JOSEF UND SULEIKA

Von Dschami

Nachgedichtet
Von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


ERSTER GESANG

In Schweigen und in Öde, ohne Dasein,
Die Welt verborgen war im leeren Nichts,
Noch paarten sich vereint die Körper nicht,
Noch klang da schön ein frohes Du und Ich,
Die Schönheit wurde noch nicht angeschaut
Im Licht, das nur bestrahlt die reine Schönheit,
Sie war ein schönes Lieblichen und verborgen,
Bon jedem Makel frei die Makellose,
Kein Spiegel spiegelte ihr Angesicht,
Kein Kamm fuhr schon durch ihre schönen Locken,
Kein Ostwind wühlte ihr in ihren Locken,
Kein kleinstes Staubkorn flog ihr in das Auge,
Ihr Röschen lockte keine Nachtigall,
Kein Windhauch hob der Rose grünes Kleid,
Auf ihren Wangen war kein 'Muttermal
Und selbst im Geist beschaute sie kein Auge,
Sie war mit sich allein, die Liebe herzend,
Sie wob sich selbst das feste Band der Einheit.
Doch wo die Schönheit voller Macht gebietet,
Da zürnt sie, wenn ein Schleier sie verhüllt,
Die Schönheit nicht erträgt die dichte Hülle.
Schließ du die Tür – sie flüchtet aus dem Fenster.
Schau an die Tulpe, die am Hügel blüht,
Kaum lacht der jugendliche Frühling wieder,
So drang sie aus dem Erdengrund hervor
Und zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit.
Wenn dir Vernunft in deine Seele dringt,
Dann sperrst du dich nicht gegen die Vernunft,
Du hörst ihr zu und redest gern von ihr.
Und das ist das Gesetz der reinen Schönheit,
Die Ewigkeit der Schönheit selbst gehorcht,
Kam vom Gelobten Land und ging ins Zelt
Und zeigte sich den Engeln und der Schöpfung.
Aus jedem Spiegel schaute schön ihr Bild
Und überall ertönte ihre Stimme,
Ein Schimmer fiel von ihr auf gute Engel,
Da drehten tanzend sie sich wie die Sphären,
Die Heiligen, die lieben Heiligkeit,
Die sangen laut den Lobpreis: Halleluja!
Auch auf die Rose fiel ein Strahl der Schönheit
Und Glut von ihr ins Herz der Nachtigall.
Am Schönheitsstrahl entzündet sich das Licht,
Der Strahl verbrannte hundert Schmetterlinge,
Ein Funke ihres Strahls fiel auf die Sonne
Und aus dem Wasser tauchte auf der Lotos.
Das Schönheitsantlitz war wie Laylas Wangen,
Drum sehnte Medschnun sich nach Laylas Locken.
Die Schönheit öffnete die Zuckerlippen
Der Schirin, dass sie raubte Ferhads Herz.
Der Mond von Kanaan erhob sein Haupt,
Und Josef raubte der Suleika Herz.
All überall der Schimmer war der Schönheit,
Wenn sie verbirgt sich auch den Erdenmenschen,
Sie trägt den Schleier des Mysteriums,
Sie lenkt das Schicksal liebevoller Herzen.
Das Herz lebt ganz allein nur durch die Liebe
Und nur die Schönheit trösten kann die Seele.
Das Herz, allein der Schönheit zugewandt,
Sich selber unbewusst, in sie verliebt.
Gib keinen Ketzereien jemals Raum!
Wir lieben Schönheit, sie schenkt ihre Reize.
Wer schön ist, der allein ist liebenswert,
Du stammst von Schönheit ab, sie gab dich uns.
Du bist der Spiegel, bist das Bild der Schönheit,
Du bist der Schleier, sie das Offenbare.
Die Schönheit selbst gleicht einem reinen Spiegel,
Sie ist der Schatz, der im Geheimen ruht.
Wir sind die eitlen Wesen nur der Muße,
Auf Erden herrscht ja nichts als Wahn und Torheit!
Nun still, sonst nimmt kein Ende dieses Märchen,
Denn keinen Dolmetsch braucht die Zunge Gottes.
Wer liebt, der hat das Beste schon getan,
Denn ohne Liebe ist das Dasein Wahnsinn!



ZWEITER GESANG

Ein Herz ganz ohne Liebe ist kein Herz,
Ein Körper ohne Herzschmerz ist nur Staub.
Du wende dich dem Schmerz der Liebe zu,
Die Liebeswelt ist eine Schönheitswelt!
Werd jedem Herzen Liebeslust zuteil,
Kein Herz der Welt soll ohne Liebe sein!
Die Himmel drehn im Taumel sich der Liebe
Und Streit von Liebenden erfüllt die Erde.
Lockt dich die Freiheit, sei der Liebe Sklave,
Reizt dich die Lust, gedenk der Liebesleiden!
Berauscht entflamme dich der Wein der Liebe,
Sie leihe dir Vernunft und Lebensmut.
Der Liebe Wort verjüngt den Liebenden
Und bringt Unsterblichkeit des Nachruhms ihm!
Den Weinkelch hat einst Medschnun ausgetrunken,
Er ist berühmt auf Erden und im Himmel.
Zehntausend kluge Männer sind zugrunde
Gegangen, weil sie nicht die Liebe hatten.
Ihr Name schwand wie ihre Spur im Sand,
Ihr Märchen steht nicht mehr im Buch der Zeiten.
Viel schöne Vögel flattern heute noch,
Von denen doch die Leute gar nichts wissen.
Doch wenn ein Herz gefühlvoll spricht von Liebe,
Dann sprichts von Schmetterling und Nachtigall.
Kennst du auch hundert hochgerühmte Künste,
Die Liebe nur befreit dich von dir selber!
Erfahre Liebe, auch die Sinnlichkeit,
Die Sinne bahnen ja den Weg zur Liebe!
Wenn du nicht erst das A und dann das B lernst,
Wie willst du dann die Heilge Schrift verstehen?
Es bat ein Jünger einmal seinen Meister,
Dass er ihn führe auf dem Weg der Weisheit.
Der Meister sprach: Du liebst nicht, armer Mensch!
Geh lerne lieben! Dann erst komm zurück.
Wer nie den Kelch des Ideals geleert,
Der schmeckt auch nicht der Sinnlichkeiten Hefe.
Doch bleibe nicht allein beim Ideal stehn,
Vielmehr du eile über diese Brücke,
Bleib stehen nicht am Anfang dieser Brücke,
Willst du das Ziel der Reise je erreichen.
Dem Herrn sei Dank! Seit mich die Erde trägt,
Ich wandle immer auf dem Pfad der Liebe!
Kaum sah die Amme meine Nabelschnur,
Durchtrennte sie sie mit dem Schwert der Liebe.
Kaum gab die Amme mir die Muttermilch,
Schon trank ich blutigroten Wein der Liebe!
Ist auch mein Haupthaar schon so weiß wie Milch,
Doch lebt die Liebeslust in meiner Seele!
Poet, bist grau geworden in dem Dienst,
Ermanne dich und stirb aus reiner Liebe!
Ein Märchen singe von der schönen Liebe,
So wird die Nachwelt deinen Namen rühmen.
Dein sehr geschickter Pinsel mal ein Bild,
Das bleiben wird, wenn du schon nicht mehr da bist.
Als ich gehört hab diesen Ruf der Liebe,
Willkommen bot mein Geist der schönen Liebe,
Und meine Seele folgte dem Befehl
Und bracht hervor ein neues Zauberwerk.
Wenn mir der Himmel seinen Segen gibt,
Trägt meine Palme einst der Weisheit Feige!
Mit heißem Herzen schaff ich zarte Worte,
Den Geist entflammt ja nur die Zärtlichkeit.
Mit Duft des Weihrauchs fülle ich den Himmel,
Dass Tränen von den Sternenaugen regnen.
Die Worte setz ich weise und geschickt,
Dass mir der ganze Himmel Beifall klatscht!


DRITTER GESANG

Prologos dieses Diwans schöner Liebe
Und Erstling in der Liebe Garten ist
Das Wort! Die wahre Weisheit ist das Wort!
Das Wort ist ewiger als alle Erden.
Was Altes ist und Neues in der Schöpfung,
Geschaffen wurde alles von dem Wort.
Das Schreibrohr rief das Wort: Es werde Licht!
Da floss die Quelle aus dem Aug des Wortes.
Was Hohes ist und Niedriges auf Erden,
Berauscht sich alles an des Wortes Quelle.
Und spricht der Mund der Quelle Plaudern aus,
Das Wort wird Rose in der Sinne Garten.
Der Geisthauch flattert um den Rock des Wortes,
Der Geist das Wort führt aus dem Rosengarten,
Er leitet es zur Pforte unsrer Ohren,
Und kommt das Wort, so staunt die Weisheit selbst.
Die Seele ist empfänglich für das Wort
Und bringt das eigne Herz dem Worte dar.
Die trunkne Lippe lacht dem Worte zu,
Bald tropfen Schmerzensregen aus den Augen.
Der Mund des Menschen voller Trauer lächelt,
Es weint der Mund des Menschen voll des Lachens.
Ich sehe Gottes Kraft im Gotteswort,
O möge Gott mir nie das Wort entziehen!
Ich bin schon grau geworden, Wortwein trinkend,
Und schüttle ab die Bürde meines Alters.
Mysterien steigen auf aus meinem Herzen
Und lächeln soll und weinen soll die Welt.
Veraltet ist in diesen Zeiten Chosru,
In mir ersteht ein neuer süßer Chosru.
Geschrieben steht ja Medschnuns Schicksal schon,
Ein andres Schicksal will ich nun besingen.
So wie ein Papagei ich kaue Kandis
Von Josefs Schönheit und Suleikas Lust.
Gott findet, Josefs Märchen sei das schönste,
Und ich besinge dies in meinem Werk.
Der Offenbarung Liebling kam herab,
Da fand die Lüge keinen Eingang mehr.
Der Irrtum nicht berührte mehr die Seele,
Selbst wenn du ihn als Gottes Wahrheit schminkst.
Die Wahrheit ist die Schönheit ja des Wortes,
Der Reiz der Luna liegt in ihrer Rundung.
Die Morgenröte ohne Glanz des Lichtes,
Sie lügt ja nur der wahren Sonne Aufgang.
Das echte Morgenrot verkündet Wahrheit
Und schwingt der Sonne gelblichweiße Fahne.
Wenn du die Lüge schminkst mit eitler Kunst,
Das Licht der Lüge ist die Finsternis.
Schmückst du ein altes Weib mit goldnen Kleidern,
Das Kleid wird hässlich durch die Hässlichkeit.
Der süßen Lippe nur gebührt die Schminke,
Der Schminke Rot benetzt der Rose Röte.
Doch malst du Rot auf todesblasse Lippen,
So sieht dein Auge nichts als Qual und Kummer.
Kein Liebender war jemals Josef gleich,
Er war der schönste aller schönen Männer.
Und nie ein Liebling liebte wie Suleika,
Denn sie war liebender als alle Frauen.
Von Kindheit bis ins Alter liebte sie,
Als Sklavin und als Fürstin liebte sie.
Nachdem zur Alten neu die Jugend kam,
Betrat sie wiederum den Weg der Liebe.
Geboren in der Liebe, in ihr lebend,
In Liebe sterbend, in ihr auferstehend!
Von Josef und Suleika spricht mein Buch,
Von ihnen singen meiner Verse Perlen.
Zu jeder Silbermünze, die ich finde,
Leg ich der reinen Weisheit neuen Goldschatz.
Ich wünsche nur, wenn je ein gutes Herz
In diesem meinem Buch der Liebe liest,
Dann möge mir das gute Herz verzeihen
Die Fehler, die im Buche sind zu finden,
Der gute Geist verbessere die Mängel!


VIERTER GESANG

Die, die die Perlen wiegen im Vernunftmeer
Und kundig sind der Offenbarung Gottes
Und die der Heilsgeschichte Lauf verfolgen,
Die sprechen dies von Adam an dem Anfang:
Als sich die Augen Adams öffneten,
Sah er im Geist die Bilder seiner Kinder.
Er sah die Heiligen und die Propheten,
Er sah die Könige mit goldnen Kronen
Und alle Sterblichen in schöner Ordnung.
Als Adam alle diese überblickte,
Besuchte er die Kinder Adams alle,
Da fiel sein Blick auf Josef auch, den Mond,
Nein, nicht den Mond, auf Josef, diese Sonne,
Dies Licht der Heiligen, der Auserwählten,
Sein Haupt empor wie eine Fackel ragend.
Die Schönheit selbst der schönsten Heiligen
Verblasste vor der reinen Schönheit Josefs
Wie Sterne auch verlöschen vor der Sonne.
Es floss um ihn die Anmut wie ein Mantel,
Zu seinen Füßen starben tausend Feinde.
Und seine Reize waren unvorstellbar,
Das höchste Denken kann es nicht begreifen,
Die Huld des Herrn war um ihn wie ein Kleid,
Ein Königsdiadem auf seinem Haupt.
Dem Orient des Glücks gleich seine Stirn strahlt,
Sein Angesicht erleuchtete die Nacht.
Und um ihn standen alle die Propheten
Als geistige Ikonen in dem Äther,
Die frommen Geister schwenkten ihre Fahnen,
In Gotteslob versunken vorm Altar.
Erstaunt sah Adam an die Schönheit Josefs
Und sprach dann leise voll Verwunderung:
O Gott, der Baum dort ist aus welchem Garten?
Und wessen Auge ist fixiert auf ihn?
Er ist ein zarter Zweig aus Jakobs Garten,
Ein scheues Reh vom Walde Abrahams.
Und er hat Macht selbst übers Firmament,
Ägypten wird sein Thronsitz sein auf Erden.
Der süße Reiz auf seinem Wangenflaum
Entflammt die schönsten Fraun zur Eifersucht.
Er hält dir vor den Spiegel, Vater Adam,
So leihe du ihm deiner Schönheit Schatz!
Sprach Adam: Offen steht die Tür der Gnade,
Von sieben Reizen schenke ich ihm vier.
Der Liebreiz selbst der allerschönsten Frau
Ist Einmal ihr gegeben nur, ihm doppelt,
Und schließt man auf die Schätze aller Schönen,
So seien alle Reize aller Schönen
Ein Drittel nur des reinen Reizes Josefs.
Dann drückte Adam Josef an sein Herz
Und Adams Herz gewährt ihm viele Wonnen,
Und Adam offenbarte Josef ganz
Die reine Weißglut seiner starken Liebe
'Und küsst segnend Josef auf die Stirn.
Froh blühte Adam da wie eine Rose
Und Adam sang wie eine Nachtigall,
Sang von der Herrlichkeit der Rose Josef!


FÜNFTER GESANG

An diesem Wechselort der Sinnlichkeit
Die Reihe der Erscheinungen trifft jeden,
Und jeder Tag bringt neue Phänomene,
Ja, deren Namen oft die Welt erleuchten.
Die Welt bleibt immer in der selben Form.
Wie viel Geheimnisse denn schlummern noch?
Wenn nie die goldne Sonne unterginge,
Wie könnten dann die klaren Sterne strahlen?
Und weil der Winter, ach, entlaubt die Bäume,
Drum grüßt die rote Rose jeden Frühling.
Als Adam diesen Pilgerort verließ,
Nahm Seth die Stelle ein als ein Prophet,
Nach Seth kam Henoch, lehrte in der Trugwelt,
Bis er ein Lehrer ward im Himmelreich,
Da wurde Noah dann der Glaubenshüter.
Nach Noah ward es Vater Abraham,
Nach Vater Abraham kam Isaak.
Am Tische Abrahams die Erde speiste,
Doch starb auch Isaak, des Vaters Liebling,
Und Jakobs Stimme klang am Berg des Glaubens,
Als Jakob sein Prophetenamt begann,
Er herrschte von Damaskus bis nach Kana.
In Kanaan schlug Jakob auf sein Zelt
Und ward an Herden und an Söhnen reich
Und seine Tochter war die keusche Dina.
Der Schafe Herden und der Ziegen Herden
Ameisenvölkern waren gleich an Zahl.
Elf Söhne waren außer Josef noch,
Der Josef aber war der Liebling Jakobs.
Als seine Mutter Rahel ihn gebar,
Bekam der Mond wohl einen Zwillingsbruder.
Aus Herzensgarten spross die zarte Pflanze,
Am Seelenhimmel schön erschien ein Neumond.
Dem Garten Abrahams entspross die Rose,
Dem Josef stand das Kleid der Anmut gut.
Am Sternzelt Isaaks erschien ein Stern,
Sein Angesicht erleuchtete die Welten.
In Jakobs Garten hob ihr Haupt die Tulpe,
Des Vaters Trost, jedoch der Tod der Mutter!
Ein scheues Reh in Kanaan war Josef,
Um Josef wurde Kanaan beneidet.
Solange Rahel sich des Lebens freute,
Mit ihren Brüsten wusch sie seine Lippen.
Zwei Jahre lang hielt sie im Arm den Josef,
Als Schlangengift auf Rahels Speise tropfte.
Die reine Perle aus dem Meer der Gnade
Blieb mutterlos allein, ein Waisenkind,
Und weinte Tränen der Verlassenheit.
Und Jakob sah die Schmerzen seiner Perle,
Der Schwester Arm er ihm zur Muschel wählte,
Die Tante zog den Herzensvogel auf,
Der bald den Flug im Speisegarten wagte.
Sein zarter Körper schwankte wie die Pappel
Und seine Zunge lallte Zuckerworte.
Die Liebe fesselte der Tante Herz,
Sie wollte niemals sich vom Knaben trennen.
Er schlief des Nachts in ihrem warmen Bett
Und war am Tag die Sonne ihrer Augen.
Doch auch der Vater Jakob liebt ihn sehr,
Die Wünsche seines Herzens galten Josef,
Er fand in seinem Herzen nichts als Josef,
Ihn manchmal nur zu sehen, stimmt ihn traurig,
Er wollte diese Luna seines Herzens
In jeder Nacht vor ihm erscheinen sehen.
Zu seiner Schwester also sagte Jakob:
Die du den Josef liebst und für mich sorgst,
Ich kann die Trennung länger nicht ertragen!
Befrei mich von der Qual der bittern Trennung!
Schick Josef in des Eremiten Zelle,
Schick Josef zum Altare meines Flehens!
Als Josefs Tante dieses Wort vernahm,
Gehorchte sie den Wünschen Vater Jakobs,
Zugleich die Tante sann auf eine List,
Wie Josef sie von Jakob wieder kriege.
Ein Gürtel Jakobs war in ihren Händen,
Der abgenutzt durch fromme Gottesdienste.
Ein jeder, der den Gürtel angelegt,
Befreit ward von des Übels Schleudersteinen.
Die Tante nun das Kind zu Jakob schickte,
Sie band den Gürtel um die Lenden Josefs,
Dabei jedoch verhielt so schlau sich jene Tante,
Dass Josef nichts von ihrer List bemerkte.
Den Liebling schickte nun die Frau zu Jakob
Und dann begann die Tante laut zu schreien:
Der fromme Gürtel Jakobs ist verschwunden!
Und jeden Menschen hielt sie für verdächtig,
Sie untersuchte aller Leute Kleider,
Sah nach bei allen Leuten, nach der Reihe,
Und als die Reihe dann an Josef kam,
Da fand den Gürtel sie und band ihn los.
Zu jener Zeit galt bei den frommen Leuten
Der Urteilsspruch: Der überführte Dieb
Wird Sklave dessen, den der Dieb bestahl.
Und so durch ihre schlaue Hinterlist
Die Tante holte Josef wieder zu sich.
Sie kam mit Augen, die vor Freude strahlten,
Doch bald schloss ihr der Tod die lichten Augen!
Da jubelte die fromme Seele Jakobs
Vor Glück, den Liebling wieder zu erblicken!
Da konnte Jakob gar nicht schlafen mehr,
Er fand an Josef seine ganze Freude
Und schaute Josefs Brüder nicht mehr an.
Nun Jakob dachte nur noch an den Josef,
Nur Josef war ihm seines Herzens Inhalt!
Bei Josef nur fand Jakobs Seele Ruhe,
Nur Josef ließ die Augen Jakobs strahlen!
Denn wenn der Mond der Liebe lieblich leuchtet,
Wird selbst des Tages lichte Sonne matt.
Wie preis ich diese Schönheit, diese Anmut,
Die schöner ist als alle schönen Engel?
Am Anmutshimmel Josef ist der Mond,
Der alle Firmamente hell erleuchtet,
Ein Mond, der lichter als die Sonne ist.
War Josefs Lichtglanz denn der Sonne gleich?
Die Sonnenglut ist nur ein Dunst vor Josef!
Der Lichtglanz Josefs überwältigt so,
Man fragt sich nach der Quelle dieses Lichtes.
In Josef wohnt der makellose Gott,
Der sich in Josefs Herz verborgen hat,
Kein Wunder, dass ihn Vater Jakob liebte
Und dass er Josef Herz und Seele weihte.
Suleika selbst, der lichten Elfen Neid,
Der keuschen Unschuld Bild im Morgenland,
Noch strahlte Josef nicht Suleika an,
Als sie sein Bild schon sah im Morgentraum.
Wenn Schmerzen die Getrennten überfallen,
Doch mehr quält Liebe noch die Liebende,
Wenn nah sie ist dem schönen Vielgeliebten!


SECHSTER GESANG

Dies sind die Worte eines wahren Dichters,
Der hat die Schätze der Beredsamkeit.
Ein König war im Westen, der hieß Tammuz,
Der schlug die Trommel seiner Herrschaft laut.
Er hatte, was da zusteht einem König,
Sein reines Herz war darum wunschlos glücklich.
Auf seinem Scheitel saß die Königskrone,
Der Schemel ihm erhöhte seine Füße.
In seinem Heere diente der Orion,
Er siegte allezeit mit seinem Schwert.
Suleika, seine Tochter, war sehr schön,
Sie war der Stolz, die Freude seines Herzens.
Sie war ein Stern am Sternenzelt des Königs,
Des königlichen Schmuckes schönster Stein.
Ach, ich kann ihre Schönheit euch nicht malen,
Versuchen will ich doch, das Bild zu malen.
Vom Haupt zur Hüfte wallte ihr das Haar,
Der Schimmer ihrer Wange rötlich leuchtet,
Es helfe mir ihr zuckersüßer Mund,
Dass ich besinge, was ich an ihr schaute.
Den Wuchs schuf Gott wie eine schlanke Palme,
Sie hebt ihr Haupt im Anmutsgarten auf,
Genährt am königlichen Strom der Gnade,
Stand aufrecht sie wie die Zypresse schlank.
In ihrem Haar der Weise lag gefangen,
Die langen Locken dufteten nach Moschus,
Oft kämmte sie die schönen langen Haare
Und zog gerade sich den Mittelscheitel.
Vor Neid zerplatzte da die Moschusblase!
Die langen Haare flattern wie Jasmin,
Der Haare Flut beschattete die Rose.
Auf ihrem Busen war ein Muttermal,
Wie Afrikaner auf der Lilienwiese.
Verirrte sich ein Philosoph ins Grübchen,
Trägt seine Seelenruhe er zu Grabe!
Ihr Hals ein schlanker Turm von Elfenbein,
Das keusche Einhorn muss ihr Steuern zahlen.
Der Schultern Schnee die Lilien verhöhnte,
Die weiße Rose sich vor Scham verbarg.
Zwei Brüste, glänzendschöne Wölbungen,
Zwei Blasen auf dem Gnadenstrom von Eden,
Ein goldnes Apfelpaar mit einem Zweig,
Woran sich niemals meine Hände wagten.
Von reinem Silber schien ihr schlanker Arm,
Die reine Perle trug ein Medaillon,
Dort war das reine Herz des frommen Beters.
Die Feengesichter loben neidlos sie
Und weihn ihr Herz der Elfenkönigin.
Den Waisenkindern reichte sie die Hände
Und tropfte Balsam auf zerrissne Herzen.
Die Finger waren weich wie Schwanenfedern,
Mit denen schrieb sie schöne Liebeslieder.
Bei ihren schön geformten Fingernägeln
Man musste denken an den Sichelmond.
Die Lenden glichen dem gespaltnen Haar,
Noch feiner als das Haar und unbehaart.
Vom süßen Nabel bis zum Oberschenkel
Muss ich mich leider alles Lobs enthalten!
Die Keuschheit nämlich mir verwehrte leider
Den Eintritt in das Allerheiligste!
Und ah, die beiden Schenkel ihrer Beine
Wie Silbersäulen sind im Tempel Gottes.
Sie war so wie ein Blumenstrauß von Rosen,
Doch nur Erleuchtete erblickten das.
Im Spiegel glänzte klar ihr reines Antlitz,
Da fiel ich voller Ehrfurcht auf die Knie.
Warum ich kniee vor der Königin?
Ihr Antlitz übergossen ist von Lichtglanz!
Wer Bein an Bein bei dieser Schönen sitzt,
Dem glühen ihre Wangen Glück zurück.
Zart wie ihr Schenkel ist ihr kleiner Fuß,
Sonst keine hatte solche kleinen Füße.
Und wenn sie ging, so war sie wie ein Pfeil,
Die Füße schlank von Fersen bis zu Zehen.
Wenn sie den Liebenden zu Boden trat,
War ihre Sohle feucht von seinen Tränen!
Mit welchem Schmuck soll ich die Schöne schmücken?
Der Schmuck der Erde ist so mangelhaft,
Doch will ich schmücken sie mit schönem Schmuck,
Weil ihre Schönheit noch den Schmuck verschönert.
Ein Mondstein ist an ihrem Muschelohr,
Der raubt der armen Seele den Verstand!
Reißt sich die Perle von der Schnur des Halses,
Die Perle fällt dann in die Schoß-Schatulle.
Die goldne Spange hält der Haare Knoten
Und wenn sie erst das Muschelarmband anlegt,
Was soll ich armer Sünder dann noch tun?
Zuweilen schwankte sie im Hof wie trunken,
Gehüllt in Chinas Seide wie von Silber.
Und jeden Tag, den süß sie angelacht,
Zog sie ein neues feines Reizkleid an.
Der Fürst selbst darf ihr nicht die Füße küssen,
Das dürfen nur die goldenen Sandalen,
Und nur ihr weißes Hemdchen war so selig,
In ihren weißen Armen auszuruhen.
Die palmenschlanken Mädchen lauschten ihr,
Die Feengesichter staunten stumm sie an.
Ihr Herz war nicht gepresst vor Qual und Kummer,
Kein Dorn stach ihre kleinen nackten Füße.
Sie liebte keinen, bis zu dieser Zeit,
Sie hatte keinem Manne sich ergeben.
Nachts ruhte sie wie die Narzisse und
Am Morgen blühte sie wie rosa Rosen.
Bei zarter Kinder Spiel und Lustgeschrei
Sie lebte mit den Hirschen an dem Hof,
Ganz unbekümmert um das ernste Schicksal,
War all ihr Tun nur eitel Lust und Scherz.
O sie war glücklich, sie war immer heiter,
Und ihre Seele war von Qualen frei.
Was wird die Tageszeit wohl dieser Seele
Noch für ein Schicksal ernst und streng verhängen?
Und was wird schwanger Mutter dunkle Nacht
Ihr für ein schweres Schicksal noch gebären?


SIEBENTER GESANG

Zur Nacht, die schön war wie das Licht des Lebens,
Die war so voller Wonne wie die Jugend,
Da Fische und Gevögel schon entschlafen
Und da zerknittert lag des Tages Zeitung,
Im sehenswerten Gartenhaus der Sterne
Das flimmernde geliebte Auge wacht,
Der Dieb sich den Verstand des Wächters raubt,
Der Glöckner hält der großen Glocke Zunge,
Der Schwanz des Hundes ward zum weichen Halsband,
Das Heulen und das Bellen sich verlor,
Ihr Federschwert die kluge Eule zog,
Und von der Kuppel königlicher Burg
Des Wächters Auge glänzte weiß wie Mohnmilch,
Der Wächter hatte nicht mehr Kraft zum Wachen,
Weil ihn der Mond betäubt mit Opium,
Wo schwieg die Trommel und wo schwieg die Zymbel,
Der tiefe Schlaf des Trommlers Hände band,
Der Ruf der Betenden zur Matutin
Die Menschen noch nicht auferstehen hieß,
Da lag mit ihrem süßen Mund Suleika,
Den Zuckerschlaf auf ihren Rosenlippen,
Auf ihrem Kissen duften ihre Haare,
Ihr Leib lag in dem Bett wie eine Lilie.
Zwar ihre schönen Augen schliefen noch,
Das Auge ihres Geistes aber wachte.
Da wars, ein junger Mann trat bei ihr ein.
Ein junger Mann? O nein, ein Engel!
Sein Königs-Antlitz war wie Glut des Feuers,
Der Himmelsjungfrau raubte er das Herz.
Er hatte alle Reize aller Jungfraun
Und auch die Anmut aller Himmelsgeister.
Sein Wuchs war wie der schlanke Buchsbaum schlank,
Die Locken Fesseln, den Verstand zu fesseln.
Und seine hohe Stirn so rein und strahlend
Sich neigte voller Demut und bescheiden
Vorm Angesicht der lichten Himmelssonne.
Und seine Brauen waren ein Altar,
Ein Weihrauchzelt den jung gestorbnen Toten,
Sein Antlitz war des Paradieses Luna.
Und Anmut schmückte schön ihm die Narzissen,
Die Wimper wie ein Pfeil durchbohrt ihr Herz.
Sein Mund zerstreute lächelnd weißen Zucker,
Sein Wort war nichts als lauter Süßigkeiten.
Die weißen Perlen im Korallenmund
Sind wie ein Blitz im rosenfarbnen Morgen.
Und wenn er lacht, er strahlt wie die Plejaden,
Die Zähne streuen aus das Salz der Weisheit,
Wie Moschusbeete duften seine Wangen,
Ein Rabennest im trauten Rosengarten.
Wie Silber seine Arme, seine Schenkel,
Die Lende ist so zierlich wie ein Haar.
Und als Suleikas Auge ihn erblickte,
Geschah sofort, was da geschehen musste,
Da sie des Übermenschen Reize sah,
Wie nie die Elfen und die Feen geschmückt,
Die Wangenröte und die Körperanmut
Mit tausend Fäden knüpft sie an sein Herz,
Sein Angesicht entflammte heiß ihr Herz
Und die Geduld und Religion verglühten.
An jedes seiner duftend feinen Haare
Hing sie den Faden ihrer schönen Seele,
Die Augenbrauen rührten sie zu Tränen,
Zu Zuckerkörnern macht sein Mund ihr Herz,
Die Silberschenkel den Verstand ihr raubten,
Dass sie sich gürtete, um ihm zu dienen.
Fürwahr, fürwahr, sie sah ein Bild voll Reiz,
Das zwar verging, doch ihr im Geiste blieb.
Suleika nun ihr eignes Ich verschmähte,
Das Bild voll Reiz allein gefiel ihr noch.
Sie fühlte diesen starken Trieb der Seele,
Gen Himmel in das Paradies zu fahren!
Ein sinnlich reizend schönes Bild entzückt sie,
Sie kannte nicht platonische Verliebtheit,
Uns fesselt eines Wahnes Flüchtigkeit!
Wir kleben ewig an der Sinnlichkeit!
Das Erdenbild von einem schönen Menschen
Im Innern trägt doch einen Sinn des Himmels!
Und darum huldigt das verliebte Herz
Dem Bildner auch des wunderschönen Bildes!
Wer dürstet, ach, der weiß von seinem Durst
Und er begehrt den Kelch voll roten Weines,
Doch, taucht er in das Rote Meer des Blutes,
Wird er den Becher roten Weins vergessen.


ACHTER GESANG

Als früh die schwarze Mutter Nacht geschieden,
Des Hahnes Ruf erscholl zur Morgenröte.
Die Nachtigall mit Schluchzen in der Stimme
Den Schleier hob vom Angesicht der Rose.
Das Veilchen badet seine Veilchenlocken,
Jasmin nahm nackt ein Bad im keuschen Tau.
Suleika lag noch schlafend in dem Bette,
Die Seele voll von der Vision der Nacht.
Sie schlief nicht, des Verstands war sie beraubt,
Sie staunte vor dem Traume noch der Nacht.
Es nahten ihr die schönen jungen Mädchen
Und küssten ihr voll Reverenz die Hand.
Den Schleier hob sie von den Tulpenaugen
Und sanft erwachten ihre trunknen Augen.
Dem Ostwind gleich zog sie ein Kleidchen an,
Sie hob ihr Haupt und sah sich staunend um-
Wo war der Jüngling mit den Rosenwangen?
Ach, das verschloss sie sich wie eine Knospe.
Im Gram, weil sehr ihr die Zypresse fehlte,
Zerriss sie voller Schmerz ihr Rosenkleidchen.
Jedoch aus Scham vor den gemeinen Menschen
Zerriss sie nicht ihr kurzes Rosenkleidchen,
Nein, sie blieb in ihr Schicksal still ergeben.
Sanft sprach ihr Mund zu jenen jungen Mädchen,
Ihr Herz war gleich dem Knoten in dem Schilfrohr,
Dieweil sie sprach mit jenen jungen Mädchen,
Wohl tausend Funken sprühten heißer Liebe
Vom Muttermal auf ihrer linken Brust!
Sie warf die Augen auch auf andre Männer,
Doch an den Freund gefesselt blieb ihr Herz.
Was soll sie zügeln mit der Hand ihr Herz?
Der Herzensdieb ihr doch stand vor den Augen.
Ein Herz, das Lust den Krokodilen vorwirft,
Wird lahm, bevor es die Begierde stillte.
Dies Herz kennt keinen andern als den Liebling
Und keine Seelenruhe als beim Liebling.
Und spricht die Seele, spricht sie von dem Liebling,
Und wünscht sie was, wünscht sie herbei den Liebling.
Und tausendmal umschwebte sie sein Geist,
Bis ihrer Leiden finstrer Tag erwachte.
O dunkle Nacht! Der Liebenden Vertraute!
Du hütest das Geheimnis des Verliebten.
Suleika lehnt sich an des Kummers Mauer,
Da glich sie dem gebognen Saitenspiel,
Das sie bezog mit Tränenströmen-Saiten
Und stimmte nach der Trauer ihres Herzens.
Der Laut des Saitenspiels durchdrang die Herzen,
Da ging sie auf den Tönen auf und ab,
Und stets umschwebte sie das Bild des Lieblings
Und Perlen quollen ihr aus ihren Augen.
In welchem Schacht ist denn mein Edelstein?
O dir verdanke ich den Strom der Perlen!
Du raubtest mir mein Herz. Du sprachst kein Wort.
Wer sagt mir deinen Namen? Und wo wohnst du?
Du bist ein Fürst, wie spreche ich dich an?
Du Mond, wo ist denn deiner Anmut Thron?
Selbst meinen Feinden wünsch ich nicht die Leiden,
Die litt und leide ich um den Geliebten!
Mein Herzensliebling wurde mir geraubt!
Sein wunderliebes Bild nahm mir der Schlaf,
Sein Bild presst aus dem Herzen mir das Blut
Und aus den Augen blutig-rote Tränen!
Und schlaflos liege ich, mein Herz ist wach
Im Liebesfeuer deiner wilden Flammen!
Was, wenn du selbst nicht heiß wie Feuer wärest,
Ich eine Rose war im Jugendgarten
Und frisch wie eine klare Lebensquelle.
Nie bliesen je mich raue Stürme an,
Kein Dorn bohrt sich in meine nackten Füße.
Doch du, du gibst mich nun den Stürmen preis,
Du legtest tausend Dornen in mein Bett.
Mein Leib ist weicher als die Rosenblüte,
Wie soll ich liegen in dem Bett aus Dornen?
So seufzte leise sie zur Morgenröte
Und weinte vor des Lieblings Phantasiebild.
Die Mutter Nacht von hinnen war geschieden.
Und um Verdacht von Menschen zu vermeiden,
Suleika hemmte ihrer Tränen Blut,
Ihr Mund von feucht vom Trank des Bluts der Nacht,
So schwieg sie mystisch doch und schloss den Mund.
Das Bett blieb mit dem Rosenduft zurück,
Das Bett war leer, es fehlte die Zypresse.
In Klagen gingen Tag und Nacht vorbei,
Suleika wich um keine Haaresbreite
Vom Klagen um den fernen Vielgeliebten.


NEUNTER GESANG

O Wahn, mit einem Schilde abzuwehren
Die Liebespfeile, die vom Bogen fliegen!
Und steckt der Liebespfeil erst mal im Herzen,
Verraten das zehntausend äußre Zeichen.
Den Weihrauchkessel nimm dir da zum Gleichnis,
Wie Weihrauch kann sich Liebe nicht verbergen,
Und ob man ihn mit tausend Schleiern hüllt,
Verrät der Weihrauch immer seinen Duft.
Suleika still verbarg die Qual der Liebe
Und barg den Schwermutssamen in der Brust,
Doch immer sichtbar war der junge Sprössling,
Der keimte frisch aus ihrem Seelengrund.
Bald quollen Tränenströme aus den Augen,
O Ströme gar von blutig-roten Tränen,
Mit jeder Tränenperle ihres Auges
Fiel ein Geheimnis still ihr auf die Wange.
Bald seufzte sie aus heißem Herzensinnern,
Zum Himmel rauchten ihre heißen Seufzer,
Und durch das Ach und Wehe, das sie seufzte,
Roch man den Braten ihres heißen Busens.
Sie aß nicht mehr und schlief nicht mehr zur Nacht,
Die rote Rose ward zur weißen Lilie.
Als dies die schönen jungen Mädchen sahen,
D dachten sie, das sei wohl wahre Liebe,
Doch kannten sie den Grund des Kummers nicht.
Ein junges schönes Mädchen sprach: Gewiss
Hat jemand unsre liebe Frau verschmäht!
Ein andres schönes junges Mädchen sprach:
Suleika wird geplagt von einem Dämon!
Ein drittes schönes junges Mädchen meinte:
Ein Magier hat unsre Frau verzaubert!
Ein viertes schönes junges Mädchen sprach:
Ihr Herz erlegen ist der Macht der Liebe!
Doch das Mysterium blieb unentschleiert,
Die jungen Mädchen konnten da nur raten.
Suleika hatte aber eine Amme,
Die eine Zauberin und sehr geschickt war.
Die kannte alle Wege heißer Liebe,
Sie hatte selbst geliebt in ihrer Jugend.
Nun brachte sie Verliebte gern zusammen
Und lockte die an, die zu schüchtern waren.
Zur Nacht die Amme schlurfte zu Suleika,
Sie zu erinnern, sie sie oft gedient.
Sie sprach: Du bist des Königsgartens Rose,
Ein Dorn von dir beglückt die besten Männer,
Und darum freue dich und lächle immer.
Du bist der Lebensbaum im Schönheitsgarten,
Umflattert stets von meinem Papagei.
Ich aber bin der breite Strom der Treue,
An meinem Ufer bist du aufgewachsen.
Ich sah zuerst dein Rosenantlitz blühen,
Schnitt deinem Nabel mit dem Messer durch.
Ich salbte dich mit besten Moschusölen
Und badete in Rosenwasser dich.
Mein altes Herz war deiner Wiege Schleier,
Der aus den Fäden meiner Seele war.
Milch gab ich deinem süßen Zuckermäulchen,
Ich zog dich mehr als deine Mutter groß.
Und in der Nacht, da lag ich wach voll Sorge,
Und morgens wusch ich dir dein Angesicht.
Und wenn ich ging, trug ich dich auf den Armen,
Und wenn du einschliefst, hielt ich deine Hand.
Und wo du standest schlank wie die Zypresse,
War ich dein treuer Schatten, liebes Kind.
Du auf dem Sofa, ich dir stehend dienend,
Du schliefst im Bett, da lag ich neben dir.
Noch heute will ich sein, was einst ich war,
Ich diene deiner Seele heute noch.
Was hast du denn Geheimnisse vor mir?
Ich bin nicht fremd. Was stößt du mich zurück?
Wer brachte solchen Jammer über dich?
Wer legte solch ein schweres Kreuz dir auf?
Was nagt die Liebesschwermut so an dir?
Was ist der düstre Gram allein dein Freund?
Was wird denn deine rote Rose gelb
Und was erstarrt dein Blut dir in den Venen?
Du Sonne, was nimmst du nur wie der Mond ab?
Am Morgen wünschst du schon die Nacht herbei?
Ein Mond berührte deine Umlaufbahn.
Doch sag mir: Wer ist dieser Mond des Himmels?
Ist es ein schöner Engel denn vom Himmel,
Geschaffen aus des Liebesfeuers Weißglut?
So will ich beten, will so lange beten,
Bis dir der Engel wiederum erscheint.
Doch ist es ein gemeiner Wüstendämon,
Ich bin in der Magie bewandert, Kindchen,
So will ich ihn in eine Flasche bannen.
Doch ists ein Mann, ein junger Menschensohn,
Soll deine Seele sich doch wieder freuen!
Denn wer verschmäht wohl deine Liebesfesseln?
Der Kaiser selbst ehrt deiner Locken Fesseln!
Suleika sah das Mitleid in den Augen
Und hörte auf das Wort der Zauberin,
Doch sah sie keine Hilfe, keine Rettung!
Ihr Mond schwamm stumm in einem Meer der Nacht!
Unsichtbar ist mein Seelenbräutigam,
Der Schlüssel in der Pforte ist versteckt.
O wie beschreibe ich dir nur das Vöglein,
Das da sein Nest geteilt hat mit dem Phönix?
Des Phönix' Name ist allein mein Trost!
Süß ist der Liebenden verliebtes Leiden,
Wenn sie den Namen des Geliebten kennen.
Ich kenne meines Lieblings Namen nicht.
Wenn bittre Trennung bitter macht den Mund,
So ist im Munde süß des Lieblings Name.
Jetzt offenbart sie alles ihrer Amme
Und weihte sie in ihr Geheimnis ein.
Die Amme ist jetzt wachsam, nüchtern-wachsam,
Sie sorgt sich sehr um ihres Schützlings Wahnsinn.
Sie liest ein irres Wort im Buch des Herzens
Und zweifelt an der Heilung ihrer Kranken.
Zu unbestimmt scheint ihr das schöne Bild,
Man sucht ja nicht so sehr, was kaum man kennt.
Kennst du nicht deines Herzens Ideal,
Wo möchtest du dein Ideal dann finden?
Zu schwach, Suleika zu befreien aus
Den Liebesfesseln, spricht die Amme dies:
Gewiss, mit dir, ach, spielen die Dämonen!
Und der Dämonen Werk ist Lug und Trug!
Sie lassen uns ein reizend-schönes Bild sehn,
Um wildeste Begierden anzustacheln!
Suleika sprach: Kann denn ein böser Dämon
Ein solches herzensschönes Bild erzeugen?
Ein Weib aus Sünden und aus Makel nie
Geboren hat so einen reinen Engel!
Die Amme sprach: Willst du an solch ein Traumbild
Die Unschuld deiner Seele denn verkaufen?
Suleika sprach: Und wärs ein böser Traum,
Hätt er mich fromme Jungfrau nicht entzückt!
Denn Krummes paart sich immer nur mit Krummem
Und Grades paart sich immer nur mit Gradem.
Der Weise stimmt mir zu. Die Amme sprach:
Kind, aus der Seele banne solchen Wahnsinn!
Suleika sprach: Es steht in meiner Macht nicht,
Denn wenn es stünde auch in meiner Macht,
Die Traumgestalt zu bannen aus der Seele,
Dann legte ich mir nicht ein solches Kreuz auf!
Doch fehlt die Kraft mir, ich bin willenlos,
Ins kummervolle Herz grub sich ein Bild,
Als ob ein Griffel wär aus Diamant,
Der Liebesworte schrieb auf erzne Tafeln,
Der Wind weht dieses schöne Bild nicht fort.
Die Amme sieht die große Kraft der Liebe
Und schweigt von jeder weiteren Ermahnung,
Begibt sich heimlich zu Suleikas Vater.
Der alte Vater wundert sich und staunt,
Doch schien ihm seines Hirns Verstand zu schwach,
So legt er alles in die Hände Gottes!


ZEHNTER GESANG

Das Herz ist selig, drin die Liebe wohnt,
Das liebt und sorgt sich nicht ums Weltgeschehen.
In diesem Herz entzündet sich ein Blitz,
Der die Geduld und den Verstand verbrennt.
Nicht regt sich Sorge im verliebten Herzen,
Der Berg des Vorwurfs scheint ihm nichts als Stroh,
Es still gewöhnt sich an der Leute Tadel,
Durch Schmähung wird doch nur vermehrt die Liebe.
Suleika nahm nun ab so wie der Mond,
Das Jahr verging, ihr Vollmond ward zum Neumond,
Sie war gebogen wie die blasse Sichel,
Sie saß mit feuchten Augen in dem Frührot
Und sprach: Du spielst mit mir, mein lieber Himmel!
Schau, meine lichte Sonne wird schon matt,
Du krümmst mich, dass ich nun dem Bogen gleiche,
Machst mich zum Ziele von des Vorwurfs Pfeilen.
Der Liebe Funken warf er in mein Herz
Und zeigte sich mir selten nur im Traum.
Da ich im Wachen ihn schon missen muss,
Soll ich im Schlafe ihn denn auch nicht schauen?
Des Glückes Zeichen ist mir jener Traum,
Da mir mein lieber lichter Mond erscheint.
Mein Auge ruht auch nicht im Schlummer mehr,
Ach, möchte er mir seinen Schlaf doch leihen!
Dann wachte sicher auch mit mir das Glück
Und lieblich mir erschien mein Schatz im Traum.
So stöhnte sie die ganze lange Nacht durch,
Bis ihr der Geist ermattet auf den Lippen,
Ein tiefer Schlaf sie plötzlich überwältigt,
Betäubt von Mohnmilch sinkt sie auf ihr Bett.
Kaum nahm ihr Bett den zarten Körper auf,
Als schon der Seelenwunsch zur Türe eintrat.
Das selbe Bild, das kürzlich sie gepeinigt,
Tritt ein mit Wangen lichter als der Mond.
Auf diese schönen Wangen fällt ihr Blick,
Da springt sie auf und wirft sich ihm zu Füßen
Und küsst die Erde: O mein Rosenstrauch!
Du raubtest mir Geduld und Seelenruhe!
Bei Gott, der dich als Licht vom Licht erschaffen,
Der frei bewahrte dich vor jedem Makel,
Der dir das Zepter gab der Himmelsschönheit,
Der rein dich schuf so wie den Quell des Lebens,
Schuf dich als Rose in dem Seelengarten
Und deinen Mund zum Brot der Engel machte,
Der dich erstrahlen lässt wie Liebesfackeln,
Darin das Herz des Schmetterlings verbrennt,
Der die gesalbten Locken schuf zu Fesseln,
Dass sich mein Herz in deinem Haar verfing,
So siehe doch, mein Leib gleicht deiner Lende,
Mein Herz gleicht deines Mundes Ah und Oh!
Erbarm dich meiner armen Seele, Herr!
Schließ deine rubinroten Lippen auf
Und streue weißen Zucker über mich
Und sag mit der dir eignen Freundlichkeit
Mir, wer du bist, von welchem Stamm du bist.
Du schöne Perle bist aus welchem Meer?
Du Himmelskaiser, wo ist dein Palast?
Und Josef sprach: Ich bin ein Menschensohn,
Geformt vom feuchten Lehm der Mutter Erde.
Du, liebe Frau, gestehst mir deine Liebe,
Wenn deine Worte reine Wahrheit sprechen,
So, liebe Frau, bewahre mir die Treue
Und bleibe, keusche Jungfrau, unvermählt!
Kein Zahn berühre deine Zuckerlippen,
Kein Diamant durchstoße deine Perle!
Der Liebe Feuer lodert mir im Herzen,
Der Liebestrieb durchlodert meine Seele,
Mein Herz gefangen liegt in deinen Fesseln,
Gezeichnet bin ich mit dem Liebeszeichen!
Kaum sah Suleika Josefs warmes Mitleid,
Kaum hörte sie das Wort aus seinem Munde,
Da schon verzaubert sie ein neuer Dämon,
Und ihres Herzens Schmetterling fing Feuer.
Vom Traum ganz trunken stand die Jungfrau auf,
Die Brust in Flammen und das Herz voll Glut.
Und immer größer ward ihr Gram der Seele,
Zum dritten Himmel rauchten ihre Seufzer,
Der Liebe Folter war ihr unerträglich,
Ihr wehevoller Jammer grenzenlos!
Die Zügel des Verstandes flohn von ihr,
Frei ward sie von den Fesseln der Vernunft.
Und sie zerriss das Kleidchen ihrer Seele,
Blutstropfen sie vergoss wie Rosen rot,
Zerkratzte in der Liebeswut ihr Antlitz
Und raufte sich die wunderschönen Haare.
Und um Suleika saßen ihre Mädchen,
So wie der Hof des Lichtes um den Mond.
Sie hielten fest die Säume ihres Kleides,
So wäre der Zypressenleib entblößt.
Man hielt die Knospe fest, die junge Knospen,
Sonst wär die Rose wohl zum Markt gegangen.
Und als Suleikas Vater dieses hörte,
Beriet er sich mit seinen alten Weisen.
Man überdachte das und hielts für gut,
In Ketten sie zu legen wie den Irren!
Und also bracht man eine Kupferschlange,
Mit Perlen und Rubinen rings besetzt,
Die Schlange war es, die den Schatz bewachte.
Kaum aber schlief die Kupferschlange, weinte
Suleika eine Schnur von Tränenperlen:
In Liebesfesseln bin ich nun gefesselt,
Die Ketten sind mir teurer als die Welt.
Der Himmel kann ein Leben schnell beenden,
Was lässt der Himmel mich in diesen Ketten?
So lange fehlt mir alle Lebenskraft,
Kaum kann ich meinen Körper noch bewegen.
Ach warum diese schweren Ketten doch?
Ach warum dieses scharfe Schwert der Schmerzen,
Das mir das Herz in meiner Brust zerfleischt?
Hat die Zypresse Wurzeln erst geschlagen
Und kann sie weiter sich nicht weg begeben,
Was soll denn da die Klugheit noch des Gärtners,
Um sie herum zu ziehen Wassergräben?
Der Herzensdieb, er muss gefesselt werden,
Der mir die Seele und den Sinn geraubt!
Vergebens sucht mein Aug sich satt zu sehen
An seinen wunderschönen Rosenwangen,
Denn wie ein lichter Blitz schoss er vorbei
Und davon raucht mein brennendes Gemüt.
Ach wenn das Glück mir launisch lächeln wollte,
Die Ketten fesselten den Herzensdieb,
Dann schau ich ihn so lang an wie ich will,
Und dunkle Nacht wird hell wie lichter Tag.
Was rede ich? Den Zärtlich-Zarten fesseln?
Ihm, dem der Staub erscheint wie Fels und Berg,
Die reine Seele nieder ihm zu drücken?
Das wäre unerträglich schwer für mich!
Was wünsch ist seiner Seele denn die Lasten
Und seinem Silberkörper Kerkerketten?
Nein, sieben Schwerter mir mein Herz durchbohren,
Eh nur ein Dorn zerfetzt ihm seinen Rock!
Da sank sie hin auf die zerfleischte Brust
So wie ein Vogel, der zur Erde fällt.
Im Wahnsinn lallte sie die ganze Zeit,
Dann kehrte die Vernunft zu ihr zurück.
Doch bald erneut gepeinigt von der Liebe,
Sie stimmte neue Klagelieder an.
Und bald vergießt sie heiße Tränenströme
Und bald lacht sie so laut wie eine Närrin.
Gen Himmel jauchzend und betrübt zum Tode,
Ein Jahr lang blieb der Jungfrau Seele einsam.


ELFTER GESANG

O Liebe, komm, die du bist schlau und listig
Und die du Frieden spielst und Kriege spielst!
Den Weisen machtest du zum irren Narren,
Den Toren schaffst du um zum stillen Weisen!
Wenn du das Haar der Himmlischschönen bindest,
Umstrickt Frau Torheit den gelehrten Weisen.
Doch lösest du den Knoten ihrer Haare,
Strahlt der Verstand des ruhevollen Denkers!
Suleika, ungeduldig, unvernünftig,
Sie war des schwarzen Kummers Zwillingsschwester,
Von Gram umarmt, vereinigt mit der Schwermut,
Sie trank den Becher bittrer Leiden leer,
Verbracht die Nacht im heißen Liebesfeuer.
Sie riß den Schleier vom gesalbten Haupt
Und streute Asche auf den Lockenkopf,
Bog den Zypressenleib, um anzubeten.
Aus ihrem Augenlotos quoll ein Nil
Und mit der liliengleichen keuschen Zunge
Beklagte sie die Schwermut ihrer Seelen
Und sprach zu ihrem vielgeliebten Liebling:
O Dieb und Räuber meiner Seelenruhe,
Zerstörer der Zufriedenheit des Herzens,
Du schaffst mir Schmerzen, teilst sie nicht mit mir,
Du raubst mein Herz und gibst es nicht zurück!
Wüsst deinen Namen ich, so sagt ich ihn,
Und wüsst ich, wo du bist, ich eilte zu dir.
Einst war mir süß zumute und behaglich,
Nun bin verkorkst ich wie ein alter Korkbaum.
Ich trank schon eine große Menge Blut
Und schamrot bin ich wie die rote Rose.
Ich bettle nicht um deine stolze Liebe,
Doch darf ich denn nicht deine Sklavin sein?
Was, wenn du freundlich zu mir wärst und lieb
Und mich erlöstest aus den Leidensketten?
Kein Mensch soll so wie ich voll Weh verbluten,
Wie ich des ordinären Pöbels Spott!
Die Mutter über das missratne Kind
Muss klagen und mein Vater schämt sich meiner!
Verlassen bin ich, ach, von allen Mädchen,
Ich bin allein mit meinem schweren Kummer!
Hast du nicht Mut, mich trocknes Stroh zu nehmen
Und mich der Liebesglut zu übergeben?
So sprach sie zu dem Liebling ihres Herzens,
Bis sie ward von dem Schlummer überwältigt.
Vom Schlummerbecher trunken ihre Augen,
Erschien der Dieb, der ihr die Ruhe raubte,
Viel schöner noch, als Menschen sagen können,
So unaussprechlich lieblich war der Liebling!
Sie klammert sich an seines Rockes Saum,
Vergoss zu seinen Füßen dann ihr Herzblut
Und sprach: O du, in meiner Liebesqual
Die Seelenruhe flieht von meinem Herzen
Und Schlummer flieht von meinen müden Augen.
Bei Gott, der dich so sündenlos gezeugt,
Dich auserkoren aus der Welt der Schönen,
Verkürze mir die Zeit der Peinigung!
Sag deinen Namen mir und wo du wohnst!
Und Josef sprach: Erhört ist dein Gebet,
Ich bin Wesir im großen Land Ägypten,
Ich bin der Stellvertreter des Monarchen,
Der Herr, der Ewige, mit Ruhm mich kränzte!
Suleika, als sie ihren Liebling hörte,
Nach hundert Jahren Tod erstand zum Leben
Und voller Freude kam die Kraft zurück
Des Körpers wie auch die Vernunft des Geistes.
Im Schlummer war ihr neues Glück erwacht
Und die berauscht Entschlafene stand auf
In trunkner Nüchternheit erneuten Geistes.
Da nun des Schönheitsmondes neue Botschaft
Bewusstsein ihr verlieh und freien Geist,
Da rief sie ihre jungen schönen Mädchen:
Ihr habt die Leiden treu mit mir geteilt,
Seid nun die Freudenboten meinem Vater,
Befreit ihn aus der Feuersglut der Leiden,
Denn mein Verstand ist mir zurückgekehrt.
O treuer Vater, löse mir die Fesseln,
Ich fürcht nicht mehr die Wiederkunft des Wahnsinns!
Der Mann des Geizes schließt sein Silber ein,
Du aber schenke mir den Geist der Freiheit!
Der Vater hörte diese Freudenbotschaft
Und wurde fast verrückt vor Glück und Freude.
So eilte er zu der Zypressentochter
Und eilte schnaufend, wie Verliebte eilen,
Da schloss er auf der Kupferschlange Schnalle
Und löst die Silberbrüstigen die Fesseln.
Jetzt kamen junge Mädchen zu Suleika
Und setzten sie auf einen goldnen Thron,
Den hohen Ehrenstuhl der jungen Anmut,
Und schmückten sie mit einer goldnen Krone.
Die feengleichen jungen Mädchen kamen
Und schwebten leicht die Falter um die Lampe.
Umgeben von den jungen schönen Mädchen
Sie knabbert Zucker wie ein Papagei
Und fing dann an, geduldig zu erzählen:
Sie sprach von Griechenland und Syrien
Und schließlich vom berühmten Land Ägypten
Und kam zu sprechen so auf den Wesir.
Wenn ihre Zunge seinen Namen nennt,
Sinkt wie ein Schatten sie zurück zur Erde
Und auf zum Himmel steigen ihre Seufzer.
Und so vergingen Tage, flohen Nächte,
Sie sprach vom Vielgeliebten und Ägypten,
Lieh ihre Ohren auch nur solchen Worten,
Die ihr von ihrem Vielgeliebten sprachen,
Und sprach ein Mädchen einmal etwas andres,
So schwieg Suleika still aus lauter Liebe.


ZWÖLFTER GESANG

Und wenn der Liebling dir am Busen ruht,
Dann sehnst du dich nach andern Freiern nicht.
Der Schmetterling schwebt nicht zur Sonne auf,
Wenn ihm der jungen Hoffnung Fackel leuchtet.
Die Nachtigall schaut nicht zum Blumenstrauß,
Sie schmachtet einzig nach dem Rosenbusch.
Und wenn die Sonne wärmt die Lotosblume,
Dann schaut die Lotosblume nicht zum Mond.
Wenn Dürstende zu trinken kriegen Wein,
So fragen sie nicht nach dem weißen Zucker.
Suleika fand an diesem schönen Ort,
Was alles man zur Seligkeit benötigt.
Als Sklave diente ihr der weise Assaf,
Genügend Gold und Güter hatte sie,
Es waren Mädchen da mit weißen Körpern,
Die Mädchen standen ihr in allem bei,
Die herzverwirrenden, die jungen Mädchen,
Auf jedes Winken ihrer Herrschaft willig,
Und Knaben, lächelnd süß wie weißer Zucker,
Von Kopf zu Fuß so süß wie Zuckerrohr,
Und Neger, wie geschnitzt aus Ebenholz,
Und wie des Paradieses Engel keusch
Eunuchen in den Harem junger Frauen,
Vertraut mit jeglichem Belang des Harems.
Ägyptens wunderschöne Frauen alle,
Geschmückt mit allen Reizen junger Anmut,
Sie waren alle wie Suleika jung
Und suchten ihre Freundschaft, freundlich, treu.
Suleika saß da im Versammlungssaal,
Wo Menschen drängten dicht an dicht sich um sie.
Da spannte sie des Frohsinns blaue Fahne,
Die Lippen lächelten, das Herz voll Blut,
Sie schien mit allen Frauen klug zu reden,
Doch waren die Gedanken anderswo.
Zwar sprach sie mit den Sklaven der Versammlung,
Doch war ihr Herz allein bei ihrem Liebling.
In Weh und Wonne war sie ihm vereint.
Ihr leerer Körper nur war bei den Leuten,
Die Seele fühlte eine andre Qual.
So lebte sie vom Morgen bis zum Abend
Mit ihren jungen Freundinnen im Harem.
Kaum tat die Sonne abends an den Schleier,
Kaum thronte in der Einsamkeit der Mond,
Als sie in stiller Ruhe dunkler Nacht
Das Bild des Lieblings auf das Kissen legt
Und niederfällt vorm Vielgeliebten flehend
Und klagt der armen Seele stille Wehmut,
Sie stimmte ihre Stimme auf die Seufzer
Und fing das Klagelied des Wahnsinns an
Und sprach zum Bild: O Liebe meiner Seele!
Du hast mich fortgeschickt, mein Vielgeliebter,
Der du Wesir Ägyptens dich genannt,
Und dennoch sei dir ewig Ruhm und Ehre!
All meine Wonne, meines Lebens Krone
Ists, deine Magd und Dienerin zu sein!
Verlassen bin ich, fern der Heimat bin ich,
Beraubt des Glücks, mit dir vereint zu sein.
Wie lange trag ich noch des Elends Fackel?
Sei du das Licht im Garten meines Herzens,
Ein Pflaster für die Wunden meiner Seele!
Die Liebe schleppte, ach, mich zur Verzweiflung,
Ein Engel aber gibt mir junge Hoffnung.
Ich lebe nur noch für die junge Hoffnung,
Ich schüttle der Verzweiflung Staub nun von mir!
Dein Schönheitslicht strahlt in mein offnes Herz,
Ich hoffe innig auf ein Wiedersehen.
Ob ich auch blutig-rote Tränen weine,
Doch meine Augen schauen nach dir aus.
Glückselig ist die Zeit, da du als Mond
Ins große Zeichen meiner Augen kamest.
Seh ich dein Antlitz, werde ich zu Nichts!
Ich, ach, verliere den Gedankenfaden,
Verlier mich in Gedankenlosigkeit.
Ich bin nicht mehr an meinem eignen Ort,
Du bist nun an der Stelle meiner Seele!
Ich kann mich an mich selbst nicht mehr erinnern,
Und such ich mich, so finde ich nur dich!
Du bist mein Glück auf Erden und im Himmel!
Wenn ich dich treffe, sprech ich nicht von mir.
So sprach sie mit sich selbst am frühen Morgen
Und also sprach sie auch den ganzen Tag.
Am Morgen sprach sie: O ihr Morgenlüfte,
Durchweht die schneeigweiße Lilienaue,
Und siehe da, wie schön tanzt die Zypresse!
Du Ostwind, Bote du der Liebenden,
Du wehe Ruhe in das Herz des Jünglings!
Bring ihm den Liebesbrief vom jungen Mädchen
Und lindre du den Schmerz des Trauervollen!
Ach, keiner trauert trauriger als ich,
Kennt keiner Trennungsschmerzen so wie ich,
Mein Herz ist krank, mein Herz ist krank vor Liebe!
O lindre meine innern Qualen, Herr!
Zu schwer geworden ist mir dieser Gram,
O Lieber, tröste meine dunkle Seele!
Mein lieber Ostwind, schleiche du dich ein
In jeden Winkel dieser Mutter Erde,
Du dringe selbst noch durch verschlossne Türen,
Erbarm dich meiner, ach, ich bin verwirrt!
So eile du zur Stadt des Pharao
Und steig hinan zum Throne des Monarchen!
Dann frage überall nach meinem Mond
Und suche überall nach meinem Fürsten,
Durchziehe alle grünen Frühlingsgärten
Und wandele an aller Flüsse Ufern,
Vielleicht doch findest du die liebe Spur
Der wandelnden Zypresse an dem Ufer?
Such unter den getuschten Bildern Chinas
Ein Reh voll Anmut, das dem meinen gleicht!
Und kehrst du heim dann aus dem Reich der Mitte
Und dir begegnet dann ein schönes Rebhuhn,
So bitte, fang das Rebhuhn dann für mich!
Und stößt du wo auf eine Karawane,
So lenk die Karawane in mein Land!
Vielleicht doch seh ich meinen jungen Helden
Und pflücke eine scharlachrote Rose
Vom süßen Rosenstrauch der jungen Hoffnung!
So also sprach sie mit den Morgenlüften,
Als aber dann des Tages Sonne aufging,
War sie umringt von jungen schönen Mädchen
Mit reinen Herzen und mit festen Brüsten!
Und also ging es immer Tag und Nacht
Und Mond um Mond und Jahr um Jahr so weiter.
War ihr im Haus das volle Herz sehr schwer,
So eilt sie zu den Blumen in dem Garten.
Und bald erzählte sie den roten Tulpen
Von ihrem Liebling mit den Rosenwangen,
Bald aber eilte sie zum Strand des Nil,
Erzählte dort dem Nil von ihrem Kummer
Und mischte ihre Tränen mit dem Wasser.
Von woher kommt der Vielgeliebte wohl?
Kommt er als Sonne oder kommt als Mond?
Auf, meine Seele, du bist ein Poet,
So mach doch, dass der Mond von Kanaan
Kommt zur Verliebten bald aus Kanaan.
Voll süßer Hoffnung ist das Herz Suleikas,
Die Augen voller tränenreichem Kummer.
Zu lange musste, ach, Suleika warten!
Auf, meine Seele, Dichterin, Prophetin,
Wir wollen unsre Frau Suleika trösten
Durch die Vereinigung mit dem Geliebten!


DREIZEHNTER GESANG

Was wäre schöner denn dem Liebenden,
Als wenn ihn die geliebte Freundin liebte?
Wenn er in ihr geheimes Zimmer komme
Und ihre Brust wär frei von Alltagssorgen?
Er dann erzählte ihr die alten Märchen
Und wöhlte sie sich zur Intimvertrauten.
Und Josef ging in seine Wohnung nun,
Da kam ein Wärter, sagend: O mein Herr,
Hier an der Türe steht ein altes Weib!
Soll ich sie führen doch zu deinem Thron?
Und Josef sagte: Bringe sie herbei
Und ist sie arm, so gib ihr milde Gaben.
Sie möge sagen, was sie von mir wünscht.
Da tanzte wie die Müchen in dem Abend
Suleika in den Thronsaal des Wesires.
Mit ihrem Rosenmunde sprach Suleika:
Heil Josef! Er frug sie um ihren Namen.
Suleika sagte da: Ich bin die Frau,
Die auf den ersten Blick dich auserkoren,
Die Herz und Seele ganz dir hingegeben,
Die ihren Frühling gab dem Winde hin
Und die nun alt geworden, graues Weib.
Du liebst die Herrschaft wie ein liebes Weib,
Mich Alte aber hast du ganz vergessen!
Er sprach: Was willst du denn von mir, Suleika?
Und warum bist du doch so voller Sorgen?
Als Josef sprach Suleikas Namen aus,
Ach, da verlor Suleika die Besinnung!
Ihr Busen schäumte von des Wahnsinns Schaumwein!
Er sprach: Wo sind die Reize deiner Jugend?
Sie sprach: Als ich dir fern war, wichen sie.
Er sprach: Was funkelt nicht dein Aug mehr blitzend?
Sie sprach: Ach fern von dir, ich weinte viel.
Er sprach: Was krümmt sich dein Zypressenkörper?
Sie sprach: Die Trennung lag auf meinen Schultern.
Er sprach: Wo ist die Krone deines Hauptes?
Sie sprach: Die Dichter rühmten meine Reize
Und krönten mich mit Gold der Lobeshymnen.
Mein Gold warf ich zu ihren Füßen hin
Und krönte die Poeten mit dem Ruhm.
Er sprach: Was willst du aber nun von mir?
Sie sagte: Was ich will, das ärgert dich.
Er sprach: Beim Gottesgeiste der Propheten
Und bei dem Ewigen der Patriarchen,
Beim Herrn, dem Feuer, das im Dornbusch brannte -
Ich, Josef, ich bin Gottes Anvertrauter!
Sag du mir, was du heute von mir willst,
Ich will dir deine Wünsche gern erfüllen.
Sie sprach: Ich will zurück die Jugendreize!
Ich will erleuchtet meine Augen haben,
Um dich zu sehn, du Rose meines Gartens!
Und Josef betete zu Gott dem Herrn
Und floss dann über von geweihtem Wasser
Und schenkte wieder so der toten Schönheit
Der alten Frau, die fünfzig Jahre zählte,
Erneutes Leben, neue Jugendreize,
Erfrischte Ihrer Jugend Rosengarten
Mit dem lebendigen, geweihten Wasser.
Die grauen Strähnen mit gespaltnen Spitzen
Ihr fielen aus der rabenschwarzen Mähne,
Der krummgebogene Zypressenleib
Ward wiederum zur schlanken Dattelpalme,
Die Falten und die Runzeln des Gesichts
Nun wie der Luna Silberantlitz wurden,
Die 'Reize ihrer Jugend, hoch erotisch,
Sie wurden reizender, entzückender!
Sie war noch schöner als zur Jugendzeit!
O Schönheit, sagte Josef voll Bewundrung,
Was wünschst du dir, dass ich es dir erfülle?
Ich habe einen Wunsch allein, sprach sie,
In Ewigkeit mit dir vereint zu sein!
Tags möchte ich dein Sonnenantlitz essen,
Nachts möchte ich dein Mondenantlitz trinken,
Im Schatten deines Zedernleibes ruhen
Und kauen stets den Zucker deines Mundes!
Die trockne Erde meines Körpers möge
Frisch werden von dem Regen deiner Liebe!
Als Josef dieses Wort Suleikas hörte,
Da schwieg er still und dachte lange nach
Und schaute in die Himmelswelt der Geister.
Da nahte ihm der Engel Gabriel
Und sprach zu Josef: Freue dich, Gerechter!
Gott hat Suleikas Bitten all erhört,
Bewegte sie doch Gottes Allerbarmen,
Barmherzigkeit ist groß in Gottes Schoß!
Und so vermählt der Herr der Heeresscharen
Dich, Josef, jetzt mit deiner Vielgeliebten
Im Angesicht des ganzen Hofs des Himmels!


VIERZEHNTER GESANG

Als Josef von dem Herrn empfing die Weisung,
Das Bündnis mit Suleika nun zu schließen,
Da macht er ein Gelage, das war fürstlich,
Da alles war, was süße Lust verschafft.
Er lud die Fürsten und die Edlen ein
Und setzte sie auf ihre Ehrensitze.
Nach Abrahams Gesetz und Jakobs Glauben
Und nach des Morgenlandes schönen Bräuchen
Vermählte er sich also mit Suleika,
Der größten Perle an der Perlenschnur.
Frau Luna und die Fische streuten Silber,
Als sich der Meister seiner Wonne freute.
Und Josef bat die Gäste um Vergebung,
Er bat die Gäste um Verschonung, Nachsicht,
Und schickte dann die junge Braut Suleika
In sein Gemach in tiefer Einsamkeit.
Die Mägde brachten ihrer Frau Suleika
Als Morgengabe ihre goldne Krone,
Sie jauchzten über ihrer Herrin Schönheit
Und gaben ihr ein teures feines Kleidchen.
Als nun der Lärm der Menge war verstummt
Und jeder kehrte heim in seine Wohnung,
Als Luna in dem seidigen Gewand
Verschleierte die schwarze Mutter Erde,
Als am saphirnen Firmament des Himmels
Der Chor der Myriaden Sterne sang,
Als die Plejaden schimmerten so schön
Wie blutiger Rubin und weiße Perlen,
Das schwarze Haar der Nacht die Welt bedeckte
Und alle unter Decken lustig spielten,
Da war Suleika einsam, doch ihr Herz
Glich einem Mückentanz im Sonnenlicht.
Das heiße Dürsten stillte ihr kein Wasser,
Kein Meer je löschte ihres Herzens Brand.
Sie sprach: Ich kann es ja noch gar nicht glauben,
Dass mir das Schicksal jetzt so gnädig ist!
Der Vorhang vor dem Fensterloch ging auf,
Frau Luna schmückt mit Silberglanz das Haus.
Suleikas Augen sahen den Geliebten,
Sie fühlte neue Wonne, neue Wollust,
Sein Schimmer raubte ganz ihr den Verstand,
So weicht die Finsternis vorm Licht der Sonne.
Als Josef die Geliebte sah, die Schöne,
Den Wahnsinn sah der Lust, die er erregt,
Da hebt er die Geliebte auf den Thron
Und bettet sie in seinen starken Armen.
Durch seinen Duft gestärkt, durch sein Parfüm,
Erwachte sie aus ihrem trunknen Traum.
Nun schaute sie ihn an, er war so schön
Wie ein Poet auf einem Bild aus China.
Und ihre süßen Lippen öffneten
Das Salbgefäß des gläubigen Vertrauens,
Und da das Salz ihm seine Lust gewürzt,
Umfing er herzlich sie mit beiden Armen,
Und oh wie glücklich war er, oh wie glücklich,
Als nun sein Finger fand die kleine Perle,
Die unversehrte Perle ihres Schoßes!
Wie blieb doch deine Perle unversehrt?
Sie sprach: Du hast mich ja nur angeschaut,
Doch pflücktest du die keusche Knospe nie!
Ich war ja noch ein unberührtes Mädchen,
Als ich dein wunderschönes Traumbild sah
Und leise dich nach deinem Namen fragte.
Dies keusche Kleidchen der Jungfräulichkeit
Hab heilig ich bewahrt vor jedem Mann!
So blieb die kleine Perle unberührt!
Gelobt sei Gott der Herr, der Himmelsvater,
Dass diese reine Perle unberührt blieb
Und nicht berührt von eines Sünders Finger!
Zwar Schwerter mir durchbohrten meine Seele,
Doch habe ich mich aufgespart für dich!
Er sprach: Du Schönste aller Himmelsjungfraun!
Ist diese Liebes-Einigung nicht schöner
Als alles, was du einst im Traum erfahren?