von Josef Maria von der Ewigen Weisheit
ZUEIGNUNG
Der oft gefunden Trost bei Vater Goethe,
Der singt nun voller Trauer Hosianna,
Denn Sie ist hin, die blies die Knochenföte,
Und deren Mund war süßer noch als Manna.
Adieu denn! Bis zur Jüngsten Morgenröte!
Dir weih ich diese wilden Verse, Anna!
Was Goethe baute auf in vierzig Jahren,
Hier ist es in drei Tagen zu erfahren.
ERSTER TEIL
PROLOG IM HIMMEL
(Der Herr Zebaoth, die himmlischen Heere. Später Asmodäus. Die drei Erzengel Sankt Michael, Sankt Gabriel und Sankt Raphael erscheinen.)
SANKT RAPHAEL
Die Sonne singt in alter Weise
In heiliger Geschwister Chor,
Bei ihrer großen Sphärenreise
Oft kommen Donnerschläge vor.
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
SANKT GABRIEL
Du kannst das Beste doch nicht fassen,
Wie Mutter Erde sich bewegt,
Mal von der Sonne übergossen,
Mal samtnes Schwarz sich niederlegt.
Da bäumt sich auf die See mit Schäumen
Und spritzt aus tiefem Felsenspalt
Und geistig Wassernymphen träumen,
Die Erde leidet die Gewalt!
SANKT MICHAEL
Und wilde Stürme, immer reger,
Von Land zu See, von See zu Land,
Die wilde Jagd, der wilde Jäger,
Der Jäger steckt das Haus in Brand.
Ein Blitz, ein Schlag vom Donnerhammer,
Der Hammer donnert immerzu.
Dein Sklave, Gott, in seiner Kammer
Liegt da in schönster Seelenruh.
DIE DREI
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
ASMODÄUS
Herr, wieder gibst du eine Audienz,
Willst hören, ob wir sind mit dir zufrieden.
Sonst gnädig auch, mein Gott in Evidenz,
Bescheiden hab ich mich zu dir beschieden.
Alexandriner auf Franzosenweise
Kann ich nicht machen, wie der Franke macht,
Doch sollst du lächeln, Gottheit, lieblich leise,
Hat Jesus doch mit Kindern auch gelacht!
Vom Universum weiß ich nicht zu reden,
Von Adam doch und Eva nackt in Eden,
Und jeder Mann behauptet, er hab Recht,
Er sei ein Mann vom göttlichen Geschlecht!
Doch ist es wie beim ersten Sündenfall
Gleich nach des Weltalls allererstem Knall,
Da Adam pflückte sich die Feige weg:
Auf Evas linker Brust den Schönheitsfleck!
Der Mann doch lebte glücklich seine Brunft,
Wenn du ihm nicht gegeben die Vernunft.
Ja, graut dir nicht, siehst du das Affentier?
Von hinten auf die Kuh dringt ein der Stier.
Bei Tieren wohl geschieht das dann und wann,
Wenn aber viehisch sich verhält der Mann,
Wenn er es nicht gesteht dem Ohrenpriester,
So ist er bestialischer als Biester.
O Majestät, geschehe Euer Wille!
Der Mann erscheint mir ähnlich einer Grille,
Die vor der Pforte der Geliebten zirpt,
Ums Plätzchen an dem warmen Ofen wirbt,
Allmorgentlich in feuchten Nebelschwaden
Süß zirpt wie die französischen Zikaden,
Meint, seine Stimme sei wie Orpheus stark,
Hüpft einfach in den allerersten Quark!
HERR ZEBAOTH
Was läuft dir sonst noch über deine Galle?
Verklagst du nicht die Menschensöhne alle?
Bist du mit dem, was weise ich beschieden,
Mit meiner Liebesgunst denn nie zufrieden?
ASMODÄUS
Nein, Donnerer, mit deinem Donnerhammer,
Mich jammert so des armen Menschen Jammer
Und ich kann nur noch lamentieren, klagen!
Frau Armut selber wag ich nicht zu plagen!
HERR ZEBAOTH
Kennst du den Doktor Johann Faustus recht?
Der Dulder Hiob ist mein bester Knecht!
ASMODÄIS
Der Doktor Mysticus der Kabbala?
Mein Drittes Auge ihn heut morgen sah,
Wie geistig seinen Esel er geritten,
Beflügelt ist ins Paradies geglitten.
Vom Himmel will er Lämmerwolken pflücken
Und auf der Erde weiche Weiber ficken.
Herr! Bleibe hart bei solcherlei Begehren,
Sollst ewig eine Vulva ihm verwehren,
Er wäre nach dem Akte schlaff und matt
Und all sein Liebeshunger doch nicht satt,
Denn wie nach den Mätressen einst die Fürsten,
Ist in ihm ewig-ewigliches Dürsten!
HERR ZEBAOTH
Geht er auch in der Gottesfinsternis,
Will dringen er in jeglichen Abyss,
Einst wird entschleiern sich die Gotteswahrheit,
Er schaut die Gottheit dann in bloßer Klarheit!
Und liebt und hofft er, weiß er auch zu schweigen,
Die Ewigkeit einst schenkt ihm ihre Feigen!
ASMODÄUS
Ha! Majestät, ich packe Euren Knecht,
Den Faust, an seinem göttlichen Geschlecht,
Versuche ihn mit Geld und Macht und Sex,
So ist er bald der lieben Gottheit Ex!
HERR ZEBAOTH
Geh, Asmodäus, prüfe meinen Knecht,
Ich aber sprech aus Gnade ihn gerecht.
Versuche ihn mit Unzucht, ob er fehle,
Doch Mein bleibt seine gottgeweihte Seele!
ASMODÄUS
Wohlan, ich geh wie andre Gottesboten,
Versuchen kann ich ja nicht mehr die Toten,
Versuchen will ich jene, die noch leben,
Die Männer, die vor Weiberbrüsten beben!
Die Toten, Herr, die kann ich nicht mehr packen,
Die Lebenden jedoch mit prallen Backen!
Was soll mir in dem Grabe das Skelett?
Die leben, lock ich in der Unzucht Bett!
HERR ZEBAOTH
Gut, Asmodäus, Doktor Faust sei dein,
Versuche ihn, ob er die Quelle rein
Der Liebe, dieser Herrscherin von Sternen,
Verlassen wird für schmutzige Zisternen?
Und wenn vergebens meine Gnade quölle,
Kommt er zum Teufel in die Feuerhölle!
Doch, Dämon, sei beschämt, musst du bekennen:
Allein muß ich im Pfuhl aus Feuer brennen,
Der Wahre Mensch ist mir zur Last geworden,
Zur Last – und nicht zur Lust im Wollust-Orden!
ASMODÄUS
Gut, geh ich zu den Dornen und den Nesteln,
Ich will ihn mit dem Nesselhemde fesseln,
Versuch ihn, nichts als Lust um Lust zu suchen,
Mit geilen Huren will ich ihn versuchen,
Und will es mir mit Huren nicht gelingen,
Die schon so manchen freien Christen fingen,
Ich Dämon bleibe dennoch unverzagt,
Versuche ihn mit einer frommen Magd!
Er buhlt mir noch um ihre Apfelwangen!
Verflucht ist er wie andre kluge Schlangen,
Soll wie die Schlange und wie andre Lurche
Mir kriechen durch die schwarze Ackerfurche!
HERR ZEBAOTH
Du hast den freien Willen, freier Geist,
Ob du auch unrein bist und Dämon heißt,
Zur Erde geh hinab von Zions Hügel,
Sei einsichtsvoll und klug wie Eulenspiegel.
Der Mann, ich rufe ihn, sich aufzuraffen,
Mit seiner Schöpferkraft ein Werk zu schaffen,
Und sehnt er sich nach absoluter Ruh,
Geselle ich ihm einen Bruder zu.
Der Freund und Bruder, das ist ohne Zweifel
Sein Schatten oder auch sein eigner Teufel.
Ihr aber, meine gottgetreuen Engel,
Gehorsam ihr der Jungfrau ohne Mängel,
Den Menschen führt ins Land von Seim und Butter,
Gott liebt den Menschen ja wie eine Mutter!
So soll der Mann in seines Gottes Namen
Zur Engelsernte säen seinen Samen.
(Der Himmel schließt sich.)
ASMODÄUS
So ab und an hör ich doch gern den Vater,
In Uranos den liebevollen Pater.
Ich möcht mit meinem Gott und Herrn nicht brechen,
Der menschlich mit Dämonen weiß zu sprechen.
NACHT. FAUST IN SEINER ZELLE.
FAUST
Ich las so manchen Philosophen,
Gold aus der Weisheit Feuerofen,
Doch fand ich nicht die Dame Chockmah.
Ich kenn der Theologen Dogma
Und auch die Politik der Staaten
Und leider, ach, die Advokaten!
So steh ich nun als Tor der Toren,
Als hätt ich den Verstand verloren!
Geworden bin ich ein Magister,
Ein Doktor auch wie die Geschwister.
Seit sieben Jahren bin ich Lehrer
Und mach es meinen Schülern schwerer
Und schwerer Jahr um Jahr, sie müssen
Erkennen, dass sie gar nichts wissen,
Ob sie es auch nicht wollen leiden,
Doch sollen bleiben sie bescheiden.
Ich aber bin nicht wie die Affen,
Die Wissenschaftler und die Pfaffen.
Ich lob mir schöpferischen Zweifel
Und habe keine Angst vorm Teufel.
Doch seit ich Weisheit zu mir nahm
Mit Löffeln, fühl ich Gram, nur Gram,
Seit ich geheime Einsicht seh,
Ich fühle in der Seele Weh.
O Demut! Dies ist einzusehen:
Ich kann die Gottheit nicht verstehen!
Ich habe mich des Amts entledigt,
Ich hab schon lang nicht mehr gepredigt
Und allen Weisheit angeboten,
Ich gleiche mehr den Idioten,
Bei all der Vielgelehrten Tanz
Bin ich der Doktor Ignoranz!
Frau Armut hält mich jetzt besetzt,
Das Geld, das alle Welt ergötzt,
Das rinnt mir nur durch meine Finger,
Ich bin nicht Mammons treuer Jünger.
Auch bin ich schön nicht von Gestalt,
Der Bart ist grau, jetzt bin ich alt,
Und faulig dampft mein Atemhauch
Und vor mir her trag ich den Bauch
Und hab im Hirne manche Grille
Und vor den Augen eine Brille.
Durch meine Seele geht ein Messer!
Da geht es jeder Hündin besser,
Die, wenn die jämmerliche jault,
Von ihrem Frauchen wird gekrault!
So! Jetzt studier ich die Magie,
Erforsch geheime Sympathie
Der Zwillingsseelen und der Geister
Und lerne Zauberwort der Meister
Und gurre wie ein Turteltauber,
Ein Psalm ist mir ein Liebeszauber,
Mit Salomo ich tue kund,
Wie eng der Hindin Muttermund,
Frau Weisheit will ich nicht vertauschen,
An ihren Brüsten mich berauschen!
Doch in dem Dunkel meiner Nächte
Ich suche jene Macht der Mächte,
Die in dem ganzen Weltgetriebe
Die Energeia ist, Frau Liebe!
Komm nur ins Offene, mein Freund!
Schau, ob die Sonne heiter scheint?
Mit des okkulten Philosophen
Agrippa aus dem Feuerofen
Der heiligen Magia geh
Ich durch die Sphären, ob ich seh
Geschrieben dort das Zauberwort:
Verkehrtes Wesen, fliege fort!
Die Unverschleierte, Frau Wahrheit,
Will schauen ich in bloßer Klarheit,
Die Unverschleierte erreichen!
O, Pentagramm – okkultes Zeichen!
(Er schlägt das Buch der Okkulten Philosophie auf.)
Was ist das für ein Pentagramm?
Ein Drache kommt und nicht ein Lamm?
Der Mutter Erde Seele will
Beschwören magisch ich und still.
Der Mutter Erde Seele seh
Als Lebewesen ich, als Fee.
Jetzt fühl ich Grünkraft, Lebenskraft,
Vitalität voll Lebenssaft!
Die Schlange steigt mir durch den Sexus
Und aufwärts durch den Solarplexus
Und löst den Knoten in der Kehle!
Erleuchte meine Gottesseele,
Mein Drittes Auge in der Stirne,
Du Gott im eigenen Gehirne!
Nun geht zu Bett die junge Luna,
Aurora lächelt als Fortuna!
Ich fühle neues Liebesleben!
Von oben fallen Spinneweben,
Mir in das Haupthaar fällt die Spinne,
Vor Angst mir schwinden meine Sinne!
Weg, Geist der Angst, ich will dich bannen,
Nicht weibisch zagen, mich ermannen!
Ich sehe dich, o Mutter Erde,
O Göttin, schrecklicher Gebärde,
Nicht eben wie Madonna edel,
An deiner Brust ein Totenschädel,
Ein Rosenkranz von Totenschädeln!
Die Haare dir wie Schlangen wedeln!
Ha! Aber dir will ich mich schenken,
In deinen Schoß mich tief versenken!
Und ob die Göttin auch mich quäle –
Dir, Elfe, weih ich meine Seele!
(Er spricht ein orphisches Gebet an die Göttin Gäa. Die elfengleiche Seele der Mutter Erde erscheint.)
SEELE DER MUTTER ERDE
Da bin ich! Du hast mich beschworen.
FAUST
Ich Narr der Narren, Tor der Toren!
Nun hör ich deine Seele brausen,
Sanft säuselnd sausen, fühl ich Grausen!
SEELE DER MUTTER ERDE
Dein Wort hat mich zitiert, berufen,
Ich kam herauf die Treppenstufen.
Was möchtest du von mir, mein Faust?
FAUST
O Mutter Erde, wie mir graust!
SEELE DER MUTTER ERDE
Du riefest mich mit deinem Leben,
Mit heimlich magischen Geweben.
Was soll ich geben meinem Toren,
Der mich mit seinem Wort beschworen?
Wie? Nun du machst dir in die Hose,
Da ich erschein als rote Rose?
Ein echter Übermensch bist du!
Ein Weiser ohne Seelenruh!
FAUST
Hier stehe ich wie Doktor Luther,
Ich kann nicht anders, Große Mutter!
SEELE DER MUTTER ERDE
In allem Lebensdrang der Triebe
Ich wehe geistig voller Liebe
Von Alpha bis nach Omega
Im Namen Gottes: Ich bin da!
Das Leben, prall von Wollust-Wut,
Das Leben gleicht der wilden Flut!
Die Ebbe in dem Abendrot,
Das leise Fliehen, ist der Tod!
Ich bin die Weberin und webe,
Ich nur an meinem Webstuhl lebe,
Denn Gottes Kleid ist die Natur,
Ein transparentes Kleidchen nur!
FAUST
Dein sanftes Sausen ohne Fehle,
Das fühle ich, du Weltenseele,
Dein sanft verschwebend Säuseln sacht,
Weltseele, fühl dich in der Nacht!
Die Täubchen gehn in ihre Nester –
Weltseele, du bist meine Schwester!
SEELE DER MUTTER ERDE
In meinem gottgehauchten Wesen
Kannst du in Wahrheit gar nicht lesen.
Doch zeig ich dir mein schönes Scheinen.
Faust, bleibe du mit deinen Beinen
Nur sicher auf der Erde stehn.
Ein Mann wird Gott doch nie verstehn!
(Die Seele der Mutter Erde wird wieder unsichtbar.)
FAUST
Ich Übermensch! Ich bin kein Gott?
O Weltenseele, welch ein Spott!
Gott schuf den Mann nach seinem Bilde,
Zumeist die Frau, so sanft und milde!
Von Elfenbein ist Sie ein Turm –
Ich aber zucke wie ein Wurm!
(Es klingelt an der Tür.)
O Bruder Tod! Das ist wohl der Student
Der Alchemie? Beim fünften Element!
Bei allen Göttinnen, die um mich werben,
Der Hanswurst wird mir alle Lust verderben!
(Doktor Wagner im Schlafrock und in Pantoffeln tritt ein.)
DOKTOR WAGNER
Du deklamiertest wie Rhapsoden laut.
Wer kriegt in der Komödie denn die Braut?
Wie? Oder sprichst du tragisches Theater,
Wo Ödipus Rival war seinem Vater?
Von dem Theater unsrer alten Griechen
Ist viel zu lernen. Ihnen nachzukriechen
Schien Nyssos’ Gregor wert und auch Sankt Paul.
Wie tragisch ist der Selbstmord doch von Saul!
Auch das Theater scheint mir wie geschaffen
Für das Sakraltheater unsrer Pfaffen.
FAUST
Wenn nur der Pfaffe nicht mit großem Durst
In der Komödie spielt nur den Hanswurst!
DOKTOR WAGNER
Ach, ist ein Pfaffe doch kein Philosoph! Ah,
Er sitzt gemütlich sonntags auf dem Sofa
Und tut sich des Gebets entledigen
Und kann nur Ungesalznes predigen.
Wer nicht hinaustritt in das Weltgetriebe
Und nie besessen war von heißer Liebe
Und tat auch nie ein schönes Weib begehren,
Was soll der gute Mann die Männer lehren?
FAUST
Man liest in Büchern alter Kirchenväter
Und hört den Vater in dem Dom Sankt Peter.
Wenn aber Gott ist nicht erlitten worden,
Dem hilft auch nicht der Mönche Mystik-Orden!
In deinem Innern suche deinen Gott,
Sonst wird dir selbst die Bibel nur zum Spott!
Doch plappre nach den Katechismus nur,
Fühlst du nicht, wie der Herr gen Himmel fuhr
Als Feuerphönix aus der heißen Asche,
Dann weiter nicht nach Luftgespinsten hasche.
Dann, Wissenschaftler vor dem Tuch der Tücher,
Dann schreibe lieber Kinderfabelbücher.
Ein wahrer Gaudi ist ein Kinderbuch!
Doch wer nie roch der Rose Wohlgeruch,
Der kann auch plappern nächtlicher Vigilien
Von kühler Keuschheit rauhreifweißer Lilien!
Wer Gott erfahren nicht in Todesschmerzen,
Der rührt auch nie die schönen Frauenherzen!
DOKTOR WAGNER
Ein Prediger zu sein gelehrter Predigt,
Der sich der Bibelwissenschaft entledigt,
Rhetorik braucht es mehr als Fanatismus,
Historisch-kritisch sei der Biblizismus.
Denn wenn die Schwärmer sterben ihren Göttern,
Wir Prediger, wir lehren nach den Lettern.
FAUST
Ja, lesen muss man können, das hilft viel,
Am allermeisten bei dem Kartenspiel,
Und wer nicht rechnen kann wie Mammonas,
Herzdame er verwechselt mit Pik-As.
Doch Freundschaft – ach die Freundschaft! – oder Liebe –
Da braucht es heißes Blut und Lebenstriebe!
Es lehrt dich doch kein Buch das rechte Rammeln!
Du glühe nur, dann strömt dir schon dein Stammeln!
DOKTOR WAGNER
Ach, vieles will ich wissen von der Welt,
Will kennen Papst und König, Narr und Held,
Weltwissen steht in Büchern, die sind dick,
All das zu lesen, das ist mein Geschick.
Ach, manchmal brennen mich auch heiße Lüste,
Passionen mir durchwühlen meine Brüste,
Doch Arbeit kühlt mich ab! Das ist perfekt,
Den Eros treibt nur aus der Intellekt!
Bevor du Blutschweiß schwitzt von Eros heiß,
Verdiene Geld in Angesichtes Schweiß!
FAUST
Der rationale Intellekt befriedigt
Den Busen dir? O Mann, wie du erniedrigt
Durch deine Arbeit bist, durch den Verstand!
Ah, meine Seele lodert stets im Brand!
DOKTOR WAGNER
Man muss doch bei den biblischen Geschichten
Und was die Hagiographen alles dichten
Bedenken der Historie Fundament.
Wenn man wie ich so gut die Bibel kennt,
Berührt dich weiter nicht das Hohelied,
Das allegorisch man zu sehr bemüht.
FAUST
Ja, steige in die Lettern, tret das Pflaster
Der Bibelwissenschaft! „Ich bin der Aster“,
So sagt der Herr. Der Herr sich offenbarte
In diesem Wort als göttliche Astarte!
DOKTOR WAGNER
Die Wissenschaft ist rational und kühl,
Denn allzu heiß scheint mir das Liebesspiel.
Bevor ich selbst verbrenne an der Liebe,
Von Liebeskunst ich lieber Bücher schriebe!
FAUST
Ach, alle Weisen müssen mystisch schweigen!
Wer je sich pflückte der Erkenntnis Feigen,
Der schweige von der Gottheit höchstem Reize,
Sonst findet er sich wieder an dem Kreuze!
Am Kreuze aber findet er nur Hohn:
Du hältst dich selber wohl für Gottes Sohn?
Doch es ist spät, mein lieber Freund und Bruder,
Die Nacht ist schwarz und Laila ist ein Luder!
DOKTOR WAGNER
Tiefsinnigster Genosse meines Lebens,
Wie inspirierst du meines Wissenstrebens
Gewissenhaften Fleiß! Ich hätt die Nacht
Noch gern mit dir beim Glase Wein verbracht.
Ist morgen doch der Ostersonntag! Siehe,
Ich bin schon wach vorm Morgenrote frühe.
Nach einer Flasche Rotwein übernachte,
Weil ich nach meinem Ostersonntag schmachte!
(Doktor Wagner ab.)
FAUST
Ah weh! Mir ist zum Heulen und zum Schreien!
In seinem Kopf nur Spiegelfechtereien!
Er gräbt ein Loch, als ob er Gott ergründet,
Ist froh schon, wenn er nackte Würmer findet!
OSTERSPAZIERGANG
(Johann Faust und Doktor Wagner.)
FAUST
Von Eis befreit ist nun der klare Bach,
Der Zephyr bläst die kleinen Hügel wach.
In Wiesen grün die Gräser sind voll Saft,
Dem Winter ist erschlafft die scharfe Kraft,
Der Winter schleicht an seinem Stocke fort,
Noch kommt des Hagelschlages böser Mord,
Auch das Spektakel geht doch bald vorbei,
Die weißen Tropfen auf dem grünen Mai.
Die Sonne strahlt im heitern Herzen schön!
Die Knospe auch mit seufzendem Gestöhn
Leis öffnet ihre Lippen Taues Tropfen,
Die Falter, sich mit Nektar vollzustopfen,
Umflattern allerschönste Blumen heute
Und freundlich sind die wundervollen Leute.
Von Berg zu Stadt die Menschen voller Ruhe
Dem Tor entquellen, gürten ihre Schuhe.
Die Kleinen und die Großen fröhlich blicken,
Schön sind die Schlanken, schön sind auch die Dicken.
Und alle tragen ihren Sonntagsstaat,
Als ob der Tag der Auferstehung naht,
Der Auferstandne kommt aus seinem Grab
Und segnet Magdalena mit dem Stab.
Aus guter Stube zu dem roten Staube
Das Menschenvolk wie eine pralle Traube,
Dort tanzen sie im lüsternen Getümmel,
Der Frauen Tanz, das ist der Männer Himmel.
Und jeder fühlt die Liebe Gottes rein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich menschlich sein!
DOKTOR WAGNER
Mit dir, mein Doktor Faust, spazierengehn,
Mit deinen Augen die Natur zu sehn,
Ist pure Poesie. Was ich nicht lobe,
Das Allzumenschliche, das Stofflichgrobe!
Ich nur allein wär sicherlich nicht hier.
Der Mann in seiner Lust brüllt wie ein Stier.
Ihr Hörnerblasen und ihr schrilles Geigen
Ist nicht so schön wie meiner Zelle Schweigen.
Und dieses Stöhnen zu der Trommeln Klang,
Die Eselsschreie nennt man dann Gesang!
(Tanz lustiger Dirnen! Der alte Bauer Georg mit einem breiten Becher Wein tritt zu Faust.)
BAUER GEORG
Mein lieber Doktor, Freund und Kupferstecher,
Vergessen hat uns nicht der große Zecher!
Daß so ein tiefgelehrter Weiser heute
Auch freundlich denkt an seine kleinen Leute!
Hier wie ein Becken reich ich dir den Becher,
Den breiten Becher sauge leer der Zecher!
Und hast du diesen Becher leergetrunken,
Noch einmal füllt der Becher sich mit Funken,
Wie aus dem Becher rote Tropfen rinnen,
So mögest du Frau Ewigkeit gewinnen!
FAUST
Ja, Dank für dieser Liebe Feuerregen!
Die Liebe Gottes spende dir den Segen!
(Er setzt den breiten Becher an die Lippen und schlürft bacchantisch-genüsslich.)
BAUER GEORG
Gut, dass du kommst, um kräftig zu genießen,
Weil deiner Nächstenliebe Gnaden fließen
Doch allezeit zu Krüppeln, Seelenkranken,
Die todgeweihten Kinder kommen danken!
Du warest Retter in der schwersten Stunde,
Nun küss den Becher auch mit heißem Munde!
Dein Vater Konrad half uns, als die Pest
Auf Erden hielt ihr großes Totenfest,
Du, noch ein junger Mann, um uns zu retten,
Du hieltest Wache an den Krankenbetten.
Wen gestern tat das Leben lustig laben,
Den haben heut die Pfaffen schon begraben.
Du warest unser Retter, so als sei
Der Heiland mit dir, Christus stand uns bei!
VOLK
Gesundheit dir am Leib und an der Seele,
Daß nie uns deine starke Hilfe fehle!
FAUST
Der Hilfe Gottes sei allein die Ehre,
Daß uns die Hilfe hilft und uns bekehre!
(Johann Faust und Detlev Wagner gehen weiter.)
DOKTOR WAGNER
Das strömt dir doch wie Wein durch deine Kehle,
Wirst du so hoch gelobt, du feine Seele!
Durch dich die Gnaden zu den Kranken fließen,
Nun darfst du auch ihr Dankeschön genießen!
FAUST
Komm, setzen wir uns hier auf diese Bank,
Hier wollen wir von allem Rennen rasten.
Hier, als die Menschen von dem Pesthauch krank,
Hier saß ich oft zu beten und zu fasten.
Hier wagte ich, und keiner konnt mich dämpfen,
Wie Jakob selber mit dem Herrn zu kämpfen!
Wie Jakob tat ich mit dem Engel ringen,
Der Krankheit Ende rasch herbei zu zwingen!
Was soll der Toren Lob, der Toren Tadel,
Was der Gesang von meinem Seelenadel?
Ich kenne meines Vaters Konrad Plan,
Adept der Alchemie, ein Scharlatan,
Mit Elixieren und geheimen Pillen
Gott aufzuzwingen seinen eignen Willen
Und mit der Energie der Nervenbahnen
Des ganzen Universums Heil zu planen,
Aus Sonnenstrahlen wollt er saugen Geister,
Bezaubern Kranke wie ein Zaubermeister,
Wie weise Magier vom Morgenland
Zu heilen durch die Segnung seiner Hand,
Zu heilen jede seelische Psychose
Durch die Magie bezaubernder Hypnose,
Zu rufen die Dämonen wie Schamanen,
Weltseelenpriester gleich den Scharlatanen,
Und doch zu sein vorm großen Gott ein Spötter,
Sich selbst zu sehn als höchsten Gott der Götter!
DOKTOR WAGNER
Ein junger Mann soll von dem Alten lernen,
Der wanderte durch weltenweite Fernen,
An Vater Konrad denk ich noch in Wehmut.
Ein Alleswisser! Doch ihm fehlte Demut!
FAUST
Glückselig ist der Mann, der sich erlösen,
Befreien kann aus aller Macht des Bösen.
Mein Glück ist sicher nicht von dieser Welt,
Was meine Seele in den Händen hält,
Das will ich nicht, das ist nur meine Pflicht,
Was ich begehre, das bekomm ich nicht,
Was ich nicht haben darf, das ist das Beste
Und machte erst mein Leben mir zum Feste.
Doch muß ich mich ja meinem Schicksal fügen
Und ist auch grenzenlos mein Ungenügen!
Tarnkappe auf des starken Siegfried Haupt –
So hat er die Brunhilde sich geraubt!
Die Siebenmeilenstiefel an den Füßen,
So möcht ich wohl den Garten Gottes grüßen.
Auf einem Teppich wollt ich fliegen können,
Prinzessinnen von Hindostan mir gönnen.
Möcht auf dem Flügelross wie Mohammed
Zum Huri-Himmel, wo die Latte steht!
Mit Pegasos vom Schoße der Meduse
Ich wollte reiten wohl zum Kuss der Muse!
Die Wirklichkeit jedoch behält den Sieg,
Das lehren mich Doktoren der Physik.
DOKTOR WAGNER
Ach, fliegen kann ich selbst in Träumen nicht,
Und flattern Schmetterlinge in dem Licht,
Beneid ich nicht der Schmetterlinge Flügel.
Wohl wallt ich gerne über kleine Hügel,
Doch mehr noch als der Rose Wohlgeruch
Lieb ich in langer Winternacht ein Buch,
Wo Männer streuen ihre Geistessamen
Und schön und liebevoll sind alle Damen.
FAUST
Du willst nur weise werden durchs Studieren,
Ich will mich in der Lebenslust verlieren!
Di-Psychos bin ich, Doktor Schizophrenus,
Will Sapientia und auch die Venus!
Ich will hinan zur höchsten Gottesliebe
Und auch befriedigen die heißen Triebe!
Will, dass mein Geist der Gottheit Antlitz schaut
Und will im Bette willig meine Braut!
Ach wenn ich zaubern könnte, Gott beschwören
Und durch Magie das schönste Weib betören,
Ich gäbe für ein Weibchen, willig, weich,
Für ihren Schoß dahin das Himmelreich!
DOKTOR WAGNER
Ich las, des Weibes Wollust sei erlabend.
Doch lass uns gehn. Wie kühl ist doch der Abend.
(Sie gehen)
FAUST
Siehst du die schwarze Hündin auf der Wiese,
Die schwarze Hündin mit dem schwarzen Vliese?
DOKTOR WAGNER
Läuft brünstig um wie eine junge Hindin!
FAUST
Was hältst du von der jungen schwarzen Hündin?
DOKTOR WAGNER
Was soll ich mir bei einer Hündin denken?
Den Berna-Sennen-Hund lass ich mir schenken,
Am Abend nach der Arbeit zu spazieren.
Ich gehe gerne um mit schönen Tieren.
Ein Tier vermag uns nicht das Herz zu brechen
Und nicht wie Frauen stets zu widersprechen!
FAUST
Doch siehst du nicht? Das Auge einer Lüchsin,
Die Gier der Wölfin und die List der Füchsin,
Umkreist sie uns in Kreisen der Magie.
DOKTOR WAGNER
Ich seh nur eine schwarze Hündin, die
Nach einem Herrchen sucht, das ihr befehle.
FAUST
Sie kommt heran! Bei meiner armen Seele!
Sie hat wohl großen Hungern nach was Leckerm?
Siehst du die Zunge an der Schnauze schleckern?
Die schwarze Hündin – Dämon, will mir scheinen –
Ist mit der Schnauze zwischen meinen Beinen!
DOKTOR WAGNER
Ich weiß, dass du der Teufel Namen kennst,
Doch dies ist eine Hündin, kein Gespenst.
FAUST
Ach, leider, ja, ganz hündische Natur,
Kein Geist! Ist alles nichts als nur Dressur!
DIE ZELLE DES WEISEN
FAUST
Verlassen habe ich den Garten,
Die liebe stille Nacht ist da.
Was Weise mir doch offenbarten,
Ich selbst mit eignen Augen sah.
Doch nehm ich jetzt die liebste Bibel,
Ist alles andre nur von Übel.
Still, Hündin, belle nicht so laut,
Frau Weisheit ist jetzt da, die Braut!
Was hat die Hündin doch für Launen!
Was hör ich doch die Winde raunen?
Ach, wem nur in der eignen Kammer
Die Lampe wieder ruhig brennt,
Dahin ist aller Elendsjammer
Der Seele, die sich selber kennt.
Still, Hündin, nicht so laut gebellt,
Ich bin im Offenbarungszelt!
Was von der lieben Bibel weht
Und sanft durch meine Seele geht
Wie Geisthauch über Chaoswellen,
Da passt mir nicht der Hündin Bellen.
Frau Welt, Frau Welt, beim Friedefürsten,
Du kannst mir stillen nicht mein Dürsten.
Steht, was mir in der Seele brennt,
Doch längst im Neuen Testament!
Will ich die Koine einmal lesen,
Studieren das geheime Wesen,
Und schaun, wie man die Griechenzunge
Verdolmetscht deutsch. Mein lieber Junge!
Des Evangeliums Ergötzen
Ist schwer in Deutsch zu übersetzen.
(Er schlägt den Urtext der Bibel auf.)
Im Anbeginne war das Wort,
Das Wort war Gottheit fort und fort.
Das Wort? Das kann ich nicht verstehn.
Das Wort? Das finde ich nicht schön.
Ah, bei der Inbrunst meiner Brunft:
Am Anfang war die Allvernunft!
Doch denke nach. Nur keine Eile.
Gut Ding will haben lange Weile.
Ist das Vernunft, die alles schafft?
Am Anfang war die Lebens-Kraft!
Doch kann ich dieses Wort nicht lieben:
Private Gründe. Drum geschrieben
Sei diese Weisheit als ein Fakt:
Am Anbeginne stand der Akt!
(Er lächelt.)
Ha, biblizistische Gesellen!
He, Hündin, lass dein lautes Bellen!
Halt deine Schnauze, Hündin, still,
Ich dir den Hintern prügeln will!
Was seh ich da im Lampenscheine?
Was, Hündin, bist denn du für eine?
Aus dieser Hündin schwarzem Vliese
Aufsteigt ein roter Geistesriese!
Das ist nicht hündische Gestalt,
Das ist dämonische Gewalt!
Jetzt ist er größer als ein Ochse!
Der Dämon da, der orthodoxe,
Er spiegelt sich in meinem Fenster
Als Urgespenst der Nachtgespenster!
Wer bist du, schrecklicher Geselle,
Du Junker aus der Feuerhölle?
Zur Feige ich die Finger spreiz
Und schlage mit der Hand das Kreuz!
(Aus einer Rauchwolke tritt Asmodäus hervor.)
ASMODÄUS
Was sollen diese Frömmeleien nun?
Was kann ich jetzt für meinen Meister tun?
FAUST
Das also war der schwarzen Hündin Wesen?
ASMODÄUS
Ich bin so froh wie eine Magd mit Besen!
Ich grüße meinen Meister sehr gewitzt,
Wie hab ich doch für meinen Herrn geschwitzt!
FAUST
Mir deinen eigentlichen Namen sage!
ASMODÄUS
Mein Freund, was ist denn das für eine Frage
Für einen, der das Wort so sehr verschmäht?
FAUST
Wer bist du? Sag, wohin dein Leben geht!
ASMODÄUS
Mein Name ist des Bösen Geistes Kraft,
Die Böses will, notwendig Gutes schafft.
FAUST
Der Böse auch muss dienen Gottes Segen?
Das Wort will ich im Herzen oft bewegen.
ASMODÄUS
Ich heiße Kraft, der ewige Rivale
Des Guten! In dem Namen aller Baale,
Ich will, was fließet aus des Ursprungs Schlunde,
Zu Leere werde, Nichts und geh zugrunde!
Was ist, wär besser, wenn es gar nicht wäre!
Ich liebe nur die Absolute Leere!
Und was ihr Unzucht nennt, Begierde, Sünde,
Das ist die Höchste Lust, die ich verkünde,
Wonach die Seelen insgeheim doch jagen,
Ich weiß, auch du! Wir werden uns vertragen.
Um deine Doktorgrillen wegzufegen,
Komm ich als Hausknecht dir doch ganz gelegen.
Ich komm zu dir in allerfeinstem Mantel,
Komm, weltlich sei gesinnt dein Erdenwandel!
(Er kokettiert mit seinem teuren Mantel.)
O Stoff, wie Spitzenseide von Brabant!
Bin ich gekleidet nicht sehr elegant?
Die Hahnenfeder sieh am Hute stehen,
Der Degen an der Hüfte ist zu sehen.
Herr Doktor, willst du froh dein Leben treiben,
So musst du dich bekleiden und beleiben.
FAUST
Ich kann aus dieses Tränentals Verließ
Mich nicht erlösen durch ein Goldnes Vlies.
Ich bin zu alt zu frohem Kinderspiel,
Zu jung und heiß, zu opfern mein Gefühl!
ASMODÄUS
Ach, was du Mystik nennst, ist Unzucht auch,
Du schmachtest brünstig nach der Gottheit Hauch,
Daß Elohim dem Adam in die Nase
Das Ewig-Leben in der Fülle blase!
Tu unter schönen Weibern nicht so keusch,
Der liebe Gott weiß wohl, du bist vom Fleisch!
Ich spaße! Will ich aus der Mystik Nebel
Dich jagen nicht zum ordinären Pöbel,
Dein Feuer will ich zünden, altes Haus,
Die Lust am Leben, alter Bruder Klaus,
Nicht so in deiner hohlen Zelle lunger
Um alte Pergamente. Liebeshunger!
Den Liebeshunger werde ich dir stillen
Und dich mit allerhöchster Wollust füllen!
Fort aus der Drangsal, Trübsal und Bedrängnis,
Geist, fliehe aus dem Kerker und Gefängnis,
Zu Diensten stehen dir Dämonengeister
Wie einst dem weisen Salomo. Mein Meister
Und Herr bist du, o Faust, so ist es recht,
Du bist der Herr und ich bin nur der Knecht.
FAUST
Was willst du denn von mir für all dein Werben?
ASMODÄUS
Ach Doktor, heute sollst du noch nicht sterben.
FAUST
Ach, Luzifer, der ist ein Egomane,
Tut ohne Geld doch gar nichts der Schamane,
Du dienst mir, du, ein Fürst im Höllenthron,
So sag nur offen: Was soll sein dein Lohn?
ASMODÄUS
Die Erde mach ich dir zum Garten Eden,
Im Jenseits sollst du Luzifer anbeten.
FAUST
Was kümmert mich die geistige Verbindung
Mit Jenseitsgeistern? Jenseits ist Erfindung
Der klerikalen Reaktion: Erlösten
Sie malen Himmelslust, sie zu vertrösten.
Mein Motto sei ein Carpe diem tüchtig,
Bis ich im Hades Schatten werde flüchtig.
Und schaffst du es, den Kopf mir zu verdrehen,
Kann ich der Lebenslust nicht widerstehen,
Soll zum Genießer ich der Erde werden,
Daß ich nicht lassen will die Lust auf Erden,
Daß ich mir selbst gefalle, mir gefällt
Die Lady Vanity der schönen Welt,
Daß ich mich kann an Vanitas erlaben,
Dann sollst du jenseits meine Seele haben.
ASMODÄUS
Die Weihe gilt, geschlossen ist der Pakt.
FAUST
Sag ich, mit Lady Vanitas im Akt,
Daß diese Welt auf Erden mir gefalle,
Ich alsogleich in die Gehenna walle.
ASMODÄUS
Ich steh zu Diensten! Doch ich bin durchtrieben,
Erst werde dieses Schriftstück unterschrieben.
FAUST
Ein Mann – ein Wort! Ich hab mein Wort gegeben.
ASMODÄUS
Der Satan ist ein Bürokrat im Leben,
Und amtlich muss es sein mit Brief und Siegel,
Sonst öffnet Hedoné nicht ihren Riegel!
FAUST
Ich tauch die Feder in das Tintenfass!
Das Himmelreich für Lady Vanitas!
Das ist ein Schnäppchen. Ha, ich fühl mich gut.
ASMODÄUS
Nicht Tinte, pfui! Du unterschreibst mit Blut!
In deinem Blut ist deine Lebens-Kraft,
Die Lebens-Kraft von ganz besondrem Saft!
(Johann Faust unterschreibt bürokratisch den Pakt.)
FAUST
Ich werde meinen Treuebund nicht brechen,
Ich halt der Hölle treulich mein Versprechen.
ASMODÄUS
Nun Schluss mit den gelehrten Spinnereien,
Der Mystik Unzucht mit den Innereien!
Das allerschönste Leben wartet draußen,
Komm, Reiter, lass uns auf den Hengsten brausen!
Ja, wiehern wie die Hengste nach den Stuten!
Da warten sie im Grünen schon, die Guten!
Ein Mann, der sich ergibt der Theorie,
Ist wie ein Hengst in einer Wüste, sieh,
Ob er auch schnaubend Atem schnaube, blase,
Vergeblich wiehert er in trockner Wüste,
In Nachbarschaft, da wartet die Oase,
Daß er der Stute feuchte Schnauze küsste!
FAUST
Was tun wir jetzt, du Teufel voller Kraft?
ASMODÄUS
Besuchen wir des Lebens Nachbarschaft!
IN DER SCHENKE ZUM JUNGEN FUCHS
(Jugendliche Säufer.)
VOLKER
Wollt ihr nicht saufen? Noch einen Kurzen!
Die Böcke stinken, die Hexen furzen!
Ihr seid mir heute wie nasses Heu!
Ihr wollt nicht brennen! Evoe! Eu!
WERNER
Erzähle doch einen versauten Witz:
Die Ehefrau erschlug der Blitz...
VOLKER
(schüttet dem Werner Wein auf den Kopf)
Empfange so deine Feuertaufe!
WERNER
Du Schweinehund! Saufe, Genosse, saufe!
VOLKER
Na, endlich feierst du deine Genossen!
Wir haben doch all alle Weiber genossen!
THOMAS
Ich hab den Jungfraunberg bestiegen!
SONJA
Ich lache, dass sich die Balken biegen!
VOLKER
Lirum-Larum-Löffelstiel,
Wer nicht trinkt, der wird nicht viel.
THOMAS
Der Träumer aber, der gar nichts wird,
Wird eben freizügiger Thekenwirt.
VOLKER
Freizügiger oder Freigebiger? Hatem,
Ich lob mir betrunken die Jubelflöte!
THOMAS
Deutschland, einig Vaterland!
Ihr bringt mich noch um den Verstand!
WERNER
Nichts von Politik! Bei Beelzebul:
Wie findet ihr den Neuen in Peters Stuhl?
VOLKER
Was reimt sich denn auf Benedikt?
THOMAS
Der Papst, der Papst, von Maria ge—schickt!
ERICH
(singt)
Ich hatte eine Geliebte, Anette,
Die war wie eine Zigarette,
Die ich jetzt liebe, mit Venus-Augen,
Ist wie an der Meerschaumpfeife zu saugen!
(Johann Faust und Asmodäus erscheinen in der Tür.)
ASMODÄUS
Faust, wenn dir so was Wonne macht,
Das kannst du haben jede Nacht.
FAUST
Moin, Brüder, Freunde und Genossen!
ALLE
Die Theke ist noch nicht geschlossen!
Komm nur herein, bei Babels Leben,
Uns allen einen auszugeben!
THOMAS
Was für nichtswürdige Figuren!
Sie kommen wohl vom Haus der Huren?
VOLKER
Sie halten sich für Geniusse
Von Gnaden Ihro Musenkusse!
WERNER
Ne, ne, das sind nur Harlekine.
SONJA
Und wo ist denn die Colombine?
VOLKER
Ich zieh es ihnen aus der Nase,
Woher der Sturm die Herren blase.
(Volker tritt zu Faust und Asmodäus.)
Kamst du von Hamburg lange Strecken?
FAUST
Wie, Hamburg? Von den Pfeffersäcken?
Gott Brahma reitet auf dem Hansa,
Auf seinem Esel Sancho Pansa.
VOLKER
Seid ihr denn von der Heilsarmee
Und reitet brünstig, wie ich seh,
Fielt auch wie Saulus von dem Gaul
Und missioniert jetzt in Sankt Paul,
Wo Huren frieren in dem Winter,
Wie Paul die Huren der Korinther?
FAUST
Apostelfürsten Paul und Kefa!
Wir alle kommen doch von Eva!
THOMAS
Hat Gott den Adamas geschaffen?
Sprich! Oder stamm ich ab vom Affen?
FAUST
Der Affe kennt sich seinen Trost.
WERNER
Nastrowje, lieben Brüder, Prost!
(Faust und Asmodäus setzen sich, alle trinken.)
VOLKER
Nun sollst du uns ein Ständchen bringen.
FAUST
Ich kann doch nicht nach Noten singen.
ASMODÄUS
Ich kann! Ich kann! Ich kann es immer!
Nur kein elegisches Gewimmer!
(singt)
Ich komme aus Arabiens Wüste,
Ich habe Nachtigallenbrüste,
Dort sang ich allen den Suleiken
Von süßen Paradiesesfeigen!
THOMAS
Ha, Bruder, das wird ein Genuss!
SONYA
Hier – hast du deinen Musenkuss!
(Sonja küsst Asmodäus auf die Nase.)
ASMODÄUS
(singt)
Es war eine Hure in Korinth,
Wo allerlieblichste Huren sind.
Man nannte die Hure Jungfrau Floh,
Sie knackte die Flöhe auf dem Klo!
Die Flöhe juckten in meiner Scham!
So juckt es der Huren Bräutigam!
THOMAS
Der reine Wahnsinn! Sing doch weiter!
Ich steig noch auf die Himmelsleiter,
Die ganze Arche auszumessen!
ASMODÄUS
Wie’s weiter geht, hab ich vergessen.
VOLKER
Vergessen! Bestes der Gebete!
Ich saufe leer die ganze Lethe!
FAUST
Genossen, Freunde, lieben Brüder!
Trinkt ihr denn Essig immer wieder?
Den Messwein habt ihr wohl vergessen?
Trinkt Satansblut in Schwarzen Messen?
WERNER
Er scherzt, uns einen auszugeben!
THOMAS
Er lebe hoch! Hoch soll er leben!
SONJA
Ich trinke Wodka nackt im Schnee,
Ich mag nicht Hagebuttentee!
THOMAS
Weinrosentee von Hagebutten,
Sankt Pauli trinkt es mit den Nutten.
FAUST
Bei meiner Herrin Vanitas,
Die rund ist wie ein dickes Fass,
Ich ziehe jetzt den dicken Pfropfen,
Euch allen euer Maul zu stopfen!
WERNER
Ja, darf ich noch? Kann ich noch stehen?
Ich sehe alles rings sich drehen!
Ich sehe alle Dinge doppelt,
Dort schon die Mausfamilie hoppelt!
Doch nicht geklagt die süßen Schwächen,
Denn Männer können immer – zechen!
FAUST
Gebt einen Korkenzieher! Schaut,
So bohr ich euch die rote Braut,
Mit Feuer euren Geist zu taufen!
Was, lieben Brüder, wollt ihr saufen?
THOMAS
Nacktärscherl diese gute Stunde!
Denn soff ich einst bei Kunigunde.
(Faust bohrt mit dem Korkenzieher in den Thekentresen, und weißer Nacktärscherl-Süßwein fließt hervor.)
FAUST
Nacktärscherl ist für dich. Und was willst du?
WERNER
Der Dompfaff raubt mir meine Ruh!
Der Dompfaff mahnt mir mein Gewissen,
Das ist das beste Ruhekissen!
(Faust bohrt ihm den Dompfaff an.)
FAUST
Das ist der Dompfaff. Aber nun?
VOLKER
Liebfrauenmilch! Dann kann ich ruhn!
Liebfrauenmilch ist meine Lust
Von Unsrer Lieben Frauen Brust!
FAUST
Liebfrauenmilch! Und du, dein Traum?
SONJA
Rotkäppchensekt mit rosa Schaum!
Rotkäppchen lieb ich, Schaum des Sekts,
So bet ich täglich meine Sext.
FAUST
Der letzte nun? Sprich, bei Don Bosco!
ERICH
Den süßen Perlenwein Lambrusco!
(Alle saufen ihren Lieblingsfusel.)
THOMAS
So große Gnade, ohne Zweifel,
Das kann nur kommen von dem Teufel.
ERICH
Ja, Wein, das war sein letztes Wort,
Dann trugen ihn die Teufel fort.
ALLE
(singen)
Wir kommen alle in die Hölle!
Ah Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!
ERICH
He, Sonja! Deine Brüste – Trauben!
An solche Trauben will ich glauben!
Ich bin der Weinstock, du die Rebe,
Nur immer innig an mir klebe!
VOLKER
He, tut doch nicht so aufgeblasen!
Fasst euch doch an die eignen Nasen!
SONJA
Ich hab euch lang genug erlitten!
Die Nasen werden abgeschnitten!
ERICH
Die Nase lass ich mir nicht rauben!
Die Nase steck ich in die Trauben!
SONJA
Wir alle miteinander machen
Der Freien Liebe schönste Sachen!
(Asmodäus wirft Feuer in die Schenke zum Jungen Fuchs.)
FAUST
Genossen! Heil der Mitternacht!
(Faust und Asmodäus ab.)
ERICH
Ich schaute sie die Himmelsleiter
Gen Himmel reiten, Schimmelreiter!
SONJA
Ich sah die beiden als Vampir!
VOLKER
Genossen! Vorwärts! Weg von hier!
NACHDURST-GASSE
(Faust. Röschen geht nah an ihm vorüber, er spürt ihre Nähe.)
FAUST
O liebe süße Frau, darf ich es wagen,
Als Kavalier der Frau mich anzutragen?
RÖSCHEN
Bin keine Göttin und kein Überweib
Und auch nicht schön, ach, sterblich ist mein Leib.
(Sie geht weiter.)
FAUST
Ich suchte ja nur süßen Zeitvertreib.
Ach, die ist doch ein wahres Wonne-Weib!
Wie fein ironisch! Grimmig, dennoch gütig!
Wie wär sie denn erst, wär sie liebeswütig?
In meinem Leben sah ich nie solch Schätzchen
Wie diese Muschi, dieses schwarze Kätzchen!
O Sanftmut, Demut! Niedliche und Nette!
Ach läg ich mal bei ihr in ihrem Bette!
(Asmodäus kommt.)
ASMODÄUS
Mein Herr, wie kann ich heut dir dienen?
FAUST
Oh, jene Miene aller Mienen:
Dies Weibchen sollst du mir besorgen!
Ach wär ich doch in ihrem Schoß geborgen!
ASMODÄUS
Du hast kein anderes Problem?
Von wem denn redest du, von wem?
FAUST
Sie ist mir eben erst erschienen!
Ihr möchte ich in Liebe dienen!
Besuchen will ich sie heut abend!
Wie ist mir der Gedanke labend!
ASMODÄUS
Ach die! Kommt eben von der Beichte,
Doch ihre Schuld war keine feuchte,
Die Sünde lässlich, lästig, lässig,
Sie war fürwahr nicht übermäßig,
Es ist ein sanftes Ruhekissen
Ihr feingesponnenes Gewissen.
Ja, diese Röschen ist ein Engel,
Ein Sternenwesen ohne Mängel,
Mit ihren grünen Mandelaugen
Kann sie zur Himmelsvenus taugen!
Hat nichts Besonderes zu beichten,
Dämonen all von ihr entweichten.
Geläutert ihr Gewissen, hold,
Der Engel ist so rein wie Gold.
FAUST
Doch will ich ihren Jungfernkranz!
ASMODÄUS
Du bist ein geiler Eselsschwanz!
Willst alle Jungfraun deflorieren,
Womit sie ihre Zierrat zieren?
FAUST
Verschone mich mit deiner Ethik!
Vom Eros stammt doch die Poetik!
Gehorche! Mir besorg das Weib,
Den Engel in der Venus Leib!
Die schwarze Muschi, sie mein Schätzchen,
Dies samtne schwarze Schmusekätzchen!
Wenn ich sie heute Nacht nur hätte
Zum Liebesspiel in meinem Bette!
ASMODÄUS
Nicht vierzehn Jahre sollst du warten,
Wie Jakob einst auf seine Rachel,
In vierzehn Tagen in dem Garten
Die Blume sticht der Bienenstachel!
FAUST
Nicht vierzehn Tage! Ich will lieben
Die liebste Frau in sechs, in sieben!
Hätt ich nur sieben Tage Zeit,
Da fänd ich schon Gelegenheit,
Sie zu verführen, ohne Zweifel,
Dafür ich brauche nicht den Teufel.
ASMODÄUS
Wir gehn mal eben in ihr Zimmer.
FAUST
Ihr Bett zu sehn im Lampenschimmer?
ASMODÄUS
Ja, eben leert die Kaffee-Kanne
Sie bei der Busenfreundin Anne.
Jetzt eben wär Gelegenheit,
So einen Hauch von Ewigkeit
An ihrem leeren Bett zu riechen,
Auch unters Laken schnell zu kriechen
Und dann mit heißen schwülen Küssen
Sich zu ergießen in dem Kissen!
Das wird noch was mit euch, ihr Lieben,
Die ihr es schon im Geist getrieben!
FAUST
Geht es an diesen Himmelsort
Jetzt, auf der Stelle, gleich, sofort?
ASMODÄUS
Den Hengst, den zügle mit Geduld,
Bald schenkt die Frau dir ihre Huld.
FAUST
Oh, bei dem Gürtel ihre Taille!
Kauf eine silberne Medaille
Mit ihrer Schutzpatronin drauf
Und Rosenöl und Seide kauf!
ASMODÄIS
Was die erhitzten Freier denken!
Von all den brünstigen Geschenken
Macht selbst der Mammonas bankrott!
Das liebe Geld! Mein lieber Gott!
ABENDDÄMMERUNG. RÖSCHENS SCHLAFZIMMER.
RÖSCHEN
(vor dem Spiegel ihre Haare frisierend)
Wenn ich nur wüsste, wer der Mann heut war.
Sein Wort war glühend, Liebe offenbar!
Wohl nicht von schlechten Eltern, wohlerzogen,
Die Augenbrauen fast wie Amors Bogen,
In seinem Angesicht erhabner Geist!
Ich fand ihn aber übermäßig dreist!
(Sie geht aus dem Haus. – Faust und Asmodäus schleichen sich ein.)
ASMODÄUS
Komm, heimlich in ihr Schlafgemach!
FAUST
O Brautgemach des Himmels! Ach!
Geh, Dämon, lass mich hier allein!
ASMODÖUS
Wie fein ist alles hier! Fein, fein!
(Asmodäus ab.)
FAUST
Ja, brenne, nackte Lampenbirne,
Ein Feuer lodert mir im Hirne,
Ein Schmerz ist in mein Herz gefallen!
Was soll das Stottern, Stammeln, Lallen?
Ihr Atem! Ein Gefühl von Ruhe!
Vorm Bette hier die schwarzen Schuhe!
Bescheidenheit ist ihr beschieden,
Hier ist man doch sogleich zufrieden.
Ach, ach, und dieses Bettes Fläche!
Da überkommt mich eine Schwäche!
Wie zuckt es mir in meiner Hand!
Ach, ich verliere den Verstand!
(Asmodäus ist plötzlich wieder da.)
ASMODÄUS
Verlasse jetzt dies Himmelsglück,
Das süße Weibchen kommt zurück.
(Asmodäus reicht dem Faust eine Handvoll Schmuck. Faust verstreut den Schmuck auf Röschens Bett.)
FAUST
Soll ich den ganzen Schmuck ihr weihen?
ASMODÄUS
Willst du sie nun als Freier freien?
Ich habe alles das besorgt,
Hab mehr gestohlen als geborgt.
Mit diesem Glitzer-Glitter-Haufen
Kannst du Prinzessinnen dir kaufen.
Die Zeit geht flöten! Rasch gesputet!
Was hast du mir nicht zugemutet?
Die Arme wirst du wohl erringen
Mit diesen goldnen Silberdingen,
Mit diesen Muscheln, diesen Perlen!
Als sprächest du mit deinen Kerlen
Im Hörsaal physisch-metaphysisch,
So stehst du da, du Freier mystisch!
Ich hör der Pforte Flügel, rums!
Nur Fidibums, nur Fidibums!
(Beide ab. Röschen erscheint wieder.)
RÖSCHEN
Hier ist es feucht und dampfend-schwül!
Zwar draußen ist es klar und kühl,
Doch in dem Innern ist mir bange
Als schlich sich durch mich eine Schlange.
Wär Mütterchen Elfriede nur
Zurück, die Seele der Natur!
Ein Schauer zückt mir durch den Leib!
Ach, sterblich bin ich schwaches Weib!
(Indem sie sich auszieht – singt sie ein Lied)
Der König von Thule – sein Leben,
Das war ein breiter Becher,
Den ihm seine Freundin gegeben,
Dem ewig betrunkenen Zecher!
Er nahm es als Testamente
Und hat allnächtlich gesoffen
Bis an sein seliges Ende
In Glauben und Lieben und Hoffen!
Und als es ging an ein fröhliches Sterben,
Das Testament verfasste der Zecher,
Vermachte alles den gierigen Erben,
Doch nicht der Geliebten Becher!
Am Abend die Brüder ihn grüßen,
Schneeflöckchen-Weißröckchen auf allen Bäumen,
Das letzte Abendmahl zu genießen,
Die Meerflut stöhnte mit spritzenden Schäumen!
Der König erhob sich, der wankende Zecher,
Betrunken vom Himmel zu träumen,
Mit der Hand er schleuderte lachend den Becher,
Versenkte ihn ins feuchte Schäumen!
Die Nixen den Becher entgegennahmen,
Der Todesengel kam schüchtern,
Der König stöhnte: Ja und Amen –
Und starb! Da war er zum ersten Mal nüchtern!
(Jetzt erblickt sie ihr durchwühltes Bett und den Schmuck darauf.)
Wie kommt der Schmuck denn auf die Decke?
Da seh ich perlenvolle Säcke!
Die Engel flüstern, Engel tuscheln,
Da, Venusmuscheln, Pilgermuscheln,
Ein Armband, eine Perlenkette,
Verstreute Perlen auf dem Bette,
Ein Liebreizgürtel für die Taille,
Dort eine heilige Medaille,
Wie schön ist alles anzublicken!
Ich will mich einmal damit schmücken!
(Röschen schmückt sich vor dem Spiegel.)
Woher sind all die Herrlichkeiten?
Wer wollt mir solchen Schatz bereiten?
Schön von Natur sind zwar die Ricken,
Doch Frauen lieben’s, sich zu schmücken!
Zwar von Natur die Augen blinken,
Doch schön, die Wimpern auch zu schminken!
Am Munde auch der Lippenstift
Ist doch kein Zahn voll Schlangengift!
Zwar, wahre Schönheit kommt von innen,
Doch Männer lieben mit den Sinnen!
Wer hässlich ist, der trägt sein Kreuz –
Die Schöne triumphiert durch Reiz!
ALLEE
(Faust in Gedanken wandelnd. Zu ihm tritt Asmodäus.)
ASMODÄIS
Der Herr verdamm mich in den Feuerpfuhl,
In heiße Höllenglut mit Beelzebul!
Für solch ein Weib ist das geringste Wort
Zu gut. Ich bin hier nicht am rechten Ort.
FAUST
Was machst du Satan deine Reverenz?
Schau nicht so trübe drein in diesem Lenz!
ASMODÄUS
Ich möchte mich dem Teufel übergeben,
Wär ich nicht selber doch der Teufel eben.
FAUST
Was ist denn? Hör doch auf, so wild zu toben!
ASMODÄUS
Da soll ich doch die Mutter Kirche loben!
Den schönen Schmuck, den Röschen ich beschaffen,
Den haben jetzt die alten faulen Pfaffen!
Denn Röschens Mutter ward mit einmal bange,
Der schöne Schmuck vielleicht käm von der Schlange?
Sie hat so eine Katholiken-Nase
Und riecht des Teufels Angstschweiß leicht. Ich spaße,
Obwohl mir nicht zum Spaß zumute ist.
Die Mutter, die das Beten nie vergisst
Und immer ausstreckt sich zum Unerreichten,
Die schickt das arme Röschen: Geh du beichten!
Und Röschen, die so fromm und die so hold,
Sie bringt dem alten Pfaffen all mein Gold,
Die Muschelperlen, all die Augenweide.
FAUST
Und auch den Unterrock von schwarzer Seide?
ASMODÄUS
Da sprach der Pfaffe: Du sollst nicht begehren –
Und unrecht Gut kann nicht auf Dauer währen,
Und wollt sie sich des Höchsten Tochter nennen,
Die schwarze Seide solle sie verbrennen!
FAUST
Verbrennen soll man alte Zauberbücher,
Jedoch nicht solch ein feines Tuch der Tücher!
ASMODÄUS
Was wissen schon von Seide diese Pfaffen?
FAUST
Du musst ein neues Tüchlein mir beschaffen!
Doch diesmal soll es haben an den Kanten
So einen feinsten Saum mit Diamanten.
ASMODÄUS
Du tust, als wenn das etwas Spielzeug wäre,
Ein kleines Kriegerpüppchen mit Gewehre,
Doch solche Seide, o beim Höllenfeuer,
Ist selbst für Satans Portemonnaie zu teuer.
FAUST
Lass ab vom Geiz! Ich scheiß auf Satanas
Und seinen alten Geizhals Mammonas!
Ich sage dir: Schaff meiner Augenweide
Umgehend schöne schwarze Spitzenseide!
ASMODÄUS
Ja, Mond und Sonne und die Sterne all
Und alle Galaxien im Weltenall,
Die hättst du als Raketen rasch verpufft
Für Röschen – Puff! Fliegt alles in die Luft!
IN DER WOHNUNG VON RÖSCHENS BUSENFREUNDIN
ANNE SCHEIDLEIN
ANNE
Erbarmen habe Gott mit meinem Mann,
Er tat mein Leben lang mir Leiden an,
Er schreitet in die große Welt hinein
Und lässt mich liegen in dem Bett allein.
Was hat ihn nur so sehr an mir betrübt?
Wie haben wir uns doch geliebt, geliebt!
Am Ende ist gar tot mein Tor, ach mein,
Ach hätte ich doch nur den Totenschein.
(Röschen kommt.)
RÖSCHEN
Ach Anne, meine Busenfreundin Anne,
Ich träum so viel von jenem seltnen Manne!
ANNE
Wie geht es dir? Wie fühlst du dich, mein Röschen?
RÖSCHEN
Schau dieses schwarze Spitzenunterhöschen,
Das Säckchen hier mit Perlen und mit Muscheln!
Was werden da die lieben Nachbarn tuscheln?
Viel schöner diese als die erste Seide,
Der schwarze Schlüpfer eine Augenweide!
ANNE
Bewahre das vor deiner Mutter Gaffen
Und lass das wissen nicht den dicken Pfaffen!
RÖSCHEN
Verstreut die Perlen all auf meinem Bette!
ANNE
Ach Evastochter, Niedliche und Nette!
RÖSCHEN
Ich darf mich leider damit in den Gassen
Und in dem Gotteshaus nicht sehen lassen!
ANNE
Komm manchmal abends her zu mir, du Fesche,
Dann trägst du diese schwarze Unterwäsche!
Wenn so dich sehen könnte jener Mann!
Da lassen wir den Gottesmann nicht ran!
So nach und nach, da wählst du eine Perle
Und schmückst dich schön, das merken wohl die Kerle,
Das Armband legst du an von Süßmeermuscheln,
Da hör ich leis die heißen Männer tuscheln,
So trittst du schön geschmückt ins Licht des Lichts,
Davon merkt deine alte Mutter nichts.
(Asmodäus tritt einfach unangemeldet durch die offene Tür in Anne Scheidleins Wohnung.)
ASMODÄUS
Verehrte Damen, lieben Frauen, Frommen,
Ich bin so dreist zu euch hereingekommen.
(Er verneigt sich tief vor Röschen.)
Frau Anne Scheidlein komm ich zu verehren.
ANNE
Wie? Das bin ich! Was ist denn dein Begehren?
ASMODÄUS
Du hast Besuch? Da möchte ich nicht stören,
Ich lass mich morgen Mittag wieder hören.
ANNE
(zu Röschen)
Hör, Schwesterchen, so wahr ich Schwester bin,
Der dort hält dich für eine Königin!
RÖSCHEN
Ich tadle selbst mich oft mit strengem Tadel.
ASMODÄUS
Du bist von göttergleichem Seelenadel!
Du hast so etwas – ach, wie sag ich’s doch?
So etwas, ach, Gewisses! Lebe hoch!
ANNE
Was führt dich her? Was möchtest du berichten?
ASMODÄUS
Das gäbe doch unendliche Geschichten.
Unnütze Worte möchte ich nicht büßen.
Ich soll von deinem toten Mann dich grüßen!
ANNE
Mein Göttergatte tot? Der Liebste tot?
Ah weh, ah weh! Ich bin in tiefer Not!
RÖSCHEN
Ach Annchen mein, was kann ich für dich tun?
ASMODÄUS
Es möge seine Arme Seele ruhn!
ANNE
Ach hätt ich das zuvor voraus gewusst,
Wie mich das schmerzen wird! Ach, all die Lust!
ASMODÄUS
Die Liebeslust verschafft ein Liebesleid,
Die Leiden suchen neue Lustigkeit!
ANNE
Oft träum ich noch von unsern Liebesspielen.
Dahin sind all die Wonnen nun, die vielen!
ASMODÄUS
Sein Grab ist in Assisi, dort sein Kranz,
Wo Vögeln einst gepredigt hatte Franz.
ANNE
Sonst nichts? Und hatte er mich nicht vergessen?
ASMODÄUS
Er bittet seine Frau um Seelenmessen,
Ihn zu befreien aus dem Fegefeuer!
Vom Gelde weiß ich nichts. Das Grab war teuer.
ANNE
Kein Angedenken? Nichts? Kein kleinstes Ding?
Nicht einmal einen schwarzen Freundschaftsring?
ASMODÄUS
Er sprach zuletzt: Daß Jesus sich erbarm,
Ich hatte meine Sünden und war arm!
RÖSCHEN
Wollt Gott, er wäre in Jerusalem!
Ich will ihm singen schön das Requiem.
ASMODÄUS
Du bist so gütig, Röschen! Deine Nähe
Beglücke einen Mann im Bett der Ehe!
RÖSCHEN
Vom Sakrament der Ehe weiß ich nichts.
ASMODÄUS
O keusche Unschuld deines Angesichts!
Soll dich der Ehemann noch nicht beglücken,
Lass gnädig oft den Hausfreund dich erblicken!
RÖSCHEN
Ein Hausfreund soll zuhause mich erblicken?
Das würde sich nicht schicken, ach, nicht schicken!
ASMODÄUS
Ob sich das schickt, sich nicht schickt, ach,
Oft steht ein Hausfreund in dem Schlafgemach.
ANNE
Erzähle! Hat er viel zum Schluß gelitten?
ASMODÄUS
Ich bin zum Sterbebette hingeschritten,
Da lag er da in seinem Exkrement,
Jedoch: Er starb mit Christi Sakrament!
Er seufzte: Soll ich werden Überwinder?
Muß ich verlassen meine Frau und Kinder?
Ich habe meine Lebenssünden über,
Barmherzigkeit von Jesus hätt ich lieber!
ANNE
Ich habe ihm auch alles schon vergeben!
ASMODÄUS
Allein, er sprach: Sie hinderte mein Streben!
ANNE
Was? Lüge! Immer reicht ich ihm die Hand!
ASMODÄUS
Kurz vor dem Tod verlor er den Verstand
Und war in seiner Todesangst von Sinnen
Und tat wie Spinnen Spinnenweben spinnen:
Wie hat sie mich so sehr doch ausgenutzt!
Ich hab den Kindern ihren Po geputzt,
Dieweil sie lag gemütlich faul im Bette!
Wenn ich ins Bette nur gedurft doch hätte!
Allein, der Herr erlöse uns vom Übel,
Ich musste schleppen ihren Abfallkübel!
ANNE
Was? Was? Hat er vergessen meine Brüste
Und wie ich ihm bereitet höchste Lüste?
ASMODÄUS
Bewahre Gott! Er dachte daran immer!
An jene Kammer, jenes kleine Zimmer,
Darin nichts stand als jenes Bett und, ach,
Und ach, wie du geliebt im Schlafgemach!
ANNE
So bleib ich in Erinnerung? Der geile
Genosse geh verlustig seinem Heile!
ASMODÄUS
Er ist gestorben, das ist offenbar.
So traure du ein ganzes Trauerjahr,
Dann schaue dich nach einem Neuen um.
ANNE
Ach, du bist dumm, du bist unglaublich dumm,
Wie jener Mann wird keiner sich mir gatten!
Vielleicht kommt er zu mir nach Art der Schatten?
Ach, denk ich an den guten Mann, den harten!
Nur, all der Wein! Und immer diese Karten!
War allzeit auch bereit, sich umzuschauen
Und nachzuschauen allen jungen Frauen!
ASMODÄUS
Du warest auch nicht von den Immertreuen
Und tatest an so manchem dich erfreuen.
Lässt nur die Frau dem Manne manchen Flirt,
Lässt er der Frau den ihren ungestört.
Bei solcher freien Liebe, will ich meinen,
Ich möcht fast selber gern mich dir vereinen.
ANNE
Du liebst mich nicht! Du denkst nur mit dem Schwanz!
Nicht Liebe willst du, nur der Lüste Kranz!
ASMODÄUS
Gefährlich ist des Wonnebusens Nähe!
Die finge selbst den Luzifer zur Ehe!
(zu Röschen)
Wie steht es denn bei dir mit einer Heirat?
Steh zur Verfügung dir mit Rat und Beirat.
RÖSCHEN
Ich weiß es nicht. Ich denke nicht an das.
ASMODÄUS
O Sankt Simplicitas! Simplicitas!
Nun muß ich scheiden, meine lieben Frauen,
Euch voller Sehnsucht ewig nachzuschauen!
ANNE
Noch eins! Kann einer seinen Tod bezeugen?
ASMODÄUS
Ich weiß, wer da geeignet ist zum Zeugen!
Ich bring ihn mit, er dient als Zeuge schlicht,
Zu zeugen vor dem höchsten Weltgericht!
ANNE
So finde ich vielleicht die Seelenruhe.
RÖSCHEN
Ich bins nicht wert, zu wichsen ihm die Schuhe!
ASMODÄUS
Du bist die schönste aller Badenixen
Und wert, dem Papst selbst seinen Schuh zu wichsen!
ANNE
Kommt beide morgen in den Rosengarten,
Wir werden wirklich willig auf euch warten!
IM ROSENGARTEN DER ANNE SCHEIDLEIN
(Röschen Seite an Seite mit Faust. Asmodäus und Anne, die Arme untergehakt. Die Paare wandeln auf und ab.)
RÖSCHEN
Ach, warum liebst du mich so sehr?
Mein Leben ist oft öd und leer!
Du konntest doch schon viele Frauen
Und schönere auf Erden schauen?
FAUST
Geheimnisvoll ein Wort von dir,
Ein süßes Lächeln, ach, ist mir
Mehr wert als Fürstin und Prinzess,
Du meine wandelnde Zypress!
(Er küsst ihr zärtlich die Hand.)
RÖSCHEN
Ach, Freund, ach, küss nicht meine Hand,
Wie oft ich schon im Hause stand
Und hielt in meiner Hand den Besen,
Zu fegen fort des Staubes Wesen.
FAUST
Nein, diese Hand ist ohne Mängel,
Mit solchen Händen segnen Engel!
RÖSCHEN
Bisher ist meiner Arbeitshand
Das Segenszeichen unbekannt.
(Sie wandeln vorüber.)
ANNE
Und du, mein Freund, bist weit gereist?
ASMODÄIS
Fand wenig Nahrung für den Geist
Auf allen meinen weiten Reisen,
Die Welt selbst ist nicht gut zu speisen.
Ach, immer weiter, weiter treiben!
Daheim ich sollte lieber bleiben.
ANNE
Das Reisen gut ist in der Jugend,
Das ist des Wandervogels Tugend.
Man denkt, die Liebe liebt das Wandern,
Sie will von einem zu dem andern.
Doch kalt wird dann dem Philosophen,
Er sehnt sich nach dem warmen Ofen,
Nach all dem lustigen Geschwärme
Ein trautes Heim wär schön voll Wärme.
ASMODÄUS
Wie einsam werd ich sein im Alter!
Im Winter geht es schlecht dem Falter!
ANNE
Drum, weitgereister weiser Mann,
Beizeiten schließ dich freundlich an.
(Sie wandeln vorüber.)
RÖSCHEN
Ach, aus den Augen, aus dem Sinn!
Jetzt deinen Augen schön ich bin,
Doch hast du ja in der Gemeinde
Noch andre allerbeste Freunde,
Die mehr verstehn von deiner Weisheit
Als ich mit meines Flüsterns Leisheit.
FAUST
Ach, was die Freunde Klugheit nennen
Und von dem großen Gott erkennen,
Ist auch nur Eitelkeit der Welt!
Gott mir in deinem Bild gefällt!
RÖSCHEN
Bin noch erleuchtet nicht vom Licht.
FAUST
Du, Demut, kennst dich selber nicht!
RÖSCHEN
Ach, denkst du auch sehr oft an mich?
Ich sprech mit Anne über dich.
FAUST
Und denkst an mich in Einsamkeit?
RÖSCHEN
Bin gern allein in stiller Zeit.
Ach, Zeit zu beten und zu fasten!
Doch Arbeit lässt mich immer hasten,
Muß kochen, fegen, Wäsche waschen,
Ist wenig Zeit, nach Wind zu haschen.
Genug des Brotes ist zuhaus,
Auch Bier geht bei uns ein und aus.
Vom Vater habe ich das Erbe,
Das Gartenhaus, in dem ich sterbe.
Mein junger Bruder ist Soldat,
Der Mutter bald das Ende naht.
Mein kleines Schwesterchen ist tot!
Ich hab mein eigen Kreuz und Not.
Der toten Schwester Zwillings-Blagen,
Die nahm ich auf, tat gern mich plagen.
FAUST
Du Engelin an diesem Ort!
Ich will dich lieben fort und fort!
RÖSCHEN
Ich hab wie eine Kuh gebuttert,
Der Schwester Zwillinge bemuttert,
In meinem Arm, auf meinem Schoß
Die Zwillingsknaben wurden groß.
FAUST
Und hast darin dein Glück gefunden?
RÖSCHEN
Ach, leider, viele schwere Stunden!
Nachts wacht ich immer an den Wiegen,
Ob sie vielleicht das Fieber kriegen,
Stets wollten sie auch was zu naschen
Und täglich musst ich Wäsche waschen,
Ihr Leid hat mir das Herz gebrochen,
Musst dennoch täglich Essen kochen
Und war aktiv von morgens an
Und nachts war schlecht der Schlummer dann,
So ging es täglich, immerzu,
Wie gerne hatt ich da die Ruh,
Und hat der Herr ein wenig Gnade,
So schenke er mir Schokolade.
(Sie wandeln vorüber.)
ANNE
Hast du noch keine Frau gefunden,
Die Wärme schenkt in stillen Stunden?
ASMODÄUS
Der Weise sagt: Der eigne Herd,
Das eigne Weib ist Perlen wert!
ANNE
Hast du nicht Lust, nicht Lust zu scherzen?
ASMODÄUS
Ich fand bei manchen offne Herzen.
ANNE
Wars einmal ernst in Herzenssachen?
ASMODÄUS
Will Frauen keinen Kummer machen.
ANNE
Mein Freund, du kannst mich nicht verstehn!
ASMODÄUS
Das tut mir leid, mein Tausendschön,
Und doch, vernimm du mein Bekenntnis,
Ich weiß: Du sprichst von der – Erkenntnis!
(Sie wandeln vorüber.)
FAUST
Hast du mich gleich erkannt, du Fromme,
So gleich ich in den Garten komme?
RÖSCHEN
Hast du erkannt nicht meine Gnaden?
Ich selber hab dich eingeladen!
FAUST
Und war mir böse nie dein Geist,
Daß ich so frech war und so dreist?
RÖSCHEN
Ich hab mich nur gefragt im Herzen:
Lud ich dich ein zu solchen Scherzen?
War da in meinem frommen Wesen
So eine Frechheit auch zu lesen?
Ich sagte mir: Ihr guten Geister,
Was will von mir der weise Meister?
Da war ich böse mir allein,
Dir mochte ich nicht böse sein.
FAUST
Ach, mehr als Zucker süße Frau!
RÖSCHEN
Lass! – Dieses Gänseblümchen schau!
(Sie pflückt einzeln die Blütenblätter des Gänseblümchens ab.)
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich –
FAUST
Die Blume redet wahr: Er liebt dich!
Ich liebe dich von tiefstem Herzen
Und kostet es auch Todesschmerzen!
RÖSCHEN
Ein Schauer läuft mir übern Rücken!
FAUST
Du mein entsetzliches Entzücken!
(Röschen läuft eilig davon, Faust erstarrt, dann eilt er ihr hinterher.)
ANNE
Jetzt bricht herein die dunkle Nacht!
ASMODÄUS
Wir wollen gehen, sanft und sacht.
ANNE
Ach, könntest du noch etwas bleiben!
Was sollen da die Leute sagen?
Wie die es da gar heimlich treiben!
So würden sie uns doch verklagen,
Die superfrommen Nachbarsfraun
Stets spionieren durch den Zaun
Und sehn sie Schatten hinterm Fenster
In Liebe zärtlich, Nachtgespenster,
Dann reden diese Weiber dreist:
Begonnen habt ihr es im Geist
Und rein wie Ideale keusch
Und wollt vollenden es im Fleisch!
Wo aber sind denn Faust und Röschen?
ASMODÄUS
Der Schminkstift liegt im offnen Döschen.
ANNE
Ich weiß, ich weiß, er mag sie leiden!
ASMODÄUS
Und sie, die Demut selbst, bescheiden,
Sie hat ihn auch von Herzen lieb,
Wie es kein Dichter je beschrieb.
Die Liebe ist nicht auszusagen!
Nach Liebeswonnen kommen Klagen!
IM CHINESISCHEN GARTENPAVILLON
RÖSCHEN
(Sie schlüpft in den Pavillon, spioniert durchs Schlüsselloch)
Er kommt! Ich muss nicht länger harren!
FAUST
Vor Liebe werde ich zum Narren!
(Er küsst sie zärtlich auf die Wange.)
RÖSCHEN
(Seine Hüfte umfassend und ihn zärtlich auf den Hals küssend)
Wir beiden Narren Christi, sag,
Ich möcht dich haben jeden Tag!
(Es klopft jemand von draußen an die Tür.)
FAUST
Wer pocht von draußen an die Pforte?
ASMODÄUS
Nun fort von diesem trauten Horte!
(Asmodäus tritt mit Anne ein.)
ANNE
Verzeihung, wenn ich stören muss.
FAUST
Ach Röschen! Noch so einen Kuss!
RÖSCHEN
Was soll da meine Mutter sagen?
FAUST
Könnt ich der Mutter Hallo sagen.
RÖSCHEN
Nun, gute Nacht und schlaf recht süß
Und schau im Traum das Paradies!
ANNE
Wünsch guten Schlaf im warmen Bette!
FAUST
Ach Röschen, Niedliche und Nette,
Ich hab dich lieb, du bist so süß!
Adieu, Geliebte! Röschen, Tschüß!
(Faust und Asmodäus ab.)
RÖSCHEN
Du lieber Gott! Er ist so weise,
Was sucht er nur in meinem Kreise?
Ich arme Frau von schlichter Sorte,
Ich höre alle seine Worte
Und wie ich lausch den Worten, da
Will ich nur immer sagen: Ja!
Ich bin nicht weise, bin nicht schön,
Was will sein seufzendes Gestöhn?
RÖSCHENS SCHLAFZIMMER
(Sie legt Wäsche zusammen.)
Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!
Ach, wenn er mich verließe,
Ah weh, das wär mein Tod,
In meinem Garten blühte
Nie mehr ein Röschen rot!
Auf ihn nur muß ich warten
An diesem trauten Orte,
Nach ihm nur schau ich sehnend
Und öffne meine Pforte.
Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!
Oh seine Mannesstärke!
Sein Lächeln um den Mund!
Gefährlich, ach, gefährlich
Der Augen tiefer Grund!
Sein Wandeln, seine Worte
Und wie er sich erbarmt,
O seine Art, sein Adel
Und wie er mich umarmt!
Ich bin im tiefsten Herzen
Von ihm allein besessen!
Ich habe längst mein Leben,
Mein Ich und Selbst vergessen!
Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!
IN ANNES GARTEN
(Röschen und Faust)
RÖSCHEN
O sag mir doch, o du, o mein Johannes...
FAUST
Was willst du wissen von dem Geist des Mannes?
RÖSCHEN
Wie denkst du über Gott und die Natur?
Du bist ein Weiser und Gelehrter, nur
Mir scheint, du glaubst nicht an des Heilands Blut?
FAUST
Geliebte! Dir bin ich von Herzen gut!
Ich liebe mit der Liebe in dem Blute
Das Wahre und das Schöne und das Gute,
Will keinem seine Überzeugung rauben.
RÖSCHEN
Doch muss man an den Christus Jesus glauben!
FAUST
Was redest du im Glauben denn von Müssen?
Ach, was wir müssen, das ist, uns zu küssen!
RÖSCHEN
Und ehrst du nicht der Liebe Sakrament?
FAUST
Doch! Zu der Liebe sich mein Herz bekennt!
RÖSCHEN
Doch du begehrst nicht, deine Schuld zu beichten!
Wann riefest du zuletzt zum Unerreichten,
Empfingest in der Kirche Christi Leib?
Glaubst du an Gott? Sags einem armen Weib!
FAUST
Geliebte, mancher redet wie ein Spott
Und sagt so leichthin: Ich glaub auch an Gott.
Frag doch die Priester und die Tiefgelehrten,
Frag die Gerechten und frag die Bekehrten,
Nur Phrasen dreschen sie des Biblizismus,
Auswendig lernten sie den Katechismus.
RÖSCHEN
So glaubst du nicht, wie in der Schrift zu lesen?
FAUST
Ich mag von Gottes unnennbarem Wesen
Nicht Phrasen dreschen, Theologen-Phrasen.
Der wert ist der verzückendsten Ekstasen,
Wird abgespeist mit einem Credo nur,
Herabgeleiert. Oh, die Gott-Natur,
Das Höchste Wesen, laß ich mir nicht rauben,
Muß jede Seele an den Gott doch glauben.
Die Welten all aus Gottes Busen stammen,
Die Liebe Gottes hält sie all zusammen.
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Gab Gott den Menschen zu des Lebens Lüsten.
Vom Himmel abends grüßt der Abendstern,
Früh morgens segnet uns der Morgenstern.
Die Morgenröte lässt die langen Wimpern
Fein lächelnd über lichten Augen klimpern.
Und unsere Gedanken fliegen ferne
Zu Apfelgärten auf dem Venussterne.
Und unsre Körper bleiben auf dem Boden,
Bis uns zuletzt bedecken grüne Soden.
Der Geist lebt in Vernunft und allen Sinnen
Und Seele webt von außen sich nach innen.
Erfüllt ist doch dein Herz mit Ahnung, Liebe,
Weltseele ahnst du in dem Weltgetriebe,
Die Liebe unaussprechlich lässt dich beben.
So sage: Gottheit! Oder: Ewig Leben!
Die Ew'ge Liebe in dem Seelensamen,
Die Eine Gottheit hat sehr viele Namen.
Fühlst du nicht schon des Ew'gen Lebens Wonne,
Wenn dich am Morgen segnet Gottes Sonne?
RÖSCHEN
So steht das nicht im Katechismus! Zwar
Dein liebendes Bekenntnis lieblich war,
Wenn auch des Priesters Predigt andrer Sorte,
Bekennen Gott doch gleichfalls deine Worte.
FAUST
Schau dich doch um in allen Erdenkreisen,
Wie stammeln und wie lallen nur die Weisen!
So tu ich gleichfalls wie die andern alle:
Von Gott in meiner eignen Sprache lalle!
RÖSCHEN
Doch ich empfinde leider melancholisch,
Dein Glaube ist nicht kirchlich und katholisch.
FAUST
Geliebte! Liebe ist mein Christentum
Und Zärtlichkeit mein Kirchenheiligtum!
So kirchlich-christlich bin ich auch bereit
Zur seligmachenden Liebeszärtlichkeit!
RÖSCHEN
Doch ach, so lange tut es mir schon weh,
In welcher Art Gesellschaft ich dich seh!
FAUST
Wen meinst du mit dem Wort, mein kleiner Christ?
RÖSCHEN
Den Mann, der stets an deiner Seite ist!
Ich mag ihn nicht! In meinem ganzen Leben
Hat nie ein Mensch mir solchen Stich gegeben
Ins Herz, wie diese hässliche Visage!
FAUST
Er kann nichts für die hässliche Visage.
RÖSCHEN
Ich wäre gerne allen Menschen gut,
Doch jener Kerl, der plagt mich bis aufs Blut!
Wie seine seelenlosen Augen schauen
So ohne Liebe, ach, das ist ein Grauen!
Ich halte ihn für einen Hanswurst nur!
Vergebe Gott der schlimmen Kreatur!
FAUST
Er hat so seine Macken, das ist üblich.
RÖSCHEN
Ach, lieber Mann, du aber bist so lieblich!
Mit solchem schlimmen Kerl wollt ich nicht leben,
Wollt ihm in Liebe nicht die Hände geben!
Er ist von jener allerschlimmsten Sorte,
Die allzeit haben nichts als harte Worte.
Mein Herz, bin ich bei dir, in deinem Arm,
Wie ist mir wohl, wie fühlt mein Herz sich warm!
Wenn aber er dazu tritt mit Gewalt,
Ist alles wie der Frost des Winters kalt.
So sehr verehrt und liebt dich meine Seele,
Doch jener Kerl, der schnürt mir zu die Kehle!
FAUST
(leise)
So ahnungsvoll ist diese fromme Frau!
RÖSCHEN
Und wenn ich plötzlich dann den Hanswurst schau
Mit seinen toten Augen, kalt wie Stahl,
Dann denke ich, ich sei dir ganz egal,
Und seh ich ihn an deiner Seite dann,
Frag ich mich gar, ob du ein edler Mann,
Verzeih! Und mein Gebet will mir vergehen,
Muss ich den aufgeblasnen Kraftprotz sehen.
Ach Liebster, meine Seele ganz beseelend,
Warum wird dir bei jenem Kerl nicht elend?
FAUST
Der ist dir einfach unsympathisch nur.
RÖSCHEN
Ich geh! O Mutter heilige Natur!
FAUST
Ach, dürfte ich dich einmal so umfangen
Wie in dem Morgenland die schönen Schlangen
Umschlingen einen süßen Sandelbaum
Und lieben dich – o Gott – ein schöner Traum!
RÖSCHEN
Ja, wenn ich mal allein im Bette liege –
Die Mutter wacht doch immer an der Wiege!
Wenn Mutter wüsste... ach das wär mein Tod!
FAUST
Ich weiß ein Mittel gegen diese Not:
Der Mutter gebe diesen Baldrian,
Dann wird der Schlaf auf samtnen Pfoten nahn,
Dann wird sie tiefer als die Tiefsee schlafen
Und kann uns nicht für unsre Liebe strafen.
RÖSCHEN
Und keine Nebenwirkung, welche schädlich?
FAUST
Nein, meine Medizin ist nichts als redlich.
RÖSCHEN
Geliebter! Seh ich dich – du bist mein Leben!
Ich gab schon viel – ich will dir Alles geben!
(Sie geht fort. – Asmodäus kommt hervor.)
ASMODÄUS
Die schwarze Muschi, schlich sie sich davon?
FAUST
Im Haus der Liebe wieder mal Spion?
ASMODÄUS
Sie fragte dich nach deinem Biblizismus,
Ob du gelesen auch den Katechismus?
Ja, wenn wir folgen ihrer Religion,
So dienen sonst wir auch in ihrer Fron.
Das wollen sie mit ihrem ganzen Reize,
Daß wir vor ihnen kriechen noch zu Kreuze!
FAUST
Du kannst das nicht begreifen, Finsterling!
Nichts andres möchte dieses hübsche Ding,
Als mich für alle Ewigkeit zu retten!
ASMODÄUS
Ja, lieben dich noch in den Himmelsbetten!
Du übersinnlich-sinnlicher Gefährte
Saugst an der Hoffnung Busen, die dich nährte!
FAUST
Du Arsch! Du kannst den Himmel nur verspotten,
Wo uns die Ew'ige Liebe wird vergotten!
ASMODÄUS
Sieht mich mit grünem Aug die schwarze Katze,
So stört an Satan sie die Teufelsfratze!
So schaut doch kein Genie! So schaut ein Teufel!
Und heute Nacht? Ihr liebt euch? Ohne Zweifel?
FAUST
Heut Nacht erweist mir Gnade die Madonne!
ASMODÄUS
Ha, Unzucht ist der freien Liebe Wonne!
AUF DEM MARKTPLATZ
(Röschen und Madel mit Körben voller Möhren, Rüben und Zucchini.)
MADEL
Hast du gehört schon von Susanne heute?
RÖSCHEN
Ich treffe so rein gar nicht mehr die Leute.
MADEL
Susanne ist so ganz und gar verstört,
Wie sich das für die Dirne auch gehört!
RÖSCHEN
Was wissen von Susanne denn die Kenner?
MADEL
Ist Einer nicht genug? Sie braucht zwei Männer!
RÖSCHEN
Sonst war der eine Freier schon ihr schnuppe.
MADEL
Sie tut wie eine Fee, wie eine Puppe,
Will doch die Gurke nur für ihren Topf,
Hat nichts als Kerle in dem hübschen Kopf!
Da stand der eine Mann als Ehrenmann,
Als Kavalier der andre drängte ran,
Da spritzte Schaum des Sekts, man tanzte Tanz,
Ein Hengst der Kavalier mit langem Schwanz,
Kam mit Geschenken, kam mit Schokolade,
Sie ließ ihn ansehn ihre nackte Wade,
Und als der Andre eben weggeblickt,
Hat sie den guten Kavalier gefickt!
RÖSCHEN
Darüber muss mein frommes Seelchen trauern.
MADEL
Mein Schatz, nur kein bigott-frigid Bedauern!
Uns armen Weibern ist das Leben bitter,
Denn nachts bewachen uns die alten Mütter,
Susanne aber schlich wie eine Katze
Und nahm sich, was sie wollte, von dem Schatze.
Den Kavalier, der, ach, so liebeskrank,
Den nahm sie nachts sich auf der Gartenbank!
Nun kann sie bei des Himmelreichs Eunuchen
Barmherzige Vergebung flehend suchen!
RÖSCHEN
Er sich gewiss zum Traualtare schickt.
MADEL
Zum Traualtare? Nein! Zuerst gefickt
Und dann davon gehuscht und sie verlassen!
So etwas sollten Frauen unterlassen!
(Madel ab.)
RÖSCHEN
Wie können sich empören fromme Seelen,
Wenn solche jungen Dinger sich verfehlen!
Die Pharisäer! Die scheinheil'gen Heuchler!
Mag jede Muschi den charmanten Schmeichler,
Der als ihr Kavalier sein Süßholz raspelt,
Und schon sie sich in seinem Netz verhaspelt.
Ich selbst hab auch gelästert und geflucht!
Jetzt aber ward ich selber heimgesucht,
In Sack und Asche meine Sünde büß
Und doch – ach Gott – die Sünde war so süß!
RÖSCHEN IM GEFÄNGNIS
(In einer Nische eine Statue der Gottesmutter. In einer Vase eine rote Rose davor.)
RÖSCHEN
Komm, Jungfrau, komm zu mir,
In all mein Elend hier,
Steh deiner Tochter bei in ihrer Not!
Die Schärfe eines Schwerts
Durchbohrt dein reines Herz,
Du leidest mit dem Gottessohn den Tod!
Zum Himmel auf du blickst,
Gebete weinend schickst
Zum Ewigen, die Tränen blutigrot!
Ach, ob es einer fühlt,
Wie mir das Leiden wühlt
Durch meine Seele und durch meinen Leib?
Wonach mein Herz verlangt,
Verzagt verschmachtend bangt,
Ach, davon weiß kein andres Erdenweib!
Wo immer ich auch bin,
Die Pein ist Königin!
Des Schicksals schwarzen Raben ich erblicke.
Und bin ich ganz allein,
Ich wein und wein und wein,
Mein Herz, mein Herz bricht mir in tausend Stücke!
Aus meinem Auge strömt ein Tränenregen,
Die Trauertränen meiner Herzensnot,
So will ich deine rote Rose pflegen,
Die Rose rot, wie Blut und Feuer rot!
Was kann ich Hoffnungslose jetzt noch hoffen?
Es fällt kein Licht in meine dunkle Kammer!
Allnächtlich habe ich das Auge offen
Und liege wach auf meinem Bett voll Jammer!
O Jungfrau! Steh mir bei in meiner Pein!
Vom Himmel komm herab!
Die Mutter schläft im Grab!
Ich bin allein – Maria – ich bin dein!
KAPELLE. TOTENFEIER FÜR RÖSCHENS MUTTER.
(/Alle Verwandten. Chor.)
FINSTERER ENGEL
(Hinter Röschen)
Anders war es damals, Röschen,
Als du knietest vorm Altare
Und aus dem Gesangbuch sangest,
Was du nicht verstanden hattest,
Halb naiven Kinderglauben,
Halb Gefühl vom Höhern Wesen.
Röschen! Aber was empfindest
Du jetzt in der jungen Seele?
Was willst du in der Kapelle?
Eine Seelenmesse singen
Für die Seele deiner Mutter?
Eingeschlafen ist die Mutter
Von dem Opium des Glaubens,
Das du selber ihr gespendet.
Deine Seele ist voll Sünden!
Und es regt sich unterm Herzen
Dir sogar die Frucht des Leibes,
Die du ehelos empfangen!
RÖSCHEN
Wehe, wehe, wehe, wehe!
Die Gedanken, die mich plagen,
Werde ich nicht los, mich jagen
Hin und her und ohne Ruhe
Die Gedanken meiner Sünden!
Wohin könnte ich noch fliehen?
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Sei dein Name uns geheiligt,
Bring dein Königreich der Himmel,
Und geschehe nur dein Wille
Wie im Himmel so auf Erden!
(Die Orgel schwillt an.)
FINSTERER ENGEL
Wehe, die Posaunen blasen,
Öffnen werden sich die Gräber
Und dein Herz wird aus dem Staube
Auferstehen von den Toten
Und vor deinen Richter treten!
RÖSCHEN
Fort, nur fort aus der Kapelle,
Dieses Orgelspiel des Himmels
Presst zusammen meine Lunge,
Weh mir, ich kann hier nicht atmen!
Diese Lieder, diese Töne,
Wollen lösen meine Zunge,
Alles möchte ich gestehen,
Aber das darf keiner wissen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Gib uns täglich unser Manna
Und befrei uns von den Schulden,
Wie wir allen selbst verzeihen.
RÖSCHEN
Wehe mir, mich packt der Wahnsinn!
Diese Kirchenchöre machen
Angst mir vor dem Weltenrichter!
Berge, fallt mir auf den Schädel,
Hügel, mir bedeckt den Körper!
Das Gewölbe der Kapelle
Mich verschließt in einem Sarge!
Luft! Die Lüfte will ich atmen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Führe uns aus der Versuchung
Und befrei uns von dem Bösen.
FINSTERER ENGEL
Ja, versteck dich vor dem Richter!
Gottes Zorn wird dich ergreifen!
Nie wird Gott sich dein erbarmen!
Luft und Licht, Natur und Himmel –
Armes Herz, du gehst verloren!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Dein ist alles Reich der Himmel,
Dein sind Mächte und Gewalten,
Alle Herrlichkeit und Schönheit!
FINSTERER ENGEL
Gottes Engel dich verlassen,
Sie verschmähen deine Seele!
Gottverlassne Seele, weh dir!
CHOR
Vater unser in den Himmeln!
Ewigkeiten – Ja und Amen!
RÖSCHEN
Weihrauch! Weihrauch will ich riechen!
(Röschen fällt in Ohnmacht.)
NACHT. VOR RÖSCHENS HAUS.
(Klaus, Röschens Bruder.)
KLAUS
Wenn ich beim Gelag gesessen
Und zu trinken nicht vergessen,
Wenn dann alle Trankbetreiber
Allzeit schwatzten über Weiber,
Die vertraut mit allen Lüsten
Und auch Kochrezepte wüssten
Und auch sanft und ehrlich wären,
Dacht ich an die Frau der Ehren.
Wer die Frau der Ehren ist?
Röschen ist es, dass ihrs wisst!
Also sprach ich zu den Zechern
Bei dem Süßwein in den Bechern.
Sprach ich: Mag wohl manches Mädchen
Hübsch und niedlich sein im Städtchen,
Tauben hocken sich in Nester,
Aber hold wie meine Schwester
Ist mir keine und so heilig!
So bekannt ich allen eilig.
Meinem Röschen alle Ehre!
Und als ob sie Göttin wäre,
Hoben alle wilden Zecher
Auf mein Röschen ihre Becher.
Die da andrer Meinung waren,
Rauften sich in ihren Haaren,
Fassten sich an ihre Nasen,
Wussten nichts von Tut und Blasen!
Aber nun muss ich mich schämen!
Nach der Heiligkeit Extremen
Sie extreme Sünderin,
Hure sie! Ein Narr ich bin!
Alle heben ihre Humpen,
Lachen laut, die dummen Lumpen,
Lästern lachend: Deine Pure
Ist nur ordinäre Hure,
Deine Hure, deine Hexe,
Packt am Schwanze jede Echse!
Da kommt einer und dabei
Noch ein zweiter, es sind zwei.
(Faust und Asmodäus kommen.)
FAUST
Wie des nachts im Gottesdome
Leuchtet gleich dem Gnadenstrome
Eine Lampe mit Gefunkel,
Flackerlicht im tiefen Dunkel,
Schläft auch tiefen Schlaf der Priester,
Ists in meinem Herzen düster!
ASMODÄUS
Aber ich bin gar nicht müde,
Bin so läufig wie ein Rüde,
Der zu seiner Hündin trachtet
Und inbrünstig-brünftig schmachtet!
Will nicht wie ein Faultier gammeln,
Will wie ein Kaninchen rammeln!
Bald ist ja Walpurgisnacht,
Wo die Hexe Liebe macht,
Wo sie hebt den kurzen Rock
Für den geilen Ziegenbock!
(Er singt zur Gitarre.)
Was willst du, willst du, süßes Mädchen,
Du Buhlerin um Mitternacht?
Gib acht, gib acht, du wildes Käthchen,
Du wildes Käthchen, gib gut acht,
Er stillt dir alles dein Geschmacht!
Nehmt euch in acht, ihr jungen Dinger,
Der Buhler ist ein schlimmer Finger,
Es will ja nichts der Liebesjünger
Als euch zu schwören, euch betören,
Ihr müsstet Einmal ihn erhören!
KLAUS
Was singst du, gottverdammter Sänger,
Du Flötenbläser, Rattenfänger?
Ich erst zerschlag dir die Gitarre
Und dann den Kopf dir, alter Narre!
(Klaus zerschlägt dem Asmodäus die Gitarre. Faust und Klaus fechten. Klaus fällt, zu Tode verwundet.)
VOLK
(herbeieilend)
Da liegt der arme Bruder Klaus,
Ist mausetot wie eine Maus!
RÖSCHEN
O Gott, o Gott! O große Not!
Erbarmen, Herr Gott Zebaoth!
KLAUS
(mit letztem Atem röchelnd)
Mit Einem fängst du an zu huren
Und dann mit Allen Kreaturen!
Ja, wenn man erst ein Dutzend hätte!
Geht mit der ganzen Stadt ins Bette!
RÖSCHEN
Mein kleiner Bruder, sei mir gut!
KLAUS
Wein du nicht wegen meinem Blut!
Verscheidend sage ich dir barsch:
Du liebtest einen dummen Arsch!
Hanswurst vom alten Satans-Orden,
Der tat den Bruder Klaus ermorden!
Ich spotte aller Teufel Spott:
Ach, Röschen, ach – ich geh zu Gott!
FAUST UND ASMODÄUS
FAUST
Im Elende! Von aller Hilfe verlassen, allein im Kerker! Zu den Verbrechern gezählt, in eisernen Ketten, eingeschlossen in ein finsteres Verließ! Ach diese unschuldig-unselige Evastochter! So weit ist es schon! Und mir hast du das verheimlicht? Ja, blitze nur mit deinen eiskalten Augen, du Satansbraten! Ich kann dich leider nicht bannen! Sie, in dunkler Nacht, gefangen zwischen Spinnenweben, allein mit den Mäusen des Kerkers! Vorgeführt dem Pöbel und den ungerechten Justizräten! Du kennst den Jammer und jagst mich dennoch durch die Welt, eine flüchtige Lust zu erhaschen, sprichst kein Wort und lässt die gute Seele ohne Hilfe verlassen sein?
ASMODÄUS
Sie ist die erste nicht, die du so ruiniert hast.
FAUST
Arschloch! Der heiligste Engelsgeist möge dich bannen in die schwarze Hundegestalt, in der du dich heran geschmeichelt hast, dass du winselnd vor mir liegst und ich dich peitsche mit der ledernen Leine! Sie wär die erste nicht, die ich so ruiniert hätte? O Jammer, Jammer! Keine Menschenseele kann meinen Jammer begreifen!
ASMODÄUS
Ach du lieber Harlekin, jetzt bist du am Ende mit deinem Mönchslatein und an der Schwelle des Wahnsinns angelangt! Was gibst du denn den okkulten Dämonen erst die Hand, wenn du doch nicht treu bleiben willst? Erst willst du fliegen in ätherische Sphären und dann wird dir schwindlig! Hab ich mich angebiedert oder hast du dich angeboten?
FAUST
Du kotzt mich an! O heiligster Engelsgeist, du hast dich mir offenbart! Ach, warum muß ich gefesselt sein an diesen okkulten Dämon?
ASMODÄUS
Bist du bald fertig?
FAUST
Befreie sie aus dem Gefängnis!
ASMODÄUS
Ich habe keine Macht, sie zu befreien. Das ist nicht mein Amt, Ketten zu lösen. Befreiung? Wer hat die gute Seele denn so bekümmert, ich oder du?
FAUST
Trage mich zu ihr! Ich will sie erlösen!
ASMODÄUS
Da gibt es noch eine Blutschuld! Auf den Menschenmörder haben noch Rechte die höllischen Geister.
FAUST
Gib nicht immer andern die Schuld! An allem Übel der Welt bist du selber schuld! Bring mich rasch zu der guten Seele, gebiete ich dir!
ASMODÄUS
Sei’s drum. Aber ich habe nicht alle Macht im Himmel und auf Erden. Ich kann allerdings den Wächter einschläfern. Die gute Seele befreien, das musst du schon selber tun. Ich werde die Hengste holen.
FAUST
Auf, reiten wir rasch zu ihr!
NACHT. OFFENES FELD
(Faust und Asmodäus reiten auf schwarzen Rossen.)
FAUST
Ein Nebelschleier überm Hexenhügel!
ASMODÄUS
Die Hexen spreizen ihre Drachenflügel!
FAUST
Mit Schwänzen peitschen dort die Riesenechsen!
ASMODÄUS
Die Schwarze Messe feiern da die Hexen!
FAUST
Wer ist die Frau, die ich dort oben schau?
ASMODÄUS
Die Göttin Lilith - - - Adams erste Frau!
DER HEXENSABBATH
(Ein Gebirge, auf dem sich die Hexen zur Schwarzen Messe am Hexen-Sabbath versammeln. Faust und Asmodäus.)
ASMODÄUS
Willst du auf einem Besen reiten?
Ich wünschte mir in diesen Zeiten,
Zu reiten einen Ziegenbock!
FAUST
Ich wollte reiten einen Rock!
Doch jetzt genügt der Wanderstab,
Den ich in meiner Rechten hab.
Wie labyrinthisch ist der Wald
In diesen Tälern mannigfalt,
Den Felsen möchte ich besteigen,
Die Quelle mögest du mir zeigen.
Das Wandern ist des Müller Lust!
Den Frühling spür ich in der Brust,
In Spanien und auch in Germanien,
Den Frühling spüren die Kastanien
Und auch die jungen schlanken Birken.
Der Lenz beginnt in mir zu wirken!
ASMODÄUS
Ich fühle nichts von Frühlingslust,
Ich habe Frost in meiner Brust,
Nicht Lenzes süßes Liebesweh,
Ich liebe Frostigkeit und Schnee.
Wie traurig schleicht am Horizont
Die Luna hin, man nennt sie Mond,
Die Luna gibt so matten Schimmer,
Man stößt sich an den Steinen immer.
Hinan, hinan zum Felsenturm!
Die Wege der Johanniswurm
Uns zeige! Ach Johannestrieb,
Der ist den alten Weisen lieb!
He du, Johanniswürmchen da,
Du kleiner Glühwurm, komm nur nah,
Flieg uns voran den Waldeswipfel
Und zeig den Weg hinan zum Gipfel!
JOHANNISWÜRMCHEN
In Ehrfurcht meine Reverenz!
Ich führe euch durch diesen Lenz,
Traut mir als trautet ihr den Engeln,
Wo sich hinan die Pfade schlängeln.
ASMODÄUS
Den Engeln denkst du’s nachzuahmen?
So schlängle dich, in Satans Namen,
Sonst blas ich dir als wie ein Weib
Die Seele aus dem heißen Leib!
JOHANNISWÜRMCHEN
Ich merke wohl, vom Herrn und Meister
Bist einer du der bösen Geister,
Gehorchen will ich meinem Herrn!
Doch Freitag ists, beim Venusstern,
Die Hexen reiten auf dem Besen,
Die Weiber treiben toll ihr Wesen!
FAUST
In Träume, wie sie träumen Schlangen,
In Träume sind wir eingegangen.
FAUST UND ASMODÄUS
Johanniswürmchen, durch die Träume
Führ uns durch dunkle leere Räume!
JOHANNISWÜRMCHEN
Wie rasch die Bäume sich verrücken,
Wie sich die Felsenspitzen bücken,
Die Gipfel mit den steilen Nasen,
Die Windsbraut saust, um scharf zu blasen!
FAUST
Auch die Quelle sprudelt nieder!
Hör ich freche Gassenlieder,
Gassenhauer voller Klage?
Lebt sie heute noch, die Sage,
Von dem Schlüssel Salomonis
Und von Venus und Adonis?
JOHANNISWÜRMCHEN
Uhu! Tödliches Geheule!
Uhu heult und Schleiereule!
FAUST
Wo wir einer mit dem andern
Durch die dunklen Wälder wandern,
Labyrinthe und Mäander,
Wie im Feuer Salamander!
ASMODÄUS
Und aus Höhle und Gehäuse
Scharenweise weiße Mäuse,
In den Büschen, wie im Schatten,
Huschen hin die fetten Ratten.
Nicht nur Ratten, nicht nur Mäuse,
Auch die Flöhe, auch die Läuse!
FAUST
Aber ob wir Menschen stehen,
Sich um uns die Welten drehen,
Oder ob wir Menschen wandern,
Stille stehen alle andern?
FAUST UND ASMODÄIS
Alles scheint um uns zu wanken,
Scheint zu taumeln, scheint zu schwanken,
Tote in den Bäumen baumeln,
Trunkne torkeln, Trunkne taumeln!
ASMODÄIS
Fasse meines Rockes Zipfel,
Schauen wir von diesem Gipfel
Zu dem alten Gott von Ammon,
Zu dem goldnen Gotte Mammon!
FAUST
Steckt das Gold doch in den Erzen,
Aber mehr noch in den Herzen,
Steckt das Gold in rauen Felsen,
Komme Feuer, Gold zu schmelzen,
Einzig wegen diesem Feuer
Ist das reine Gold uns teuer!
Nur das Purgatorium
Macht das Gold zum Heiligtum!
ASMODÄUS
Vater Mammon hat Gefallen
Hier an diesen offnen Hallen,
Mammon dünkte, Mammon däuchte,
Daß uns Mammons Glanz erleuchte!
O die Feiern, o die Feste!
Wir sind ungebetne Gäste!
FAUST
O wie scharf die Windsbraut bläht
Ihre Backen, o wie weht
Dort die Windsbraut, mich zu packen,
Hockt sich mir auf meinen Nacken!
ASMODÄUS
Hier an dieser steilen Klippe
Halte fest die alte Rippe!
Sonst wird dich die Windsbraut stürzen
Und das Leben dir verkürzen!
Graue Nebelschleier fließen
Über diese leeren Wiesen!
Wölfe in den Wäldern heulen,
Von den Bäumen schaun die Eulen!
In der Ulme hängen Fische!
Welch ein Blasen, ein Gezische,
Wie sich schlängeln die Lianen,
Wandern Schatten, sinds die Ahnen,
Eichen stürzen, Eichen splittern
In den donnernden Gewittern!
Einsam gurrt der Turteltauber!
Weiber heulen Liebeszauber!
CHOR DER HEXEN
Die Hexen ziehn zur Sabbatfeier,
Es ist doch nur die alte Leier,
Du, Eva, möchtest einen Freier,
Du, nackte Eva, fragst nicht lange,
Du packst am Schwanze gleich die Schlange!
EINE HEXE
Demeter soll uns Göttin sein,
Sie kommt auf einem Mutterschwein!
O große Göttin, Gottheit-Frau,
Wir weihen dir die alte Sau!
CHOR DER HEXEN
Viel Ferkel an der Säue Zitzen!
Wir sehen auf den Säuen sitzen
Demeter, die uns backt das Brot!
Ach, Kore tot, ach, Kore tot!
EINE HEXE
Ich will, dass alle Mütter platzen,
Ich will aus ihren Schößen kratzen
Und reißen aus dem Mutterschoß
Die Leibesfrüchte, Embryos!
DIE MAGIER
Die Frauen stets das Böse spüren,
Drum sollen uns die Frauen führen.
Wir Männer, wahre Frauenkenner,
Den Frauen folgen wir, die Männer.
CHOR DER HEXEN
Lasst nicht die Mutterkühe kalben!
Zum Fluge wollen wir uns salben!
Der Mohn mit seiner Milch ist gut,
Stechapfel schafft uns Übermut,
Tollkirsche schafft uns Todeswut,
Der Schierling schafft die innre Glut!
ASMODÄUS
Wie Besen dort an Besen klappert,
Das Weibchen mit dem Weibchen plappert,
Die Hexe furzt, die Hexe brennt,
Das ist der Weiber Element!
O Johann Faust, wo bist du jetzt?
FAUST
Die Hexe da hat mich verletzt!
ASMODÄUS
Gehorche, Hexe, deinem Herrn,
Ich komm vom Meister Luzifern!
FAUST
Welträtsel will ich alle lösen!
Da! Weiber in der Macht des Bösen!
ASMODÄUS
Wolfsrudel oder Hunderudel,
Die Weiber treiben dort im Strudel,
Nur fort und fort, hinan nach oben,
Zum Bösen drängts, da wird geschoben.
ALTE HEXE VOM FLOHMARKT
Wandrer, schleiche nicht so lahm
Hier vorüber, sieh den Kram,
Altes ist als Neues besser,
Siehe hier die scharfen Messer,
Menschen taten selbst sich töten,
Schaue hier die goldnen Kröten,
Schau, bereit für Gift der Becher,
Mancher Ehemann war Zecher,
Als von seinem Eheweibe
Gift ging ein zu seinem Leibe.
ASMODÄUS
Alte Weiber, breite Spalten!
Alte, weg mit deinem Alten!
An den Engen, an den Neuen
Kann ein Mann sich nur erfreuen!
FAUST
Bist du nun ein Dämon, Herr,
Oder nur ein Magier?
(Sie sind auf dem Gipfel angekommen.)
STIMMENGEWIRR
Ja, er kommt, der Satan kommt,
Wie es alten Hexen frommt!
Also freut es Hexenmeister,
Kommt der Herr der bösen Geister!
(Hörner werden geblasen. Qualm. Gestank. Satan erscheint auf dem Gipfel. Die Hexen frohlocken.)
SATANSNOVIZE
Satan, der du Meister bist,
Dir allein will ich gefallen,
Zwar ich bin ein Kommunist,
Doch ich küsse dir die Krallen!
ZEREMONIENMEISTER
Sollst nicht nur die Krallen küssen,
Wirst dich tiefer bücken müssen!
NOVIZE
Was verlangt das Ritual?
ZEREMONIENMEISTER
Wenn du ehren willst den Baal,
Musst du tiefer noch dich bücken,
Tiefer noch, bis untern Rücken,
Bis zu Satan leckst den Arsch!
Hexenmeister reden barsch.
NOVIZE
Komme über mich der Zorn!
Doch ich küss ihn auch von vorn!
(Der Satan, der dem Novizen erst den Arsch gezeigt hat, wendet sich um und dreht ihm seinen starrenden Phallus zu.)
Daß ich Satans rote Nase
Küsse, ihm den Phallus blase!
Aber was begehr ich noch
Als in Satans schwarzes Loch,
Mag es noch so übel riechen,
Satan in den Arsch zu kriechen!
(Stille. Plötzlich kreischen alle alten Hexen laut auf vor Entzücken.)
Was will Satan weiter noch?
Will ich doch ins schwarze Loch!
SATAN
Satans Knecht, du bist erprobt,
Wer so gut wie du gelobt
Satans Arschloch, ohne Heucheln,
Dem wird Satan ewig schmeicheln.
(Mitternacht. Satan setzt sich auf seinen Thron.)
Hier in meinem Weltgericht
Böcke mir zur Rechten dicht,
Sollen sich die Böcke schmiegen
An die Zicken, an die Ziegen,
Jede Zicke sage Dank,
Dankt dem Bock den Bocksgestank!
HEXEN
Fallt nun nieder in den Staub!
Kommt der Dieb doch jetzt zum Raub!
Dürfen wir in unsern Sünden
Satans Tiefen doch ergründen!
SATAN
Seien euch zwei Dinge hold,
Ehrt zumeist das gelbe Gold,
Der Vergänglichkeit zum Trotze,
Ehrt des Weibes feuchte Fotze!
MAGIER
Dürfen wir in unsern Sünden
Gottes Tiefen doch ergründen!
SATAN
Seien euch zwei Dinge hold,
Ehrt zumeist das gelbe Gold,
Dann zum Becken eurer Tänze
Wie die Schlangen ehrt die Schwänze!
HEXEN
Satan, schenke uns Ekstasen,
Wenn wir Männerschwänze blasen!
EINE HEXE
Ah, auch ich in meinen Sünden
Gottes Tiefe darf ergründen!
ASMODÄUS
(zu einem sechzehnjährigen Mädchen)
Was denn fürchtest du, mein Kind?
Warum zagst du? Sags geschwind!
MÄDCHEN
Ach der große Herr und Meister
Und der Gott der freien Geister
Sprach von Fotzen und von Schwänzen,
Das verletzt der Sitte Grenzen!
ASMODÄUS
Junges Mädchen, hübsche Nichte,
Auf die Wollust nicht verzichte,
Greife nach erhitztem Tanz
Deinem Onkel an den Schwanz!
SATAN
Ihr hübschen Mädchen, schönen Frauen,
Wie lasst ihr gerne euch versauen!
Tags Putzfrau auf des Herren Spuren,
Doch Nachts die allergeilsten Huren,
So preisen euch die Frauenkenner,
Die meine Knechte sind, die Männer.
(Orgie. Die Sauforgie geht rasend über in eine Sexorgie.)
FAUST
Daß ich mich nicht selbst vergesse
Bei der schwarzen Satansmesse!
ASMODÄUS
Komm nur her zum breiten Becher,
Sind wir doch die besten Zecher,
Frauen, Geister im Gehirne,
Frauen, nackt wie eine Dirne,
Schönste Frauen aus dem Städtchen,
Doch am allerliebsten Mädchen!
Wollen wir doch nicht verzichten
Auf die kaum verhüllten Nichten!
FAUST
Aber wer ist jene Frau?
ASMODÄUS
Die studiere du genau!
Lilith ist des Weibes Name,
Sie ist Adams erste Dame.
Ihre Macht liegt in den Haaren,
In den langen schönen Haaren!
Blitze schleudern ihre Augen,
Dir den Samen auszusaugen,
Will sie in der Nacht nicht säumen,
Saugt an dir in deinen Träumen,
Von dem Samen, den du spendest,
Wenn dich ihrem Mund zuwendest,
Sie gebiert Dämonensöhne!
Lilith, Lilith, wie ich stöhne!
FAUST
Schaue dort die weiche Mutter
Mit dem Busen weiß wie Butter
Und bei ihr das junge Mädchen,
Schönste Dirne aus dem Städtchen!
Nach der Liebeskünste Regeln
Wissen beide wohl zu vögeln!
ASMODÄUS
Heute gibt es keine Ruh,
Also rasch, wir greifen zu!
FAUST
(mit dem Mädchen flirtend)
Kürzlich hatt ich einen Traum,
Schaute einen Apfelbaum,
Schöne Äpfel, bei den Göttern,
Wollte ich den Baum beklettern!
MÄDCHEN
Hör von Äpfeln immer reden,
Immer von dem Garten Eden,
Äpfel hüpfen, Äpfel nicken,
Tust du nur die Äpfel pflücken!
ASMODÄUS
(mit der Mutter flirtend)
Weichen Herzens, süße Alte,
Wie ein Baum mit breiter Spalte,
An dem Baume hing die Feige,
Doch was weiter kommt? Ich schweige.
MUTTER
Alter Esel! Aber doch
In dem Baum das breite Loch,
Breite Spalte in den Borken,
Stopfe nur hinein den Korken!
(Das junge Mädchen singt. Ihr Gesang ist wie brünstiges Liebesgestöhn, sich steigernd zu animalischer Brunft. Ihr Tanz gleicht den rhythmischen Bewegungen des Beckens beim Liebesakt – fast kopuliert sie auf öffentlicher Bühne – da reißt sich Faust los.)
ASMODÄUS
Was willst du dieses Weib nicht necken?
Willst du denn nicht ihr Becken lecken?
FAUST
Grad, da ich fast sie schon begatte,
Schlüpft aus dem Mund ihr eine Ratte!
ASMODÄUS
Was solls, wenn Ratten quiekend piepen!
Das Mädchen wollt sich lassen lieben!
FAUST
Ich sehe, siehe, was ich schau - -
(In der Ferne ist Ann-Marie zu sehen, die Jugendgeliebte des Faust. Sie ist nackt.)
ASMODÄUS
Was schaust du? Etwa eine Frau?
FAUST
Siehst du die nackte Frau dort? Sie
Ist meine Liebe, Ann-Marie!
ASMODÄUS
Du leidest Halluzinationen
Und hältst die Träume für Visionen.
Die Frau dort ist nur ein Phantom,
Ein Schatte nur vom Lethe-Strom.
FAUST
Nein, das ist meiner Jugend Muse!
ASMODÄUS
Du lasest wohl von der Meduse!
FAUST
Ich seh die Lippen, rosenrote!
Erbarmen! Ach es ist die Tote!
Das ist die Brust, die ich genoss,
Der Schoß, den ich geliebt, der Schoß!
ASMODÄUS
Nein, du verliebter Turteltauber,
Das ist Magie nur, das ist Zauber,
Wie du sie siehst, die nackte Schöne,
So Paris sah einst die Helene.
FAUST
Ach welche Reue! Welche Leiden!
Ich will von dieser Frau nicht scheiden!
(Gericht. Ann-Marie steht auf dem Scheiterhaufen. Die Söhne des heiligen Dominikus und die Söhne des heiligen Franziskus begleiten sie bis zum Tode.)
DAS FROMME VOLK
Heiliger Gott! Heiliger starker Gott! Heiliger unsterblicher Gott! Wir opfern dir auf den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit unsres Herrn Jesus Christus, deines Sohnes, um Erbarmen zu erlangen für uns und für die ganze Welt! Herr Jesus, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen! Ave Maria!
PATER
Du, Ann-Marie, stehst vor dem Tod,
Schrei du aus allertiefster Not
Zu Jesus Christus voll Erbarmen:
Erbarm dich, Jesus, deiner Armen!
Ich traue dir, mein Jesus Christ,
Der du allein mein Retter bist!
Ich bin ein Weib – ein schlechtes Weib –
Doch, Jesus, schenk mir deinen Leib!
O geh du ein zu meinem Munde,
Mein Gott, in meiner Todesstunde!
(Die Erscheinung verlöscht. Die tiefste Nacht bricht über Faust herein.)
FAUST
(allein)
Erbarme dich, Herr Jesus Christus!
IM TIEFSTEN VERLIESS
(Una Poenitentium, vormals Röschen genannt, in Ketten. Faust vor der Tür mit brennender Fackel und Schlüsselbund.)
FAUST
Es geht ein Messer durch meine Seele! Entsetzlicher Schrecken! Muß ich noch barfuß durch die Hölle pilgern? Doch sammle dich, Seele, ich will mit der Geliebten reden.
UNA POENITENTIUM
(singt)
Meine Mutter, meine Mutter,
Dieses Weib hat mich vergessen,
Ach mein Vater, ach mein Vater,
Ach der hat mich aufgefressen,
Meine Schwester streckt die Beine,
Oh wie möchte ich mich tümmeln,
Fühl mich gleich den jungen Vögeln,
Fliegen will ich in den Himmeln!
FAUST
Geliebte! Freundin!
UNA
Ist das der Engel des Todes?
FAUST
Hab keine Angst! Ich bin’s! Ich komme, dich zu befreien!
UNA
Jetzt schon? Komm doch morgen wieder!
FAUST
Lass mich nur machen.
UNA
Ich will leben, ich will leben! Ach in der Mitte meines Lebens! Ich war doch schön in meiner Jugend, nicht wahr? Ich bin nur ein armes Weib. Ach wie schön die Blumen sind, schau doch mal, die rosa Tulpe. Ach, was hab ich getan! Ich kenne dich nicht. Ich habe mein ganzes Leben lang dich nicht Einmal angeschaut!
FAUST
Sie ist verrückt.
UNA
Sieh doch mein Kind! Ach, ich muß meinem Kindchen die Brust geben! Wo ist mein Kind? Da war der Knabe doch eben noch, da war er doch eben noch! Weh mir, sie haben mir meinen Knaben weggenommen! Sie sagen, ich hätte mein eignes Kind ermordet! Am Ort der Gerechtigkeit herrscht die Ungerechtigkeit! Die Richter lügen!
FAUST
Geliebte, Geliebte!
UNA
Ich hör’s rufen: Geliebte, Geliebte! Ist Er das? In all meiner Todesangst kenn ich Seine Stimme, Er ruft: Geliebte, Geliebte!
FAUST
(hält ihre Hand)
O Freundin! Komm, Geliebte, ich bin’s! Ich bringe dich ins Leben zurück! Komm mit mir in die Freiheit!
UNA
Küss mich!
FAUST
Ich gebe dir tausend Küsse, zehntausend Küsse, aber nicht im Kerker hier, sondern dort in der Freiheit!
UNA
Küss mich! Oh du kannst küssen! Oh wie du küssen kannst! Küss mich, sonst küss ich dich!
(Sie küsst ihn.)
Küsse ich den Engel des Todes?
FAUST
Komm! Zehntausend Küsse, mehr als der Sand am Meer, aber komm, komm in die Freiheit!
UNA
Du löst die Ketten?
FAUST
Komm, komm rasch, Geliebte!
UNA
Meine Mutter ist tot, mein Kind ward mir genommen! Dein Liebling, mein Freund! Lieber Gott im Himmel! Du bist doch kein Traum? Mein Freund, gib mir deine Hand! Ach, ich werde verrückt!
FAUST
Ich sterbe vor Schmerzen!
UNA
Nein, du musst noch leben bleiben! Wer soll denn sonst mein Grab pflegen? Leg mir meinen kleinen Knaben an den Busen! Gib mir deine Hand, mein Freund, du bist mein Ehemann.
FAUST
Siehst du mich? Hörst du mich? Ich bin’s! Ich bin gekommen, dich in die Freiheit zu holen!
UNA
In die Welt? Auf keinen Fall! Ich will in die Ewige Ruh!
FAUST
Die Tür ist offen, komm!
UNA
Da warten welche...
FAUST
Freundin, Geliebte, in die Freiheit komm!
UNA
Siehst du meinen kleinen Liebling? Er weint! Rette meinen Sohn! Rette unsern Liebling! Bring ihn in Sicherheit!
FAUST
Dich will ich retten! Deine Seele!
UNA
Meine Großmutter sitzt im Sessel. Ihr Kopf ist herabgesunken. Ihr Strickzeug liegt in ihrem Schoß. Sie macht die Augen auf und lächelt mich an.
FAUST
Ich sehe die Wimpern der Morgenröte, Geliebte, Freundin!
UNA
Der Morgenstern ist aufgegangen in meinem Herzen. Das ist mein Hochzeitstag! Ach, du warst ja schon in der dunklen Nacht vor dem Hochzeitstag im Schoße deiner Geliebten, bekenn es nur! Ach, ich verlasse dich nicht. Wir werden uns wiedersehen. Die Glocke! Hörst du? Die Glocke läutet die Morgenmesse ein!
(Asmodäus tritt ein.)
ASMODÄUS
Mein Hengst wird unruhig. Mein Hengst wiehert schon brünstig.
UNA
Schick den da weg, schick den Satansbraten weg! O Mütterchen Gottesmutter! Rette mich, Mütterchen Gottesmutter! Adieu, mein Freund!
FAUST
Ich verlasse dich nicht!
UNA
Mütterchen Gottesmutter, ich lege meine Seele in deinen Schoß! Adieu, Geliebter, pass gut auf dich auf!
ASMODÄUS
Sie muß vor den Richter!
(Asmodäus verschwindet mit Faust. Una Poenitentium bleibt allein zurück.)
UNA
(verhallend)
Mein Jesus, Barmherzigkeit...........
ZWEITER TEIL
ERSTER AKT
(Szene: Griechenland. Zeit: Antike.)
DIE NYMPHEN
O Schwestern, beuget euch und legt die Ohren
An grünen Rasen an des Flusses Ufer.
Was ich vernehme, in der Nähe kommend,
Das ist der Klang von Hufen auf der Erde.
Wenn ich nur wüsste, wer da Nachricht bringt.
Schnell, schnell, und in die dunkle Nacht hinein!
FAUST
Für mich scheint dieser Boden schön zu klingen
Von eines schnellen Hengstes harten Hufen.
Dort, schaut, ihr meine Augen! Lust ist nah!
O wird sie zu mir kommen, diese Gute?
O, frage mich, sie ist die Ohnegleiche!
Ein Reiter trabt nun sicher auf mich zu,
Begabt, beglänzt mit hohem Geist und Kraft,
Auf einem weißen Pferd, so weiß wie Schnee…
Ich kenne ihn, ich kann da falsch nicht liegen,
Es ist der weltberühmte Sohn Philyras!
Halt, Chiron, halt, und höre meine Rede!
CHIRON
Was ist geschehn und wer ist gegenwärtig?
FAUST
O Chiron, zögre einen Augenblick!
CHIRON
Ich habe nie in meinem Herzen Ruhe.
FAUST
Nun, nimm mich mit mit dir auf deinem Schimmel!
CHIRON
Steig auf! Und ich will dir die Frage stellen:
Wo willst du hin? Es geht durch einen Fluss,
Ich trage durch die Flut dich mit Vergnügen.
FAUST (steigt auf Chirons Rücken.)
Wohin du willst! Mein Dank gilt dir für immer.
Du bist der große Mann, der edle Lehrer,
Berühmt für die Erziehung großer Helden,
Der Lehrer bei dem Werk der Argonauten
Und aller, die erbauen die Poeten.
CHIRON
Ja, aller, die an rechter Stelle waren,
Als Mentor wurde Pallas nicht geschätzt.
Am Ende gingen sie die eignen Wege,
Als wären sie von mir erzogen nicht.
FAUST
Den Arzt, der alle Pflanzen kann benennen
Und der zutiefst versteht der Heilung Wurzeln,
Der heilt die Kranken und der stillt die Wunden,
Den, stark an Leib und Geist, hab ich gefunden.
CHIRON
Wenn nahe mir ein Heros wird verletzt,
Ich hab das Recht zu Hilfe und Beratung.
Doch schließlich übergab ich meine Künste
Den frommen Nonnen und den alten Hexen.
FAUST
Du hast die Fähigkeit des großen Mannes:
Er will sein Lob aus fremdem Mund nicht hören,
Er ist bescheiden, er will uns erhöhen,
Wird handeln so, als wären alle gleich.
CHIRON
Du scheinst mir sehr geschickt in diesen Sachen,
Wie man dem Volke und dem Fürsten schmeichelt.
FAUST
Doch wenn du heute es gestehen müsstest:
Ich sah den größten aus dem Altertum,
Bereit zu Taten, welche vornehm waren,
Der lebte beinah eines Halbgotts Leben.
Doch unter all den edel-großen Helden,
Wer war der beste von den Helden allen?
CHIRON
Nun, bei den Argonauten ihrer Zeit
War jeder würdig auf die eigne Art.
Und von den Mächten, die sie eingeatmet,
Sie wussten viel, wenn andre scheiterten.
So Kastor hat und Pollux hat gewonnen,
Wenn Jugendreiz und Schönheit wird geehrt.
Bei der Bestimmung schneller Hilfe waren
Die Ersten Calais und sein Bruder Zetes,
Nachdenklich, klug und stark und gut beraten,
Und Jason war des Frauenvolkes Freude.
Dann Orpheus, sanft und immer sinnend brütend,
Die Leier spielend übermächtig schön.
Dann Lynkeus auch mit scharfen Augen, immer
Das Schiff er führt vorbei an Riff und Kliff.
Stets der Gefahr als Brüder konfrontiert,
Wenn etwas man erreicht, wird man gelobt.
FAUST
Von Herakles ist nichts zu sagen? Oder?
CHIRON
Oh wecke nicht in mir die Sehnsuchtsglut!
Nie stellt man fest, wie Phöbus oder Hermes,
Wie herrlich Ares wurde definiert,
Mit meinen eignen Augen sah ich ihn,
Was alle Menschen doch als göttlich loben!
Geborner König er, nichts anderes,
Und eine herrlich-schöne Jugendkraft,
Nachgebend seinem erstgebornen Bruder,
Nachgebend auch der Schönsten aller Frauen.
Der Gäa ist ein zweiter nicht bekannt,
Den Hebe so geführt in Himmelszonen.
Vergeblich singen sie die Lieder ihm,
Vergeblich schnitzen sie den Marmor ihm.
FAUST
Bildhauer haben nie die Form empfangen,
Doch viele Bilder haben sie gebildet.
Du hast gesprochen von dem schönsten Mann,
O bitte, sprich nun von dem schönsten Mädchen!...
CHIRON
Die!… Nein, ich rede nicht von Frauenschönheit,
Sie ist so oft gefrorner Maske ähnlich.
Ich kann nur wahrlich loben die Natur,
Die frei und fließend ist und immer heiter.
Oft ist die Schönheit mit sich selbst zufrieden,
Unwiderstehlich ist der Grazie Anmut,
So wie Helene, die ich einst getragen.
FAUST
Du tugest sie, die herrliche Helene?
CHIRON
Auf diesem Rücken trug ich sie zurück.
FAUST
Fürwahr, ausreichend bin ich aufgeweckt!
Ein solcher Sitz! Er muss mir Freude bringen!
CHIRON
Sie packte an der Mähne mich, wie du.
FAUST
Ich bin besiegt, ah, ich bin überwältigt,
Vollkommen! Sag mir, warum war sie hier?
Sie ist mein Ein-und-Alles, mein Begehren!
Du trugest sie, von woher und wohin?
CHIRON
Ist leicht zu sagen, was du wissen willst.
Zu dieser Zeit die Dioskuren Kastor
Und Pollux haben sie befreit, Helene,
Ihr Schwesterchen, aus einem Nest von Räubern.
Die Räuber kaum sind überwunden worden,
Da haben sie erneut den Mut gewonnen
Und jagten nach der herrlichen Helene.
Die Schwester und die Zwillingsbrüder eilten.
Natürlich wurden sie da aufgehalten
Durch Sümpfe, die da bei Eleusis liegen.
Die Brüder wateten. Und ich schwamm schnell,
Da sprang sie ab und streichelte mir sanft
Die feuchte Mähne, streichelte und dankte,
So süß und klüglich ihre Fähigkeiten,
Sie war charmant! Ihr Lächeln sehr charmant!
Die Jugend, die den alten Mann begeistert!
FAUST
Zehn Jahre jung die liebliche Helene?
CHIRON
Gelehrte Philologen täuschen sich,
Ich sehe aber, dass du auch dich täuschst.
So seltsam ist es mit der Frau der Mythe,
Poeten nehmen sie, uns zu verführen,
Sie kann nicht älter werden, ist nie alt,
In gleiche Form gegossen, stets verlockend,
Verführerisch, ist sie ein jungen Mädchen,
Und also einen alten Mann begeisternd,
Zeit nicht beschränkt die Flüge des Poeten.
FAUST
Du ließt sie, die kein Alter je gefesselt?
Achilles fand auf Pherä einmal sie,
Erhaben über alle Altersgruppen.
Was für ein seltnes Glück war das für ihn,
Trotz Schicksal, ihre Liebe zu gewinnen!
Und red ich von der Stärke meiner Sehnsucht,
Zu ziehn die Form an mich, die einzigartig,
Lebendig, reines Sein, der Gottheit ähnlich,
Noch zart, schon groß, wie sie erhaben ist.
Sie schaute. Heut hab ich zu ihr gesehn,
Die Attraktion, so lieblich wie erwünscht.
Und jetzt ist meine Seele stark gebunden,
Krieg ich sie nicht, dann überleb ich nicht!...
CHIRON
Ach Fremder, du bist hingerissen, Mensch,
Und unter uns Dämonen: Du bist irre!
Doch jetzt dein Schicksal soll sich hier erfüllen,
Wenn auch nur einen Augenblick im Jahr,
Ich nehm die Zeit mir, Manto anzurufen,
Die Tochter Äskulaps, im stillen Beten
Sie zu dem Vater fleht, mehrt seinen Ruhm,
Erleuchtet so den Arzt des Rückenmarks,
Er soll sich um den Tod nicht weiter sorgen.
Sie ist die Liebste mir von den Sibyllen,
Frei von Grimassen, freundlich und voll Großmut.
Willst bleiben du bei ihr, sie hat die Macht,
Zu heilen dich mit Kräutern und mit Wurzeln.
FAUST
Ich brauche keine Heilung von der Ärztin,
Mein Geist ist strahlend und von Kraft erfüllt!
CHIRON
Verachte nicht die Heilkraft einer Quelle!
Wir sind am Ort, jetzt schnell, steig ab vom Pferd!
FAUST
Sag mir, wo über Kiesel läuft das Wasser
In dunkler Nacht. Wohin bin ich gekommen?
CHIRON
Hier Griechenland und Rom dem Kampfe trotzen,
Olympus linker Hand und rechts der Peneus,
Das größte Reich ward hier im Sand verloren,
Ein König fliegt, um Bürger zu gewinnen.
Schau! In der Nähe das berühmte Tempe,
Das ewige, dort unterm Mondscheinhimmel.
MANTO (von innen, träumend.)
Hufe der Pferde ertönen
Hier auf dem heiligen Boden,
Halbgötter kommen zum Tempel!
CHIRON
Sehr richtig, Manto. Nur die Augen öffne!
MANTO (wandelnd)
Gegrüßt! Ich seh, du bist nicht weggeblieben.
CHRON
Und hier dein Tempel ist noch immer da.
MANTO
Du willst noch unermüdlich galoppieren?
CHIRON
Und du, wie immer, friedlich sitzt du da,
Dieweil genieße ich das runde Kreisen.
MANTO
Ich warte, und die Zeit zieht ihre Kreise,
Die ich gefunden bin. Und wer ist der?
CHIRON
Die schattenhafte Nacht hat ihn gewirbelt
In unsre Augen. Er begehrt Helene,
Helene macht ihn irre und verrückt!
Er weiß nicht, wie er es beginnen soll.
Vor allem braucht er deine Heilung, Ärztin.
MANTO
Ich mag, die das Unmögliche begehren.
(Chiron ist schon weit weg.)
Rasch, Mann, und komm, hier wartet Lust auf dich!
Der dunkle Weg führt zu der Jungfrau Kore…
Tief unter dem Olympus hört die Göttin
Geheimnisvolle und verborgne Grüße.
Ich habe Orpheus einst hier eingeschmuggelt.
Nutz deine Chance besser! Schnell! Sei achtsam!
(Sie steigen hinab.)
ZWEITER AKT
(Szene: Im Mittelmeer.)
DIE SIRENEN
Jetzt leicht zu sehen und mit weichen Schritten,
Rund um die Wagen klingeln laut die Räder,
Oft weben wir nur Zeile still um Zeile,
Ist alles klar, und rundum schlängelt es.
Nun kommt zu uns, aktive Nereiden,
Und bringt auch die Doriden mit, inmitten
Steht Galathea, Tochter sie der Mutter,
Die ruht am meisten, so wie ihre Göttin,
Die wahrlich würdig der Unsterblichkeit,
Verlockend auch mit ihrem süßen Charme,
Als Menschlichkeit und reine Weiblichkeit.
DIE DORIDEN (im Chor, auf Delphinen reitend, vorbei an Nereus.)
So leihe uns, o Luna, Licht und Schatten,
Gib Klarheit du der blühendschönen Jugend!
Bezaubernde Genossen sind hier da,
Fürbitte du für sie bei unserm Vater!
(Zu Nereus.)
Hier sind die Knaben, die wir einst gerettet
Aus dem verschlingend offnen Rachen, dann
Wir haben sie in Schilf und Moos gebettet,
Erwärmend wieder sie zu neuem Leben,
Und jetzt mit glühendheißen Küssen sie
Uns wirklich müssen danken, hier und jetzt.
Schau gnädig auf die Knaben, Herr, herab!
NEREUS
Hier gibt es einen zweiten Preis und Schatz,
Ihr zeigt Barmherzigkeit, das macht euch glücklich...
DIE DORIDEN
O Vater, lobe unsere Mission
Und sanktioniere gerne unsre Bitten.
Umfangen wir sie schnell, unsterblich jung
Und froh an jeder ewigjungen Brust!
NEREUS
Seid glücklich mit dem Fang, dem großen Fang,
Und akzeptiert die Knaben hier wie Männer.
Ich kann es nicht gewähren, was ihr bittet,
Zeus-Vater möge es euch möglich machen.
Die Wellen, die sie hieven, die sie schaukeln,
Die lassen keinen Platz mehr für die Liebe.
Wenn also eure Neigung euch verlässt,
So schickt getrost die Knaben an das Land.
DIE DORIDEN
Ach süße Knaben, wie sie lieb uns sind!
Doch leider müssen wir uns wieder trennen.
Wir hofften auf die ewigtreue Liebe,
Die Götter, ach, verbietens und das Schicksal.
DIE KNABEN
Wir sind die tapfern Knaben, die Matrosen,
Ach möchtet ihr uns doch nur weiter halten!
Wir hattens nie so gut als wie bei euch
Und werdens nie auf Erden besser haben.
(Galathea nähert sich auf ihrem Muschel-Wagen.)
NEREUS
Du bist mein Liebling, schönste Galathea!
GALATHEA
O Vater mein im Meere, meine Wonne!
Delphine, still, ich bin vom Schaun ergriffen!
NEREUS
Vergangnes ist bereits Vergangenheit,
In Kreisbewegung immer zyklisch kreisend.
Ach welche Pflege fürs Gefühl des Herzens!
Wenn sie mich mit sich nehmen würde schließlich!
Und doch gibt es hier nur den Einen Blick,
Den Blick, der lange Jahre dauern wird.
THALES
Heil, Heil und Heil! Wie selig ich mich fühle,
Durchbohrt so ganz vom Wahren, Guten, Schönen!
Das alles wurde durch den feuchten Blick,
Die Dinge alle wurden durch das Wasser.
Du Ozean, gib uns das Reich für immer!
Und wenn du nicht bis zu den Wolken reichtest,
So gäb es keine Bäche, die da fließen,
Die Flüsse würden brüllen nicht und schreien,
Die Ströme würden niemals Blasen werfen,
Wo wären dann die Hügel und die Welt?
Des Lebens Frische ists, die du erhältst.
ECHO (Chor der kollektiven Kreise.)
Des Lebens Frische fließt erneut von dir.
NEREUS
So treib dich, Ort, und dreh und ändre dich,
Nicht mehr von Angesicht zu Angesicht,
In Kreisen sich erweitert die Verknüpfung,
Zur Feier passend die Gemeinden weben.
Jedoch den Muschelthron der Galathea,
Ich seh ihn klar, ich seh ihn immer noch,
Er glänzt so wie ein Sternbild durch die Menge,
Ach Menge, die Geliebte unter ihnen!
Obwohl so fern, doch glänzt sie hell und klar,
Ist immer wahr, ist immer in der Nähe.
HOMUNKULUS
In diesem reizevollen Ozean
Ich kann nicht strahlen, hier ist alles schön!
PROTEUS
In diesem lebensvollen Ozean
Sind leuchtende Bewegungen des Lichts,
Sind erste Ringe da in Pracht und Prunk.
NEREUS
Hier in der Menge Herzen welche Rätsel
Doch offenbaren sich vor unsern Augen!
Was schimmert um die Muschel in dem Meer,
Was schimmert hier zu Galatheas Füßen?
Sie werden stark, jetzt sind sie sanft und süß,
Wie vom Impuls der Liebe eingeführt.
THALES
Homunkulus, gezogen dort von Proteus,
Symptome sinds der Herrscherin, der Sehnsucht!
Ich würde Glockenläuten jetzt erwarten,
Er wird sich setzen auf den Glitzerthron,
Er glitzert und er blinkt und geht davon.
DIE SIRENEN
O Feuerwunder, die das Meer verklären!
Nun einer auf dem andern funkelnd ruht!
Es blinkt und flackert und es hellt sich auf,
Nachts glänzen uns die Körperspuren an
Und alles, was mit Flammen nah umgeben.
So preisen wir des großen Eros Regel,
Der große Eros hat das Spiel begonnen!
Den Ozeanen Heil und Heil der Flut!
Die eingekreist jetzt von des Himmels Feuer!
Heil Wasser! Feuer Heil! Und Heil der Luft!
ALLE IM CHOR
Heil sei dem sanften Fluss des Kinderspiels!
Gegrüßt seist du, verborgne Meeresgrotte!
Vier Elemente und die Quintessenz
Von Ewigkeit zu Ewigkeit gefeiert!
DRITTER AKT
(Szene: Vor dem Palast des Menelaos in Sparta.)
(Helene tritt mit dem Chor der gefangenen trojanischen Frauen auf. Panthalis ist Führerin des Chores.)
HELENE
Ich bin Helene, viel geschmäht und viel bewundert,
Ich komme von der Küste, wo wir landeten,
Benetzt noch von der Macht des Schaukelns dieser Wellen,
Von Phrygiens Höhe auf dem hochgewölbten Rücken,
Von Posidaons Gnade und des Ostwinds Macht,
Die uns hierher getragen an der Heimat Küste.
Dort, unter uns, bei seinen tapfersten Soldaten
Der König Menelaos feiert seine Rückkehr.
Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
Das Vater Tyndareus baute, als er heim kam,
Kam von den Steigungen des Hügels der Athene:
Hier, wo mit Klytämnestra, meiner Schwester, ich
Und aufgewachsen mit den Zwillingen und spielte,
Sie mehr als edel sind geschmückt, die Häuser Spartas.
Sei mir gegrüßt, du vielgeehrte Doppeltür!
Einst Menelaos kam zu mir, der Bräutigam,
Er kam zu mir durchs freundlich ladende Portal,
Zu mir, die ward herausgegriffen unter vielen.
So tu dich wieder auf, dass ich vielleicht erfülle
Des Herrn Befehl. Ich sollte das als eine Frau.
So lass mich ein! Und alles sei zurück gelassen,
Das um mich wütet jetzt so voll von Untergang.
Denn da im Licht des Herzens ich verließ den Ort,
Ich suchte auf der Venus Tempel, meine Pflicht,
Stattdessen dort entführte mich ein Räuber Troas'.
Geschehn sind viele Dinge, Männer, weit und breit,
Die gerne man erzählt, wills keiner auch vernehmen,
Wie die Geschichte wuchs, der Mythos ward gesponnen.
CHOR
O wundervolle Dame, nicht verachte
Das Erbe du der Häuser alten Adels!
Das Schicksal hat es dir allein gewährt,
Den Ruhm der Schönheit, über allen thronend.
Des Helden Name klingt ihm laut voraus,
Er schreitet stolz auf seiner Heldenbahn,
Doch beugt er sich, der stolzeste der Männer,
Vor deiner Herrlichkeit in Geist und Form!
HELENE
Genug davon! Ich ward zu meinem Mann gebracht,
Ich bin zu ihm gesendet, jetzt, in seine Stadt:
Was aber ist der Sinn? Ich kann es kaum erraten.
Komm ich als seine Frau? Komm ich als Königin?
Bin ich ein Opfer, für des Fürsten bittre Schmerzen,
Der er der Griechen Unglück lange ausgehalten?
Erobert ich, bin ich Gefangene? Ich weiß nicht.
Es stimmt, die Himmlischen ernennen Ruhm und Schicksal,
Zweideutige und zweifelhafte Wegbegleiter
Der Schönheit, hier zu stehn mit mir an dieser Schwelle,
Bedrohlich-düstere Präsenz an meiner Seite.
Auch in dem hohen Schiff mein Mann nur blickte selten
Mich an und sprach ein Wort, ermutigend die Frau.
Er saß vor mir, als ob er wär voll bösen Denkens,
Kaum hatte er vom Schiffsbug schon begrüßt das Land
In dieser Bucht, die machte des Eurotas Mündung,
Als er zu mir gesprochen, wie die Götter drängten:
„Hier die Soldaten steigen aus in Reihen-Ordnung,
Ich werde führen sie entlang des Meeresufers,
Du aber, du wirst gehen an dem Ufersaum
Des heiligen Eurotas, hell von Apfelgärten,
Die Pferde führe, die im Glanz des Wassers weiden,
Bis deiner schönen Reise wird ein frommes Ende,
Wo Lakedämon, einst ein reiches Erntefeld
Durch strenge Berge, von den Göttern ward erschaffen.
Spaziere durch das hohe Turmhaus dann des Fürsten,
Beschwöre dann die alte Magd in ihrer Lage
Mit ihren Mägden, die ich hab zurückgelassen,
Und lass sie zeigen dir den reichen Schatz des Hauses,
Das, was verlassen hat dein Vater und was ich
Hinzugefügt und angehäuft in Krieg und Frieden.
Du wirst es alles in vollkommner Ordnung finden,
Es ist ein Privileg, dass es ein Fürst soll finden,
Nach seiner Rückkehr in sein Haus Loyalität,
Was er zurück ließ, noch an seinem Platz zu finden,
Kein Sklave hat die Macht, Verändrung zu bewirken.“
CHOR
Lass diesen Schatz, so fest zusammgezogen,
Begeistrung bringen jetzt der Brust, den Augen!
Halsketten hell und Kronen ganz aus Gold,
Die ruhten dunkel dort in stolzer Ruhe.
Jetzt aber geh, behaupte du sie alle,
Sie alle werden reagieren schnell.
Ich lieb, zu sehn die Schönheit konkurrieren
Mit Gold und Perlen und mit Edelsteinen.
HELENE
So wieder kam die strenge Rede meines Herrn:
„Wenn man das in der Reihenfolge untersucht,
Nimm so viel Gaben, wie du denkst, dass du sie brauchst,
Wie viele Schiffe sind erforderlich zum Opfer,
Um zu erfüllen die gewohnten frommen Riten.
Nimm Kessel du und Becken und die runden Schalen,
Das reinste Wasser aus der Heiligkeit der Quelle
In tiefen Urnen, achte, dass du trocknes Holz hast,
Das eilig Feuer fängt, und alles halt bereit,
Nicht zu vergessen auch ein gut geschliffnes Messer,
Das andre alles überlass ich deiner Wahl.“
So sprach er in der gleichen Zeit und drängte mich,
Doch nichts Lebendiges bezeichnend er befahl,
Dass es getötet werde, Götter anzubeten.
Ich aber denke nicht mehr länger drüber nach
Und lasse alles in der Götter guten Händen.
Denn sie erfüllen, was in ihrem Geist zu tun ist,
Ob wir es gut nun oder böse finden mögen,
In jedem Fall die Menschen müssen es ertragen.
Die schwere Axt des Priesters wurde aufgehoben
Oft über den gebeugten Hals des Opfertieres,
Doch konnte er nicht schlachten, denn er ward behindert
Durch Feinde in der Nähe oder Götter-Einspruch.
CHOR
Was könnte dir geschehen? Denk nicht dran!
O Königin, voran, und geh nach innen,
Sei guten Mutes! Gut und Böse sind
Unangekündigt oft den Menschenkindern,
Verkündigt wird es, doch wir glauben nicht,
So Troja ward verbrannt, noch sahn wir nicht
Die Schmach des Tods in unsern Angesichtern.
Sind wir nicht hier, die Freundinnen, die dienen?
Schau auf zur blendend-hellen Himmelssonne,
Schau an die schönsten Blumen auf der Erde,
Wir sind von gleicher Art, die Freudenreichen!
HELENE
Lasst sein es, wie es will. Was immer mich erwartet,
Ich muss doch gehen schnell in dieses Königshaus,
Das lang verlassen, oft ersehnt und fast verloren,
Hier sieht mein Auge es noch mal, ich weiß nicht wie?
Die Füße tragen mich nicht weiter tapfer jetzt,
Bis Stufen übersprungen, die das Kind betrat.
CHOR
O ihr schmerzhaften Gefangen,
Werft nun, o ihr lieben Schwestern,
Eure Schmerzen in die Winde,
Teilt die Freuden eurer Herrin,
Teilt die Freude mit Helene,
Die zurückkehrt, spät am Abend,
In das Heim, zum Herd des Vaters,
Tut mit allem eure Schritte,
Nähert euch als die Entzückten!
Lobt die Heiligkeit der Götter,
Denn sie bringen Glück und Freude,
Bringen Wanderer nach Hause!
Seht, befreit sind die Gefangnen,
Und sie steigen auf mit Flügeln,
Steigen über harte Felsen,
Während alles ist vergeblich,
Die Gefangnen, voller Sehnsucht,
Ausgestreckt sind ihre Arme
Bis an die Gefängnismauern.
Einer hat sie aufgefangen,
Gott, die fern in der Verbannung,
Und vom heißen Sturz von Troja
Trug der Gottherr sie nach Hause,
In das alte, neu geschmückte,
In das Haus des Vaterlandes,
Fort von namenlosen Qualen,
Neu geboren, sich erinnernd
An die heitern Kindheitstage.
PANTHALIS (Führerin des Chores.)
Jetzt lass den Pfad zu deinem freudigen Gesang
Und wende deine Augen zu der offnen Tür!
Was muss ich sehen, Schwestern? Kehrt die Herrin doch
Aufwachend uns sich zu mit angsterfüllten Schritten!
Was ist es, Herrin? Was magst du gesehen haben
In deines Hauses Hallen statt des Friedensgrußes,
Was Zittern dir verursacht? Du kannst nichts verbergen,
Da Schüchternheit auf deiner Stirn geschrieben steht,
Und dein Erstaunen konkurriert mit edlem Zorn.
HELENE (Sie hat die Türen offen gelassen in ihrem Aufruhr.)
Zeus' Tochter wird von keiner dummen Angst gerührt,
Nicht eine leichte Hand des Schreckens sie berührt,
Nein, nur der Horror, dass der Schoß der alten Nacht
Erwacht ist aus dem Chaos und zu Form gestaltet,
Die Wolken, die nach oben schießen und nach außen,
Der Feuer-Rachen lässt die Heldenbrust erbeben.
Die Götter heute hier des Styx bezeichnen so
Den Eingang zu dem Haus mit Schrecken. Gerne würde
Ich wegbegeben mich und gehen wie ein Gast,
Fern dieser oft betretnen, lang ersehnten Schwelle.
Ich hab mich hier zurückgezogen in das Licht,
Ihr werdet mich nicht weiter drängen, wer ihr seid,
Ihr Mächte! Vielmehr denke ich an eine Weihe,
So dass der Herd gereinigt grüßt die Frau des Herrn.
PANTHALIS
O Dame, offenbare deinen Mägden hier,
Die dir zu helfen willig sind: Was ist geschehen?
HELENE
Du wirst es sehen, was ich selbst gesehen habe,
Wenn nicht die alte Nacht es wieder gleich verschluckt,
Die Form von ihr zurück zog in des Herzens Tiefen.
Ich will es zeigen dir in Worten, dass du weißt:
Mit meinen letzten Fragen in dem Kopfe trat ich
Erst in den innern Raum des königlichen Schlosses,
Beeindruckt von der Stille düstrer Korridore,
Kein Ton der Arbeits-Unrast grüßte meine Ohren,
Kein Ton von aufgewandter Mühe, die mein Blick sah,
Und keine Schaffnerin erschien und keine Mägde,
Kein Gruß der Höflichkeit, wie man den Fremden grü0t.
Als ich der Feuerstelle mich aus Stein genähert
Und ihrer Asche, die noch glühte, schaute ich
Ein Weib verschleiert, großer Form, am Boden hockend,
Nicht so wie eine Schlafende, doch in Gedanken.
Ich rief ihr zu, sie solle schaffen, ich befahl es,
Mir schien, sie sei die Schaffnerin, die mein Gemahl
Vielleicht einst angestellt, mit Weitblick, als er ging.
Sie saß noch immer da, geduckt und unbeweglich,
Durch meine Drohung dann gerührt, hob sie den Arm,
Als ob sie mich weg winkte so von Herd und Halle.
Da stellte ich mich neben sie, war wütend, zornig,
Und schritt dahin, wo schön der Thalamos geschmückt
Dicht neben ihr und hoch des Schatzes Kammer.
Die Form sprang auf vom Boden, seltsame Gestalt,
Sie stellte sich mir in den Weg und schaute herrisch,
So groß und hohl und hager, blutig rot der Blick.
Die Form so hässlich, dass geängstigt ward mein Auge,
Doch red ich in den Wind, die Worte selbst ermüden
Bei dem Versuch, die Form zu zaubern, ganz vergeblich.
Du überzeug dich selbst! Sie traut sich an das Licht!
Hier ich bin Herrin, bis der König kommen wird!
O Phöbus, Freund der Schönheit, treib die Ausgeburt
Der Nacht zurück in unterirdische Kavernen!
(Phorkyas erscheint auf der Schwelle zwischen den Türpfosten.)
CHOR
Viel habe ich gelernt, auch wenn die Strähnchen
Sind jugendlich noch über meinen Schläfen.
Viel Schreckensdinge, die ich hab gesehen,
Soldaten-Elend, Trojas Brand und Fall.
Durch Trübsal und durch Staub der Turbulenzen
Der Krieger-Masse hörte ich die Götter
Erschrecklich rufen, hörte auch das Klingeln
Der Zwietrachts-Stimme hin durch Feld und Stadt.
Sie standen immer noch, von Ilion
Die Mauern, doch der rote Schein der Flammen
Bald lief von Nachbarhaus zu Nachbarhaus,
Sich immer mehr verbreitend, hin und her,
Mit Sturmes-Atem in der dunklen Stadt.
Und fliehen sah durch Rauch und Hitze ich
Sie unter lodernd heißen Feuerzungen,
Bang vor der zornigen Präsenz der Götter,
So furchtbar sah ich schreiten diese Mengen
Wie Riesen durch die dichte Finsternis,
Das Feuer nur erleuchtete den Qualm.
So habe ich gesehen die Verwirrung.
Wie, oder hat der Angstgeist mich verbraucht?
Ich werde niemals in der Lage sein,
Zu sagen das, doch bin mir wirklich sicher
Darüber, was ich hier nun sehe: Sie,
Monströse Form, so hässlich meinen Augen,
Mit meiner Hand ich konnte sie berühren,
Der Schreck hielt mich zurück vor der Gefahr.
Welches Kind von Phorkyas bist du?
Ich vergleich dich dieser Sippe.
Bist du eine von den Graien,
Nur ein Zahn und nur ein Auge,
Bist du eine von den Grauen?
Monster! Kannst du das denn wagen,
Neben dieser reinen Schönheit
Dich zu zeigen Phöbus' Augen,
Seine Blicke zu erdulden?
Phöbus ist es nicht gleichgültig,
Der nichts sieht, was hässlich aussieht,
So wie seine lichten Augen
Nie gesehen haben Schatten.
Wir Menschen aber leider sind gezwungen
Durch unglückselig-düsteres Geschick,
Zum unaussprechlich schmerzensreichen Anblick
Der ganz verwerflichen, von Qual verfolgten,
Die provoziert die Freundinnen der Schönheit.
Doch höre du uns zu, wenn du hier mutig
Begegnest uns, so höre diesen Fluch,
Die Drohung höre eines jeden Missbrauchs,
Hör dies vom Munde des verklagten Glücks,
Des Glückes, das die Götter selbst geschaffen!
PHORKYAS (Der transformierte Asmodäus.)
Das Sprichwort ist schon alt, das kündet wahr und edel,
Dass Scham und Schönheit nie zusammen gehen, nie
Verfolgen sie den gleichen Weg auf grüner Erde.
Solch alter Hass mit tiefer Wurzel lebt in beiden,
Wenn sie sich treffen, nur durch Zufall, auf dem Weg.
Die eine wendet sich von der Rivalin ab.
Dann schnell und heftig gehn die beiden Wesen weiter,
Betrübt die Scham die Schönheit spöttisch in dem Geist,
Bis schließlich Dunkelheit des Orkus sie empfängt,
Wenn nicht das Alter schon zuvor gezähmt den Stolz.
Jetzt finde ich dich frech, dich aus dem Ausland kommend,
Von Arroganz erfüllt, so wie die Kraniche,
Laut quaken sie in Reihen oben in den Lüften,
Die lange Wolke sendet ihren Ton nach unten,
Verlockend ruhig Reisende, hinauf zu schauen,
Doch sie verfolgen ihren Weg, er folgt dem seinen,
Und das ist ebenso, wie es bei uns auch ist.
Was dann seid ihr, ihr rasenden Bacchantinnen,
Die wagen es, zu wüten in der Königshalle?
Wer seid ihr denn, vor diesem hohen Hause heulend
So wie ein Rudel Hündinnen in Lunas Schein?
Glaubt ihr, mir wärs verborgen, welcher Art ihr seid?
Ihr in der Schlacht gezeugt, erhoben bei der Schlachtung.
Ihr grübelt, lüstern, ihr Verführer und Verführte,
Aussaugend der Soldaten und der Bürger Kräfte!
Das Publikum zu sehen, diesen Riesen-Schwarm,
Lasst ihr euch nieder wie Heuschrecken auf die Felder.
Ihr seid Verschwenderinnen nur von Andrer Arbeit!
Zerstörerinnen reifender Kultur von Wohlstand!
Besiegt, getauscht, verkauft die Waren auf dem Markt!
HELENE
Wer schändet hier die Dienerinnen ihrer Herrin,
Vermessen reißend an dem wahren Recht der Frau?
Nur ihr ist es gegeben, was auch je das Lob
Macht lobenswert, und zu bestrafen, was da Schuld ist.
Ich bin zufrieden wohl mit allen Leistungen,
Die sie geleistet, als das große Troja stand,
Als Troja fiel in Schutt und Asche. Und desgleichen,
Als wir das Elend unsrer Wanderschaft ertragen
Der Reise, wo oft einer denkt nur an sich selbst,
Hier habe ich erwartet eine frohe Mannschaft.
Der Herr fragt, wie der Sklave dient, nicht, was er ist.
So schweige du, und länger nicht verhöhne sie!
Wenn du das Königshaus bewacht hast auch bis jetzt
Anstatt der Herrin, wie es deine Pflicht gewesen,
Jetzt, da sie selber kommt, da ziehe dich zurück,
Damit nicht Strafe du gerechten Lohnes findest.
PHORKYAS
Disziplinierung ihres Dieners ist das Vorrecht
Der edlen Frau des Königs, die geliebt von Göttern,
Sie hat zurecht verdient vom klugen Maß der Jahre.
Sie räumte auf, sie nahm den Ort von einstmals ein,
Nun wieder hier als Königin, des Hauses Herrin,
Sie lockerte die Zügel, und nun herrscht sie wieder,
So halt den Schatz in deiner Hand und uns mit ihm!
Zunächst verteidige, die ich die Ältere,
Du mich vor diesem Publikum, die sind doch nur
Vor deiner Schwanenschönheit schnatternd fette Gänse!
VIERTER AKT
(Szene: Landschaft, umgeben von reich verzierten Gebäuden aus dem Mittelalter.)
CHORFÜHRERIN
Geschwätzigkeit und Dummheit, typisch für die Frauen!
Sie hängen am Moment, ein Spielball jeder Brise,
Von jedem Augenblick und jedem Leid, nie wissend,
Wie still man leiden muss! Doch eins ist immer sicher,
Zu andern heftig, wenn die andern widersprechen,
Sie lachen, weinen gleichermaßen, freudig, leidend.
Nun still! Und hört, was unsre hochgesinnte Herrin
Hier wird entscheiden für sich selber und für uns.
HELENE
O Pythia, wo bist du? Doch du bist berufen,
Komm aus den Bögen dieser dunklen Burg heraus.
Wenn du von wundersamen Herrn und Helden kommst,
Gib alles mir bekannt, den Sitz zur Rezeption,
Nimm meinen Dank entgegen und so führ mich schnell,
Ich wünsche endlich meine Wanderschaft beendet.
CHORFÜHRERIN
O Königin, vergeblich, schau in jede Richtung,
Die hässliche Gestalt ist fort, sie blieb vielleicht
Dort in dem Rauch, aus dessen Tiefe wir gekommen,
Ich kann nicht sagen wie, so schnell und ohne Trittschall.
Vielleicht ging sie im großen Labyrinth verloren
Von diesen vielen Burgen, wunderbar vereint.
Ich schaue auf und seh den Fürstengruß des Herrn.
Schau, eine Menge, sich bewegend in Bereitschaft.
Daneben Galerien sind und Tür und Fenster
Und Dienerscharen kommen, huschend hin und her,
Sie künden herzlichen Empfang für ihren Gast.
CHOR
Erleichtert ist mein Herz. O siehe dort,
Wie eine Schar von Jugendlichen kommt
Mit festen Schritten würdevoller Ordnung,
Marschieren sie in Reihen. Wer befiehlt
Der Ordnung, wer so schnell hat angeordnet
Die jungen Scharen solcher schönen Rasse?
Was sollte denn am meisten ich bewundern?
Sind es die leichten Schritte voller Anmut,
Der Haare Locken auf den weißen Stirnen,
Die runden Wangen mit dem Rouge des Pfirsichs?
Hinein zu beißen wäre mein Begehr,
Doch bin ich ängstlich, solches zu versuchen,
Ein Fall war ähnlich, und mir graut zu sangen,
Der Mund war plötzlich angefüllt mit Asche!
Aber der Schönste
Ist jetzt gekommen.
Was sie hier tragen?
Stufen zum Throne,
Teppiche, Sessel,
Vorhang und Vordach,
Schmuck von Juwelen,
Über uns winkend
Mit den Girlanden,
Über dem Kopfe
Unserer Herrin,
Sie ist geladen,
Steigt auf den Thronsitz
Herrlichen Adels.
Vorwärts, ihr Schwestern,
Schritte um Schritte,
Festlich geordnet,
Würdig und würdig,
Dreifach gewürdigt,
Wird sie empfangen,
Ist sie gesegnet!
(Was der Chor beschrieben hat, findet statt. Nachdem die Jünglinge und Knaben in langen Prozession hinab gestiegen, erscheint Faust oben an der Spitze der Treppe, in der Tracht der Ritter des Mittelalters, und dann steigt er langsam und mit Würde herab.)
CHORFÜHRERIN (ihn streng beobachtend.)
Wenn in der Tat die Götter nicht, wie oft sie tun,
Geliehn dem Mann die schöne Form für den Moment,
Ehrfürchtig seine Würde ist, er scheint charmant,
Vorübergehend handelnd, was er immer tut,
Es ist erfolgreich, ob mit kämpferischen Männern,
Ob in den Liebeskriegen mit den schönen Weibern.
Fürwahr, er ist mein Favorit, der Wirt der andern,
Den meine Augen schauten an, den hochgelobten.
Ich seh den Fürstengang mit Schritten langsam-vornehm,
Verhaltner Ehrfurcht. Königin, zu ihm dich wende!
FAUST (sich annähernd, ein Mann in Ketten an seiner Seite.)
Nun statt des Friedensgrußes, des gewohnten,
Statt des Empfangs voll Ehrfurcht und Verehrung,
Hier bring ich einen armen Mann in Ketten,
Der er in seines Amtes Pflicht versagte.
Knie nieder hier, so dass die edle Dame
Kann hören gleich die Beichte deiner Sünden.
Der, Königin, der Mann ist auserwählt
Für seinen klaren Blick, für die Vision
Vom hohen Turm von Elfenbein, der schaut
In Himmelsräume, auf der Erde Breite,
Um zu berichten, was sich hier bewegt,
Auf Hügeln ringsumher und in der Burg,
Ob eine Wanderung bewollter Herden,
Ob Krieger, so dass wir die Herde hüten,
Die Krieger greifen an. Doch er versagte:
Sie kam hierher, er hat es nicht berichtet,
Wir nicht empfingen sie, wie sie verdient,
Zur Ehre hohen Gastes. Jetzt verliert er
Sein Leben und sein Blut, es wird vergossen
In dem verdienten Tod! Nur du allein
Kannst ihm vergeben oder ihn bestrafen.
HELENE
Solch großes Werk, wie du erwählt, mir zu verleihen,
Als Richterin, als Herrin auch – doch ich vermute,
Du willst es nur als eine Art von Prüfung, dennoch
Ich übe aus die Pflichten einer Richterin,
Ich will den Angeklagten hören. Sprich, mein Sohn!
LYNKEUS (der Bewohner des Elfenbeinturms)
Lass knieen mich und lass mich schauen an,
O lass mich leben oder lass mich sterben,
Schon bin ich dir geweiht, o Himmelsdame!
Ich warte auf der Morgenröte Kommen,
Den Blick gerichtet auf den Orient,
Da plötzlich tanzt die Sonne bunt im Süden!
Ich, angezogen, anzuschaun das Wunder,
Statt Schlucht und Gipfel, Himmelshöh und Erde,
Ich starre sie nur an, die schönste Wonne!
Mir war das Sehvermögen ja gewährt
So wie dem Luchs, der hoch im Wipfel sitzt,
Jetzt sehe ich in Unentschlossenheit
So wie in einem dunklen und bewölkten Traum.
Was denken? Auch wenn ich mir dieses wünschte?
Turm, Mauer oder ein verschlossnes Tor?
Der Nebel stieg und breitete den Dunst aus,
Da kam die Himmelsgöttin hier im Staat!
Mein Herz ergab ich und mein Auge ihr,
Da sog ich trunken ein das süße Licht,
Die Schönheit war verschleiert, aber ich
Geblendet war allein durch ihren Anblick!
Ich hab das Amt des Wächters, der Posaune,
Jetzt aber droht sie, ach, mich zu zerstören,
Denn Grimm und Zorn sind in der Schönheit Bann!
HELENE
Ich kann bestrafen nicht das Übel, das ich brachte.
Ah wehe mir! Was für ein hartes Schicksal ist es,
Das mich verfolgt, dass überall, wo ich besitze
Die Männerherzen, sie nicht selbst sich geben hin.
Sie stehlen, kämpfen und verführen, immer hetzend,
Halbgötter und Dämonen, Himmlische und Helden,
Sie führten mich auf allen meinen Wanderungen.
Allein hab ich die Welt verwirrt, verwirrt sie doppelt,
Jetzt bring ich dreifach, vierfach nichts als Leid auf Leid.
Nimm diesen Makellosen weg und lass ihn gehen,
Nicht Schande ist es, wenn die Götter einen täuschten.
FAUST
O Herrin, staunend seh ich euch zusammen,
Den Bogenschützen, das geweihte Opfer,
Ich seh den Bogen, ausgeschickte Pfeile,
Ich seh, die ihn verwundeten, die Pfeile,
Jetzt fällt es auch mir auf. Ich hör das Surren
Der Pfeile überquerend jeden Hof.
Wer bin ich? Meine Mauern machst du schwach
Und meine Knechte machst du zu Rebellen.
Schon fürchte ich, dass die Armee gehorcht
De Siegerin, der unbesiegten Herrin.
Was bleibt zu tun? Ich füg mich selbst hinzu!
Ist alles, was ich träume, denn vergeblich?
Nun lieg ich frei und treu zu deinen Füßen,
So lass mich dich als Herrin anerkennen!
Dein Dasein bringt dir Thron und Eigentum.
LYNKEUS
O Herrin, wieder schaue ich voraus,
Der Reiche bittet dich um einen Blick.
Es sieht der Reiche dich, auf einen Blick
Ist er ein Bettler und ein Bettlerkönig.
Wer bin ich jetzt? Und wer war ich dereinst?
Was ist zu wollen? Was ist nun zu tun?
Was nützt den Augen denn die klarste Sicht?
Er wirft sein Auge auf die Macht der Herrin.
Von Osten drängten wir bis an die Grenze,
Und plötzlich ist verschwunden uns der Westen.
So breit wie lang die Völker sind versammelt,
Die Ersten wissen gar nichts von den Letzten.
Der erste Rang geht, steht der nächste schnell,
Des dritten Ranges Speer unübertroffen.
Ein jeder Mann war hier wie hundertfach,
Es starben Tausende, unsäglich alle.
Wir vorn gedrängt, wir stürmten so hinauf,
Wir waren Meister, dann wir waren weg,
Wo ich entschieden, der ich Häuptling heute,
Und morgen ausgeraubt und weggestohlen.
Gesehen haben wir, schnell war der Blick,
Die schönsten Weiber nahmen wir uns mit,
Wir holten alle Ochsen aus dem Stall,
Wir nahmen Pferde, nahmen alle Pferde.
Doch meine Freude war es, zu entdecken
Die seltnen Dinge, die ich sehen konnte,
Und was die andern Menschen fassen konnten,
Das war für mich nichts als nur Stroh und Heu.
Da war ich auf den Spuren eines Schatzes,
Was immer meine scharfen Augen sahen,
In jede tiefe Tasche konnt ich sehen
Und jeder Busen war wie Glas für mich.
Sie waren da wie Haufen Gold für mich,
Die besten Edelsteine konnt ich finden,
Doch jetzt sind es allein nur die Smaragde,
Die sind es wert, den Thronstuhl dir zu schmücken.
So schwanke zwischen Ohren jetzt und Wangen
Die Perle aus dem tiefen Ozean,
Ein Ort, den nicht Rubine aufzusuchen
Es wagen können, die so blass nur sind
Verglichen mit der Rosenwange dein.
So ist der Reichtum, so ist jeder Preis,
Den ich hier setze ein vor deinen Augen,
Ich deinen Füßen gerne unterwerfe
Die Beute aus Gefilden blutbefleckt.
Wie viele Truhen hab ich mitgebracht,
Ich hab dazu auch eherne Schatullen,
So lass mich treulich deinem Wege folgen
Und füllen dir die Kammern deiner Schätze.
Du würdest anders kaum den Thron besteigen,
Wenn alle neigen sich vor dir allein,
Wenn Weisheit sie und Erdenmacht und Reichtum
Empfangen heute nur von deiner Huld.
Das alles hab ich schnell bekommen, wahrlich,
Jetzt aber ist es frei und ganz für dich.
Mich dünkt, sein Wert ist deutlich zu erkennen,
Jetzt ist es alles nicht mehr viel für mich.
Was ich besessen habe, geht vorüber
Wie das von mir gemähte welke Gras.
O gib nur einen lichten Blick mir hin!
Das alles sei der Lohn für deinen Tanz.
FAUST
Entferrn die Haufen, die der Mut gewonnen,
Nimm keine Schuld auf dich und such kein Lob.
Das alles ist schon ihres, was die Burg
In ihrem Schoß versteckt, die Dinge schenkst du
Vergeblich. Geh und staple Schatz auf Schatz
In rechter Reihenfolge. Präsentiere
Die feinste Auswahl unsichtbarer Pracht!
Lass die Gewölbehallen himmlisch glänzen!
Lass deine Toten Paradiese schaffen!
Lass Blumenteppich schnell auf Blumenteppich
Ihr rollen unterm Fuß, so wird sie schreiten
Auf weicher Erde, lass den edlen Blick
Wie Götter blendend fallen auf die Pracht!
LYNKEUS
Ich tu es, wie der Herr befiehlt,
Für Diener ist es nur ein Spielzeug,
Die Regeln der erhabnen Schönheit,
Sie gelten auch in Blut und Geld.
Das ganze Heer ist jetzt gezähmt,
Die Schwerter sind nun wieder stumpf
Nah dieser Form von reinem Gold,
Die Sonne selbst ist blass und kalt
Nah dieses Angesichtes Reichtum,
Sonst alles ist nur leerer Raum.
HELENE (Zu Faust.)
Ich möchte mit dir sprechen, komm zu mir!
Hier neben mich! Der leere Platz lädt ein
Den Herrn, so sicher ist der Ort für mich.
FAUST
Empfange meine Ganzhingabe bitte,
Ich kniee, edle Dame, lass mich küssen
Die Hand, die mich an deine Seite hebt.
Sag, ich sei Mitregent von einem Reich
Von unbekannten Grenzen. Du gewinnst
Dir einen Sklaven, einen Wächter und
Verehrer deiner Huld in Einem Mann.
HELENE
So viele Wunder kann ich sehn und hören,
Ja, mich ergreift ein staunendes Entzücken,
Und da ist viel, das möcht ich gerne wissen.
Und lehre mich wie eure Dichter sprechen,
Mit neuer Rede, so vertraut, doch seltsam.
Ein Ton macht frei den Weg dem nächsten Ton,
Und wenn ein Wort den Ohren Freude gab,
Ein andres kommt, dem ersten gleich zu streicheln.
FAUST
Wenn meiner Dichter Sprache dir gefällt,
Du wirst begeistert sein von ihren Liedern,
Die Herz und Geist vollkommen schön erfüllen.
Doch willst du sicher werden, üben wir,
Die Wechselrede lockt und ruft uns weiter.
HELENE
Wie spricht man so mit dieser schönen Kunst?
FAUST
Es kommt alleine aus der Liebe Brunst!
Man schaut sich um, wer noch voll Liebesglut?
HELENE
Wem noch das Herz brennt voll von heißem Blut?
FAUST
In Gegenwart schaut nur die Geistessonne -
HELENE
Der Augenblick ist Ewigkeit der Wonne!
FAUST
Die Liebe ist uns Schatz und Gold und Land -
HELENE
Die Liebe gibt dem Liebsten ihre Hand.
CHOR
Wer beleidigt die Prinzessin,
Die gewährt dem Burgen-Meister
Eine Show von Freundlichkeiten?
Lasset uns gestehen, wir sind
Im Gefängnis, wie bis heute,
Wie der Fall in großer Schande
Ilions, der bange, stattfand,
Traurig, und die irren Fahrten.
Frauen, Männern gern erfüllend
Ihren Wunsch, sind nichts besondres.
Sie beherrschen Zauberkünste.
Sie verleihn die gleichen Rechte
Einzig mit den goldnen Haaren,
Frauen, die sich schnell ergeben,
Wenn die Möglichkeit sich bietet
Mit den Körper und den Trieben.
Schon, schon sitzt man näher, dichter,
Zueinander hingezogen,
Am in Arm und Knie an Knieen,
Hand in Hand sich zärtlich wiegend,
Auf dem Throne weich gepolstert,
Majestätisch wie die Götter,
In privaten Schwärmereien
Offenbart des Mannes Augen.
FÜNFTER AKT
(Helene, Faust, und ihr Kind Euphorion, im griechischen Kostüm.)
EUPHORION
So hör gesungen nun das Lied der Kindheit,
Denn ihre Freude, sie gehört euch allen,
So seht mich überspringen jetzt die Zeit,
Ich springe in die Herzen meiner Eltern.
HELENE
Erforderlich zwei reine Herzen sind,
Aus Liebe zu der Menschlichkeit zu segnen,
Ein einig Ding zusammen soll es sein,
Sie sollen sein die Heiligkeit der Drei.
FAUST
Was wir gesucht, wird alles nun entdeckt,
So ich bin dein, mein Schatz, und du bist mein,
Wir zwei gebunden aneinander sind,
Das nenne ich das allerschönste Schicksal.
CHOR
Sie sind seit vielen Jahren schon begeistert
An dieses Kindes feuervollem Toben,
Ah, diese Partnerschaft von den Genossen,
Wie solche Schönheit mich so sehr bewegt!
EUPHORION
Lasset mich springen,
Lasset mich Lenz sein!
Hoch in die Lüfte,
Kreisend die Dinge,
Ist mein Verlangen,
Sind meine Triebe.
FAUST
Stürze in Vorsicht!
Stürz in Gefahr nicht,
Solcherlei Stürzen
Harrt auf den Wilden,
Gründe dich sicher,
Lieblicher Knabe!
EUPHORION
Ich kann nicht kleben
Fest an der Erde,
Lasst meine Hände,
Lasst meine Haare,
Lasst meine Kleider,
Alles ist meines.
HELENE
Denke, o denke,
Wem du gehörst doch.
Uns wär es traurig,
Würdest zerstört du,
All deine Arbeit,
Dein, sein und meine.
CHOR
Ach diese Einheit
Wird sich zerstreuen.
HELENE UND FAUST
Ruhe, nur Ruhe,
Bitten die Eltern.
Allzu lebendig
Bist du, gewaltig.
Ländlicher Ruhe
Leb in der Ebne.
EUPHORION
HJ, wenn es das ist, was ihr möchtet, ja,
Ich höre auf, ich halte mich zurück.
(Er windet sich, tanzend, durch den Chor und zieht sie fort mit sich.)
Hier schweben werde ich, ganz leicht
Und voller Leben ist die Schar.
Ist das die schöne Melodie,
Die nach dem Takt gemessen ist?
HELENE
Ja, das ist ordentlich getan.
Die Schönen führe du herauf.
FAUST
Ach wäre es nur erst vorbei!
Denn solche Unterhaltung kann
Mir nicht begeistern die Vernunft.
CHOR (mit Euphorion, flink tanzend und singend, in verschlungenen Reihen.)
Wenn deine Arme gleichermaßen
Charmant du angehoben hast,
Dann deine Lockenhaare blond
Sind aufgelöst und hold verwirrt.
Und wenn mit einem Fuß so leicht
Du überm Grund im Fluge bist,
So dorthin und zurück sogleich,
Dann regne Schritt auf Schritt herab.
Dann ist dein Ziel bereits in Sicht,
Du goldner Knabe, schönstes Kind!
Betört sind alle unsre Herzen,
Sich dir zu einigen gewillt.
(Pause)
EUPHORION
Du bist wie viele
Hüpfende Kitze,
Neuere Spiele,
Wiedergeboren,
Ich bin der Jäger,
Du bist die Beute.
CHOR
Willst du uns fangen?
Ach wir sind eifrig,
Dich zu erhaschen,
Wir sind gespannt schon,
Wann es vorbei ist,
Sich an die Formen
Liebend zu klammern,
Du bist so niedlich!
EUPHORION
Jetzt durch die Täler,
Über die Felsen,
Was ich gewinne,
Sieht aus wie Mühe,
Nur mit Gewalt will
Stark ich gewinnen,
Das ist mir Freude.
HELENE UND FAUST
Wie wild er ist! Und ach, wie stur er ist!
Nur wenig Hoffnung gibt’s auf Mäßigung.
Das ist der Klang des frohen Hörnerblasens,
Das tönt so durch die Wälder und die Felder,
Was für ein Lärm und närrische Verwirrung!
CHOR (eine nach der anderen, in Eile.)
Wie eilig läuft er von uns weg, der Junge!
Verachtet uns! Ist immer voller Spott!
Jetzt zieht er eine von der Menge an,
Das ist die wildeste von allen Frauen.
EUPHORION (zieht ein junges Mädchen an sich.)
Hier ziehe ich die Schelmin eng an mich,
Ganz durchzusetzen meinen höchsten Wunsch,
Denn meine Wonne, mein Begehren ist es,
Ans Herz zu drücken sie voll heißem Feuer,
Zu küssen dreist sie auf den roten Mund,
Dann auszurufen meine große Kraft!
DAS JUNGE MÄDCHEN
Nein, lass mich gehn! Da gibt es eine Kraft,
Beständigkeit des Geistes in dem Körper,
Mein Wille, wie bei dir, wenn ich nicht irre,
Mein Wille sagt: Ich bin nicht leicht zu haben.
Du denkst vielleicht, ich wäre in Gefahr?
Gewalt der Waffen ist es, die du ausübst.
So fange schnell mich, ach du dummer Racker!
Ich spiele gern mit dir dein kleines Spielchen.
(Sie wird zu einer Flamme und leuchtet in der Luft.)
Folg durch die Luft mir,
Folg in der Höhe!
Fang deine Beute,
Flüchtige Beute!
EUPHORION (abschüttelnd die Flammen.)
Felsen sind um mich,
Wälder zu sehen,
Gib die Gefangne,
Ich bin ja jung noch!
Brisen wehn Düfte,
Wellen jetzt brechen,
Töne der Ferne
Hör ich von fern her,
Dort wär ich gerne.
(Er springt weiter auf den Felsen.)
HELENE, FAUST UND DER CHOR
Du möchtest einer Gämse gleichen?
Ach Kind, wir bangen um dein Schicksal!
EUPHORION
Höher und höher
Will ich nun klettern,
Weiter und weiter
Will ich nun sehen,
Hier auf der Insel,
Landschaft des Pelops,
Erde wird Meerflut.
CHOR
Warum nicht hier in Frieden leben
Auf Hügeln und in grünen Wäldchen?
Weinberge werden wir dir suchen
Und Reben schön in ihren Reihen.
Die Reben hoch auf Bergesrücken,
Figuren dort und Äpfel-Gold,
Du bleib in diesem schönen Land,
Du bleibe hier und werde alt!
EUPHORION
Könnt ihr denn stille Tage träumen?
Träumt, was der Träumer träumen kann!
Der Krieg ist aber meine Losung,
Der Sieg! So klingt das Echo schön.
CHOR
Er, der in stiller Zeit des Friedens
Den wilden Krieg sich wünscht herbei,
Bald wird sein Zeuge Bruder Tod,
Und Hoffnung sind und Glück dahin.
EUPHORION
Die dieses Land hat,
Ists auch gefährlich,
Frei sind und mutig,
Schütten ihr Blut aus,
Bringen Bedeutung
Heiligem Opfer,
Keiner erobert
Uns, die wir kämpfen!
CHOR
Schaut oben, wie so hoch er klettert!
Doch scheint er kleiner nicht zu werden,
In seiner Rüstung triumphierend
Er glänzt in Edelstahl und Silber.
EUPHORION
Der, der sich selber nicht bewusst ist
Der hohen Mauer und der Ruhe,
Dem deine dauerhafte Festung
Ist des Soldaten Eisen-Brust.
Und wollt ihr leben unbesiegt,
So schnell bewaffnet in den Kampf,
Zum Kampfe mit dem wahren Feind!
Die Frau ist eine Amazone,
Der junge Knabe ist ein Heros.
CHOR
Heilige Dichtkunst
Klettert gen Himmel!
Schimmernde Sterne
Weit in der Ferne!
Hier ists erreicht schon,
Immer wir hören,
Wo wir gewärtig,
Freude und Wonne!
EUPHORION
Nein, nicht als Knabe ich erscheine,
Die Jugend kommt bewaffnet, siehe,
Im Geiste ist er schon ein Fürst,
Ist einer von den starken, kühnen.
Jetzt gehe ich! Jetzt, siehe da,
Der Weg zum Ruhm strahlt auf für mich.
HELENE UND FAUST
Kaum bist ins Leben du gekommen,
Kaum kamest du zum Tagesschimmer
Und von den Höhen sehnst du dich
Schon nach dem Ort der Schmerzren, scheints.
Sind denn wir beiden nichts für dich,
Ist diese Bindung nur ein Traum?
EUPHORION
Seht ihr denn nicht den Wellendonner?
Durchs Tal die Nymphe Echo ruft,
Die Heere stehn in Sand und Schaum,
So Schar auf Schar in banger Ernte,
Verstehen das Kommando sie,
Es ist der Tod für alle jetzt.
HELENE, FAUST UND DER CHOR
O Horror! Welche Katastrophe!
Ist denn der Tod für dich verordnet?
EUPHORION
Soll ich es sagen aus der Ferne?
Ich werde eure Sorgen teilen.
HELENE,FAUST UND DER CHOR
Schwinge hinweg dich,
Todesgefahr du,
Tödliches Schicksal!
EUPHORION
Ich bin beflügelt,
Werde nicht warten,
Denn ich muss vorwärts,
Lasset mich fliegen!
(Er stürzt sich in die Luft: seine Kleider tragen ihn einen Augenblick, sein Kopf ist erleuchtet und ein Lichtstreifen folgt ihm.)
CHOR
O Ikarus, o Ikarus!
Er ist nicht mehr! Wir seufzen wehe.
(Ein schöner Jugendlicher fällt zu den Füßen der Eltern. Wir sehen eine bekannte Form in der Leiche, aber der physische Teil verschwindet auf einmal, während eine Aureole wie ein Komet in den Himmel steigt. Das Kleid, der Mantel und die Lyra bleiben auf dem Boden.)
HELENE UND FAUST
Auf einmal folgt der Freude
Der bitterlichste Schmerz!
EUPHORION (aus der Tiefe)
O Mutter! Lass mich nicht allein
In der Domäne dunkler Schatten.
(Pause)
CHOR
O lass ihn nicht allein! Gleich, wo du bist,
Wir glauben über dich das Folgende:
Obwohl der Tag uns scheidet nun von dir,
Wird dennoch keine Seele dich vergessen.
Wir wünschen nicht den Bleibenden die Trauer,
Wir singen voller Neid des Toten Schicksal.
Dir gab das allerhellste Licht des Himmels
Die wahren Lieder und den großen Mut.
Geboren wurdest du fürs Erdenschicksal,
Von edlem Stammbaum und von guter Macht,
Als Jugendlicher gingst du in die Irre,
Du wurdest früh schon von uns fortgenommen.
Die Seele sah die Welt in klarer Schau,
Des Herzens Sehnsucht hatte sie verstanden,
Die Glut der Leidenschaft für eine Frau,
So sang die Seele mit der schönsten Kunst.
Unwiderstehlich lief er doch vergebens
Im Netze ohne Disziplin. Er ist
Geschieden von der Welt mit Heftigkeit,
Nach der Gewohnheit und der festen Regel,
Bis endlich, durch das Denken tief geworden,
Du Mut gefunden hast und mehr Gewicht,
Du wolltest Glanz und Gloria gewinnen,
Doch das war nicht dein vorbestimmtes Schicksal.
Ja, wessen Schicksal denn? Die düstre Frage
Lässt, ach, das Schicksal selber ohne Antwort,
Dieweil in Freudentagen unglückselig
Das stumme Blut gerinnt des ganzen Volkes.
Auch neue Lieder wird er wieder singen,
Nicht mehr sich beugen auf die schwarze Erde,
Die Erde wird ihn einmal noch erkennen,
Wie wir, die Weisen, ihn bereits erkannt.
(Eine komplette Pause. Die Musik endet.)
HELENE (Zu Faust.)
Ach, es erweist sich doch das Wort für mich als wahr,
Dass Glück und Schönheit nie für lange sich vereinen.
Der Lebensfaden ist, das Liebesband zerrissen,
Im Schmerz beklagen wirs. Nun muss ich sagen: Abschied,
Umarme mich noch einmal und dann nimmer mehr.
Es ist Persephone, die uns im Tod empfängt.
(Sie umarmt Faust: ihr Körper verschwindet, nur ihr Kleid und Schleier bleiben in seinen Händen.)
DRITTER TEIL
DIE HIMMLISCHEN HEERSCHAREN
Boten, es folgen genug,
Himmlischen Volkes voll Leben,
Fliegen gemütvollen Flug,
Die sie die Sünden vergeben,
Staubwolken lassen sie schweben.
Freundschaft ists, welche sie zeigen
Dem Natürlichen drunten,
Dort in der Schöpfung, der bunten,
Langsam gen Himmel sie steigen.
ASMODÄUS
Ich hab gehört der Dissonanzen Klingeln
Von droben diesen Tag, von all den Schlingeln.
Die kindisch-mädchenhafte Stümperei,
Ganz im Geschmack bigotter Frömmelei!
Sie sehn voll Abscheu stets der Menge Masse
Und sehen als Ruine nur die Rasse.
Das dümmste Kompliment im ganzen Lande
Ist ein Gebet wie eine böse Schande!
Die Dandys kommen, will sie Heuchler heißen,
Die ganze Haufen Seelen uns entreißen
Mit unsern eignen Waffen, niemand schonen
Die Teufel, die verkleideten Dämonen.
An sie verlieren wir die Seelen nackt -
Auf, Faust, erneure deinen Teufelspakt!
DER CHOR DER ENGEL (Rosen streuend)
Rosen, die blendenden,
Balsamen spendenden,
Schwimmenden, Bebenden,
Heimlich Belebenden,
Selig begeistern uns!
Die schon bemeistern uns,
Knospen, sich mühende,
Jugendlich blühende,
Grünliche, rötliche,
Frühlinge, tödliche,
Tragen den Träumenden,
Schlummernden Schäumenden
Durch das Gewimmel gleich
Heim in das Himmelreich!
ASMODÄUS (zu den anderen Teufeln)
Taucht unter wie die Enten in das Nass?
Ist denn der frechen Hölle Brauchtum das?
Steht ihr noch immer hier, verstreut euch stumm?
Nein, kraftvoll seht euch nach den Seelen um!
Ihr meint, mit ein paar Brocken, eitlen Spielen,
Ihr könntet so den Mut der Racker kühlen?
Der Atem schmilzt, es schrumpft der Atemzug.
Jetzt blast ihr wieder? Nein, genug, genug!
Was soll das Sprudeln denn und die Ekstase?
Nein, nicht so wild und wüst! Schließt Mund und Nase!
Die ihr zu heftig auf den Rosen rollt,
Wo ist die Sanftmut, die ihr üben sollt?
Ihr schrumpft nicht nur, ihr brennt, ihr seid verbrannt!
Ihr schwebt in Flammen giftig durch das Land!
Steht nicht so dicht zusammen, drängt euch nicht!
Es schwindet euer Mut schon, ihr Gezücht,
Doch selbst die Teufel müssen hoch erstaunen
Vor diesen Duftendsüßen, Reizendbraunen!
DER CHOR DER ENGEL
Blüten der Fröhlichkeit,
Flammen der Seligkeit,
Liebeslust strahlen sie,
Wonne schön malen sie,
Wie es die Seele mag.
Worte, die wahren,
Himmel, die klaren,
Knaben, die stammeln,
Engel, die sammeln,
Sehen den ewigen Tag!
ASMODÄUS
Verfluchte Schande, nun die Schuppen fallen!
Selbst Satan scheint hier auf den Kopf gefallen!
Die kreiseln hier, in Kurven, voller Schnelle,
Die stürzen ärschlings abwärts in die Hölle!
Ins heiße Bad im Inneren der Erde!
Ich aber fest hier weiter stehen werde.
(Er schlägt nach den schwebenden Rosen.)
Weg mit den Blumensträußen! Die ihr blinkend
Hier flattert, ihr seid doch am Ende stinkend!
Nur weg, ihr Fliegen voller Fluch und Frevel!
Ihr klebt zusammen doch wie Pech und Schwefel!
CHOR DER ENGEL
Das was nicht zu heilen,
Du musst es nicht teilen.
Was innen lässt klagen,
Sollst du nicht ertragen.
Mit Kraft es versenken,
Vom Kurs abzulenken!
Die Liebe, die schnelle,
Führt heim dich zur Quelle!
ASMODÄUS
Mein Kopf und Herz verbrannt, die Leber brennt,
Das Feuer ist des Teufels Element!
Noch schärfer als die Glut der Höllennacht,
Das ist es, was euch Menschen weinen macht,
Der Liebe Pech! Verschmähte und Betrübte,
Die Augen wendet, schaut die Vielgeliebte!
Ich auch! Ich winde mich wie Liebestoren!
Ihr Engel, sind wir nicht dem Krieg verschworen?
Ich bin euch spinnefeind und eurem Wort,
Doch nun hat fremde Macht mein Herz durchbohrt!
Ich möchte gern die lieben Knaben suchen,
Doch was hält mich zurück, euch zu verfluchen?
Und wenn ich mich betören lass von vielen,
Wer wird den Clown dann in der Zukunft spielen?
Die Luftikusse, Schüler, die ich hasse,
Wie gern ich jedes Kindchen nun umfasse!
Ihr süßen Knaben, sagt mir, seid gerecht,
Seid ihr nicht Teil von Luzifers Geschlecht?
Ihr seid so schön! Ich möcht euch küssen! Schnelle!
Es fühlt sich an, das ist die beste Stelle!
Ja, habewn wir uns tausendmal getroffen,
Wie Kater lüstern, was bleibt da zu hoffen?
Die Huld mit jedem Blick erquickt mein Ich,
Kommt näher! Einen Blick nur noch auf mich!
DIE ENGEL
Wir sind ja da, was bangst du in dem Leibe?
Und kannst du uns ertragen, nun, so bleibe!
(Die Engel kommen vorwärts und besetzen den ganzen Raum.)
ASMODÄUS (ins Proszenium)
Sie achten nicht die Geister der Verdammten,
Der alten Magier und Lustentflammten.
Sie Führen Mann und Frauen in die Irre!
Was für ein Elendsglück und ein Gewirre!
Ist das der Liebe Element, das raucht?
Mein ganzer Körper ist in Glut getaucht!
Mein Kopf verbrennt, mein Hauch beginnt zu stinken.
Sie schwimmen hin und her, und sie versinken.
Den Leib bewegen sie mir kluger List,
Der Grabes-Ausduck für euch passend ist.
Ich möcht euch sehen! Lächelt, liebe Leute,
Das wär mir eine Ewigkeit der Freude!
So wie der Minner Wechselblick, so schaut,
Ein Lächeln um den Mund, wie junge Braut,
Den großen Knaben könnt ich ewig lieben,
Nur schau nicht wie ein Priester so durchtrieben.
So zeigt ein wenig Sehnsucht nach dem Akt,
Zeigt euch wie Adam in dem Garten nackt
Statt so im langen Kleide, so exakt.
Sie wenden sich, ich seh sie, ah und oh,
Zu appetitlich dieser Schelme Po!
CHOR DER ENGEL
Ihr liebevollen Flammen,
Jetzt lodert auf zusammen
Und rettet die Entflammten
Und in die Glut Verdammten,
So rettet sie durch Wahrheit,
Durch Güte, Schönheitsklarheit!
Ihr möget sie befreien
Von Krieg und Streitereien
Und führen zum Erbarmen,
Ins ewige Umarmen!
ASMODÄUS (sammelt sich)
Wie geht es mir? Wie Hiob geht’s mir schlecht,
Da alles mich erschreckt in dem Gefecht,
Und doch hab ich gewonnen, ich bin frei,
Nun, da die strenge Prüfung ist vor
Und ich vertrau mir selbst und nicht der Welt,
Nun mein Geschlecht ist herrlich aufgestellt:
Des Teufels Sippe mir erscheint intakt,
Vorüber ist der Liebeszauber nackt:
Erstickt schon sind die heißen Liebesflammen,
Und so verfluche ich euch all zusammen!
CHOR DER ENGEL
Weißglut solls regnen,
Flammen euch segnen,
Seligen Strebens
Ist er voll Lebens,
Kommt, um zu rühmen,
Lobpreis und Hymnen
Singt voller Odem
Über dem Brodem!
(Sie erheben sich und reißen den unsterblichen Teil des Faust hinan.)
ASMODÄUS (blickt ihm nach)
Wie nun? Wohin sie sich gewendet haben?
Sie überraschten mich, die Himmelsknaben!
Sie raubten ihn dem Grab, dem Erdgewimmel,
Mit dem Profit sie eilen in den Himmel:
Gestohlen haben sie den Schatz, ein Fakt,
Der mir die Seele weihte in dem Pakt,
Sie haben ihn entrissen mir mit List!
Wer nun der Advokat des Teufels ist?
Wer gibt mir nun das wohlverdiente Recht?
Ich Alter bin betrogen, das ist schlecht.
Ich habs verdient, dies Elend ohne Zweck,
Beschämend ists, die Seele ist nun weg:
Ich hab es falsch gemacht trotz aller Kraft,
Gemeine Lust, absurde Leidenschaft,
Da schwankte selbst des Teufels Torheit gar,
Und ob Erfahrung in dem Chaos war
Mit allen diesen kindisch-dummen Dingen,
War es Frau Torheit, die mich tat bezwingen?
Frau Weisheit riss ihn fort mit ihren Schwingen!
(Berg-Schluchten, Wald, Felsen, Wüsten. Heilige Eremiten, in aufsteigenden Ebenen aufgeteilt, zwischen den Schluchten sichtbar.)
CHOR UND ECHO
Wälder, sie locken herbei,
Droben die Klippen gefunden,
Wurzeln am Felsboden frei,
Stämme an Stämme gebunden,
Wellen auf Wellen nun spritzen,
Heimliche Höhlen uns schützen,
Schleichen die Löwen im Stillen,
Immer doch freundlich und eilig,
Ehren den heiligen Willen,
Lieb ist Geborgenheit heilig.
PATER ECSTATICUS (schwebend auf und ab)
Ewige Feuer glückseliger Lust,
Glühend vom Opfer der Liebe der Brust,
Schmerzen im Herzen und immerdar träumend,
Gottes Begeisterung, gischtend und schäumend!
Die mich durchbohren, es fliegen die Pfeile,
Lanzen bezwingen mich römisch und stark,
Die mich erschüttert, es hämmert die Keule,
Blitze durchzucken elektrisch mein Mark!
So geht die Nichtigkeit hin in den Fernen,
Unwirklich scheint diese Trugwelt dem Herrn,
Und von den ewigen Blumen, den Sternen
Funkelt der ewigen Liebeslust Kern.
PATER PROFUNDIS (auf niedrigerer Ebene. )
Da dieser Abgrundsfels zu meinen Füßen
Auf unergründlich tiefem Abgrund ruht,
So tausend glitzernd lichte Bäche fließen
Ins Abwärts-Zischen aufgeschäumter Flut,
Wie bei dem heftigen Impuls nach drüben,
Der Baum gen Himmel in die Luft sich regt,
So ist die Allmacht auch von allem Lieben,
Von Liebe wird die ganze Welt gepflegt.
Um mich herum ein tobendes Gebrüll,
Als ob sich Fels und Wälder hier bewegen,
Doch voller Liebe fließt das Wasser still,
Rauscht reichlich fern auf allen seinen Wegen,
Geschickt, die tiefen Täler zu bewässern,
Die Blitze zeigen ihre lichten Kämpfe,
Die dumpfe Atmosphäre muss sich bessern
Und ledig werden ihrer Schwefeldämpfe.
Die Boten sagen uns vom hohen Minnen,
Von dem, was ewig uns so bunt umschwirrt,
Es möge sich entzünden mir im Innen,
Mein Geist jedoch apathisch und verwirrt,
Ich quäl mich selbst in stumpfen Nerven, kranken,
Gefesselt von der Künste Zähnen scharf.
O Gott! Beruhige mir doch die Gedanken
Und bring den Lichtglanz, dessen ich bedarf!
PATER SERAPHICUS (in den mittleren Regionen. )
Was für ein Nebeldunst schwebt dort im Morgen
Hin durch der Pinien wallende Locken?
Kann ich erraten? Was ist dort verborgen?
Scharen von Genien läuten die Glocken.
CHOR DER SELIGEN KNABEN
Sag es, o Väterchen, sag, wo wir wandern,
Sag es uns Kindern, wir lauschen im Schweben,
Fröhlich wir sagen es weiter den andern,
Allen, die weben, und allen, die leben.
PATER SERAPHICUS
Geboren, Knaben, in der Mitternacht,
Geist-Seele halb enthüllt in ihrer Pracht,
Für ihre Eltern, ach, verlorne Gabe,
Doch für die Engel ganz gewisse Habe.
Sie wissen, wer Gefühle liebt, die Frommen,
Ist ihnen nahe, wenn sie zu mir kommen:
Doch von dem Erdenweg und dem Bewegen
Ist nichts an ihnen mehr, ist nur noch Segen!
So kommt in meine Augen, Licht zu spenden,
Ich seh mit euren Augen Seher-Träume,
Will euren Blick als meinen nun verwenden,
Um anzustaunen all die schönen Räume!
(Er nimmt sie in sich auf.)
Da sind Bäume, da sind Klippen,
Wasserströme, Schaum in Runden,
Springt hinab die Felsenlippen,
Kürzt die Pilgerfahrt nach unten.
DIE KNABEN (aus ihm redend.)
Das sind Visionen, im Geiste zu sehen!
Aber hier leider im Düstern und Bittern,
Lässt uns das Bangen und Ängsten erzittern,
Vater der Kinder, lass bitte uns gehen!
PATER SERAPHICUS
Steiget nach oben zur höchsten der Sphären,
Ewig zu wachsen und ewig zu lehren,
Während in reiner und ewiger Weise
Macht euch die göttliche Gegenwart weise.
Geistiges Trankopfer ist es voll Duft,
Ist dort gemischt mit der Freiheit der Luft,
Apokalypse der Liebe, gestaltet,
Seligkeit ist dort in Freuden entfaltet.
CHOR DER KNABEN (kreisend rund um die höchsten Gipfel.)
Die Hände jetzt klingen,
Der Freudenkreis kreist,
Ein Jubeln und Singen,
Gefühle und Geist!
Voll Weisheit beladen,
Nun darfst du vertrauen,
Was sucht Euer Gnaden,
Ihr werdet es schauen!
DIE ENGEL (fliegend in der höchsten Atmosphäre, mit sich führend die Entelechie des Faust.)
Er entkam, das edle Glied
Aus der Geistwelt, dieses Lied
Gottes konnten wir erlösen
Aus dem Todesnetz des Bösen.
Den, der glaubt in seiner Not,
Retten wir vorm zweiten Tod.
Wer in schöner Liebe lebt,
Die von oben zu ihm schwebt,
Trifft das Gottesvolk der Frommen
Voll von Liebe und Willkommen.
DIE JÜNGEREN ENGEL
Jener erhebt sich nun an der Hand
Liebesdurstiger Büßerinnen,
Diese werden den Sieg gewinnen,
Führen ihn in das Freudenland,
Dieser Geist ward von uns gewonnen,
Und der Böse flieht vor den Rosen,
Die Dämonen vor den Madonnen,
Vor den rettenden Makellosen,
Nun die Teufel voll Liebesschmerzen
Haben Höllenangst in den Herzen,
Nun ist Satan hinweg gesendet.
Jubel! Das Werk ist nun vollendet.
EIN VOLLKOMMENER ENGEL
Zu tragen sterbliche Überreste,
Ist schwer zu ertragen beim himmlischen Feste.
Zwar überleben sie die Flammen,
Doch Holz und Stroh wird brechen zusammen.
Einmal im großen Geist der Stärke
Wurden gefügt die Elemente,
Engel spalten nicht die Werke
Aus Leib und Seele am jüngsten Ende,
Diese sind im Innern verbunden.
Aber erlöst von den irdischen Wunden
Ist er in Ewiger Liebe verschwunden.
DIE JÜNGEREN ENGEL
Auf den felsigen Höhen im Licht
Können wir die Gefühle lesen,
Dicht vor der Augen klaren Sicht
Schweben reine geistige Wesen.
Diese Wolken werden verschwinden,
Menschen sehen wir weit und breit,
Heilige Jünglinge wehn in den Winden,
Ganz vom irdischen Staub befreit,
Diese umkreisen die hohen Hügel,
Wieder erfreut von des Frühlings Duft,
Schweben mit hellem blühendem Flügel
In der Höhe der himmlischen Luft.
Lasst sie ewig zusammen sein.
Führt ihn hinan zum einigen Ein,
Zum vollkommenen ewigen Sein!
DIE KNABEN
Freudig empfangen wir ihn als Puppe,
Segensreich wie des Sternes Schnuppe,
Dass wir erreichen, von oben befreit,
Das Unterpfand unsrer Glückseligkeit.
Lasst alle Fäden verloren gehen,
Die ihn wie Spinnennetze umwehen.
Er ist bereits vom Himmel gesegnet:
Er ist der Schönen Liebe begegnet!
DOCTOR MARIANUS (der transformierte Faust, in der höchsten reinsten Zelle.)
Frei ist die Sicht auf der Wolken Gewimmel,
Nun mein Geist getrieben gen Himmel.
Frauen bewegen sich, herrlich zu loben,
Treiben schwebend aufwärts nach oben.
Welche Pracht in Girlanden der Sterne,
Denn es strahlt aus der himmlischen Ferne
Heilig vor meinem trunkenen Sinn:
Maria! Die Himmelskönigin!
(begeistert)
O höchste Königin der Welt!
O lass mich nur im Himmelblauen,
Da breitet sich das Himmelszelt
Dein heiliges Geheimnis schauen!
O dass ich stets voll Staunen bliebe,
Wie rührst du an des Menschen Herz,
Und mit dem Segen deiner Liebe
Die Seele hebe himmelwärts!
Ist unbesiegbar unser Mut
Auf deine Weisung doch hienieden,
Still in den Adern ist das Blut,
Wenn du, o Frau, mit uns zufrieden.
O Jungfrau rein, du schönster Geist,
O Mutter du von höchstem Adel,
O Frau, um die das Weltall kreist,
O Liebesfürstin ohne Tadel!
Und das Fragment der goldnen Wolke
Weht um der Frauen feine Art,
Die Büßerinnen sinds im Volke,
Die schönsten Frauen, sanft und zart,
An deines Mantels Saum sie hangen,
Die Lüfte atmend voller Ruh,
Sie wollen deine Huld erlangen,
O Mutter du, o Jungfrau du,
Es überrascht ja nicht dein Kind,
Zu sehen Frauen, die verführten,
Dir gegenüber steigend sind,
Die uns durch ihre Schwäche rührten,
Sie alle waren schwer zu retten,
Wenn wir nur widerstanden hätten
Der Lustbegier, die uns versklavte!
Gut, dass uns unser Gott nicht strafte!
Wie schnell die Füße sind geführt
Auf glattes Eis durch solche Schönen!
Wer bleibt von Lippen unverführt
Und von des Liebesflüsterns Tönen?
(Die Gottesmutter Maria steigt in den Raum.)
CHOR DER BÜẞERINNEN
O die du aufsteigst in die Höhen,
Ins Reich der Himmel einzugehen,
O Herrin, höre unser Flehen,
Du reine Eine, Ohnegleiche,
Du Gottgeliebte, Gnadenreiche!
MARIA MAGDALENA
Ich beschwör dich bei der süßen
Liebe zu den Füßen, Gott,
Tränen lass wie Balsam fließen
Trotz des Pharisäers Spott,
Ich beschwör dich bei dem Öle,
Welches duftete so süße,
Bei den Locken meiner Seele,
Die getrocknet deine Füße.
DIE SAMARITANISCHE FRAU
Bei dem Land, wo einst gespielt
Jakobs Herde an den Ktrippen,
Bei dem Becher, der gekühlt
Des Messias heiße Lippen,
Ich beschwör dich bei der Quelle
Und dem Lebenswasser klar,
Überquellend, rein und helle,
Durch die Welten immerdar.
MARIA ÄGYPTIACA
Bei Jerusalem, dem Orte,
Wo der Corpus Christi lag,
Bei der Warnung jenen Tag,
Die mich fortstieß von der Pforte,
Ich beschwör dich bei der Buße,
Die ich tat im Wüstenland,
Und beim Wort zu meinem Fuße,
Das ich malte in den Sand.
ALLE DREI
Die du gönnst dein hohes Minnen
Allen schönen Sünderinnen,
Deren Lobpreis ihrer Buße
Legt sich hin vor deinem Fuße,
Steigt gen Himmel aus der Fehle,
Gönne der verlornen Seele,
Die gesündigt, die nicht rein,
Welche härter war als Stein,
Unermessliches Verzeihn!
UNA
O neige, du Gnadenreiche,
Du Reine, du Ohnegleiche,
Du strahlendes Himmelslicht,
Dein heiliges Angesicht,
Voll Barmherzigkeit, ach,
Mit meiner elenden Schmach!
Möge mein ewig Geliebter,
Der nun nicht mehr zu Tode Betrübter,
Dass er singe dir heilige Lieder,
Kommen zu seiner Geliebten wieder!
DIE SELIGEN KNABEN (sich nähernd, schwebend im Kreis.)
Mit den kräftigen Gliedern
Ging er ferne Wege,
Kehrte reich zu uns wieder
Und genoss unsre Pflege.
Wir waren früh entfernt
Von des Irdischen Kreise,
Aber er hat gelernt
Und belehrt uns nun weise.
UNA
Er ist noch sich kaum bewusst
Himmlischer Geister himmlischer Lust,
Kennt kaum das Leben immerdar,
Nähert sich schon der Jungfrauen Schar.
Siehe, wie selig er in der Fülle
Nackt ist ohne irdische Hülle,
Findet wieder die Jugendlichkeit
In dem transparenten Kleid.
Ich will ihm weisen der Weisheit Gesicht,
Dass er sie schaue im ewigen Licht!
DIE GOTTESMUTTER MARIA
Komm, steige du hinan zu Gottes goldner Wolke!
Gewinne Geist für ihn, gewiss, dass er dir folge!
DOCTOR MARIANUS (sich verbeugend, in der Hyperdulie.)
Schaut auf eure Retterin,
All ihr zärtlichen Büßerinnen,
Dankt der Erlöserin gnädigem Sinn,
Dankt und dient ihr mit hohem Minnen!
Möge jeder verklärte Sinn
Sein ihrem ewigen Dienst bereit!
Jungfrau, Mutter, Königin,
Göttin! erweise Barmherzigkeit!
DER MYSTISCHE CHOR
Alle irdischen Schatten
Sind ein Abbild nur.
Der Idee sich zu gatten,
Folgt des Urbilds Spur.
Kommt zur seligen Schau,
Schaut mit dem Seelentriebe:
Lockt uns die ewige Frau
In die göttliche Liebe!