KINDHEITSLIEBE

von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


ERSTE POESIE AM BLAUEN FENSTER

Ich saß in meinem Zimmer vorm Fenster und
Sah auf die Erle. Dämmerungsstunde, blau
Die Luft, wie Meere blau der Himmel,
Da kam die Muse der süßen Wehmut.

Ich nahm ein leeres Schulheft zur Hand und schrieb
Mit blauer Schrift aufs weiße Papier, Erguss
Des ersten süßen Musenkusses,
Knabe, ich zählte erst dreizehn Jahre.

Gesicht des blauen Abends, der Wehmut Traum,
Vision der Zukunft, sehnsuchtsvoll, friedlich still,
Weltseele, melancholisch, schweigsam,
Göttlicher Anhauch der jungen Muse.

Ich schrieb, ich weiß nicht, was ich geschrieben hab
Und zeigte das den Eltern, sie blieben stumm.
Poet, kein Echo auf dein Singen,
Du ein verkanntes Genie, doch singe!


ABENDROT, DIE ENGLEIN BACKEN BROT

Wenn Abendröte glühte am Horizont,
So backten dort die Engel das Engelsbrot.
Wenn Angler saßen am Kanale,
Grüßten sie: Heil dir, Apostel Petrus!

Der Tannenbaum zur Weihnachtszeit und Gesang:
Kommt, Kinder, kommt zu Bethlehems Stall! Und seht,
Maria liegt im Stroh mit Josef,
Seht auch im lockigen Haar den Knaben!

O Weihnachtsfest, um Mitternacht, Kirchengang,
In Sankt Ansgari Unsere Liebe Frau,
Maria, unser Weihnachtsmädchen,
Und in der Krippe das blonde Baby.

Und Oma sang: Die Rose entsprungen ist!
Ich dachte, dass ein Rösslein entsprungen sei,
Der Pegasus der Musenquelle,
Mutter Medusa hat ihn geboren!


DIE EISENBAHN

Wie schön war meine Eisenbahn, das Modell,
Mit Bahnhof und mit Lokomotive, und
Mit Berg und Tal und grünen Eichen,
Riesig die Anlage stand im Keller.

Und durch das Dorf auch zogen die Schienen fort,
Ich las von Abenteuern des Schienenstrangs.
Auch durch den Wald die Schienen zogen
Bis zu der sinkenden roten Sonne!

O Fernweh! Oder Heimweh zum Horizont!
O roter Sonnenuntergang! Totenreich
Im Westen! Heimweh in den Himmel!
Sehnsucht nach ewiger Lebensfülle!

Wär Führer ich der Lokomotive doch!
Berufswunsch meiner Kindheit – ein Führer sein,
Mir nach, Genossen! Folgt mir, Männer!
Ich will den Weg euch zum Himmel führen!


LENZ PARK

Der Garten an dem Haus meiner Kindheit war
Ein Park, der Park der älteren Dame Lenz,
Dreihundert Jahre alte Buchen
Schauten auf bunteste Krokuswiesen.

Der Apfelbaum trug Früchte im Herbst, ich aß
Die sauen Äpfel immer zu einem Buch,
Ich aß die Bücher, aß die Weisheit,
Äpfel vom Apfelbaum der Erkenntnis.

Auch saure Kirschen hingen am Kirschbaum, rot,
Tiefrot, fast violett war die saure Frucht,
Kirschbommeln überm Ohre, Mädchen,
Das ist als Ohrringe vielmals schöner.

Und Pflaumen hingen süß an dem Pflaumenbaum,
Geteilt die Pflaume, zeigt sie das weibliche
Geschlecht, die süße Göttin Vulva,
Denn die Natur ist erotisch, sinnlich.

Und stets im Sommer weidete dort ein Lamm,
Von Bauern ausgeliehen, das fraß nur Gras,
Das fraß und schlief und pisste täglich,
Fraß auch die Marihuana-Blume.

Und wenn vom Garten Eden ich hörte, dacht
Ich immer an den Garten der Dame Lenz.
Ich sprech auch nicht von Frühlingsfreude,
Sondern chinesisch nur stets von Lenzlust.

Und immer Ostern, selige Osterzeit,
Und immer Ostern blühten die Krokusse,
Der weiße, lila, gelbe Krokus,
Wahrlich, der Christus ist auferstanden!


ERSTE LIEBE IM KINDERWAGEN

Ich saß im Kinderwagen, die Mutter stand
Mit meinem Bruder neben dem Wagen und
Das kleine Nachbarmädchen schaute
Liebevoll süß in den Kinderwagen.

O erste Liebe! Tochter Athenes du!
Hast du geprägt des Liebenden Ideal?
War die Idee schon in der Seele?
Das wusste selbst nicht der alte Goethe.

Und aus Hannover nahte Marita im
Karierten Röckchen, schneeweißen Hemdchen, und
Wir standen an dem Schwanenteiche,
Fütterten Enten und Trauerschwäne.

Und dann im Park von Lütetsburg bei dem Schloß
Saß mit Marita ich auf der weißen Bank:
Der Pilger findet hier die Ruhe,
Hier auf der Seligen Liebesinsel.


MEINE COUSINE PETRA

Aus Hameln war gekommen, aus Bad Pyrmont,
Cousine Petra, niedliches Mädchen, süß,
Im Sommer spritzten wir mit Wasser
Nackende Körper erfrischend nass und

Dann legte ich mich schlafen – ich tat nur so,
Sie kam, mich wachzuküssen – o erster Kuss!
So werde ich mich schlafen legen
Einmal auf gnädigem Totenbette

Und Unsre Liebe Frau kommt zu mir und küsst
Mich wach, ich werde auferstehn von dem Kuss!
Ja, Schwester Todin wird mich küssen,
Wie mich die himmlische Petra küsste!


DIE KINDERBIBEL

Wir hatten in der Schule auch Religion
Und eine Kinderbibel zum Lesen auch.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern:
Samuel schlief in dem Tempel Gottes,

Ein kleiner Knabe Samuel, als ihn Gott
Berufen zum Propheten in Israel,
Noch kannte er nicht Gottes Stimme,
Dachte, es rief ihn der alte Priester.

Doch Gott rief zweimal, dreimal, und Samuel
Vernahm den Ruf. Ich auch hörte Gottes Ruf,
Beim Lesen in der Kinderbibel
Hörte ich auch, dass mich Gott berufen!


MEINE GESCHICHTE FÜR OMA

Ich schrieb für Oma eine Geschichte zum
Geburtstag, da sie saß zu der Rechten des
Pastoren, welcher aus der Bibel
Vorlas das Psalmlied vom guten Hirten.

Da saßen in dem Garten der Dame Lenz
Die Kinder in den Bäumen und bliesen die
Posaunen von der Auferstehung:
Gott ist das Leben, die Auferstehung!

Ich schrieb den Text in Kalligraphie und band
Die Blätter schön zum Buche und gab es ihr,
Poet des Glaubens und der Damen.
Großmutter war meine erste Muse.


SCHMETTERLINGSFLIEDER IN OMAS GARTEN

Es stand ein lila Schmetterlingsflieder stolz
In Omas Garten, neben den Fuchsien
Und den Geranien der Terrasse,
Neben den strebenden Bohnenstangen.

Und um den lila Schmetterlingsflieder war
Von Schmetterlingen stets ein Gewölk, Monarch
Und Admiral, Kohlweißling strahlend
Oder der gelbe Zitronenfalter.

Am liebsten mochte ich den Monarchen, der
Im Purpurmantel schwebte im Himmelreich.
Und Oma lehrte mich die Weisheit:
Rühre du nie an die Falterflügel,

Denn sonst verlieren Puder und Schminke sie
Und sie verlieren all ihren Zauber und
Sie sterben wie gemeine Motten.
Das war die Weisheit der Knabenweihe,

Von da an wusst ich: Rühre kein Mädchen an,
Denn nur die Unberührten sind zauberhaft,
Doch die Berührten werden sterben
Wie eine Motte im Licht der Kerze.


TEEZEREMONIELL

Ein feines Porzellan wars mit Rosenschmuck,
Mit grünen Blättern, rosiger Blüte, da
Der schwarze Tee ward aufgekocht und
Eingeschenkt dann in die feinsten Tässchen.

Der Tee war rötlichbraun und die Sahne weiß,
Der schwarze Tee war bitter, der Kandis süß.
Drei Tassen tranken die Ostfriesen,
Drei ist das heilige Recht der Friesen.

Ich saß mit Oma oft in der Stube still,
Wir spielten dann Mensch-ärgre-dich-nicht und auch
Das Brettspiel Dame, Oma schenkte
Dann auf dem Teewagen unsern Tee ein.

Auf diesem ihrem Teewagen waren schön
Bebildert blaue friesische Fliesen mit
Motiven aus dem Buch der Bibel.
Also wir tranken den Trank der Gottheit.


SCHULE

Was hab ich in der Grundschule denn gelernt?
Ich weiß nur zwei Lektionen noch, eine sprach
Von Gottes Liebe voll Erbarmen,
Von dem barmherzigen Samariter.

Ein Mann war unter Räuber gefallen, lag
Verwundet an dem Straßenrand, und da kam
Ein Priester, aber ließ ihn liegen,
Dann kam ein Frommer und ließ ihn liegen,

Dann kam ein armer gottloser Heidenmensch,
Der pflegte seine Wunden mit Wein und Öl.
Ich war der arme Mann der Wunden,
Gott der barmherzige Samariter.

Die andere Lektion auch vergess ich nicht,
Die Lehre der erotischen Liebe, da
Der Penis erigiert und eindringt
In des geöffneten Weibes Vulva.

Mysterium von Phallus und Vulva, o
Die Samen strömen all zu dem einen Ei,
Das Ei wählt Eine Samenzelle,
Same und Ei sich in Lust verschmelzen.

Zwei Liebesweisen, beide Mysterium,
Die Liebe Gottes und die Vereinigung
Des Mannes mit dem Weibe, also
Lernt ich genug in der Liebe Schule.


DES ARCHITEKTEN TOCHTER

Die junge blonde Nachbarin Dörte war
Des Architekten Tochter und spielte gern
Mit mir zusammen mit den Puppen,
Oder wir spielten im Garten Ping-Pong.

Ich wollte Maurer werden und Stein um Stein
Der Weisheit Pyramide errichten mit
Dem Schlusstein, mit dem frommen Dreieck,
Das war die Weisheit des Architekten.

Und seine Tochter war wie ein Sonnenschein
Und war Geliebte, Spielfreundin, Partnerin.
Mit mir der Vater und die Tochter
Gingen am Ewigen Meere segeln.

Wir fuhren in dem Segelboot, Sturm kam auf,
Wir kreuzten auf dem Ewigen Meer im Sturm.
Und überm Schaum des Meeres thronte
Dörte, die Braut, in der Muschelschale.


DAS GARTENHÄUSCHEN IN LENZ PARK

Im grünen Park der älteren Dame Lenz
Verlassen stand ein Gartenhaus, einsam dort
Die Bienenkörbe noch des Imkers
Und die Geräte des Gärtners, heimlich

Den ersten Tabak rauche ich dort, im Traum
Ich dachte dort an Schulmädchen auch, die jung
Und schön mich bitte küssen möchten,
Spinnweben hingen in allen Winkeln.

Ich war allein im Gartenhaus, stets allein,
Kein junges schönes Schulmädchen küsste mich,
Allein die Königin der Bienen
Mich in dem Matriarchate liebte,

Und sie, die schöne Allseele der Natur,
Die in dem Gartenparadies mich umgab,
Allein die Einsamkeit erfährt sie,
Wie sie mich küsst mit den süßen Lippen.


GRIMMS MÄRCHEN

Ich liebte das Schneewittchen, so weiß und rein,
Die Himmelsjungfrau schlank in dem weißen Kleid,
Der Spiegel sprach: Sie ist die Schönste!
Schön war sie schließlich noch im Kristallsarg!

Ich liebte das Dornröschen, die Rose rot,
Die Hagebutte, Weinbeere, Scharlachmund
Und kurzes rotes Kleid, Geliebte,
Wachküssen wollte ich die Geliebte.

Ich liebte Aschenputtel, wie Asche schwarz,
Mit langen schwarzen Haaren, Frau Armut, die
Die Taube hörte auf dem Friedhof
In der Kastanie am Grab der Mutter.


NIBELUNGENLIED

Die erste große Dichtung, die zu mir kam,
Das war das Nibelungenlied, episch-breit
Erschienen König Gunter, Siegfried,
Hagen von Tronje und König Etzel.

Ich weiß es noch, es war mir zu blutig all
Der Männermord! Doch sehe ich auch noch klar
Vorm Auge meines Geistes strahlen
Eine germanische Heldenjungfrau,

Die aus der Kemenate herabgeschaut,
Mit ihren blonden Zöpfen, geflochtenen,
Mit goldnen Locken, blauen Augen,
Schneeweißem Antlitz und Rosenmunde.

Das war nicht Brunhild, das war auch Kriemhild nicht,
Nein, das war ganz die friesische Königin,
Das war die wunderschöne Gudrun,
Die zu mir lächelte vom Balkone.


DER TABAK

Als erstes rauchte Schilfrohre ich im Park,
Pethedas Zigaretten auf Baltrum dann
Nahm heimlich in den Mund ich, paffte
Qualm in der Teestube, Tantes Küche,

Dann holte ich die Lord-Zigaretten aus
Dem Automaten, rauchte mit Freunden in
Dem Wald der Indianerspiele,
Qualmte die Wolke der Friedenspfeife.

Ich baute eine Pfeife mir selber in
Des Vaters Werkzeugkeller. Doch blieb ich bei
Den selbstgedrehten Zigaretten,
Rauchte den halbschwarzen Samson-Tabak.

Die Pfeife ist dem Raucher die Ehefrau,
Die Zigarette ist die Geliebte! Ehescheu
Zog vor ich die Geliebte, küsste
Oft die Geliebten, die Nikotinas.


INDIANER IM WALD

Ich war der Deutsche, der in Amerika
Des Indianers Bruder geworden war.
Und der katholische Andreas
War unser Häuptling der Indianer.

So zogen wir mit Bogen und Pfeil im Wald
Und suchten Spuren unserer Feinde, dann
Wir auf dem Abenteuerspielplatz
Trafen auf Karin, die schwarzgelockte,

Sie war die indianische Squaw, die Braut
Des Deutschen und die Schwester des Häuptlings, und
Ihr Name war: Der Tag der Schönheit,
Liebevoll küsste ich ihre Lippen.


DAS MESSER AUS NORWEGEN

Ich wollte gern ein Messer besitzen, um
Des Lichtes tapfrer Krieger zu sein, und bat
Um solch ein Messer, und es kam auch
Zu mir aus Norwegens hohem Norden.

Ein Hirschhornmesser mit schönem Schaft
Und scharfer Klinge silbernen Stahls und blank,
Es stak in einer Lederscheide,
Die ich am Hüftgürtel angebunden.

Ich schnitze kleine Boote aus Borke, ließ
Sie treiben auf dem Gartenkanal und sah
Der Barke nach, die schwand im Westen,
Wikinger, die nach Walhalla fuhren.


EIS UND LAKRITZ

Die Italiener machen das beste Eis,
Das gabs schon in des teuflischen Nero Zeit.
Spaghetti-Eis hab ich gegessen,
Erdbeern die rote Tomatensauce.

Ich liebte das Vanille-Eis allermeist,
Bananen-Eis und Erdbeer-Eis und dazu
Geschlagne Sahne, eine Wolke,
All dieses Süße im Waffelhörnchen.

Auch liebte ich Lakritze, am meisten das
Aus Holland, doch das dänische auch, mit Salz,
Doch auch die spitzen Katzenohren
Oder die weicheren Katzenpfoten.

Ich hatte mir die Zähne verdorben mit
Der Schleckerei der Süßigkeit, krumm und schwarz
War das Gebiss in meinem Munde.
Aber es war eine süße Sünde.


SKANDINAVIEN

Im klaren Skandinavien war ich oft,
Von Kiel und Lübeck kam ich nach Dänemark,
Die Insel Langeland war purpurn
Von all den träumenden Poppie-Blumen,

Da fragte meine Mutter mich, ob ich mehr
Die großen Brüste oder die kleinen mag.
Ich sah des Königs Kopenhagen,
Etwas war faul in dem Staat der Dänen.

Ich sah Stockholm, der schwedischen Königin
Geliebte Sommerresidenz Öland auch,
Mein Vater schwand im Segelboote,
Ging auf der Ostsee verloren. Weh ihm!

Auf Öland formt ich Vasen aus Lehm am Strand.
Mit einer roten Rose die Vase dann
Ich schenkte meiner lieben Oma,
Schweden war immer der Reim auf Eden.

Ich sah im klaren Norwegen auch das Licht
Der weißen Nacht des Sommers. Wir aßen Lachs,
Den Lachs der Weisheit der Druiden,
Lachs, der zur Quelle zurückschwimmt, Weisheit,

Die lehrt als Mutter, gegen den Strom der Zeit
Zu schwimmen tapfer, gegen den Strom der Welt.
Wir kamen an das stolze Nordkap,
Standen am nördlichsten Punkt Europas.

In Lappland standen Rentiere vor dem Zelt,
In dem ich in der freien Natur geruht,
Ich sah in Finnland auch die Birken,
Sah auch die zehntausend Seen von Finnland.

Ich sah den Dom von Uppsala, Heiligtum
War Uppsala germanischer Heidenwelt,
Nun Uppsala gehörte Christus!
Nun auch Brigitta von Schweden grüß ich,

An ihrem Tag mein Vater schied aus der Welt,
Es donnerte, es blitzte, es regnete,
Als Vater starb, ich hab gebetet,
Mutter sprach: Gott war voll Zorn und Ingrimm!

BALTRUM

Wie schön ist das Dornröschen der Nordsee doch,
Die Perle in der südlichen Nordsee Schaum,
Heil, meine Mutterheimat Baltrum,
Eiland im friesischen Archipele!

Von Paula Margarethe geboren ward
Petheda, meine zärtliche Muhme, die
Gastfreundlich mich als Kind empfangen,
Teestube hieß ihre schöne Wirtschaft.

Dort waren blauweiß friesische Kacheln am
Kamin mit schönen Bibelmotiven, dort
Der Ohm las vor von Indianern,
Arno, vergötterter Mann Pethedas.

Der Apfelkuchen süß war mit Zimt bestreut
Und Eis gab es mit Erdbeergeschmack genug
Und heimlich den Genuss des Tabaks,
Rauchte Petheda ihn in der Küche.

Schön lag die kleine Teestube in dem Grün,
Wir suchten bunte Eier zu Ostern dort,
Man sah Kaninchen dort und Rebhuhn,
Nah war das schweigende Kiefernwäldchen.

Am Wegrand lagen Heuballen schön zum Spiel
Des Kinds, zu bauen heimliche Wohnungen
Im Heu und dann zurückzukehren
Fröhlich zur liebenden Mutterschwester.


DER GOLIATHHÜGEL

Die Kinderbibelstunde belehrte mich,
Es lehrte mich das Fräulein Marie vom Hof,
Wie Moses als ein keines Kindlein
Ausgesetzt ward auf dem gelben Nile,

Wie Josef von den Brüdern gepeinigt ward
Und in den tiefen Brunnen gesperrt, verkauft,
Wie David kämpfte mit dem Riesen
Goliath, stark durch den Namen Gottes,

Der Knabe, der durch Zebaoths Kraft gesiegt.
Ich spielte mit den Freunden in der Natur,
Wir spielten schön auf einer Insel,
Da war ein Hügelchen, das ich nannte

Den kleinen Hügel Goliaths, denn es war
In meinem Denken David ein Riese und
Ein Knabe Goliath, ein kleiner
Knabe wie ich unter Gottes Segen.


KONFIRMATION

Als zu der Kirche Konfirmation ich ging,
Nichts von dem Evangelium hörte ich,
Geladen ward zum Abendmahle
Ich in der Kirche von Sankt Ansgari.

Ich trat zum goldnen Kelche mit Christi Blut,
Ich kniete vor dem Kelche mit Christi Blut,
Und da begann ich auch zu bluten!
Da war der Vorsehung Zeichen, nämlich,

Wir müssen unser Blut mit dem Blut des Herrn
Vermischen, unser Kreuz mit dem Kreuz des Herrn,
Und sind wir auch von Gott verlassen,
Jesus war gleichfalls von Gott verlassen,

Wir opfern auf dem Opferaltar nicht nur
Den Leib, das Blut des heiligen Lammes, auch
Uns selber sollen ganz wir opfern,
Mit dem Erlöser sein Miterlöser!


DIE MUSIK

Ich blies die Flöte, Volkslieder spielte ich,
Die Muse reichte früh mir die Flöte schon,
Doch dann kam das Piano-forte,
Johann Sebastian Bachus spielt ich,

Dann spielte ich auf Mutters Gitarre auch,
Und Mutter sagte; Lässt du sie weinen, Sohn,
Sie weinen ihre blauen Töne?
Aber ich hörte auch gern Gesänge.

Novalis war mein erster Poet. Im Lied
Ich hörte die Novalis-Gedichte gern.
Und Anna Magdalena Bachus
Blieb mir die Liebste doch aller Musen.


SCHMETTERLINGE IN SONJAS GARTEN

Die selben Schmetterlinge, die ich gesehn
An Omas lila Schmetterlingsfliederbusch,
Die sah ich auch in Sonjas Garten.
Sonja (die Koseform von Sophia)

Empfing mich voller Liebe in der Natur,
Und wie die Schmetterlinge im Hochzeitstanz
Stets schweben um den Baum des Lebens,
Feierten wir auch im Spiel die Hochzeit,

Denn Sonja lud mich ein in ihr Schlafgemach,
Ich saß auf ihrem Mädchenbett neben ihr,
O Gegenwart des Falters Eros!
Eros und Psyche, die Falter tanzend!


OMAS SPIEGEL

In meiner Oma Schlafzimmer sah ich stehn
Von altem braunem Holz die Kommode, drauf
Ein Triptychon von Spiegelflügeln.
Wenn ich geschaut hab in diesen Spiegel,

So spiegelte der Spiegel den Spiegel noch,
Und dieses Spiegelabbild des Spiegelbilds
Sich spiegelte im dritten Spiegel,
Da war im Spiegel ein Universum,

Das war Alice im Wunderreich, Celia,
Das war der Spiegel Anna Achmatowas,
Ein Gast war kommend aus der Zukunft
Sichtbar als Geist in dem Spiegel-Weltall.


OMAS BEERDIGUNG

Es war zu Christi Himmelfahrt. Hochzeitsfest,
Mein großer Bruder feierte Hochzeit. Da
Prophetisch sagte meine Oma:
Heirate niemals, mein lieber Junge!

Und als sie lag im Sterben, da sah sie noch
Den Geist des Enkels treten ans Sterbebett.
Sie fragte: Hier ist doch mein Junge,
Höre ich singen doch meinen Jungen!

Und als sie war geschieden aus dieser Welt,
In ihrem Hause trauerte ich des Nachts,
Und da kam zu mir Jesus Christus,
Ich fiel aufs Antlitz, hab angebetet!

Und als beerdigt wurde die liebe Frau
Und Mutter meiner Seele, da hörte ich
Ihr Testament im Orgelbrausen:
Ewige Gottheit, ich will dich loben!

Und meine Oma trat zu dem Thron des Herrn
Und bat für mich und sagte zu Gott dem Herrn:
Mein großer Gott! Gib meinem Jungen
Bitte die Gnade des wahren Glaubens!


OMAS BIBEL

Die Bibel meiner Großmutter, alt und schwarz,
Ich las sie bei der Konfirmation. Und nach
Dem Heimgang meiner lieben Oma
Erbte das Bibelbuch meine Mutter,

Und dann hat meine Mutter vererbt das Buch
Dem frommen Sohn. Zur heiligen Hochzeit einst
Hat Oma dieses Buch bekommen
Von dem Pastoren der Insel Baltrum.

Die Bibel wars im lieblichen Lutherdeutsch.
Die Bibel ist der Großmutter gleich, die spricht
Zu Gottes Enkel von der Liebe!
Nun liegt das Buch in der Bundeslade,

In der Kommode Omas an meinem Bett,
Und mit der Bibel Omas sind aufbewahrt
Ein Rosenkranz aus Lourdes, Mariens
Nabelschnur, mystische rosa Perlen,

Das braune Skapulier Unsrer Lieben Frau
Vom Berge Karmel, eine Reliquie,
Ein wenig Erde von dem Grabe
Karmelitanischer Sankt Therese.

Die Bibel ist der Großmutter gleich, die fromm
Vom lieben Gott erzählt. Der die Biblia
Studiert, der fromme Schriftgelehrte,
Ehemann ist er der Bibel Gottes.


DIE TAUBEN IM KASTANIENBAUM

Wie Cindarella hörte am Muttergrab
Die Tauben gurren in dem Kastanienbaum,
Im Park der Dame Lenz auch hörte
Tauben ich Ruckediguh in Ruhe

Mit ihrem schönen rollenden Stimmenton
Als Mütter gurren oder als Liebende
Mit süßem Girren sich liebkosen.
Das war mir immer der Seele Heimat.

So als ich meine Wohnung als Eigentum
Erworben, meine Tilsiter Einsiedlei,
Da sah ich vom Balkon und hörte
In dem Kastanienbaum Tauben gurren.

Und als ich in Besessenheit Evelin
Geliebt, stand ein Kastanienbaum vor dem Haus,
Da weiße Turteltauben ruckten,
Gurrten und girrten, die Äste krachten,

Wenn wild die Turteltauben im Liebesakt
Die Busen pickten, spreizten die Flügel, mit
Gegirre und Gegurre ruckten
Und ihren Liebesakt zelebrierten!


DIE GLOCKEN DER KIRCHE

In meiner Kindheit Garten vernahm ich stets
Der Kirche frommes Glockenspiel, hörte gern
Die Glocken der Ansgari-Kirche,
Fest in den Händen der Lutheraner,

Und das Geläut der kleinen Kapelle von
Sankt Wiho, da katholisch gefeiert ward
Das Opfer Christi am Altare,
Da zu der Wandlung erklang die Glocke.

Und das ist immer Heimat der Seele mir,
Der Gotteskirche Glockenspiel, das sich mischt
Mit Gurren im Kastanienbaume,
Tauben, Kastanien und Kirchenglocken!


*

Gesegnet ich, der ich in der Kindheit sah
In Gottes Augen, in diesen Liebesblick
Der großen mütterlichen Gottheit,

Die mich ins Leben geliebt, die Liebe!