VON TORSTEN SCHWANKE
FRAGMENT
PROLOG
Siehe, das Leben des Menschen dauert einhundert Jahre,
Wenn es hoch kommt, oder auch nur die Hälfte des Lebens,
Immer aber steht uns entgegen das furchtbare Schicksal,
Und der entsetzliche Krieg ist der grausame Vater der Dinge.
Wir erfahren Verwandlungen, ewige Metamorphosen,
Aber immer erfüllt sind unsere Herzen von Schmerzen.
Ist es ein Wunder, dass der Himmel das Liebste genommen?
Auf das schöne Geschlecht war eifersüchtig der Himmel.
ERSTER GESANG
Lasst mich nun öffnen das duftende Buch im Schimmer der Lampe,
Eine Liebesgeschichte, die spielt in dem Vaterland Deutschland.
Das war zur Zeit der Herrschaft der demokratischen Kanzler
Nach dem Weltkrieg und der tyrannischen Herrschaft des Dämons.
Deutschland lebte im Frieden. Das rheinische Bonn war die Hauptstadt.
Damals lebte ein Mann namens Conrad im herrlichen Hamburg,
Der war ein Kleinbürger, nützliches Mitglied der deutschen Gesellschaft.
Michael Paulus war sein einziger Sohn und sein Erbe,
Der war eingetreten in den Stand des Studenten.
Neben dem Sohne zwei Töchter hatte der herrliche Conrad,
Anna die ältere war und Eva die jüngere Schwester.
Ihre Körper waren so süß wie reife Orangen
Und ihr Geist war so rein wie der Schnee in der heiligen Weihnacht.
Jede war einzigartig und von vollkommener Schönheit.
Eva war elegant und hübsch und voll Tugend und Anstand,
Ihr Gesicht wie ein Vollmond, ihre Brauen zwei Bögen,
Ihre charmantes Lächeln wie eine blühende Blume,
Ihre Stimme klang wie die feine Flöte des Hirten,
Ihre Haare wie schwarze Wolken flossen hinunter,
Ihre Haut war so weiß wie Schnee und makellos leuchtend.
Anna war schöner noch, eine Schönheit! Und lieber, charmanter,
Sie übertraf die Schwester in Talenten und Reizen.
Ihre blauen Augen so rein wie die See in dem Herbste,
Ihre Brauen wie die Waage der Göttin der Wahrheit,
Blumen beneideten sie um ihre blühende Schönheit,
Weidenbäume sehnten sich nach der schmeichelnden Sanften.
Unübertroffen ihre Talente wie ihre Schönheit,
Ausgestattet mit Intelligenz und Kenntnis der Sprachen,
War sie brillant in russischer und französischer Dichtkunst,
Sang die Weihnachtslieder so rein wie ein himmlischer Seraph,
Malte Ikonen von der Gottesgebärerin heilig,
Kannte die Rhythmen Afrikas und das Orgelspiel Deutschlands,
Spielte die Zimbel sehr schön und spielte schön die Gitarre,
Selber komponierte sie Lieder zum Spiel der Gitarre,
Herzzerreißende Lyrik über die Leiden der Frauen!
Aber so raffiniert und adelig beide die Schwestern,
Ob sie auch schon im Alter der Heiratsmündigkeit waren,
Blieben sie doch zu Hause hinter den Schleiern der Keuschheit,
Ob auch Bienen und Schmetterlinge flirteten heftig.
ZWEITER GESANG
Wie die Schwalbe ist Jungfrau Primavera so eilig.
Schon kam der Frühling ins Land, die Melodie eines Gottes,
Da das junge grüne Gras zum Horizont strebte.
Weiße Blüten zeigten schon die Magnolienbäume.
Jetzt kam Mariä Verkündigung, die Empfängnis des Wortes,
An dem fünfundzwanzigsten März in der heiligen Kirche.
Gräber wurden gereinigt und Partys gefeiert im Grünen.
Alle Menschen der Christenheit waren begierig zu feiern,
Auch die Schwestern bereiteten sich auf das Fest vor.
Da waren starke und geistige Männer und reizende Frauen,
Da kamen an die Wagen, man zeigte den Schmuck und die Kleider.
Die der Toten gedachten, gingen zum Grab auf den Kirchhof,
Pflanzten Himmelsschlüssel neben den üppigen Efeu.
Langsam sank die purpurne Sonne am westlichen Himmel,
Still die Schwestern und etwas traurig gingen nach Hause.
In der Ferne rauschte die Herrin von Hamburg, die Elbe,
Anna und Eva schauten an des Heidekrauts Purpur,
Langsam sahen sie fließen in die Nordsee die Elbe,
Standen an einer Brücke über die Wasser des Stromes.
In der Nähe der Kirchhof war mit den heiligen Kreuzen
Und den Schutzengeln und den Gottesmüttern mit Kindern.
Ach, die bescheidenen Grashalme waren halb grünlich, halb gelblich.
Warum stieg an dem Fest Mariä Verkündigung Weihrauch
Auf von den Gräbern des Friedhofs im nordischen Hamburg?
Da war das Grab von Friedrich Gottlieb Klopstock, dem Dichter,
Dem Poeten, dem Propheten, seraphischem Sänger,
Einst berühmt für seines unsterblichen Genius Oden,
Viele Dichterjünglinge huldigten ihm als dem Meister,
Aber ach, wie eitel ist doch der Ruhm und der Nachruhm!
Diese himmlisch duftende Blume brach in der Blüte,
Da sein Herz gebrochen hatte die englische Fanny,
Die er schon gesehen als Braut, von Gott ihm gegeben,
Doch das Boot seiner Liebe war zerschellt an dem Ufer,
Seine Lyra zerbrochen und seine Harfe zerschlagen,
Schon war sein Zimmer leer und kalt, die Seele entflohen,
Seines Rosses Iduna Spuren verwischt von dem Efeu.
Aber die treuere Cidli, ach, sie beweinte den Dichter!
Ach! Wie elend und voller Unglück ist doch die Liebe!
Da es dem Dichter nicht verstattet war, hier schon auf Erden
Mit der Geliebten selig zu sein wie im Himmel der Liebe,
Möge sein Gott ihm die Geliebte schenken im Himmel,
Dort, wo Petrarka wird geliebt von der göttlichen Laura!
Hier nun ist das würdige Grab des Dichter-Propheten,
Legen wir eine weiße Rose aufs heilige Grab ihm!
Ob Hyperion sinkt und ob auch Phöbe heraufkommt,
Keiner der Weltmenschen denkt an den Dichter-Propheten,
Keiner der Verseschmiede besucht sein heiliges Grab mehr.
Ach, mit ihrem empfindsamen Herzen, voll von dem Mitleid,
Anna vergoss ihre Tränen über das Schicksal des Dichters:
„Ach! Wie traurig das Schicksal ist der liebenden Seelen!
Ist die Verdammung unser aller gemeinsames Schicksal?
Ist denn grausam und unbarmherzig der ewige Vater?
Gott verjubelt die Jugend und lässt welken die Schönheit!
Denn im Leben spielte die Harfe der Freier der Muse,
Wenn er tot ist, bleibt er ein Engel ohne Geliebte.
Wo sind jetzt, die teilten einst die Freuden der Liebe?
Wo sind jetzt die Bewunderer höchster weiblicher Schönheit?
Keiner der Weltmenschen denkt mehr an die Meister der Minne.
Ach, ich möchte für Klopstock ein Räucherstäbchen entzünden,
Als Beweis für das mystische Treffen hier auf dem Kirchhof.
Möge sein Geist mich segnen aus dem elysischen Garten!“
Leise murmelte Anna Beschwörungen, Tote beschwörend,
Sie verbeugte sich vor dem Grabstein, ging dann von dannen.
In der blassen Dämmerung sah sie Felder voll Unkraut,
Eine sanfte Brise rührte die Fahnen des Schilfrohrs.
Anna nahm ihre Haarspange aus den schwärzlichen Locken,
Ritzte einen Vers in die Rinde der schneeweißen Birke.
Dann fiel sie in einen verzauberten Zustand des Geistes,
Sie stand unbeweglich und benommen am Orte,
Ach, ihr blühendes Antlitz wurde gramvoll verdunkelt,
Eintauchend in gebrochene Trauer und endlose Tränen.
Eva sprach: „Schwester, das ist komisch, Tränen zu weinen
Um die Toten vergangener Zeitalter, sind sie doch selig!“
Anna sprach: „Seit Sapphos Zeiten das Schicksal der Liebe
Und der Liebenden immer war grausam, voll blutiger Tränen!
Diese Idee zu denken, macht mir krank meine Psyche!
Hier liegt Klopstock. Was wird von mir in Ewigkeit bleiben?“
Eva sagte: „Was du gesagt hast, ha, das ist lustig!
Das soll ich hören, dass du dich vergleichst mit dem Seher?
Hier ist die Atmosphäre morbide und schaurig und düster,
Schon sinkt purpurn Hyperion, und noch lang ist der Heimweg.“
Anna sprach: „Für die Elite von begabten Talenten
Bleibt das einzige menschliche Schicksal: Der Leib wird zerfallen,
Asche zu Asche, Staub zu Staub, der Genius aber
Lebt unsterblich in der Ewigkeit englischer Schönheit!
Ich bin glückselig, meine Busenfreundin und Schwester,
Siehe, mir offenbaren wird sich der Genius Klopstocks!“
Auf die Worte gab es noch keine menschliche Antwort,
Als aus dem Nichts ein Wirbelsturm und ein Wettersturm Gottes
Blies in die Blüten und erschütterte mächtig die Bäume,
Da blieb ein Duft und ein Parfüm der Weltseele lieblich.
Fassungslos sahen Anna und Eva die Wege des Windes,
Fußstapfen eines Menschen warten geprägt in die Erde.
Anna und Eva waren erschrocken vor diesem Seraph.
Anna sprach: „Das ist der wahre katholische Glaube,
Dass wir als himmlische Freunde uns treffen im ewigen Leben.
Ohne Angst vor Leben und Sterben sind wir Geschwister.“
Dankbar für die Erscheinung des seraphischen Sängers,
Anna fügte hinzu noch weitere Worte des Lobes.
Voller Inspiration vom Anhauch des Heiligen Geistes
Schrieb sie ein Epitaph in die Rinde der schneeweißen Birke.
DRITTER GESANG
Unentschlossen die beiden, ob zu bleiben oder zu gehen,
Beide Schwestern vernahmen schöne harmonische Lieder.
Siehe, sie sahn einen jugendlichen schönen Gelehrten,
Der hielt lässig den Zügel und ritt langsam des Weges,
Mit sich führend ein Täschchen voll poetischer Bücher,
Neben ihm liefen Straßenknaben mit Jauchzen,
Weiß war sein Tinker-Pony, doch mit bräunlichen Flecken,
Grün war sein Mantel wie Gras und blau wie der heitere Himmel.
Als er die Schwestern erkennen konnte mit blinzelnden Augen,
Stieg er vom Tinker-Pony und trat zu den lieblichen Schönen.
Schön seine eleganten Schuhe schritten im Grünen,
Und die Umwelt funkelte wie ein smaragdener Garten.
Da kam Michael Paulus, den Gelehrten zu grüßen,
Während Eva und Anna sich versteckten im Flieder.
Dieser Jüngling war in der Tat kein Fremder dem Bruder,
Josef war ein Sohn einer gut erzognen Familie,
Ein brillanter Kopf, der Sohn eines Vaters, der reich war,
Ausgestattet mit Wissenschaften und göttlicher Weisheit.
Gut war sein Benehmen und auch sein Antlitz war edel,
Raffiniert genoss er das Leben, großmütig gebend.
Er hatte nahe bei Hamburg gelebt, im herrlichen Harburg,
War mit Michael Paulus in des Gymnasiums Hallen
Fleißig gewesen im Studium aller Dichtkunst der Völker,
Hatte gehört vom Ruhm der Nachbar-Familie, nämlich
Von den zwei Schönheiten, eingeschlossen im Elfenbeinturme.
Aber die Elbe und die Nordsee bewachten die Mädchen,
Heimlich nur durfte er sich sehnen und lieben die beiden.
Es war ein Glück, dass sie sich zufällig trafen in Hamburg,
Einen Chance für ihn, der Frauen Vertraun zu gewinnen.
Schon von weitem Josef sah die Figuren der beiden,
Eine Iris die eine, und eine Nelke die andre.
Anna war eine nationale Schönheit von Deutschland,
Josef war ein Genius in der Weisheit der Völker.
Wie im Zustand langsamen Aufwachens morgens vom Traume,
Wussten die Schwestern nicht, sollten bleiben sie, sollten sie gehen,
Wehmut flößte ihnen ein die Dämmrung des Abends,
Schon war Josef fort, ihm folgten die Augen der Schönen.
Unter der Brücke lief das klare Wasser der Elbe,
Nahe, mit abendlichen Schatten, tanzten die Weiden.
Anna kehrte zurück in ihr jungfräuliches Zimmer,
Schon war Hyperion untergegangen, es läuteten Glocken,
Lunas Sichel lugte heimlich durchs Fenster der Schönen,
Golden kräuselte sich das Wasser der spielenden Elbe,
Bäume beschatteten schwarz den Hof des Hauses des Vaters.
Lila Lavendel duftete neben den östlichen Nachbarn,
Tautropfen sammelten sich in dem Kelch der Magnolienblüte.
Einsam das heilige Antlitz von Jungfrau Luna betrachtend,
Anna war verwirrt und fühlte Angst in der Seele:
Und sie dachte an Sappho und ihr bitteres Ende.
Was für eine Verschwendung ist ein schillerndes städtisches Leben!
Ach und der Jüngling! Was haben wir uns heute getroffen?
Wird dieses Rendezvous wohl enden in heiliger Ehe?
Aus den gemischten Gefühlen ihres Herzens ergoss sich
Eine Ode, die Stimmung widerspiegelnd der Seele.
In dem schimmernden Mondlicht durch den Vorhang des Fensters
Anna lehnte sich an die Fensterbank, schlummerte träumend.
Aus dem Nichts sah sie eine lichte Jungfrau erscheinen,
Fast noch ein Mädchen, eine Makellose voll Anmut.
Das Gesicht und der Leib so weiß wie der Schnee in der Weihnacht,
Ihre Lilienfüße standen nackt auf der Wolke.
Freudig bewegt erhob sich Anna und fragte die Jungfrau:
Bist du die Feenkönigin oder die Jungfrau Maria?
Aber die Jungfrau sagte: Ich bin Sappho von Lesbos.
Anna, du hast ein empfindsames Herz, du dachtest an Sappho,
Dachtest an Phaon, wie Sappho sprang vom leukadischen Felsen.
Ich sang all deine Oden, die du gedichtet, vor Jesus,
Jesus sprach deinen Namen, der steht im Buche des Lebens.
Was wir sehen, ist das Gesetz vor Ursprung und Wirkung.
Wir sind Freundinnen, wir sind Pilger zur himmlischen Zion!
Hier ist ein neues Thema, das dir Jesus gestellt hat,
Bitte schreib eine Oder davon mit der Feder des Schwanes.
So sprach Sappho. Und Anna sagte Ja zu der Jungfrau,
Schrieb mit der Nymphenhand eine sapphische Ode an Venus.
Sappho las die Ode und lobte die Dichterin Anna:
Was für eine außergewöhnliche Poesie diese Ode!
Wird man die Ode singen einst vorm Heiligen Vater
In der Ewigen Roma, erntest du Kränze von Lorbeer!
Dann verschwand die schneeweiße Jungfrau Richtung Kallisto.
Anna wollte immer noch sprechen mit Sappho von Lesbos,
Aber ein plötzlicher Windstoß ließ klappern die Flügel des Fensters,
Anna erwachte und wusste von dem prophetischen Traum noch.
Nun sah sich Anna nach der Jungfrau um, sah aber niemand,
Doch sie spürte noch immer das Parfüm der Erscheinung.
In der später Nacht sich allein herum werfend ruhlos,
Dachte sie voller Angst an die Jahre des kommenden Lebens.
Eine Blume im Wasser oder ein Unkraut im Sturme,
Das wird ihr Schicksal sein, wie sie im Voraus es vorher sah!
Endlose Wellen tiefer Gefühle bedrängten sie heftig,
Und je mehr sie nachdachte, desto mehr flossen Tränen.
Hörend das Schluchzen ihrer Tochter allein in dem Zimmer,
Mutter Maria Theresia wachte auf, und sie fragte:
„Was ist los? Warum spät in der Nacht sich rühren und sorgen?
Siehe, dein Birnenblüten-Antlitz, es schimmert von Tränen!“
Anna sprach: „Dein Kind, o Mammutschka, hat noch getan nichts,
All deine Liebe und Fürsorge dir gerecht zu vergelten.
Als wir heute spazierten, war ich am Grabe von Klopstock,
Und in der Nacht sah ich im Traum die lesbische Sappho.
Was ist das Schicksal einer Frau auf Erden, o Mama?
Sappho gab mir das Thema, ich schrieb die Ode an Venus.
Was ich im Traum gesehen, das hat mir mein Schicksal verkündigt,
Denn mein irdisches Leben wird qualvoll sein wie die Hölle!“
Mutter Maria Theresia sagte: „Träume sind Schäume,
Stammen sie nicht von Gott, so achte nicht auf die Träume.
Wer auf Träume vertraut, erfährt nur Kummer und Schmerzen.“
Anna gehorchte der Mutter und ließ ab von dem Kummer.
Kaum war der Kummer vergangen, ergriff sie die Krankheit der Liebe!
Draußen vorm Fenster schon sangen Lerchen den Lobpreis,
Auf die Mauer flogen die sanften Kätzchen der Weide.
Luna warf ihr schimmerndes Licht auf die weiße Veranda.
Einsamer war als je zuvor die grübelnde Anna.
VIERTER GESANG
Es ist ein gewöhnlicher Weg für Sentimentale,
Wenn sie gefangen in Liebe, kann sie niemand erlösen.
Seit der Rückkehr, nachdem er die beiden Schwestern getroffen,
Josef konnte nicht aufhören, an die Geliebte zu denken.
Da schien die Zeit viel langsamer zu vergehen als jemals,
Ein Tag Liebeskummer entsprach drei ewigen Monden.
Dichte Vorhänge aber verschlossen ihr Fenster wie Wolken.
Josef träumte sich einen Weg zum Haus der Geliebten.
Unter den bleichen Monden, im Licht erlöschender Lampen,
Sehnte er sich, ihr Antlitz zu sehn, ihr am Herzen zu ruhen.
Da war sein Arbeitszimmer eisig kalt wie der Kupfer.
Seine Gitarre lag da, auf dem Steg die lockeren Saiten.
Winde schüttelten sich mit musikalischem Rauschen.
Das Parfüm erinnerte an den Atem der Liebsten,
Ihre Stimme war süß wie im Tee der versüßende Honig.
War nicht vom Schicksal vorherbestimmt die Vereinigung beider?
Warum neckte sie ihn mit ihrer liebreizenden Schönheit?
Wie besessen von Erinnerung an die Geliebte,
Eilte er zu ihrem Treffpunkt, sie wieder zu sehen.
Aber in der Region, die voll war von üppigem Grasgrün,
An der Elbe war die Geliebte nirgends zu sehen.
Seine Traurigkeit wurde erweckt von der Brise des Abends,
Schilfrohr schüttelte leicht sich voll von spöttischer Schwingung.
Ihn bedrängte die Phantasie, die ausufernd freie,
Er beschloss, zum Jungfernstege nach Hamburg zu rasen.
Aber er ging stattdessen zum Vaterhaus der Geliebten.
Doch die Residenz war verschlossen von ragenden Mauern.
Da verlor er die Hoffnung, mit ihr zu kommunizieren.
Schlanke Weiden hängten die Blätter nieder wie Seide,
Eine Amsel flötete spöttisch hoch im Gezweige.
Hinter diesen verschlossenen Toren, verschlossenen Türen,
Jenseits dieses mit Blumen gefüllten Hofes, wo war sie?
Fassungslos stand er lange vorm Vaterhaus der Geliebten,
Aber dann wandt er sich um und sah eine andere Wohnung,
Die gehörte einem Geschäftsmann, der war auf Reisen,
Der war in Amerika, und die Wohnung stand leer nun.
Josef stellte sich vor als Student, um die Wohnung zu mieten.
Gleich zog er ein mit seiner Gitarre und all seinen Büchern.
Um die Mietwohnung standen schöne zärtliche Eschen,
Vor dem Hause war eine Terrasse mit herrlicher Aussicht.
Da war Josef glücklich im Namen der Göttin Fortuna,
Das war ein Ereignis, vorherbestimmt von dem Schicksal!
Halb nur schloss er das Fenster seiner gemieteten Wohnung,
Guckte aber Tag für Tag zu der Mauer im Osten.
Ach, so nahe zu sein, doch ausgeschlossen vom Herzen,
Er sah mit spionierendem Blick den Schatten der Liebsten.
Seit er eingezogen war, schien zweimal der Vollmond,
Er saß da in der seltsamen Wohnung und suchte die Liebe.
Aber an einem heiteren Tage jenseits der Mauer
Eine Grazie huschte unter der Pflaume vorüber.
Josef legte nieder seine Gitarre und eilte,
Da war noch ihr Parfüm, doch war das Mädchen verschwunden,
Er ging entlang der Mauer, die umkreiste das Grundstück,
Da sah er im Pflaumenbaume eine goldene Spange,
Josef griff nach der Spange und nahm sie mit sich nach Hause.
Josef dachte: Was liegt sie hier, die Frauenhaar-Spange?
Diese goldene Spange des Mädchens wär nicht gefallen
Mir in die Hände ohne Vorherbestimmung des Schicksals!
Er saß die ganze Nacht in Betrachtung über die Spange,
Die verströmte noch ein Parfüm von betörendem Moschus.
Eben als Morgens der Tau aufklarte, ward eine Seele
An der Mauer gesehen, wie irre suchend nach etwas.
Josef hatte gewartet auf diesen Moment seines Schicksals,
Er sprach über die Mauer, um in ihr Herz sich zu schmeicheln:
„Ich hab versehentlich jemandes Spange im Garten gefunden.
Wo ist der Bote, um zurückzugeben das Schmuckstück?“
Von der anderen Seite der Mauer klang klar eine Stimme:
„Vielen herzlichen Dank für dein Herz, du herrlicher Bursche,
Zwar nichts wert ist die Spange und bedeutet dir wenig,
Aber dein Gewissen ist rein, du folgst seiner Stimme!“
Josef sagte: „Wir sind seit einige Monaten Nachbarn,
Ich bin ein Bekannter von dir, o Mädchen, kein Fremder.
Freude hatte ich oft an deiner duftenden Spange,
Die vertrieb mir die Leiden meiner psychischen Schmerzen!
Meine Wartezeit hat sich heute ausgezahlt, endlich,
Lass mich dir meine Gefühle erzählen, bitte bleib bei mir!“
Und nun eilte er in die Wohnung und holte hervor zwei
Silberne Ohrringe, beide mit Mondstein, ein Halstuch von Seide.
Mit Geschick dann kletterte über die Mauer er, fiebrig,
Aber von schüchternem und zurückhaltend-ängstlichem Wesen.
Als er genau sie betrachtet, da senkte sie schüchtern die Stirne.
Josef begann den Dialog: „Du, seit wir uns trafen,
War ich krank von geheimem Dürsten und Sehnsüchten, Liebe.
Da ist mein schlanker Körper verwelkt, vergeudet die Kräfte,
Das hat bis heute keiner gedacht, ich könnte verscheiden!
In den letzten Monden war ich ein Tagträumer, müßig,
Nährte meine Liebe auf Kosten der Kraft meines Lebens!
Nun, ich wünschte, ich könnte mir ein wenig erbitten,
Würdest du dich neigen, mir in die Augen zu schauen?“
Voller Staunen und voller Verlegenheit Anna sprach höflich:
„Mein ist eine strenge, patriarchalische Sippe.
Was die ernste Ehe betrifft, das Heiligtum Gottes,
Diese Entscheidung liegt bei meinen heiligen Eltern.
Aber ich danke für dein liebendes, sorgendes Herz, Herr,
Doch ich bin noch zu jung, deiner Bitte Antwort zu geben.“
Josef sprach: „Der Wind bläst heute, der Regen bald schüttet,
Frühlingstage sind nicht immer in Reichweite, Mädchen.
Wenn du mit meiner Liebe nicht einverstanden, dann weh mir,
Wehe, das wird mir weh tun! Aber wird es dir nützen?
Lass uns zuerst doch heute unsre Verlobung versprechen,
Dann auch findest sich wohl ein Fürsprecher bei deinen Eltern.
Wenn aber Gott meine leidenschaftlichen Wünsche missbilligt -
Meine Jugend für deine Liebe will ich riskieren!
Aber wenn du dein Herz verschließt vor meinem Verlangen,
All meine Suche und Arbeit ist nichtig und sinnlos, Geliebte!“
Diese schmeichelnden Worte des Jünglings beruhigten das Ohr ihr,
Auch der Abend des Frühlings ihr rührte die Saiten des Herzens.
Anna sprach: „In der ersten Phase unsrer Bekanntschaft
War es schon schwer, mein Herz zurückzuhalten, mein Lieber.
Ja, ich schätze deine Freundlichkeit, Fürsorge, Sanftmut,
Ich erwidere das, indem ich den Treue-Eid schwöre.“
Ihre Akzeptanz schien rasch zu befreien das Herz ihm,
Er überreichte den Shawl ihr und der Ohrringe Mondstein.
Und er sprach: „Unser eheliches Leben beginnt nun,
Bitte, als Zeichen meines Vertrauens nimm diese Geschenke.“
Sie aber hatte mit sich einen blumigen Fächer,
Den gab sie ihm zusammen mit der goldenen Spange.
Während sie Worte der Treue tauschten, zärtliche Worte,
Gab es einen Tumult von menschlichen Stimmen von ferne.
Schnell wie der Fall von fallenden Blättern und Blüten ging Josef
In sein Haus und Anna zurück in ihr eigenes Zimmer.
FÜNFTER GESANG
Ach die Zeit, da das Gold wird im Feuer der Trübsal geläutert!
Ach, je heißer verliebt, ach, desto tiefer die Trauer!
Diese Elbe, schimmernd wie die Milchstraße droben,
Er an dem einen Ufer und sie an dem anderen Ufer.
Eine Mauer aus Nebel und Schnee verwehrte die Ansicht,
Es war schwer für sie, auszutauschen die Botschaften schriftlich.
Langsam verstrichen windige Tage und mondhelle Nächte.
Ach, die Rose verblasste, als der Frühling vorbei war.
Am Geburtstag der Großmutter Paula, dem neunzigsten Jahre,
Annas Eltern und Bruder und Schwester waren versammelt,
Alle in schicken Kostümen und mit teuren Geschenken
Waren bei Großmutter Paula, um das Glück ihr zu wünschen.
In dem verlassenen Haus allein gelassen war Anna,
Dachte, heute wär eine Chance, den Liebling zu treffen.
Auf dem Tische lagen die Äpfel des Herbstes, ein Kürbis,
Sie aber eilte mit Lilienfüßen zur Mauer des Grundstücks.
Durch die Büsche machte sie hörbar leicht ihre Stimme,
Aber da stand er schon da und war bereit bei den Blumen.
Er sprach: „Du bist kühl zu meiner Begeisterung Weißglut!
Deine Liebe zu mir ist, ach, erfroren im Winter!
Weh mir, das taucht mich ein in heiße Sehnsucht und Kummer,
Weh mir, vor Kummer wird schon grau wie den Alten mein Barthaar.“
Anna sprach: „Der böse Regen trieb mich nach Hause,
Wie auch der blasende Sturm, ich brach das Vertrauen der Eltern,
Aber das ist mein Glück, dass alle sind abwesend heute,
Nun ich komme mit meinem Herzen, um deines zu schätzen.“
Nun sie gingen um einen künstlichen Hügel herum und
Da befand sich am Ende der Mauer im Zaune der Eingang.
Ärmel hochkrempelnd, Josef entriegelt den Garten der Liebe,
Wolken spalteten sich, sie kamen ins Märchenland selig,
Blickten sich gegenseitig die leuchtenden Antlitze an und
Tauschten Worte der Gesundheit und Worte des Glückes.
Schulter an Schulter betraten sie sein Zimmer der Arbeit,
Während sie ihre Gelübde der Liebe tauschten und Treue.
Auf dem Schreibtische lagen Pinsel, Tusche, Gedichte,
An der Wand hing ein Aquarell von knorrigen Kiefern,
Dieses Bild verriet den wirklichen Ausdruck der Schöpfung.
Anna lobte bewundernd die lebhafte Zeichnung von Josef.
Der sprach: „Diese Skizze ist eben erst fertig geworden.
Bitte vermehr ihren Wert, indem du Verse hinzufügst.“
Annas Nymphenhand schrieb so schnell wie Sturmwind und Regen,
Kritzelte hin vier Strophen eines gereimten Gedichtes.
Josef lobte sie: „Anna, deine poetische Gabe
Übertrifft sogar die Dichterinnen Marina und Else.
Hätte nicht mein Leben dem Herrn im Himmel gefallen,
Hätte ich nicht so eine Verlobte wie du bist bekommen.“
Anna sprach: „Mit Einem Blick auf dein klares Gesicht, Schatz,
Konnt ich erkennen, dass du ein Mann von Tugend und Wert bist.
Ich bin ein armes Ding mit einem verdorbenen Schicksal.
Wird der Herr im Himmel zustimmen unserer Liebe?
Ich erinnere mich, als ich noch war in der Kindheit,
Kam ein Physiognom und sah mich an und erklärte:
Dieses Mädchens Quintessenz offenbart sich mir deutlich,
Da ich sehe ein Leben voller genialer Begabung
Leider grausam gefangen in einem tragischen Schicksal.
Josef, wäge dein gutes Los und mein tragisches Schicksal,
Ich bezweifle, dass unsere Liebe endet in Einheit.“
Josef sprach: „Unser Treffen ist vorherbestimmt von dem Schicksal,
Oft der Wille des Menschen besiegt den göttlichen Willen.
Selbst wenn das Schlimmste geschieht mit unserer heiligen Ehe,
Wir riskieren viel, um unser Versprechen zu halten.“
All ihre innersten Herzensgefühle wurden nun deutlich,
Ihre Herzen voll Liebe, voll Gin ihre trunkenen Köpfe.
Kürzer als eine Handbreit ihre glücklichen Tage,
Schon versteckte die Sonne den Spiegel hinter dem Westen.
Ruhelos dachte sie an das Haus ohne Vater und Mutter,
Sie nahm Abschied und ging zu ihrem eigenen Zimmer.
Als sie nach Haus kam, waren die Eltern noch nicht zurück, sie
Waren noch bei dem Geburtstag der heiteren Großmutter Paula.
Hastig senkte Anna den Seidenvorhang der Türe
Und beschleunigte ihre Schritte in Richtung des Gartens.
Phöbe schimmerte silbern auf den gespenstischen Bäumen,
Eine Lampe brannte im Arbeitszimmer von Josef.
Dieser schlief ein und lehnte sich auf die Platte des Tisches,
Dunkles Wachen und helles Schlafen, dies war sein Zustand.
Ihre Schritte unterbrachen den träumenden Schlaf ihm,
In dem Schimmer des Mondes nahte die Blüte des Birnbaums.
So betäubt wie auf dem Höhepunkt einer Ekstase
Dachte Josef an eine Hochzeitsreise gen Süden.
„Trotz der einsamen Nacht (so sagte Anna zu Josef)
Drängte mein Herz mich, voll Verlangen zu dir zu kommen.
Nun, wir sind ganz deutlich erleuchtet von Antlitz zu Antlitz,
Und wer weiß, der morgige Tag wird nichts als ein Traum sein.“
Froh er stürzte hinaus, sie einzuladen ins Zimmer,
Zündete Kerzen an und Räucherstäbchen von Weihrauch.
Schriftlich verfertigten sie einen Bund der ewigen Treue,
Schnitten die Haare sich ab mit einer stählernen Schere,
Dann beim Mond, dem treuen Zeugen der Liebe am Himmel,
Feierlich wiederholten sie den Eid ihrer Treue,
Und sie empfahlen ihre Herzen der himmlischen Mutter,
Einmütig wollten sie sein nun für den Rest ihres Lebens.
SECHSTER GESANG
Nun sie tranken aus gläsernen Kelchen den Wein der Vermischung,
Ihre Düfte vermischten sich, ihre Schatten verschmolzen.
Josef sagte: „Der Wind ist kalt, und durchsichtig Luna,
Jedenfalls fühl ich noch immer ruhlos mein Herz in dem Busen,
Da ich den Jungfernstieg noch nicht betreten als Freier,
Ach, mein Ausharrenmüssen könnte werden zur Frechheit.“
Anna sprach: „Wir sind durch Schicksalsfäden verbunden,
Nur ein Wort gewechselt und schon wir wurden Vertraute.
Ausgenommen unanständige Dinge, mein Lieber,
Alles andere dir zu gewähren ich nimmer bereue.“
„Du kannst gut die Gitarre spielen (redete Josef),
Meine Ohren sehnen sich, deine Musik zu genießen.“
Anna sagte: „Meine bescheidnen Talente sind wertlos,
Aber du hast mich gebeten und darum will ichs gewähren.“
An der Wand hing eine Gitarre, wie eine Geliebte
Weiblicher Rundungen, diese gab nun Josef der Liebsten.
Anna sagte: „Meine unbedeutenden Künste -
Warum bist du so begierig auf diese Begabung?“
Und sie begann, die Saiten der schönen Gitarre zu stimmen,
Stimmte sie in der richtigen Tonhöhe nach dem Gehöre.
Ihre Musik hat die Klagelieder der Neger erneuert,
Wie sie auf Baumwollplantagen sangen für Gott, den Befreier.
Eine andere Melodie war der Blues von der Liebe,
Da erklang, wie Medschnun kniete anbetend vor Layla,
Wie ein Mann war voll Liebe, dass er gebebt hat vor Schmerzen.
Dann sang sie die Trauerballade vom Tode des Knaben,
Ach, und vom Wiedersehen dereinst im seligen Himmel.
Ihre Musik klang wie der Schrei des einsamen Reihers,
Der an dem Teiche gequält wird von den grausamen Möwen.
Langsam klangen die Lieder, wie sanfte Brisen im Frühling,
Oder schnell, wie der Sturm im Herbste donnert vom Himmel.
Und die Lampe wurde dunkel und hell von den Tönen,
Josef saß da und tauchte in taumelnder Traurigkeit Meere,
Manchmal neigte er sein Gesicht in schonende Hände,
Manchmal saß er finster vor Schmerzen, gerunzelter Stirne.
Josef sprach: „Deine Musik ist wirklich wunderschön, Liebe,
Aber wenn ich sie höre, fühl ich mich bodenlos traurig!
Warum wählst du diese Musik voll trauriger Töne,
Die dein Herz deprimieren und betrüben die andern?“
Anna sagte: „Es ist nun einmal mein inneres Wesen,
Traurig oder froh, es ist begnadete Stimmung!
Weiser Josef, ich schätze deine goldenen Worte,
Und ich hoff, meine Schwächen werden sich langsam verringern.“
O wie ihr parfümierter Leib nach Charisma duftet,
Ihre Augen, ihr Lächeln funkelten Feuer der Liebe,
Josef war ein schwankendes Boot auf dem Meer der Begierde,
In sein Kuddelmuddel mischten sich Bitten der Wollust!
Ernst aber sagte Anna: „Spiele nie mit der Liebe,
Lass mich wenigstens sagen, was ich sagen will, Lieber.
So ein Mädchen wie ich ist gar nicht wert deiner Sorge,
Dürfen doch Vögel nicht den Pflaumengarten besuchen!
Aber ich fühl mich geehrt, deine künftige Gattin zu werden,
Also muss ich die Ethik der Keuschheit aufrecht erhalten.
Gutes Benehmen! Ich mag kein Mädchen mit mangelnder Reinheit,
Niemand würde solch ein Mädchen heiraten wollen.
Wir sind nicht temporäre Sexualpartner, Josef,
So wird die Keuschheit meines Leibes nicht gehen verloren.
Lass uns die berühmte Liebesgeschichte nicht wiederholen,
Denn es gab den Dichter Torsten, das Mädchen Karina,
Sexuelle Freuden vor dem goldnen Versprechen,
Übermäßiger Liebesgenuss ermüdete Torsten.
Selbst wenn sie Brust an Busen zusammen lagen im Bette,
Hielt er sie im Herzen für eine törichte Hure.
Ach, da kühlte sich ab die Verbindung eiliger Liebe,
Ihre süße Idylle entpuppt sich als bitteres Elend.
Weil sie seine Begierden nicht zurückwies am Anfang,
Musste sie später in ihrer Schande leben, verachtet.
Bitte dränge mich nicht zu körperlichen Genüssen,
Ich will zur rechten Zeit dir geben, was du benötigst.“
Diese sanfte, aber ernsthafte Rede vernehmend,
Schätzte mehr als je zuvor der Josef die Anna.
Eben war der silberne Mondstrahl verblasst auf den Dächern,
Da kam ein Bote mit einem schwarzumränderten Briefe.
Anna eilte zurück in ihre Kammer des Mädchens,
Josef trat in den Pflaumengarten draußen vorm Hause.
Als er die Tür seiner Wohnung eben öffnete leise,
Brachte der Bote den Trauerbrief von Josefs Familie.
Das war die traurige Nachricht vom Tod seiner Tante Petheda,
Die beerdigt werden sollt auf dem Friedhof von Baltrum,
Einem romantischen Eiland in der südlichen Nordsee,
Auch genannt Dornröschen vom friesischen Archipelagus.
Josefs Mutter rief ihn an die Küste der Nordsee,
Dass er der Tante Petheda die letzte Ehre erweise.
Was für ein Kummer war ihm der Tod der treuen Petheda!
Schnell ging Josef zu Anna in die Kammer des Mädchens
Und erzählte ihr die ganze Trauergeschichte,
Von der Trauer der Mutter und seinem eigenen Kummer.
„Unsere Sache wurde noch nicht ausführlich besprochen,
Unsere Liebe wurde noch nicht der Gesellschaft verkündigt.
Aber unser Eidschwur ist unverändert und wahrhaft,
Niemals wird sich mein Herz durch lange Entfernung verändern!
Jenseits von hundert Kilometern, Momente wie Jahre,
Es ist lange Zeit, bis enden unsere Sorgen.
Bitte, Geliebte, sorge dich um deine Gesundheit,
So nur werde ich mich wohlfühlen dort an der Nordsee.“
Diese Worte zu hören, brachte sie in Verwirrung,
In der unsichern Stimmung sprach sie von ihren Gedanken:
„Hymen Hymenäus! Warum hast du uns beide,
Die die Verschmelzung noch nicht genossen, heute geschieden?
Haben wir beide doch schon den ernsten Eidschwur geschworen,
Unsere Haare verändern sich, aber nie unsre Herzen.
Lange Monde und Jahre will ich warten auf Josef,
Immer weinend allein beim Gedanken an all deinen Kummer.
Ich habe dir die Treue meines Herzens versprochen,
Über den Tod hinaus dir geschworen ewige Treue!
Ja, solange die Elbe existiert und die Nordsee,
Denke daran, zu mir zurück zu kommen, mein Liebling!“
Wie sie verbunden waren, vermochten sich gar nicht zu trennen!
Während die Sonne direkt erschien an der Ecke des Hauses,
Jeder Schritt des Abschieds verlieh unsägliche Schmerzen,
Jedes Wort des Abschieds erstickte in strömenden Tränen!
Josef trug seiner Tasche zu dem Eisenbahn-Bahnhof,
Aus dem Zuge sah er zurück auf die fliehende Landschaft.
Elstern krächzten auf Tannen, Möwen schrieen am Himmel.
Sie hatte sich zurückgezogen aus der Gesellschaft,
Er war belastet von schweren Lasten des Kummers der Liebe.
SIEBENTER GESANG
Anna stand gelehnt an die Tür, die schaute gen Osten,
Aber ihre Seele war umschlungen von Ketten des Kummers.
Durch das Fenster sah sie die schwarzen wirbelnden Wolken,
Blass war sie wie kranke Lilien, traurig wie Weiden,
Seelenlos ging sie wieder ins Innre des Hauses.
Während die Familie kam vom Geburtstag der heiligen Oma,
Hatten sie sich kaum gegrüßt mit dem Gruße des Frriedens,
Sahen sie überall Polizisten rings um die Wohnung.
Manche hatten Pistolen, andere Schlagstöcke, grimmig
Sahen sie aus wie eine Schar von finstern okkulten Dämonen,
Handschellen legten sie an dem Konrad, dem Michael Paul auch,
Deren Wutgebrüll erfüllte das Haus wie mit Donner,
Dass Maria Theresia, Eva und Anna erschraken.
Da ward mitgenommen die Büchersammlung des Vaters
Und die Aktenordner, die waren gesammelt im Keller,
Einzelne Polizisten ergriffen die Sammlung von Eulen.
Da ward die Anklage aufgesetzt, der Vater beschuldigt,
Konspiriert zu haben mit kommunistischen Russen.
Wer aber war der Fallensteller, wer der Verleumder?
Dieses fragten sie alle und sie bekamen die Antwort:
Der Verkläger war ein Schurke, ein Lehrer der Schule.
Die Familie war entsetzt und war wie bezaubert,
Ihre strömenden Tränen verwischten die Wolken am Himmel,
Ihre Schreie ließen donnernd erbeben die Erde.
Aber sie flehten den ganzen Tag um Gnade des Richters,
Aber vor tauben Ohren, sie hörten gespaltene Zungen.
Konrad und Michael Paul waren eingesperrt im Gefängnis,
Diese Isolation zerbricht auch die härtesten Felsen.
Anna besah das alles und spürte herzliche Schmerzen.
Alles Lüge! Sie konnte sich nur beim Himmel beklagen,
Da es eine Gewohnheit war von Amt und Behörde,
Sich mit des Mammon Seligmacher bestechen zu lassen.
„Was kann ich aber tun, um Vater und Bruder zu retten?
In dem äußersten Notfall muss ich sie heimlich befreien.
Ach meine Liebe zum jungen Josef, die Ehre des Vaters,
Leidenschaft oder Pietät, was ist hier geboten?
Ich muss ablassen von dem Gelübde meiner Verlobung,
Ich bin ja meinem Erzeuger ewig zum Danke verpflichtet.“
Also traf sie entschlossen ihre feste Entscheidung:
„Ich verkaufe mich für die Kaution, die befreit meinen Vater.“
Da war Herr Krug, ein alter Funktionär der Behörde,
Der war ein Polizist, war aber ein freundlicher Alter.
Angesichts ihrer kindlichen Dankbarkeit, kindlichen Liebe
Er empfand für die schöne Anna ein heimliches Mitleid.
Nun, die Zahlung der Kaution und von Geld zur Bestechung,
Zehntausend deutsche Mark, und alle wären befriedigt.
Er erzählte es ihr, dieweil der Rest ihrer Sippe
War vorübergehend in Untersuchungshaft-Zellen,
Bis die erforderte Summe kommt in den kommenden Tagen.
Ach wie schade für sie, ein junges Mädchen voll Einfalt,
Sancta Simplicita, plötzlich in das Unglück verwickelt!
Ihres Herzens Schmerz war ein Leben fern der Familie,
Aber sie bereute nicht ihr Leben, nicht ihre Liebe.
Regentropfen, ohne Rücksicht aufs zornige Schicksal,
Opferte selbst sie ihr Leben, um den Vater zu retten.
Sie gab eine Annonce auf in den Nachrichten Hamburgs,
Dass sie sich selbst verkaufe gegen Geld in die Ehe,
Diese Annonce löste Klatsch aus nahe und ferne.
Da war in Bremen eine alte Mutter, Luise,
Eine Millionen-Erbin, die glaubt an die Göttin der Katzen,
Diese schickte ihren missratenen Sohn, um zu freien.
Detlef hieß er, ein Terrorist, Student der Geschichte,
Der war aus Bremen, Mitglied maoistischer Zelle,
Vierzig Jahre alt und immer noch Schüler der Uni,
Glatt rasiert sein blasses Gesicht, rasiert seine Glatze,
Der, gefolgt von Rüpeln, Anarchisten und Gammlern,
Kam mit den zwanzigtausend deutschen Mark seiner Mutter,
Setzte sich breitbeinig auf den Stuhl hin, ohne Manieren,
Während das asoziale Pack ward vom Bullen vertrieben.
Mürrisch gestresst von der Trauer von Vater und Bruder,
Jeder Schritt auf dem Boden strahlte Ströme von Tränen,
Da die Rauheit des Lebens ward erschüttert von Ängsten,
Anna stand da mit Blumen, sich im Spiegel betrachtend.
Alle lobten ihr Angesicht, lobten die zärtlichen Finger,
Wie eine violette Aster ihre traurige Aura
Und die schlanke Gestalt dem Aprikosenzweig ähnlich.
Ihre Schönheit, ihre Talente wurden erwogen,
Dass sie gut die Gitarre spielte, das Trommeln beherrschte.
Jeder ihrer Züge verströmte Anmut und Zauber,
Gut gefallend. Detlef hat den Handel beschlossen,
Sprach: „Ich steh auf dem Jungfraunstege, begehre die Perle.
Sagt mir, wie hoch der Preis ist für die Gabe der Hochzeit.“
Und man sagte ihm: Unbezahlbar ist die Geliebte,
Aber wegen dem Missgeschick ihrer Familie bezahlbar.
Detlef feilschte wie ein Türke auf dem Basare,
Bis er zehntausend deutsche Mark für Anna bezahlte.
Er gab das restliche Geld der maoistischen Zelle.
Detlef und Anna wurden Braut und Bräutigam also,
Schon ward das Datum festgelegt für die staatliche Hochzeit,
Denn mit Geld ist alles zu kaufen, auch eine Geliebte.
Worte wurden zum Polizisten Krug nun gesendet,
Für die Freilassung Konrads vorübergehend zu bürgen.
Krug hatte Mitleid mit dem alten Vater im Kerker,
Krug hatte Mitleid mit der naiven Tochter des Vaters.
Konrad aber sah Anna an mit gebrochenem Herzen:
„Ich erlasse es dir. Ich hab eine andre Erwartung.
Du sollst einst einen würdigen Gatten haben zur Ehe.
O du launisches Schicksal! Warum bringst du nur Unglück,
Ungerechtigkeit, unsre Familie so zu zerbrechen!
Muss ich sterben, so fürchte ich keine Strafe der Hölle,
Aber leiden muss ich, wenn man weh tut der Tochter.
Früher oder später sicherlich jeder muss sterben,
Lieber bring ich mich um, als solche Qual zu ertragen!“
Tränen flossen über und über nach seiner Beschwerde,
Er riskierte sein Leben und schlug den Kopf an die Mauer.
Alle beeilten sich, ihn zu beobachten, ihn zu bewachen,
Und versuchten, ihn zu beruhigen, gütig zu trösten.
„Vater, ein Taugenichts und ein Luftikus ist deine Tochter,
Ich bin so gar nicht von deinen Vatergaben begnadigt.
Ich bin so sündig wie Margot, zu Haus im Bordelle,
Ich bin Magdalena gleich, der Sünderin Gottes.
Du in deinem Alter bist ein Lebensbaum, Vater,
Du musst viele Zweige tragen und Blätter und Blüten.
Wenn du in deiner Liebe nicht zulässt, dass ich nun scheide,
Wird der Wettersturm unsre Familie gewaltsam zerschmettern.
Es ist doch besser, dass mein Leben werde geopfert,
Grün bleibt der Lebensbaum, ist auch die Blüte gefallen.
Was auch immer mein Schicksal sein soll, lass es geschehen,
So als wäre ich schon als Kind eine Tote gewesen.
Tauche nicht deinen Geist in sinnlosen Kummer und Jammer,
Das führt nur zu psychischer Krankheit, zum Elend des Lebens.“
Diese vernünftigen Worte beruhigten ihm seine Ohren,
Vater und Tochter sahen sich an durch den Schleier von Tränen.
Zu der Zeit war Detlef, der Student, grad gekommen,
Unterschrieb den Vertrag und überreichte die Gelder.
Ach wie böse ist Hymen doch, der Götze der Ehe,
Eine solche satanische Ehe im Pakt zu vereinen!
Wenn man nur Geld in der Hand hat und im Überfluss Mammon,
Kann man Schwarz aus Weiß machen und aus Bitterem Süßes!
Durch die Hilfsbereitschaft des alten Krug in dem Amte
Ward die Bestechung angenommen, die Akte geschlossen.
ACHTER GESANG
Nun der Familienkummer war für Momente verschwunden,
Aber die Hochzeit eilte herbei mit erneuertem Kummer.
Einsam in der Nacht im Schein der Lampe des Zimmers,
War ihr Kleid von Tränen nass und die Haare verworren.
„Schicksal! Ich resigniere, was auch immer geschehe!
Es ist schade für Josef, der so beharrlich und treu ist!
Seine Mühe, mein Herz zu gewinnen, war so gewaltig,
Weil ich nun Ja gesagt, ist er in großem Dilemma.
Unsere Becher Ehe-Wein sind noch nicht getrunken,
Doch ich breche den Eid und widersprech dem Versprechen!
Jetzt am fernen Horizont, dort an der Mordsee, der Nordsee,
Hält er vielleicht die Trennung von mir für Irrtum und Fehltritt.
Viele Gelübde legten wir ab für die himmlische Hochzeit,
Diese Liebe ist jetzt beendet, und nichts ist geblieben.
Ach, wenn es gibt die Wiedergeburt im kommenden Leben,
Werde ich Josefs Hündin und werde ihm treu sein als Schoßhund.
Wenn ich die Schulden der Liebe nicht dem Gläubiger zahle,
Nehme ich meine Schulden mit in das Fegfeuer droben.“
Anna war vertieft in ihren tragischen Kummer,
Als die Lampe erlöschte, ist sie weinend entschlummert.
Ihre Schwester Eva erwachte am Morgen vom Schlumnmer,
Machte das Licht wieder an und fragte voll Liebe die Schwester:
„Schatz, die Pläne des Himmels ändern sich und sind verwickelt,
Du allein musst die Ungerechtigkeit tragen als Opfer.
Ist das der Grund, warum du so lange wach bist geblieben?
Oder lebt da ein andres Geheimnis tief dir im Herzen?“
Anna gab Antwort: „Das mein Herze schluchzt, das ist die Wahrheit,
Ich bin in unvollendeter Liebe noch immer verworren.
Schändlich ist es, preiszugeben intime Vertrautheit,
Heimliche Liebe im Herzen ist Untreue an dem Gemahle.
Eva, ich flehe dich an um Hilfe! Hör meine Rede!
Bitte setz dich. Ich knie vor dir, bevor ich beginne.
Meine Liebesbande mit Josef sind halb schon zerrissen.
Jetzt bist du an der Reihe, diese Fetzen zu flicken.
Seit ich ihn getroffen, den schönen Gelehrten, den Josef,
Haben wir täglich Begierden vertauscht und Verheißungen nächtlich.
Dann sind aber geschehen plötzlich die häuslichen Stürme
Und ich vermochte weder Liebe noch Pflicht zu erfüllen.
Eva, du bist noch jung, noch dauern dir Reize des Frühlings,
Hab doch Mitleid mit deiner Busenfreundin und Schwester,
Hilf mir, meine Gelübde der Liebe treu zu erfüllen!
Ich muss sterben! Meine Gebeine werden zerstrümmert,
Meine Seele, die parfümierte, wird lächeln im Hades!
Hier ist die goldene Haarspange, hier das Papier der Verlobung,
Bitte bewahr sie als Andenken an verliebte Personen.
Eines Tages, wenn er und du verheiratet seid, dann
Wirst du deine geschiedene Schwester gewiss nicht vergessen.
Wenn ich auch fort bin, bleibt mein Besitz zurück doch auf Erden,
Meine Gitarre und der Eid-Duft unserer Tage.
Dann in der Zukunft, wenn du willst, verbrenne den Weihrauch,
Dann nimm meine Gitarre und fang an, Lieder zu spielen.
Schaust du hinaus, dann siehst du das Gras, die Blätter und Blüten,
Du wirst fühlen, dass ich zurück bin im zärtlichen Windhauch.
Meine Seele ist immer noch durch das Gelübde gebunden,
Ich riskiere alles für meine ewige Liebe.
Bin ich aber stumm und abwesend, Schatte im Hades,
Opfere Brot und Wein für meine verurteilte Seele!
Jetzt ist die Spange gebrochen und die Vase zerschmettert,
Dennoch bleibt meine Liebe zu Josef immer lebendig!
Bitte übermittle ihm meine Worte der Reue,
Dass nun unsere Liebe unterbrochen vom Schicksal.
Warum ist nun so bleich wie Kalk mein unglückliches Schicksal?
Unter eisigem Wasser ich eine gestorbene Blume.
Josef, mein Schatz! O Josef, mein ewig innig Geliebter!
Heute muss ich dich verraten, mein treuer Geliebter!“
Als sie schwieg, da fiel sie bewusstlos nieder in Ohnmacht,
Atemlos ihre Nase, ihre Arme wie Kupfer.
Konrad und Maria Theresia wachten vom Schlaf auf
Und so gleich war das Haus beschäftigt mit weltlichem Treiben,
Alle kümmerten sich um Anna, die da lag in Schwachheit.
Kaum erholte sie sich von der Ohnmacht, da weinte sie wieder.
Konrad sagte: „Wie kommt mir vor diese seltsame Sache?“
Anna schluchzte wieder und konnte kein Wörtchen mehr sagen.
Eva flüsterte da in die Ohren des ratlosen Vaters:
„Das Problem ist die Haarspange und das Papier der Verlobung.“
„Ich verstehe (sagte er), ich ruiniere die Liebe,
Aber Eva wird gut machen diese gescheiterte Sache.
Was denn machte plötzlich kaputt das Liebesglück Annas?
Wer treibt sie in ein elendes Leben von Disteln und Nesseln?
Was sie empfuhlen, wird ausgeführt, der Stein ist zerbrochen,
Aber ich werde nicht widersprechen den Worten der Tochter.“
Anna verneigte sich vor dem Vater und sagte dann höflich:
„So wirst du mir helfen, meinen Plan zu erfüllen.
Jetzt ist mir das Schicksal egal meines liebenden Sklaven,
Selbst der Tod in der Fremde kann mich nicht mehr erschrecken.“
Während sie waren in grenzenlosen Kummer versunken,
Klang die Angelus-Glocke der Sankt-Josefs-Kapelle.
Schon war der Wagen draußen angekommen und hupte.
Da erklangen Gitarren und drängten zur schmerzlichen Trennung.
Herzschmerz hatten die Toten und die, die blieben auf Erden,
Tränen der Trennung höhlten aus die härtesten Steine.
Finstere Wolken überschatteten drohend den Himmel,
Traurige Gräser waren beschmutzt und das Laub war befeuchtet.
Zu der Herberge in Sankt Pauli ward sie gefahren,
Wo sie ganz allein blieb hinter verschlossenen Türen.
Schmerz und Scham übewrwältigte sie und quälte das Mädchen,
Voller Bitterkeit, voller Selbstmitleid dachte die Arme:
„Ach, der Elfen Edelstein fällt in die Hände des Bastards!
Ganz vergeblich ward sein Glanz bewahrt vor dem Regen.
Hätt ich gewusst, dass mein Schicksal in diesem Herbst mir begegnet,
Lieber gäb ich dem Josef meine jungfräuliche Keuschheit!
Hab ich meine Jungfräulichkeit denn bewahrt für den Bösen?
Soll ich Josef verletzen und ihm zufügen Schmerzen?
Wenn wir uns zufällig wieder treffen irgendwo morgen,
Soll ich ihm begegnen in diesem besudelten Körper?
So hinaus getrieben in diese Menge der Sünder,
Warum muss ich weiter leben dies elende Leben?“
Dort auf dem kleinen Tisch von Eichenholz sah sie ein Messer,
Stahl aus Solingen, dass sie nahm und tat in die Tasche,
Nur für den Fall, dass sie in eine Sackgasse komme,
Dann benutzte sie es, ein Ende zu machen dem Leiden.
Ach, die Herbstnacht ward von Sekunde zu Sekunde gemeiner,
Anna schwebte im Zustand des Traumes, bis sie erwachte.
NEUNTER GESANG
Nichts, was sie von ihrem künftigen Ehemann wusste,
Dieser Detlef war ein erfahrner erotischer Playboy.
In der Ausschweifung war er gestürzt, hatte Unglück erfahren,
Als ein Mädchen-Experte lebte er mit einer Hure.
Und dort regierte im Puff die alte Puffmutter Aphra,
Die war selbst eine alte und schrecklich faulige Hure.
Zufällig, ohne Absprache, hatten sich beide getroffen,
Trug mit Trug, sie bildeten eine Verbrechergemeinschaft.
Und sie kooperierten, die Hurenhöhle zu leiten,
Reibungslos liefen die Jahre ihre Sündengeschäfte.
Überall in der Welt sie suchten nach reizenden Mädchen,
Menschenhändler brachten sie von Afrika, Thailand,
Diese wurden mit Gewalt unterrichtet in Künsten des Sexus.
Böses oder Gutes bestimmt das launische Schicksal.
Und ein Los des Schicksals war nun auf Anna gefallen,
Ach, wie erbärmlich war das keusche liebliche Mädchen!
Eine Lilie, verkauft in ein Boot von Händlern von Menschen,
Armes Opfer, gefangen in seines Fleisches Gefängnis,
Billige Heiratsgeschenke bekommend, das Datum der Hochzeit.
Heimlicher Freude dachte Detlef: „Sie ist mein eigen,
Diese rote Fahne ist in meine Hände gefallen,
Und je mehr ich bewundre, je mehr ich begehre.
Sie ist in der Tat die herrlichste Dame von Deutschland,
Deren Lächeln bringt mir Tausende Mark von dem Mammon!
Um die Jungfräulichkeit dieser süßen Blume zu schmücken,
Banker und Advokaten werden wetteifern um sie.
Eine Nacht mit ihr wohl koste dreihundert Taler.
Das wird es wettmachen, dass ich nicht mehr in Berlin bin zuhause,
Denn nun kommt der Profit, der kapitalistische Segen.
Aber der Leckerbissen ist nah meinem hungrigen Munde.
Ja, nach ihrem Liebreizzauber sehn ich mich dürstend.
Jetzt ist der Apfel von Eden in meine Hände gefallen
Und ich möchte dies Lebensgefühl der Wollust genießen.
Unter der Sonne in dieser Welt der Fleischesgenüsse
Kaum ein Mann hat mehr wissen von den Mädchen der Freude.
Saft von Granatäpfeln und das Blut von geschlachteten Hähnen
Stellt das Jungfernhäutchen wieder her wie am Anfang,
Und durch diesen Trick betrüg ich die Nüsse der Säcke,
Und ihr Preis bleibt unverändert, bleibt teuer ihr Hymen.
Wenn die alte Hexe, die faulige Aphra mich fragt, dann
Höchstens riskiere ich es, von ihr gegeißelt zu werden.
Außerdem hier in Hamburg an der Reeperbahn bleib ich
Still und verborgen, keiner wird meine Pläne bezweifeln.“
Was für ein Bedauern der weißen Kamelienblume:
Einer Biene Stachel durchbohrte den Stempel der Blüte!
Ein verheerender Sturm war erbarmungslos nieder gegangen,
Unbesorgt um ihre Perle voll süßesten Duftes.
Ach, sie trieb durch den vagen Traum der Hochzeitsnacht, schmerzlich,
Ganz alleine unter der Hochzeitskerze gelegen.
Tränen der Schande fielen nieder wie Fülle des Regens,
Da sie hasste den Kerl und ihren besudelten Körper.
„Scheint es doch, er ist eine Art von schmutzigem Wesen,
Ach mein wertvoller Leib und mein reiner Name verdarben!
Bleibt jetzt noch etwas übrig für mich zur seligen Hoffnung?
Das ist das grausame Ende meines Lebens auf Erden!“
Mürrisch wegen der Liebe und bitter über ihr Schicksal,
Nahm sie das Messer, versuchte, sich selbst den Puls zu zerschneiden…
Aber der Gedanke siegte über den Selbstmord:
„Mag ich doch sterben, aber was bringt das für Schmerzen der Mutter!
Was auch immer wär das Ergebnis meiner Ermordung,
Sicher fällt es zurück auf meine Eltern als Schande.
Sicherlich mit der Zeit wird mein Leiden gelindert doch werden,
Bald doch, oder vielleicht erst, wenn der Tod mich befrein wird.“
So war sie beschäftigt, Vor- und Nachteil zu wägen,
Als an dem Zaun der Mann der Hennen kraftvoll gekräht hat.
Als die Glocke zur Matutin bei Sankt Josef geläutet,
Detlef kam, der Teufelsstudent, und drängte zur Abfahrt.
Ach, was war das für eine herzzerreißende Trennung!
Pferdestärken dröhnten und schon rollten die Räder.
In einem Gasthaus Konrad lud ein zum Feste des Abschieds,
Gastgeber großzügig und die Gäste grüßten einander,
Anna und Maria Theresia teilten den Kummer,
Sahen sich an, die Augen strömten über von Tränen,
Anna begann, in Maria Theresias Ohren zu flüstern:
„Ach, ich schäm mich, ich bin als schwaches Mädchen geboren,
Aber wie könnt ich je deine Wehenschmerzen belohnen?
Nun ist mein Körper im Kot gefangen, alles vorbei nun,
Nur mein Herz bleibt, was ich dir weihend bieten kann, Mama!
Beispiele gibt es, was ich in diesen Tagen gesehen,
Dass ich glaub, ich fiel in die Hand eines grausamen Schlägers.
Ist er zuhause, lässt er mich immer allein, ohne Achtung,
Geht dann eilig hinweg und kommt in Heimlichkeit wieder.
Wenn er frisst oder schwatzt, dann immer auf dreckige Weise,
Auch die Putzfrau hat keinen Respekt vor dem Geber der Arbeit.
Aristokratische Menschen sind edel von oben bis unten,
Aber er gleicht einem verlausten Händler des Flohmarkts.
Was kann ich erwarten von dieser Verdammnis des Lebens?
Lebend oder tot, ich bin im Exil der Verbannung!“
Als die Mutter die Worte hörte der herzlieben Tochter,
Wollte sie mit Klagerufen spalten den Himmel.
In dem Gasthaus hatte jeder geleert seinen Bierkrug,
Detlef drängte zur Abfahrt, es sehnte ihn sehr nach Sankt Pauli.
Konrads Herz war gepresst von der Liebe zur elenden Tochter,
Stehend an Detlefs Wagen, bat den Studenten der Vater:
„Diese meine junge und schwache und hilflose Tochter
Wurde aufgrund von Missgeschicken zuhaus deine Gattin.
Fortan könnte sie überall sein, in Deutschland und Frankreich,
Sie ist allein nun ausgesetzt dem Hagel und Regen.
Sie steht im Schatten deiner hohen Pinie, Detlef,
Dass du sie schützest vor Nebel und Schnee und Regen und Hagel.“
Grinsend sprach Detlef zu dem Schwiegervater: „Ja, Alter,
Ich ward von Hymen, dem Gott der Ehe, an Anna gefesselt,
Was auch immer geschehn wird im irdischen Tale der Tränen,
Sonne und Mond und Satan und Antichrist sind meine Zeugen!“
Und das Auto donnerte, dröhnte wie Wettersturm zornig,
Wie es fuhr durch den grauen Staub gepflasterter Strtaße.
Alle wischten die Tränen sich ab und fixierten die Augen
Auf den Horizont im Gedenken an ihre Geliebte.
Jetzt in ein fremdes, fremdes Leben ward Anna geblasen,
Brücken weiß von Raureif und Wipfel von Wolken verdunkelt.
Schilfrohr drängte sich eng und weinte im frostigen Winde,
Herbstlich der Himmel war ihr, war Anna allein vorbehalten,
Auf der leeren nächtlichen Straße im dämmernden Nebel
Starrte sie den Mond an und schämte sich über die Hochzeit.
Golden und purpurrot waren die Blätter von Eichen und Buchen,
Anna hörte die Amseln zwitschern, gedachte der Eltern.
Nun durch völlig seltsames Wetter, verschlungene Straßen
Kamen sie an auf der Reeperbahn in dem Viertel Sankt Pauli.
Eben hatte das Auto am Haupteingang schnaubend gehalten,
Da ward ein Schatten aus der Türe hervortretend sichtbar.
Auf den ersten Blick eine Frau mit bleichem Gesichte,
Eines wohlgenährten Wesens riesiger Körper.
Diese grüßte nun den Studenten Detlef, den bösen,
Anna trat bescheiden zurück und ging in die Wohnung.
Da war der Vorraum gesäumt von einigen reizenden Huren,
Auf der anderen Seite saßen lüsterne Gäste.
Zwischen ihnen war ein Altar mit Venus-Ikone,
Das war das herrliche Bild der eben geborenen Venus.
Das war Tradition bei den Huren, den Mägden der Venus,
Dass sie diese Göttin als Schutzfrau der Huren verehrten
Und verehrten die Venus alltäglich mit Rosen und Äpfeln.
Wenn eine Hure hatte Pech mit einem geizigen Kunden,
Zog sie sich nackend aus und lag vor der nackigen Göttin,
Brannte Räucherstäbchen ab und lallte Gebete,
Lag auf der Bettdecke, opferte Venus Rosen und Äpfel,
Venus erhörte sie und brachte ihr zahlende Kundschaft.
Anna war ziemlich verblüfft von dieser seltsamen Szene,
Wie empfohlen, kniete sie nieder. Die Venusmagd sagte:
„Möge unser Geschäft im Laden wohlhabend sein und
Unsere Tage und Nächte sein wie fröhliche Feste.
Mögen Männer kommen, die werden unsre Verehrer,
Die da schwärmen wie Sperlinge und verschlucken viel Wodka.
Möge man viele Briefe stecken in unseren Briefschlitz,
Dass wir heißen unaufhörlich die Gäste willkommen.“
Diese Worte klangen so komisch in Annas Gehörgang,
Und sie dachte, es ist nicht anständig, so was zu hören.
Als die Verehrung der nackigen Göttin Venus beendet,
Setzte sich Herrin Aphra auf dem Bett auf und sagte:
„Komm, und huldige mir, ich bin deine Mutter, gehorch mir,
Und verbeuge dich auch vor deinem dich liebenden Onkel.“
Anna sprach: „In ein vagabundierendes Leben geschleudert,
Ich hab mein Schicksal akzeptiert als Männer-Geliebte.
Warum verwandeln die Menschen die Taube denn in die Elster?
Ich bin Sancta Simplicitas, ich versteh nicht die Rolle.
Detlef hat mir das Hochzeitsgeschenk für die Hochzeit gegeben,
Und wir haben gelebt zusammen wie Gatte und Gattin.
Jetzt aber stellt sich heraus, dass meine Rolle geändert.
Darf ich dies sagen, um die Sache deutlich zu machen?“
Bei der Anhörung das Problem Frau Aphra erkannte
Und sofort geriet Frau Aphra in heftiges Zürnen,
Und sie sagte: „Jetzt ist offensichtlich die Schande,
Detlef sagte, er wolle nur junge Mädchen besorgen,
Neue Hostessen zu rekrutieren und dann zu trainieren.
Was für ein freches Gesicht! Und wie erbarmungslos ist er!
Denn zu seinem eignen Vergnügen er testete vorher,
Jetzt ist dein Jungfernhäutchen verloren, die Freude der Männer,
Und verdammt ist mein Geld, das solltest du mir verdienen.
Du als Jungfrau bist an mich verkauft worden, Mädchen,
Nun in meinem Hause musst du dich beugen den Regeln.
Hat dieser dumme Teufel dich sexuell etwa belästigt?
Gib ihm eine Ohrfeige! Lausch nicht mehr seinem Reden.
Warum unterwirfst du dich seiner fordernden Wollust?
Ach, zu früh als junges Mädchen warst du in Stimmung!
Du wirst erfahren die Macht und Stärke meiner Befehle.“
Sie griff die Peitsche und sprang auf, um Anna zu peitschen.
„Unter dem ernsten Himmel über der Erde (sprach Anna),
Seit ich weg von zuhause, leb ich wie eine Tote.
Soll dies nun mein Ende sein, hab ich nichts zu bereuen.“
Anna holte sofort aus der Tasche ihr Solinger Messer,
Da stand die Hure entsetzt auf, als sich Anna durchbohrte.
Wie erbärmlich! Solch ein Talent und solch eine Schönheit
Sollte durchs Messer abgeschnitten werden vom Leben!
Dieses Missgeschick wurde enthüllt und weithin verbreitet,
Neugierig strömten Männer herein und rannten das Haus ein.
Während Anna in ihrer Ohnmacht nah war dem Tode,
Aphra, die Puffmutter, war voll seelenlosem Entsetzen.
Eilig trugen sie Anna in den Westflügel, schickten
Nach dem Hausmeister dann und riefen heimlich die Ärztin.
ZEHNTER GESANG
Aber ihre Verbindung mit dem Staube ist da noch,
Sie sah in ihrer Ohnmacht am Bett erscheinen ein Mädchen.
Und die Jungfrau sprach: „Noch ist dein Leben nicht an dem Ende,
Du musst noch büßen und Sühne leisten für all deine Sünden.
Darum musst du das bittere Schicksal der Frauen ertragen,
Wenn du auch sterben möchtest, das erlaubt nicht dein Schöpfer.
Tu dein Bestes, dein elendes Leben zu Ende zu leben,
Danach sehn wir uns wieder an einem heiligen Flusse.“
Nach dem ganzen Tag der Medikamente und Sorgen,
Anna erholte allmählich sich von der Schwäche des Nahtods.
Aphra wählte die freundlichsten Worte, um Anna zu trösten:
„Siehe, wir werden alle mit einem Körper geboren,
Du bist nun wie die frische Blüte des himmlischen Frühlings.
Du hast sicher begangen eine lässliche Sünde,
Aber tugendhafte Mädchen soll man nicht zwingen,
Sich zu prostituieren in dem Geschäft mit dem Sexus.
Schließ dich ein in dein Zimmer und warte auf einen Gemahl dort.
Lebe nur, ich will deinen Körper nicht mehr verkaufen.
Du wirst finden einen Gemahl mit würdigem Stammbaum.
Aber dein Selbstmordversuch, der schadet dir selber nur, Mädchen,
Und ist auch schädlich für den Ruf meines Handels mit Frauen.“
Diese beharrlichen Worte hauchte sie Anna ins Ohr ein,
Das schien logisch, zu unterscheiden Böses von Gutem.
Außerdem nach der Vision der heiligen Jungfrau im Traume
War ihr das Unglück ja bestimmt von der Vorsehung Gottes.
Wenn sie in diesem Leben ihre Sünden gebüßt hat,
Bleibt ihr das Fegefeuer erspart und sie kommt in den Himmel.
Endlich drangen die Worte der Schlampe in Annas Gehörgang.
„Ich will mich auch nicht mehr selber ermorden (sagte sie höflich),
Mir wird noch Glück zu teil, wenn dein Orakel ist wahrhaft.
Werde ich wirklich in den kommenden Tagen noch glücklich?
Wenn ich mit Liebkosungen sollte die Gäste ergötzen,
Lieber sterb ich in Tugend, als in Sünde zu leben!“
Aphra sprach: „Nimm dir Zeit, mein Mädchen, du wirst noch sehen,
Nicht ein Spiel oder Lüge sind meine freundlichen Worte.
Wenn ich später auf meine Worte nicht sollte bestehen,
Möge der Richter der Lebenden und der Toten mich richten.“
Das Versprechen der Puffmutter Aphra war ernst zu bedenken,
Anna fühlte sich langsam und allmählich erleichtert.
Vor dem Eros-Center, wo Anna lebte gefangen,
Die Laternen und der Vollmond mischten die Lichter.
Ihre Augen richtend auf des Horizonts Grenze,
Sah sie nur spitze Schiffsmasten in dem Hamburger Hafen.
Voller Scham erblickte sie morgens den Venus-Planeten,
Ihre Seele war voller Lust und nostalgischer Wehmut.
Anna dachte an Josef in den mondhellen Nächten,
Dieser wartete schmachtend jetzt auf Nachricht von Anna.
Während sie allein gefangen im Puff von Sankt Pauli,
Wann wird ihr Herz gereinigt von seiner heiligen Liebe?
Anna dachte an ihre Eltern, wartend am Tore.
Wer nun fächelt im Sommer ihnen, wärmt sie im Winter?
In dem heimischen Hause, nach so viel Sonne und Stürmen,
Waren sie noch gesund? War schon das Schlimmste geschehen?
Träumend sah sie nahe den Hamburger Hafen im Zwielicht.
Wessen irrendes Boot dort segelte fern in die Zukunft?
Müde starrte sie auf die Wogen kommender Wellen.
Wohin flossen die armen Blumen der schäumenden Kronen?
Und sie starrte auf die Straßen von trostlosem Asphalt,
Diese verschmolzen mit dem Schimmer des nachtblauen Himmels.
Voll Verdruss sah sie die Stürme, die tanzten im Hafen,
Die die Wellen versetzten in brüllende Donnergeräusche.
Und umgeben von Wolken und von dunklen Gewässern,
Traurig im Exil sang sie eine Ode von Pindar.
Während sie den Vorhang fallen ließ schwer vor dem Fenster,
Tönte eine Antwort-Ode hinter der Mauer.
Das kam von einem jungen Manne von blühender Jugend,
Einer gepflegten Erscheinung in der modischsten Kleidung.
Anna hielt ihn für einen Studenten aus guter Familie.
Er hieß Bernd, so sagte er auf die Frage von Anna.
Sie sah ihre Gestalt nun huschen über den Vorhang,
Er war sofort mit ihr untrennbar verbunden in Liebe.
„Wehe, (grummelte er) o große duftende Schönheit!
Das tut mir leid, dass du gefallen in diese Verbannung.
Du bist kostbar, dein Preis ist hoch wie der Mond in den Wolken.
Warum bekümmerst du dich selbst, du blühende Blume?
In mir selbst bin ich wütend auf den ehernen Himmel!
Und du neigst dich, meines Herzens Gefühlen zu lauschen?
Wenn überhaupt, dann hat die Dame den Helden gefunden,
Er wird ihr helfen, aus ihrem Käfig rasch zu entkommen.“
Zwar die äußeren Fenster waren schon lange geschlossen,
Aber sie hörte noch immer seine Rede im Ohre.
Anna dachte an Bernd und dann an Coco, die Katze,
Bernds Erbarmen verminderte ihre hilflose Bangnis.
Wenn sie weiterhin führte ein Leben wie dieses auf Erden,
Wann denn würde ihre elende Notlage enden?
Anna wollt es riskieren, ihm ein paar Worte zu schicken,
Also bittend im Briefchen seine gütigen Hände,
Ihren ertrunkenen Körper von dem Tode zu retten.
Sie schrieb eine Notiz, erzählte die ganze Geschichte,
Von der Heimatkatastrophe zur eignen Verbannung.
Als der glitzernde Tau des Morgens war einfach verschwunden,
Hatte sie die Notiz dem Manne zukommen lassen.
Aber als im Westen die bleiche Sonne verschieden,
Kam ein Antwortbrief mit guter Nachricht zu Anna.
Schnell riss Anna den Brief auf dieses Gottesgeschenkes,
Innen waren in Geheimschrift zwei Worte geschrieben,
Doch es gelang der klugen Anna, die Schrift zu entziffern:
„Späte Nachtvögel eilen nach Hause im schweigsamen Walde,
Die Kamelienblüte verbirgt den Halbmond am Himmel.“
Zweige bewegten wie Schirme sich an der östlichen Mauer,
So kam Bernd herein und stieg durch das offene Fenster.
Peinlich berührt, wagte Anna hervor sich, ihn zu begrüßen,
Sie verbeugte sich vor ihm und sprach mit zärtlichen Worten:
Ich bin nur ein schaumgeborenes Mädchen (sprach Anna),
Abgeirrt von der Herde und in Sankt Pauli gestrandet.
Möge deine Rettung mich wieder zum Leben erwecken,
Diese deine Gnade werde ich nimmer vergessen.“
Bernd hörte zu, er nickte und plapperte seinen Bombast dann:
„Ich bins allein, kein andrer, Mädchen, dein Retter!
Herrin, vielleicht hast du meinen Ruhm, meinen Lobpreis vernommen?
Ich bin entschlossen, zu stillen dieses Meer von Beschwerden.“
Anna sprach: „Alles hängt von deiner Gnade ab, Retter,
Bitte sag mir, was ich tun soll, ich werde dir folgen.“
Bernd sprach: „Ich habe einen Freund, der hascht nach dem Winde,
Und einen Freund, der sorgt für meines Körpers Gesundheit.
Fliehen werden wir, wenn die Leute nicht auf dich achten,
Das ist die beste List des listenreichen Odysseus.
Auch bei heftigem Sturm und sintflutartigem Regen
Bist du vollkommen geschützt in meinen schützenden Händen.“
Anna wurde misstrauisch bei den Worten des Stolzen,
Aber zu spät wars für sie, den Kurs noch etwa zu ändern.
Anna schloss die Augen und tat einen Schritt nun nach vorne,
Alles zu tun, was sich herausstellen würde als Schicksal.
Mit verstohlenen Schritten sie huschten die Treppe hinunter,
Beide bestiegen sein Motorrad, brausten donnernd von dannen.
Und die irdische Zeit verging, wie die Herbstnacht verblasste,
Sturm zerriss die Bäume, den Mond verbargen die Wolken.
Die besudelte Straße wurde verwischt von dem Nebel,
Annas nostalgisches Herz schmerzte bei der Fahrt auf der Straße.
Schon vermischte sich mit dem hastigen Hahnenschrei morgens
Auch das Gekrächze der Krähen und Raben und diebischen Elstern,
Während Anna immer noch pochte das Herz voller Bangnis.
Bernd nun sein Motorrad lenkte außer Sichtweite, fliehend.
Anna war wieder allein. Sie wusste nicht, was sie nun tun soll,
Zwischen den Häusern Hamburgs irrte Anna alleine.
ELFTER GESANG
Gott im Himmel, bist du so grausam und gnadenlos, Jahwe,
Solch ein makelloses und frommes Mädchen zu quälen?
Wieder umgeben von einer Gruppe brutaler Geschöpfe,
Anna war am Ende ihres Fluchtweges hilflos.
Aphra, die Puffmutter, war gar selbst an die Stelle gekommen,
Anna ward wieder gebracht ins Bordell zu den Mädchen der Freude.
Ohne verhört zu werden, der Diener folterte Anna.
Als normale Tochter des Menschen aus Fleisch, Blut und Knochen,
Ach, wie konnte sie ertragen die quälenden Qualen?
Anna kniete nieder, zu beichten, um Gnade zu flehen,
Beugte ihren blutverschmierten lockigen Schädel,
Sprach: „Ich bin nur ein Mädchen von einem erbärmlichen Schicksal,
Bin allein und weg vom Zuhause und meiner Familie.
Jetzt ist die Entscheidung dein, mein Tod oder Leben,
Was es auch ist, ich akzeptier es mit tiefer Ergebung.
Meine Leiden stören mich nicht mehr, ich leide geduldig,
Denn mein Schicksal ist bestimmt. Wie sieht es mit Geld aus?
Wie eine Straußenmutter, sich nicht um die Eier bekümmernd
Fortan will ich mein Jungfernhäutchen nicht mehr bewahren!“,
Annas Zugeständnis ward ausgenutzt von Frau Aphra,
Sie erzwang eine Garantie und eine Verpflichtung.
In dem Bordell war ein Gast, den nannte man Enno den Friesen,
Der es aus Mitgefühl riskierte, Anna zu trösten.
Aber die Puffmutter Aphra strengte sich weitere an, strenger,
Sie begnadigte Anna, wenn sie gehorsam nun wäre.
Anna in einem inneren Raum zur Ruhe verhelfend,
Enno der Friese gewann diskret des Mädchens Vertrauen.
Enno sprach: „Du kamst in eine missliche Lage.
Warum erkennst du nicht die wahre Natur deines Retters?
Bernd ist ein notorisch untreuer Liebhaber, Freier,
Er hat schon viele parfümierte Blüten begraben.
Falscher Retter, das ist der Name seines Manövers,
Neu ist nicht dieses Paar von Hexe und Medium, wahrlich.
Aphra hätte ihm fünftausend Mark geben sollen dafür,
Dass er die Szene betrete und spiele die Rolle des Retters.
Du wirst sehen, bald kommt er wieder, da solltest du schweigen,
Argumentiere nicht mit ihm, es nützt dir zu garnichts.“
Anna sagte: „Bei seinen Worten und Schwüren der Liebe
Hätte ich nie gedacht, dass er ein Teufel gewesen.“
Während sie darüber noch nachdachte, wie und warum nur,
Ward das freche Gesicht von Bernd im Bordelle gesehen,
Bernd erhob seine Stimme, als ob er sie anklagen wolle:
„Mir ward gesagt, dass eine gewisse Hure im Haus ist,
Die Gerüchte verbreitet, ich hätte verführt eine Jungfrau.
Schau dir mein Gesicht an, und erkenne die Wahrheit.“
Anna sprach: „Es ist in Ordnung, es ist alles in Ordnung.
Wenn nicht geschehen ist, stimme ich zu, dass nichts ist geschehen.“
Aber der schamlose Teufel donnerte Worte der Schelte,
Brach über sie herein und wollte Gewalt noch gebrauchen.
Anna sagte: „Gott im Himmel weiß, was geschehen!
Wer hat mich verführt und wer war der schuldige Sünder?
Stecke mich ohne Gnade nun in den Pfuhl des Verderbens,
Alle rebellischen Worte werde ich eilig verschlucken.
Aber noch hab ich deinen handgeschriebenen Fluchtplan,
Das ist nichts anderes, das ist dein ehernes Antlitz in Wahrheit.“
Annas Wort ward gehört von der Menge drinnen und draußen,
Sie beschuldigten seine Perfidie und Verkehrtheit.
Als Verräter gefangen genommen vom Zorne der Menge,
Bernd beschämt wählte lieber den Weg des Rückzugs ins Freie.
Anna, wieder in ihrem Zimmer, weinte voll Kummer,
Dachte an sich selbst und bedauerte zutiefst ihre Seele:
„So nun mein kristallklarer, ah, mein schneeweißer Körper
Ist wie alle anderen Mädchen zerfetzt und zerschlagen!
Traurig oder glücklich ist das menschliche Dasein,
Aber warum trifft das Unglück immer die Frauen?
Da ich nicht führte tugendhaft mein früheres Leben,
Muss ich die Missetaten heut korrigieren und büßen.
Ach, es ist alles vorbei, die weiße Vase zerscheppert,
Meine Sünde muss ich ein für allemal sühnen!“
Einmal in einer klaren Nacht der schimmernden Luna
Aphra war in Annas Zimmer und sagte zu Anna:
Siehe, die Kunst der Liebe erfordert mancherlei Übung,
Kurtisanen müssen alle Techniken kennen.“
Anna sagte: „Wenn Blitze kommen von reibender Hitze,
Wenn es sein soll, werde ich lernen die Künste der Liebe.“
Aphra sagte: „Das ist nicht eine Kunst wie sonst andre,
Warum kommen die Männer sonst hierher, für Liebe zu zahlen?
Es gibt viele erregende Künste in dieser Karriere,
Männer umarmen am Tag und fesseln zur Nacht die Geliebten.
Lerne Ovid und das Kamasutra auswendig, Tochter,
Lerne die Mundkommunion, die man nennt die französische Zunge,
Und die Geißelung, die man nennt die germanische Liebe,
Lerne das Buttern, denke da an Meißel und Möser,
Lerne das Wind-und-Regen-Spiel, erzeuge Gewitter,
Lerne das Spiel von Phönix und Zaubervogel im Baume,
Lerne kennen die Hochzeiten Aphrodites im Mythos,
Alle diese sind exklusive Methoden des Hauses,
Lerne sie kennen und du wirst überall Herrschende werden!“-
Anna gehorchte schüchtern der klugen Sexstunde Aphras,
Aber sie runzelte ihre Stirn und blass ward die Wange.
Aphras Worte spülten allein schon durchs Hören mit Ohren
Solche bizarren, gnadenlosen und schrecklichen Dinge.
Ach, wie schade doch für ein junges würdiges Mädchen,
Solche Obszönitäten als Anfängerin zu erlernen.
Was für ein beschämendes, dreistes Gesicht wird sie haben,
Ja, die niedrigste Stufe, die ein Mensch haben könnte.
Wehe, wehe, wie grausam war ihr zorniges Schicksal,
Hilflos in den Händen von Menschenhändlern und Huren!
ZWÖLFTER GESANG
Nun das Freudenhaus zeigte seine rosigen Tücher,
Und je teurer die Hure, desto größer die Würde.
Bienen und Schmetterlinge kamen als schwärmende Kunden,
Sie in die Nacht zu tauchen durch Schwelgen, Lust und Vergnügen.
Sie war beschäftigt wie ein vom Wind geblasenes Blättchen,
Morgens sagte sie Karl ab, suchte am Abend den Gerhard.
Wenn sie von Trunkenheit oder traumreichem Nachtschlaf erwacht war,
Sie erschrak und beklagte sich bitter über ihr Leben.
Sie war einst wie aus transparenter Seide ein Mädchen,
Jetzt aber war sie ein Gänseblümchen am Rande der Straße.
Ihr Gesicht war vom Sturm zerschlagen, vom Nebel verschleiert,
Und ihr Körper ganz ausgebeutet von hungrigen Männern.
Trotz ihres fleischlichen Streichelns und Liebkosens der Freier,
Kannte sie kein bisschen Glück in ihrer verwundeten Seele!
Noch wenn sie sanften Zephyr um die Flora genossen,
Wenn sie Luna beschaute durch das gefrorene Fenster,
Jede Szene war von Natur aus voll Melancholie nur,
Und sie war nicht fröhlich in ihrem irrsinnigen Kummer!
Manchmal malte ein Bild sie oder schrieb eine Ode,
Spielte Gitarre im Mondschein oder Schach in dem Frühling.
Aber in ihrer Seele war nur erzwungener Jubel,
Da war kein wahrer Freund da, um ihr Vergnügen zu teilen.
Unbewegt von dem Sturm in den Bäumen, dem Regen aus Wolken,
Sie war von hunderttausend Kümmernissen belastet,
War besessen von frischen und alten Erinnerungsbildern,
Diese Erinnerung schmerzte, ohne den Körper zu peitschen!
Nun dachte sie an die Eltern, die immer großzügig waren,
Diese wurden mit der vergehenden Zeit immer älter.
An dem Jungfernsteg und auf dem Gefilde der Heide,
Hatte damals sie je diesen Stand ihres Schicksals geahnt nur?
Eva und Michael Paul, noch waren sie Jungfrau und Jüngling,
Waren zu jung noch, um die alten Eltern zu pflegen.
Jetzt vermisste sie Josef, diesen Mann ihres Lebens,
Doch er war weit entfernt von ihrer misslichen Lage.
Wenn er heim käm und suchte seine Geliebte, Verlobte,
Ach ihre Blüte war zur Lust von Männern gepflückt schon.
Möge Eva dem Josef seine Liebe erwidern,
Waren vielleicht sie schon Mann und Frau in heiliger Ehe?
Ihre erste Liebe hat ihre Seele gefesselt,
Träume von den Eltern verfolgten sie nachts in dem Schlafe.
Ach, allein und hoffnungslos saß sie trauernd am Fenster,
Sah in die Dämmerung, sah an dem dämmernden Horizont Venus.
Fenriswolf und Midgardschlange jagten die Sonne,
Anna hatte Mitleid mit den gefallenen Mädchen,
Diese Frauen, mit angebornen Talenten und Schönheit,
Wurden zum Spaß nur ruiniert von den gierigen Männern!
Nun verbannt zu einem Schicksal von Staubwolken, alle
Wurden defloriert, bevor man sie schließlich verkaufte!
Da war unter den Freiern ein Berliner Beamter,
Der ward Junker Jörg genannt, ein fauler Beamter,
Der war von seinem Vater misshandelt worden als Knabe,
Ging nun täglich zur Arbeit in das Amt, um zu schlafen.
Lange Jahre Enthusiast der Liebreize Annas,
Fand er den Weg dahin, die Visitenkarte ihr gebend.
Bei dem ersten Anblick ihres Blütengesichtes
Er verliebte sich in den Stil, die Eigenschaft Annas,
Sie war ihm wie eine weiße Kameliendame,
Diese wurde im Frühlingswetter prächtiger immer.
Mond und Blüte, von einander magisch gefesselt,
Wer kann sich enthalten im Frühling der Liebesnacht Wonnen?
Das was zusammen gehört, das findet auch immer zusammen.
Beide waren so anhänglich, keiner konnte sie trennen.
Morgens und abends waren sie zwei verliebte Genossen.
Wer hat ihr Sexspiel zu einer wahren Liebe verwandelt?
Dann kam eine gute Gelegenheit, glücklicher Kairos,
Da sein Vater heimkehrte in die irdische Heimat.
Hypnotisiert durch seine leidenschaftliche Liebe,
Junker Jörg verbrachte die Stunden mit der Geliebten.
Jetzt auf der Terrasse und jetzt im Hof unterm Mondschein,
Trösteten beide mit Wein sich und tauschten Liebesgedichte.
Während die Morgenluft beide oder den Mittagstee schmeckten,
Spielten sie Schach dem König und stimmten die schöne Gitarre.
Sich dem Streben der Freuden hingebend, Künsten der Liebe,
Sie verliebten sich tiefer durch gegenseitiges Kennen.
Was für ein Wunder war es, da die Pfeile der Augen
Annas konnten zusammen brechen lassen ganz Deutschland!
Junker Jörg, von Anna bis in den Himmel gepriesen,
Er verschwendete all sein Geld für das Lächeln der Liebsten.
Angelockt dahin durch die alten Gerüche des Geldes,
Puffmutter Aphra sucht die Dirne Anna zu schminken.
Unter dem Schimmer der Luna weinte der Kuckuck im Sommer,
In dem Hofe blühten schön die Kastanienbäume.
In der Freizeit in ihrer privaten Kammer ließ Anna
In die Badewanne Badeschaum ein von Lavendel.
Was für eine Statue Anna aus parischem Marmor!
Oh ein Meisterwerk des Schöpfers ihr nackiger Körper!
Junker Jörg dachte über Anna nach und er pries sie,
Und er schrieb ihr ein Liebesgedicht von Arthur Rimbaud ab.
Anna sagte: „Ich verstehe deine Gefühle,
Ich verstehe diese schönen Perlen der Dichtkunst.
Ob ich nun gut oder böse, ich sollte etwas dir schenken.
Aber mein Denken eilt zurück in das Haus meines Vaters,
Immer mein Herz verfolgt die weißen Wolken des Himmels,
Eine Antwort auf das Gedicht, die bleib ich dir schuldig.“
Junker Jörg sprach: „Komisch und absurd scheint dein Wort mir.
Bist du denn nicht die Tochter dieser Puffmutter Aphra?“
Ihre Augen wurden da traurig, trauriger immer,
Und sie schüttelte aus die düstern Gedanken des Elends:
„Nur eine Blüte, die vom Zweig gefallen ist, bin ich,
Und zu Spaß und Spiel bist du ein Falter gekommen.
Du bist mit Lady Lilith verheiratet, du bist ihr Gatte,
Darum verschwende nicht deine Zeit und frag mich nicht länger.“
Junker Jörg sprach: „Vom ersten Tag an, als ich dich gesehen,
Ist mein Herz erfüllt von einer authentischen Liebe!
Weil ich entschlossen bin, mir meinen Wunsch zu erfüllen,
Darum fragt ich dich, Liebste, wessen Tochter du seiest.“
Anna sagte: „Danke für deine hilfreiche Seele,
Aber es ist nicht einfach in diesem unseren Zustand.
Du bleibst eine Weile in diesem Hause der Freuden,
Du liebst die Blume für den Farbton ihres Gesichtes,
Aber die Blume verwelkt und ihr Duft wird verblassen,
Lässt du dann unverändert die frühere liebende Seele?
Außerdem gibt es bereits auf deines Haushaltes Schwelle
Lady Lilith, deine Frau, die regiert deinen Haushalt.
Ihr seid aneinander gebunden mit Ketten der Ehe,
Noch eine Frau kann nicht eintreten in die heilige Ehe.
Lass kein Unglück und kein treibendes Mädchen wie Anna
Die Glückseligkeit eurer Ehe beeinflussen, Liebster.
Hundert Probleme werden wegen mir sich ereignen.
Wer aber wird mir beistehen, Gottes Zorn zu bestehen?
Selbst wenn du der Herr bist in deinem eigenen Hause,
Du kannst mich doch nicht vor deiner Gemahlin beschützen.
Wenn die Frau mehr Autorität als der Ehegemahl hat,
Werde ich arme Gazelle gefressen vom Rachen der Löwin,
Und ich werde entehrt von der Ungnade deiner Gemahlin,
Deren Eifersucht heißer brennt als das Feuer der Hölle!
Und dein würdiger Vater, dieser Küster der Kirche,
Wird er barmherzig schauen auf mich, die streunende Dirne?
Oder sieht mich an der Küster als Wildrose, zwingt mich,
Dass ich heimkehre ins Bordell zu den Künsten der Liebe?
Dann sind wir beide beschmutzt, ich Dirne, du Freier der Dirne.
Das ist mein Schicksal, doch muss ich um deinen Namen besorgt sein.
Aber wenn du mich liebst, so findest du wohl einen Ausweg,
Und ich werde zufrieden sein, was immer du vorschlägst.“
Junker Jörg sprach: „Das sind nichts als Spekulationen!
Hast du denn nie in meiner wahren Seele gelesen?
Fürchte weiter keine phantastischen Eheprobleme,
Du vertraue mir nur in Sachen unserer Ehe.
Wenn wir nur erst zusammen leben, wer kann uns dann trennen?
Ich bin entschlossen und werde riskieren die Stürme des Lebens.“
Also tauschten sie aus mit feuchten Lippen die Küsse,
Sie zitierten die Alpen und die Nordsee zu Zeugen.
Ach, die Nacht war zu kurz für alle intimen Gespräche,
Da im Schimmer der Luna ruhte der Hamburger Hafen.
DREIZEHNTER GESANG
Sagend, dass er spazieren gehen wolle mit Anna,
Junker Jörg verbarg sie in einem gemieteten Zimmer.
Krieg und Frieden, Junker Jörg war für beides gewappnet,
Ihm half ein Advokat und er hatte freche Spione.
Er schrieb einen langen Brief an die Puffmutter Aphra,
Sie ergab sich in seinen Willen wegen des Geldes.
Er bezahlte das Geld und so bekam er sein Mädchen,
Alles wurde aufgezeichnet von Sittenbeamten.
Nun gelöst die öffentlich-privater Probleme,
Anna zog aus dem Sumpf die kleinen Füßchen der Nymphe.
Und dem gemieteten Zimmer leben wie Mann sie und Frau nun,
Ihre gegenseitige Liebe war Strombett und Meerflut.
Annas allgegenwärtiger Duft erweckte sein Feuer,
Und seine Hitze ließ ihre perlende Schönheit erstrahlen.
Nun war ein halbes Jahr vergangen des bräutlichen Lebens,
Da auf den Wegen lagen schon die goldenen Blätter,
Da die violetten Astern wuchsen in Beeten,
Da kam der Vater von Junker Jörg, den Sohn zu besuchen.
Wütend war er über die wilde Ehe des Sohnes.
Ohne Mitleid versuchte er anzuspucken das Mädchen.
Nüchtern analysierte er die Lage der Dinge,
Sagte, Anna solle wieder ins Freudenhaus gehen.
Angesichts der harten und kalten Worte des Vaters
Junker Jörg riskierte es, ihm um Gnade zu bitten:
„Ach, ich kenne all meine Sünden, heiliger Vater,
Meine Sünde verdient die strengsten Strafen auf Erden.
Meine Hände sind irrtümlich eingetaucht in den Schlammpfuhl,
Alles ist verloren, ich kenne den richtigen Weg nicht.
Da wir leben seit einiger Zeit wie Gatte und Gattin,
Hab ich das Herz nicht, die eheliche Bindung zu lösen.
Wenn du in deiner Entscheidung unnachgiebig und streng bist,
Lieber als sie zu verraten, riskiere ich lieber mein Leben.“
Überkochend vor Ingrimm über das Wort seines Sohnes,
Kniete Eberhad in dem Amt, den Fall zu berichten.
Damals donnerte ein Tsunami im indischen Meere.
Das Familiengericht lud ein die beiden Verklagten.
Beide sollten der Familienrichterin folgen,
Knieten vor der Familienrichterin vor dem Gerichte.
Und sie schauten zum eisernen Antlitz, zum harten Gesichte
Dieser Familienrichterin auf. Frau Wiener erklärte:
„Dieser Mann führt wie ein Narr ein verkommenes Leben,
Diese Hure begeht des Ehebruchs Todsünde. Sie ist
Eine verschwendete, eine weggeworfene Blume,
Welche pflegte, mit Duft und Puder den Mann zu betrügen.
Auf der Grundlage unsrer deutschen Sittengesetze
Nichts ist zufriedenstellend geregelt im Falle der Ehe.
Übereinstimmend mit dem Gesetz verkünd ich das Urteil,
Eins von beiden soll sich die Hure Anna erwählen,
Entweder bleibt sie bei Junker Jörg und erleidet die Strafe
Oder sie kehrt zurück als Hure ins Freudenhaus Aphras.“
Anna sagte: „Mein Entschluss ist fertig beschlossen,
Nicht wieder will ich an der Sünde Spinnennetz kleben.
Dreckig oder sauber, es ist mein fleischlicher Körper,
Schwach, naiv, ich resigniere vor dem Gerichtsspruch.“
Und die Richterin ordnete an: „Es gilt das Gesetz nun!“
Und sie fesselten ihre Hände und banden die Füße,
Aber Anna bestand die Qual ohne Schreie der Unschuld.
Ihre Wangen verblassten, die Brauen verzogen sich schmerzlich.
Auf dem Boden von Schlamm und Staub lag Anna sich windend,
Da ihr Antlitz verblasste, ihr Körper ward dünner.
Junker Jörg war auch ein Objekt des barmherzigen Mitleids,
Er beschaute alles mit einem Herzen voll Trauer.
Und er rief: „Das ganze Elend nur wegen mir, ach!
Hätt ich gehorcht dem Gesetz, wäre sie jetzt nicht schuldig.
Ach, mein flaches Herz, es wollte nicht nachdenken weise,
Und jetzt muss Anna die ganze Strafe tragen der Unzucht.“
Junker Jörg vernehmend, seine beschwerliche Klage,
Wurde Frau Wiener berührt und fragte nach seiner Geschichte.
Unter Tränen äußerte Junker Jörg sich dann höflich,
Alles erzählend vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft:
„Sie berechnete vorher die Konsequenzen der Sünde,
Sie hat geweissagt, sie wird eines Tages werden ein Opfer.
Ich bin verpflichtet, sie zu befreien, nach Hause zu bringen,
Die sie wegen mir nur die Katastrophe erlitten.“
Junker Jörgs Geschichte weckte Frau Wieners Erbarmen,
Ihre Strenge ward weicher, und sie zeigte den Ausweg:
„Sei es wahr (sprach Frau Wiener), alles, was du berichtet,
Anna, obwohl eine Hure, kennt das Gute und Böse.“
Eberhard sagte: „Dieses Weibes treibendes Sicksal!
Aber sie kennt die Literatur des heiligen Russland.“
Da sprach Frau Wiener: „Ist sie eine Dichterin selber?
Möge sie zeigen ihr Talent in einem Sonette!“
Anna gehorchte und schrieb mit dem Stift ein Sonett an Cupido,
Die vollendeten Verse zeigend der Richterin Wiener.
Diese lobte: „Dies Sonett ist besser als Shakespeare!
Solche Kunst und Weisheit ist tausendmal mehr wert als Goldschmuck!
O, ein Mädchen voll Schönheit und ein kraftvolles Mannsbild,
Welches Paar von Mann und Frau ist besser auf Erden?
Nun hört auf, ihr beiden, Zorn und Ärger zu hegen,
Denn das stört nur den Rhythmus der harmonischen Liebe!
Anna, du stehst hier an der Tür des Sittengerichtes,
Äußerlich ist der Verstand, doch zentral ist die innige Liebe!
Sohn und Schwiegervater sind die Familie des Mädchens,
Also gib den Groll auf und beende das Chaos!“
Junker Jörg bestellte nun die Feier der Hochzeit,
Sitzend im Wagen und bekränzt mit dem Kranze der Rosen,
Auch gefolgt von einer fröhlichen Musiker-Truppe,
Anna ward gebracht in die selige Kammer der Hochzeit.
Voller Wertschätzung wegen Annas Talent, ihrer Tugend,
Vater Eberhard legte auch seine Strafe beiseite.
Duft von Lilien und Orchideen erfüllte die Wohnung,
Alle Bitterkeit machte Platz für lustige Freuden.
VIERZEHNTER GESANG
Und sie spielten das Schachspiel am Morgen und Abend,
Bis die Pflaume am Pflaumenbaum verlor ihre Frische.
Anna in ihrem privaten Zimmer in ruhiger Nachtzeit
Drückte ihre Besorgnis aus und verzagt ihren Schrecken:
„Da ich das Glück hab, deine Konkubine zu heißen,
Seit der Zeit die Wildgänse flogen, ein Jahr ist vergangen.
Junker Jörg, mein Wort ward gehört von deiner Familie,
Du bist warm zu deiner Frau und kühl zur Geliebten.
Nun, ich finde Lady Liliths Schweigen bedenklich,
Kümmert es niemanden, unsere Liebe geheim zu vertuschen?
Deine Frau, die herrscht in deinem Haushalt als Herrin,
Sie ist eine Person von Regeln und strengen Gesetzen.
Aber deine Leute sind furchterregend und schrecklich,
Wie die stürmische Nordsee, die Herzen schwer zu ergründen!
Unsre Affäre hat fast ein Jahr gedauert, Geliebter,
Diese Affäre kann ihr keineswegs bleiben verborgen.
Du hast bis heute nichts gehört von der Herrin zuhause,
Oder ist etwas Ungewisses mit Lilith geschehen?
Bitte beeile dich, reise in kürzester Zeit zu der Hausfrau,
Sie zu erfreuen und über sie nachzudenken besinnlich.
Du verstehst ja unsere heimliche Liebesgeschichte,
Sie zu verbergen auf Dauer, das wird sicherlich scheitern.“
Einverstanden mit Annas sehr vernünftigem Ratschlag,
Junker Jörg beschloss, nach Hause wieder zu kehren.
In der Morgenröte er es dem Vater erzählte,
Eberhard drängte ihn, seine Reise schnell zu beginnen.
Junker Jörg und Anna, die Abschiedsbecher zu trinken,
Sie spazierten vom Haus zum Ort des schmerzlichen Abschieds.
Blau die Elbe erstreckte sich als schimmernde Schlange,
Trauerweiden senkten die Zweige voll Wehmut und Sehnsucht.
Beide hielten sich an den Händen und seufzten und stöhnten.
Aber der bittere Abschied trübte das Bier in den Bechern
Und das Scheiden ließ ihre liebenden Worte ersticken.
Anna sprach: „Wir werden von Straßen und Städten geschieden,
Was ist das Äußere wert denn ohne inneren Frieden?
Kann doch ein Sack voll Lumpen keine Nadel verstecken,
Lass uns aufhören, nur zu träumen, sein wir vernünftig.
Über unsere Liebesbeziehung und heimliche Ehe,
Einmal zu Hause, erzähle Lady Lilith nur alles.
Sie ist vielleicht nicht zufrieden und in zornigem Wüten
Übt sie ihre Macht. Ich stelle mich aber dem Schicksal.
Das ist besser, als zu lügen und sich zu verstecken,
Denn das würde nur Katastrophen über uns bringen.
Wenn du mich wirklich lieb hast, denke an all meine Worte,
Und ein Jahr der Trennung wird auch schließlich vergehen,
Heute im nächsten Jahr wird aufs Wiedersehen getrunken!“
Er ging fort, und sie ließ los seinen Mantel aus Leder,
Herbstlich waren die Eichen schon gefärbt mit dem Goldrot,
Staub bedeckte den scheidenden Mann, der Staub dieser Erde,
Der verschwunden zwischen den leuchtenden Straßenlaternen.
Anna blieb zurück, ein nächtlicher Schatten, allein nun,
Während er sich allein gewagt in den Dschungel der Großstadt.
Hoch am Himmel erhob sich Luna mit doppelten Hörnern,
Stempelte Licht auf Annas Kopfkissen, da sie entschlafen.
Aber all die Strapazen seiner Fahrt waren nichtig
Im Vergleich zu der Sehnsucht nach der Gattin zuhause.
Sie gehörte der Familie von Rippena an und
Ward von allen die schöne Lady Lilith gerufen,
Tochter war sie eines bekannten Berliner Ministers.
Eine Hochzeit, finanzielle Vernunftehe hatte
Lady Lilith und Junker Jörg schon lange verbunden.
Wie sie sich im Alltag benahm, das war nicht so schrecklich,
Aber schrecklich ward sie, als sie von Anna gehört hat,
Von der Konkubine hatte sie Stadtklatsch vernommen.
Wie sie das Feuer des Herzens löschtE, entflammte es wieder,
Sie beschuldigte ihn des Verrats und des Ehebruchs Sünde:
„Hätte er mir von seiner neuen Geliebten gebeichtet,
Würde ich die Geliebte tolerieren mit Nachsicht.
Ich bin nicht dumm, ich möchte meinen Ehebund retten,
War es nicht wahre Liebe, wenn mich die Eifersucht plagte?
Aber er wählte die Verschleierung und das Verstecken,
Sich zu bereiten die Affenhitze der kindischen Lüste!
Nun, ich denke an alles, was er verbirgt vor der Gattin,
Und ich werde so tun, als würde ich nichts davon wissen.
Eine andere Frau, da habe ich nichts zu befürchten,
Eine Ameise kann nicht heraus aus der irdenen Schüssel.
Nein, ich werde erreichen, dass sie einander verleugnen,
Und ich beschäme das Weib, dass sie die Augen muss senken.
Vor den beiden werde ich rein und sauber erscheinen,
Das sind die Konsequenzen, die der Verräter muss tragen.“
Sie behielt die Gedanken tief in dem inneren Herzen
Und sie blieb taub dem Klatsch und Tratsch auf den Straßen und Märkten.
Eine Woche später kamen zwei Klatschweiber, Tanten,
Brachten neue Nachrichten von der heimlichen Liebe.
Aber die Tochter des Ministers täuschte nur Zorn vor:
„Ihr Abscheulichen sollt mir keine Geschichten erfinden,
Denn mein Mann ist nicht so abgedroschen wie andre,
Ich vertraue nicht der sprudelnden Klatschweiber-Quelle!“
Und sie zeigte ihre Macht und befahl die Befehle,
Schlug dem einen Weib auf den Mund, der andern die Ohren.
Folglich haben alle Weiber den Mund nun gehalten,
Niemand wagte es mehr, Gerüchte vor ihr zu verbreiten.
Lady Lilith blieb nun allein im Wohnzimmer sitzen,
Lachend und mit sich redend, als wäre gar nichts geschehen,
An dem Tag und in den Nächten hat sie sich getröstet.
Junker Jörg erreichte sein Haus und stieg aus dem Wagen,
Grußworte mischten sie mit den Küsschen leicht auf die Wangen,
Aber die Liebe ward wärmer und die Leidenschaft heißer,
Fröhlich tranken sie Champagner zum frohen Willkommen,
Aber behielten die geheimen Probleme im Herzen.
Als nun Junker Jörg zuhause war, hörte der Frau zu,
Wollte er eigentlich die ganze Geschichte erzählen,
Aber Lady Lilith war halb betrunken und lachte,
Gab nicht den geringsten Hinweis auf seine Affäre.
Deshalb dachte er: „Die Sache ist herrlich verborgen,
Warum sollte ich ohne ihre Anfrage beichten?“
Und so schwankte er und wollte den Drachen nicht wecken
Und den schlafenden Hund nicht reizen, die bissige Hündin.
Manchmal tauschten sie Nachrichten aus und lustige Witze,
Lady Lilith sprach mehrdeutig und mit gespaltener Zunge,
Sagend: „In dieser elenden Welt von Reichtum und Armut
Haben wir beide doch zueinander totales Vertrauen,
Lobenswert für diese langen Zungen von Schlangen,
Die verbreiten Gerüchte von Untreue, die nicht begründet.
Denn obwohl mir langweilig war, doch dachte ich nimmer
Daran, die Ehe zu brechen mit einem Hausfreunde heimlich,
Meines Hausfreundes schmutziges Wünschen ließ mich nur scherzen.“
Und sie dachte, die Worte seien leichtsinnig, lässig,
Junker Jörg auch äußerte seine Zustimmung freundlich.
Und das Ehepaar genoss die ehlichen Freuden,
Einmal im Lampenlicht und einmal auch in dem Mondschein.
Aber Junker Jörg vermisste die Wollust mit Anna,
Als die gelben Blätter fielen am Spandauer Teiche,
Er erinnerte sich, was er in Hamburg gesehen
Und an das Haus, das er nach Freuden der Liebe verlassen.
Aber er hatte nicht den Mut, es Lilith zu beichten,
Aber Lilith hatte seine Gedanken gelesen:
„Ein Jahr warst du weg von Berlin, der preußischen Hauptstadt,
Wieder nun in Berlin, musst du auf Eberhard achten.“
Junger Jörg fuhr mit der Straßenbahn schnell zu der Wohnung
Eberhards. In der Spree der Himmel sich spiegelte glitzernd,
Qualm von Autos und Fabriken qualmte gen Himmel.
FÜNFZEHNTER GESANG
Kurz nachdem der Junker Jörg auf Reise gegangen,
Lady Lilith fuhr mit dem Wagen zu Mutter und Vater.
Sie erzählte der Mutter Elfriede ihre Probleme,
Sie erzählte von Junker Jörgs Verrat, ihrem Unglück,
Und sie erzählte von ihrem Gedanken: „Die Eifersucht würde
Ihn beschämen und würde mich zur Schuldigen machen.
Deshalb verschließ ich die Augen und versiegle die Lippen,
Wahrlich, ich hatte einen Plan vom ersten Tage an, Mutter.
Allzu weit ist die Reise nach Sylt ja nicht in der Nordsee,
Und man kann mit dem Auto fahren über das Wasser.
Dahin wollen wir fahren mit auserkorenen Dienern,
Bringen Ketten zum Fesseln mit und bringen nach Sylt sie.
Ja, wir werden sie körperlich ausziehen, geistig entblößen,
Auf dass alle sie nackig sehen, und werden sie foltern!
Ersten, diesen hasserfüllten Menschen zu strafen,
Zweitens, um einen Witz zu hinterlassen der Nachwelt.“
Für den klugen Plan die Mutter lobte die Tochter,
Ließ ihr freie Hand aus mütterlich-gütiger Nachsicht.
Und sie hatten den Wagen und die Ketten gerüstet,
Nahmen die Hunde mit, die Bernhardiner, die großen.
Als nun alle Befehle waren klüglich gesprochen,
Fuhren sie über die Nordsee nach Sylt, der friesischen Insel.
Anna stand nun allein am Fenster, ihr Herz voller Sorgen:
Jetzt sind meine alten Eltern wie Schatten des Todes,
Wie es wohl geht mit ihrer Gesundheit und ihrem Befinden?
Meine Haare haben schon erreicht meine Schultern
Und mein Glaubensbekenntnis ist hin, mein Verlobungsgelübde.
Ich bin so schlank wie das Schicksal einer kletternden Pflanze.
Wird die Union mit Junker Jörg von Hymen begünstigt?
Warum ist in so viel Auf und Ab mein Leben gefangen?
Und was denkt über mich jetzt seine einsame Gattin?“
Durch das Fenster hereingekommen der herbstliche Nachtwind,
Eine Mondsichel und Orion prägten den Himmel.
Eine Kerze in Händen vor dem Altar des Messias,
Stand sie da und betete all ihr Herz aus zu Jesus,
Als aus den Blumen die grausamen Männer auftauchten, grimmig,
Aus dem Nichts erschienen Phantome und finstre Dämonen.
Nackte Messer und Macheten blitzen im Hofe,
Anna hatte Angst, wie wusst nicht, was soll sie machen?
Und sie spritzten ein Betäubungsmittel auf Anna,
Dass sie gefallen ist in nachttraumähnlichen Zustand.
Und sie hoben sie auf und warfen sie in den Wagen.
Und sie brannten ihr Schlafzimmer, ihren Lesesaal nieder.
Eine unbekannte Leiche warf in die Spree man,
Um die Zuschauer irrezuführen mit listiger Täuschung.
Annas Dienerin, deren Seele aus Angst fast vergangen,
Wurde gejagt in Büschen und Bäumen von grausamen Männern.
Eberhard, Vater von Junker Jörg, im Haus in der Nähe,
Bebte vor Angst und Furcht, als er sah die steigenden Flammen.
Und der Meister und die Diener rannten zum Feuer,
Kämpften gegen das Feuer, um das Mädchen zu suchen.
Heftig war der Wind und hoch war das lodernde Feuer,
Überall stöberten sie, doch konnten sie Anna nicht finden.
Tief schockiert und betäubt sie sahen sich tief in die Augen,
In der Verzweiflung fummelten sie an Büschen und Teichen.
Bei der Ankunft der Asche in dem Zimmer von Anna
Sie enthüllten eines verkohlten Skelettes Gebeine.
Aber sie waren zu ehrlich, um den Trick zu erkennen,
Nahmen die Tote an, sie wäre Anna in Wahrheit.
Eberhard weinte und schluchzte bitter ununterbrochen
Jammernd um seinen Sohn und seiner Nebenfrau Schicksal.
Alle hüllten sich ein und kehrten wieder nach Hause,
Hüllten sich in die Decken und legten sich friedlich zur Ruhe.
Die Beerdigungszeremonie war gerade beendet,
Mit dem Wagen kam Junker Jörg von der längeren Reise,
Und er trat an die Stelle der alten Kammer von Anna,
Sah die Haufen von Asche und die nackigen Wände.
In dem Haus seines Vaters Eberhard stand in der Mitte
Wie auf einem Altar ein schönes Photo von Anna.
Was für eine triste Geschichte ward Jörg da berichtet,
Herzzerreißende Trauer, Galle brennender Trauer!
Junker Jörg fiel schluchzend und klagend zur Erde:
„Was für ein ungerechter Tod einer heiligen Seele!
Wir waren sicher uns, dass wir bald uns wieder erblicken,
Niemals hätt ich gedacht, dass wir uns nimmermehr sehen!“
Er vermisste sie, immer trauerte er um die Liebste,
Das war eine Not, die konnte kein Doktor ihm lindern.
Da ward ihm erzählt von einem Totenbeschwörer,
Welcher Geister konnte beschwören und Tote zitieren.
Ob sie nun sind in der Hölle, im Fegefeuer, im Himmel,
Jede verlorene Seele konnte er rufen und hören.
Junker Jörg bot ihm Geld an, wenn er die Tote beschwöre
Und den Geist von Anna erscheinen lasse und reden.
Kniend vor seinem Altar mit Buddha und Krishna und Kali,
Dieser Mystiker ist geraten in Trance und Verzückung.
Als er wieder zu sich gekommen, sprach der Schamane:
„Nicht hab ich ihr Gesicht gesehn, doch gehört die Geschichte,
Dieses Mädchen ist schwer durch ihre Sünden belastet,
Immer noch viele Sünden hat sie im Feuer zu büßen!
Sterne sagten mir, dass sie einen Unfall gehabt hat,
Keine Nachricht wird von ihr gehört in den nächsten zwölf Monden.
Dieses Paar wird sich wieder von Antlitz zu Antlitz begegnen,
Aber sie wagen es nicht, einander ganz zu erkennen.“
Des Schamanen Worte klangen komisch den Ohren,
So dass keiner von ihnen ihre Gültigkeit glaubte,
Das war nur Hexerei und Zauberei, törichter Unsinn,
Anna war tot, man kann sie auf Erden nie wieder sehen!
Weiter trauerte Junker Jörg und weinte um Anna,
Nie wieder würde er sehen solch eine irdische Göttin!
SECHZEHNTER GESANG
Junker Jörg war überzeugt, dass Anna schon tot war,
Und so wusste er nichts von ihrer irdischen Hölle.
Lady Liliths grausamen Männern war es gelungen,
Anna gefangen im Wagen über die Nordsee zu fahren,
Und so kam sie nach Sylt im Norden, der friesischen Insel,
Und der Wagen fuhr direkt an ein Gästehaus, vornehm,
Wo die grausamen Männer ihre Belohnung empfingen.
Anna ward in die Mägdekammer gebracht in der Villa.
Alle Stunden der Nacht hindurch war ohnmächtig Anna,
Aber am Morgen erwachte sie von wildesten Träumen,
Und sie fand sich gelegt in die Mägdekammer der Villa.
Sie war immer noch verwirrt von des Morgentraums Filmen,
Als eine Stimme erscholl, die rief, sie solle sich melden,
Eine der Mägde kam herauf und drängte zur Eile,
Und erschrocken folgte Anna den Schritten des Mädchens.
Blickend auf das Wappen, sah sie die Dreizehenmöwe.
Kandelaber erhellten den Salon in der Villa,
Würdig in einem Sessel saß eine Großmutter-Greisin.
Diese Großmutter-Greisin Traute fragte: „Wer bist du?“
Ehrlich und höflich erzählte Anna ihre Geschichte.
Traute ward wütend, sie überfiel ein stürmischer Ingrimm,
Vorwurfsvoll rief die Alte: „Diese schamlosen Weiber!
Und der Mann ist nicht ein guter und ehrlicher Bürger,
Sondern ein Spieler und ein Ehemann und ein Betrüger.
Du siehst aus wie eine nachtschwarze Katze vom Friedhof
Oder wie ein banges Rebhuhn tief in den Dünen,
Der es zu peinlich ist, sich selbst zu verteidigen, Anna,
Du bist verkauft, um eine meiner Mägde zu werden,
Aber du bewahrst noch immer Distanziertheit und Hochmut.
Aber häusliche Disziplin will ich heute dich lehren!
Magd, gib dreißig Schläge mit der Rute dem Mädchen!“
Alle die Mägde schrien einstimmig: „Lasst uns sie schlagen!“
Anna war hilflos, ihre Unschuld erneut zu beteuern.
Ohne Gnade schlugen die Mägde mit Ruten und Gerten.
Wie erbärmlich für sie, des Pflaumenbaums zärtliche Blüte,
Die ward nun im peitschenden Regen grausam gebrochen!
Und nun nannte man Anna Freudenmädchen des Meeres,
Sie ward zugeteilt einer Gruppe von kichernden Mägden.
Fortan schmachtete sie dort unter dem meerblauen Mantel,
Kümmerte sich nicht mehr um die Haare, die Haut ihres Körpers.
Eine Frau namens Kordula hatte Mitleid mit Anna,
Sie bedauerte sie und ehrte sie, weil sie so reizend,
Diese Kordula bot ihr Haschisch-Kekse und Tee an,
Und mit freundlichen Worten sprach sie vom Weg der Befreiung:
„Alles ist Zufall. Aber sei wachsam, schütze dich selber,
Sicher in einer früheren Inkarnation auf der Erde
Hast du angehäuft durch Sünden ein schreckliches Karma.
Aber hier haben Wände Augen und Hausdächer Ohren,
Ignoriere sie alle, ob sie auch nett sich verstellen.
Was kann im Falle eines brutalen Wirbelsturms plötzlich
Tun die Biene, die Ameise, dass sie Gerechtigkeit finde?“
Anna konnte nicht verhindern, Tränen zu weinen
Aus der Angst ihres Herzens für ihre elenden Nöte:
„Haufen Leiden haben sich gehäuft auf mein elendes Schicksal,
Keiner war je im Elend wie die elende Anna,
Ach, wie grausam wird noch sein mein schreckliches Unglück,
Das mich bindet an alle Katastrophen der Erde?
Um die Schulden meines vergangenen Lebens zu büßen,
Wie eine wuchernde Schlingpflanze, muss ich riskieren mein Leben.“
Anna wünschte sich, sie könnte schöpfen einigen Atem,
Da kam die junge Christine zu Besuch bei der Oma.
Und nach einem langen Gespräch mit der Enkelin sagte
Traute, dass Anna kommen solle, und befahl ihr mit Strenge:
„Meine junge Christine braucht eine Dienerin, Anna,
Du darfst jetzt gehen und dienen meiner schönen Christine.“
Unterwürfig folgte Anna der Herrin, der jungen,
Wissend, dass Himmel oder Hölle unübertragbar.
So verbrachte Anna Tag und Nacht mit Christine,
Immer fleißig, die Pflichten der Magd getreu zu erfüllen.
Eines Abends fragte Christine nach Annas Gitarre,
Und gehorsam begann die Magd, Gitarre zu spielen,
Und verzauberte ihre Herrin durch Lieder der Liebe.
Ja, die schöne Christine mochte Annas Talente,
Und so verringerte sich die herbe Strenge Christines.
So verbrachte Anna im Haus Christines die Tage
Ihrer Verbannung, betend Tag und Nacht mit dem Herzen.
Sie betrauerte ihre verlorene Liebe zu Josef,
Und sie wünschte, ihn einmal im Himmel wiederzusehen.
Ach, in allen vier Himmelsrichtungen unter den Wolken
Wusste sie nicht zu finden das Haus der Eltern, die Heimat.
SIEBZEHNTER GESANG
Während der vergangenen Tage, vergangenen Monde
Josef wusste fast nichts von Annas schrecklichen Leiden.
Seine Vogelin war entschwunden, ins weite geflogen,
Er war einsam in seiner leeren verödeten Kammer.
Nur der Neumond erinnerte ihn an die Brauen von Anna,
Ihr Lavendel-Duftkissen ihm vermehrte sein Elend.
Blühende Astern hatten ersetzt die verblassenden Tulpen,
Als der Frühling dem Winter folgte, ward stärker sein Herzschmerz,
Da er nicht wusste, wo zu finden die frühere Liebe.
Sich zu fügen ins Schicksal nur ihm stillte die Schmerzen.
Plötzlich berührt von einem Anfall sehnlichen Heimwehs,
Kehrte er heim in sein heimatliches nordisches Hamburg.
Aber Lady Litlith war in Berlin, war in Spandau,
Neugierig hörte sie die Nachrichten, weltlich-politisch.
Dann ward hochgerollt der Vorhang der heimischen Halle,
Anna ward gerufen, um Lady Lilith zu grüßen.
Zögernd schritt sie mit Schwalbenschritten vorwärts im Zimmer,
Ihre Augen geradeaus gerichtet auf jemand:
„Bin ich geblendet von der Sonne“, sich wunderte Anna,
„Oder ist das Junker Jörg, der sitzt dort im Zimmer?
Mittlerweile verstehe ich alles, evident-deutlich,
Dass ich gefangen bin im Netz des schrecklichen Paares.
Was um alles auf Erden soll der Trick dieser Leute?
Wer in dieser Welt ist diese böse und tückische Lady?
Das soll geben ein echtes Paar von Männchen und Weibchen,
Wenn im selben Hause die Magd und die herrschende Dame.
Äußerlich spricht sie freundlich und lächelt wie Lisa da Vinci,
Innerlich ist ihre Zunge ein Schwert, ein Solinger Messer.
Ich bin die niedrige Erde, sie ist der göttliche Himmel,
Wie nur können wir uns vertragen? Was soll ich sagen?“
Ihre Blicke trafen sich, ihre Seelen im Chaos,
Ihre Herzen in Aufruhr wie ein Seiden-Schlamassel.
Furchtsam wagte es Anna nicht, der Frau zu gehorchen,
Und sie neigte den Kopf, sie warf sich hin auf den Boden.
Junker Jörg ward von einem unseligen Schrecken getroffen:
„Ach“, so sprach er zu sich, „ists Anna, die ich hier sehe?
Was ist die Ursache, dass sie hier im großen Berlin ist?
O verdammt, dass ich in diese Falle geraten!“
Aus routinemäßiger Angst hielt er sich den Mund zu,
Aber er konnte es nicht verhindern, es tropften die Tränen.
Lady Lilith nun sah ihm in die Augen und fragte:
„Was macht dich so elend, gerade hierher gekommen?“
Junker Jörg sprach: „Der Ausdruck der Trauer endete einfach,
Ach, ich weine um Mama, und das macht mich so traurig.“
Lady Lilith lobte: „Du bist ein dankbares Söhnchen!
Lass uns Wiedervereinigungs-Becher trinken zum Troste!“
Also trank das Paar vom Süßwein viel in der Herbstnacht,
Anna musste warten, bis sie zu Ende getrunken.
Lady Lilith bemängelte neidisch die Haltung von Anna
Und sie zwang sie zu knien und hob den Kelch in die Höhe.
Panisch erschien nun Junker Jörg wie ein Traumatisierter,
Er trank Becher um Becher, die Tränen mit Süßwein vermischend,
Seitwärts sich wendend, redete Unsinn er, lächelnd wie Toren,
Dann gab er vor, sich zurückzuziehen aus Trauer um Mama.
Ohne zu zögern, schrie Lady Lilith: „Schlampige Hure!
Sag meinem Mann, er soll mich befriedigen, oder ich schlag dich!“
Junker Jörg nun fühlte sein Herz in dem Busen gebrochen,
Er versuchte, weitere Becher Süßwein zu schlucken.
Die beschwipste Lady Lilith schwatzte und lachte,
Spielend ein neues Spiel im Sport des prickelnden Süßweins:
„Nun, du stadtbekannte Dirne, du bist ja begnadet,
Nimm die Gitarre und spiel einen Song für meinen Geliebten!“
Fast im trunkenen Zustand von ohnmächtigem Wahnsinn,
Stimmte Anna die Gitarre schnell vor dem Wandschirm,
Ihre musikalischen Saiten schienen zu seufzen
Und zu weinen, das Herz von Anna war nahzu zerschmettert.
Hörend die immer gleichen Melodieen des Bluessongs,
Lachte Lady Lilith, doch Junker Jörg musste schluchzen.
Unfähig, länger zurückzuhalten die reichlichen Tränen,
Senkte er das Haupt und wischte verstohlen den Tau ab.
Aber Lady Lilith schrie nun Anna an, zankend:
„Warum so traurige Melodieen in schwelgenden Zeiten?
Hast du denn gar nicht ein bisschen sensible Gefühle?
Das ist deine Schuld, dass Jörg so traurig geworden.“
Junker Jörg, er war es, der immer elender wurde,
Und er zwang sich, hastig zu reden und dabei zu lächeln.
Schon schlug die Uhr die Glockenschläge der Mitternachtsstunde,
Lilith sah Jörg an und schien zufrieden, es freute ihr Herz sich.
„Diese Lust macht wett meine stummen jahrlangen Schmerzen.“
War nun Junker Jörg auf dem Höhepunkte der Leiden,
Krümmte sein Herz sich mehr, je mehr er wälzte Gedanken.
Lady Lilith und Junker Jörg nun gingen zu Bette,
Anna war die Nacht lang allein vor der flackernden Lampe.
„Jetzt zeigt alles sich klar vor meinen sehenden Augen,
Dieses Weib erwarb einen Neid von seltsamer Größe!
Welchen Plan, zwei Freunde zu spalten, hat sie erfunden!
Jeden zwingt sie, den andern zu ignorieren vollkommen,
Eine Kluft nun trennt ihn von mir, ein gähnender Abgrund,
Da gibts nicht Klatsch und gibts nicht Zensur und gibts nicht Verbote,
Diese Schuld ist leicht wie Schaum, ist schwer doch wie Blei auch,
Nichts bleibt von unserem Bund mehr übrig der sinnlichen Liebe.
Dann als ein hilfloses und ein ganz vereinsamtes Mädchen,
Könnte ich überleben heil die Stürme des Lebens?“
Also saß sie die ganze Nacht allein in der Kammer,
Schwach ward die Lampe, ihre Tränen flossen in Strömen.
Darum war Anna den ganzen Tag erfüllt von Betrübnis,
Lady Lilith sah das und fragte: „Warum bist du traurig?“
Anna wählte die Worte geschickt für die richtige Antwort:
„Weil ich beweinen muss mein ach so bitteres Schicksal!“
Lady Lilith wandte zu Junker Jörg sich und sagte:
„Hilf mir, sie zu bitten, die ganze Wahrheit zu sagen!“
Jörg empfand, es werde sein Darm in Stücke gerissen,
Nicht ertragen konnt er die Szene und konnt auch nicht beichten.
Sagt er die wahrheit, wird er Anna sicherlich schaden,
Dass er lieber der Untersuchung Risiko annahm.
Anna neigte den Kopf tief und kniete im Vorraum des Hauses,
Schrieb ihre Lebensgeschichte auf mit flüssiger Tinte,
Kam, die Geschichte vorzulegen der fordernden Herrin,
Die schien ein wenig bewegt nach einem flüchtigen Blicke.
Lady Lilith gab die Geschichte dem Junker und sagte:
„Anna ist ein Talent und hat ein erbärmliches Schicksal.
Wenn die prädestiniert wär von dem Herrn für die Freude
Und das Glück, sie wäre eine Halle voll Gold wert!
Aber sie treibt im Ozean der Stürme des Lebens,
Schad um die große Kunst in schrecklichen Nöten!“
Junker Jörg sprach: „Deine Worte sind wirklich präzise,
Schöne Frauen enden doch alle im elenden Schicksal!
Es ist ebenso schon gewesen vor viertausend Jahren,
Darum erweist du der Elenden besser Gnade und Mitleid.“
Lady Lilith sprach: „Laut ihrer eignen Geschichte
Wünscht sie sich nur, ihr trostloses Leben bald zu beenden.
Gut, ich werde ihr ihre tiefste Sehnsucht erfüllen.
Da ist das Kloster der Karmeliter in Köln an dem Rheine,
Sankt Maria, Friedenskönigin, nennt sich das Kloster,
Da kann sie leben eingesperrt in der einsamsten Zelle,
Tag um Tag und Vers um Vers übersetzen die Bibel.“
Also ward sie nach Köln gebracht in das Kloster vom Karmel,
Reiche Geschenke machte Lilith der Mutter Äbtissin.
Dann ward Anna geführt zum Altar des Bräutigams Jesus,
Dort verbrachte sie Zeit im Gebet und schwor ein Gelübde,
Und ihre Jeans vertauschte sie mit der bräunlichen Kutte,
Und sie erhielt als neuen Namen: Jekatharina.
Nun im Herbst und Frühling war sie Dienerin Gottes.
Anna versteckte sich am liebsten im Garten des Klosters,
Immer nahe bei Jesus Christus, fern von den Menschen,
Hatte sie keine Sehnsucht mehr nach irdischer Liebe,
Nur zufrieden damit, die Seele zu reinigen büßend.
Trauer und Kummer in Jesu Christi Gnade begrabend,
Übersetzte sie die Bibel und betete immer.
Seit nun Anna die braune Kutte des Karmel gewählt hat,
War der Mond ein paar Mal verschwunden und wieder gewachsen.
Auf das Strengste beobachtet von den anderen Nonnen,
War sie froh mit den andern, aber weinte alleine.
Ihre Zelle mit der hebräisch-griechischen Bibel
War doch zehntausend Kilometer entfernt von dem Himmel.