PUSCHKIN DIE ZIGEUNER

Nachdichtung von Josef Maria von der Ewigen Weisheit


Wie eine laute große Schar
Die Menge der Zigeuner war,
An Bessarabiens Land entlang
Ihr Lager an das Ufer drang,
Sind aufgeschlagen für die Nacht
Zerlumpte Zelte ohne Pracht,
Die Freiheit in des Himmels Duft
Zur Mitternacht in klarer Luft.

Und zwischen Räderkarren steckend,
Mit Teppichen das ganze deckend,
Das Lagerfeuer glimmt, der Strahl,
Und die Familie macht das Mahl.
Und nahe in den Steppenwelten
Die Pferdeweide, hinter Zelten
Die zahmen Bären schlafen ständig,
Ist alles andre laut lebendig.
Und die Zigeuner sind voll Sorgen
Vor ihrer Fahrt am frühen Morgen,
Die Kinder weinen, Weiber singen,
Man hört den Amboss stählern klingen.
Jetzt dem Nomadenlager zu
Verschlafen steigt herab die Ruh,
Man hört nur in den Steppenwellen
Das Pferdewiehern, Hundebellen.
Gelöscht ist überall das Feuer,
In Einsamkeit der Mond im Schleier,
Er schimmert von des Himmels Dach.

Ein alter Mann im Zelt ist wach,
Da sitzt er vor dem Feuergrab,
Die Glut wärmt, die die Asche gab,
In ferne Felder sieht er frei,
Wo nachts der Nebel streut vorbei.
Er wartet auf der Tochter Schleppe,
Die sie gegangen in die Steppe,
Zu wandern dort und sich zu laben,
Um ihre Freiheit dort zu haben.
Sie kehrt zurück? Die Nacht schon thront,
Aus fernen Wolken scheint der Mond,
Der aufgegeben die Station.
Semfira? Keine Spur, kein Ton!
Dem Alten wird das Essen kalt.
So kalt ist ihm, er ist schon alt.
Semfira kommt, da folgt ihr dann
Beschleunigt schnell ein junger Mann.
Streng ist der Alte, wie besoffen,
Da aber spricht die Tochter offen:

O Vater, reich dem Gast die Hand,
Ich fand ihn hinterm Hügelland,
Ich lud ihn ein, bei uns zu bleiben.
Er will es wie Zigeuner treiben,
Doch das Gesetz verfolgt ihn schlimmer,
Ich will ihm Freundin sein für immer!
Aleko wird mich nie verlassen,
Die Treue wird er stets umfassen,
Bei Gott, bis morgen seh ich ihn
In meines Zeltes Baldachin,
Und Ruhe ist nach all dem Streit,
Sei du bereit, ich bin bereit,
Gastfreundlich grüße du den Gast.
Sei, der du uns getroffen hast,
Uns Freund, sollst dich Zigeuner nennen,
Und lerne uns Zigeuner kennen,
Nomadenarmut, unsre Sorgen,
Und morgen früh am frühen Morgen
Wir werden um zu handeln reisen,
Wenns heiß, magst schmieden du das Eisen,
Und singe unsrer Lieder Kranz
Und nimm die Bären mit zum Tanz.

ALEKO:
Ich bleibe bei dir voller Beben.

SEMFIRA:
Er wird in Liebe mit mir leben!

Wer nimmt ihn mir, der bei mir wohnt?
Jetzt ist es spät, der junge Mond
Versank und all umher das Feld
Bedeckt die Nacht, die ganze Welt,
Und Schlaf drückt uns die Augen zu.
Der alte Mann geht ohne Ruh
Früh um das Zelt, wo alle schweigen.
Semfira, auf! Das Licht will steigen,
Zeit, dass der Gast das Zelt verlässt,
Lasst, Kinder, jetzt das Schlummernest!

Es strömt das Volk mit lautem Ton,
Gefaltet sind die Zelte schon,
Bepackt die Wagen für die Wege.
Wie Einer sind jetzt alle rege
Und durch das Tal mit lautem Drang
Der Zug zieht an dem Bach entlang.
Die Esel tragen Körbe, viele,
Und Kinder auch im Sang und Spiele,
Und Gatten, Brüder, Mädchen, Weiber,
Und jung und alt und alle Leiber,
Tumult schreit aus Zigeunerrachen,
Die Bären brüllen, laut tönt Lachen
Und Ketten klirren weit und breit.
Im Kleid beschmutzter Helligkeit
Die Jungen und die Alten nackt,
Die Hunde bellen laut im Takt.
Der Wagen Knarren im Gefild,
Der Lauten Stimmen hart und wild,
Lebendig alles, trotz der Not,
Nicht wie der fremde Luxus tot.
Uns fremd die Muße immer wieder
Wie des Gefangnen Sklavenlieder.

Aleko finster überblickt und fahl,
Das sie durchstreifen nun, das leere Tal,
Er kann mit seinem Herzen nicht versöhnen
Geheimes Weh, das lässt ihn bitter stöhnen.
Semfiras Augen sind an seiner Seite,
Und die bewohnte Welt ist frei, die weite,
Die Sonne schaut auf ihn herab, sein Leid,
Mit vollem schönen Reiz der Mittagszeit.
Was sind die Schmerzen, die ihn tödlich quälen?
So dringen scharfe Schwerter durch die Seelen!

Der gottgeliebte Vogel kennt kein Leid,
Unruhe nicht und Gram und Ängstlichkeit,
Sein Nest baut er ganz einfach in dem Wald,
Denkt nicht an lebenslangen Aufenthalt.
In dunkler Nacht er träumt und spielt die Flöte,
Und geht das Licht auf mit der Morgenröte,
Die Stimme Gottes hört er auf dem Hügel
Und singt sein Lied und reinigt seine Flügel.
Und nach dem Lenz, der Schöpfungswonne schön,
Der heiße Sommer kommen wird und gehn,
Und dann kommt Nebel, Überschwemmung, Nacht,
Da zeigt der Herbst die späte goldne Pracht.
Den Menschen schlägt der schweren Schmerzen Hand!
Doch unser Vogel fliegt ins ferne Land,
An warme Orte, wo noch Sonnen glommen,
Und wartet auf den Lenz, zurückzukommen.

So wie der Vogel überm Land,
Zugvogel war der Exilant,
War nirgends ihm Geborgenheit,
Und seine Heimat, die war weit.
Der Weg in jede Richtung offen,
Und Nachts ein Zelt von weichen Stoffen,
Bereit am Morgen, ohne Spott,
Wohin ihn immer führt der Gott,
Nie kann des Lebens Ängstlichkeit
Ihm stören seine Leichtigkeit.
Zur Zeit des Ruhms, des Ruhmes Geiz,
Man lockte ihn mit Zauberreiz.
Und Lust und Luxus eitler Damen
Erschienen, riefen ihn beim Namen.
Vor ihm, allein in allen Welten,
Der Donner donnerte nicht selten,
Ob Sturm nun oder heitrer Himmel,
Gelassen sah er das Getümmel.

So lebte er nach Art der wilden Faunen,
Er sorgte sich nicht um des Schicksals Launen.
Doch, Herr, wie fesselt ihn die Leidenschaft,
Die Sklavenseele kettend ihm mit Kraft!
Unruhe brodelt! Wilde Turbulenzen
In seinem Busen kochen ohne Grenzen!
Schlief denn die Leidenschaft nach einer Frau?
Sie ist erwacht, mein Freund, nun komm und schau!

SEMFIRA:
Sag mir, mein Freund, ob dich die Reue ändert,
Der sinnlos in der Welt herum geschlendert?

ALEKO:
Ich gab nur auf der eitlen Welt Geschenke.

SEMFIRA:
Dein Land und deine Freunde, dies bedenke,
Und was die herrlich-schöne Stadt dir gönnte!

ALEKO:
Was solls! Wenn deine Seele sehen könnte
Und wenn es dir in deinen Busen dringe,
Wie mich die Stadt erstickt mit ihrer Schlinge!
Die Menschen stehen hinter einem Zaun,
Unfähig, anzuschaun das Morgengraun,
Wenn kalte Lüfte durch den Morgen kriechen,
Unfähig, Frühlingswiesenduft zu riechen,
Sie schämen sich der Liebe, die sie strafen,
Von Märkten und Gewinnen sind sie Sklaven,
Sie unterwerfen sich den Götzenkräften,
Dem Mammon nur zu laufenden Geschäften.
Was gab ich auf? Der Freundschaft Judaskuss!
Die Vorurteile und den Überdruss!
Der Pöbel blind geht in der Sünden Nacht
Und groß ist aller Lasterformen Pracht!

SEMFIRA:
Doch da sind riesige Paläste
Und bunte Teppiche für Gäste
Und Sport und Feste immer weiter
Und Frauen haben feine Kleider...

ALEKO:
Der Stadt Genüsse sind nur Leere!
So lieblos! Ob da Freude wäre?
Und wer bei stolzen Fraun zu Gast…
Ob du nicht reiche Kleider hast,
Bist schöner du in meinen Augen
Als sonst euch Schmuck und Schminke taugen.
Was mich betrifft, ich wünsch nur eins:
Zu teilen in der Welt des Scheins
Mit dir der Liebe Seligkeit
Und im Exil die freie Zeit.

DER GREIS:
Du liebest unser Volk, obwohl du bist geboren
In der Familie Schoß, die Reichtum sich erkoren,
Doch Freiheit ist nicht stets so groß und wunderbar
Für einen Menschen, der verwöhnt vom Luxus war.
Da gibt es dieses Wort, ich möchte davon reden,
Dass einst der Zar verbannt den liebenden Poeten,
Im Süden wohnt er, wie ich in Büchern las,
Obwohl den Namen ich des Dichters längst vergaß,
Vergesslich wurde ich, vergaß des Mannes Psalter,
Er war ein reifer Mann, in fortgeschrittnem Alter,
Sein Geist jedoch, sein Herz, die waren schäumend jung,
Er sang auch wunderschön und voll Begeisterung,
Und seine Stimme war wie schäumende Fontänen
Und alle ehrten ihn und seine Herzenstränen.
So lebte er allein am Moldau-Ufer halt,
Zu keine Mühe war zu jung er oder alt,
Bezauberte das Volk mit seiner Lieder Beben,
Er hatte keinen Sinn für weltlich eitles Leben,
War ängstlich und war schwach so wie ein Kindlein, ach,
Doch andre Menschen sahn dem Dichter gerne nach,
Gefangner Fisch war er im Netz, der Welt zur Speise,
Und wenn der Moldaustrom gefroren war vom Eise
Und Winters Wirbelsturm sich tobend warf umher,
Mit einem Lederdach sie schützen ihn und mehr
Mit Herzenswärme sie vorm Frost den alten Dichter.
Doch er gewöhnt sich, da war er kein Verzichter,
Nicht an der Armut Not und Sorgen müd und matt,
Und von der Mauer ging er fort und aus der Stadt
Und wanderte und sprach von einem strengen Gotte,
Der seiner Lüsternheit und Sinnensünden spotte.
Auf Gnade wartete der Mann, auf Gottes Huld,
In Sehnsucht lebte er, ihm mangelte Geduld,
Entlang der Moldau ging er einsam voller Sehnen,
Die Ernte taufte er mit seinen bittern Tränen,
Und er gedachte stets der fernen Heimat Rom,
Auf seinem Totenbett ersehnte er den Strom
Der Tiber noch und dass ihm die Gebeine werden
Gegraben doch in Rom und in geweihter Erden,
Ein Fremdling in der Welt und ohne Echohall,
Ein Fremdling noch im Tod, ein Fremder überall.


ALEKO:
Das ist das Schicksal aller deiner Söhne,
O große Roma, Ewige und Schöne!
Der Liebe Dichter und Poet der Götter -
Und das ist der gelobte Ruhm, ihr Spötter?
Ein Flüstern aus dem Grab, des Lobes Stimme,
Ein Ton, der uns gesandt von Gottes Grimme?
Das? Oder irgend im verrauchten Zelt
Geschwätz zu sein in der Zigeuner Welt?