DER GÖTTIN STAAT
von Josef Maria von der Ewigen Weisheit
Muse, singe mir die Tiere der göttlichen Mutter!
ERSTES KAPITEL
Die Männchen von Argiope aurantia müssen auch ohne den Spinnen-typischen Kannibalismus sterben.
Während der Paarung sterben Männchen der schwarz-gelben Gartenspinne einen plötzlichen Tod: Innerhalb weniger Sekunden nachdem sie ihren Samen in das Weibchen gegossen haben, verharren sie regungslos, die Beine unter ihrem Körper fromm gefaltet. Nach spätestens fünfzehn Minuten tritt der Tod durch Herzstillstand ein. Das berichten die Zoologen der Concordia.
Die Paarung endet im Tierreich für Männchen mehrerer Arten tödlich. Beispiele für sexuellen Kannibalismus sind vor allem von Spinnen und Gottesanbeterinnen bekannt. In vielen Fällen versuchen die Männchen, den gefährlichen Weibchen, femme fatale, zu entkommen. Nur bei wenigen Arten lässt sich das Männchen wehrlos verspeisen.
Forscher zeigen an der schwarz-gelben Gartenspinne (Argiope aurantia) erstmals, dass Männchen auch ohne die Mithilfe ihrer Weibchen bei der Paarung sterben. Der plötzliche Tod ist genetisch programmiert und wird bei den Spinnen durch die Paarung ausgelöst.
Die nur sieben Millimeter großen Männchen legen ihre Spermien mit Hilfe ihrer Tastorgane in den Befruchtungsgang der vier Mal größeren Weibchen. Das Tastorgan schwillt im Weibchen an, dadurch bleibt das tote Männchen im Weibchen hängen und versperrt den Rivalen den Zugang. Nur in wenigen Fällen gelingt es einem Nebenbuhler, das Weibchen von dem toten Gatten zu befreien. Erst nach zwanzig Minuten entfernt das Weibchen den Toten dann selbst.
ZWEITES KAPITEL
Zu den wenigen Tierarten, bei denen die Weibchen das Sagen haben, gehören Tiere, die sich bei uns Menschen nicht gerade übermäßiger Beliebtheit erfreuen, nämlich die im zentralen und südlichen Afrika beheimateten Tüpfelhyänen. Eine Tatsache, die damit zusammen hängt, dass bei den Tüpfelhyänen die Weibchen einfach größer und stärker sind als die Männchen.
Bei den Hyänen, die in Clans von bis zu siebtig Mitgliedern leben, herrscht das Matriarchat. In der Hierarchie steht selbst das ranghöchste Männchen noch unter dem rangniedrigsten Weibchen. Insbesondere beim Fressen müssen die Männer stets den Damen den Vortritt lassen. Nähert sich eine männliche Hyäne einem Weibchen, dann kommt es stets zu einer Geste der Unterwürfigkeit der besonderen Art: Das Männchen legt ein Vorderbein im Stehen über das andere, das dabei leicht einknickt. Anders ausgedrückt: Er macht einen Hofknicks. Allerdings ist keineswegs die größte und stärkste weibliche Hyäne auch zugleich die Matriarchin des Clans.Diese Rolle ist, ähnlich wie in einem europäischen Königshaus, erblich. Das heißt, das regierende Weibchen gibt die Rolle der Matriachin immer an ihre erstgeborene Tochter weiter. Selbst die Schwestern dieser Erstgeborenen, die nur ein paar Minuten später auf die Welt kamen, müssen sich später unterordnen.
Auch bei den Bonobos, den Zwergschimpansen aus Zentralafrika, herrscht das Matriarchat. Bei den Menschenaffen, die von ihrer Genausstattung zu fast hundert Prozent mit uns Menschen übereinstimmen und deshalb als unsere nächsten Verwandten im Tierreich betrachtet werden, haben die Weibchen das Sagen, und das, obwohl sie kleiner und schwächer als die Männchen sind. Aber wie kriegen die Weibchen das hin? Ganz einfach: Sie schließen Koalitionen. Tun sich zwei oder drei Weibchen zusammen, sind sie auch dem stärksten Männchen überlegen. Natürlich stellt sich hier die Frage, warum die Bonobo-Männchen nicht ihrerseits Koalitionen schmieden. Schließlich wären sie dann in der Lage, die Weibchen zu dominieren. Beobachtungen zeigen jedoch: Bonobo-Männer gehen nie Koalitionen ein. Offensichtlich sind sie bei weitem nicht die Netzwerk-Speizialisten, die ihre Weibchen sind.
Das interessanteste Matriarchat im Tierreich finden wir beim Nacktmull, einem kleinen Nagetier, das in den Halbwüsten Ostafrikas zu Hause ist. Dort leben die gerade mal zehn Zentimeter großen Nager, die wegen ihres obskuren Aussehens oft spöttisch als Säbelzahn-Würste bezeichnet werden, in unterirdischen Kolonien. Nacktmulle sind die einzigen staatenbildenden Säugetiere. Sie leben in einem komplex organisierten Staat, wie man ihn sonst nur bei Bienen, Ameisen oder Termiten kennt. Die bis zu dreihundert Individuen starke Mullkolonie wird stets von einer Mullkönigin regiert, die allein für die Produktion des Nachwuchses verantwortlich ist. Dazu hält sich sie Königin einen kleinen, aber feinen Harem von zwei bis vier männlichen Nacktmullen, die nur ihrer Tätigkeit als Liebhaber nachgehen müssen. Aber dieses süße Lotterleben fordert einen hohen Preis: Die Harems-Männer altern nämlich überdurchschnittlich schnell und segnen daher auch früher das Zeitliche. Der Rest der Kolonie besteht aus nicht fruchtbaren Arbeitern sowie einer nicht arbeitenden, ebenfalls unfruchtbaren Klasse, den sogenannten Gardisten, deren Mitglieder korpulenter und auch träger als die Arbeiter sind und im Hofstaat der Königin als Wächter und Soldaten dienen.
Stirbt die Königin, dann macht sich zunächst einmal Chaos im Nacktmull-Staat breit, denn diverse Weibchen aus der Kaste der bereits erwähnten Gardisten nehmen an Gewicht zu, werden auf einmal fruchtbar und kämpfen erbittert um den vakanten Thron. Diese Erbfolgekämpfe können monatelang andauern und enden für viele Weibchen tödlich. Den Thron besteigt immer diejenige Nacktmullin, die als erste eigene Kinder in die Welt setzt.
DRITTES KAPITEL
Sobald sich bei Rennmäusen wieder neuer Nachwuchs ankündigt, werden die ältesten Jungen aus der Großfamilie vertrieben. In der mongolischen Steppe, wo die Hausiere ursprünglich herkommen, ist das auch heute noch der Fall.
In menschlicher Obhut gibt es diesen Ausweg freilich nicht. Außerdem gibt es auch keinen triftigen Grund für eine Trennung: Der Tisch ist immer reichlich gedeckt, und um die Sicherheit der Familie braucht man sich keine Sorgen zu machen. Außer der Besitzer würde ihnen plötzlich einen fremden Artgenossen hinzugesellen wollen oder Katze oder Hund auf sie loslassen. Dafür taucht ein anderes Problem auf. Es wird immer enger in dem Mäuse-Heim. Und das sorgt für sozialen Streit unter den Tieren.
In der Großfamilie geht es friedlich zu, bis eine erwachsene Tochter aufbegehrt.
Normalerweise geht es in einer Großfamilie, die aus einem Pärchen und deren Jungen aus verschiedenen Würfen besteht, friedlich zu. Die älteren Geschwister helfen brav bei der Aufzucht ihrer jüngeren Geschwister und springen als Babysitter ein, wenn die Mutter anderweitig beschäftigt ist, etwa wenn sie auf Futtersuche unterwegs ist. Bei Mongolischen Rennmäusen steht der Mutter, das heißt dem ältesten Weibchen, die höchste Rangposition in einem Clan zu.
In der Haustier-Gesellschaft, in der mehrere Generationen unter einem Dach zusammen leben, paart sie sich schließlich nicht nur mit dem alten Mäuserich, sondern lässt sich auch von ihren erwachsenen Söhnen begatten. So können die Sprösslinge aus einem Wurf durchaus verschiedene Väter haben. Kein Grund zum Streit! Zwischen den Männchen, also Vater und Söhnen, kommt es nicht zu Rivalitäten.
Bei den Weibchen sieht die Sache schon anders aus, denn Fortpflanzung ist hier, wie gesagt, Sache der Herrin. Nicht jede Tochter aber will sich der Herrschaft der Mäuse-Mutter unterordnen. Die häusliche Gemeinschaft im Terrarium kann sie ja nicht verlassen, um einen eigenen Hausstand zu gründen, so begehrt sie plötzlich auf. Es kommt zum Mutter-Tochter-Konflikt. Um den Zwist nicht eskalieren zu lassen, rät der Experte, eins der beiden Weibchen aus der Gruppe herauszuholen. Andernfalls kann es zu blutigen Auseinandersetzungen kommen.
Ist die Situation zwischen den beiden nämlich nicht friedlich zu lösen, was allerdings höchst selten vorkommt, wird die alte Mäusin, die sich nicht aus ihrer hohen Rangposition verdrängen lassen will, den Nachwuchs ihrer Tochter verfolgen und töten. Vielleicht trägt aber auch die Tochter den Sieg über die Mutter davon und beißt in der Folge deren jüngste Nachkommen, das heißt ihre eigenen Geschwister, tot. Auf die natürliche Geburtenkontrolle ist bei den domestizierten Mäusen inzwischen also kein Verlass mehr. Wird es im Terrarium zu eng und stressig, bleibt nichts anderes, als die Geschlechter zu trennen.
VIERTES KAPITEL
Jeder weiß, dass Bienenvölker von einer Königin geleitet werden. Und es gibt Arbeiterinnen. Aber wie sieht es mit männlichen Bienen aus?
Die männlichen Bienen heißen Drohnen. Man kann sie im Bienenstock gut erkennen. Sie sind größer als die Arbeiterinnen und haben große Augen. Wenn jemand ein verwöhntes und faules Leben führt, sagt der Volksmund schon einmal: Er lebt wie eine Drohne. O dolce vita! Das trifft ziemlich genau zu. Drohnen haben nur eine einzige Lebensaufgabe: Die Königin zu befruchten.
Sie beteiligen sich nicht an den anfallenden Arbeiten im Bienenstock. Sie müssen sogar gefüttert werden. Wachdienst können sie auch nicht tun, sie haben keinen Stachel.
Sobald im Frühjahr durch vermehrtes Futterangebot das Bienenvolk wächst, werden von den Arbeiterinnen Drohnenzellen gebaut. Die sind größer als Arbeiterinnenzellen. Die Drohnen schlüpfen nach vierundzwanzig Tagen, Arbeiterinnen nach einundzwanzig Tagen. Eine Königin braucht sechzehn Tage, um zu schlüpfen.
Nach dem Schlüpfen fliegen die Drohnen aus dem Stock und machen sich auf die Suche nach jungfräulichen Königinnen auf Hochzeitsflug. Sie benehmen sich wie Junggesellen und besuchen fremde Bienenstöcke, vagabundieren umher und warten auf ihre Chance. Dabei lassen sie sich auch in fremden Bienenstöcken durchfüttern.
Die Chancen, eine Königin zu treffen, sind bei der Anzahl der Drohnen gering. Hat aber eine Drohne das Glück, auf eine Königin zu stoßen, wird die Befruchtung im Flug vollzogen. Dabei bricht allerdings der Lege-Stachel ab und der Lege-Apparat wird herausgezogen und die Drohne stirbt. Er hat seinen Lebenszweck erfüllt.
Die befruchtete Königin fliegt nun zurück in ihren Bienenstock und nach ein paar Reife-Tagen wird sie mit der Produktion von Eiern beginnen. Dann wird sie den Bienenstock nur noch einmal verlassen, wenn sie mit ihrem Volk ausschwärmt.
Die Drohnen fliegen suchend den ganzen Sommer durch die Landschaft. Wenn sich im Herbst das Bienenvolk verkleinert, weil es sich auf den kommenden Winter vorbereitet, kommt es zu der Drohnenschlacht. Die Drohnen werden nicht mehr gebraucht und werden von den Arbeiterinnen nun nicht mehr gefüttert und aus dem Stock vertrieben. Es ist allerdings bei vereinzelten Völker beobachtet worden, dass sie die Drohnen gnädig weiterhin im Stock behalten.
FÜNFTES KAPITEL
Man kann in der Tat feststellen, dass im Gegensatz zu dem, was für Menschenmassen gilt, bei den Gesellschaftsinsekten der kollektive Verstand offenbar mit der Anzahl seiner Zellen proportional wächst. Denn die fruchtbarsten Arten und am dichtesten bevölkerten Kolonien sind gewöhnlich die unternehmungslustigsten, erfindungsreichsten und zivilisiertesten.
Wie immer dem sei, so scheint die gegenseitige Zuneigung und die gemeinsame Liebe zu den Larven der Wahrheit sehr nahezukommen.Wir haben hier die Idealrepublik, wie wir Menschen sie nie kennenlernen werden, die Republik der Mütter. Obgleich sie Jungfrauen sind, empfinden sie alle kraft ihrer Berufung Mütterlichkeit tiefer und leidenschaftlicher als die eigentliche Gebärende. Man sehe sich um in der ganzen Natur, nirgends wird man eine so herrliche Mutterliebe finden. Die Henne verteidigt ihre Küken gegen alle Feinde, aber ihre Eier liebt sie noch nicht. Reiße einer Arbeiterin, die einen Kokon zu retten versucht, den Hinterleib ab, schneide ihr, wenn du den Mut dazu hast, die beiden Hinterbeine ab, sie wird ihre Last nicht fahren lassen, sondern auf den vier Beinen, die ihr verblieben, ihre Eingeweide hinter sich herziehen, denn ihre Lebenskraft ist nicht minder wunderbar, als ihre Liebe, sie wird ihren Weg fortsetzen und erst dann ans Sterben denken, wenn die Larve oder Puppe, die für sie die Zukunft bedeutet, in Sicherheit gebracht ist.
Jeder also tut in diesem heroischen Matriarchat hartnäckig seine Pflicht zum Nutzen aller, als wären alle nur einer. Der Schwerpunkt des Bewußtseins und des Glückes ist ein anderer als bei den Menschen. Er liegt nicht im Einzelwesen, sondern überall dort, wo sich eine Zelle des Ganzen bewegt, von dem das Einzelwesen nur ein Teil ist. Daraus ergibt sich eine Art Regierung, die allem überlegen ist, was der Mensch je verwirklicht hat.
Im Termiten-Nest wird das Matriarchat durch eine freiwillige Kastration ersetzt. Die Arbeiter können Männchen oder Weibchen sein, doch ist ihr Sexus vollständig verkümmert und kaum unterscheidbar. Sie sind völlig blind und haben weder Waffen noch Flügel. Ihnen allein obliegt die Ernte, die Verarbeitung und Verdauung der Zellulose, und sie allein sind es, die alle anderen Einwohner ernähren. Außer ihnen ist keiner dieser Bewohner, mag es der König sein, die Königin, ein Krieger oder eines der merkwürdigen Ersatztiere und der Geflügelten, von denen ich noch reden werde, imstande, die Lebensmittel zu nutzen, die in ihrer Reichweite sind. Sie würden auf dem herrlichsten Zellulose-Haufen verhungern, die einen, wie die Krieger, weil ihre Kiefer so unförmig sind, dass sie den Weg zum Mund versperren, die anderen, wie der König, die Königin, die ausfliegenden Männchen und die Ersatztiere, die in Reserve gehalten werden, um nötigenfalls die toten oder unzureichenden Herrscher zu ersetzen, weil sie keine Protozoen in den Eingeweiden haben. Nur die Arbeiter beherrschen die Kunst zu essen und zu verdauen. Sie sind gewissermaßen der Kollektivmagen und der Kollektivbauch der Bevölkerung. Wenn eine Termite, zu welcher Klasse sie auch gehört, Hunger hat, stößt sie den vorbeikommenden Arbeiter mit den Fühlern an. Sogleich liefert dieser dem Bittsteller, wenn er noch jung ist, das heißt, wenn er sich noch zu einem König, einer Königin oder einem geflügelten Insekt entwickeln kann, das ab, was er im Magen hat. Ist der Bittsteller ein Männchen, so kehrt er ihm die Hinterseite zu und überlässt ihm großmütig, was sein Darm enthält.
Das ist vollkommener Kommunismus, der Kommunismus des Schlundes und der Eingeweide, der bis zum Kollektivismus des Kot-Fressens getrieben wird. Nichts geht verloren in dieser dunklen und blühenden Republik, in der sich in wirtschaftlicher Hinsicht das Ideal verwirklicht, das uns die Natur darzubieten scheint. Wenn jemand die Haut wechselt, wird sein abgelegtes Kleid sofort verschlungen; wenn jemand stirbt, Arbeiter, König, Königin oder Krieger, wird sein Leichnam im selben Augenblick von den Überlebenden verzehrt. Abfall gibt es nicht, das Aufräumen geschieht automatisch und ist immer zweckdienlich, alles ist verwendbar, nichts bleibt liegen, alles ist essbar, alles ist Zellulose, und die Exkremente werden unbegrenzt immer wieder ausgenutzt. Das Exkrement ist, wenn ich so sagen darf, der Urstoff aller Industrie, mit Einschluß der Ernährungsindustrie, wie eben beschrieben.
Ihre Galerien zum Beispiel sind von innen mit der größten Sorgfalt geglättet und gefirnist, und der dazu benutzte Firnis besteht ausschließlich aus Kot. Handelt es sich darum, eine Röhre herzustellen, einen Laufgraben zu stützen, Zellen und Kammern zu errichten, königliche Gemächer zu erbauen, eine Bresche auszubessern, eine Ritze zu verschließen, durch die ein Luftzug oder ein Lichtstreif, zum Entsetzen, dringen könnte, immer greifen sie zu den Relikten ihrer Verdauung. Ich wollte meinen, sie seien vor allem überragende Chemiker, deren wissenschaftliches Genie jedes Vorurteil, jeden Widerwillen überwunden hat, die zu der aufgeklärten Überzeugung gelangt sind, dass in der Natur nichts abstoßend sei und dass sich alles auf einige einfache, chemische, indifferente, saubere und reine Körper zurückführen lässt.
Vermöge der überraschenden Fähigkeit, den Körpern zu befehlen und sie je nach den Aufgaben, Bedürfnissen und Umständen umzuformen, teilen sich die Arbeiter in zwei Klassen: die großen und die kleinen. Die großen Arbeiter, mit mächtigen Kiefern ausgerüstet, die sich wie Scheren-Klingen kreuzen, ziehen auf den bedeckten Wegen weit hinaus, um Holz und andere harte Stoffe zum Zweck der Verproviantierung zu zerkleinern; die zahlreicheren kleinen Arbeiter bleiben zu Hause und widmen sich den Eiern, den Larven, den Nymphen, der Ernährung der ausgebildeten Insekten, des Königs und der Königin, den Vorratskammern und allen Pflichten des Haushalts.
Sie halten sich zu hunderten am Rande eines Blattes fest und suchen in gemeinsamer Arbeit mit ihren Kiefern das benachbarte Blatt zu fassen. Gelingt es ihnen nicht ohne weiteres, bilden sie eine Kette oder Brücke; jede von ihnen packt die Nachbarin am Stiel zwischen dem Metathorax und dem Hinterleib, bis es der Ameise ganz vorne gelingt, sich in das andere Blatt ein zu krallen und es heran zu ziehen. Sind die Ränder so nahe zusammengebracht, dass sie sich fast berühren oder wenigstens in der für richtig erachteten Entfernung befinden, so gilt es, sie in dieser Lage festzuhalten. Jetzt greifen die Spinnerinnen ein. Sie tragen zwischen ihren Kiefern eine Larve, die gerade dabei war, ihren Kokon zu weben und die ihrer eigennützigen Beschäftigung im Interesse des Gemeinwohls entrissen worden ist. Deshalb sind die Larven und Puppen der Spinnerinnen stets nackt; denn ihre ganze verfügbare Seide wird zur Herstellung des Nestes beschlagnahmt. Mit Hilfe des noch klebrigen Fadens, den ihr Werkzeug absondert, verbindet und befestigt die Weberin nun die beiden Ränder und führt dazu ihr lebendiges Webschiffchen hin und her. Die übrigen Spinnerinnen, jede mit ihrer Larve zwischen den Zähnen, machen es genauso, und das ganze Blatt entlang wird die Arbeit fortgesponnen, bis das fertig gewebte Nest zu einem riesigen Kokon mit zahllosen Kammern, Zwischenwänden und seidigen Säulchen geworden ist.
Hier also zeigt sich zum ersten Mal in der Tierwelt die Anwendung eines Werkzeugs. In der Welt der Insekten, wie auch bei den Säugetieren, der höchsten Stufe aller lebenden Wesen, gibt es dafür kein zweites Beispiel. Man soll zwar zuweilen gesehen haben, dass ein an die Kette gelegter Affe sich eines Stockes bediente, um eine Banane oder eine Nuß heranzuholen, die nicht in Reichweite war. Aber das scheint Zufall und derart ungewiss zu sein und beruht offenbar auf so unklaren Anwandlungen, dass man es unmöglich mit der überlegten und sachgemäßen Anwendungen des Webschiffchens und der Spindel vergleichen kann. Auf keinem anderen Gebiet sind uns die Ameisen so nahe gekommen. Sie haben damit tatsächlich einen Bannkreis überschritten, wie er ähnlich vom Feuer gezogen wird.
Ich wundere mich, dass unsere klügsten Haustiere tagtäglich um einige Millimeter an einer Idee vorbeigehen und sie nicht erfassen. Aber wer sagt mir, ob nicht auch wir Menschen an vielem vorbeigehen, das anderen Geistern genauso einfach und selbstverständlich erscheinen muss, wie uns der Gedanke des Werkzeugs, an vielem, das wir vielleicht niemals bemerken werden, obgleich es in jedem Augenblick wie im Kinderspiel heißen könnte: Es brennt!
Werden die Ameisen weiter vorankommen? Die Betrachtung ihrer Entwicklung von den paläontologischen Zeiten bis hin auf unsere Tage lässt eine Entscheidung darüber nicht zu. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass uns von dieser Seite, wenn nicht Gefahren, so doch Sorgen bevorstehen, mit denen wir uns werden beschäftigen müssen. Jedenfalls wird ihr Anmarsch so langsam sein, dass wir im Augenblick, da er bedrohlich werden könnte, nicht mehr sein werden; denn offenbar deutet alles darauf hin, dass der Mensch, das letzte Kind der Mutter Erde, sie als erster wieder verläßt und ins Ungewisse hinübergeht.
Das Schicksal der Ameisen, der Bienen, der Termiten, so klein im Raum, doch fast unbegrenzt in der Zeit, ist ein schöner Abriss unseres eigenen Schicksals, das wir auf diese Weise während eines Augenblicks, von den Jahrhunderten zusammengefasst, in der Hand halten. Deshalb lohnt es sich, dieses Schicksal zu erforschen. Ihr Los zeichnet uns das unsere vor, und hat sich dieses Los trotz der Millionen Jahre, trotz der Tugenden, der Heldenhaftigkeit, der Aufopferung, die man bei uns als bewunderungswürdig bezeichnen würde, verbessert? Gewiss hat es sich ein wenig befestigt und gegen gewisse Gefahren sichergestellt, aber ist es deshalb glücklicher, und wiegt der kleine Lohn die ungeheure Mühe auf? In jedem Fall bleibt es nach wie vor der Laune des Klimas preisgegeben.
Wohin zielen diese Experimente der Natur? Mir bleibt es verborgen, und die Mutter Natur selbst scheint es auch nicht zu wissen, denn schließlich, wenn sie einen Zweck verfolgte, so hätte sie in der vergangenen Ewigkeit gelernt, ihn zu erreichen, da die kommende Ewigkeit denselben Wert oder dieselbe Ausdehnung haben wird wie die verflossene, oder vielmehr beide zusammen eine und dieselbe Ewigkeit sind, eine ewige Gegenwart.
Es ist kindisch zu fragen, wohin die Dinge und die Welten gehen. Sie gehen nirgends hin, sie sind am Ziel. In hundert Milliarden von Jahrhunderten wird die Lage dieselbe sein wie heute, dieselbe wie vor hundert Milliarden von Jahrhunderten, dieselbe wie am Anfang, dieselbe wie am Ende. Es wird kein Mehr, kein Weniger im materiellen oder übersinnlichen Weltall geben. Alles, was wir auf wissenschaftlichem, geistigem oder moralischem Gebiet erwerben können, ist in der vergangenen Ewigkeit erworben worden, und alle unsere neuen Errungenschaften werden die Zukunft ebensowenig verbessern, wie die voraufgegangenen die Gegenwart verbessert haben. Nur kleine Teilchen des Ganzen, im Himmel, auf Erden oder in unseren Gedanken, werden nicht mehr die gleichen sein, aber andere werden sie ersetzen, die den vorigen ähneln, und die Summe wird stets bleiben, was sie ist und war.
Warum ist nicht alles vollkommen, da alles danach strebt, vollkommen zu sein und eine Ewigkeit Zeit gehabt hat, vollkommen zu werden? Gibt es ein Gesetz, das stärker ist als alles, das diese Vollkommenheit nie zugegeben hat und infolgedessen auch auf keiner der Myriaden von Welten, die uns umgeben, je zugeben wird? Denn wäre auf einer einzigen dieser Welten das erstrebte Ziel erreicht worden, so erscheint es ausgeschlossen, dass die anderen die Wirkung davon nicht verspürten.
Man kann das Experiment oder die Prüfung gelten lassen, wenn sie zu etwas nützen; aber wird nicht dadurch, dass unsere Welt nach Ewigkeiten nur dahin gelangt ist, wo sie jetzt steht, bewiesen, dass das Experiment zu nichts führt?
Wenn alle Experimente auf allen Gestirnen, die nach Milliarden und aber Milliarden zählen, unaufhörlich von neuem beginnen, ohne dass sie zu einem Ziel führen, werden sie etwa dadurch vernünftiger, weil es unendlich und unermesslich in Raum und Zeit geschieht? Ist eine Handlung weniger nutzlos, weil sie keine Grenzen hat?
Was lässt sich dagegen sagen? Nichts, es sei denn, dass wir gar nicht wissen, was in Wirklichkeit außer, über, unter und in uns vorgeht. Allenfalls könnte es sein, dass auf einer anderen Bewußtseinsebene, in Regionen, von denen wir keine Vorstellung haben, seit ewigen Zeiten sich alles bessert und nichts verlorengeht. Das werden wir aber nie in diesem Leben erkennen. Aber sobald unser Körper, der die Werte verwirrt, abscheidet, wird alles möglich, wird alles ebenso unbegrenzt wie die Ewigkeit selbst, alle Unendlichkeiten heben sich auf, und folglich erstehen alle Möglichkeiten neu.
Man kann bei den Bienen ganz ebenso überraschende politische und wirtschaftliche Maßnahmen beobachten. Ich will sie hier nicht aufzählen; aber wir dürfen nicht übersehen, dass es bei den Ameisen zuweilen noch erstaunlichere gibt. Ich weiß, dass die Lasins Flarus, unsere kleinen gelben Ameisen, in ihren unterirdischen Gewölben in richtigen Ställen Herden von Alphiden beherbergen, die einen süßen Tau von sich geben und welche die Ameisen genau so melken wie wir unsere Kühe und Ziegen. Andere, die Formica sanguinea, ziehen in den Krieg, um Sklaven zu erbeuten. Die Polyergus Rufescens vertrauen die Aufzucht ihrer Larven nur Leibeigenen an, während die Anergates nicht selber arbeiten und von den in Gefangenschaft geratenen Tetramorium Cespitum ernährt werden. Ich will nur noch die Pilzameisen des tropischen Amerikas erwähnen, die gradlinige Tunnel bis zu einer Länge von hundert Metern aushöhlen und durch das Zerschnipseln von Blättern einen Humus bereiten, auf dem sie durch ein geheimes Verfahren einen so eigentümlichen Pilz sprießen lassen, dass es den Menschen noch nicht gelungen ist, ihn irgendwo anders zu züchten. Ich will schließlich noch einige afrikanische und australische Arten erwähnen, bei denen speziell ausgebildete Arbeiterinnen nie das Nest verlassen, sich dort an den Füßen aufhängen und in Ermangelung von anderen Gefäßen zu lebenden Behältern, Brunnen, Honigtöpfen mit dehnbarem kugelförmigen, riesigem Bauch werden, in dem man die Ernte aufspeichert und aus dem man schöpft, wenn man hungrig ist. Nicht zu vergessen die Spinn-Ameisen, Oecophylla Smaragdina, die in den warmen Gegenden Indiens bis hinein nach Australien und Afrika ihre Nester in die Bäume bauen, mitten zwischen große Blätter, die sie erst mühsam einander nähern und dann mit der Seide der als Webschiffchen benutzten Larven zusammennähen.
Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, dass all diese Angaben, die sich unbegrenzt vermehren ließen, nicht auf sagenhaften Gerüchten beruhen, sondern auf wissenschaftlichen Beobachtungen.
Sicherlich muss das innerste Leben des Ameisennestes inmitten so zahlloser, vielgestaltiger, meist unheimlicher, oft gefährlicher oder anrüchiger und immer lästiger Parasiten von unserm Innenleben recht verschieden sein. Es verläuft wie ein immerwährender Angsttraum in einem furchtbaren, aber auch spannenden Zauberstück. Es spielt sich in unendlichen unterirdischen Spuk-Gewölben ab, wo teuflische Gespenster, Geister und Erscheinungen, schlimmer als aus den Bildern von der Versuchung des heiligen Antonius, aus allen Wänden hervorbrechen, an allen Ecken Wache stehen, auf allen Gängen lauern, alle Kammern überfluten, wo gefräßige Schmeichler, Speichellecker und Galgenvögel ihr Wesen treiben und als Gegengabe für den Honig zweideutige Wollust, Düfte und schädliche Gifte anbieten. Ich kann mir schwerlich vorstellen, ich käme von der Arbeit heim und fände mein Haus von zweitausend verschiedenen Ungeheuern bevölkert vor, eins scheußlicher als das andere, sie führten sich dort auf, als wären sie allein, und ihre fixe Idee, ihr einziger Lebenszweck bestünde darin, auf meine Kosten zu leben. Ich kann es nicht verstehen und muss mich lediglich mit der Feststellung begnügen, dass die kluge Ameise, so leicht es für sie wäre, die ganze Spuk-Welt, diesen ganzen ekligen und verderbenbringenden Mummenschanz nicht etwa mit einem Mal wegfegt, sondern ihn im Gegenteil begünstigt, ermuntert, sich dabei gefällt, ihn als einen unentbehrlichen Luxus ansieht, als den Lohn ihrer Mühe, die Zierde und Freude ihres Hauses; und je intelligenter, fleißiger, reicher und zivilisierter sie ist, um so ungestrafter lässt sie sich ausnutzen. Ihrem Gedeihen schadet das im allgemeinen nichts. Die Formica Fusca ist gegen das gewerbsmäßige Schmarotzertum duldsamer als alle anderen und dabei noch zahlreicher in der ganzen Welt verbreitet, als die den Rauschgiften der Hartflügler ergebene Sanguine.
Aber ich bin nicht zuständig. Ich sagte bereits, dass unser inneres und tiefes, also einzig wirkliches Leben sich nicht in gleicher Richtung bewegt. Alle unsere Laster rühren vom Egoismus her, statt Auswüchse des Altruismus zu sein.
Die Lage des Menschen ist tragisch. Sein hauptsächlicher Feind, vielleicht sein einziger, ist die Materie. Das haben alle Religionen empfunden, und darüber sind sie alle einig, denn unter dem Namen des Bösen oder der Sünde handelt es sich stets um sie; und andererseits ist alles in ihm Materie, angefangen mit dem Teil von ihm, der die Materie verachtet, verdammt und ihr um jeden Preis entweichen möchte. Und nicht nur in ihm, sondern in allem, denn die Kraft, das Leben sind sicherlich nur eine Form, eine Bewegung der Materie, und - höchster Widerspruch - die Materie selbst ist gerade da, wo wir sie in ihrem massivsten Block erblicken, wo sie uns auf ewig tot, erstarrt und unbeweglich erscheint, von unvergleichlich großem geistigem Dasein unsere Gedanken beseelt, verdankt sie doch der geheimnisvollsten, unwägbarsten, unfassbarsten der Kräfte - mag sie eine flüssige, ätherische oder elektrische sein -, das furchtbare, schwindelerregende, unermüdliche, unsterbliche Leben ihrer Elektronen, die von Urbeginn an wie tolle Planeten um einen Zentralkern herumwirbeln.
Aber nach welcher Seite unser Weg uns auch führen mag, irgendwohin werden wir gelangen, irgend etwas werden wir erreichen; und dieses Etwas wird nicht das Nichts sein, denn von allen unverständlichen Dingen, die unser Hirn quälen, ist das unverständlichste sicherlich das Nichts. Es ist richtig, dass praktisch für uns das Nichts der Verlust unserer Identität, der kleinen Erinnerungen unseres Ichs bedeutet, also das Nichtbewußtsein. Aber alles in allem ist das ein Kirchturms-Gesichtspunkt, über den man noch hinaus denken muss.
Eins ist nur möglich: entweder wird unser Ich so groß, so universell, dass es die Erinnerung an das lächerliche kleine Tier, das es hier auf Erden war, vollkommen verlieren oder verachten wird; oder aber dieses Ich wird klein bleiben und sein elendes Bild durch die Ewigkeiten ohne Zahl; keine Qual der Hölle wird so schlimm sein.
Wohin wir auch gelangen, bewusst oder unbewusst, und was wir auch immer dort finden mögen, wir werden uns ihm anpassen bis ans Ende unserer Art; dann wird eine andere Art einen anderen Kreislauf beginnen, und so endlos fort, denn wir dürfen nicht vergessen, dass der unserem Wesen entsprechende Mythos nicht Prometheus ist, sondern die Sage von Sisyphos und den Danaiden. Solange wir keine Gewissheit haben, müssen wir uns jedenfalls sagen, dass das Ideal der Seele dieser Welt dem aller Wirklichkeit, allem, was wir rings um uns sehen, entgegengesetztem Ideal nicht völlig entspricht, das wir sehr allmählich und sehr mühselig aus einem Schweigen, einem Chaos, einer Barbarei voller Schrecken herausgeholt haben.
Es empfiehlt sich daher, keine Besserung zu erhoffen, sondern so zu handeln, als wäre alles, was uns ein vager Instinkt, ein ererbter Optimismus verspricht, ebenso gewiss, ebenso unentrinnbar wie der Tod. Schließlich ist die eine Hypothese ganz ebenso wahrscheinlich, ganz ebensowenig nachprüfbar wie die andere. Denn solange wir uns in unserem Körper befinden, sind wir fast vollständig von den geistigen Welten, deren Existenz wir ahnen, ausgeschlossen und unfähig, mit ihnen in Verbindung zu treten. Man kann sich allerdings fragen, ob wirklich diejenige Hypothese die entmutigendere ist, die nichts hofft, denn aller Wahrscheinlichkeit nach würden wir eine zu bestimmte Hoffnung bald zu wertlos finden und ihrer überdrüssig werden, und dann würden wir vollends verzweifeln. Wie dem auch sei, maßen wir uns nicht an, die Natur der Dinge ändern zu wollen, sagte schon Epiktet, das ist weder möglich noch nützlich; sondern indem wir sie nehmen, wie sie sind, müssen wir lernen, unsere Seele ihnen anzupassen. - Nahezu zweitausend Jahre, die seit dem Tode des Weisen von Nikopolis verflossen sind, haben uns noch keine hoffnungsvollere Lösung gebracht.
Trösten wir uns damit, dass wir uns sagen, der Intellekt sei diejenige Fähigkeit, durch die wir schließlich verstehen, dass alles unverständlich ist; und betrachten wir die Dinge von der Tiefe der menschlichen Illusion aus. Die Illusion ist vielleicht, alles in allem, auch eine Art Wahrheit, auf jeden Fall die einzige uns erreichbare. Denn es gibt immer mindestens zwei Wahrheiten, die eine, zu hoch, zu wenig menschlich, zu hoffnungslos, lehrt nur Bewegungslosigkeit und Tod; die andere, von der wir wohl wissen, dass sie weniger wahr ist, die aber, indem sie uns Scheuklappen anlegt, es uns ermöglicht, gerade vorwärtszuschreiten, am Dasein teilzunehmen und so zu leben, als führte das Leben, dem wir bis zum Ende folgen müssen, woanders hin als ins Grab.
Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich schwer leugnen, dass die Versuche der Natur, von denen wir im Augenblick sprechen, sich einem gewissen Ideal zu nähern scheinen. Dieses Ideal, das zu kennen ganz gut ist, um einige gefährliche und überflüssige Hoffnungen abzulegen, offenbart sich nirgends auf Erden so deutlich wie in den Republiken der Hautflügler und der Geradflügler. Wenn wir von den Bibern absehen, die fast ausgestorben sind und die wir kaum noch erforschen können, dann zeigen uns, allein von allen Lebewesen, deren Beobachtung uns möglich ist, die Bienen, die Ameisen und die Termiten das Bild einer von der Vernunft beherrschten Lebensform, einer politischen und wirtschaftlichen Organisation, die, von der grundlegenden Vereinigung von Mutter und Kind ausgehend, stufenweise, im Verlauf einer Entwicklung, deren Etappen wir, wie ich schon sagte, in den verschiedenen Gattungen alle wiederfinden, zu einem furchtbaren Gipfel gelangt ist, zu einer Vollkommenheit, welche, vom rein praktischen und Nützlichkeits-Standpunkt aus betrachtet - andere Maßstäbe haben wir nicht -, also vom Standpunkt der Kräfteausnutzung, der Arbeitsverteilung und der materiellen Ertragsfähigkeit, von uns noch nicht erreicht worden ist.
Eine andere Hypothese könnte den Bienenstock, den Ameisenhaufen und das Termiten-Nest als ein Einzelindividuum auffassen, das noch oder schon aufgelöst wäre, als ein einziges Lebewesen, erfahren, ist, dass die wichtigsten Funktionen unserer Organe von unseren endokrinen Drüsen mit innerer oder hormoneller Sekretion abhängen, deren Vorhandensein wir bis dahin kaum ahnten, namentlich von der Schilddrüse, welche die Tätigkeit der Bindegewebszellen abschwächt oder verlangsamt, von dem Hirnanhang, der die Atmung und Temperatur regelt, den Zirbeldrüsen, den Nebennieren, den Geschlechtsdrüsen, die an unsere Trillionen Zellen die Energie verteilen. Aber wer ist es, der wiederum die Funktionen dieser Drüsen regelt? Wie kommt es, dass unter genau gleichen Bedingungen sie dem einen Gesundheit und Lebensglück geben, dem anderen Krankheit, Leiden, Elend und Tod? Sollte es denn in diesen Gebieten des Unbewussten ebenso wie in den anderen ungleiche Intellekte geben? Und ist der Kranke das Opfer seines Unbewussten? Sehen wir nicht häufig, dass ein Unbewusstes oder ein Unerfahrenes oder offensichtlich blödes Unterbewusstsein den Körper des klügsten Mannes seines Jahrhunderts, etwa eines Blaise Pascal, regiert? Wo soll man die Verantwortlichkeit suchen, wenn diese Drüsen sich irren?
Wir wissen nichts darüber, es bleibt uns vollständig verborgen, wer in unserem eigenen Körper die wesentlichen Befehle erteilt, von denen die Erhaltung unseres Daseins abhängt; wir sind im Zweifel, ob es sich dabei um einfache mechanische oder automatische Wirkungen oder um vorbedachte Maßnahmen handelt, die von einer Art Zentralmacht oder Generalleitung ausgehen, deren Aufgabe das gemeinschaftliche Wohl ist. Wie könnten wir demnach in die Vorgänge eindringen, die sich, außerhalb und fern von uns, im Bienenkorb, im Ameisenhaufen und im Termiten-Nest abspielen, und erkennen, wer dort herrscht, verwaltet, die Zukunft voraussieht, die Gesetze verkündet? Erst müsse n wir erkennen lernen, was in uns selber vorgeht.
Alles, was wir im Augenblick feststellen können, ist, dass unser Zellenstaat, wenn er schlafen, essen, sich bewegen, erwärmen, abkühlen oder vermehren muß, das dazu Notwendige tut oder zu tun anordnet; und ebenso der Termiten-Staat, wenn er Soldaten, Arbeiter, Fortpflanzer braucht.
Ich muss darauf zurückkommen, dass es vielleicht keine andere Lösung gibt, als in dem Termiten-Nest ein Einzelindividuum zu sehen. Das Individuum wird nicht durch die Summe der Teile gebildet, nicht durch den gemeinsamen Ursprung, noch durch den Zusammenhang der Substanz, sondern allein durch die Verwirklichung einer gemeinsamen Verrichtung, mit anderen Worten, durch die Einheit des Ziels.
Wenn es uns aber richtiger erscheint, so mögen wir die Vorgänge, die sich dort abspielen, wie auch diejenigen, welche in unserem eigenen Körper abrollen, einer im Kosmos verstreuten Intelligenz zuschreiben, dem unpersönlichen Gedanken des Weltalls, dem Genius der Natur, der Anima Mundi, der prästabilierten Harmonie mit den Erklärungen von Zweckursachen, denen die Seele, und von wirkenden Ursachen, denen der Körper gehorche - geniale Träumereien -; wir mögen zur Erklärung die Lebenskraft, die Kraft der Dinge, den Willen, den morphologischen Plan, die leitende Idee, die Vorsehung, den Ur-Motor, die ursachenlose Ursache aller Ursachen, den Zufall oder Gott heranziehen, alle diese Antworten sind von gleichem Wert, denn sie erkennen mehr oder weniger offen an, dass wir nichts wissen, nichts verstehen, und dass uns Ursprung, Sinn und Zweck aller Lebenserscheinungen noch lange, vielleicht ewig verborgen bleiben werden.
Aber könnte man nicht, bis man es besser weiß, die Instinkte der Insekten, und besonders der Ameisen, Bienen und Termiten, mit der Gesamtseele in Zusammenhang bringen und somit auch mit der Art von Unsterblichkeit oder vielmehr von unbegrenzter Gesamtdauer, die ihnen verliehen ist ? Die Bevölkerung des Ameisenhügels, des Bienenstocks, des Termiten-Nestes scheint, wie ich schon sagte, ein einziges Individuum, ein einziges lebendes Wesen zu sein, dessen Organe, aus unzähligen Zellen gebildet, nur dem Anschein nach verstreut sind, aber stets derselben vitalen Energie oder Persönlichkeit, demselben Zentralgesetz unterworfen bleiben. Vermöge dieser Gesamtunsterblichkeit kann der Tod von Hunderten, ja von Tausenden von Termiten, die sofort von anderen ersetzt werden, nicht das Gesamtwesen berühren oder verändern, ebensowenig wie in unserem Körper das Ende von Tausenden von Zellen, die im Augenblick durch andere ersetzt werden, das Leben unseres Selbst berührt oder verändert. Seit Millionen von Jahren, gleich einem Menschen, der niemals sterben würde, ist es immer dieselbe Termite, die weiterlebt; infolgedessen kann keine einzige der Erfahrungen dieser Termite verlorengehen, da es keine Unterbrechung in ihrer Existenz gibt, keine Zerstückelung und kein Verschwinden ihrer Erinnerungen, vielmehr ein einziges Gedächtnis fortbesteht, das nie aufgehört hat zu funktionieren und alle von der Gesamtseele erworbenen Kenntnisse zu zentralisieren. So würde sich unter vielen Mysterien das eine erklären, dass die Bienenköniginnen, die seit Jahrtausenden nur Eier gelegt, niemals eine Blume besucht, Blütenstaub gesammelt und Nektar geschöpft haben, dennoch Arbeitsbienen das Leben geben können, die bei ihrem Austritt aus der Wachszelle alles wissen, was ihren Müttern seit prähistorischen Zeiten unbekannt war, und die vom ersten Fluge an alle Geheimnisse der Orientierung, des Honigsammelns, der Aufzucht der Nymphen und der verwickelten Chemie des Bienenkorbs kennen. Sie wissen alles, weil der Organismus, von dem sie nur ein Teil, eine Zelle sind, alles weiß, was er zu seiner Erhaltung wissen muss. Sie scheinen sich frei im Raum zu zerstreuen, aber so weit sie auch fliegen mögen, bleiben sie doch mit der zentralen Einheit verbunden, von der sie nie aufhören, ein Teil zu sein. Sie werden, ebenso wie die Zellen unseres Wesens, von ein und demselben Lebensstrom umspült, der für sie viel breiter, dehnbarer, subtiler, psychischer oder ätherischer ist als der unseres Körpers. Und diese Zentraleinheit ist gewiss mit der Weltseele der Biene und wahrscheinlich auch mit der kosmischen Weltseele verbunden.
Es ist fast sicher, dass wir ehemals dieser Weltseele, mit der unser Unterbewusstsein noch in Verbindung steht, viel enger verbunden waren als jetzt. Unser Intellekt hat uns von ihr getrennt, trennt uns täglich mehr von ihr. Sollte unser Fortschritt also in der Absonderung liegen? Sollte nicht hierin unser spezifischer Irrtum bestehen? Das widerspräche natürlich dem, was wir über die erwünschte Hypertrophie unseres Gehirns darlegten; aber auf diesen Gebieten, in denen nichts feststeht, müssen sich die Hypothesen notwendigerweise bekämpfen; und dann kommt es zuweilen vor, dass ein bis in seine äußersten Konsequenzen durchgeführter bedauerlicher Irrtum sich in eine vorteilhafte Wahrheit wandelt, ebenso wie eine Wahrheit, die man lange betrachtet, sich verwirrt, die Maske ablegt und nur noch ein Irrtum oder eine Lüge ist.