BALLADE
VON TORSTEN SCHWANKE
IHR TOD
So wie alle großen Männer,
Deren Leben reich an Liebe,
Reich an Macht und an Verrätern
Und Unsterblichkeitsgerüchten,
So unsterblich ist Maria,
Diese Herrscherin von Jever,
Welche ward nach ihrem Tode
Ewig lebend unterm Volke.
Ein Symbol ist die Maria
Eines Friedens immerwährend,
Sie gewährt den Friesen Wohlstand,
Alle Jahre gute Ernten.
Aber wenn die Not am größten,
Revolution, Tyrannen,
Seuchen oder Bürgerkriege
Wüten, kehrt Maria wieder!
Ihren Ursprung hat die Sage
In der Not, Marias Heimgang
Fünfzehnhundertfünfundsiebzig
Streng geheimzuhalten allen
Friesen in dem Osten Frieslands,
Bis Graf Johann kommt, der Siebte,
Der von Oldenburg gekommen,
Folgte auf dem Thron Maria.
Unbehelligt von den Gegnern
Sollt der Oldenburger Johann
Seine Herrschaft über Jever
Treten an von Gottes Gnaden.
Die Manöver dieser Täuschung
Mussten länger noch bestehen,
Darum vor Marias Türe
Stets lag etwas Brot und Käse
Und ein herbes Bier von Jever,
Dass des Ostens Friesen dächten,
Dass das Fräulein sei lebendig
Und Marie leibhaftig da sei.
Denn so sollten die Spione
Täuschen sich beim Spionieren.
Ja, Maria ist lebendig,
Herrscherin im Reich der Friesen!
Das gab so dem Weiterleben
Unsres Lieben Fräuleins Nahrung
Und so finden sich Legenden
Vom Verschwinden unsres Fräulein
In geheimen Gängen. Später,
In dem siebzehnten Jahrhundert,
Wusste das ein jeder Bauer,
Jede Dirne, jeder Knabe.
Doch Maria, unser Fräulein,
Starb mit fünfundsiebzig Jahren.
Eine feierliche, große
Feier ihrer Totenruhe
Hat es damals nicht gegeben.
So erschien ihr Tod als Rätsel.
Scheidend ist sie abgefahren
Im Triumphgefährt, das gläsern,
Und von Hähnen ward gezogen,
Von vier stolzen goldnen Hähnen,
Und sie kehrte niemals wieder,
Bis sie kommt am Jüngsten Tage.
Ihre Kleider waren prächtig,
Als in Gängen unterirdisch
Und geheimnisvoll Maria
Aus den Augen war verschwunden.
Aber später kleine Knaben
Wollten suchen nach Maria,
Traten in geheime Gänge,
Aber sind nicht weit gekommen.
Nur der kleine Knabe Immo
Vordrang bis zu einer Türe,
Die aus hartem Holz der Eiche,
Lag ein schwarzer Hund dahinter,
Glotzte an den Knaben Immo
Aus den feurig roten Augen,
Wächter er des Totenreiches,
Kerberus des Schattenreiches.
Da ist umgekehrt der Knabe
Voller Todes Furcht und Schrecken,
Und Maria blieb verschwunden,
Herrscherin im Reich der Toten.
In der schwarzen Mutter Erde
Unser Fräulein ward begraben.
Unerkannt nun ruht ihr Leichnam
Unterm Denkmal ihres Vaters
Edo Wiemken in der Kirche.
O Marie, du liebes Fräulein,
Du bist Königin der Herzen
Ewig in dem Herzen Frieslands!
DAS MARIENLÄUTEN
Weiter meldet mir die Muse,
Dass Marie ihr Ende ahnte,
Dass der Todesengel komme,
Küssend sie vom Bett zu pflücken.
Und als ihren letzten Willen
Sie bestimmte, dass in Zukunft
An dem Tage ihres Todes
Glockenläuten soll erschallen
Immer zu der Zeit der Vesper,
Wie das Angelusgeläute,
Bis sie eines Tages wieder
Komme aus dem Totenreiche.
Heute noch erschallen Glocken
In dem Heiligtum von Jever,
Dieses treue Glockenläuten
Nennt man das Marien-Läuten.
Das Marienläuten aber
Geht zurück auf die Bestimmung
Unsres Fräuleins, jeden Abend
Feierabend zu verkünden.
Da wird Zapfenstreich geblasen,
Und der Arbeitsmann wird ruhen
Von der Arbeit bei dem Tässchen
Tee und einem Käsebrote.
Anton Günther, Oldenburger
Graf, veränderte das Läuten,
Dass er ließ im Winter läuten
Abends um die neunte Stunde,
Sommers um die zehnte Stunde.
Aber unser liebes Fräulein
Gönnte Arbeitern und Bauern
Ihren lieben Feierabend.
Dieses abendliche Läuten,
Jever führt es fort bis heute.
Die rebellischen Franzosen,
Maurer, Revolutionäre,
Sie verboten dieses Läuten.
Doch von selbst die Glocken schwangen
Tönend zum Marien-Läuten,
Und so beugten sich die Franken.
JAN VON CLEVERNS
Guten Morgen, meine Muse,
Hab geträumt von unserm Fräulein.
Singe mir von der Regierung,
Wie sie Gottes Weisheit führte.
Sie hat viel getan für Jever.
Fünfzehnhundertsechsunddreißig
Hat sie es zur Stadt erhoben.
Das Gebiet hat sie vergrößert,
Da sie neues Land gewonnen
Von der Deutschen Bucht der Nordsee
Durch den Bau von neuen Deichen,
Wie es einst tat Doktor Faustus.
Sie erbaute neue Siele,
Pflegte ehrlich die Gesetze
Der Justitia, der blinden,
Und es blühte auf der Handel.
Manchmal doch in ihrer Weisheit
Musste sie auch streng bestrafen,
Dass die Friesen sich bekehren,
Kehren um zu Zucht und Sitte.
Einst in ihren Ländereien
Gab es einen frechen Jüngling,
Der, die ihn geboren hatte,
Der nicht seine Mutter ehrte.
Einst erhob er seine Rechte,
Schlug der Mutter auf die Wange,
Nannte seine Mutter Nutte
Und verging sich an der Mutter.
Unser Fräulein aber sagte:
Gott spricht: Ehre deine Mutter
Und die Mutter deiner Mutter
Und die deutsche Muttersprache!
Und sie ließ dem dreisten Jüngling
Seine rechte Hand abhacken,
Dass er nie mehr seiner Mutter
Mit der Hand ins Antlitz schlage.
Aber einmal auch erzürnte
Unser Fräulein über einen
Seepiraten von Forsete,
Von dem Helgoland der Nordsee.
Denn er war ins Land gekommen,
Jan von Cleverns war sein Name,
Und sein Held war Störtebeker,
Meistens war er schwer betrunken.
Und so hat er in dem Vollrausch
Vergewaltigt eine Dirne,
Wie einst Amnon tat mit Tamar,
Wie zu lesen in der Bibel.
Nun Marie in ihrem Grimme
Ließ ihm seinen Kopf abschlagen,
Ließ ihn in die Nordsee werfen.
Wäre er nur nie geboren!