GILGAMESCH-EPOS

Nachgedichtet von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


ERSTER GESANG

Der alles sah und der das Land regierte,
Die Ferne kannte, Jegliches erfasste,
Zur Kenntnis hat bestimmt ihn Gott der Vater.
Geheimes sah er und Verborgnes sah er,
Hat Kunde auch gebracht von vor der Sintflut,
Fuhr ferne Wege, er war matt und frisch,
Auf einen Stein hat er die Müh gemeißelt.
Die Mauer baute er um Uruk-Gart,
Ums heilige Eanna, unsern Hort.

Die Mauer sieh, die Friese sind wie Bronze,
Beschau den Sockel, nichts ist ihm vergleichbar,
Den Eckstein sieh, seit Urzeit ist er da,
Komm nach Eanna, hier wohnt Göttin Ishtar,
Kein Mensch, kein König kann das Gleiche machen,
Steig auf die Mauer dann von Uruk, geh,
Die Gründung prüfe, sieh die Ziegel an,
Ob auch die Ziegel nicht aus Backstein sind,
Den Grund nicht legten selbst die sieben Weisen!
Ein Sar die Stadt, ein Sar die Palmengärten,
Ein Sar die Niederung des breiten Flusses,
Dazu kommt der Bereich des Ishtar-Tempels,
Drei Sar umschließen den Bereich von Uruk.

Urkundenkapseln sind aus Kupfer, schau,
Nimm ab davon das sichre Schloss von Bronze.
Die Türe öffne zum verborgnen Schatz,
Die Tafel lies von Lapislazuli,
Wie Gilgamesch durch alle Drangsal zog!
Der größer ist als alle Könige,
Von schönem Aussehn und von großem Ruhm!
Der Held, der Sprößling Uruks, starker Stier,
Er geht voran, er ist der Allererste,
Geht hinterher, die Stütze seiner Brüder,
Ein starkes Kampfnetz, seines Heeres Schirm,
Wie wilde Wasserflut zerstört die Mauern,
Sohn Lugalbandas, der an Kräften Reiche,
Kind der erhabnen Kuh, der Rimat-Ninsun.

Ehrfurchtgebietend der vollkommne Wildstier,
Der fand den Eingang in die hohen Berge,
Trank von Zisternen in dem Steppenland,
Der überfuhr das Meer zum Sonnenaufgang,
Ins Auge fasst er der Erde Enden,
Der überall das ewge Leben suchte,
Voll Krafdt gelangte zu Utnapischtim,
Der Städte baute, die die Flut zerstört.
Nicht ist er Ruhm für die umwölkten Menschen,
Kein König kann mit ihm verglichen werden,
So redet Gilgamesch: Ich bin der König!

Seit er geboren, ist sein Name herrlich,
Zwei Drittel Gott, ein Drittel nur ein Mensch,
Das Bildnis seines Leibes zeigt die Macht,
Die schöne Mutter gab ihm die Gestalt.

In Uruk geht einher er in den Hürden,
Kraft setzt er ein und schreitet wie ein Wildstier.
Kein Nebenbuhler ähnelt seiner Macht.
Er trommelt, die Genossen dann marschieren,
Die Männer regen auf sich über Willkür.
Ach, Gilgamesch lässt nicht den Sohn zum Vater,
Am Tag und in der Nacht er bäumt sich auf,
Klug, weise, kundig, stattlich, übermächtig!

Auch lässt er nicht die Jungfrau zum Geliebten,
Die Heldentochter sie, die Braut der Männer! -
Die Klage hörten oft die großen Götter,
Die Himmelsgötter riefen Gott den Vater:
Herr, schufest du nicht diesen starken Wildstier?
Kein Nebenbuhler ähnelt seiner Macht.
Er trommelt, die Genossen dann marschieren.

Ach, Gilgamesch lässt nicht den Sohn zum Vater,
Am Tag und in der Nacht er trotzt ganz wild!
Er ist der Hirte nun von Uruk-Gart,
Er ist ihr Hirte, doch ihr Unterdrücker!
Klug, weise, kundig, stattlich, übermächtig!

Auch lässt er nicht die Jungfrau zum Geliebten,
Die Heldentochter sie, die Braut der Männer! -
Die Klagen hörte nun der Vatergott.
Da rief man Aruru, die große Göttin:
Du schufest, Aruru, was Gott befahl,
Erschaffe wieder, was der Herr befielt!
Schaff einen Gleichen ihm an Herzens-Wildheit!
Sie sollen kämpfen. Uruk sich erhole.

Kaum dass Aruru diese Worte hörte,
Da schuf im Herzen sie, was Gott befahl.
Aruru wusch mit Wasser ihre Hände,
Kiniff Lehm sich ab und warf ihn draußen hin,
So Enkidu, den starken Helden schuf sie,
Den Spross der Nacht, begnadet von Ninurta,
Mit Haar bepelzt an seinem ganzen Leibe,
Mit Haupthaar reich versehen wie ein Weib,
Das Haupthaar wallte wie bei Nisaba.
Auch kannte weder Länder er noch Leute,
Bekleidet war er so wie Sumukan.
So fraß er mit Gazellen auch das Gras,
Er drängte zu der Tränke mit dem Wild,
Da ward ihm wohl am Wasser mit den Tieren.

Auf ihn stieß gegenüber nun der Tränke
Ein Jäger, ein gewaltiger Geselle,
Am ersten Tag, am zweiten und am dritten
Stieß er auf Enkidu am Rand der Tränke.
Der Jäger sah ihn, reglos ward sein Antlitz.
Da trat er mit den Tieren in sein Haus,
Er war erregt, er wurde starr und stumm,
Verstört sein Herz, sein Antlitz war umwölkt,
In seiner Seele Einzug hielt der Gram,
Sein Antlitz eines Wanderers Gesicht.

Der Jäger tat zum Reden nun den Mund auf,
Und also sprach zu seinem Vater er:
Ein Mann gekommen ist vom Steppenland,
Der Kräftigste und Stärkste er im Lande,
Der Himmelsfeste gleich ist seine Kraft,
Er streift im Steppenlande stets umher,
Beständig frisst er mit dem Wild das Gras,
Stets stehen seine Füße an der Tränke,
Aus Angst vermochte ich ihm nicht zu nahen.
Die Gruben, die ich grub, er füllte sie,
Die Netze, die ich spannte, riss er aus,
Und so entkamen mir die Steppentiere.
Er lässt nicht zu mein Werk im Steppenland.

Sein Vater tat zum Reden auf den Mund,
Und also sprach der Vater zu dem Jäger:
Mein Sohn, in Uruk wohnt doch Gilgamesch,
So stark, dass keiner kann ihn überwinden,
Der Himmelsfeste gleich ist seine Stärke.
Dein Antlitz wende du dem König zu
Und bring ihm Kunde von dem wilden Mann.
Er leihe eine Tempelhure dir!
Führ du die Tempelhure in die Steppe!
Das Weib wird überwältigen den Mann.
Wenn dann das Wild herankommt an die Tränke,
Dann wirft sie ab ihr Kleid, er schwelgt in Wollust!
Sieht er sie nackt, dann wird er gern ihr nahen,
Die wilden Tiere werden ihm dann untreu,
Die mit ihm aufgewachsen in der Steppe.

Nun auf den Rat des Vaters brach er auf,
Zu Fuß der Jäger ging zu Gilgamesch,
Er nahm den Weg und stand in Uruks Mitte:
O höre, Gilgamesch, und rate mir!
Ein Mann gekommen ist vom Steppenland,
Der Stärkste er im Lande, er hat Kraft,
Der Himmelsfeste gleich ist seine Stärke,
Er streift im Steppenlande stets umher,
Beständig mit dem Wild frisst er das Gras
Und immer weilt sein Fuß am Rand der Tränke.
Ich konnte ihm nicht nahn vor lauter Furcht.
Die Gruben, die ich grub, die füllte er,
Die Netze, die ich spannte, riss er aus,
Entrinnen ließ die Tiere er der Steppe,
Erlaubte nicht mein Werk im Steppenland.

Und Gilgamesch die Worte sprach zum Jäger:
Nun geh, o Jäger, führe du mit dir
Die Priesterin, die schöne Tempelhure!
Wenn dann das Wild herankommt an die Tränke,
Dann werfe sie ihr leichtes Kleidchen ab
Und so enthülle sie des Weibes Wollust!
Sieht er sie dann, so wird er gern ihr nahen,
Dann wird das Wild ihm sicher untreu werden,
Das mit ihm aufgewachsen in der Steppe.

So also ging der Jäger, mit sich führend
Die Priesterin, die schöne Tempelhure.
Sie gingen auf dem Weg, die rechte Straße,
Am dritten Tage kamen sie zum Ort.
Der Jäger und die Hure sich versteckten,
Den ersten Tag, den zweiten, an der Tränke.
Es kam das Wild, zu trinken an der Tränke,
Die Tiere fanden Wohlsein an dem Wasser.
Da sah die Hure nun den wilden Mann,
Den Würger aus dem Inneren der Steppe.

Dies ist er, Dirne! Mache nackt die Brüste!
Den Schoß tu auf! Du schenk ihm deine Fülle!
Sei nicht verschämt! Empfange seinen Atem!
Sieht er dich nackt, so wird er gern dir nahen.
Leg ab dein leichtes Kleidchen und dein Röckchen,
Dass er sich bette weich auf deinem Leibe!
Dem wilden Manne tu das Werk des Weibes!
Dann wird das Wild ihm sicher untreu werden,
Das mit ihm aufgewachsen in der Steppe.
Dann raunt er Liebesspiele über dir!

Die Hure machte nackt die großen Brüste,
Die Hure öffnete den Schoß für ihn,
Und er empfing von ihr der Liebe Fülle.
Es schämte sich die nackte Hure nicht,
Und sie empfing den Atem seiner Küsse.
Sie zog ihr leichtes Kleidchen aus, ihr Röckchen,
Da lag er weich gebettet auf dem Weib.
Dem wilden Mann tat sie das Werk des Weibes,
Er raunte Liebesspiele über ihr.

Sechs Tage, sieben Nächte wachte er,
Da Enkidu beschlief die Tempelhure.
Dann ward er des Genusses überdrüssig,
Da schaute er zu seinen wilden Tieren.
Doch als die Tiere Enkidu erblickten,
Da flohen scheu vor ihm die keuschen Rehe,
Da wich vor seinem Leib das Wild der Steppe.
Ihm zitterten die Knie, es floh das Wild.
Und er ward schwach und lief nicht mehr wie sonst.

Er wuchs heran und wurde weiten Geistes,
Er kehrte um und setzte sich zur Hure,
Der Tempelhure schauend in das Antlitz,
Dem Wort der Hure lauschten seine Ohren.

Die schöne Hure sprach zu Enkidu:
Du, Enkidu, bist weise wie ein Gott!
Was lebst du mit den Tieren in der Steppe?
Komm mit, ich führe dich nach Uruk-Gart,
Ich führe dich zum schönen Tempel Ishtars!
Dort lebt der König Gilgamesch voll Kraft,
An Stärke überragend alle Männer.

Sie sprachs, und Beifall fanden ihre Worte,
Der Weise suche einen Freund und Bruder.
Da sagte Enkidu zur Tempelhure:
Komm, schönste Hure, lade du mich ein!
Ich will ins Heiligtum der Liebesgöttin!
Dort lebt der König Gilgamesch voll Kraft,
An Stärke überragend alle Männer.
Ich sag ihm Krieg an! Heftig sei der Kampf!
Denn rühmen will ich mich, dass ich der Stärkste.
Ich komme, und ich ändere das Schicksal.
Geboren in der Steppe, ich bin stark!

Komm, lass uns gehn, er soll dein Antlitz schauen,
Ich zeig dir Gilgamesch, ich kenne ihn.
Schau hin nach Uruk-Gart, mein Enkidu,
Schau zu den Männern dort mit breiten Gürteln.
Dort wird an jedem Tag ein Fest gefeiert,
Dort lässt man Trommeln dröhnen, Zimbeln klingen.
Dort sind auch wunderschöne Tempelhuren,
Geschaffen schön zur höchsten Lust der Männer!
So reich an Reizen, sind sie voll des Jubels!
Aufs Bett gebreitet sind gestickte Decken.
Dir, Enkidu, der du nicht kennst das Leben,
Dir will ich zeigen König Gilgamesch,
Den gut gestimmten, ungleich andern Männern.
Du schau ihn an und schau sein Angesicht,
Er ist ein schöner Mann und voller Würde,
An Fülle überreich am ganzen Leib,
Der stärker ist und kräftiger als du,
Der immer, Tag und Nacht, ist ohne Ruhe.

Gib deine Unart auf, mein Enkidu!
Dem Gilgamesch erwies die Hure Liebe!
Die Götter haben ihm den Geist erleuchtet.
Denn ehe du gekommen aus der Steppe,
Hat Gilgamesch bereits von dir geträumt.
Und Gilgamesch stand auf, und seinen Traum
Erzählte er, und sprach zu seiner Mutter:

O Mutter! Letzte Nacht hab ich geträumt,
Da ging ich voller Stärke mit den Männern,
Da sammelten um mich sich lichte Sterne,
Die Waffe Gottes stürzte auf mich nieder,
Ich wollt sie heben, doch sie war zu schwer,
Bewegen wollt ich sie und konnt es nicht.
Das ganze Uruk-Land trat hin zu ihr,
Die starken Männer küssten ihr die Füße,
Ich lehnte mich zwar auf, man stand mir bei,
Ich hob die Waffe auf und bracht sie dir.

Die kluge Mutter sprach zu Gilgamesch:
O Gilgamesch, es ward ein Mann wie du
So stark geboren in dem Steppenland,
Herangewachsen ist er in der Steppe.
Schau, du wirst einen Freund und Bruder haben.
Die starken Männer küssen ihm die Füße,
Umarmen wirst du ihn und zu mir bringen.
Dein Freund, das ist der starke Enkidu!
Genosse, der dem Bruder in der Not hilft!
Der Stärkste er im Lande, voller Kraft,
Der Himmelsfeste gleich ist seine Stärke.
Du sprichst vom Freunde wie von einer Frau,
Er aber wird dich immer wieder retten!

Da schlief er ein und träumte einen Traum,
Dann stand er auf und sprach zu seiner Mutter:
O Mutter! Ich hab einen Traum geträumt,
Da schaut ich eine Axt auf Uruk-Markt,
Die Axt lag da, das Volk stand rings umher,
Unheimlich ward die Axt da anzuschauen,
Doch da ich sie erblickte, ward ich froh,
Gewann sie lieb, so wie ein Mann ein Weib liebt,
Ich raunte über ihr und tat sie um
Und tat sie in den Gürtel meiner Lenden.

Die Mutter Gilgameschs, der Weisheit kundig,
Die Mutter sprach zum vielgeliebten Sohn,
Die Mutter Rimat-Ninsun sprach, die Weise,
Die kluge Mutter sprach zu Gilgamesch:
Die Axt, die du gesehen, ist ein Mann.
Du wirst ihn lieben wie ein Mann ein Weib,
Und du wirst liebend raunen über ihm.
Ich stelle ihn dir gleich als Sohn, mein Sohn,
Du wirst den Bruder bringen zu der Mutter.
Genosse, der dem Bruder aus der Not hilft!
Im Lande ist er stark und übt Gewalt,
Der Himmelsfeste gleich ist seine Stärke.

Und Gilgamesch sprach wieder zu der Mutter:
Gescheh des nach Befehl des weisen Gottes!
Ich möchte einen Freund und Bruder haben!
Ich möchte einen Bruder als Berater!
Du hast mir ja den Traum von ihm gedeutet.


ZWEITER GESANG

Nun Enkidu saß bei der Tempelhure,
Und da liebkosten sich die beiden zärtlich,
Und Enkidu vergaß das Steppenlanf.

Er hörte ihre Worte, ihre Rede,
Des Weibes Rat fiel in sein Herz im Busen.
Eins ihrer Kleider zog sie lächelnd aus,
Mit diesem Kleid bedeckte sie den Mann,
Das andre Kleidchen trug sie noch am Leib.
Sie nahm ihn an die Hand wie einen Gott
Und führte ihn zum Hof, zum Tisch des Hirten.
Da scharten sich die Hirten um den Mann.
Doch Enkidu war ja von dem Gebirge,
Wo mit Gazellen er das Gras gefressen.

Er pflegte Milch der Tiere sonst zu saugen,
Nun setzte man ihm gute Speise vor,
Da sah genau er hin, er schaut und guckte,
Er wusste aber nicht, wie man das Brot isst.
Auch Wein zu trinken ward er nicht gelehrt.
Die Hure tat den Mund auf, sprach zu ihm:
Iss Brot, mein Freund, denn das gehört zum Leben,
Trink Wein, mein Freund, so ist es Brauch im Lande!
Und Enkidu aß Brot und wurde satt
Und Enkidu trank Wein, wohl sieben Becher,
Da ward sein Innres frei, er wurde heiter,
Sein Herz frohlockte und sein Antlitz strahlte.
Mit Wasser wusch er den behaarten Leib,
Er salbte sich mit Öl und ward ein Mensch,
Zog ein Gewand an, war nun wie die Männer.

Die Waffe nahm er für den Kampf mit Löwen,
Es legten nachts sich schlafen ja die Hirten,
Da schlug er Wölfe und verjagte Löwen,
In aller Ruhe lagen da die Hüter,
Denn Enkidu war nun ihr treuer Wächter,
Der wache Mensch, der eine wahre Mann.

Und Enkidu vereint war mit der Hure,
Der Wollust und dem Liebesspiel ergeben.
Er hob die Augen, schaute einen Menschen.
Zur wunderschönen Hure sprach er da:
O Dirne, lass den Menschen weitergehen!
Was kam er doch? Ich rufe seinen Namen!
Die schöne Hure rief den Menschen an
Und trat zu ihm und sprach zu ihm die Worte:
Mann, wohin eilst du? Was ist deine Arbeit?
Der Mann tat auf den Mund vor Enkidu:
Zur Hochzeitsfeier lud die Braut mich ein!
Ich will der Erste in der Brautnacht sein!

Ich häufe leckre Speisen auf den Tisch,
Das köstliche Gericht zur Hochzeitsfeier.
Dem Könige von Uruk ist als Erstem
Der Schleier aufgetan vorm Brautgemach!
Die da zur Braut bestimmt, beschläft der König!
Zuerst der König, dann der Bräutigam!
So lautet ja der Rat der weisen Götter.
Als abgetrennt ward seine Nabelschnur,
Da wurde dieses Vorrecht ihm bestimmt.
Da wurde Enkidu das Antlitz bleich.

Und Enkidu ging nach der schönen Dirne,
So kamen sie herein zum Markt von Uruk,
Und Enkidu blieb stehen auf der Straße,
Es scharte sich das Volk um ihn und sprach:
Gleicht an Gestalt er doch dem Gilgamesch!
Ist kleiner zwar an Wuchs, doch ziemlich stark!
Als er geboren ward, aß er wohl Kräuter
Des Frühlings und trank Milch der wilden Tiere!

In Uruk fanden immer Opfer statt,
Da reinigten die Männer sich und Frauen,
Wie Kinder küssten sie dem Herrn die Füße,
Man brachte Gilgamesch ein Opfer dar,
Der Liebesgöttin war das Bett gemacht,
Und König Gilgamesch war in der Nacht
Vereint gewesen mit der jungen Frau!

Nun aber trat ein Mann hin auf der Straße,
Versperrte König Gilgamesch den Weg.

Und Gilgamesch war über ihn erzürnt,
Da machte er sich auf, ging auf ihn zu,
Zusammen stießen sie am Markt des Landers.
Sperrt Enkidu das Tor mit seinem Fuß auf,
Er ließ nicht zu, dass Gilgamesch herein trat.
Sie packten sich, sie gingen in die Knie
Wie Stiere, Gilgamesch und Enkidu,
Sie packten sich, sie gingen in die Knie,
Türpfosten bebten und die Wände krachten,
Sank Gilgamesch ins Knie, den Fuß am Boden,
Sein Zorn verrauchte, und er wandte sich.
Sobald er seine Brust herum gewandt,
Sprach Enkidu zum König Gilgamesch:
Wie einzigartig dich gebar die Mutter,
Die schöne Wildkuh, Mutter Rimat-Ninßun!
Dein Haupt erhöht ist über alle Männer,
Des Volkes Königtum gab Enlil dir,
Und deine Stärke überragt die Fürsten.

Da küssten beide sich und schlossen Freundschaft.

Bringt Gilgamesch den Freund zu seiner Mutter
Und spricht: Er ist der Stärkste in dem Lande,
Wer hält ihm stand? Erweise du ihm Gnade!
Die Mutter Gilgameschs sprach zu dem Sohn,
Sprach Rimat-Ninßun dies zu Gilgamesch:
Mein Sohn: verwildert scheint mir doch dein Freund.

Sprach Gilgamesch: Wie bitter klagte er!
Nicht Vater hat und Mutter Enkidu,
Sein loses Haupthaar wurde nie geschnitten,
Geboren ist er in der wüsten Steppe
Und keine Mutter hat ihn dort erzogen. -
Und Enkidu stand da, die Rede hörend,
Da füllten seine Augen sich mit Tränen,
Weh ward ihm da zumute und er müht sich,
Und seine Augen füllten sich mit Tränen,
Weh ward ihm da zumute und er müht sich.
Einander fassten sie und setzten sich,
Die Hände halten wie verliebte Leute.
Und Gilgamesch sein Antlitz neigt herab
Und sprach zu Enkidu: Mein Freund, warum
Sind deine Augen feucht von Trauertränen?
Weh ward zumute dir, du mühtest dich?
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Die Klagen machen meinen Nacken starr,
Erschlafft die Arme und geschwächt die Kraft.
Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:

Im Walde wohnt der Riese Chumbaba,
Doch ich und du, wir töten diesen Riesen.
Wir tilgen aus dem Lande alles Böse!
So lass uns fällen diese stolze Zeder.

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Ich hört es einst, mein Freund, im Steppenland,
Da ich umher gestreift mit wilden Tieren.
Auf sechzig Meilen unberührt der Wald,
Wer ists, der steigt herunter in sein Innres?
Und Chumbaba – sein Brüllen ist die Sintflut,
Sein Rachen Feuer und sein Hauch der Tod!

Was denn begehrst du, in den Wald zu gehen?
Kann keiner gegen Chumbaba bestehen!
Da sagte Gilgamesch zu Enkidu:
Mein Freund, des Waldes Berg will ich besteigen.

Ich geh zum Wald, zur Wohnung Chumbabas,
Mir sollen Schwert und Streitaxt Helfer sein.
Du bleibe hier, ich aber gehe hin.
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Wie sollen ziehen wir zum Wald der Zeder?
Sein Wächter ist der Wer, der Wettergott.
Und stark ist Wer und schläft und schlummert nie.
Und Chumbaba? Ist Adad doch mit ihm!
Die Zeder zu behüten, hat ihn Gott
Als Schrecken für das Menschenvolk bestimmt.
Wer aber in den Wald geht, wird gelähmt.

Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Mein Freund, wer weiß zum Himmel aufzusteigen?
Die Götter thronen ewig dort mit Schamasch,
Der Menschen Tage aber sind gezählt,
Nur eitler Windhauch ist es, was sie tun.
Du aber scheust den Tod, mein lieber Freund?
Wo blieb die Stärke deines Heldenmutes?
So will ich ziehen, will ich dir voran gehn,
Dann ruft dein Mund: Geh weiter! Sei nicht ängstlich!
Und fiel ich auch – mein Name dauert fort,
Man wird dann sagen: König Gilgamesch
Hat einst den Riesen Chumbaba besiegt.
Du bist geboren in der Steppe, Freund,
Ein Löwe griff dich an. Und du weißt alles!

Ich lege Hand an und ich fäll die Zeder,
Ich will mir dauerhaften Nachruhm schaffen!
Jetzt, Freund, will ich zum Waffenschmiede gehen,
Denn Äxte soll man gießen für uns beide.

Sie fassten sich und gingen zu den Schmieden,
Die Meister saßen da und diskutierten,
Die Meister gossen Äxte, große Beile,
Zu drei Talenten gossen sie die Äxte,
Und Schwerter gossen sie zu zwei Talenten,
Die Knäufe an den Griffen dreißig Pfund,
Und goldne Schwerter auch zu dreißig Pfund.
Nun Gilgamesch und Enkidu gerüstet
Mit Waffen waren, zehn Talente teuer.
Und Uruks sieben Tore schloss er zu.
Das Wort vernahm man, und die Bürger kamen,
Man gab dem Glück sich hin auf Uruk-Markt,
Da saß das Volk, da redete der König,
Da sagte Gilgamesch zum Volk von Uruk:

Ich ziehe nun zum Riesen Chumbaba,
Den Gott, von dem man redet, will ich sehen!
Das Land führt ja im Munde seinen Namen,
Den will ereilen ich im Zedernwald.
Dass stark und mächtig ist der Spross von Uruk,
Das will ich hören lassen alle Länder!
Ich leg die Hand an und ich fäll die Zeder,
Ich will mir dauerhaften Nachruhm schaffen!

Die Alten sprachen da zu Gilgamesch:
Du bist noch jung, dich trägt dein Herz davon,
Du weißt nicht, was du tun sollst, Gilgamesch.
Wir wissen: Chumbaba sieht schrecklich aus.
Wer ist es, der begegnet seinen Waffen?
Auf sechzig Meilen unberührt der Wald,
Wer ist es, der hinab steigt in sein Innres?
Denn Chumbaba – sein Brüllen ist die Sintflut,
Sein Rachen Feuer und sein Hauch der Tod!
Wer kann bestehn im Kampf mit Chumbaba?
Da Gilgamesch das Wort der Alten hörte,
Hob lächelnd er den Blick auf seinen Freund:
Mein Bruder, mag ich auch den Riesen fürchten!

Die Alten sprachen: Möge Gott dich schützen,
Dass du gesund vollendest deinen Lauf
Und kehrst als Sieger heim nach Uruk-Markt.
Da kniete Gilgamesch und hob die Hände:
Nun ziehe ich, mein guter Schutzgott Schamasch!
Auch weiter will ich heil am Leben bleiben,
Laß heim mich kehren zu dem Markt mit Frieden,
Breit über mir nur deinen Schutz und Schirm!
Und nun rief Gilgamesch den Freund und Bruder,
Und seine Omen sah er mit ihm an.

Und Gilgamesch begann zu weinen bitter:
Ich kenne nicht den Weg, den ich betrete,
Ich kenne nicht den rechten Weg, mein Gott!
Doch soll ich weiter heil am Leben bleiben,
So will ich dienen dir von ganzem Herzen,
Will satt mich trinken dann an deinen Wonnen,
Ich lasse sitzen dich auf goldnem Thron! -
Die Knechte brachten nun herbei die Waffen,
Die Schwerter, Bogen, Pfeile, volle Köcher,
Und gabens ihm. Und er nahm sich die Äxte,
Hing um den Köcher, nahm sich Pfeil und Bogen,
An seinen Gürtel steckte er das Schwert.
Die beiden Männer gingen los. Die Stadt rief:
O Gilgamesch, wann wirst du wiederkommen?


DRITTER GESANG

Die Alten segneten nun Gilgamesch,
Berieten für den Weg den starken König:
Nicht sollst du trauen deiner eignen Kraft!
Erleuchtet seien deine Augen, Herr,
Und gut behüte dich auf deinem Weg!

Der kennt den Steg, behütet seinen Freund,
Es gehe Enkidu vorm König her,
Gesehn hat er den Weg, er zog die Straße,
Er kennt den Zugang auch zum dunklen Wald,
Kennt jeden bösen Anschlag Chumbabas!
Schon früher hat bewahrt er den Gefährten,
Erleuchtet sind die Augen deines Freundes,
Der dich beschützen wird auf deinem Weg.

Lass Schamasch dich erlangen deinen Wunsch,
Lass sehn dein Auge, was dein Mund verkündet!
Er tue auf dir den versperrten Pfad,
Die Straße er erschließe deinem Schritt,
Die Berge er erschließe deinem Fuß,
Die Nacht heut bringe dir, was dich erfreut,
Und Lugalbanda steh dir siegreich bei!
Komm bald zu deinem Ruhme und Erfolg!
Im Flusse Chumbabas wasch dir die Füße!
Bei deiner Abendrast grab einen Brunnen,
Sei reines Wasser stets in deinem Schlauch,
Denk immerdar an Vater Lugalbanda,
Mög Bruder Enkidu den Freund behüten
Und immerdar bewahren den Gefährten,
Bis zu den Bräuten bringt er deinen Körper!
Wir übergeben nun den König Uruks
Dem Bruder Enkidu in der Versammlung.
Du bringst den König wieder heim zu uns!

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Bis du zurückkehrst, reise unverdrossen,
Dein Herz sei furchtlos, schaue nur auf mich!
Nun dorthin, wo er aufschlug seine Wohnung,
Zum Weg, den Chumbaba zu wandeln pflegt,
Du unsern Aufbruch nun befehle, Herr,
Und weise du die Alten Uruks fort. -
Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:

Die guten Götter mögen mit uns ziehen!
Ich werde tun, was ich geredet habe,
Mir mögen froh gehorchen meine Männer. -
Und da sie diese seine Rede hörten,
Da flehten ihn die alten Männer an:
So ziehe hin! Sei dein Beginnen glücklich,
Es gehe dir dein Schutzgott stets zur Seite,
Er lasse kommen dich zu deinem Sieg!

Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Komm, Freund, wir gehen zu dem Großpalast
Von Ninsun, unsrer großen Königin!
Denn Ninsun, weise, alles Wissens kundig,
Wird geben unsern Füßen festen Schritt. -
Da fassten sie einander Hand bei Hand
Und gingen beide zu dem Großpalast
Von Ninsun, ihrer großen Königin.
Und Gilgamesch trat ein bei seiner Mutter:
O Mutter Ninsun, ich bin stark geworden.
Ich zieh zur fernen Straße Chumbabas,
Bestehe einen Kampf, den ich nicht kenne,
Befahre einen Weg, den ich nicht kenne.
Nun für die Zeit der Reise und der Rückkehr,
Dass ich gelange zu dem Zedernwald,
Dass ich erschlag den Riesen Chumbaba
Und alles Böse tilge aus dem Lande,
Fleh meinetwillen stets zur Gottheit Schamasch!
Denn wenn ich Chumbaba gefällt, den Bösen,
Mög Friede sein im Lande, droben, drunten,
Des Sieges Zeichen will ich dir errichten.

Die Rede ihres Sohnes Gilgamesch
Voll Kummer hörte seine Mutter Ninsun.

Und Ninsun trat in ihre Kammer ein,
Für ihren Leib nahm sie gesunde Kräuter,
Sie zog ein Kleid an, schön für ihren Körper,
Legt eine Perlenschnur an ihre Brüste,
Sie legt den Gürtel an, setzt auf den Hut,
Sprengt Wasser aus der Schale auf die Erde,
Stieg auf die Treppe, stieg hinan zur Zinne,
Erstieg das Dach und brachte Weihrauch Gott dar,
Vollzog das Opfer und erhob zu Gott sich:
Was gabst du mir zum Sohne Gilgamesch?
Was gabst du ihm ein ruheloses Herz?
Nun hast du ihn bewegt, dass er hinaufzieht
Den fernen Weg zur Wohnung Chumbabas,
Er will den Kampf bestehn, den er nicht kennt,
Er will die Straße ziehn, die er nicht kennt.
Nun in der Zeit der Reise und der Rückkehr,
Dass er gelangt zum dunklen Zedernwald,
Dass er erschlägt den Riesen Chumbaba
Und alles Böse aus dem Lande tilgt,
Schau du am Tag auf meines Sohnes Weg,
Mög seine Braut dich stets an ihn erinnern,
Mög Aja, seine Braut, nicht Schamasch scheuen,
Den Wächtern in der Nacht befiehl ihn an,
Den Sternen und dem Monde, deinem Vater!

Und Rimat-Ninsun häufte an den Weihrauch
Und sprach dann die Beschwörung ihrer Gottheit.
Dann rief sie Enkidu und sprach zu ihm:
O Enkidu, nicht meinem Schoß entsprossen,
Ich spreche jetzt zu dir von den Oblaten
Des Gilgamesch, den frommen Gottgeweihten
Und Gottesbräuten, Tempel-Hierodulen! -
Ein Kleinod legte sie um seinen Hals,
Die Bräute nahmen ihn an ihre Brüste,
Die Gottesmägde haben ihn gelehrt.

Die Alten sprachen dann zu Enkidu:
O mögest du den besten Freund behüten
Und gut bewahren allzeit den Gefährten,
Bis er den Bräuten bringt den Körper heim!
Und nun wir übergeben dir den König,
In unserer Versammlung, deinen Freund,
Du bring den König heim in seine Stadt!


VIERTER GESANG

Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie ein wenig,
Nach hundert Stunden gingen sie des Weges,
Den Weg von einem Mond und vierzehn Tagen.
Dann kamen sie zum Berge Libanon,
Da gruben sie im Westen einen Brunnen,
Dem Sonnengotte Wasser so zu spenden.

Sprach Gilgamesch: Steig auf den Berg und schau!
Des Schlafs der Götter wurde ich beraubt!
Mein Freund, ich schaute heute einen Traum:
Wie schlecht war doch der Traum und wüst und wirr!
Ich packte eben einen Stier der Steppe,
Beim Brüllen dieses Stier der Erde Staub
Aufwirbelte und wich den Regenströmen,
Beim Anblick dieses Stiers bin ich vergangen,
Ich packte ihn mit meinem rechten Arm,
Die Zunge hing mir lechzend aus dem Mund,
Die Adern meiner Schläfen schwollen an,
Ich ward getränkt mit Wasser aus dem Schlauch. -

Der Gott, mein Freund, zu dem wir beide wandern,
Ist nicht der Stier! An ihm ist alles fremd.
Der Stier, o Gilgamesch, den du gesehen,
Ist Schamasch, unser göttlicher Beschützer.
In Ängsten wird er unsre Hand ergreifen.
Der mit dem Wasser aus dem Schlauch dich tränkte,
Ist Lugalbanda, ist der Gott der Ehre.
Wir tun uns nun zusammen und verrichten
Ein Werk, das nicht zuschanden wird im Tode!

Sprach Gilgamesch: Und nun der andre Traum:
In Tälern des Gebirges standen wir,
Da stürzte über uns der Berg zusammen.
Wir beide waren da wie Eintagsfliegen. -
Der Mann, der in der Steppe ward geboren,
Zum Freunde sprach er, dessen Traum zu deuten:
Mein Freund und Bruder, herrlich ist dein Traum,
Dein Traum ist über alle Maßen kostbar.
Der Berg, den du gesehn, ist Chumbaba,
Wir packen ihn und werden ihn dann töten,
Wir werfen auf die Felder seinen Leichnam.
Am Morgen kehren wir nach Uruk heim. -
Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie ein wenig,
Dann gruben sie im Westen einen Brunnen,
Dem Sonnengotte Wasser so zu spenden.

Und Gilgamesch bestieg den Libanon
Und brachte Gott ein Speiseopfer dar:
O Berg, gib einen Traum und Freudenbotschaft! -
Und Enkidu bereitet ihm ein Lager.

Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie ein wenig,
Dann gruben sie im Westen einen Brunnen,
Dem Sonnengotte Wasser so zu spenden.
Und Gilgamesch bestieg den Libanon
Und brachte Gott ein Speiseopfer dar:
O Berg, gib einen Traum und Freudenbotschaft! -
Und Enkidu bereitet ihm ein Lager,
Ein Regen kam, er festigte das Dach,
So legten Gilgamesch und Enkidu
Sich schlafen in dem Kornfeld des Gebirges.

Lag Gilgamesch, das Kinn auf seiner Brust,
Befiel der Schlaf ihn, der auf Menschen träufelt,
Und mitten in der Nacht brach er den Schlaf ab
Und fuhr empor und sagte zu dem Freund:
Freund, riefst du mich? Was bin ich denn erwacht?
Freund, stießt du mich? Was bin ich denn erschrocken?
Ging etwa hier der Gott an mir vorüber?
Was schaudert es mich denn an allen Gliedern?
O Freund, ich schaute einen dritten Traum,
Der Traum, den ich gesehen, war entsetzlich,
Der Himmel schrie, die schwarze Erde dröhnte!
Der Tag erstarrte, Finsternisse kamen,
Da blitzte hell ein Blitz, ein Feuer brannte,
Die Nacht war schwarz, es regnete den Tod!
Das weiße Feuer wurde rot, verlöschte,
Und was herabfiel, das war schwarze Asche.
Komm mit ins Feld, dort mögest du mir raten. -
Als Enkidu die Traumgeschichte hörte,
Sprach Enkidu zum Bruder Gilgamesch:

So lass uns aufstehn auf das Wort des Gottes. -
Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie ein wenig,
Nach hundert Stunden gingen sie des Weges,
Dann gruben sie im Westen einen Brunnen,
Dem Sonnengotte Wasser so zu spenden.

Und Gilgamesch bestieg den Libanon
Und brachte Gott ein Speiseopfer dar:
O Berg, gib einen Traum und Freudenbotschaft! -
Und Enkidu bereitet ihm ein Lager,
Ein Regen kam, er festigte das Dach,
So legten Gilgamesch und Enkidu
Sich schlafen in dem Kornfeld des Gebirges.

Sprach Gilgamesch: Was du in Uruk sagtest,
Bedenke, tritt herzu und kämpf heroisch! -
Des Mannes, der in Uruk ward geboren,
Des Königs Worte hörte droben Schamasch,
Da rief ihn ein Alarmsignal vom Himmel:

Der Wächter soll nicht gehen in den Wald,
Nicht steigen in den Forst, sich nicht verbergen!
Denn trägt er etwa sieben Panzermäntel?
Nein, abgelegt die sechs, er trägt nur einen! -
Die Freunde machten also sich bereit,
Gleich einem Stier zu stoßen auf den Wächter.
Schrie Enkidu und war des Schreckens voll,
Chumbaba schrie, der Wächter wie ein Büffel!

Sprach Gilgamesch: Ein Weg, der schlüpfrig ist,
Gefährdet nicht die zwei, die treu sich helfen.
Zwei sind da immer besser doch als einer,
Die Schnur, die dreifach ist geflochten, reißt nicht.
Zwei Löwenjungen können ihn vertreiben.

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Wenn wir getreten in den Zedernwald,
Dann spalten wir den Baum und brechen Äste. -
Da sagte Gilgamesch zu Enkidu:
Was, Bruder, was sind wir doch kümmerlich!
Gemeinsam überwinden wir die Berge!

Mein Freund, der mit dem Kampfe du vertraut bist,
Du kämpftest oft, so fürchte nicht den Tod!
Lustknaben müssen fürchten sich vorm Tod!
Die Stimme dröhnen lass als Kesselpauke!
Lass fort die Schmerzen doch aus deinen Armen,
Lass die Entzündung fort aus deinen Beinen!
Komm, Freund, vereint wir wollen weiterziehen,
Dein Herz soll heute fordern noch den Kampf,
Vergiss den Tod! Mein Freund, verzage nicht!
Der dir zur Seite geht, der kluge Mann,
Der dir vorangeht, hat sich selbst beschützt,
Nun schützt er auch den Bruder und Gefährten,
Dass sie im Kampf sich einen Namen machen! -
Zum immergrünen Wald gelangten beide,
Die Reden unterbrachen sie und schwiegen.


FÜNFTER GESANG

Still standen sie am Rande nun des Waldes,
Sie staunten immer an die hohen Zedern,
Sie staunten an den Eingang in den Wald.
Wo ging der Riese, da war eine Fußspur,
Die Wege grade, schön gemacht die Bahn.
Sie sehn den Zedernberg, der Götter Wohnung,
Auf diesem Berg stehn Zedern in der Fülle,
Ihr Schatten wonnig, reich ist das Erquicken,
Verschlungner Dornbusch und Gehölz verfilzt,
Dort steht die Zeder und der Styraxvaum,
Von einem Graben war der Wald umschlossen.

Und plötzlich zogen sie die scharfen Schwerter,
Die Schwerter zogen sie aus ihren Scheiden,
Mit Gift bestrichen waren ihre Äxte,
Die kurzen und die langen Schwerter scharf.

Der Riese Chumbaba ist nicht gekommen.

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Ist Chumbaba denn einzeln zu besiegen?

Ein Weg, der schlüpfrig ist, gefährdet einen,
Zwei Männer aber sind nicht zu besiegen,
Die Schnur, die dreifach ist, zerreißt nicht leicht,
Zwei Löwenjungen können ihn verjagen.

Und Chumbaba sprach dies zu Gilgamesch:
Beraten sich der Tölpel und der Dummkopf?
Was seid ihr denn zu mir heran gekommen?
Gib guten Rat, o Enkidu, o Fischsohn,
Der du nicht einmal kennst den eignen Vater,
Der Schildkröt, die nicht saugt die Milch der Mutter!
Als du noch klein warst, blickte ich dich an,
Bin aber nicht an dich heran getreten,
Ich war voll Hass in meinem Inneren!
Mit Gilgamesch bist du zu mir gekommen.
Bevor du aber mit dem Fremden kamst,
Hätt ich gewürkt die Kehle Gilgameschs,
Dein Fleisch gefressen hätt der Schlangenvogel,
Gefressen hätten Adler dich und Geier!

Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Des Riesen Antlitz ändert jetzt sein Aussehn,
Er reckt sich. Wie gelangen wir zu ihm?

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Was, Bruder, klagst du denn so voller Kummer?
Ward schlaff dein Mund, und du verstecktest dich?
Jetzt aber, Freund, ist eines not, die Tat!
So schmiede man das Eisen, wenn es heiß ist,
Man blase an die Glut, es fliegt die Asche.
So schick die Flut und nimm zur Hand die Peitsche!
Zieh deinen Fuß nicht ab und kehr nicht um!
Mach deine Schläge kräftig wie den Donner!

Die fernen Feinde seien ausgetrieben!
Er trat zu ihm, der schlug den Kopf des Riesen.
Mit ihren Füßen stampften sie die Erde.
Durch ihre Sprünge barst der Libanon,
Durch ihre Sprünge barst der Sirion.
Da wurden finster schwarz die weißen Wolken,
Es regnete der Tod herab wie Nebel.
Und Gott erweckte gegen Chumbaba
Die Stürme, Südwind, Westwind, Nordwind, Ostwind,
Den Böensturm, den Wildsturm und den Sturmwind,
Die Wirbelstürme und die Sturm-Dämonen,
Den Wüstenwind, den Sandsturm, dreizehn Winde
Erhoben sich und bliesen an den Riesen.
Er kann nicht vorwärts und er kann nicht rückwärts,
Die Waffen Gilgameschs erreichten ihn,
Er will sein Leben retten, spricht zum König:
Klein warst du, als die Mutter dich geboren,
Du bist der Sprößling doch der Rimat-Ninsun.
Auf den Befehl des Herrn erhobst du dich,
Auf Schamaschs Weisung hin, des Herrn der Berge,
Du Sohn aus Uruk, König Gilgamesch.

Ich will mich für dich setzen in den Wald,
Ich schenk dir alle Bäume, die du willst,
Ich gebe dir sogar die grüne Myrte,
Ausstatten will ich dir dein Königshaus. -
Doch Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Mein Freund, hör nicht auf das, was er dir sagt!


Du weißt Bescheid von meinem Zedernwald,
Auch kennst du die Befehle Gottes alle!
Ich hätte hoch dich heben sollen und
Dich töten an dem Eingang meines Waldes,
Dann hätt der Schlangenvogel dich gefressen,
Dein Fleisch verzehrt der Adler und der Geier!
Jetzt, Enkidu, jetzt liegt bei dir die Freiheit!
Sag Gilgamesch, er soll das Leben schonen! -
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Freund, Chumbaba ist Wächter dieses Waldes,
Zermahle ihn, zerknirsch ihn, töte ihn!
Freund, Chumbaba ist Wächter dieses Waldes,
Zermahle ihn, zerknirsch ihn, töte ihn!
Bevor des hört der Götter Erster, Enlil,
Die Götter werden voll des Zornes sein!
In Nippur Enlil und in Sippar Schamasch
Erbaue einen dauerhaften Tempel!
Sag ihnen, dass du Chumbaba erschlugst! -
Als Chumbaba dies hörte, ward er wütend.

Beginnt ihr Beiden jetzt, mich anzuschwärzen?
Du sitzt da wie ein Hirte auf der Aue
Und redest wie ein Mietling seines Mundes!
Jetzt, Enkidu, jetzt liegt bei dir die Freiheit!
Sag Gilgamesch, er soll das Leben schonen!

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Freund, Chumbaba ist Wächter dieses Waldes,
Zermahle ihn, zerknirsch ihn, töte ihn!
Freund, Chumbaba ist Wächter dieses Waldes,
Zermahle ihn, zerknirsch ihn, töte ihn!
Bevor des hört der Götter Erster, Enlil,
Die Götter werden voll des Zornes sein!
In Nippur Enlil und in Sippar Schamasch
Erbaue einen dauerhaften Tempel!
Sag ihnen, dass du Chumbaba erschlugst! -
Als Chumbaba dies hörte, ward er wütend.

Gott soll gewähren euch kein langes Leben!
Und über König Gilgamesch hinaus
Soll Bruder Enkidu kein Ufer finden! -
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Ich red mit dir, mein Freund, doch hörst du nicht!

Die Eingeweide rissen sie ihm aus,
Die Lunge rissen sie dem Riesen aus.
Da plätscherte das Wasser in dem Kessel.
Des Riesen Fülle stürzte auf den Berg,
Des Riesen Fülle stürzte auf den Berg.

Die Zeder fällten sie, es blieb nur Abfall.
Die stolzen Bäume fällte Gilgamesch,
Es wühlte Enkidu im Wurzelwerk.
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Mein Freund, die Zedern haben wir gefällt,
Die, deren Wipfel ragten in den Himmel.
Nun zimmre aus den Zedern eine Tür,
Zwölf Ruten hoch, vier Ruten in der Breite,
Dick eine Elle, und die Pfosten auch
Und Angeln sein aus einem Stück gefertigt,
Nach Nippur bringe sie, der Euphrat trag sie,
Dass Nippur freu sich über diese Tür.

Sie fügten beide nun ein Floß zusammen,
Und Enkidu ist auf dem Floß gefahren,
Und Gilgamesch trug da das Haupt des Riesen.

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Erschlage Chumbaba zum Ruhm der Götter!

Du üb an ihm die göttliche Vergeltung!
Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Jetzt werden wir die Siegesfeier feiern.
Der Lichtstrahl wird verschwinden in dem Dickicht,
Der Strahlenglanz tritt ein im Zedernwald.
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Mein Bruder, fange du zuerst den Vogel!
Wohin denn sollen seine Küken gehen?
Die Lichtglanzstrahlen suchen wir danach,
Die Küken laufen dort herum im Gras.
Erschlage ihn erneut und seinen Knecht! -
Es hörte Gilgamesch das Wort des Freundes,
Der König nahm die Axt in seine Hand,
Der König zog das Schwert aus seinem Gürtel.
Und Gilgamesch durchbohrte ihm den Hals,
Und Enkidu, der Bruder, packte ihn.
Beim dritten Schlag ist Chumbaba gefallen,
Die wirren Augen waren totenstill.
Und auch den Wächter hatten sie erschlagen,
Zwei Doppelstunden währte dieser Kampf,
Den Wächter hatte Enkidu erschlagen.

Erschlagen hatten sie den Bösewicht,
Von dessen Brüllen bebt der Libanon,
Von dessen Brüllen bebt der Sirion,
In Furcht gerieten alle hohen Berge,
Es zitterten vorm Riesen die Gebirge.
Sie schlugen nieder diesen Bösewicht,
Und sieben Knechte hatten sie erschlagen.
Am Kampfplatz lag das Schwert von acht Talenten,
Die Last von zehn Talenten nahm der König.
Er öffnete die Wohnungen der Götter.
Die stolzen Zedern fällte Gilgamesch,
Es wühlte Enkidu im Wurzelwerk.
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Mein Freund, die Zedern haben wir zu fällen,

Mut deiner Kraft hast du den Feind erschlagen.
Was ist es nun mit deiner Gürtelschnalle?
Leg hin die Zeder, die gen Himmel ragte,
Ich will dir eine breite Türe zimmern,
Ich suche eine Angel an dem Pfosten.
Nicht nahe sich ein Fremder, nur der Gott,
Der Gott allein soll schreiten durch die Tür,
Zum Tempel Enlils trage sie der Euphrat,
Es freu sich Enlil über dich, mein Freund,
Ja, jauchzen und frohlocken möge Enlil!


SECHSTER GESANG

Er wusch den Schmutz ab, putzte seine Waffen,
Die Haare schüttelt er sich in den Rücken,
Er zog sich neue reine Kleider an,
Umgab sich mit dem Mantel und dem Gürtel.
Dann setzte er die Königsmütze auf,
Da hob zur Schönheit Gilgameschs die Augen
Die Königin der Liebe, Göttin Ishtar.

Komm, Gilgamesch, du sollst mein Gatte sein,
O schenk mir, schenk mir deiner Liebe Fülle!
Sei du mein Mann, ich will dein Mädchen sein!
Ich schenk dir einen Wagen ganz aus Gold,
Mit Lapislazuli geschmückt und Mondstein.
Und Esel sollen ihn wie Stürme ziehen.
Tritt duftend wie die Zedern du ins Haus.
Thronsessel sollen dir die Füße küssen!
Vor dir die Könige und Fürsten knien,
Die Lullubäer des Gebirges sollen
Und alle Länder dir Tribute bringen.
Die Ziegen sollen Drillings-Zicklein werfen,
Die Schafe sollen Zwillings-Lämmer werfen.
Dein schneller Esel holt das Maultier ein.
Dein Roß vorm Wagen sei ein schneller Renner.
Deine Ochse unterm Joch sei ohnegleichen.

Und Gilgamesch sprach dies zur Herrin Ishtar:
Was muss ich geben, nehm ich dich zur Frau?
Dir Salbe für die Haut, dir schöne Kleider?
Fehlzs dir an Nahrung etwa oder Brot?
Ich habe Speise, die der Götter würdig,
Hab guten Trank in meinem Königreich.

Doch an dem Straßenrand, da sei dein Sitz,
Sollst nur mit leichtem Kleid bekleidet sein,
Dann nimmt dich jeder Mann, der dich begejrt!
Ein Ofen bist du, der das Eis nicht wahrt,
Bist eine Tür, die nicht die Winde abhält,
Bist ein Palast, der Helden niederschmettert,
Bist Erdpech, das den Arbeitsmann besudelt,
Ein Schlauch bist du, durchnässend seinen Träger,
Ein Kalkstein, der die Felsenmauer sprengt,
Ein Jaspis, der die Feinde in das Land lockt,
Ein Schuh, der drückt den Fuß des Eigentümers.
Ist da ein Mann, den du für immer liebst?
Ist da ein Held, der immer zu dir darf?
Nun, deine Freier werde ich dir nennen.

Dumuzi, den Geliebten deiner Jugend,
Hast du bestimmt, dass er alljährlich weint.
Und als du einst den Rackenvogel liebtest,
Hast du zerschlagen ihn und ihn zerbrochen.
Nun weilt er in dem Wald mit Klagerufen.
Du liebtest den an Kraft vollkommnen Löwen,
Du grubst ihm sieben Gruben, nochmal sieben.
Du liebtest einst den Hengst, der Schlacht gewöhnt,
Dann hast du Peitsche ihm bestimmt und Stachel,
Er musste sieben Doppelstunden rennen,
Er musste aufgewühltes Wasser saufen,
Stets weinte seine Mutter Silili.
Da du den Hirten und den Hüter liebtest,
Der ständig dir gebackne Kuchen brachte,
Der täglich Zicklein dir geschlachtet hatte,
Da hast du ihn in einen Wolf verwandelt,
Die eignen Hirtenknaben jagten ihn
Und seine Hunde bissen ihm ins Bein.

Du liebtest Ischulanu, deinen Gärtner,
Der deines Vaters Palmengärtner war,
Der stets dir Körbe voller Datteln brachte,
Und immer war dein Tisch sehr reich gedeckt.
Du hobst die Augen, un d du gingst zu ihm:
Mein Lieber, lass mich deine Kraft genießen!
Streck aus die Hand und fass an meine Nacktheit!
Und Ischulanu redete zu dir:
Was willst du eigentlich von mir, o Göttin?
Hat meine Mutter Kuchen nicht gebacken
Und hab ich nicht das weiße Brot gegessen?
Muss ich nun unter Schimpf und Flüchen essen,
Dass mich nur Gras bedeckt zum Schutz vor Kälte?
Und da du diese seine Rede hörtest,
Da schlugst du ihn, da wurde er zum Krüppel,
Du ließest leben ihn in großer Mühsal,
Nicht in des Brunnens Tiefe taucht sein Eimer.
Und liebst du mich, so werd ich ihnen gleich.

Die Göttin Ishtar, kaum vernahm sie dieses,
Ward Ishtar zornig, und sie fuhr gen Himmel,
Und Ishtar trat vor Gott, den Vater Anu,
Vor ihrer Mutter flossen ihre Tränen:
Mein Vater! Gilgamesch hat mich beschimpft,
Und Flüche reihte aneinander er,
Beschimpfungen und Flüche sprach er aus.

Gott Vater tat den Mund zum Reden auf
Und sprach zur Königin der Liebe, Ishtar:
Wohl reiztest selber du den Herrn von Urul,
Drum reihte er die Flüche gegen dich,
Beschimpfungen und Flüche gegen dich.

Und Ishtar tat den Mund zum Reden auf
Und sprach zu Anu, ihrem Gott und Vater:
Mein Vater! Schaffe mir den Himmelsstier,
Dass er den Fürst in seinem Hause töte!
Schaffst du mir aber nicht den Himmelsstier,
Zerschlage ich die Tür des Totenreichs,
Dann lasse ich die Tür weit offenstehen,
Die Toten lass ich alle auferstehen,
Das sie die Lebenden auf Erden fressen! -
Gott Vater tat den Mund zum Reden auf
Und sprach zur Königin der Liebe, Ishtar:
Wenn du den Himmelsstier von mir verlangst,
Dann gibt’s für Uruk sieben dürre Jahre,
Dann muss ich für die Menschen Brotkorn sammeln
Und wachsen lassen Gräser für das Vieh.

Und Ishtar tat den Mund zum Reden auf
Und sprach zu Anu, ihrem Gott und Vater:
Ich häufe Brotkorn für die Menschen auf
Und ich beschaffe Gräser für das Vieh,
Sie sollen satt sein in den sieben Jahren,
Drum hab ich Korn gesammelt für die Menschen
Und grünes Gras beschafft für all das Vieh.

Als Anu nun die Rede Ishtars hörte,
Gab er den Himmelsstier in ihre Hand.
Zur Erde führte ihn die Herrin Ishtar.
Der Himmelsstier gelangte so nach Uruk.

Der Himmelsstier kam zu dem Euphratstrom,
Sein Schnauben tat dort eine Grube auf,
Und hundert Männer fielen in die Grube.
Sein Schnauben tat die zweite Grube auf,
Zweihundert Männer fielen in die Grube.
Sein Schnauben tat die dritte Grube auf,
Dreihundert Männer vielen in die Grube.
Und Enkidu versank bis an die Hüfte.
Und Enkidu sprang eilends aus der Grube
Und griff den Himmelsstier an seinen Hörnern.
Da warf der Himmelsstier den Geifer aus
Und mit dem Schwanze warf er seinen Kot.

Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Wir rühmten uns, o Freund, der großen Kraft!
Was sollen wir denn nun zur Antwort geben?
Ich sah, mein Freund, den Stier in seiner Stärke.

Ausreißen will ich ihm die beiden Hörner.
Wir müssen ihn uns teilen, du und ich,
Ich will den Stier an seinem Schwanze packen!

In seinen Nacken soll mein Schwert sich bohren. -
Es jagte Enkidu den Himmelsstier,
Er hielt den Stier an seinem Schwanze fest,
Mit beiden Händen hielt ihn Enkidu,
Und Gilgamesch, so kundig wie ein Metzger,
Gewaltig traf den Himmelsstier und sicher,
In seinen Nacken bohrte sich sein Schwert.
Da sie getötet nun den Himmelsstier
Und ausgeweidet seine Eingeweide,
Da legten sie ihn nieder vor dem Gott,
Dann traten sie zurück und beugten sich
Voll Ehrfurcht vor dem Gott und König Schamasch,
Dann setzten sich die Brüder auf die Erde.

Und Göttin Ishtar stieg auf Uruks Mauer,
Da stieß sie aus ein lautes Wehgeschrei:
Weh über Gilgamesch, der mich verschmähte!
Der meinen Himmelsstier erschlagen hat! -
Als Enkidu die Rede Ishtars hörte,
Da riss er ab das Glied des Himmelsstiers
Und warf das Glied der Göttin vor die Füße:
Ha, krieg ich dich, so tu ich dir wie diesem!
An deine Brüste bin ich seine Hoden!

Da scharte Ishtar um sich ihre Mädchen,
Die Priesterinnen und die Tempelhuren,
Und dann beklagte sie des Stieres Glied.
Da rief die Waffenschmiede Gilgamesch,
Die Meister rühmten laut der Hörner Stärke,
Aus dreißig Pfund von Lapislazuli,
Und tausend Liter Öl der Hörner Inhalt,
Das weihte er als Salböl seinem Schutzgott,
Dann hängte er sie auf im Schlafgemach.
Im Euphrat wuschen sie sich dann die Hände
Und Hand in Hand dahin die Freunde zogen,
Sie fuhren auf der breiten Straße Uruks,
Zusammen kam das Volk, sie anzuschauen.

Und Gilgamesch sprach dies zu seinen Mägden:
Sagt an, wer ist der Herrlichste der Männer,
Wer ist der Mächtigste im Kreis der Helden?
Ich bin der Herrlichste im Kreis der Männer,
Ich bin der Mächtigste im Kreis der Helden!
Der wir das Stierglied vor die Füße warfen,
Die Göttin Ishtar hat nun keinen mehr,
Der an dem Straßenrand ihr Herz erfreut! -
Im Haus gefeiert ward ein Freudenfest,
In dem Palast des Königs Gilgamesch.
Die Männer schliefen ruhig in den Betten.
Da schlief auch Enkidu. Da träumte er.
Da fuhr er auf und sprach von seinem Traum,
Erzählte seinem Freunde seinen Traum.


SIEBENTER GESANG

Was denn beraten sich die Götter, Freund?

Vernimm den Traum, den ich heut nacht geschaut.
Gott Anu, Enlil, Ea und mein Schamasch
Berieten sich, und Enlil sprach zu Anu:

Drum, dass sie töteten den Himmelsstier,
Dass sie den Chumbaba getötet haben,
Von ihnen der soll sterben, sagte Anu,
Der dem Gebirg die Zeder hat entrissen!
Doch Enlil sprach: Nur Enkidu soll sterben,
Doch König Gilgamesch, er soll nicht sterben.

Nun Schamasch widersprach dem großen Enlil:
Ja, haben sie denn nicht auf meine Weisung
Den Himmelsstier und Chumbaba getötet?
Und nun soll Enkidu in Unschuld sterben?
Doch Enlil wurde zornig über Schamasch:
Du gingst zu ihnen wie zu deinesgleichen! -
Und Enkidu lag krank vor Gilgamesch,
Dem brachen Tränenströme da hervor:
Was sprechen sie mich frei statt meinen Bruder?
Muss ich mich setzen zu dem Geist des Toten
Und setzen an das Tor der Totengeister?
Soll ich den lieben Bruder nie mehr sehen?

Und Enkidu hob seine Augen auf,
Sprach mit der Pforte wie mit einem Menschen:
Du Pforte aus dem Wald, voll Unvernunft!
Du ohne Geist, der nicht vorhanden ist!
Ich sammelte das gute Holz für dich,
Mit eignen Augen schaute ich die Zeder,
Dein Zedernholz ist ohnegleichen, Pforte,
Die Höhe zweiundsiebzig Ellen hoch,
Die Breite vierundzwanzig Ellen breit,
Und Pfosten, Angeln, Schwelle sind bei dir,
Ich machte dich, ich hob dich auf in Nippur.
Hätt ich gewusst, dass diese deine Schönheit
Und deines Holzes Schönheit ist so groß,
Mit meinem Beil hätt ich ein Floß gebaut.

Ich machte dich, ich hob dich auf in Nippur.
Ein Fürst, der nach mir kommt, der soll dich wecken,
Es mag der Gott dich aus dem Tod erwecken.
Mein Name sei vertilgt aus deinem Holz,
Es sei des Gottes Name eingeschrieben. -
Er riss den Balken aus und warf ihn hin.
Und Gilgamesch vernahm des Bruders Worte
Und eilte in der Frühe zu dem Freund.
Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Es schenkte dir der Herr ein weites Herz,
Gott schenkte Weisheit dir und schöne Worte!
Gott gab Vernunft dir, doch du redest irre!
Was sprichst du denn im Wahnsinn wirre Worte?
Der Traum war herrlich, aber auch voll Schrecken.

Groß war der Schrecken, doch der Traum war herrlich.
Den Lebenden die Götter lassen klagen!
Dem Überlebenden bleibt nur die Klage!
Ich bet und flehe an die Himmelsgötter!
Ich werde viel zu deinem Gotte beten,
Zu Anu, der der Vater ist der Götter!

Aus reinem Gold will ich dein Denkmal formen,
Sei ohne Sorge, Gold hab ich genug.
Was Enlil sagte, Freund, das muss geschehen,
Der Gott nimmt seine Worte nicht zurück.
Das Schicksal, Freund, beherrscht uns Menschen alle! -
Kaum, dass des Morgens erste Röte schien,
Hob Enkidu sein Haupt, vor Gott zu weinen,
Vor Schamasch flossen seine heißen Tränen.

Ich rief dich wegen meines teuren Lebens,
Ich rief dich, Schamasch, wegen jenes Jägers,
Der gibt mir nicht, was er dem Bruder gibt.
Der Jäger gibt mir nicht, was er dem Freund gibt.
Vernichte ihn! Vernichte seine Macht!
Dass sei dein Werk, den Jäger fortzujagen!
Ins goldne Himmelshaus soll er nicht kommen! -
Und als er so verflucht den wilden Jäger,
Verfluchte er die geile Hure auch.
Dir, Hure, dir bestimme ich dein Schicksal,
Ein böses Schicksal in der Ewigkeit!
Verwünschen will ich dich mit bösen Flüchen!
Am frühen Morgen schon verwünsch ich dich!
Du sollst in keinem Hause Herrin sein,
Du sollst kein Kind des eignen Schoßes lieben,
Nicht sollst du lieblich sein wie junge Mädchen,
Den Schoß soll dir ein böser Teufel schwängern,
Dein Kleidchen soll der Trunkne dir bespucken!

Als Becher bleibe dir ein Klumpen Lehm,
Vom Lapislazuli bekommst du nichts,
Der Menschen Gold sei nicht in deinem Haus,
Zum Bette diene dir des Hauses Schwelle,
Dein Aufenthalt sei an dem finstern Kreuzweg,
Dein Lotterbett sei in der öden Wüste,
Der Mauerschatten sei dein Aufenthalt,
Die Dornen stechen deine Füße wund,
Der Trunkne spucke dir auf deine Backe
Und der Berauschte schlage dich mit Fäusten,
Auf deiner Reise brüllt dich an der Löwe,
Die Mauer soll der Maurer nicht verputzen,
An deinem Giebel niste nachts die Eule,
Und du wirst nicht zum Gastmahl eingeladen!

Ich fluche dir! Du hast mich angepisst! -
Als Schamasch diese bittern Worte hörte,
Rief er vom Himmelreich zu Enkidu:
Was fluchst der Hure du, der Hierodule?
Sie gab dir Götterspeise doch zu essen,
Sie tränkte dich mit königlichem Rauschtrank!
Die Hierodule gab dir schöne Kleider
Und gab dir Gilgamesch zum Freund und Bruder.
Der Bruder lässt dich ruhn auf weichem Bett,
Er lässt dich sitzen auf dem Thron des Friedens,
Zu seiner Rechten lässt der Freund dich sitzen,
Die Völkerherrscher küssen dir die Füße,
Das Volk von Uruk klagt um dich und weint,
Die Edlen wegen dir sind voller Gram,
Der Freund lässt nackt den schmutzbedeckten Leib,
Zieht an ein Löwenfell, läuft in die Wüste.

Da Enkidu des Schamasch Worte hörte,
Da ward besänftigt sein erzürntes Herz.
Nun, Hure, ich bestimme dir dein Schicksal,
Ich fluchte dir, doch nun will ich dich segnen!
Dich sollen lieben Fürst und Gouverneur,
Wer mit dir geht, soll sich den Schenkel streicheln,
Wer mit dir geht, soll seine Haare schütteln,
Der Krieger löse gern dir seinen Gürtel,
Man gebe Lapislazuli und Gold dir,
Man lege Ringe dir an deine Ohren,
Für dich gefüllt sei Herd und Vorratskammer,
Ins Brautgemach der Götter lege dich,
Die Ehefrau, von sieben Kindern Mutter,
Soll man verlassen, um mit dir zu leben!

Und Enkidus Gemüt war voller Gram,
Als er da lag in tiefer Einsamkeit.
Er sprach zum Freund und Bruder, wie's ihm ginge:
Mein Bruder, heute Nacht hab ich geträumt,
Der Himmel rief, die Erde gab ihm Antwort,
Und zwischen beiden stand ich einsam da.
Da kam ein Mann mit düsterem Gesicht,
Dem Anzu-Vogel glich sein Angesicht,
Wie eine Löwentatze seine Füße
Und scharf wie Adlerklauen seine Finger.
Er packte mich am Schopf, besiegte mich,
Ich schlug ihn, aber er sprang auf und ab
Dem Seil gleich, über welches Ischtar hüpft,
Dann schlug er mich und drückte mich zu Boden
Und trat auf mir herum gleich einem Wildstier
Und schlang die Arme mir um meinen Leib.
Da rief ich: Rette mich, mein Freund und Bruder,
Doch ach, du hast mir nicht mehr beigestanden,
Als wärest du voll Angst vorm Zorn der Götter!

In eine Taube hat er mich verwandelt,
Die Arme wurden mir zu Vogelflügeln.
Er führte mich zum Haus der Finsternis,
Er griff mich, brachte mich zum Haus Irkallas,
Man kommt nicht wieder, wenn man eingetreten,
Man geht die Straße ohne Wiederkehr,
Zum Haus, wo man auf Licht verzichten muss,
Wo Staub die Nahrung ist und Lehm die Speise,
Wo man wie Vögel Federkleider trägt,
Wo man das Licht nicht sieht, im Dunkeln sitzt,
Auf Tür und Riegel liegt der Staub der Erde.

Und da ich trat ins Haus des Erdenstaubs,
Am Boden lagen da die Königsmützen,
Die Fürsten auch, die Träger hoher Hüte,
Die seit der Vorzeit herrschten in den Ländern,
Die Könige, die Stellvertreter Gottes,
Sie tragen da herbei gebratnes Fleisch,
Gebäck und Schläuche auch voll kühlen Wassers.
Da wo ich eintrat in das Haus des Staubes,
Da wohnten Hohepriester, Ministranten,
Die Opferpriester und die Gottgeweihten,
Dort wohnten die Gesalbten unsres Gottes,
Etanna wohnte dort und Sumukan,
Ereschkigal, die Königin des Staubes,
Beth-Lesseri, die Schreiberin der Erde,
Die in der Hand die Tafel hielt und vorlas,
Die wandte sich und blickte groß mich an,
Da nahm sie mich hinweg aus diesem Leben.

Der mit mir durch die Erdenmühsal zog,
Gedenke an mein jahrelanges Wandern!
Der Freund sah einen Traum, der Unglück weissagt,
Der Tag, da er den Traum sah, war zuende,
Da liegt er einen Tag und einen zweiten,
Es hockt der Tod in Enkidus Gemach,
Den fünften, sechsten und den siebten Tag,
Den achten, neunten und den zehnten Tag,
Die Krankheit Enkidus ward immer schlimmer,
Er liegt den elften Tag, den zwölften Tag,
Da liegt er auf dem Krankenbett des Todes,
Da rief er Gilgamesch und sprach zu ihm:
Mein Freund, ein böser Fluch hat mich verwünscht,
Ich falle nicht, ich sterbe nicht im Krieg,
So sterb ich ruhmlos ohne Ruhmeskranz!
Mein Freund, wer in dem Krieg fällt, der ist selig,
Ich aber sterbe ruhmlos und verachtet!


ACHTER GESANG

Und also sagte König Gilgamesch:
Hätt ich die Trommel heute doch gelassen
Im Haus des Zimmermanns, im Haus des Tischlers,
Die Zimmermännin gleich wär meiner Mutter!
Die Tochter wäre meine junge Schwester!
Zur Erde nun die Trommel ist gefallen,
Die Trommelstöcke fielen auf die Erde.
Und Enkidu sprach dies zu Gilgamesch:
Mein Herr, was ist so traurig deine Seele?
Die Trommel hol ich aus dem Schoß der Erde,
Die Trommelstöcke aus der Unterwelt!
Und Gilgamesch sprach dies zu Enkidu:
Und willst du steigen in das Totenreich,
Dann nimm du meinen guten Ratschlag an:
Ein reines Kleid darfst du nicht tragen dort,
Sonst wissen sie, dass du ein Fremder bist,
Darfst dich mit gutem Salböl auch nicht salben,
Sonst kommen sie, sobald das Öl sie riechen.
Wirf auch das Wurfholz auf die Erde nicht,
Sonst kommen die vom Wurfholz sind erschlagen.
Du darfst auch keinen Stock mit Händen fassen,
Sonst zittern dort vor dir die Totengeister.
Du darfst nicht Schuhe tragen an den Füßen
Und darfst nicht lärmen in dem Totenreich,
Dein liebes Weib darfst du dort auch nicht küssen,
Dein liebes Kind darfst du dort auch nicht streicheln,
Dein liebes Kind darfst du dort auch nicht kosen,
Den bösen Sohn darfst du dort auch nicht schlagen,
Sonst wird der Erde Aufschrei dich ergreifen.
Und die dort ruht, die Mutter, die dort ruht,
Die weißen Schultern schimmern unverhüllt!

Den Rat seines Herrn nahm sich Enkidu nicht zu Herzen.
Er zog sich ein reines Gewand an —
Daß er dort ein Fremder war, stellten sie fest.
Mit gutem Öl aus der Büchse salbte er sich —
Sie scharten sich zu ihm, sobald sie es rochen!
Das Wurfholz warf er auf die Erde —
Da umringten sie ihn, die vom Wurfholz erschlagen!

Ihr bloßer Busen ist dort wie ein Becher! -
Den Rat nahm Enkidu sich nicht zu Herzen.
Ein reines Kleid er wollte tragen dort,
So wussten sie, dass er ein Fremder war,
Er wollte sich mit gutem Salböl salben,
So kamen sie, sobald das Öl sie rochen.
Er warf das Wurfholz auf die Erde doch,
So kamen die vom Holz erschlagen waren.
Er wollte einen Stock mit Händen fassen,
So zitterten vor ihm die Totengeister.
Er wollte Schuhe tragen an den Füßen
Und wollte lärmen in dem Totenreich,
Sein liebes Weib er wollte küssen dort,
Sein liebes Kind er wollte streicheln dort,
Sein liebes Kind er wollte kosen dort,
Den bösen Sohn er wollte schlagen dort,
So tat der Erde Aufschrei ihn ergreifen.
Und die dort ruht, die Mutter, die dort ruht,
Die weißen Schultern schimmern unverhüllt!
Ihr bloßer Busen ist dort wie ein Becher!
Da kehrte Enkidu nicht mehr zurück.
Nicht packten ihn Dämonen, nein, die Erde!
Nicht packte ihn der Teufel, nein, die Erde!
Nicht fiel im Krieg er, nein, die Erde griff ihn!
Und Gilgamesch ging fort und weinte sehr
Und ging zum Heiligtum des Gottes Enlil.

Zur Erde nun die Trommel ist gefallen,
Die Trommelstöcke fielen auf die Erde.
Und Enkidu gepackt ward von der Erde!
Nicht packten ihn Dämonen, nein, die Erde!
Nicht packte ihn der Teufel, nein, die Erde!
Nicht fiel im Krieg er, nein, die Erde griff ihn!
Die Gottheit Enlil aber sprach kein Wort.
Und Gilgamesch ging fort und weinte sehr
Und ging zum Heiligtum des Gottes Sin.

Zur Erde nun die Trommel ist gefallen,
Die Trommelstöcke fielen auf die Erde.
Und Enkidu gepackt ward von der Erde!
Nicht packten ihn Dämonen, nein, die Erde!
Nicht packte ihn der Teufel, nein, die Erde!
Nicht fiel im Krieg er, nein, die Erde griff ihn!
Die Gottheit Sin jedoch sprach nicht ein Wort.
Und Gilgamesch ging fort und weinte sehr
Und ging zum Heiligtum des Gottes Ea.

Zur Erde nun die Trommel ist gefallen,
Die Trommelstöcke fielen auf die Erde.
Und Enkidu gepackt ward von der Erde!
Nicht packten ihn Dämonen, nein, die Erde!
Nicht packte ihn der Teufel, nein, die Erde!
Nicht fiel im Krieg er, nein, die Erde griff ihn!
Kaum hatte Vater Ea dies vernommen,
Da sprach er zu dem Todesgotte Nergal:

O Nergal, Mann und Heros, hör mich an,
O mögest du ein Loch der Erde auftun,
Dass Enkidu dem Loch entsteigen kann,
Dass er dem Bruder nenn der Erde Ordnung!

Und Nergal, Mann und Heros, er gehorchte
Und hatte kaum ein Erdloch aufgetan,
Als Enkidu als Geist entstieg der Erde.
Und da umarmten sich die beiden Freunde
Und setzten sich gemütlich auf die Wiese.

O sage mir, mein Freund, o sag, mein Bruder,
Und nenne mir die Ordnung dieser Erde!

Ich sags dir nicht, mein Freund, ich sags dir nicht,
Denn wenn du dieser Erde Ordnung schautest,
Du würdest legen dich und bitter weinen!

So will ich legen mich und bitter weinen!

Den Leib, den frohen Herzens du berührtest,
Frisst Ungeziefer wie ein altes Kleid!
Mein Leib, den frohen Herzens du berührtest,
Ist wie ein Grabesloch voll Staub und Kot!

Und Gilgamesch im Staube sitzen,
Er sprach zu Enkidu: Ah weh mir, wehe!
Der einen Sohn gezeugt hat, sahst du den?
Sprach Enkidu: Ich sah ihn und er heulte!

Sahst du auch den, der Zwillinge gezeugt? -
Ich sah ihn und er knirschte mit den Zähnen!

Den Vater dreier Söhne, sahst du ihn? -
Er heulte und er knirschte mit den Zähnen!

Den Einsamen, der keinen Erben hat,
Hast du gesehen ihn im Totenreich? -
Er aß gleich einem Arbeitssklaven Brot,
War wie ein schöner Gottes-Talisman!

Die Jungfrau, sahst du sie, die stets blieb Jungfrau? -
Ich sah die Frau, die keinen Mann ergötzte,
Gleich einem Becher lag sie auf der Erde.

Den Jüngling, der noch keine Frau entblößte,
Der nie ein schönes Weibchen ausgezogen,
Hast du gesehen ihn im Totenreich? -
Ich sah ihn und er hing an einem Strick,
Erhängte sich, beweinte seinen Tod!

Das junge Weib, das keinen Mann entblößt,
Das Weib, das keinen Mann je ausgezogen,
Hast du gesehen sie im Totenreich? -
Ich sah sie und sie lag auf einem Bett,
Benetzte dieses Bett mit heißen Tränen!

Der jungen Mann, der selber sich ermordet,
Hast du gesehen ihn im Totenreich? -
Ich sah ihn und er schrie nach seiner Mutter!

Die Frau, die eines frühen Todes starb,
Hast du gesehen sie im Totenreich? -
Sie lag auf einem Bette, Rauschtrank trinkend!

Die Krieger, die gestorben sind im Krieg,
Hast du gesehen sie im Totenreich?
Ja, ihre Mütter hielten ihre Köpfe
In ihren Schößen und beweinten sie!

Der, dessen Herz auf Erden nicht geliebt ward,
Hast du gesehen ihn im Totenreich? -
Er trinkt vom Opferwein, er isst vom Manna!


NEUNTER GESANG

Kaum dass ein erster Morgenschimmer glühte,
Sprach Gilgamesch zu seinem Freund und Bruder:
Mein Bruder, deine Mutter, die Gazelle,
Dein Vater zeugte dich, der wilde Esel,
Vier Eselinnen zogen dich mit Milch auf,
Die Tiere zeigten alle Weiden dir.

Und Enkidu ging bis zum Zedernwald,
Die Wälder mögen lauthals dich beweinen,
Und weinen sollen auch die alten Leute,
Das Volk, nach deinem Tode betend, weine,
Und weinen soll auch des Gebirges Mann!

In tiefer Trauer lege ich mich hin.
Die Aue soll wie deine Mutter klagen,
Und klagen möge Wald, Zypresse, Zeder,
Die wir verwüsteten in unsrer Wut,
Und weinen möge Bär, Hyäne, Tiger,
Und weinen möge Hirsch und Stier und Panther,
Und weinen soll der Löwe und der Steinbock,
Und weinen soll der Fluss, an dem wir gingen!
Laut weinen soll der breite Euphratstrom,
An dem wir opferten das reine Wasser,
Und weinen möge über dich das Volk,
Die Männer auch, die wir im Kampfe sahen,
Als wir vereint den Himmelsstier getötet,
Und weinen soll der Landmann und der Löwe,
Der Landmann, der besang dich schön in Liedern,
Und weinen möge über dich der Dichter,
Der deinen Namen zu den Sternen hob!
Und weinen möge über dich der Hirte,
Der Bier und Butter schuf für deinen Mund,
Und weinen möge über dich der Bauer,
Der gute Butter schmierte auf dein Brot,
Und weinen möge über dich der Bauer,
Der süßes Bier gemacht für deinen Mund,
Und weinen möge über dich die Hure,
Du salbtest dich, das hat ihr gut gefallen,
Und weinen möge über dich die Dirnen,
Im Sippenhaus gabst du ihr einen Ring,
Und weinen mögen über dich die Brüder
Und weinen mögen über dich die Schwestern,
Und weinen mögen laut die Klagepriester,
Bereit, sich ihre Haare auszuraufen,
Im Steppenlande weidet deine Mutter,
Ach Enkidu, ich weine wegen dir!

So hört mich ruhig an, ihr alten Leute,
Ich wein um Enkidu, um meinen Freund,
Ich klage jammernd wie die Klageweiber!
Du Axt an meiner Seite, so verlässlich,
Du Schwert an meinem Gürtel, du mein Schild,
Mein Festgewand, du Gürtel meiner Kraft,
Ein böser Dämon nahm mir meinen Freund!
Du wilder Esel des Gebirgs, du Wildstier,
Du schwarzer Panther in der weiten Steppe!
Nachdem zusammen wir den Berg erstiegen,
Da haben wir den Himmelsstier getötet,
Da haben wir den Chumbaba getötet!

Was hat dich denn nun für ein Schlaf befallen?
Du wurdest dunkel. Hörst du mich nicht mehr?

Und Enkidu schlägt nicht die Augen auf,
Und Gilgamesch des Bruders Herz befühlte,
Da schlug des toten Freundes Herz nicht mehr.
Und er verhüllte seinem Freund und Bruder
Gleich einer keuschen Braut das Angesicht,
Und Gilgamesch sprang auf, dem Adler gleich,
Wie eine Löwin, die beraubt der Jungen.
Er wandte vorwärts sich und wieder rückwärts
Er raufte sich das Haar, die Locken schüttelnd,
Zerriss sein Kleid und warf es ab wie Lumpen.

Kaum dass des Morgens erster Schimmer glühte,
Ließ Gilgamesch den lauten Ruf ergehen:
Steinschleifer, Goldschmied, Schmied und Ziseleur,
Du bilde meinem toten Freund ein Denkmal!
Da schuf der Schmied das Bildnis seines Freundes,
Die Glieder machte er von reinem Gold,
Von Lapislazuli des Bruders Brust.

Ich lasse ruhen dich auf weichem Bett,
Auf einem Ehrenlager sollst du liegen,
Auf deinem Friedensthron zu meiner Rechten,
Die Fürsten sollen dir die Füße küssen.

Und weinen soll um dich das Volk und klagen,
Die Edlen fülle ich mit Gram um dich,
Ich selbst lass meinen Körper schmutzbedeckt,
Zieh an das Löwenfell, lauf in die Wüste.

Kaum dass des Morgens erster Schimmer glühte,
Das ward ein großer Tisch hinausgetragen,
Von Karneol der Krug gefüllt mit Honig,
Von Lapislazuli der Topf voll Butter.
Und Opfergaben brachte er dem Gott,
Ließ Schamasch seine Opfergabe sehen.


ZEHNTER GESANG

Und Gilgamesch um seinen Enkidu
Voll Trauer war und eilte in die Steppe.
Und sterbe ich, bin ich nicht ebenso?

Und Kummer zog in seine Seele ein,
Da überkam ihn kalte Todesangst.
Nun laufe ich herum in dieser Steppe,
Utnapischtim will ich besuchen, will
Zum Sohn Ubara-Tutus, zieh den Weg,
Und werde eilig meine Straße ziehn.

Zum Bergespass gelangte ich des Nachts,
Da sah ich Löwen und ich hatte Angst,
Ich hob mein Haupt und betete zum Mondgott,
Und an die großen Götter ging mein Flehn:
O rettet mich aus schrecklicher Gefahr!
Nachts schlief er ein, vom Traum erwachte er,
Und wieder freute er sich seines Lebens.
Er nahm die scharfe Axt an seine Seite
Und zog das scharfe Schwert aus seinem Gürtel.
Und wie ein Pfeil er stürzte auf die Löwen,
Hieb auf sie ein, zerstreute sie ins Weite.

Zu einem Berg kam König Gilgamesch,
Des Berges Name war im Lande Maschu.
Und als er zu dem Berge war gelangt,
Die täglich Einzug hüteten und Auszug
Und über die der Himmel nur herausragt
Und deren Brust streift an den Höllenabgrund,
Skorpione hatten dort am Bergtor Wacht,
Die furchtbar waren, deren Anblick tödlich,
Ihr Schreckensglanz die Berge übergoss,
Den Aufgang und den Untergang der Sonne
Bewachten sie, und die sah Gilgamesch,
Mit Furcht und Schrecken deckte er sein Antlitz,
Er fasste sich und neigte sich vor ihnen.

Und der Skorpionmann rief zu seinem Weibchen:
Der heute kam, sein Leib ist Gottes Fleisch!

Und das Skorpionweib gab darauf die Antwort:
Zwei Drittel Gott, ein Drittel Mensch ist er!

Und der Skorpionmann rief zu Gilgamesch,
Zum Göttersprößling sagte er die Worte:
Warum bist du so fernen Weg gezogen
Und kamst hierher, vor mich und meine Frau,
Und überquertest mühsam breite Ströme?
Gern wüsste ich, worum es dir denn geht.

Und Gilgamesch gab Antwort den Skorpionen:
Utnapischtim will sehen ich, den Ahnen.
Der unter Göttern lebt des Lebens Fülle,
Ihn möchte ich nach Tod und Leben fragen.

Und der Skorpionmann sprach zu Gilgamesch:
Nicht gibt es Menschen, die ihn finden können.
Des Berges Innere ward nie durchschritten,
Auf vierundzwanzig Stunden ist es finster,
Tief ist die Finsternis, da ist kein Licht,
Zum Sonnenaufgang lenkt sich dann der Weg,
Zum Sonnenaufgang östlich vom Gebirge.

Und voller Leid, in Schnee und Sonnenhitze,
Und voller Jammerklagen ist der Weg!

Und der Skorpionmann sprach zu Gilgamesch:
Doch zieh du hin und fürchte dich nur nicht,
Den Berg von Maschu gebe ich dir frei,
Durchschreite das Gebirge nur getrost,
Heil mögen heim dich deine Füße tragen!

Kaum hatte Gilgamesch dies Wort gehört,
Als er die Weisung des Skorpions befolgte,
Trat in den Berg ein auf dem Weg der Sonne.

Kaum war er eine Stunde weit gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die zweite Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die dritte Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die vierte Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die fünfte Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die sechste Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die siebte Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die achte Stunde er gegangen,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die neunte Stunde er gegangen,
Da spürte er bereits den Nordwind wehen,
Da lächelte voll Hoffnung sein Gesicht,
Tief war die Finsternis, kein Licht war da,
Er konnte sehen nicht, was hinten lag.

Kaum war die zehnte Stunde er gegangen,
Da war schon nah der Ausgang aus dem Berge.

Kaum war die elfte Stunde er gegangen,
Kommt aus dem Berge er mit Sonnenaufgang.

Kaum war die zwölfte Stunde er gegangen,
Da herrschte schon die Helligkeit des Tages.
Die Bäume waren dort aus Edelsteinen,
Der Baum trug seine Frucht aus Karneol,
Dort hingen Jaspis-Trauben, schön zu schauen,
Die Blüten waren Lapislazuli,
Die Frucht war aus Rubin, schön anzuschauen.



ELFTER GESANG

Siduri war die Wirtin in der Schenke,
In Meeres-Abgeschiedenheit zuhause,
Dort wohnte sie und hatte einen Krug,
Sie hatte einen großen goldnen Bottich,
Mit feinsten Hüllen war sie hübsch verschleiert.

Und Gilgamesch, umher getrieben, kam,
Mit einem Löwenfell war er bekleidet,
Das Götterfleisch aß er wie weißes Brot,
Doch Gram und Kummer war in seiner Seele,
Sein Antlitz glich dem Pilger langer Wege.

Siduri schaute in die Ferne aus,
Sie sprach zu ihrem Herzen diese Worte,
Siduri so ging mit sich selbst zu Rate:
Vielleicht ist dieser Mann ein böser Mörder,
Denn irgendwo ist seines Weges Ziel.
Siduri also schloss die Türe zu,
Verriegelte die Pforte mit dem Riegel.

Und Gilgamesch vernahm Siduris Stimme,
Er richtete den Blick auf sie und sprach,
Und Gilgamesch sprach also zu Siduri:
Warum hast du die Tür verschlossen, Wirtin,
Verriegeltest die Pforte mit dem Riegel?
Die Tür zerschlage ich, zerbrech den Riegel!

Er hüllte sich ins Löwenfell und fraß
Das rohe Fleisch. Doch in die Brunnen wird
Siduris Wind die Wasser wieder treiben.

Gott Schamasch wurde traurig, trat zu ihm,
Er sprach zu Gilgamesch betrübt dies Wort?
O König Gilgamesch, wohin denn willst du?
Das wahre Leben, welches ewig währt,
Das wirst du ganz gewiss nicht finden, Sohn.

Da sagte Gilgamesch zum Helden Schamasch:
Ach Schamasch, all dies Laufen, all dies Rennen,
Und nirgends in der Welt ein Ort der Ruhe!
Ich habe meine Lebenszeit verschlafen!
Mein Auge möchte doch die Sonne sehen,
Um satt zu werden an dem Licht des Himmels!
Wenn fern die Finsternis, ist Lichtglanz da!
Ein Toter kann den Sonnenschein nicht sehen!

Und Gilgamesch sprach also zu Siduri,
Getötet habe ich den Himmelsstier,
Des Waldes Wächter hab ich auch erschlagen,
Ich brachte um den Riesen Chumbaba,
Der wohnte in dem dunklen Zedernwad.
Ich tötete in dem Gebirg die Löwen,
Getötet habe ich den Himmelsstier.
Siduri aber sprach zu Gilgamesch:
Warum sind deine Wangen welk geworden,
Warum ist so gebeugt dein Angesicht,
Warum ist deine Seele ohne Freude,
Warum ist solch ein Gram in deinem Geist?
Dein Antlitz gleicht dem Pilger ferner Wege,
Von Regenfeuchtigkeit ist nass dein Antlitz,
Dein Angesicht verzehrt von Sonnenhitze,
Du wanderst wie ein Löwe durch die Wüste.

Und Gilgamesch sprach also zu Siduri:
Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Tal der Tränen zog,
Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Jammertal gezogen,
Er ging zu dem Bestimmungsort der Menschheit.

Ich habe Tag und Nacht um ihn geweint,
Ich wollt nicht, dass man ihn im Grab begräbt,
Er möge auferstehen von den Toten
Auf meine schreienden Gebete hin!
Sechs Tage aber, sieben Nächte aber,
Die Würmer fraßen seinen schönen Körper!
Er ist dahin! Ich find das Leben nicht!
Ich irre wie ein Räuber durch die Wüste.

Siduri, nun ich hab gesehn dein Antlitz,
O möchte ich den Tod doch nicht erblicken!

Siduri also sprach zu Gilgamesch:
O Gilgamesch, wohin denn willst du gehen?
Das wahre Leben wirst du doch nicht finden.
Als einst der Göttliche die Menschheit schuf,
Da ward der Menschheit zugeteilt der Tod.
Die Menschen nahmen in die Hand das Leben.
Auf, Gilgamesch, und fülle deinen Magen,
Ergötze dich am Leben Tag und Nacht,
Du feire jeden Tag ein Freudenfest,
Du singe, musiziere Tag und Nacht,
Dein Kleid sei sauber und dein Haar gesalbt,
Nimm jeden Tag ein Bad in reinem Wasser,
Nimm deinen kleinen Knaben an die Hand,
Freu immer dich an deiner Gattin Vulva!
Das ists, was Gott dem enschen zugemessen.

Und Gilgamesch sprach also zu Siduri:
Utnapischtim, wie ist der Weg zu ihm?
Woran erkenn ich ihn? Das sage mir.
Wenns möglich ist, will ich das Meer befahren,
Wenns möglich ist, so geh ich durch die Steppe.

Was sagst du mir, berauschende Siduri?
Um meinen Freund ist mir das Herz bekümmert.
Was sagst du mir, liebreizende Siduri?
Um meinen Freund ist mir das Herz bekümmert.
Du wohnst am Meeresufer, meine Wirtin,
Du weißt Bescheid, dein Geist erfasst ja alles!
Wohin ich gehen soll, den Weg mir weise!
Wenns möglich ist, so geh ich übers Meer!

Siduri also sprach zu Gilgamesch:
Da gibt es keine Furt des Übergangs,
Es kann doch keiner wandeln übers Meer.
Nur Gott der Herr kann wandeln auf dem Wasser!
Voll Mühe ist der Weg zur andren Seite,
Dazwischen liegt das große Meer des Todes,
Das ist das unzugängliche Gewässer.
Vielleicht bist du schon auf dem Meer gegangen,
Was aber willst du tun am Todesmeer?
Da aber ist der Bootsmann Urschanabi,
Steinfische fischt er aus dem Todesmeer,
Du geh zu ihm, dass er dein Antlitz schaue,
Wenns möglich ist, dann fahre du mit ihm,
Doch ists nicht möglich, weiche hinter dich!

Kaum hatte Gilgamesch gehört dies Wort,
Da nahm er seine Axt in seine Hand,
Da zückte er das Schwert an seiner Hüfte,
Im Walde ließ er seine Stimme dröhnen,
Es sah ihn Urnaschabi heller Augen,
Er hörte seine Axt und lief hinzu,
Er packte seine Hand und hielt ihn fest.

Da kehrte Gilgamesch am Ufer um,
Und Urnaschabi sah ihm in die Augen.

Und Urnaschabi sprach zu Gilgamesch:
Wer du mit Namen bist, das sage mir!
Ich, Urnaschabi, dien Utnapischtim.

Und Gilgamesch sprach dies zu Urnaschabi:
Mein Name ist der König Gilgamesch,
Ich komm aus Uruk, aus dem Haus des Anu,
Ich bin umhergegangen im Gebirge,
Ging ferne Wege, ging den Pfad der Sonne,
Nun, Urnaschabi, hab ich dich gesehen,
Zeig mir den fernen Mann Utnapischtim!

Und Urnaschabi sprach zu Gilgamesch:

Wenn ich dir zeig den Mann Utnapischtim,
So musst du mit mir dies mein Boot besteigen,
Ich bin bereit, dich zu ihm hinzubringen. -
Gemeinsam nun berieten sich die beiden,
Und Gilgamesch sprach Worte zu dem Bootsmann.

Und Urnaschabi sprach zu Gilgamesch:
Warum sind deine Wangen welk geworden,
Warum ist so gebeugt dein Angesicht,
Warum ist solch ein Gram in deinem Herzen,
Warum in deiner Seele solche Schwermut?
Dein Antlitz gleicht dem Pilger ferner Wege,
Von Regenfeuchtigkeit ist feucht dein Antlitz
Und dein Gesicht verzehrt von Sonnenhitze,
Und du läufst wie ein Löwe durch die Steppe.

Und Gilgamesch sprach dies zu Urnaschabi:
Was sollen nicht verwelkt sein meine Wangen,
Was soll nicht so gebeugt sein mein Gesicht,
Was soll ich denn nicht Gram im Herzen tragen,
Der Seele Trübsal und des Geistes Schwermut?
Was soll ich gleichen denn nicht einem Pilger,
Das Antlitz nass von Regenfeuchtigkeit,
Das Antlitz abgezehrt von Sonnenhitze?
Was soll ich denn nicht durch die Wüste irren?

Mein Freund, das Maultier, dieser wilde Esel,
Der schwarze Panther in dem Steppenland,
Mein Freund, das Maultier, dieser wilde Esel,
Der schwarze Panther in dem Steppenland,
Nachdem zusammen wir den Berg erstiegen,
Nachdem wir töteten den Himmelsstier
Und töteten den Riesen Chumbaba
Und töteten die Löwen im Gebirge,

Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Tal der Tränen zog,
Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Jammertal gezogen,
Der ist nun am Bestimmungsort der Menschheit!

Sechs Tage weinte ich und sieben Nächte
Und wollt nicht, dass man ihn im Grab begrabe,
Wo Würmer fressen seinen schönen Körper.

Mir graute vor des Freundes Leichenblässe,
Und ich erschrak vorm Tod und lief davon.
Des Freundes Seele lastet jetzt auf mir,
So lief ich ferne Wege durch die Wüste.
Des Freundes Seele lastet jetzt auf mir,
So lief ich ferne Wege durch die Wüste.

Wie sollt ich stumm denn bleiben und verschwiegen?
Mein Freund, den ich geliebt, er ward zu Staub!
Mein Enkidu, den ich geliebt, ward Staub!
Und werde ich mich wie mein Bruder betten
Und nimmer auferstehn in Ewigkeit?

Und Gilgamesch sprach dies zu Urschanabi:
Wo ist der Weg nun zu Utnapischtim?
Woran erkenn ich ihn? Das sage mir.
Wenns möglich ist, will ich das Meer befahren,
Wenn es unmöglich, geh ich durch die Wüste.

Und Urschanabi sprach zu Gilgamesch:
Steinfische werden mich hinüberbringen,
Dass ich berühre nicht das Todeswasser.
Die Überfahrt nur hemmen deine Hände,
Denn du zerschlugst die Steinernen, die Fische.
Nun, wo die Steinernen zerschlagen sind,
Nimm deine scharfe Axt in deine Hand,
Wohlan, und gehe wieder in den Wald,
Und hundertzwanzig Stangen schneide dir,
Und schäle sie, bring Ruderblätter an,
Die sollst du zu mir bringen, Gilgamesch.

Kaum hatte Gilgamesch dies Wort gehört,
Nahm er die scharfe Axt in seine Hand,
Dann ging er in den dunklen Wald hinein,
Und hundertzwanzig Stangen schnitt er sich,
Sie schälend, brachte Ruderblätter an,
Und brachte alles dies zu Urschanabi.

Und beide nun das neue Schiff bestiegen,
Sie ruderten und fuhren so dahin.
Ein Weg von einem Mond und vierzehn Tagen
War schon am dritten Tag zurückgelegt,
So also kamen sie zum Todeswasser.

Und Urschanabi sprach zu Gilgamesch:
Halt dich zurück und nimm dir eine Stange,
Das Todeswasser darfst du nicht berühren,
Nimm eine zweite, dritte, vierte Stange,
Nimm eine fünfte, sechste, siebte Stange,
Nimm eine achte, neunte, zehnte Stange,
Nimm eine elfte, eine zwölfte Stange! -
Und Gilgamesch verbrauchte alle Stangen.

Und Gilgamesch nun seinen Gürtel löste,
Er riss die Kleidung sich vom Leib
Und hisste sie als Segel an dem Mast.

Utnapischtim sah in die Ferne aus,
Er sprach zu seinem Herzen diese Worte,
Mit seiner Seele ging er selbst zu Rate:
Warum sind denn die Steinernen zerschlagen?
Und wer fährt unberechtigt dort im Schiff?
Der, der da kommt, ist keiner von den Meinen.

Was denn begehrt von mir nur seine Seele?

Utnapischtim sprach dies zu Gilgamesch:
Warum sind so verwelkt denn deine Wangen
Und was ist so gebeugt dein Angesicht,
Warum ist voller Kummer deine Seele,
Dein Herz voll Schwermut und dein Geist voll Gram?
Dein Antlitz gleicht dem Pilger ferner Wege,
Von Regenfeuchtigkeit ist nass dein Antlitz,
Dein Angesicht versengt von Sonnenhitze,
Und wie ein Löwe irrst du in der Steppe.

Und Gilgamesch sprach zu Utnapischtim:
Was sollen meine Wangen denn nicht welk sein,
Was soll mein Angesicht denn nicht gebeugt sein,
Was soll mein Herz nicht voller Kummer sein,
Schwermütig meine Seele, trüb mein Geist?
Mein Antlitz gleicht dem Pilger ferner Wege,
Von Regenfeuchtigkeit ist nass mein Antlitz,
Mein Angesicht versengt von Sonnenhitze,
Und wie ein Löwe irr ich durch die Steppe.

Mein Freund, das Maultier, dieser wilde Esel,
Der schwarze Panther in dem Steppenland,
Mein Freund, das Maultier, dieser wilde Esel,
Der schwarze Panther in dem Steppenland,
Nachdem gemeinsam wir den Berg bestiegen,
Nachdem wir töteten den Himmelsstier
Und töteten den Riesen Chumbaba
Und töteten in dem Gebirg die Löwen,

Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Tal der Tränen zog,
Der, den ich über alle Maßen liebte,
Der mit mir durch das Jammertal gezogen,
Er ist nun am Bestimmungsort der Menschheit!

Sechs Tage weinte ich und sieben Nächte
Und wollt nicht, dass man ihn im Grab begrabe,
Dass Würmer fressen seinen schönen Körper!
Mir graute vor des Freundes Leichenblässe,
Und ich erschrak vorm Tod, lief in die Wüste.
Des Freundes Seele lastet nun auf mir,
So geh ich ferne Wege in die Wüste.
Des Freundes Seele lastet nun auf mir,
So geh ich ferne Wege in die Wüste.

Wie sollt ich stumm denn bleiben und verschwiegen?
Mein Freund, den ich geliebt, er ward zu Staub!
Mein Enkidu, den ich geliebt, ward Staub!
Und werde ich mich wie mein Bruder betten
Und nimmer auferstehn in Ewigkeit?

Und Gilgamesch sprach zu Utnapischtim:
Auf dass ich käme zu Utnapischtim,
Den Fernen treffe und den Fernen sehe,
Durchirrte wandernd ich die Länder alle
Und überschritt die vielen hohen Berge
Und fuhr im Boote über alle Meere,
Erquickte sich mein Antlitz nicht am Schlummer,
Ich kränkte meine Seele selbst durch Wachen,
Und meine Adern füllte ich mit Schwermut,
Doch was gewann ich so zum wahren Leben?
Da ich noch nicht gelangt zum Haus Siduris,
War meine Kleidung doch schon abgenutzt,
Ich schlug Hyänen, Bären, Löwen, Tiger,
Steinböcke schlug ich, Hirsche und Gazellen,
Ich aß ihr Fleisch und zog an ihre Felle.
Verriegeln möge man das Tor der Klage,
Mit Pech und Asphalt soll man es verschließen.
Weil mich mit Liebesspiel nicht liebt Siduri,
Reißt mich, den Elenden, aus diesem Leben!

Utnapischtim sprach dies zu Gilgamesch:
Warum vermehrst du doch die Weheklage,
Der du aus Fleisch von Gott und Mensch gebildet,
Der du dem Vater gleichst und deiner Mutter?
Bist du denn irgendwann ein Narr gewesen?
Dem König stellte man den Thronstuhl auf,
Dem Narren aber gibt man Bier statt Butter,
Man gibt ihm altes Brot, der Mäuse Brot!
Der Narr trägt Lumpen statt des weißen Linnens,
Und statt des Gürtels trägt er einen Strick.
Weil er nicht hat auf Gottes Wort gehört
Und auf den Rat der Alten der Versammlung,
'Hab Mitleid mit dem Narren, Gilgamesch!

O Mondes Finsternis! Die Götter wachen!
Die Götter ohne Ruhe sind am Werk!
Seit jeher ist vorhanden Gottes Macht!
Bemühe dich und hilf den armen Seelen!

Gott führte deinen Freund zu seinem Schicksal.
Was schläfst du nicht? Was hast du denn davon?
Da du nicht schläfst, so seufzt du voller Sehnsucht,
Mit Wein der Schwermut füllst du deine Adern!

Du bringe deine Jugend, die schon fern ist,
Du hole deine Lebenszeit zurück!
Die Menschen, deren Kinder müssen sterben,
Den weisen ann, das schöne junge Mädchen,
Sie alle nimmt der ernste Tod hinweg.
Will jemand sehen denn des Todes Antlitz,
Will einer hören auch des Todes Ruf?
Es ist der Tod, der alle Menschen abmäht!
Zuerst errichtet man ein großes Haus,
Dann schreibt im Alter man ein Testament,
Dann teilen Brüder sich das Erbe auf,
Dann herrscht der Hass im Lande unter Brüdern!
Die Flut treibt fort den angeschwollnen Fluss,
Flußabwärts taumeln die Libellen fort.
Ein Angesicht, das stets die Sonne sieht,
Das gibt es nicht auf Erden, Gilgamesch.

Der Flüchtling und der Tote gleichen sich.
Das Bild des Todes ist nicht schön gemalt.
O Mensch! O Mann! Seit Enlil segnete,
Versammelt sind die Götter in den Himmeln,
Und Mammetum, des Schicksals große Göttin,
Bestimmt genau das Schicksal jedes Menschen,
Die Götter teilen Tod und Leben zu,
Des Todes Stunde ist uns nicht bekannt.


ZWÖLTER GESANG

Und Gilgamesch sprach zu Utnapischtim:
Schau ich auf dich, Utnapischtim, du Ferner,
Sind deine Maße gleich wie meine Maße,
Du bist nicht anders, sondern bist wie ich.
Ich möchte herzlich gerne mit dir kämpfen,
Untätig bleiben aber meine Arme.
Nun sag: Wie kamst du in die Schar der Götter,
Wie fandest du des Lebens Ewigkeit?

Utnapischtim sprach dies zu Gilgamesch:
Ich will dir ein Verborgenes eröffnen,
Das göttliche Geheimnis will ich künden.
Du kennst die Stadt, die Schuruppak geheißen,
Du kennst die Stadt, die liegt am Euphrat-Ufer,
Die Stadt war alt, die Götter waren nah.
Doch da entbrannt das Herz der großen Götter,
Die Sintflut zu bereiten dieser Welt.
Da schwor der Vater Anu, Gott des Himmels,
Und Enlil auch, der Held, gab seinen Rat,
Ninurta, der Minister, schwor den Eid,
Und Ennugi, der Deichgraf, schwor den Eid,
Ninschiku-Ea hatte es geschworen,
Und ihre Worte wurden aufgeschrieben.

O Haus aus Schilfrohr, höre, Mauer, höre,
O Haus aus Rohr, begreife, Wand, begreife!
O Mann der Stadt, du Sohn Ubara-Tutus,
Reiß ab das Haus und baue dir ein Schiff,
Lass fahren Reichtum, jag dem Leben nach,
Besitz gib auf, dafür epfange Leben,
Beseelten Samen trage in das Schiff!
Die Arche, welche du erbauen sollst,
Die Maße sollen abgemessen sein,
Gemessen sei die Breite gleich der Länge,
Und wie das Süßmeer soll ein Dach sie haben.

Ich hörte es und sprach zum Gotte Ea:

Die Weisung, Meister, die du mir gegeben,
Ich achte drauf und werde danach tun.
Was aber sage ich der Stadt, den Bürgern?

Und Ea sprach darauf zu seinem Knecht:

Du Mann sollst zu den Bürgern also reden:
Mir scheint, dass Gott nichts von mir wissen will,
Ich darf nicht mehr an eurem Orte wohnen,
Darf auf den Boden meinen Fuß nicht setzen,
So will ich steigen nieder zu dem Süßmeer,
Dort werde ich mit meiner Gottheit leben.
Auf euch lässt Gott dann regnen Überfluss,
Das Fleisch der Vögel, Eier auch der Fische,
Er will euch schenken eine reiche Ernte,
Am Morgen wird es Entenküken regnen,
Am Abend wird es goldnes Manna regnen!

Kaum dass des Morgens erste Schimmer glühte,
Versammelte sich zu mir die Gemeinde.
Der Zimmermann mir brachte harte Pfosten,
Bootsbauern brachten mir die Eisenklammern.
Die Männer wussten nicht von dem Geheimnis.
Ein Knabe trug herbei das schwarze Pech,
Die Armen brachten den Bedarf herbei.

Am fünften Tage ich entwarf das Äußre,
Die Bodenfläche war ein großes Feld,
Hoch hundertzwanzig Ellen seine Wände,
Und hundertzwanzig Ellen seine Decke.

Der Arche Aufriss ich entwarf genau,
Sechs Böden zog ich in die Arche ein,
In sechs Geschosse teilte ich sie ein.

Das Fundament ich teilte neunfach ein.
Und Pflöcke schlug ich in der Mitte ein.

Für Stangen sorgte ich und für Bedarf,
Sechs Tonnen Erdpech kochte ich im Ofen,
Korbträger waren da, das Öl zu tragen,
Das Öl, das man verbrauchte mit dem Backmehl,
Zwei Fässer Öl, die speicherte der Schiffsmann.

Und Rinder brachte ich als Proviant,
Und Lämmer brachte ich als Proviant,
Und süßes Bier und Most und roten Wein,
Und Suppen tranken sie als sei es Wasser,
Sie feierten ein Fest wie sonst zu Neujahr.
Bei Sonnenaufgang tat ich noch das Letzte,
Bei Sonnenuntergang war alles fertig.

Sehr schwierig war die Arbeit, immer neue
Stützhölzer bracht ich oben an und unten,
Bis richtig schwamm die Arche auf dem Wasser.

Und was ich alles hatte, lud ich ein,
Was ich besaß an Silber, lud ich ein,
Was ich besaß an Gold, das lud ich ein,
Was ich besaß an Samen, lud ich ein,
Die Hausgenossen lud ich ein, die Sippe,
Das Wild des Feldes, das Getier des Feldes,
Und alle Meistersöhne lud ich ein.

Den Zeitpunkt hatte Schamasch mir genannt.

Am Morgen lass ichs Entenküken regnen,
Am Abend lass ichs goldnes Manna regnen,
Dann steige in die Arche, schließ die Tür.

Der Zeitpunkt kam heran, den Gott genannt,
Am Morgen ließ er's Entenküken regnen,
Am Abend ließ er's goldnes Manna regnen,
Das Angesicht des Wetters sah ich an,
Des Wetters Angesicht war fürchterlich.

Da stieg ich in die Arche, schloss die Tür.
Dem Pusur-Amurri, der diese Arche
Verpichte, übergab ich meine Habe.

Kaum dass des Morgens erster Schimmer glühte,
Stieg schon vom Himmel auf die schwarze Wolke.
Und in der Wolke donnerte der Gott.
Und vor dem Donner zogen her die Blitze.
Die Blitze zogen über Berg und Land.
Ninurta ließ die Wasserbecken strömen.
Die Himmelsgötter hoben ihre Fackeln,
Mit ihrem Schein die Länder zu entflammen.
Die Himmel überfiel Beklommenheit,
Die Helligkeit verwandelt ward in Dunkel.
Das weite Land zerbrach so wie ein Topf.

Und einen Tag lang wehte heiß der Südsturm,
Blies drein und tauchte das Gebirg ins Wasser,
Und überkam die Menschen wie ein Krieg.
Kein Mensch sah einen andern Menschen mehr,
Im Regen unerkennbar all die Menschen.

Die Götter selbst erschraken vor der Sintflut,
Und sie entwichen in des Vaters Himmel.
Die Götter lagen draußen wie die Hunde.
Und Ishtar schrie wie eine Frau in Wehen,
Der Götter Herrin klagt mit schöner Stimme:

Wär jener Tag doch nur zu Staub geworden,
Da Schlimmes ich geboten hab den Göttern!
Wie konnt den Göttern Schlimmes ich gebieten,
Die Kriege zur Vernichtung meiner Menschen?
Denn erst gebäre ich die lieben Menschen
Und dann ertrinken sie im Meer der Fische!

Die Himmelsgötter klagten mit der Göttin,
Die Himmelsgötter saßen da und weinten,
Die trocknen Lippen tranken keinen Rauschtrank.

Sechs Tage aber, sieben Nächte aber
Die Winde bliesen, flutete die Sintflut
Und ebnet der Orkan die Länder ein.

Und als der siebte Tag herbei gekommen,
Schlug der Orkan die Sintflut plötzlich nieder,
Nachdem sie schrie wie eine Frau in Wehen,
Ward still und ruhig nun das große Meer.
Der böse Sturm war aus und aus die Sintflut.

Da hielt ich einen Tag lang ringsum Ausschau,
Da war nur tiefes Schweigen auf der Erde.
Die Menschen waren ganz zu Staub geworden.
Gleichmäßig wie ein Dach lag da die Aue.
Ich tat die Luke auf und sah die Sonne,
Da kniet ich nieder auf dem Boden, weinend,
Und über meine Wangen strömten Tränen.

Im Meere hielt ich Ausschau nach dem Ufer,
In hundertvierundvierzig Ellen Ferne
Stieg eine Insel aus dem großen Meer,
Zum Berge Nissir trieb heran die Arche.

Der Berg hielt fest die Arche, die nicht schwankte,
Und einen Tag und einen zweiten Tag
Der Berg hielt fest die Arche, die nicht schwankte,
Den dritten Tag und auch den vierten Tag
Der Berg hielt fest die Arche, die nicht schwankte,
Den fünften Tag und auch den sechsten Tag
Der Berg hielt fest die Arche, die nicht schwankte.

Und als der siebte Tag herbeigekommen,
Da ließ ich eine Taube aus der Arche,
Die Taube flog davon und kam zurück,
Sie hatte keinen Ruheplatz gefunden.

Da ließ ich eine Schwalbe aus der Arche,
Die Schwalbe flog davon und kam zurück,
Sie hatte keinen Ruheplatz gefunden.

Da ließ ich einen Raben aus der Arche,
Der Rabe flog davon und kam nicht wieder,
Er hatte einen Ruheplatz gefunden,
Er scharrte, fraß und hob den Schwanz zur Höhe.

Da ließ hinaus ich alle Lebewesen
Und brachte Gott dem Herrn ein Opfer dar,
Trankopfer bracht ich auf dem Berge dar,
Und vierzehn Weihrauchkessel stellt ich auf,
Da qualmte Süßholz, Zedernholz und Myrte.

Die Götter riechen gern des Weihrauchs Duft,
Mein Weihrauch war den Göttern wohlgefällig.
Die Götter kamen an wie Schmetterlinge,
Da war die große Göttin Mach gekommen,
Da flatterten davon die Schmetterlinge,
Die Gott der Göttin zum Ergötzen schenkte.

Gott sprach: Ihr Götter, bei dem Amulett
Von Lapislazuli an meinem Hals,
Ich werde stets an diese Tage denken,
In Ewigkeit vergesse ich sie nicht.
Die Götter mögen kommen zu dem Opfer,
Doch Enlil soll nicht zu dem Opfer kommen,
Weil Enlil töricht diese Sintflut brachte
Und meine Menschen gab dem Tod anheim!

Sobald nun Enlil war herbei gekommen,
Sah er die Arche und ergrimmte sehr
Und zürnte wütend mit den andern Göttern:

Ein Mensch entronnen und ein Geist gerettet!
Verderben sollte doch die ganze Menschheit!

Ninurta aber sprach zum Helden Enlil:

Wer kann denn etwas schaffen außer Ea?
Auch weiß ja Ea jeden Gottes Werk.

Und Ea also sprach zum Helden Enlil:

O Held, du Klügster unter allen Göttern,
Was hast du töricht doch gebracht die Sintflut?

Die Sünde lege du dem Sünder auf,
Den Frevel lege du dem Frevler auf!
Die Fessel lockre, schneide sie nicht ab,
Und zieh einher, dass nicht getötet werde!
Statt dass du eine Sintflut schickst zur Erde,
Lass lieber wilde Löwen Menschen fressen!
Statt dass du eine Sintflut schickst zur Erde,
Lass lieber wilde Wölfe Menschen fressen!
Statt dass du eine Sintflut schickst zur Erde,
Lass lieber Hungernot die Menschen fressen!
Statt dass du eine Sintflut schickst zur Erde,
Lass lieber Era alle Menschen würgen!
Nicht tu ich kund das göttliche Geheimnis,
Den Weisen lass ich schauen schönste Träume!
So weiß er von dem göttlichen Geheimnis.
Nun, Götter, schafft dem weisen Manne Rat!

Und Enlil hat die Arche drauf bestiegen,
Er fasste meine Hand, auch ich stieg ein,
Mein Weib ließ Enlil knieen neben mir,
Gott Enlil segnete mein Weib und mich:

Utnapischtim war nur ein Menschensohn,
Nun sei er Gott und seine Gattin Göttin,
Sie sollen wohnen an der Ströme Mündung! -
Und also wohn ich an der Ströme Mündung.

Wer aber wird die Götter zu dir senden,
Dass du das Leben findest, das du suchst?
Sechs Tage, sieben Nächte bleibe schlaflos!

Als Gilgamesch zu Boden sich gesetzt,
So wie ein Nebel hauchte ihn der Schlaf an.
Utnapischtim sprach dies zu seinem Weib:

Den Menschen schau, der sucht das wahre Leben!
So wie ein Nebel hauchte ihn der Schlaf an.

Und seine Frau sprach zu Utnapischtim:
So rühr ihn an, auf dass der Mann erwache!
Die Straße, die er kam, kehr er in Frieden,
Durchs Tor, durch das er zog, kehr er zur Heimat!

Utnapischtim sprach dies zu seinem Weib:
Der Mensch ist Trug! Er wird auch dich betrügen!
Auf, back ihm Brot und legs an seinen Kopf,
Die Tage, die er schläft, die zähle du!

Sie buk das Brot und legts zu seinem Kopf,
Die Tage, die er schlief, die zählte sie.
Das erste Brot war schon vollkommen trocken,
Das zweite schimmlig und das dritte feucht,
Das vierte wurde weiß, es war sein Röstbrot,
Das fünfte Brot war grau, das sechste frisch,
Sie buk das siebte, und sie rührt ihn an,
Und da erwachte König Gilgamesch.

Und Gilgamesch sprach zu Utnapischtim:
So wie der Schlaf auf mich herab gesunken,
Hast du mich angerührt und aufgeweckt!

Utnapischtim sprach dies zu Gilgamesch:
Auf, zähle deine Brote, Gilgamesch!
Die Tage deines Schlafs berechne du!
Das erste Brot war schon vollkommen trocken,
Das zweite schimmlig und das dritte feucht,
Das vierte wurde weiß, es war dein Röstbrot,
Das fünfte Brot war grau, das sechste frisch,
Gebacken ward das siebte, du erwachtest!

Und Gilgamesch sprach zu Utnapischtim:
Wie soll ich handeln und wo soll ich wandeln?
Der Tod hat schon mein Inneres gepackt!
In meinem Schlafgemache hockt der Tod,
Wenn ich den Fuß an Lebensplätze setze,
Auch dort steht schon der Tod, mich hinzuraffen!

Utnapischtim sprach nun zu Urschanabi:
Der Landeplatz missachte dich, o Bootsmann,
Die Furt des Übergangs verschmähe dich,
Der du einhergegangen an der Küste,
Entbehre du des Meeres Küste nun!

Der Menschensohn, den du herbei gebracht,
Von Schmutz befangen ist sein ganzer Körper,
Die Schönheit seiner Glieder ist entstellt.
Nun nimm du ihn und bringe ihn zum Bad,
Er wasche sich und werde rein wie Schnee!
Die Löwenfelle werfe er ins Meer!
Sein schöner Körper werde abgewaschen,
Erneuert werde seines Hauptes Turban,
Er nehm ein Kleid, das würdig seiner Würde!
Bis dass er kommt zu seiner Heimatstadt,
Bis er gelangt auf seiner Heimat Straßen,
Soll grau sein Kleid nicht werden, sondern weiß sein!

Er nahm ihn und er brachte ihn zum Bad,
Er wusch sich da und wurde rein wie Schnee!
Die Löwenfelle warf er in das Meer!
Sein schöner Körper wurde abgewaschen,
Erneuert wurde seines Hauptes Turban,
Er nahm ein Kleid, das würdig seiner Würde!
Bis dass er kommt zu seiner Heimatstadt,
Bis er gelangt auf seiner Heimat Straßen,
Soll grau sein Kleid nicht werden, sondern weiß sein!

Und Gilgamesch und Urschanabi stiegen
Ins Boot und fuhren übers Meer davon.

Und zu Utnapischtim sprach seine Frau:
Er hat sich abgemüht und abgeschleppt,
Was gibst du ihm, wenn er zur Heimat kehrt?

Und König Gilgamesch hob eine Stange
Und brachte so das Boot heran ans Ufer.

Utnapischtim sprach dies zu Gilgamesch:
Du hast dich abgemüht und abgeschleppt,
Was geb ich dir, wenn du zur Heimat kehrst?

Verborgenes will ich dir offenbaren,
Das Unbekannte will ich kund dir tun.
Es ist da ein Gewächs, dem Stechdorn ähnlich,
Wie Rosendornen stichts dich in die Hand.
Wenn deine Hände diese Dornen finden,
Hast du das Leben in der Ewigkeit!

Kaum hatte Gilgamesch dies Wort gehört,
Da grub er einen tiefen Schacht im Meer
Und band sich schwere Steine an die Füße,
Die ihn zum Grund des Süßmeers nieder zogen,
Er nahm den Dornenkranz, zwar stach er ihn,
Er schnitt von seinen Füßen ab die Steine,
Dass ihn die Fluten an das Ufer werfen.

Und Gilgamesch sprach dies zu Urschanabi:
Die Pflanze hier, die rettet vor der Angst,
Und wer sie findet, findet auch das Leben,
Ich will sie bringen heim nach Uruk-Gart,
Sie dort zu essen geben, zu erproben.
Ihr Name ist: Der Greis wird wieder jung!
Ich ess sie, und mir kehrt zurück die Jugend! -
Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie am Abend.

Da sah er einen Brunnen kalten Wassers,
Er stieg hinab, im Wasser sich zu baden.
Die Schlange roch den Duft der Lebenspflanze,
Verstohlen kam sie an und fraß sie Pflanze,
Da warf sie ab die alte Schlangenhaut!

Da setzte Gilgamesch sich weinend nieder
Und Tränen strömten über seine Wangen.
Ach rate mir, o Bootsmann Urschanabi!
Für wen denn mühten meine Arme sich,
Für wen verströmt ich des Herzens Blut?
Nicht kann ich mir ja selber Gutes schaffen,
Nur für das wilde Untier schuf ich Gutes!
Jetzt steigen vierzig Stunden hoch die Fluten,
Ich ließ, als ich den Schacht gegraben habe,
Das Werkzeug auf dem Meeresboden liegen.
Wie könnte ich das Werkzeug wiederfinden?
Hätt ich das Boot am Ufer nur gelassen!

Nach vierzig Stunden aßen sie ein wenig,
Nach sechzig Stunden ruhten sie am Abend.

Und als sie heim nach Uruk-Gart gekommen,
Sprach Gilgamesch zum Bootsmann Urschanabi:
Steig einmal auf die Mauer, gehe weiter,
Den Grund besieh und prüf das Ziegelwerk,
Ob nicht das Ziegelwerk aus Backstein sei,
Den Grund nicht legten doch die sieben Weisen!
Ein Sar die Stadt, ein Sar der Palmengarten,
Ein Sar der Fluß, ein Sar der Ishtartempel,
Der heilige Bereich des Ishtartempels!