
Denn während ich schreibe,
Bellen die Hunde
Und wütet das Schwert im Irak!

Mein geliebter Meister!
Omar steht schon vor meiner Tür!
Er wird mich schlachten wie ein Lamm!
Er wird mich köpfen!
Er wird mich verbrennen!
Er wird mich kreuzigen!
Denn die Frauen Arabiens
Sind umgeben von Terroristen,
Denn im Nahen Osten
Verehren sie den Propheten Mohammed
Und steinigen Frauen!

Werde nicht zornig über mich, Herr!
Ich bin fortgelaufen
Aus dem Kalifat des Krieges
Und der Unterdrückung der Frauen!
Ich bin entflohen dem Harem
Und dem Palast des Scheichs!
Ich bin aufgestanden gegen den Tod!
Ich bin entflohen
Dem schrecklichen Schlachthaus Irak!

Werde bitte nicht zornig, lieber Herr,
Dass ich offen von meinen Gefühlen spreche.
Für die Männer des Nahen Ostens
Ist das bloß Poesie,
Die Männer des Nahen Ostens
Verstehen nicht die Frauen,
Ihre unsterblichen Seelen!

Es tut mir leid,
Wenn ich die Männer angreifen muss.
Die große Literatur ist natürlich
Literatur von Männern.
Liebe ist, was der Mann begehrt.
Und Sex kauft sich der Mann
Oder vergewaltigt die Sklavin.

Es ist ein schönes Feenmärchen
Die Freiheit der arabischen Frauen
Von Syrien bis zum Irak,
Denn die große Freiheit
Ist nur die Freiheit der Männer.

Mein geliebter Meister,
Sag mir alles, was du willst.
Ich bin nur ein törichtes Mädchen,
Ein Dummerchen, pure Einfalt!
Aber wer von den Nöten der Frauen spricht,
Wird von den herrschenden Männern
Ein dummes Weibchen genannt.
Und hab ich dir nicht bekannt
Gleich am Anfang meines Briefes,
Dass ich ein törichtes Mädchen bin?


33

Dein Körper ist meine Weltkarte, Herrin!

Erhebe meine Liebe,
Gib mir einen meiner schönsten Tobsuchtsanfälle,
Das Messer schneide in mein Fleisch,
Ich will sterben für meine Geliebte
Und will mich senken in den Schoß der Geliebten!

Mich ruft der Ozean der Liebe!
Tausend Tote will ich sterben!
Doch wenn ich sterbe,
Werde ich auferstehen!
Dein Körper ist meine Weltkarte, Herrin!

Ich bin Jericho,
Die uralte Hauptstadt der Schwermut!
Ich bin der Pharao,
Die einbalsamierte Mumie
Für das ewige Leben!
Meine Schmerzen erstrecken sich
Von Alexandrien bis nach China!

Meine seelischen Leiden
Sind eine Karawane,
Im siebten Jahrhundert nach Christi Geburt
Vom Kalifen nach China gesandt,
Ins Reich des Drachen.

O Nachtigall meines Herzens,
O Sandstrand am Mittelmeer,
O Garten der Olivenbäume,
O Geschmack von Schnee
Und Geschmack von Feuer,
O meine heidnische Philosophie!

Ich habe Furcht vor dem Unbekannten.
Beschütze mich, Herrin!
Ich habe Angst allein in der dunklen Nacht.
Umarme mich, o Geliebte!
Sing mir Kinderlieder vor!
Schlaf bei mir!
Singe mir den Anfang der Schöpfung!

Ich suche eine Heimat für meine Gedanken
In den schönen Haaren der Frau.
Schreibe meine Verse an alle Mauern
Und dann lösche mich aus!
Die Liebe einer Frau soll mich mitnehmen
Zu den Orangengärten des Morgensterns!
Die Liebe einer Frau verwandle
Meinen Staub in Goldstaub der Sonne!

Du Glanz meines Lebens,
Mein einziger treuer Fan, Geliebte,
Lege mich wie eine goldene Spange
In deine langen Haare.
Ich bin ein Tropfen im Ozean.
Vergiss mich! Aber bleibe treu
Meinen Gedichten im Winter!

Deine Liebe ermordet mich!
Wie ein tollwütig Pferd in Kirgisien
Ist meine Liebe zu dir!
Es spritzt mir Wasser aus den Augen!
O hübscher Wahnsinn!
Ich verbrenne meine Geburtsurkunde!
Schneide mir die Pulsadern auf, Geliebte!