DIE SCHÖNE HELENE

nach Goethe
von Josef Maria von der Ewigen Weisheit

ERSTER AKT

(Szene: Griechenland. Zeit: Antike.)


DIE NYMPHEN
O Schwestern, beuget euch und legt die Ohren
An grünen Rasen an des Flusses Ufer.
Was ich vernehme, in der Nähe kommend,
Das ist der Klang von Hufen auf der Erde.
Wenn ich nur wüsste, wer da Nachricht bringt.
Schnell, schnell, und in die dunkle Nacht hinein!

FAUST
Für mich scheint dieser Boden schön zu klingen
Von eines schnellen Hengstes harten Hufen.
Dort, schaut, ihr meine Augen! Lust ist nah!
O wird sie zu mir kommen, diese Gute?
O, frage mich, sie ist die Ohnegleiche!
Ein Reiter trabt nun sicher auf mich zu,
Begabt, beglänzt mit hohem Geist und Kraft,
Auf einem weißen Pferd, so weiß wie Schnee…
Ich kenne ihn, ich kann da falsch nicht liegen,
Es ist der weltberühmte Sohn Philyras!
Halt, Chiron, halt, und höre meine Rede!

CHIRON
Was ist geschehn und wer ist gegenwärtig?

FAUST
O Chiron, zögre einen Augenblick!

CHIRON
Ich habe nie in meinem Herzen Ruhe.

FAUST
Nun, nimm mich mit mit dir auf deinem Schimmel!

CHIRON
Steig auf! Und ich will dir die Frage stellen:
Wo willst du hin? Es geht durch einen Fluss,
Ich trage durch die Flut dich mit Vergnügen.

FAUST (steigt auf Chirons Rücken.)
Wohin du willst! Mein Dank gilt dir für immer.
Du bist der große Mann, der edle Lehrer,
Berühmt für die Erziehung großer Helden,
Der Lehrer bei dem Werk der Argonauten
Und aller, die erbauen die Poeten.

CHIRON
Ja, aller, die an rechter Stelle waren,
Als Mentor wurde Pallas nicht geschätzt.
Am Ende gingen sie die eignen Wege,
Als wären sie von mir erzogen nicht.

FAUST
Den Arzt, der alle Pflanzen kann benennen
Und der zutiefst versteht der Heilung Wurzeln,
Der heilt die Kranken und der stillt die Wunden,
Den, stark an Leib und Geist, hab ich gefunden.

CHIRON
Wenn nahe mir ein Heros wird verletzt,
Ich hab das Recht zu Hilfe und Beratung.
Doch schließlich übergab ich meine Künste
Den frommen Nonnen und den alten Hexen.

FAUST
Du hast die Fähigkeit des großen Mannes:
Er will sein Lob aus fremdem Mund nicht hören,
Er ist bescheiden, er will uns erhöhen,
Wird handeln so, als wären alle gleich.

CHIRON
Du scheinst mir sehr geschickt in diesen Sachen,
Wie man dem Volke und dem Fürsten schmeichelt.

FAUST
Doch wenn du heute es gestehen müsstest:
Ich sah den größten aus dem Altertum,
Bereit zu Taten, welche vornehm waren,
Der lebte beinah eines Halbgotts Leben.
Doch unter all den edel-großen Helden,
Wer war der beste von den Helden allen?

CHIRON
Nun, bei den Argonauten ihrer Zeit
War jeder würdig auf die eigne Art.
Und von den Mächten, die sie eingeatmet,
Sie wussten viel, wenn andre scheiterten.
So Kastor hat und Pollux hat gewonnen,
Wenn Jugendreiz und Schönheit wird geehrt.
Bei der Bestimmung schneller Hilfe waren
Die Ersten Calais und sein Bruder Zetes,
Nachdenklich, klug und stark und gut beraten,
Und Jason war des Frauenvolkes Freude.
Dann Orpheus, sanft und immer sinnend brütend,
Die Leier spielend übermächtig schön.
Dann Lynkeus auch mit scharfen Augen, immer
Das Schiff er führt vorbei an Riff und Kliff.
Stets der Gefahr als Brüder konfrontiert,
Wenn etwas man erreicht, wird man gelobt.

FAUST
Von Herakles ist nichts zu sagen? Oder?

CHIRON
Oh wecke nicht in mir die Sehnsuchtsglut!
Nie stellt man fest, wie Phöbus oder Hermes,
Wie herrlich Ares wurde definiert,
Mit meinen eignen Augen sah ich ihn,
Was alle Menschen doch als göttlich loben!
Geborner König er, nichts anderes,
Und eine herrlich-schöne Jugendkraft,
Nachgebend seinem erstgebornen Bruder,
Nachgebend auch der Schönsten aller Frauen.
Der Gäa ist ein zweiter nicht bekannt,
Den Hebe so geführt in Himmelszonen.
Vergeblich singen sie die Lieder ihm,
Vergeblich schnitzen sie den Marmor ihm.

FAUST
Bildhauer haben nie die Form empfangen,
Doch viele Bilder haben sie gebildet.
Du hast gesprochen von dem schönsten Mann,
O bitte, sprich nun von dem schönsten Mädchen!...

CHIRON
Die!… Nein, ich rede nicht von Frauenschönheit,
Sie ist so oft gefrorner Maske ähnlich.
Ich kann nur wahrlich loben die Natur,
Die frei und fließend ist und immer heiter.
Oft ist die Schönheit mit sich selbst zufrieden,
Unwiderstehlich ist der Grazie Anmut,
So wie Helene, die ich einst getragen.

FAUST
Du tugest sie, die herrliche Helene?

CHIRON
Auf diesem Rücken trug ich sie zurück.

FAUST
Fürwahr, ausreichend bin ich aufgeweckt!
Ein solcher Sitz! Er muss mir Freude bringen!

CHIRON
Sie packte an der Mähne mich, wie du.

FAUST
Ich bin besiegt, ah, ich bin überwältigt,
Vollkommen! Sag mir, warum war sie hier?
Sie ist mein Ein-und-Alles, mein Begehren!
Du trugest sie, von woher und wohin?

CHIRON
Ist leicht zu sagen, was du wissen willst.
Zu dieser Zeit die Dioskuren Kastor
Und Pollux haben sie befreit, Helene,
Ihr Schwesterchen, aus einem Nest von Räubern.
Die Räuber kaum sind überwunden worden,
Da haben sie erneut den Mut gewonnen
Und jagten nach der herrlichen Helene.
Die Schwester und die Zwillingsbrüder eilten.
Natürlich wurden sie da aufgehalten
Durch Sümpfe, die da bei Eleusis liegen.
Die Brüder wateten. Und ich schwamm schnell,
Da sprang sie ab und streichelte mir sanft
Die feuchte Mähne, streichelte und dankte,
So süß und klüglich ihre Fähigkeiten,
Sie war charmant! Ihr Lächeln sehr charmant!
Die Jugend, die den alten Mann begeistert!

FAUST
Zehn Jahre jung die liebliche Helene?

CHIRON
Gelehrte Philologen täuschen sich,
Ich sehe aber, dass du auch dich täuschst.
So seltsam ist es mit der Frau der Mythe,
Poeten nehmen sie, uns zu verführen,
Sie kann nicht älter werden, ist nie alt,
In gleiche Form gegossen, stets verlockend,
Verführerisch, ist sie ein jungen Mädchen,
Und also einen alten Mann begeisternd,
Zeit nicht beschränkt die Flüge des Poeten.

FAUST
Du ließt sie, die kein Alter je gefesselt?
Achilles fand auf Pherä einmal sie,
Erhaben über alle Altersgruppen.
Was für ein seltnes Glück war das für ihn,
Trotz Schicksal, ihre Liebe zu gewinnen!
Und red ich von der Stärke meiner Sehnsucht,
Zu ziehn die Form an mich, die einzigartig,
Lebendig, reines Sein, der Gottheit ähnlich,
Noch zart, schon groß, wie sie erhaben ist.
Sie schaute. Heut hab ich zu ihr gesehn,
Die Attraktion, so lieblich wie erwünscht.
Und jetzt ist meine Seele stark gebunden,
Krieg ich sie nicht, dann überleb ich nicht!...

CHIRON
Ach Fremder, du bist hingerissen, Mensch,
Und unter uns Dämonen: Du bist irre!
Doch jetzt dein Schicksal soll sich hier erfüllen,
Wenn auch nur einen Augenblick im Jahr,
Ich nehm die Zeit mir, Manto anzurufen,
Die Tochter Äskulaps, im stillen Beten
Sie zu dem Vater fleht, mehrt seinen Ruhm,
Erleuchtet so den Arzt des Rückenmarks,
Er soll sich um den Tod nicht weiter sorgen.
Sie ist die Liebste mir von den Sibyllen,
Frei von Grimassen, freundlich und voll Großmut.
Willst bleiben du bei ihr, sie hat die Macht,
Zu heilen dich mit Kräutern und mit Wurzeln.

FAUST
Ich brauche keine Heilung von der Ärztin,
Mein Geist ist strahlend und von Kraft erfüllt!

CHIRON
Verachte nicht die Heilkraft einer Quelle!
Wir sind am Ort, jetzt schnell, steig ab vom Pferd!

FAUST
Sag mir, wo über Kiesel läuft das Wasser
In dunkler Nacht. Wohin bin ich gekommen?

CHIRON
Hier Griechenland und Rom dem Kampfe trotzen,
Olympus linker Hand und rechts der Peneus,
Das größte Reich ward hier im Sand verloren,
Ein König fliegt, um Bürger zu gewinnen.
Schau! In der Nähe das berühmte Tempe,
Das ewige, dort unterm Mondscheinhimmel.

MANTO (von innen, träumend.)
Hufe der Pferde ertönen
Hier auf dem heiligen Boden,
Halbgötter kommen zum Tempel!

CHIRON
Sehr richtig, Manto. Nur die Augen öffne!

MANTO (wandelnd)
Gegrüßt! Ich seh, du bist nicht weggeblieben.

CHRON
Und hier dein Tempel ist noch immer da.

MANTO
Du willst noch unermüdlich galoppieren?

CHIRON
Und du, wie immer, friedlich sitzt du da,
Dieweil genieße ich das runde Kreisen.

MANTO
Ich warte, und die Zeit zieht ihre Kreise,
Die ich gefunden bin. Und wer ist der?

CHIRON
Die schattenhafte Nacht hat ihn gewirbelt
In unsre Augen. Er begehrt Helene,
Helene macht ihn irre und verrückt!
Er weiß nicht, wie er es beginnen soll.
Vor allem braucht er deine Heilung, Ärztin.

MANTO
Ich mag, die das Unmögliche begehren.

(Chiron ist schon weit weg.)

Rasch, Mann, und komm, hier wartet Lust auf dich!
Der dunkle Weg führt zu der Jungfrau Kore…
Tief unter dem Olympus hört die Göttin
Geheimnisvolle und verborgne Grüße.
Ich habe Orpheus einst hier eingeschmuggelt.
Nutz deine Chance besser! Schnell! Sei achtsam!

(Sie steigen hinab.)



ZWEITER AKT

(Szene: Im Mittelmeer.)


DIE SIRENEN
Jetzt leicht zu sehen und mit weichen Schritten,
Rund um die Wagen klingeln laut die Räder,
Oft weben wir nur Zeile still um Zeile,
Ist alles klar, und rundum schlängelt es.
Nun kommt zu uns, aktive Nereiden,
Und bringt auch die Doriden mit, inmitten
Steht Galathea, Tochter sie der Mutter,
Die ruht am meisten, so wie ihre Göttin,
Die wahrlich würdig der Unsterblichkeit,
Verlockend auch mit ihrem süßen Charme,
Als Menschlichkeit und reine Weiblichkeit.

DIE DORIDEN (im Chor, auf Delphinen reitend, vorbei an Nereus.)
So leihe uns, o Luna, Licht und Schatten,
Gib Klarheit du der blühendschönen Jugend!
Bezaubernde Genossen sind hier da,
Fürbitte du für sie bei unserm Vater!

(Zu Nereus.)

Hier sind die Knaben, die wir einst gerettet
Aus dem verschlingend offnen Rachen, dann
Wir haben sie in Schilf und Moos gebettet,
Erwärmend wieder sie zu neuem Leben,
Und jetzt mit glühendheißen Küssen sie
Uns wirklich müssen danken, hier und jetzt.
Schau gnädig auf die Knaben, Herr, herab!

NEREUS
Hier gibt es einen zweiten Preis und Schatz,
Ihr zeigt Barmherzigkeit, das macht euch glücklich...

DIE DORIDEN
O Vater, lobe unsere Mission
Und sanktioniere gerne unsre Bitten.
Umfangen wir sie schnell, unsterblich jung
Und froh an jeder ewigjungen Brust!

NEREUS
Seid glücklich mit dem Fang, dem großen Fang,
Und akzeptiert die Knaben hier wie Männer.
Ich kann es nicht gewähren, was ihr bittet,
Zeus-Vater möge es euch möglich machen.
Die Wellen, die sie hieven, die sie schaukeln,
Die lassen keinen Platz mehr für die Liebe.
Wenn also eure Neigung euch verlässt,
So schickt getrost die Knaben an das Land.

DIE DORIDEN
Ach süße Knaben, wie sie lieb uns sind!
Doch leider müssen wir uns wieder trennen.
Wir hofften auf die ewigtreue Liebe,
Die Götter, ach, verbietens und das Schicksal.

DIE KNABEN
Wir sind die tapfern Knaben, die Matrosen,
Ach möchtet ihr uns doch nur weiter halten!
Wir hattens nie so gut als wie bei euch
Und werdens nie auf Erden besser haben.

(Galathea nähert sich auf ihrem Muschel-Wagen.)

NEREUS
Du bist mein Liebling, schönste Galathea!

GALATHEA
O Vater mein im Meere, meine Wonne!
Delphine, still, ich bin vom Schaun ergriffen!

NEREUS
Vergangnes ist bereits Vergangenheit,
In Kreisbewegung immer zyklisch kreisend.
Ach welche Pflege fürs Gefühl des Herzens!
Wenn sie mich mit sich nehmen würde schließlich!
Und doch gibt es hier nur den Einen Blick,
Den Blick, der lange Jahre dauern wird.

THALES
Heil, Heil und Heil! Wie selig ich mich fühle,
Durchbohrt so ganz vom Wahren, Guten, Schönen!
Das alles wurde durch den feuchten Blick,
Die Dinge alle wurden durch das Wasser.
Du Ozean, gib uns das Reich für immer!
Und wenn du nicht bis zu den Wolken reichtest,
So gäb es keine Bäche, die da fließen,
Die Flüsse würden brüllen nicht und schreien,
Die Ströme würden niemals Blasen werfen,
Wo wären dann die Hügel und die Welt?
Des Lebens Frische ists, die du erhältst.

ECHO (Chor der kollektiven Kreise.)
Des Lebens Frische fließt erneut von dir.

NEREUS
So treib dich, Ort, und dreh und ändre dich,
Nicht mehr von Angesicht zu Angesicht,
In Kreisen sich erweitert die Verknüpfung,
Zur Feier passend die Gemeinden weben.
Jedoch den Muschelthron der Galathea,
Ich seh ihn klar, ich seh ihn immer noch,
Er glänzt so wie ein Sternbild durch die Menge,
Ach Menge, die Geliebte unter ihnen!
Obwohl so fern, doch glänzt sie hell und klar,
Ist immer wahr, ist immer in der Nähe.

HOMUNKULUS
In diesem reizevollen Ozean
Ich kann nicht strahlen, hier ist alles schön!

PROTEUS
In diesem lebensvollen Ozean
Sind leuchtende Bewegungen des Lichts,
Sind erste Ringe da in Pracht und Prunk.

NEREUS
Hier in der Menge Herzen welche Rätsel
Doch offenbaren sich vor unsern Augen!
Was schimmert um die Muschel in dem Meer,
Was schimmert hier zu Galatheas Füßen?
Sie werden stark, jetzt sind sie sanft und süß,
Wie vom Impuls der Liebe eingeführt.

THALES
Homunkulus, gezogen dort von Proteus,
Symptome sinds der Herrscherin, der Sehnsucht!
Ich würde Glockenläuten jetzt erwarten,
Er wird sich setzen auf den Glitzerthron,
Er glitzert und er blinkt und geht davon.

DIE SIRENEN
O Feuerwunder, die das Meer verklären!
Nun einer auf dem andern funkelnd ruht!
Es blinkt und flackert und es hellt sich auf,
Nachts glänzen uns die Körperspuren an
Und alles, was mit Flammen nah umgeben.
So preisen wir des großen Eros Regel,
Der große Eros hat das Spiel begonnen!
Den Ozeanen Heil und Heil der Flut!
Die eingekreist jetzt von des Himmels Feuer!
Heil Wasser! Feuer Heil! Und Heil der Luft!

ALLE IM CHOR
Heil sei dem sanften Fluss des Kinderspiels!
Gegrüßt seist du, verborgne Meeresgrotte!
Vier Elemente und die Quintessenz
Von Ewigkeit zu Ewigkeit gefeiert!





DRITTER AKT

(Szene: Vor dem Palast des Menelaos in Sparta.)

(Helene tritt mit dem Chor der gefangenen trojanischen Frauen auf. Panthalis ist Führerin des Chores.)

HELENE
Ich bin Helene, viel geschmäht und viel bewundert,
Ich komme von der Küste, wo wir landeten,
Benetzt noch von der Macht des Schaukelns dieser Wellen,
Von Phrygiens Höhe auf dem hochgewölbten Rücken,
Von Posidaons Gnade und des Ostwinds Macht,
Die uns hierher getragen an der Heimat Küste.
Dort, unter uns, bei seinen tapfersten Soldaten
Der König Menelaos feiert seine Rückkehr.
Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
Das Vater Tyndareus baute, als er heim kam,
Kam von den Steigungen des Hügels der Athene:
Hier, wo mit Klytämnestra, meiner Schwester, ich
Und aufgewachsen mit den Zwillingen und spielte,
Sie mehr als edel sind geschmückt, die Häuser Spartas.
Sei mir gegrüßt, du vielgeehrte Doppeltür!
Einst Menelaos kam zu mir, der Bräutigam,
Er kam zu mir durchs freundlich ladende Portal,
Zu mir, die ward herausgegriffen unter vielen.
So tu dich wieder auf, dass ich vielleicht erfülle
Des Herrn Befehl. Ich sollte das als eine Frau.
So lass mich ein! Und alles sei zurück gelassen,
Das um mich wütet jetzt so voll von Untergang.
Denn da im Licht des Herzens ich verließ den Ort,
Ich suchte auf der Venus Tempel, meine Pflicht,
Stattdessen dort entführte mich ein Räuber Troas'.
Geschehn sind viele Dinge, Männer, weit und breit,
Die gerne man erzählt, wills keiner auch vernehmen,
Wie die Geschichte wuchs, der Mythos ward gesponnen.

CHOR
O wundervolle Dame, nicht verachte
Das Erbe du der Häuser alten Adels!
Das Schicksal hat es dir allein gewährt,
Den Ruhm der Schönheit, über allen thronend.
Des Helden Name klingt ihm laut voraus,
Er schreitet stolz auf seiner Heldenbahn,
Doch beugt er sich, der stolzeste der Männer,
Vor deiner Herrlichkeit in Geist und Form!

HELENE
Genug davon! Ich ward zu meinem Mann gebracht,
Ich bin zu ihm gesendet, jetzt, in seine Stadt:
Was aber ist der Sinn? Ich kann es kaum erraten.
Komm ich als seine Frau? Komm ich als Königin?
Bin ich ein Opfer, für des Fürsten bittre Schmerzen,
Der er der Griechen Unglück lange ausgehalten?
Erobert ich, bin ich Gefangene? Ich weiß nicht.
Es stimmt, die Himmlischen ernennen Ruhm und Schicksal,
Zweideutige und zweifelhafte Wegbegleiter
Der Schönheit, hier zu stehn mit mir an dieser Schwelle,
Bedrohlich-düstere Präsenz an meiner Seite.
Auch in dem hohen Schiff mein Mann nur blickte selten
Mich an und sprach ein Wort, ermutigend die Frau.
Er saß vor mir, als ob er wär voll bösen Denkens,
Kaum hatte er vom Schiffsbug schon begrüßt das Land
In dieser Bucht, die machte des Eurotas Mündung,
Als er zu mir gesprochen, wie die Götter drängten:
Hier die Soldaten steigen aus in Reihen-Ordnung,
Ich werde führen sie entlang des Meeresufers,
Du aber, du wirst gehen an dem Ufersaum
Des heiligen Eurotas, hell von Apfelgärten,
Die Pferde führe, die im Glanz des Wassers weiden,
Bis deiner schönen Reise wird ein frommes Ende,
Wo Lakedämon, einst ein reiches Erntefeld
Durch strenge Berge, von den Göttern ward erschaffen.
Spaziere durch das hohe Turmhaus dann des Fürsten,
Beschwöre dann die alte Magd in ihrer Lage
Mit ihren Mägden, die ich hab zurückgelassen,
Und lass sie zeigen dir den reichen Schatz des Hauses,
Das, was verlassen hat dein Vater und was ich
Hinzugefügt und angehäuft in Krieg und Frieden.
Du wirst es alles in vollkommner Ordnung finden,
Es ist ein Privileg, dass es ein Fürst soll finden,
Nach seiner Rückkehr in sein Haus Loyalität,
Was er zurück ließ, noch an seinem Platz zu finden,
Kein Sklave hat die Macht, Verändrung zu bewirken.“

CHOR
Lass diesen Schatz, so fest zusammgezogen,
Begeistrung bringen jetzt der Brust, den Augen!
Halsketten hell und Kronen ganz aus Gold,
Die ruhten dunkel dort in stolzer Ruhe.
Jetzt aber geh, behaupte du sie alle,
Sie alle werden reagieren schnell.
Ich lieb, zu sehn die Schönheit konkurrieren
Mit Gold und Perlen und mit Edelsteinen.

HELENE
So wieder kam die strenge Rede meines Herrn:
Wenn man das in der Reihenfolge untersucht,
Nimm so viel Gaben, wie du denkst, dass du sie brauchst,
Wie viele Schiffe sind erforderlich zum Opfer,
Um zu erfüllen die gewohnten frommen Riten.
Nimm Kessel du und Becken und die runden Schalen,
Das reinste Wasser aus der Heiligkeit der Quelle
In tiefen Urnen, achte, dass du trocknes Holz hast,
Das eilig Feuer fängt, und alles halt bereit,
Nicht zu vergessen auch ein gut geschliffnes Messer,
Das andre alles überlass ich deiner Wahl.“
So sprach er in der gleichen Zeit und drängte mich,
Doch nichts Lebendiges bezeichnend er befahl,
Dass es getötet werde, Götter anzubeten.
Ich aber denke nicht mehr länger drüber nach
Und lasse alles in der Götter guten Händen.
Denn sie erfüllen, was in ihrem Geist zu tun ist,
Ob wir es gut nun oder böse finden mögen,
In jedem Fall die Menschen müssen es ertragen.
Die schwere Axt des Priesters wurde aufgehoben
Oft über den gebeugten Hals des Opfertieres,
Doch konnte er nicht schlachten, denn er ward behindert
Durch Feinde in der Nähe oder Götter-Einspruch.

CHOR
Was könnte dir geschehen? Denk nicht dran!
O Königin, voran, und geh nach innen,
Sei guten Mutes! Gut und Böse sind
Unangekündigt oft den Menschenkindern,
Verkündigt wird es, doch wir glauben nicht,
So Troja ward verbrannt, noch sahn wir nicht
Die Schmach des Tods in unsern Angesichtern.
Sind wir nicht hier, die Freundinnen, die dienen?
Schau auf zur blendend-hellen Himmelssonne,
Schau an die schönsten Blumen auf der Erde,
Wir sind von gleicher Art, die Freudenreichen!

HELENE
Lasst sein es, wie es will. Was immer mich erwartet,
Ich muss doch gehen schnell in dieses Königshaus,
Das lang verlassen, oft ersehnt und fast verloren,
Hier sieht mein Auge es noch mal, ich weiß nicht wie?
Die Füße tragen mich nicht weiter tapfer jetzt,
Bis Stufen übersprungen, die das Kind betrat.

CHOR
O ihr schmerzhaften Gefangen,
Werft nun, o ihr lieben Schwestern,
Eure Schmerzen in die Winde,
Teilt die Freuden eurer Herrin,
Teilt die Freude mit Helene,
Die zurückkehrt, spät am Abend,
In das Heim, zum Herd des Vaters,
Tut mit allem eure Schritte,
Nähert euch als die Entzückten!

Lobt die Heiligkeit der Götter,
Denn sie bringen Glück und Freude,
Bringen Wanderer nach Hause!
Seht, befreit sind die Gefangnen,
Und sie steigen auf mit Flügeln,
Steigen über harte Felsen,
Während alles ist vergeblich,
Die Gefangnen, voller Sehnsucht,
Ausgestreckt sind ihre Arme
Bis an die Gefängnismauern.

Einer hat sie aufgefangen,
Gott, die fern in der Verbannung,
Und vom heißen Sturz von Troja
Trug der Gottherr sie nach Hause,
In das alte, neu geschmückte,
In das Haus des Vaterlandes,
Fort von namenlosen Qualen,
Neu geboren, sich erinnernd
An die heitern Kindheitstage.

PANTHALIS (Führerin des Chores.)
Jetzt lass den Pfad zu deinem freudigen Gesang
Und wende deine Augen zu der offnen Tür!
Was muss ich sehen, Schwestern? Kehrt die Herrin doch
Aufwachend uns sich zu mit angsterfüllten Schritten!
Was ist es, Herrin? Was magst du gesehen haben
In deines Hauses Hallen statt des Friedensgrußes,
Was Zittern dir verursacht? Du kannst nichts verbergen,
Da Schüchternheit auf deiner Stirn geschrieben steht,
Und dein Erstaunen konkurriert mit edlem Zorn.

HELENE (Sie hat die Türen offen gelassen in ihrem Aufruhr.)
Zeus' Tochter wird von keiner dummen Angst gerührt,
Nicht eine leichte Hand des Schreckens sie berührt,
Nein, nur der Horror, dass der Schoß der alten Nacht
Erwacht ist aus dem Chaos und zu Form gestaltet,
Die Wolken, die nach oben schießen und nach außen,
Der Feuer-Rachen lässt die Heldenbrust erbeben.
Die Götter heute hier des Styx bezeichnen so
Den Eingang zu dem Haus mit Schrecken. Gerne würde
Ich wegbegeben mich und gehen wie ein Gast,
Fern dieser oft betretnen, lang ersehnten Schwelle.
Ich hab mich hier zurückgezogen in das Licht,
Ihr werdet mich nicht weiter drängen, wer ihr seid,
Ihr Mächte! Vielmehr denke ich an eine Weihe,
So dass der Herd gereinigt grüßt die Frau des Herrn.

PANTHALIS
O Dame, offenbare deinen Mägden hier,
Die dir zu helfen willig sind: Was ist geschehen?

HELENE
Du wirst es sehen, was ich selbst gesehen habe,
Wenn nicht die alte Nacht es wieder gleich verschluckt,
Die Form von ihr zurück zog in des Herzens Tiefen.
Ich will es zeigen dir in Worten, dass du weißt:
Mit meinen letzten Fragen in dem Kopfe trat ich
Erst in den innern Raum des königlichen Schlosses,
Beeindruckt von der Stille düstrer Korridore,
Kein Ton der Arbeits-Unrast grüßte meine Ohren,
Kein Ton von aufgewandter Mühe, die mein Blick sah,
Und keine Schaffnerin erschien und keine Mägde,
Kein Gruß der Höflichkeit, wie man den Fremden grü0t.
Als ich der Feuerstelle mich aus Stein genähert
Und ihrer Asche, die noch glühte, schaute ich
Ein Weib verschleiert, großer Form, am Boden hockend,
Nicht so wie eine Schlafende, doch in Gedanken.
Ich rief ihr zu, sie solle schaffen, ich befahl es,
Mir schien, sie sei die Schaffnerin, die mein Gemahl
Vielleicht einst angestellt, mit Weitblick, als er ging.
Sie saß noch immer da, geduckt und unbeweglich,
Durch meine Drohung dann gerührt, hob sie den Arm,
Als ob sie mich weg winkte so von Herd und Halle.
Da stellte ich mich neben sie, war wütend, zornig,
Und schritt dahin, wo schön der Thalamos geschmückt
Dicht neben ihr und hoch des Schatzes Kammer.
Die Form sprang auf vom Boden, seltsame Gestalt,
Sie stellte sich mir in den Weg und schaute herrisch,
So groß und hohl und hager, blutig rot der Blick.
Die Form so hässlich, dass geängstigt ward mein Auge,
Doch red ich in den Wind, die Worte selbst ermüden
Bei dem Versuch, die Form zu zaubern, ganz vergeblich.
Du überzeug dich selbst! Sie traut sich an das Licht!
Hier ich bin Herrin, bis der König kommen wird!
O Phöbus, Freund der Schönheit, treib die Ausgeburt
Der Nacht zurück in unterirdische Kavernen!

(Phorkyas erscheint auf der Schwelle zwischen den Türpfosten.)

CHOR
Viel habe ich gelernt, auch wenn die Strähnchen
Sind jugendlich noch über meinen Schläfen.
Viel Schreckensdinge, die ich hab gesehen,
Soldaten-Elend, Trojas Brand und Fall.

Durch Trübsal und durch Staub der Turbulenzen
Der Krieger-Masse hörte ich die Götter
Erschrecklich rufen, hörte auch das Klingeln
Der Zwietrachts-Stimme hin durch Feld und Stadt.

Sie standen immer noch, von Ilion
Die Mauern, doch der rote Schein der Flammen
Bald lief von Nachbarhaus zu Nachbarhaus,
Sich immer mehr verbreitend, hin und her,
Mit Sturmes-Atem in der dunklen Stadt.
Und fliehen sah durch Rauch und Hitze ich
Sie unter lodernd heißen Feuerzungen,
Bang vor der zornigen Präsenz der Götter,
So furchtbar sah ich schreiten diese Mengen
Wie Riesen durch die dichte Finsternis,
Das Feuer nur erleuchtete den Qualm.

So habe ich gesehen die Verwirrung.
Wie, oder hat der Angstgeist mich verbraucht?
Ich werde niemals in der Lage sein,
Zu sagen das, doch bin mir wirklich sicher
Darüber, was ich hier nun sehe: Sie,
Monströse Form, so hässlich meinen Augen,
Mit meiner Hand ich konnte sie berühren,
Der Schreck hielt mich zurück vor der Gefahr.

Welches Kind von Phorkyas bist du?
Ich vergleich dich dieser Sippe.

Bist du eine von den Graien,
Nur ein Zahn und nur ein Auge,
Bist du eine von den Grauen?

Monster! Kannst du das denn wagen,
Neben dieser reinen Schönheit
Dich zu zeigen Phöbus' Augen,
Seine Blicke zu erdulden?
Phöbus ist es nicht gleichgültig,
Der nichts sieht, was hässlich aussieht,
So wie seine lichten Augen
Nie gesehen haben Schatten.

Wir Menschen aber leider sind gezwungen
Durch unglückselig-düsteres Geschick,
Zum unaussprechlich schmerzensreichen Anblick
Der ganz verwerflichen, von Qual verfolgten,
Die provoziert die Freundinnen der Schönheit.

Doch höre du uns zu, wenn du hier mutig
Begegnest uns, so höre diesen Fluch,
Die Drohung höre eines jeden Missbrauchs,
Hör dies vom Munde des verklagten Glücks,
Des Glückes, das die Götter selbst geschaffen!

PHORKYAS (Der transformierte Asmodäus.)
Das Sprichwort ist schon alt, das kündet wahr und edel,
Dass Scham und Schönheit nie zusammen gehen, nie
Verfolgen sie den gleichen Weg auf grüner Erde.
Solch alter Hass mit tiefer Wurzel lebt in beiden,
Wenn sie sich treffen, nur durch Zufall, auf dem Weg.
Die eine wendet sich von der Rivalin ab.
Dann schnell und heftig gehn die beiden Wesen weiter,
Betrübt die Scham die Schönheit spöttisch in dem Geist,
Bis schließlich Dunkelheit des Orkus sie empfängt,
Wenn nicht das Alter schon zuvor gezähmt den Stolz.
Jetzt finde ich dich frech, dich aus dem Ausland kommend,
Von Arroganz erfüllt, so wie die Kraniche,
Laut quaken sie in Reihen oben in den Lüften,
Die lange Wolke sendet ihren Ton nach unten,
Verlockend ruhig Reisende, hinauf zu schauen,
Doch sie verfolgen ihren Weg, er folgt dem seinen,
Und das ist ebenso, wie es bei uns auch ist.
Was dann seid ihr, ihr rasenden Bacchantinnen,
Die wagen es, zu wüten in der Königshalle?
Wer seid ihr denn, vor diesem hohen Hause heulend
So wie ein Rudel Hündinnen in Lunas Schein?
Glaubt ihr, mir wärs verborgen, welcher Art ihr seid?
Ihr in der Schlacht gezeugt, erhoben bei der Schlachtung.
Ihr grübelt, lüstern, ihr Verführer und Verführte,
Aussaugend der Soldaten und der Bürger Kräfte!
Das Publikum zu sehen, diesen Riesen-Schwarm,
Lasst ihr euch nieder wie Heuschrecken auf die Felder.
Ihr seid Verschwenderinnen nur von Andrer Arbeit!
Zerstörerinnen reifender Kultur von Wohlstand!
Besiegt, getauscht, verkauft die Waren auf dem Markt!

HELENE
Wer schändet hier die Dienerinnen ihrer Herrin,
Vermessen reißend an dem wahren Recht der Frau?
Nur ihr ist es gegeben, was auch je das Lob
Macht lobenswert, und zu bestrafen, was da Schuld ist.
Ich bin zufrieden wohl mit allen Leistungen,
Die sie geleistet, als das große Troja stand,
Als Troja fiel in Schutt und Asche. Und desgleichen,
Als wir das Elend unsrer Wanderschaft ertragen
Der Reise, wo oft einer denkt nur an sich selbst,
Hier habe ich erwartet eine frohe Mannschaft.
Der Herr fragt, wie der Sklave dient, nicht, was er ist.
So schweige du, und länger nicht verhöhne sie!
Wenn du das Königshaus bewacht hast auch bis jetzt
Anstatt der Herrin, wie es deine Pflicht gewesen,
Jetzt, da sie selber kommt, da ziehe dich zurück,
Damit nicht Strafe du gerechten Lohnes findest.

PHORKYAS
Disziplinierung ihres Dieners ist das Vorrecht
Der edlen Frau des Königs, die geliebt von Göttern,
Sie hat zurecht verdient vom klugen Maß der Jahre.
Sie räumte auf, sie nahm den Ort von einstmals ein,
Nun wieder hier als Königin, des Hauses Herrin,
Sie lockerte die Zügel, und nun herrscht sie wieder,
So halt den Schatz in deiner Hand und uns mit ihm!
Zunächst verteidige, die ich die Ältere,
Du mich vor diesem Publikum, die sind doch nur
Vor deiner Schwanenschönheit schnatternd fette Gänse!



VIERTER AKT

(Szene: Landschaft, umgeben von reich verzierten Gebäuden aus dem Mittelalter.)

CHORFÜHRERIN
Geschwätzigkeit und Dummheit, typisch für die Frauen!
Sie hängen am Moment, ein Spielball jeder Brise,
Von jedem Augenblick und jedem Leid, nie wissend,
Wie still man leiden muss! Doch eins ist immer sicher,
Zu andern heftig, wenn die andern widersprechen,
Sie lachen, weinen gleichermaßen, freudig, leidend.
Nun still! Und hört, was unsre hochgesinnte Herrin
Hier wird entscheiden für sich selber und für uns.

HELENE
O Pythia, wo bist du? Doch du bist berufen,
Komm aus den Bögen dieser dunklen Burg heraus.
Wenn du von wundersamen Herrn und Helden kommst,
Gib alles mir bekannt, den Sitz zur Rezeption,
Nimm meinen Dank entgegen und so führ mich schnell,
Ich wünsche endlich meine Wanderschaft beendet.

CHORFÜHRERIN
O Königin, vergeblich, schau in jede Richtung,
Die hässliche Gestalt ist fort, sie blieb vielleicht
Dort in dem Rauch, aus dessen Tiefe wir gekommen,
Ich kann nicht sagen wie, so schnell und ohne Trittschall.
Vielleicht ging sie im großen Labyrinth verloren
Von diesen vielen Burgen, wunderbar vereint.
Ich schaue auf und seh den Fürstengruß des Herrn.
Schau, eine Menge, sich bewegend in Bereitschaft.
Daneben Galerien sind und Tür und Fenster
Und Dienerscharen kommen, huschend hin und her,
Sie künden herzlichen Empfang für ihren Gast.

CHOR
Erleichtert ist mein Herz. O siehe dort,
Wie eine Schar von Jugendlichen kommt
Mit festen Schritten würdevoller Ordnung,
Marschieren sie in Reihen. Wer befiehlt
Der Ordnung, wer so schnell hat angeordnet
Die jungen Scharen solcher schönen Rasse?
Was sollte denn am meisten ich bewundern?
Sind es die leichten Schritte voller Anmut,
Der Haare Locken auf den weißen Stirnen,
Die runden Wangen mit dem Rouge des Pfirsichs?
Hinein zu beißen wäre mein Begehr,
Doch bin ich ängstlich, solches zu versuchen,
Ein Fall war ähnlich, und mir graut zu sangen,
Der Mund war plötzlich angefüllt mit Asche!

Aber der Schönste
Ist jetzt gekommen.
Was sie hier tragen?
Stufen zum Throne,
Teppiche, Sessel,
Vorhang und Vordach,
Schmuck von Juwelen,
Über uns winkend
Mit den Girlanden,
Über dem Kopfe
Unserer Herrin,
Sie ist geladen,
Steigt auf den Thronsitz
Herrlichen Adels.
Vorwärts, ihr Schwestern,
Schritte um Schritte,
Festlich geordnet,
Würdig und würdig,
Dreifach gewürdigt,
Wird sie empfangen,
Ist sie gesegnet!


(Was der Chor beschrieben hat, findet statt. Nachdem die Jünglinge und Knaben in langen Prozession hinab gestiegen, erscheint Faust oben an der Spitze der Treppe, in der Tracht der Ritter des Mittelalters, und dann steigt er langsam und mit Würde herab.)

CHORFÜHRERIN (ihn streng beobachtend.)
Wenn in der Tat die Götter nicht, wie oft sie tun,
Geliehn dem Mann die schöne Form für den Moment,
Ehrfürchtig seine Würde ist, er scheint charmant,
Vorübergehend handelnd, was er immer tut,
Es ist erfolgreich, ob mit kämpferischen Männern,
Ob in den Liebeskriegen mit den schönen Weibern.
Fürwahr, er ist mein Favorit, der Wirt der andern,
Den meine Augen schauten an, den hochgelobten.
Ich seh den Fürstengang mit Schritten langsam-vornehm,
Verhaltner Ehrfurcht. Königin, zu ihm dich wende!

FAUST (sich annähernd, ein Mann in Ketten an seiner Seite.)
Nun statt des Friedensgrußes, des gewohnten,
Statt des Empfangs voll Ehrfurcht und Verehrung,
Hier bring ich einen armen Mann in Ketten,
Der er in seines Amtes Pflicht versagte.
Knie nieder hier, so dass die edle Dame
Kann hören gleich die Beichte deiner Sünden.
Der, Königin, der Mann ist auserwählt
Für seinen klaren Blick, für die Vision
Vom hohen Turm von Elfenbein, der schaut
In Himmelsräume, auf der Erde Breite,
Um zu berichten, was sich hier bewegt,
Auf Hügeln ringsumher und in der Burg,
Ob eine Wanderung bewollter Herden,
Ob Krieger, so dass wir die Herde hüten,
Die Krieger greifen an. Doch er versagte:
Sie kam hierher, er hat es nicht berichtet,
Wir nicht empfingen sie, wie sie verdient,
Zur Ehre hohen Gastes. Jetzt verliert er
Sein Leben und sein Blut, es wird vergossen
In dem verdienten Tod! Nur du allein
Kannst ihm vergeben oder ihn bestrafen.

HELENE
Solch großes Werk, wie du erwählt, mir zu verleihen,
Als Richterin, als Herrin auch – doch ich vermute,
Du willst es nur als eine Art von Prüfung, dennoch
Ich übe aus die Pflichten einer Richterin,
Ich will den Angeklagten hören. Sprich, mein Sohn!

LYNKEUS (der Bewohner des Elfenbeinturms)
Lass knieen mich und lass mich schauen an,
O lass mich leben oder lass mich sterben,
Schon bin ich dir geweiht, o Himmelsdame!

Ich warte auf der Morgenröte Kommen,
Den Blick gerichtet auf den Orient,
Da plötzlich tanzt die Sonne bunt im Süden!

Ich, angezogen, anzuschaun das Wunder,
Statt Schlucht und Gipfel, Himmelshöh und Erde,
Ich starre sie nur an, die schönste Wonne!

Mir war das Sehvermögen ja gewährt
So wie dem Luchs, der hoch im Wipfel sitzt,
Jetzt sehe ich in Unentschlossenheit
So wie in einem dunklen und bewölkten Traum.

Was denken? Auch wenn ich mir dieses wünschte?
Turm, Mauer oder ein verschlossnes Tor?
Der Nebel stieg und breitete den Dunst aus,
Da kam die Himmelsgöttin hier im Staat!

Mein Herz ergab ich und mein Auge ihr,
Da sog ich trunken ein das süße Licht,
Die Schönheit war verschleiert, aber ich
Geblendet war allein durch ihren Anblick!

Ich hab das Amt des Wächters, der Posaune,
Jetzt aber droht sie, ach, mich zu zerstören,
Denn Grimm und Zorn sind in der Schönheit Bann!

HELENE
Ich kann bestrafen nicht das Übel, das ich brachte.
Ah wehe mir! Was für ein hartes Schicksal ist es,
Das mich verfolgt, dass überall, wo ich besitze
Die Männerherzen, sie nicht selbst sich geben hin.
Sie stehlen, kämpfen und verführen, immer hetzend,
Halbgötter und Dämonen, Himmlische und Helden,
Sie führten mich auf allen meinen Wanderungen.
Allein hab ich die Welt verwirrt, verwirrt sie doppelt,
Jetzt bring ich dreifach, vierfach nichts als Leid auf Leid.
Nimm diesen Makellosen weg und lass ihn gehen,
Nicht Schande ist es, wenn die Götter einen täuschten.

FAUST
O Herrin, staunend seh ich euch zusammen,
Den Bogenschützen, das geweihte Opfer,
Ich seh den Bogen, ausgeschickte Pfeile,
Ich seh, die ihn verwundeten, die Pfeile,
Jetzt fällt es auch mir auf. Ich hör das Surren
Der Pfeile überquerend jeden Hof.
Wer bin ich? Meine Mauern machst du schwach
Und meine Knechte machst du zu Rebellen.
Schon fürchte ich, dass die Armee gehorcht
De Siegerin, der unbesiegten Herrin.
Was bleibt zu tun? Ich füg mich selbst hinzu!
Ist alles, was ich träume, denn vergeblich?
Nun lieg ich frei und treu zu deinen Füßen,
So lass mich dich als Herrin anerkennen!
Dein Dasein bringt dir Thron und Eigentum.

LYNKEUS
O Herrin, wieder schaue ich voraus,
Der Reiche bittet dich um einen Blick.
Es sieht der Reiche dich, auf einen Blick
Ist er ein Bettler und ein Bettlerkönig.

Wer bin ich jetzt? Und wer war ich dereinst?
Was ist zu wollen? Was ist nun zu tun?
Was nützt den Augen denn die klarste Sicht?
Er wirft sein Auge auf die Macht der Herrin.

Von Osten drängten wir bis an die Grenze,
Und plötzlich ist verschwunden uns der Westen.
So breit wie lang die Völker sind versammelt,
Die Ersten wissen gar nichts von den Letzten.

Der erste Rang geht, steht der nächste schnell,
Des dritten Ranges Speer unübertroffen.
Ein jeder Mann war hier wie hundertfach,
Es starben Tausende, unsäglich alle.

Wir vorn gedrängt, wir stürmten so hinauf,
Wir waren Meister, dann wir waren weg,
Wo ich entschieden, der ich Häuptling heute,
Und morgen ausgeraubt und weggestohlen.

Gesehen haben wir, schnell war der Blick,
Die schönsten Weiber nahmen wir uns mit,
Wir holten alle Ochsen aus dem Stall,
Wir nahmen Pferde, nahmen alle Pferde.

Doch meine Freude war es, zu entdecken
Die seltnen Dinge, die ich sehen konnte,
Und was die andern Menschen fassen konnten,
Das war für mich nichts als nur Stroh und Heu.

Da war ich auf den Spuren eines Schatzes,
Was immer meine scharfen Augen sahen,
In jede tiefe Tasche konnt ich sehen
Und jeder Busen war wie Glas für mich.

Sie waren da wie Haufen Gold für mich,
Die besten Edelsteine konnt ich finden,
Doch jetzt sind es allein nur die Smaragde,
Die sind es wert, den Thronstuhl dir zu schmücken.

So schwanke zwischen Ohren jetzt und Wangen
Die Perle aus dem tiefen Ozean,
Ein Ort, den nicht Rubine aufzusuchen
Es wagen können, die so blass nur sind
Verglichen mit der Rosenwange dein.

So ist der Reichtum, so ist jeder Preis,
Den ich hier setze ein vor deinen Augen,
Ich deinen Füßen gerne unterwerfe
Die Beute aus Gefilden blutbefleckt.

Wie viele Truhen hab ich mitgebracht,
Ich hab dazu auch eherne Schatullen,
So lass mich treulich deinem Wege folgen
Und füllen dir die Kammern deiner Schätze.

Du würdest anders kaum den Thron besteigen,
Wenn alle neigen sich vor dir allein,
Wenn Weisheit sie und Erdenmacht und Reichtum
Empfangen heute nur von deiner Huld.

Das alles hab ich schnell bekommen, wahrlich,
Jetzt aber ist es frei und ganz für dich.
Mich dünkt, sein Wert ist deutlich zu erkennen,
Jetzt ist es alles nicht mehr viel für mich.

Was ich besessen habe, geht vorüber
Wie das von mir gemähte welke Gras.
O gib nur einen lichten Blick mir hin!
Das alles sei der Lohn für deinen Tanz.

FAUST
Entferrn die Haufen, die der Mut gewonnen,
Nimm keine Schuld auf dich und such kein Lob.
Das alles ist schon ihres, was die Burg
In ihrem Schoß versteckt, die Dinge schenkst du
Vergeblich. Geh und staple Schatz auf Schatz
In rechter Reihenfolge. Präsentiere
Die feinste Auswahl unsichtbarer Pracht!
Lass die Gewölbehallen himmlisch glänzen!
Lass deine Toten Paradiese schaffen!
Lass Blumenteppich schnell auf Blumenteppich
Ihr rollen unterm Fuß, so wird sie schreiten
Auf weicher Erde, lass den edlen Blick
Wie Götter blendend fallen auf die Pracht!

LYNKEUS
Ich tu es, wie der Herr befiehlt,
Für Diener ist es nur ein Spielzeug,
Die Regeln der erhabnen Schönheit,
Sie gelten auch in Blut und Geld.
Das ganze Heer ist jetzt gezähmt,
Die Schwerter sind nun wieder stumpf
Nah dieser Form von reinem Gold,
Die Sonne selbst ist blass und kalt
Nah dieses Angesichtes Reichtum,
Sonst alles ist nur leerer Raum.

HELENE (Zu Faust.)
Ich möchte mit dir sprechen, komm zu mir!
Hier neben mich! Der leere Platz lädt ein
Den Herrn, so sicher ist der Ort für mich.

FAUST
Empfange meine Ganzhingabe bitte,
Ich kniee, edle Dame, lass mich küssen
Die Hand, die mich an deine Seite hebt.
Sag, ich sei Mitregent von einem Reich
Von unbekannten Grenzen. Du gewinnst
Dir einen Sklaven, einen Wächter und
Verehrer deiner Huld in Einem Mann.

HELENE
So viele Wunder kann ich sehn und hören,
Ja, mich ergreift ein staunendes Entzücken,
Und da ist viel, das möcht ich gerne wissen.
Und lehre mich wie eure Dichter sprechen,
Mit neuer Rede, so vertraut, doch seltsam.
Ein Ton macht frei den Weg dem nächsten Ton,
Und wenn ein Wort den Ohren Freude gab,
Ein andres kommt, dem ersten gleich zu streicheln.

FAUST
Wenn meiner Dichter Sprache dir gefällt,
Du wirst begeistert sein von ihren Liedern,
Die Herz und Geist vollkommen schön erfüllen.
Doch willst du sicher werden, üben wir,
Die Wechselrede lockt und ruft uns weiter.

HELENE
Wie spricht man so mit dieser schönen Kunst?

FAUST
Es kommt alleine aus der Liebe Brunst!
Man schaut sich um, wer noch voll Liebesglut?

HELENE
Wem noch das Herz brennt voll von heißem Blut?

FAUST
In Gegenwart schaut nur die Geistessonne -

HELENE
Der Augenblick ist Ewigkeit der Wonne!

FAUST
Die Liebe ist uns Schatz und Gold und Land -

HELENE
Die Liebe gibt dem Liebsten ihre Hand.

CHOR
Wer beleidigt die Prinzessin,
Die gewährt dem Burgen-Meister
Eine Show von Freundlichkeiten?
Lasset uns gestehen, wir sind
Im Gefängnis, wie bis heute,
Wie der Fall in großer Schande
Ilions, der bange, stattfand,
Traurig, und die irren Fahrten.

Frauen, Männern gern erfüllend
Ihren Wunsch, sind nichts besondres.
Sie beherrschen Zauberkünste.
Sie verleihn die gleichen Rechte
Einzig mit den goldnen Haaren,

Frauen, die sich schnell ergeben,
Wenn die Möglichkeit sich bietet
Mit den Körper und den Trieben.
Schon, schon sitzt man näher, dichter,
Zueinander hingezogen,
Am in Arm und Knie an Knieen,
Hand in Hand sich zärtlich wiegend,
Auf dem Throne weich gepolstert,
Majestätisch wie die Götter,
In privaten Schwärmereien
Offenbart des Mannes Augen.



FÜNFTER AKT

(Helene, Faust, und ihr Kind Euphorion, im griechischen Kostüm.)

EUPHORION
So hör gesungen nun das Lied der Kindheit,
Denn ihre Freude, sie gehört euch allen,
So seht mich überspringen jetzt die Zeit,
Ich springe in die Herzen meiner Eltern.

HELENE
Erforderlich zwei reine Herzen sind,
Aus Liebe zu der Menschlichkeit zu segnen,
Ein einig Ding zusammen soll es sein,
Sie sollen sein die Heiligkeit der Drei.

FAUST
Was wir gesucht, wird alles nun entdeckt,
So ich bin dein, mein Schatz, und du bist mein,
Wir zwei gebunden aneinander sind,
Das nenne ich das allerschönste Schicksal.

CHOR
Sie sind seit vielen Jahren schon begeistert
An dieses Kindes feuervollem Toben,
Ah, diese Partnerschaft von den Genossen,
Wie solche Schönheit mich so sehr bewegt!

EUPHORION
Lasset mich springen,
Lasset mich Lenz sein!
Hoch in die Lüfte,
Kreisend die Dinge,
Ist mein Verlangen,
Sind meine Triebe.

FAUST
Stürze in Vorsicht!
Stürz in Gefahr nicht,
Solcherlei Stürzen
Harrt auf den Wilden,
Gründe dich sicher,
Lieblicher Knabe!

EUPHORION
Ich kann nicht kleben
Fest an der Erde,
Lasst meine Hände,
Lasst meine Haare,
Lasst meine Kleider,
Alles ist meines.

HELENE
Denke, o denke,
Wem du gehörst doch.
Uns wär es traurig,
Würdest zerstört du,
All deine Arbeit,
Dein, sein und meine.

CHOR
Ach diese Einheit
Wird sich zerstreuen.

HELENE UND FAUST
Ruhe, nur Ruhe,
Bitten die Eltern.
Allzu lebendig
Bist du, gewaltig.
Ländlicher Ruhe
Leb in der Ebne.

EUPHORION
HJ, wenn es das ist, was ihr möchtet, ja,
Ich höre auf, ich halte mich zurück.

(Er windet sich, tanzend, durch den Chor und zieht sie fort mit sich.)

Hier schweben werde ich, ganz leicht
Und voller Leben ist die Schar.
Ist das die schöne Melodie,
Die nach dem Takt gemessen ist?

HELENE
Ja, das ist ordentlich getan.
Die Schönen führe du herauf.

FAUST
Ach wäre es nur erst vorbei!
Denn solche Unterhaltung kann
Mir nicht begeistern die Vernunft.

CHOR (mit Euphorion, flink tanzend und singend, in verschlungenen Reihen.)
Wenn deine Arme gleichermaßen
Charmant du angehoben hast,
Dann deine Lockenhaare blond
Sind aufgelöst und hold verwirrt.

Und wenn mit einem Fuß so leicht
Du überm Grund im Fluge bist,
So dorthin und zurück sogleich,
Dann regne Schritt auf Schritt herab.

Dann ist dein Ziel bereits in Sicht,
Du goldner Knabe, schönstes Kind!
Betört sind alle unsre Herzen,
Sich dir zu einigen gewillt.

(Pause)

EUPHORION
Du bist wie viele
Hüpfende Kitze,
Neuere Spiele,
Wiedergeboren,
Ich bin der Jäger,
Du bist die Beute.

CHOR
Willst du uns fangen?
Ach wir sind eifrig,
Dich zu erhaschen,
Wir sind gespannt schon,
Wann es vorbei ist,
Sich an die Formen
Liebend zu klammern,
Du bist so niedlich!

EUPHORION
Jetzt durch die Täler,
Über die Felsen,
Was ich gewinne,
Sieht aus wie Mühe,
Nur mit Gewalt will
Stark ich gewinnen,
Das ist mir Freude.

HELENE UND FAUST
Wie wild er ist! Und ach, wie stur er ist!
Nur wenig Hoffnung gibt’s auf Mäßigung.
Das ist der Klang des frohen Hörnerblasens,
Das tönt so durch die Wälder und die Felder,
Was für ein Lärm und närrische Verwirrung!

CHOR (eine nach der anderen, in Eile.)
Wie eilig läuft er von uns weg, der Junge!
Verachtet uns! Ist immer voller Spott!
Jetzt zieht er eine von der Menge an,
Das ist die wildeste von allen Frauen.

EUPHORION (zieht ein junges Mädchen an sich.)
Hier ziehe ich die Schelmin eng an mich,
Ganz durchzusetzen meinen höchsten Wunsch,
Denn meine Wonne, mein Begehren ist es,
Ans Herz zu drücken sie voll heißem Feuer,
Zu küssen dreist sie auf den roten Mund,
Dann auszurufen meine große Kraft!

DAS JUNGE MÄDCHEN
Nein, lass mich gehn! Da gibt es eine Kraft,
Beständigkeit des Geistes in dem Körper,
Mein Wille, wie bei dir, wenn ich nicht irre,
Mein Wille sagt: Ich bin nicht leicht zu haben.
Du denkst vielleicht, ich wäre in Gefahr?
Gewalt der Waffen ist es, die du ausübst.
So fange schnell mich, ach du dummer Racker!
Ich spiele gern mit dir dein kleines Spielchen.

(Sie wird zu einer Flamme und leuchtet in der Luft.)

Folg durch die Luft mir,
Folg in der Höhe!
Fang deine Beute,
Flüchtige Beute!

EUPHORION (abschüttelnd die Flammen.)
Felsen sind um mich,
Wälder zu sehen,
Gib die Gefangne,
Ich bin ja jung noch!

Brisen wehn Düfte,
Wellen jetzt brechen,
Töne der Ferne
Hör ich von fern her,
Dort wär ich gerne.

(Er springt weiter auf den Felsen.)

HELENE, FAUST UND DER CHOR
Du möchtest einer Gämse gleichen?
Ach Kind, wir bangen um dein Schicksal!

EUPHORION
Höher und höher
Will ich nun klettern,
Weiter und weiter
Will ich nun sehen,
Hier auf der Insel,
Landschaft des Pelops,
Erde wird Meerflut.

CHOR
Warum nicht hier in Frieden leben
Auf Hügeln und in grünen Wäldchen?
Weinberge werden wir dir suchen
Und Reben schön in ihren Reihen.

Die Reben hoch auf Bergesrücken,
Figuren dort und Äpfel-Gold,
Du bleib in diesem schönen Land,
Du bleibe hier und werde alt!

EUPHORION
Könnt ihr denn stille Tage träumen?
Träumt, was der Träumer träumen kann!
Der Krieg ist aber meine Losung,
Der Sieg! So klingt das Echo schön.

CHOR
Er, der in stiller Zeit des Friedens
Den wilden Krieg sich wünscht herbei,
Bald wird sein Zeuge Bruder Tod,
Und Hoffnung sind und Glück dahin.

EUPHORION
Die dieses Land hat,
Ists auch gefährlich,
Frei sind und mutig,
Schütten ihr Blut aus,

Bringen Bedeutung
Heiligem Opfer,
Keiner erobert
Uns, die wir kämpfen!

CHOR
Schaut oben, wie so hoch er klettert!
Doch scheint er kleiner nicht zu werden,
In seiner Rüstung triumphierend
Er glänzt in Edelstahl und Silber.

EUPHORION
Der, der sich selber nicht bewusst ist
Der hohen Mauer und der Ruhe,
Dem deine dauerhafte Festung
Ist des Soldaten Eisen-Brust.

Und wollt ihr leben unbesiegt,
So schnell bewaffnet in den Kampf,
Zum Kampfe mit dem wahren Feind!

Die Frau ist eine Amazone,
Der junge Knabe ist ein Heros.

CHOR
Heilige Dichtkunst
Klettert gen Himmel!
Schimmernde Sterne
Weit in der Ferne!
Hier ists erreicht schon,
Immer wir hören,
Wo wir gewärtig,
Freude und Wonne!

EUPHORION
Nein, nicht als Knabe ich erscheine,
Die Jugend kommt bewaffnet, siehe,
Im Geiste ist er schon ein Fürst,
Ist einer von den starken, kühnen.
Jetzt gehe ich! Jetzt, siehe da,
Der Weg zum Ruhm strahlt auf für mich.

HELENE UND FAUST
Kaum bist ins Leben du gekommen,
Kaum kamest du zum Tagesschimmer
Und von den Höhen sehnst du dich
Schon nach dem Ort der Schmerzren, scheints.
Sind denn wir beiden nichts für dich,
Ist diese Bindung nur ein Traum?

EUPHORION
Seht ihr denn nicht den Wellendonner?
Durchs Tal die Nymphe Echo ruft,
Die Heere stehn in Sand und Schaum,
So Schar auf Schar in banger Ernte,
Verstehen das Kommando sie,
Es ist der Tod für alle jetzt.

HELENE, FAUST UND DER CHOR
O Horror! Welche Katastrophe!
Ist denn der Tod für dich verordnet?

EUPHORION
Soll ich es sagen aus der Ferne?
Ich werde eure Sorgen teilen.

HELENE,FAUST UND DER CHOR
Schwinge hinweg dich,
Todesgefahr du,
Tödliches Schicksal!

EUPHORION
Ich bin beflügelt,
Werde nicht warten,
Denn ich muss vorwärts,
Lasset mich fliegen!

(Er stürzt sich in die Luft: seine Kleider tragen ihn einen Augenblick, sein Kopf ist erleuchtet und ein Lichtstreifen folgt ihm.)

CHOR
O Ikarus, o Ikarus!
Er ist nicht mehr! Wir seufzen wehe.

(Ein schöner Jugendlicher fällt zu den Füßen der Eltern. Wir sehen eine bekannte Form in der Leiche, aber der physische Teil verschwindet auf einmal, während eine Aureole wie ein Komet in den Himmel steigt. Das Kleid, der Mantel und die Lyra bleiben auf dem Boden.)

HELENE UND FAUST
Auf einmal folgt der Freude
Der bitterlichste Schmerz!

EUPHORION (aus der Tiefe)
O Mutter! Lass mich nicht allein
In der Domäne dunkler Schatten.

(Pause)

CHOR
O lass ihn nicht allein! Gleich, wo du bist,
Wir glauben über dich das Folgende:
Obwohl der Tag uns scheidet nun von dir,
Wird dennoch keine Seele dich vergessen.
Wir wünschen nicht den Bleibenden die Trauer,
Wir singen voller Neid des Toten Schicksal.
Dir gab das allerhellste Licht des Himmels
Die wahren Lieder und den großen Mut.
Geboren wurdest du fürs Erdenschicksal,
Von edlem Stammbaum und von guter Macht,
Als Jugendlicher gingst du in die Irre,
Du wurdest früh schon von uns fortgenommen.
Die Seele sah die Welt in klarer Schau,
Des Herzens Sehnsucht hatte sie verstanden,
Die Glut der Leidenschaft für eine Frau,
So sang die Seele mit der schönsten Kunst.
Unwiderstehlich lief er doch vergebens
Im Netze ohne Disziplin. Er ist
Geschieden von der Welt mit Heftigkeit,
Nach der Gewohnheit und der festen Regel,
Bis endlich, durch das Denken tief geworden,
Du Mut gefunden hast und mehr Gewicht,
Du wolltest Glanz und Gloria gewinnen,
Doch das war nicht dein vorbestimmtes Schicksal.
Ja, wessen Schicksal denn? Die düstre Frage
Lässt, ach, das Schicksal selber ohne Antwort,
Dieweil in Freudentagen unglückselig
Das stumme Blut gerinnt des ganzen Volkes.
Auch neue Lieder wird er wieder singen,
Nicht mehr sich beugen auf die schwarze Erde,
Die Erde wird ihn einmal noch erkennen,
Wie wir, die Weisen, ihn bereits erkannt.

(Eine komplette Pause. Die Musik endet.)

HELENE (Zu Faust.)
Ach, es erweist sich doch das Wort für mich als wahr,
Dass Glück und Schönheit nie für lange sich vereinen.
Der Lebensfaden ist, das Liebesband zerrissen,
Im Schmerz beklagen wirs. Nun muss ich sagen: Abschied,
Umarme mich noch einmal und dann nimmer mehr.
Es ist Persephone, die uns im Tod empfängt.

(Sie umarmt Faust: ihr Körper verschwindet, nur ihr Kleid und Schleier bleiben in seinen Händen.)