TRILOGIE DER LEIDENSCHAFT


von Josef Maria von der Ewigen Weisheit

Vorwort:
Die alten Griechen gaben Tragödien als Trilogien heraus mit einem Satyrspiel als Abschluss. So gebe ich hier die Trilogie: Die wahre Helena – Phädra – der angenagelte Prometheus - mit dem Satyrspiel Aphrodite in Flammen. In den Tragödien habe ich in der Form versucht, Euripides bzw. Äschylus mit Racine zu vermählen, und im Inhalt den hellenischen Geist mit der christlichen Religion. Die Tragödien sind unter großen seelischen Schmerzen, teilweise in der Psychiatrie, nach dem frühen Tod einer geliebten Freundin geschrieben. Das Satyrspiel ist die Nachahmung eines modernen englischen Dramas und versucht, die Qualen der Leidenschaften ironisch zu brechen.



ERSTE TRAGÖDIE
DIE WAHRE HELENA


Ort: Ägypten. Zeit: Nach dem Fall Trojas.


ERSTER AKT

ERSTE SZENE

HELENA
Nun steh ich hier allein, fern meinem Griechenland,
Wohl waltet über mir des Vatergottes Hand.
So denke ich zurück an jene Unheilsstunde,
Da Alexander stand am Ida in dem Grunde
Bei Troja, ihm erschien dreifaltig Gott-Natur,
So Alexander stand, erschrockne Kreatur,
Und sah Athene an, die Alexander fragte,
Ob sie die Schönste sei? Der arme Mann verzagte,
Es fragte ihn ja auch die Himmelskönigin
Mit weißem Lilienarm: Ob ich die Schönste bin?
Und Alexander sah des Meeresschaumes Blüte,
Die nackend ihm erschien, die Göttin Aphrodite,
Die fragte lächelnd ihn, charmanten Lächelns leis:
Nennst du die Schönste mich, gibst mir des Apfels Preis,
Schenk Alexander ich, ich Anadyomene,
Die schönste Frau der Welt, erotische Helene.
Und so begann der Krieg. Die Himmelskönigin,
Der Ehe-Göttin sie, in heilig-keuschem Sinn,
Dem Alexander gab ein Scheinbild, eine Schöne,
Die nichts als Traumfrau war. Um dies Idol Helene
Das weise Griechenland mit Troja führte Krieg,
Ich weiß nicht, ob bereits errungen ist der Sieg.
Die Himmelskönigin mich nahm in ihre Arme
Und führte mich hinweg aus all dem herben Harme
Und nach Ägypten hin die Himmelskönigin
Mich brachte, Helena, die ich die Keusche bin,
Nicht frevelnd mich begab in Alexanders Nähe,
Nein, Menelaos treu, nicht brach die fromme Ehe.
So wahrte Helena die Himmelskönigin,
So dass ich unbefleckt vom Ehebruche bin.
Jedoch der Griechen Heer in Asia im Kriege
In wilder Kriegerwut sie kämpften bis zum Siege.
Um wen denn kämpften sie? Um nichts als ein Idol,
Chimäre, Phantasie, ein Traumbild, innen hohl,
Ein flüchtiges Idol, gleich Imaginationen,
Um eine Illusion, gleich Halluzinationen.
Dies reizende Idol der Traumfrau Helena
Ist weiße Leinwand nur, auf der ein jeder sah,
Was ihm im Innern war. Die Männer projizieren
Und malen farbig schön die schönste Frau, die ihren
Gemütern ganz entspricht, ist Psyche offenbar.
Doch ich bin Helena, die wahre Frau, und wahr
Bin ich ein wahrer Mensch von gottgezeugtem Wesen.
Von Gott ist meine Art, von Gott ich auserlesen,
Vom Vatergott geliebt, ich Gottes Tochter bin,
Geschützt vom Lilienarm der Himmelskönigin.


ZWEITE SZENE

(Helena am Granit-Grabmal des alten Pharao.)

HELENA
So kam ich also einst hierher ins Land Ägypten,
Wo Götter von Basalt regieren in den Krypten.
Der alte Pharao nahm mich als Tochter an,
Er war ein Vater mir, ein tiefgelehrter Mann.
Nie die Spartanerin war jemals königlicher,
Beim alten Pharao, dem Vater, war ich sicher.
Nicht eitel schmückt ich mich mit Flechten und mit Putz,
Der alte Pharao gewährte seinen Schutz
Der schlichten frommen Frau, die einfach war und edel.
Ägyptens Weisheit war in seinem breiten Schädel,
Ägyptens Weisheit und Mysterienreligion,
Geheime Wissenschaft vom ewigen Äon,
Vertraut war diesem Mann, der Pharao war weise,
Die Göttin Isis in der Tierkreisbilder Kreise
Verehrte er und mit der Mutter auch den Sohn
Und nahm stets teil an der Mysterienreligion.
Doch schließlich starb auch er. Ich hüllte mich in Trauer.
Es stirbt der Pharao, es stirbt auch jeder Bauer,
Sie kommen ins Gericht. Wer aber auferstand,
Als Bauer ewig lebt und pflügt sein Ackerland
In alle Ewigkeit und ausstreut seine Saaten.
Die Totengötter sind Ägyptens Demokraten,
Der Bauer aufersteht im Jenseits ebenso
Wie aus dem Mumienschrein der große Pharao.
Dem alten Pharao gefolgt ist auf dem Throne
Der junge Pharao. Ich werde von dem Sohne
In Liebesgier bedrängt. Der Pharao begehrt
Die Europäerin, er sagt, dass er verehrt
Der Gottesschönheit Bild in meiner Zierrat Zierde,
Allein ich weiß als Frau, es ist nur die Begierde,
Er schielt nach meinem Hals, er schielt nach meiner Brust,
Ich bin ihm Augenlust, ich bin ihm Fleischeslust.
Er ist betört, verwirrt von meinen Körperreizen,
Er träumt in seinem Geist, ich tät die Schenkel spreizen.
Jedoch mein Herz ist keusch, jungfräulich ist mein Herz,
Ich liebe nicht den Spaß, den töricht-eitlen Scherz,
Die lose Buhlerei in fremden Mannes Nähe.
In meinem Herzen bin ich treu dem Mann der Ehe,
In meinem Herzen und im Fleische bin ich treu,
An keinem Manne als an Menelas mich freu.
Zudringlich aber ist der Pharao, der junge,
Bedrängt mein Muschelohr mit seiner Schlangenzunge,
So fliehe ich vor ihm zu diesem Grab-Granit.
Der alte Pharao vom Himmel niedersieht
Und schützt mich vor dem Sohn, die ich sonst keinen habe
Als eines Toten Geist hier am granitnen Grabe.


DRITTE SZENE

(Ein griechischer Bote tritt zu Helena.)

GRIECHISCHER BOTE
Wer bist du, schöne Frau, granitnem Grabe nah?
HELENA
Ich bin Spartanerin und heiße Helena.
GRIECHISCHER BOTE
O, wenn du Griechin bist, so willst du sicher hören,
Ob Troja heut noch steht? So kann ich dir beschwören,
Gefallen Troja ist, geschlagen von dem Heer
Der griechischen Armee, die ankam übers Meer.
HELENA
Nun sage mir auch, nach dem Krieg und seinem Chaos,
Was kannst du sagen mir vom Griechen Menelaos?
GRIECHISCHER BOTE
Des Menelaos Frau Zankapfel war des Kriegs,
Die Alexander nahm, nach dem Triumph des Siegs
Aus der zerschlagnen Burg und ihrer Trümmer Chaos
Die Frau nahm sich zurück der Grieche Menelaos.
HELENA
Wie, Menelaos hält Helene an der Hand?
Ist heimgekommen er bereits nach Griechenland?
GRIECHISCHER BOTE
Legenden hört man viel. Odysseus, geht die Sage,
Zehn Jahre irrt umher, dreitausend lange Tage,
Es hielt die göttliche Kalypso ihn im Schoß,
Bis von der Göttin er riß sich gewaltsam los,
Er irrte übers Meer, als ihm sein Floß zerschmettert,
Er Leukothea sah, die Frau, von Zeus vergöttert,
Die ihren Schleier ihm ließ huldvoll sinken, dass
Er retten ließe sich aus Meerestiefen naß,
Da lag er plötzlich nackt bei Klippen an dem Strande,
Und so nahm man ihn auf in dem Phäakenlande,
Odysseus nämlich an dem Strande spielen sah
Mit ihren Freundinnen die Maid Nausikaa,
Als er vor ihr erschien, fast wie ein Todesschatte,
Nackt, nur verhüllt das Glied von einem Eichenblatte.
HELENA
Odysseus kehrt wohl heim. Doch sag mir lieber, was
Geworden ist aus dem geehrten Menelas?
GRIECHISCHER BOTE
Ach, Fama bläst das Horn, lässt das Gerücht erschallen,
Daß Menelaos sei, seit Trojas Burg gefallen,
Auf Irrfahrt, irrend auf dem alten Archipel.
HELENA
So lebt er also noch? O weiter doch erzähl!
GRIECHISCHER BOTE
Die Fama bläst das Horn, der Grieche sei verdorben,
Der edle Menelas, bläst Fama, sei gestorben.


VIERTE SZENE

HELENA
O Bote, kommst du doch zu mir aus Griechenland,
Wie geht es Helenas Familie? Gottes Hand
Ist über Helena und all den Ihren gütig.
Die Hand des Vaters, sag, ist Gott im Zorne wütig?
BOTE
Von ihrer Mutter hör! Die Nymphe Leda sahn
Die Himmlischen dereinst, wie Gott als weißer Schwan
Sie gnädig heimgesucht und liebend sie begattet
Und sie als Gotteskraft hat fruchtbar überschattet.
Die Mutter jetzt ist tot, die Nymphe Leda tot!
HELENA
Die Nymphe Leda ist von Gottes Zorn verdorben,
Als Folge ihrer Schuld als Sünderin gestorben?
Ist keine Hoffnung mehr, dass Leda weiterlebt?
Wie Wehen der Geburt mein weißer Busen bebt!
Wir werden alle doch des grimmen Hades Futter!
Ah weh dir, Helena, ah wehe deiner Mutter!
BOTE
Doch hatte Helena ein Töchterchen, ein Kind,
Ein Mädchen, jung und schön, wie junge Mädchen sind,
Die Maid Harmonia in ihrem jungen Grame
Verwehrte sich dem Bund mit einem Bräutigame.
O großer Schade ist es einem Mädchen doch,
Wenn sie die Ehe scheut, des Ehegatten Joch.
Wodurch geheiligt wird das Mädchen in der Jugend?
Wenn Söhne sie gebiert in ehelicher Tugend!
Ein Mädchen unfruchtbar, ein Mädchen unbemannt,
Von keines Gatten Akt im Ehebund erkannt,
Wenn ihre Jungfernhaut nicht leidet sanfte Häutung,
Ein solches Mädchen ist doch ohne die Bedeutung,
Die eine haben kann, in Ehren haben kann,
Die gänzlich sich ergibt in Liebe einem Mann.
HELENA
Sind keine Freier denn in ihrem Heimatstädtchen?
Wählt keinen sich zum Mann das wunderschöne Mädchen?
Glückselig ist der Mann, ich sags mit keuschem Mund,
Glückselig, den sie wählt zum ehelichen Bund.
BOTE
Doch aber Helena, beim Liebeslied der Lieder,
Sie hatte Brüder auch, die beiden Zwillingsbrüder.
HELENA
Was ist geworden denn, o sage weis und wahr,
Was ist geworden denn aus diesem Zwillingspaar?
BOTE
Was immer lästern auch die gottvergessnen Spötter,
Die Zwillinge sind doch geworden eilansgöttHeilanHeilandsgötter!
HELENA
Ach weh dir, Helena, ach dulde, leide still!
Ich selber nur in Gott, in Gott verlöschen will!
Wenn ich die Erde seh, die Übermacht des Bösen,
Begehr ich nur, in Gott mich gänzlich aufzulösen!


FÜNFTE SZENE

HELENA
In meinem Busen welch ein Chaos!
Ich weiß nicht: Lebt noch Menelaos?
Ist Menelaos, weh mir, tot?
Dann wein ich Tränen blutig rot!
CHOR DER GRIECHISCHEN SKLAVINNEN IN ÄGYPTEN
Die Tochter Pharao befrage,
Daß sie dir deine Zukunft sage!
Die Tochter Pharao ist klug,
Die oft in stiller Wüste frug
Nach ihres Gottes leiser Stimme,
Ob Gott sei gnädig oder grimme.
Die Tochter in Ägyptenland
Geschrieben las in Gottes Hand
Das Schicksal aller Menschenseelen,
Ob sie voll Glück, ob sie sich quälen.
Des Schicksals Vater ist doch Gott,
Wir aber, Odem im Schamott,
Wir wollen ganz uns unterwerfen
Und unsre innern Sinne schärfen,
Ob wir auch in der Wüste dort
Vernehmen Gottes leises Wort.
Nicht für dich selber sollst du fragend
Und flehend bitten, beten klagend,
Die Tochter Pharao am Ort
Befragen nach des Vaters Wort,
Doch ob in dieses Daseins Chaos
Lebendig sei dein Menelaos,
Ob er nach des Geschicks Gebot
Sei schon im Hades, sei schon tot.
Die Tochter Pharao, die stille,
Sie weiß, wie Gottes Vaterwille,
Sie hört die Stimme Gottes still,
Und weiß, was Gott vom Menschen will.
Wir sind vor Gott ja nichts als Sklaven,
Wir wollen ja in Gott nur schlafen,
In Geistesdingen sind wir stumpf,
Von Venus sehn wir nur den Rumpf,
Nur Brüste, aber keine Arme.
Doch dass der Höchste sich erbarme,
Befrage die Prophetin dort
Nach Gottes Weisung, Gottes Wort.
Denn die Prophetin kann bezeugen,
Daß Gott ist nicht ein Gott im Schweigen,
Im Innern der Prophetin schlicht
Der Höchste leise wehend spricht.
Ja, in der Tochter Pharao
Ertönt das Wort, das A und O.
So geh und ende deine Klage,
Die Tochter Pharao befrage!



ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Menelaos in zerfetzten Kleidern, verwildert die langen blonden Haare und der lange volle Bart. Er steht vor dem Palast des Pharao.)

MENELAOS
Ach Himmel, so zerfetzt, so lumpig und zerfetzt,
So von dem langen Krieg zerrissen und verletzt!
Die Irrfahrt währte lang, seit Troja unterlegen,
Wir Griechen siegten zwar durch guter Götter Segen,
Ich habe Helena errungen mir zurück,
Sie ist auf meinem Schiff, mein Engel und mein Glück!
O schönste Helena, wie Aphrodite Schaumfrau,
O schönste Helena, du engelgleiche Traumfrau!
In meinem Innern ist im schwarzen Körper hohl
Ein dunkles schwarzes Loch, du lebst darin, Idol!
Wo aber bin ich jetzt? Fern von dem Land der Griechen,
Muß durch Ägypten ich wie Wüstenschlangen kriechen?
Hier steht nun der Palast, Palast des Pharao,
Der sicher weise ist wie König Salomo.
Ob man mich aufnimmt hier, der Schiffbruch ich erlitten?
Schiffbrüchiger, will ich um eine Zuflucht bitten!
O habt doch Mitleid, all ihr Himmlischen, mit mir,
Ich klopf um Gnade an an dieser Gnadentür!

(Menelaos klopft an die breite, hohe, uralte Pforte. Eine Alte öffnet die Pforte, es ist die greise Amme des Pharao.)

AMME
Wer klopft hier Fremdling an, wer will an diesem Orte
Begehren Einlass und will durch die Gnadenpforte?
MENELAOS
Schiffbrüchiger bin ich, verlor fast den Verstand,
Ich möchte endlich heim ins schöne Griechenland.
Schiffbrüchiger, der ich den Schiffbruch jüngst erlitten,
Ich möchte um Asyl im Land Ägypten bitten.
AMME
Der junge Pharao nimmt keinen Fremdling an,
Der junge Pharao will bald als Ehemann
Sich nehmen eine Braut, die Allerschönste freien,
Hat keinen Sinn im Glück für Leiden. Mußt verzeihen.
MENELAOS
Wer ist die Glückliche, der er gibt seine Hand,
Wer wird hier Königin sein in Ägyptenland?
AMME
Wie Hathor ist sie schön, die schöne Frau Helene,
Ein wahrer Wunderwerk an Schönheit ist die Schöne!
MENELAOS
Helene? O wie schön der Name Helena!
Sie? Sie ist ja bei mir! Sie spricht: Ich bin ja da!


ZWEITE SZENE

MENELAOS
Auf meinem Schiffe ist die seligste Helene,
Ein wahres Traumbild sie, ein Geist in höchster Schöne!
Die Amme aber sprach, es sei im Lande da
Ein wunderschönes Weib, das heiße Helena,
Und das verwirrt mich doch. Ob mich Dämonen necken?
Da nahen junge Fraun. Ich werde mich verstecken.

(Menelaos versteckt sich in einem Gebüsch. Der Chor der griechischen Sklavinnen kommt mit Helena.)

CHOR
O edle Griechenfrau, sag, hast du auch befragt
Die Tochter Pharao? Und was hat sie gesagt?
Hat die Prophetin dir in deine Seele offen
Gegossen neuen Mut dir ein und neues Hoffen?
HELENA
Der Erde Nabelstein ist Delphis Heiligtum.
Dort sitzt die Pythia, schaut das Mysterium
Und hört den Sehergott, den Segen und die Flüche.
Dann lallt die Pythia von Gott Orakelsprüche
Und trunken visionär in göttlicher Gewalt
Ekstatisch Pythia von Gott Orakel lallt
Und keiner kann verstehn, was spricht der Seelenrichter,
Bis schön es übersetzt der priesterliche Dichter.
So ist Prophetentum im schönen Griechenland.
Hier in Ägypten ist auch Prophetie bekannt
Und die Prophetin ists, die Gott vernimmt im Wetter,
Hört Gott im Wettersturm, den höchsten Gott der Götter.
CHOR
Was lallte trunken nun dir der Prophetin Mund?
Was tat des Gottes Wort, o Helena, dir kund?
Vor Sehnsucht nach dem Wort uns unsre Brüste beben:
Sag, ist dein Menelas, dein Gatte, noch am Leben?
HELENA
Des Chaos Strudel ihn ergriff, des Chaos Trubel,
Des Meeres Abgrund ihn verschlang! Und doch o Jubel,
Mein Menelaos lebt! O meine Rede stockt,
Im Busen mir mein Herz so sprachlos mir frohlockt!
CHOR
Ja, wenn uns Jammer trifft und uns die Götter nehmen
Das Liebste von uns weg, dann wilde Worte strömen
Und alles Weh und Leid wird trunken ausgesagt
Und wohlberedet reich der Mensch in Qualen klagt,
Doch will uns süßes Glück umflattern und umsummen,
Dann muß vor Lust das Herz in Seligkeit verstummen!
HELENA
Mein Menelaos lebt! Das dank ich Gott, ich weiß,
Der Himmelskönigin sei ewig Lob und Preis!


DRITTE SZENE

(Nachdem der Chor gegangen ist, tritt Menelaos aus dem Gebüsch und spricht Helena an.)

MENELAOS
Wie hängt mein Leben doch am dünnsten Schicksalsfädchen,
Du aber bist sehr schön, ja, wohl ein Himmelsmädchen?
HELENA
Ich heiße Helena, bin die Spartanerin,
Der Griechen Heiligtum, der Schönheit Königin.
MENELAOS
Das kannst du sagen wohl, doch kann ich es auch glauben?
Ach Helena, mein Traum, bei Aphrodites Tauben!
Auf dem zerstörten Schiff, auf meinem Wrack ist ja
Gerettet aus dem Brand von Troja Helena.
HELENA
Was kann ich tun, als dir den Namen mein zu nennen?
Kannst du nicht deine Frau, dein Weib in mir erkennen?
MENELAOS
Ja, wahrlich, du bist schön! Ich sehe Cypria
In deinem Ebenbild, die Göttin Paphia
In deinem Ebenbild, wie Aphrodites Schäume
Dein Leib ist schwanenweiß, jedoch im Innern träume
Ich noch von meiner Frau, im schwarzen Körper hohl
Lebt jetzt noch meine Frau, mein Helena-Idol.
HELENA
Ja, die erfandest du, phantastisch sind die Künste
Der Männerphantasie, die haschen eitle Dünste.
MENELAOS
Du Schwanenkönigin, dein Busen weißer Schaum,
Du reine Lichtgestalt, scheinst selbst mir nur ein Traum.
HELENA
Umleuchtet meinen Leib der Gottesschönheit Klarheit?
Doch bin ich wirklich Weib von Fleisch und Blut in Wahrheit!
MENELAOS
So ich dich heute schau, voll Staunen ich dich schau,
Ich mein, die Göttin selbst erscheint mir in dir Frau!
Jedoch, ich bin gewiß, dass meiner Seele Gattin
Zurückblieb auf dem Wrack, Helene, meine Göttin!
HELENA
Ist sie so schön wie ich? Schau meinen runden Leib!
Wann sahest jemals du ein so vollkommnes Weib?
MENELAOS
Doch Spartas Helena vom Reiche der Ideen,
Die solltest einmal du mit meinen Augen sehen.
Die Gottesschönheit seh ich visionärer Schau
In dieser Traumgestalt, der idealen Frau.
HELENA
Dein Geist ist außer sich, ist tief im Wahn verloren!
Was willst du mit der Frau, die dir dein Traum geboren?
Ist sie dein Ideal, im Geiste Gottes keusch,
Ich bin das wahre Weib, bin Frau von Blut und Fleisch.
MENELAOS
Ob Venus’ Tauben so im Liebesfrühling girren,
Wie weißt du mich, o Weib, wahnsinnig zu verwirren!


VIERTE SZENE

MENELAOS
O Liebesenergie im schwarzen Körper hohl,
Ich eile jetzt zurück zum Helena-Idol,
Die Wirklichkeit ist wahr, im Traum erscheint die Traumfrau,
Als Wahrheit schöner ist die makellose Schaumfrau!
HELENA
Ein leeres Traumbild nur, von lauter Nichts verkeuscht,
Das sag ich dir voraus, dass dich die Frau enttäuscht.

(Ein griechischer Bote kommt eilend und grüßt Menelaos.)

BOTE
O Menelaos, Fürst, ich komme zu berichten.
MENELAOS
Was Schicksalsgöttinnen für neues Schicksal dichten?
BOTE
Die schönste Helena, befreit aus Trojas Brand,
Die du hierher gebracht in der Ägypter Land,
Für die du Krieg geführt zehn lange Kriegesjahre,
Die Troja angesteckt mit Einem ihrer Haare,
Die Siegstrophäe, die bei der Trompeten Schall
Verkündet Griechenland den Sieg und Trojas Fall,
Die schöne Helena, die von der Liebesgöttin
Zum Ehebruch verführt, die Hündin und die Gattin,
Du ließest sie zurück auf dem zerstörten Wrack,
Matrosen um sie her, ein liederliches Pack,
Ja, heute morgen wars, ich roch die schönsten Düfte,
Die schöne Helena entfloh in Ätherlüfte!
MENELAOS
Die schöne Helena floh in die Himmelsluft,
Ließ mich allein zurück in dieser Erdengruft?
Wie kann das sein? O Mann, o sagst du auch die Wahrheit?
BOTE
Die allerschönster Frau von kristalliner Klarheit,
Die Angebetete, das göttergleiche Weib,
Sie löste auf in Duft und Luft den lieben Leib
Und so zerfloss ihr Leib im lichterfüllten Äther,
Das haben nie gesehn der Griechen weise Väter,
Ich aber habs gesehn! Ihr schönstes Angesicht
Zerfloss im Himmelsblau, ging auf im Sonnenlicht!
Ob Aphrodite selbst tat Helena entrücken?
Dahin ist das Idol, phantastisches Entzücken,
Die Göttin hat entrückt zum Himmel dein Idol!
MENELAOS
O Liebesenergie im schwarzen Körper hohl,
Was macht auch die Idee im Erdenreich der Schatten?
Kann sich ein Schatte der Idee der Schönheit gatten?


FÜNFTE SZENE

CHOR
Ach armer, armer Menelas,
Helene ohne Unterlaß
Du suchtest in des Krieges Chaos,
Ein Traumbild nur, o Menelaos!
Dein Traumbild war zwar wunderschön,
Ein Ideal aus den Ideen,
Erotisch, reizend, wenig züchtig,
Jedoch wie Schaum des Meeres flüchtig!
Aus Meeresschaum kam Cypria,
Aus Meeresgischt stieg Paphia,
Die Göttin stieg aus Meeresschäumen,
Um zu entzücken unser Träumen,
Die Schönheit vom Ideensaal
Erschien in Träumen ideal
Und ließ sich sehen in dem Lichte
Allein dem inneren Gesichte,
Der sechste Sinn allein erblickt
Das Ideal, das so entzückt,
Mit Wirklichkeit nicht zu vertauschen,
Vermag ein Traum uns zu berauschen,
Erotisch, reizend, wenig keusch,
Ein Geist in transparentem Fleisch,
In allen Liebeskünsten tüchtig,
Gleich einer Hündin wenig züchtig.
Allein, zerflattert ist der Traum,
Die Traumfrau sank zurück in Schaum.
Allein, in göttergleicher Klarheit,
Die Schönheit dir erscheint in Wahrheit,
Die Güte selbst im schönsten Leib,
Gottähnlich, aber doch ein Weib,
Nicht Illusion allein romantisch
Und nicht Vision allein phantastisch,
Nein, züchtig sie erscheint und keusch,
Doch voller Liebreiz ist ihr Fleisch,
Ihr Körper schön ist ohne Fehle,
Noch schöner aber ihre Seele,
Noch schöner aber, dass du’s weißt,
Der liebt die Wahrheit, ist ihr Geist,
Triumph der Königin! Victorie!
Schau Helena in ihrer Glorie!
Schau, ihre langen schwarzen Haare
Verschleiern bräutlich dir die wahre
Helene, sei ihr Brautgemahl,
Die wirklich ist und ideal!



DRITTER AKT

ERSTE SZENE

MENELAOS
Du bist die Helena, die Königin von Sparta,
Regentin meines Staats nach frommer Liebe Charta.
HELENA
Ich bin die Königin von Sparta, Helena,
Die lange nach dir sah, voll Sehnsucht nach dir sah.
MENELAOS
Du konntest ganz allein mein Herz im Busen rühren,
Ich will voll Zärtlichkeit den Körper dir berühren.
HELENA
Ich weiß, dass deine Lust mich gern umarmen will,
Ich lieg in deinem Arm und beb und bin doch still.

(Sie umarmen sich und ruhen eine Zeitlang in der Umarmung.)

MENELAOS
Ach dass die Götter mich nicht aus der Wonne wecken,
Ich rühre zärtlich dir dein wundervolles Becken.
HELENA
Das darfst nur du allein, mich so berühren, so
Voll liebevoller Lust zu tasten an den Po.
MENELAOS
Zehn Jahre kämpfte ich in einem schlimmen Kriege
Und dachte: Mein Triumph und alle meine Siege
Sind weniger als nichts, doch dass jetzt bei mir da
Die liebe Ehefrau, die schöne Helena,
Jetzt weiß ich auch, warum ich all die Kämpfe führte?
Jetzt aber merke ich, dass ich nur phantasierte!
Es war ein Nachtgespenst im schwarzen Körper hohl,
Dem Blitz gleich, Illusion, Phantom nur und Idol.
HELENA
Die Himmelskönigin mich brachte nach Ägypten,
Der Göttin weiht ich mich in heiligen Gelübden.
Hier in Ägyptenland der alte Pharao
Gab mir Asyl, er war so klug wie Salomo.
Der alte Pharao ist aber jüngst gestorben,
Vom jungen Pharao ich werde jetzt umworben,
Er ist charmant und gut und hilfsbereit und nett
Und will doch eines nur: Er will mich in sein Bett
Zur Liebe haben und zu ordinären Lüsten
Und sich ergötzen an dem Schoß und an den Brüsten.
Vorm jungen Pharao, den ich nicht gerne hab,
Bin ich geflohen an des alten Herrschers Grab.
MENELAOS
So segnen Tote uns, die ruhen in den Grüften,
Wenn ich dich zart berühr am Becken und den Hüften,
Der Tote wohl im Grab geheime Wollust spürt,
Als ich dein Becken dir so flüchtig zart berührt?


ZWEITE SZENE

MENELAOS
Ach komm mit mir, mein Weib, nach dieser Schicksalspause
Und diesem kurzen Tod komm du mit mir nach Hause.
HELENA
Die Heimat, ja, wie schön! Ist Sparta doch ein Staat,
Und ein Spartaner ist ein Mann der guten Tat,
Und die Spartanerin ein starkes Weib und tüchtig
Und tugendsam und fromm und rein und keusch und züchtig.
MENELAOS
Wie hat der lange Krieg doch meinen Sinn verderbt
Und all der Männermord! Was ist es, was man erbt?
Ich möchte lieber doch mit meinem Weib zu Hause
Einsiedlerisch zu zweit sein in der stillen Klause.
HELENA
Der junge Pharao lässt mich gewiss nicht gehn,
Er findet meinen Leib zu reizend und zu schön.
MENELAOS
Den junge Pharao, in geiler Wollust Orden,
Soll ich ihn mit dem Schwert im edlen Zorn ermorden?
HELENA
Nein, lass ihn leben nur! Er machte mir viel Not,
Die Götter strafen ihn dereinst bei seinem Tod!
MENELAOS
Soll ich dem Schicksal mich so wie ein Schlachtschaf fügen?
Den jungen Pharao will lieber ich betrügen.
HELENA
Ich bleibe an der Gruft, des alten Herrschers Grab,
Bis ich die zündende Idee der Rettung hab.
MENELAOS
In süßer Sehnsucht, ach, wir wollen uns doch sehnen
Nach unsrem Vaterland nach diesem Tal der Tränen,
Ob auch Ägyptenland gewährte dir Asyl,
Es ist kein Heimatland spartanischem Gefühl,
Ich sehne mich zurück nach unsres Reiches Charta,
Nach unserm starken Staat, dem Königreich von Sparta.
HELENA
Der junge Pharao steht uns im Wege noch,
Ein Wollustjünger er des Ehebruches doch,
Nur immer tiefer will er dringen, immer fester
Mich lieben. Aber ich will bitten seine Schwester,
Die Tochter Pharao, Prophetin ist sie ja,
Prophetin, rate sie der schönen Helena,
Der Götter Neunheit ruf sie an, der Götter Dreiheit,
Und führe Menelas und Helena zur Freiheit!


DRITTE SZENE

(Helena und die Tochter Pharao.)

HELENA
O Tochter Pharao, Prophetin du von Gott,
Als ich gelitten jüngst an deines Bruders Spott,
Da fragte ich dich aus: Trotz all der vielen Spötter,
Prophetin, du befrag für mich die guten Götter,
Ob Menelaos noch, mein Mann, auf Erden weilt,
Daß neue Hoffnung mir die dunkle Seele heilt.
TOCHTER PHARAO
Ich schaute ein Gesicht, dass meine Geister beben,
Ich schaute deinen Mann, sah Menelaos leben!
HELENA
Und Wahrheit sprachest du, so wahr mein Busen bebt,
Mein vielgeliebter Mann, mein Menelaos lebt!
TOCHTER PHARAO
Wo ist dein lieber Mann, der Gatte deiner Ehe?
Ach, ist er fern von dir? Ist er in deiner Nähe?
HELENA
Ja, heute eben erst, da hielt ich seine Hand,
Mein lieber Ehemann ist in Ägyptenland.
Wir suchen aber jetzt uns doch zurückzuziehen
Und aus Ägyptenland vorm Pharao zu fliehen.
TOCHTER PHARAO
Ich ruf die Götter an, bet ohne Unterlass,
Doch warum sagst du mir ganz herzlich offen das?
HELENA
Ob Todeshunde auch, ob Höllenhunde belfen,
Ob auch Anubis bellt, du möchtest uns doch helfen.
TOCHTER PHARAO
Dir helfen, dass du fliehst mit deinem Ehemann?
Sag, wie ich helfen kann, was ich da machen kann?
HELENA
Wir wollen uns nicht mehr dem strengen Schicksal fügen,
Den jungen Pharao, wir wollen ihn betrügen.
TOCHTER PHARAO
Die Götter hassen das, all diesen bösen Lug
Und all die böse List, den listigen Betrug.
HELENA
Der junge Pharao wird mich doch lieber töten,
Mit meines Mannes Blut gern seinen Säbel röten.
TOCHTER PHARAO
Zu Lüge und Betrug kann ich euch helfen nicht,
Doch Schweigen ist seit je mir höchste Götterpflicht.
In Lüge und Betrug kann ich nicht Falsches zeugen,
Doch dass dein Gatte lebt, ja, das kann ich verschweigen.
Ich lüge nicht und sag nichts Falsches, doch ich will
Vorm jungen Pharao ganz einfach schweigen still.
HELENA
Die Götter wollen so, das ist der Götter Wille.
Es schweigt die Seherin, die Seherin ist stille.


VIERTE SZENE

MENELAOS
Wie kommen wir zurück ins schöne Griechenland?
Die Weisheit übersteigt den männlichen Verstand!
HELENA
Der Tod gibt Leben doch. Das wollen wir gebrauchen.
Die Himmlischen zu mir den Plan der Rettung hauchen.
MENELAOS
Sind wir vergessen nicht von allen Göttern hier?
Der junge Pharao als wie ein goldner Stier
Beherrscht Ägyptenland. Es herrschen in Ägypten
Die Todesgötter doch, die Toten in den Krypten.
HELENA
Sie lieben so den Tod, als einen Gott den Tod,
Wir durch des Todes Nacht uns nahn dem Morgenrot.
MENELAOS
Wie meinst du das, o Frau, um die ich lang geworben,
Zehn Jahre bin im Krieg ich Tag für Tag gestorben.
HELENA
So höre meinen Plan: Dem jungen Pharao
Ich werde sagen, dass du starbest irgendwo,
Daß deinen Leichnam wir nicht in Ägypten haben,
Symbolisch aber doch wir möchten dich begraben.
Weil Menelaos nun gestorben auf dem Meer,
Weil Schiffbruch er erlitt mit seinem ganzen Heer,
Drum fordert das Gebot der religiösen Griechen,
Daß nicht die Lebenden in Todestrauer siechen,
Daß ich den Leichnam, den ich leider zwar nicht hab,
Begrabe in der See, begrab im Meeresgrab.
So will ich bitten dann, dass ich vom Küstenkliffe
Darf fahren auf das Meer, ich frag nach einem Schiffe,
Dem toten Ehemann ein Totenopfer will
Ich bringen auf der See, den Toten ehren still,
Und wenn ich dann begrub den toten Ehegatten,
Dem jungen Pharao will ich mich bräutlich gatten.
MENELAOS
Das wird dem jungen Mann doch rauben den Verstand,
Wenn er das von dir hört, dass in Ägyptenland
Du sein willst Königin und seine Ehegattin.
HELENA
Heil Himmelskönigin, o Retterin und Göttin,
Gelingen laß den Plan, o Himmelskönigin,
O Mutter, weil ich Kind doch deiner Liebe bin!
MENELAOS
Heil Himmelskönigin, trotz all der Spötter Spott,
Ich trau auf Helena, die Tochter ist von Gott.



FÜNFTE SZENE

CHOR
Wir sind ja nicht wie freche Spötter,
Wir ehren unsre alten Götter,
Wir geben alle ganz uns hin
Der hohen Himmelskönigin,
Wir sind die guten, milden Schwestern,
Die nicht die hohe Herrin lästern.
Doch, o bei aller Götter Gott,
Wir müssen hören bösen Spott
Von dreisten Spöttern, die sich irren,
Die sich im Labyrinth verwirren.
Was soll da sagen unser Chor?
Es ist kein Gott, so denkt der Tor!
Sie haben sich vereint verschworen,
Die blinden Blindenführer, Toren,
Gesetzlos, gottvergessen, blind,
Die blinde Blindenführer sind.
Sind wir die Schwestern, welche sehen?
Sehn wir die Tänze der Ideen?
Wie herrlich die Ideen sind
Hoch überm Erdenlabyrinth
Auf Universums Sphärenbahnen,
Ach, können das die Schwestern ahnen?
Was hat die Weisheit uns gebracht
Als eine tiefe Mitternacht,
Als Einsamkeit im Tal der Tränen?
Und wenn sich, ach, die Schwestern sehnen
Ins lieblichste Elysium,
Sind wir nicht wie die Dummen dumm?
Was wissen wir vom Anbeginne,
Bevor begonnen unsre Sinne?
Was steht denn in des Schicksals Buch?
Ach, hören müssen wir den Fluch,
Verflucht von Gott sind jene Toren,
Die von der Seele dies beschworen,
Vor der Empfängnis lebten sie
Schon im Ideenhimmel, wie
Ein Himmelswesen, eine Göttin,
Als schöne Psyche, Gottes Gattin!
Doch was erwartet nach dem Tod
Die Seele in dem Morgenrot?
Was sollen hoffend wir erwarten?
Die Weisen sagen: Keinen Garten
Und keine Liebesgötter nackt
Und Nymphen für den Liebesakt,
Das denken nur die Toren schwächlich.
Die Gottheit ist doch unaussprechlich,
Wir sind auf Erden bloß und blind,
Verwirrt im Erdenlabyrinth,
Wir uns im Labyrinth verirren,
Wie Bären brummen, Tauben girren.



VIERTER AKT

ERSTE SZENE

HELENA
O junger Pharao, mein Herr, ich bitte dich,
Gewähr mir einen Wunsch, o Herr, erhöre mich.
PHARAO
Du findest meine Huld, denn du bist wohlgelitten,
Ich stets der schönen Frau gewähre alle Bitten.
Was auf dem Herzen liegt dir schwer, o Frau? So sprich!
HELENA
Mein Ehemann ist tot, unglaublich leide ich!
Zwar stirbt der Pharao, wie gleichfalls stirbt der Bauer,
Doch stirbt der Ehemann, wie groß ist dann die Trauer!
Für diese Trauer, ach, ich keine Worte hab.
O Herr, gewähre mir, zu sorgen für sein Grab!
PHARAO
Die Totengötter ihn im Totenreich erlaben,
Was willst du seinen Leib denn weiter noch begraben?
HELENA
Der Geisterschatte freut sich am geschmückten Grab,
Wenn ich auch seinen Leib geehrt in Ehrfurcht hab.
PHARAO
Es steigt hinan das Ka, wie Falke oder Taube,
Doch sind wir alle ja im Leib nur Staub vom Staube.
HELENA
Mein vielgeliebter Mann, den ich jetzt nicht mehr seh,
Er starb ja nicht zu Land, er starb auf wilder See,
Im aufgewühlten Meer mein Gatte ist ertrunken
Und unter Wasser mir erlosch sein Seelenfunken.
PHARAO
Auch in der Trauer bist du noch ein schönes Weib.
Wo ist vom Gatten jetzt der seelenlose Leib?
Es wird der Knochenstaub doch täglich grau und grauer,
Doch deine Seele, Weib, ist schön auch in der Trauer.
HELENA
Bei Griechen ist es Kult, wenn starb ein Mann zur See,
Verschlungen ihn der Gischt, der Meeresschaum wie Schnee,
Ein Opfer bringt man dar, ein Opfer auf dem Meere,
Das Totenopfer riecht im Hades dann der Hehre,
Drum will ich auf das Meer, ein Opfer bringen dar,
Gib bitte mir ein Schiff, zur Seefahrt mach es klar.
PHARAO
Das Schiff sei dir gewährt und auch die Seebestattung.
Ist aber wirklich tot dein Liebling der Begattung,
Ist hier ein Grieche auch, der seinen Tod bezeugt?
HELENA
Den Griechen kenn ich, der von Menelas nicht schweigt.


ZWEITE SZENE

HELENA
Mein junger Pharao, hier habe ich den Zeugen,
Der von dem Tode wird des Menelas nicht schweigen.
PHARAO
Zerrissen und zerfetzt, in allergrößter Not,
Wer bist du, armer Mann? Ist Menelaos tot?
MENELAOS
Ja, tot ist Menelas, ja, tot ist Menelaos!
Der Elemente Streit im Weltgetrieb des Chaos
Hat ihn verschlungen und zunichte ganz gemacht
Und so sank er hinab ins Schattenreich der Nacht.
PHARAO
Lebt Menelaos nicht mehr in des Lichtes Klarheit?
Ist er im Schattenreich? Und sagst du auch die Wahrheit?
MENELAOS
So wahr die Königin des Totenreiches lebt!
Denk ich an seinen Tod, mein Herz mir jetzt noch bebt!
Doch starb er ohne Angst, in tiefem Gottvertrauen,
Was ihn erwartete auch immer, tiefes Grauen
Im Schattenreich der Nacht, ob Seligkeit des Glücks,
In Gottvertrauen er hinab ging an den Styx!
PHARAO
Zum Hades ging sein Ka? Was ward aus seinem Leibe?
Was ward aus seinem Leib, der Wonne war dem Weibe?
MENELAOS
Wir Griechen denken so, mein junger Pharao,
Der Leib ein Kerker ist, wir Griechen denken so,
Die Seele ist ein Geist, das Geistige ist stärker
Als die Materia, der Körper ist ein Kerker,
Jedoch wenn unser Geist mit schrillem Adlerschrei
Aus dem Gefängnis flieht, so ist die Seele frei!
PHARAO
Ja, bangt denn nicht das Ka vor den Dämonenratten,
Den Schöffen des Gerichts, dem Richter aller Schatten?
MENELAOS
Was ihr Osiris nennt, das nennen Minos wir,
Von dem Gericht im Tod auch redet weise ihr,
Wir Griechen aber auch, die Redner und die Dichter,
Bekennen, dass der Geist muß vor den Totenrichter.
Wer gottlos lebte, der muß an dem Lethefluß
Die Lebensfrüchte sehn und doch wie Tantalus
Kann er die Lebensfrucht nicht greifen, all die prallen
Begierlichschönen ihm dort in den Schoß nicht fallen,
Nein, ewig hungrig wird in ewigem Geschmacht
Vergeblich er die Frucht begehren in der Nacht.
Die aber fromm gelebt, die werden auf den Wiesen
Des Jenseits wandeln mit den Nymphen von Elysen!
PHARAO
Was ist denn das Geschick des toten Menelas?
Liebt in Elysium er ohne Unterlass?
MENELAOS
Wie blind die Menschen in des Weltgetriebes Chaos!
Ich wüsste gerne das Geschick des Menelaos!


DRITTE SZENE

PHARAO
O schöne Helena, o schönste Helena,
Die Schönheitsgöttin steht vor mir im Bilde da,
O Schönheitsgöttin du, o Königin der Schwäne,
Tief bete ich dich an, du göttliche Helene!
HELENA
Du redest nicht gemein, nicht stofflich, sinnlich, grob,
Ich danke für den Ruhm, ich danke für dein Lob,
So freut sich stets die Frau an eines Mannes Schmeicheln,
Des Mannes Schmeichelwort weiß ihr das Herz zu streicheln.
PHARAO
Da tot ist Menelas, da Menelaos tot,
Jetzt geht mir auf dein Licht, ich seh das Morgenrot!
Wie tief war doch die Nacht, wie stand ich doch im Dunkeln,
Da in der tiefsten Nacht mir keine Sterne funkeln,
Mir selbst der Venus Stern als Aster nicht erblüht,
Jetzt aber hoffnungsvoll mir neues Leben glüht!
HELENA
So sprich nur alles aus, lass aus dem Busen offen
Mir strömen alle Glut. Was lässt dich wieder hoffen?
PHARAO
Wie herzlich die Vision, die ich vor Augen hab!
Da Menelaos’ Leib gelegt wird in sein Grab,
Nach ihres Gatten Tod ist wieder frei die Gattin,
Jetzt wirst du mein, o Weib, du wahre Schönheitsgöttin!
HELENA
Bist du dir sicher des, dass alles will dein Geist,
Was dir dein Morgentraum so hoffnungsschön verheißt?
PHARAO
Sei Aphrodite Ruhm! Ägypten preise Hathor!
Die schöne Liebe ist zuletzt doch Triumphator!
HELENA
Wenn ich gesenkt ins Grab des toten Körpers Rumpf,
Dann hoffst du auf das Heil der Liebe, den Triumph
Der Aphrodite dann? O Göttin Aphrodite,
Aus Meeresschaum geborn, du weiße Lotosblüte,
Was will der Mann von mir? Sind Männer denn nur geil
Auf meinen schönen Leib? Wer will mein Seelenheil?
Wer für mein Seelenheil hinab geht zu den Schatten,
Den wähle ich allein zu meinem Seelengatten!
PHARAO
Lass mir die Hoffnung, lass der Aphrodite Ruhm,
Dass Helena mir schenkt der Ehe Heiligtum,
Wenn Menelaos erst ist feierlich begraben,
Dass Helena mich dann wird voller Lust erlaben!
Oh lass mich ruhen nur an deiner vollen Brust!
Heil, Aphrodite, Heil! Heil, Liebe voller Lust!


VIERTE SZENE

MENELAOS
Ich Grieche, ich ein Knecht, des Götterkönigs Sklave,
Ich bitte Gott: O Herr, abwende du die Strafe!
Ein Opfer bring ich dar für alle Sterbenden
Zum Höchsten Gut hinan, für alle Lebenden
Und für die Toten auch, ja, auch für unsre Toten!
Die Götter senden sie zu uns als Götterboten,
Als Schatten stehen sie unsichtbar um den Tisch,
Es dürstet sie nach Wein, es hungert sie nach Fisch,
Ja, dass die Toten sich an unsern Opfergaben
Mit ihrem Seelenmund im Jenseits noch erlaben,
Drum bringen heute wir, der ganze Griechenstamm,
Das Opfer unserm Herrn, Zeus opfern wir das Lamm!
CHOR
Wir Sklavinnen dazu aufopfern unsre Schmerzen
Und statten Toten ab die Dankesschuld von Herzen!
MENELAOS
Den Leichnam tragen wir im Meere jetzt zu Grab,
Zeus nahm die Seele fort, Zeus einst die Seele gab,
Wir opfern Zeus ein Lamm, dass fromm der Geist entweiche
Und Frieden findet auch die seelenlose Leiche.
Ist das Gefängnis leer, so wie der Körper heißt
Den Griechen Kerker nur, so frei ist jetzt der Geist.
CHOR
Die Seele steigt hinan die sieben Sphärenstufen,
Wir Sklavinnen dem Geist noch nach ein Selig rufen,
Sei selig bald, o Geist, nach aller Peinigung
Und aller Feuersglut der wehen Reinigung
Nehm Vater Zeus dich auf ins selige Elysen,
Dort tanze jung und nackt in Gartenparadiesen!
MENELAOS
Auf dass die Seele im Elysium zum Gott
Mit andern Göttern wird, von Lehm frei und Schamott,
Unsterblich ist der Geist, trotz Philosophen-Spöttern,
Die Seele wird ein Gott, lebt selig bei den Göttern
Und Göttinnen bei Zeus. Der Mann, ich sag es kurz,
Schön ist er wie Apoll, trägt einen Lendenschurz,
Die Frau als Göttin ist die schönste Augenweide,
Zeus’ Nymphe trägt ein Kleid von hingehauchter Seide.
Doch dass es so auch wird, so schön und süß und klar,
Als Priester bringe ich das Lamm dem Vater dar!
CHOR
Ob die Ägypter auch die Adlernasen rümpfen,
Zeus feiert Hochzeit doch mit allen nackten Nymphen!


FÜNFTE SZENE

CHOR
Gefahren ist hinaus das Schiff,
Das Totenschiff vom Felsenkliff,
Zwar keinen Leichnam aufzubahren,
Doch zum Begräbnis auszufahren.
Das Opfer ist gebracht, das Lamm
Als Sühne für den Griechenstamm.
Im Meeresgrund die Leichen modern,
Auf Totenschiffen Feuer lodern.
Die hohen Flammen züngeln auf
Zum Sonnengott in seinem Lauf.
Ja, Helena, die Heilig-Hehre,
Ich seh sie fahren überm Meere,
Die schöner noch als jeder Traum.
Die Göttin aus dem Meeresschaum
An Schönheit gleicht nur der Helene,
Der weißen Königin der Schwäne,
Der weißen Göttin unsrer Lust
Mit Schwanenhals und Taubenbrust,
Sie, unser Reimwort auf die Sonne,
Die freie Göttin wilder Wonne,
Der freien Liebe Göttin sie,
Die wie ein Schwan im Sterben schrie,
Wenn Menelas auf ihrem Rücken
In Wonnen wollte sie verzücken,
Die Scharlachrose feuerrot!
Ah, nun ist der Geliebte tot!
Kann nicht in ihrem Schoß mehr zeugen!
O wehe, wenn die Götter schweigen,
Der Gott der Götter schweigt voll Spott,
Abwesend scheint der Götter Gott,
Die Feinde dir das Leben rauben,
Du kaum noch mehr vermagst zu glauben,
Du zweifelst an dem Schicksalsplan,
Am Vatergott, am Gott im Schwan,
Du zweifelst an des Vaters Güte,
Nur Mitternacht in dem Gemüte,
Kein Gott scheint im Ideensaal,
Da deine Seele kennt nur Qual,
Die Lenden deiner Seele zittern,
Du nimmst den vollen Kelch, den bittern,
Den Gott dir selbst entgegenträgt,
Die Vaterhand, die hart dich schlägt,
Fast deine Seele will ermorden,
Die ehrst du noch im frommen Orden
Und mit dem Schwert in deiner Brust
Nur Sterben ist noch deine Lust,
Nachts träumst du dann mit wildem Triebe
Von Aphrodites freier Liebe!



FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

ÄGYPTISCHER BOTE
Mein Herr und Pharao, entkommen großer Not
Bin ich zuletzt allein. Barbarisch ist der Tod.
PHARAO
Sag und gestehe nur dem göttlichen Tyrannen,
Was ist geworden denn aus deinen Brüder-Mannen?
BOTE
Die schöne Helena, die milde Helena,
Die angenehmste Frau, die ich im Leben sah,
Sie ging aufs Totenschiff, den Gatten zu begraben
Und seinen Schattengeist mit Opfern zu erlaben.
Der Griechenbote war bei ihr, zerlumpt, zerfetzt,
Der sich auf einen Stuhl an ihrer Seite setzt.
Ägypter waren da, ägyptische Matrosen,
Zu dienen ihr, der Frau, der Königin der Rosen.
Der Griechenbote rief auch eine Griechenschar,
Vom Schiffswrack kamen sie, sie folgten offenbar
Dem Griechenboten, der verehrte sehr die Hehre.
Und schließlich waren wir auf offnem Mittelmeere,
Da betete zu Gott die schöne Helena,
Der Griechenbote an der Herrin Seite da
Rief zu der Griechenschar: Bei unsrer Mutter Erde,
Greift, Griechen, kräftig zu, greift mit der Hand zum Schwerte!
Mit kriegerischem Lärm den Boden mit Gestampf
Des Schiffes tretet auf, es geht zum wilden Kampf,
Wir kämpfen für die Frau, die Rose aller Rosen!
Rasch, die Ägypter fällt, ja, schlachtet die Matrosen!
Zwar die Ägypter all, die Stöcke in der Hand,
Sie kämpften für den Herrn und für Ägyptenland,
Doch fielen alle sie, o Herrscher, mein Verehrter,
All die Ägypter sind dahin durch Griechenschwerter!
Nur ich allein entkam, dass ich es melde dir,
O göttlicher Tyrann, so steh ich zitternd hier.
PHARAO
Verrat am Pharao! Ja, sind es Demokraten,
Die an dem Gottesstaat verüben Freveltaten?
Ist es der König und die hohe Königin
Von Spartas starkem Staat, den Genius im Sinn?
BOTE
Das habe ich erkannt in dieser Kämpfe Chaos:
Zur Seite Helenas, ja, das war Menelaos!
PHARAO
Ah weh mir, so entgeht mir dieses süße Weib!
Wie wollte ich voll Lust genießen ihren Leib!
Die Schwanenbrüste wollt ich saugen, Mondmilch trinken
Und in der Himmelslust auf Erden schon versinken!
So falsch ist stets das Weib! Die Liebe stets ein Wahn!
Die schönste Frau der Welt ist wie ein Schlangenzahn!
Das Übel dieser Welt ward doch vom Weib gestiftet,
Und ich auch, ach, auch ich vom Schlangenweib vergiftet!


ZWEITE SZENE

PHARAO
Ägypterin, o Weib, du Schlangenzunge, du
Mistkäfer, Basilisk, du raubst mir meine Ruh!
TOCHTER PHARAO
Was ist mir dir, o Herr, was schimpfst du so, mein Bruder?
PHARAO
Im Spinnenwebenkleid bist du ein faules Luder!
TOCHTER PHARAO
Ach, zwar Visionen schau von Göttern ich, es geht
Mein Geist im Jenseits, doch was werde ich geschmäht?
PHARAO
Du zauberst mit Magie, du zeichnest dein Pentakel,
Du Hexe finstrer Nacht, so murmelst du Orakel!
Du Schlangenzunge, du, die dient dem Schlangenkult,
Dass Helena mir fehlt, ach, das ist deine Schuld!
TOCHTER PHARAO
Ich hab, dass Menelas am Leben ist, gesehen,
Ich konnte Helena im Flehn nicht widerstehen,
Doch dass jetzt Helena errungen ihren Sieg,
Das ist nicht meine Schuld. O Pharao, ich schwieg,
Und das ist meine Schuld, sonst nichts, allein mein Schweigen,
Doch sah ich im Gesicht zwei gute reife Feigen,
Zwei gute Feigen sah ich in der Götter Huld.
Ist Helena dir fern, das ist nicht meine Schuld.
Den andern geben stets die Schuld die dreisten Spötter.
Dein Schicksal dulde du, so wirken es die Götter.
PHARAO
Der Götter Schicksalsspruch ist mir ein böser Spott,
Dein Gott, Prophetin, ist gewiss ein böser Gott!
TOCHTER PHARAO
O Mutter Isis du und alle deine Schwestern,
Hör du den Pharao, hör meinen Bruder lästern!
O Mutter Isis du, so mild wie Mondenschein,
Du sollst dem Pharao, dem Bruder mein verzeihn!
PHARAO
Jetzt prüf ich deinen Gott, jetzt prüf ich deine Göttin,
Die schöne Helena, sie ward nicht meine Gattin,
Jetzt bring ich dich, o Weib, in allergrößte Not,
Prophetin, Schwester, ha, jetzt schlage ich dich tot,
Von meinem scharfen Schwert sollst schrecklich du verderben,
So rufe du zum Gott, zur Göttin fleh im Sterben,
Wenn Mutter Isis hilft, hält sie das Schwert zurück,
Wenn Mutter Isis hilft, dann findest du das Glück,
Ist Isis aber nur ein Luftgespinst von Spöttern,
So wird mein Schwert dich jetzt ganz gnadenlos zerschmettern!
TOCHTER PHARAO
O Jungfrau auf dem Mond, hilf, deiner Sklavin hilf,
Das Leviathan-Tier bedrohe du im Schilf!


DRITTE SZENE

(Die Zwillingsgötter erscheinen in den Lüften.)

ZWILLINGSGÖTTER
Fluch dir, o Pharao, du bist ein dreister Spötter,
Laut fluchen dir die Zwillingsgötter!
In deiner Seele ist Betrug und List und Mord,
Nichts ist als Lüge all dein Wort!
Du willst durch eitle List dein Schicksal selbst dir fügen
Und alle Redlichen betrügen!
In deiner Seele herrscht die Finsternis der Nacht,
Begierig bist du nur nach Macht!
Ein Räuber bist du und Erzdieb der falschen Diebe
Und Missbrauch übst du an der Liebe!
Du böser Pharao, der Herr der Erde ist,
Nicht Wahrheit liebst du, sondern List!
Zutiefst verachtest du die Redlichen und Keuschen,
Betrügerisch suchst du zu täuschen,
Doch alle deine List uns Zwillingen ein Spott,
Der Menschensohn, der Sohn von Gott,
Sie lachen über dich mit bitterlicher Lache,
Du spürst der Dioskuren Rache!
PHARAO
Ihr Zwillingsgötter, ach, ich bin der Sonne Sohn,
Ich sprech euch Zwillingen als Herr der Erde Hohn!
ZWILLINGSGÖTTER
Zur Hölle fahr hinab, dort fressen dich die Würmer,
Du geltungsgeiler Gipfelstürmer,
Das Feuer brennt dich dort, dort nagt an dir der Wurm,
Zerbrechen wird dein stolzer Turm,
Das Blut der Opfer wird beflecken dich und röten,
Die Schwester darfst du doch nicht töten!
PHARAO
Die falsche Seherin, die meiner Weisung murrt?
Sie hat mit Menelas im Ehebruch gehurt!
ZWILLINGSGÖTTER
Die reine Seherin darf sich im Himmel betten,
Es werden Zwillinge sie retten!
Dir aber, Sonnensohn, dir hilft auch kein Apoll,
Du musst hinunter in Scheol!
Die reine Seherin in schwarzer Haare Henna
Elysen schaut! Doch du Gehenna!
Fluch dir in Ewigkeit, du böser Pharao,
Verurteilt bist vom A und O!


VIERTE SZENE

(Die Zwillingsgötter schweben in immer größerer Herrlichkeit über dem Mittelmeer und rufen mit dem Schall des göttlichen Wortes den Segen Helena nach.)

ZWILLINGSGÖTTER
Heil, Heil dir, Menelas, du treuer Ehegatte,
Weissagung dies: Du wirst als Schatte
Eintreten durch das Tor des Tods ins Heiligtum
Der Felder von Elysium
Und tanzend schweben durch die Pforte des Triumphes,
Nach Niederlegung deines Rumpfes
Vergessen trinken aus der Lethe alles Leids
Und mit der Nymphe voller Reiz
In lustvoll-seligem Getümmel und Gewimmel
Glückselig im Ideenhimmel
Vereint mit Helena als ihr vermählter Mann
Die Schönheit Gottes schauen an,
Die nicht zu malen ist mit eines Engels Pinsel,
Glückselig wirst du auf der Insel
Der Seligen vereint mit Helena dort sein
In trunken liebendem Verein
Und beide werdet ihr aufstrahlen wie die Sonne
In Lust vereint und Götterwonne!
Du aber, Helena, du schönste Helena,
Von allen, die die Erde sah,
Die Allerschönste du, von allerschönsten Frauen
Die Allerschönste anzuschauen,
Des Hellenismus Reich als Göttin betet an
Dich, Helena, und jeder Mann
Und jede Frau wird zu der Göttin beten,
Elysisches Gefilde Eden
Wird dir dein Garten sein, wo deine Wohnung steht,
Dort oben du erhörst Gebet,
Wenn Dichter beten an beim Weine des Silenus,
Dann hörst du oben auf der Venus!
Die Aphrodite wird zuletzt vergessen sein,
Man ruft allein den Namen dein,
Dich ruft man an als Frau von idealer Schöne,
Dich preisen alle Sphärentöne,
Die Frauen preisen dich zu lauter Trommeln Schall,
Der Flötenbläserinnen Hall,
Die Männer brünstiglich nach deiner Schönheit stöhnen,
Du Göttin, Königin der Schönen,
Die Liebenden erlöst du aus der Qual des Leids!
Heil, Göttin Helena voll Reiz!


FÜNFTE SZENE

CHOR
Wir knieen nieder vor der Göttin,
Des Menelaos treuer Gattin,
Wir preisen Göttin Helena,
Das Abbild der Urania,
Wir preisen ihre Götterschöne,
Die schönste göttlichste Helene
Im Schleier ihres Ätherkleids,
Gehüllt in nichts als Duft und Reiz,
Und ihre schöngewölbten Wangen
Nur hüllen schwarze Lockenschlangen.
Im Hauchgewand des Leibes Glanz,
So tanzt sie mit den Sphären Tanz.
Wir sie im Schleiertanze sehen
Im Himmelstanze der Ideen.
Der Sterne lodernd heiße Flammen
Ihr Liebreizgürtel hält zusammen.
Ich glaub, ein Krater auf dem Mars
Pries ihre Schönheit, ja, so wars.
Und wie vom Weine des Silenus
Betrunken feierte sie Venus
Und selig in dem Himmelsfrieden
Am Gürtel alle Asteroiden
Lobpriesen Göttin Helena,
Die schönste Sapientia!
Die heiße Muschi auch, die zarte,
Die liebestrunkene Astarte
Am Asteroidengürtel all
Mit Flötenbläsereien Schall
Lobpriesen ihre Götterschöne.
Es schrien zur göttlichen Helene
Im höchsten Himmelsheiligtum
Des Sokrates Daimonium,
In sich vermählenden Äonen
Die guten heiligen Dämonen
Lobpriesen Göttin Helena,
Die Helena-Urania.
Und mit den heiligen Dämonen
Die Götter all auf ihren Thronen
Verneigten sich vor ihrem Reiz
Des Lichtleibs in dem Hauch des Kleids,
Bei Bacchus’ Wein und Ceres’ Weizen,
Anbetend knien vor ihren Reizen
Die Götter all auf ihrem Thron
Und Gottessohn und Menschensohn
Verliebt sind in die Ewigschöne,
Die übergöttliche Helene,
Anbetend kniet vor ihrem Reiz
Der Gott der Götter, Vater Zeus!




ZWEITE TRAGÖDIE
PHÄDRA



ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Aphrodite allein.)

APHRODITE
Ich bin die Leidenschaft und Feuerskraft der Liebe,
Die Welt entflamme ich im Innersten der Triebe,
Die heiße Feuersglut der Liebe leuchtet licht
Der Sonne im Gesicht, dem Monde im Gesicht,
Die Liebe reguliert die Bahnen der Planeten,
Die Liebe inspiriert die Lyra der Poeten,
Der Liebe Allgewalt wird feiern den Triumph
Und aller Feinde Speer und Pfeile werden stumpf,
Der Poetaster Volk, die allzu lieblos klimpern,
Die straft der Zornesblitz des Dolches meiner Wimpern,
Ich hetze Frau auf Frau, die Knaben auf den Mann,
Der Hirte schaut mit Lust die schwarze Zicke an,
Es sehnt der Philosoph sich nach den süßen Kindern,
Die Männer voller Kraft es treiben mit den Rindern,
Es schaut ein alter Mann nach jedem kurzen Rock,
Der Zicke hinten springt hinauf der Ziegenbock,
Die Hirsche röhren laut nach Rehen an den Quellen,
Wie brünstig seufzen heiß die hüpfenden Gazellen,
Die Nymphen baden nackt voll heißer Lust im Strom,
Es kopulieren heiß die Teile im Atom,
Das Universum selbst treibt Aphrodites Werke,
Die Schöpfung neigt sich tief vor Aphrodites Stärke!
Jedoch, ich klage laut, was da mein Schauen sieht,
Ich seh im Zölibat den keuschen Hippolit!
Er weigert sich der Lust, der Wollust wilden Wonne,
Will Liebe spielen nicht im Land der heißen Sonne,
Er betet nicht und stöhnt vor einer nackten Brust
Und keuschen Geistes er verschmäht des Weibes Lust,
Der Mann im Zölibat verwehrt sich den Gesetzen
Der Liebesleidenschaft. Ich werde Phädra hetzen,
Wie eine Jägerin die arme Hindin jagt,
Bis sie, die wird verschmäht, nur nach dem Tod noch klagt,
Weil ganz vergeblich ist ihr glühendheißes Werben,
Bis Phädra nichts mehr will als durch sich selbst zu sterben!
Mein Auge dann noch nicht befriedigt nieder sieht,
Befriedigt bin ich erst, wenn tot ist Hippolit,
Wenn ich bezwungen ihn mit meiner Rache Zwange
Und Hippolit ist tot, gemordet von der Schlange!
Er schaue dann – oh bei der Glut in meinem Schoß! –
Ob Artemis dann hilft, die Maid von Ephesos,
Ob sie allmächtig wie die Göttin heißer Lüste,
Ob sie ihn nimmt hinauf an ihre neunzehn Brüste?
Ah, meiner Wollust ist der Zölibat abscheulich,
Er, der für Artemis lebt heilig, keusch, jungfräulich!


ZWEITE SZENE

(Hippolit und der Chor der Jungfrauen)

HIPPOLIT
O Magna Mater, o du Gottheit voll der Macht,
Dein Bild von schwarzem Stein ist wie die dunkle Nacht!
Was hilft mir anders denn in meiner Seele Dunkel
Als deine Augen, Mond, du himmlisches Gefunkel,
Dein Licht in dunkler Nacht, du Mutter schwarzer Nacht?
Fast hat die Dunkelheit mein Ich schon umgebracht,
Fast schnitt den Faden ab schon Athropos, die Parze,
Da ruf ich flehend an die Magna Mater: Schwarze,
Du Nacht von meiner Nacht, ich selbst mir unbewusst
Die neunzehn Brüste küss ich, Göttin, deiner Brust!
CHOR DER JUNGFRAUEN
Ihr Männer betet an die Göttin thronend oben,
Hochthronend seht ihr sie, um sklavisch sie zu loben!
Wir Mädchen aber sind der schönen Jungfrau freund,
Weil Schwestergöttin sie den lieben Schwestern scheint.
Der Fuchs schlüpft in das Loch, es rucket in den Nestern,
Die Jungfrau lächelt sanft als Schwester zu den Schwestern,
Sie geht den Weg voran, sie weist den schmalen Pfad.
HIPPOLIT
Ich aber weihe mich im keuschen Zölibat
Der Himmelskönigin, der hohen Jungfraungöttin,
Die Allerkeuscheste ist meine Seelengattin!
CHOR DER JUNGFRAUEN
Wir Jungfraun auch sind schön, und Herzen in der Brust
Sind voll der Heiligkeit und stiller Himmelslust,
Und noch sind Mädchen wir, doch einst sind wir die Alten,
Dann sind wir Gottes Braut mit Runzeln und mit Falten.
HIPPOLIT
Und wenn mich eine von den Frauen reizen könnt,
Mein Geist im Herzen doch mit der Vernunft erkennt,
Ich könnte lieben sie, wenn sie mit neunzig Jahren
Mit silbergrauem Haar erneut mit schwarzen Haaren
Als Jungfrau stünd vor mir, sie, die geboren schon,
Natürlich schon gebar dem Gatten Sohn um Sohn,
Wenn wieder Jungfrau sie mit unverletztem Hymen,
Dann wollte ich sie als mein Ideal wohl rühmen.
CHOR DER JUNGFRAUEN
Du liebst die Ewige Jungfräulichkeit allein?
HIPPOLIT
Die Jungfrau Artemis von Ephesos ist mein!


DRITTE SZENE

(Alter Diener und Hippolit)

ALTER DIENER
Ein alter Diener ich, nichts als ein alter Diener!
Die Jugend voller Mut ist fröhlicher und kühner,
Doch töricht ist sie auch, die wilde Jugendzeit.
Geläutert bin ich, ach, von langen Lebens Leid
Und hoffe auf Vertraun, wenn ich zu einem Spruche
Das Herz dir öffne weit und meiner Weisheit Buche.
HIPPOLIT
Ein Jüngling bin ich noch, die Göttin-Jungfrau jung
Hab ich im Geist gesehn in der Begeisterung,
Das Göttin-Mädchen schön, ganz ohne Fleck und Falte,
Doch hör ich gerne zu, wenn predigt mir der Alte.
ALTER DIENER
Ich höre, dass du willst bezähmen streng das Fleisch
Mit Fasten und Gebet, durch Opfer werden keusch,
Doch bist du allzu streng, von solchem hartem Holze
Geschnitzt wird nur ein Mann, der mächtig ist im Stolze.
Vergiss nicht in der Welt der Götter Überfluss
Und labe dich am Wein und speise mit Genuss,
Die Liebe ehre du im himmlischen Gebiete,
Verschmäh die Göttin nicht, die schönste Aphrodite!
HIPPOLIT
Wer Aphrodite sich ergab und wer sein Herz
Der Liebe weihte, der zugrunde ging im Schmerz,
So alt der Reim auch ist: Aus Aphrodites Herzen,
Wie Rosen dornenreich, nur fließen Todesschmerzen!
ALTER DIENER
Was ist die Keuschheit denn und die Jungfräulichkeit,
Wenn sie nicht Liebe ist für alle Ewigkeit?
Will Jungfrau Artemis von Ephesos den Keuschen
Im Feuer braten gar und wie ein Hund zerfleischen?
Will sie nicht lieben auch, die Jungfraungöttin schön,
Freut sich die Jungfrau nicht am seufzenden Gestöhn?
Was ist das Fasten denn, was sind denn die Gebete,
Wenn sie der Jungfrau nicht erzeugen Wangenröte?
HIPPOLIT
Ach, was ihr Liebe nennt, ist nichts als geile Lust!
Ein leichtes Mädchen zeigt euch ihre nackte Brust,
So nennt ihr göttlich gar den nackten Mädchenbusen
Und preist die nackte Brust mit Hilfe aller Musen
Und ist doch Wollust nur und sexueller Trieb!
Die Jungfraungöttin ist im reinen Geiste lieb
Und will nichts wissen von der Tierheit in dem Fleische.
Allein der reine Geist verehrt die Heilig-Keusche.
ALTER DIENER
Doch trau dem alten Greis wie einem Pontifex:
In Wahrheit heilig ist der gottgeschenkte Sex!
So sehr du dich bemühst, du wirst nicht los den Sexus!
Der Falter flattert stets im süßen Solarplexus!
HIPPOLIT
Ach, Sexualität, ach, Aphrodite nackt!
Der reine Geist allein ist ewiglicher Fakt!


VIERTE SZENE

DER CHOR
Der König Theseus es nicht sieht,
Sein süßer Sprössling Hippolit
Von Theseus’ Gattin wird voll Kraft
Begehrt mit aller Leidenschaft!
Ach Phädra, Phädra! Armes Weib!
Wie plagst du dich in deinem Leib!
Wie ward die Liebe dir zur Qual!
Durchbohrt dein Herz von Schwertes Stahl!
Ach, des Geliebten Wangenrot
Ist schrecklich! Süßer ist der Tod!
Wenn seiner Augen keuscher Zorn
Und Wimperndolche wie ein Dorn
Durchbohren dich im tiefsten Fleisch,
Dann schreist du: Wär er nur nicht keusch!
Kein Atem mehr in deiner Brust,
In deiner Seele keine Lust,
Zerfressen ward dein Busen dir
Von deiner brennenden Begier!
Die Aphrodite wütet so
Und Knabe Eros, A und O,
Daß du verloren den Verstand
Und betest an den bunten Tand,
Den du gestohlen Hippolit,
Weil deine Seele gläubig sieht
In Hippolith, trotz allem Spott,
In Hippolit den Schönen Gott!
Er ist ja mehr als süßer Reiz,
Dein Theos ist er und dein Zeus!
Er ist das Alles, das du willst,
Ob Blut du aus der Seele quillst,
Ob Seufzer fliehn von deinem Mund,
Ob deine arme Seele wund,
Ob Schlangen glühn in deinem Blut,
Ob wild du in des Wahnsinns Wut,
Ob schrecklich dir die Furien nahn,
Ob Thanatos dir schenkt den Wahn,
Du die Vernunft wirfst über Bord,
Du planst der eignen Seele Mord,
Ob Hippolit den Tod dir schickt!
Daß er nur Einmal Gnade nickt
Und küsst den schwesterlichen Mund,
Die Seele würde dir gesund!


ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Phädra im Krankenbett, krank vor Liebe. Phädras Amme steht ihr mütterlich bei.)

PHÄDRA
Unglaublich, Amme mein, und einfach unaussprechlich!
Wie ist die Kreatur fragil doch und zerbrechlich!
Von Schwermut bin ich voll und an der Seele krank,
Von schwarzen Blumen mich umrankendes Gerank,
Ein Trauerflor um mich, wie Muschelseiden-Byssus,
Ein Abgrund unter mir, ein finsterer Abyssus!
AMME
Die Welt geht leicht dahin in ihrem Alltagstrott,
Doch du bist in der Nacht! Und rettet dich kein Gott?
PHÄDRA
Ich habe laut geschrien zu allen Himmelsgöttern,
Zu unbekannten auch! Doch jetzt glaub ich den Spöttern,
Es ist kein Gott, der hilft, der rettet in der Not!
Ich kenne Einen Gott allein, das ist der Tod,
Der gute Heiland Tod, der rettet aus der Trauer!
Nein, zwischen Gott und mir ist eine hohe Mauer,
Ob auch der höchste Gott ein reines Dasein sei,
Kein Gott erhörte je den abgrundtiefen Schrei!
AMME
Mein Kind, der Sonnenschein folgt immer auf den Regen
Und nach den Qualen kommt erneut ein froher Segen.
PHÄDRA
Ach, keiner das versteht, die Hoffnungslosigkeit
Und der Verzweiflung Nacht! Wie unaussprechlich ist das Leid!
Im schreienden Gebet ich finde keine Worte,
Ich poche nur noch an des Bruders Todes Pforte
Und bitte nur allein in bodenloser Not:
O Himmelsgötter, gebt mir Elenden den Tod!
AMME
Die Todespforte steht uns allen einmal offen,
Doch du verzage nicht, wir sollen alle hoffen.
PHÄDRA
So krank war nie ein Mensch, ich leide solche Pein,
Als wär in Hades Reich ich ewiglich allein!
Ich sehe in dem Geist die bösesten Dämonen
In allen Menschen und in allen Völkern thronen
Und ich alleine steh dagegen in dem Kampf
Und schwitze Blut und Schweiß in heißer Tränen Dampf
Und unterliege doch in jämmerlicher Schwäche,
Verzweiflung, Ohnmacht! Ach, ihr Himmlischen, ich breche!
AMME
Ich bring ein Opfer dar zu deinem Seelenheil,
Auch dir wird Liebe noch von Himmlischen zuteil.


ZWEITE SZENE

(Chorführerin und Amme.)

CHORFÜHRERIN
Was hat denn Phädra nur und woran krankt die Herrin?
AMME
Ach, ist sie denn verrückt wie eine arme Närrin?
Soll ich die Ärztezunft ihr rufen an das Bett?
CHORFÜHRERIN
Wenn sie bei andern ist, dann ist sie lieb und nett,
Doch ist allein sie dann, sie scheint wie die Verrückten,
Die Doppelt-Elenden, im Übermaß Verzückten!
AMME
Hippokrates erklär mir das, ich weiß nicht mehr,
Asklepios, der Gott, er helfe als ein Herr.
Mal schreit sie schrecklich auf, vor Totengeistern panisch,
Dann lacht sie voller Lust, der Wahnsinn ist ja manisch.
CHORFÜHRERIN
Prophetin ist vielleicht und Seherin die Frau,
Zutiefst erschrocken von der Schreckensgötter Schau?
AMME
Vielleicht ist Künstlerin die launenhafte Dame
Und trägt in sich ein Werk, es drängt des Wortes Same?
CHORFÜHRERIN
Doch ich versteh sie nicht, die ganze Welt hat Spaß
Und alle Jugend ist so voll Serenitas,
Sie schweben alle auf, hinan die Himmelsleiter,
Die Götter Griechenlands sind lustvoll doch und heiter!
AMME
Ob sie vielleicht der Macht der Dämonie erlag,
Sich wandte an die Nacht, abwandte sich dem Tag,
Ob sie in der Magie bewandert, Riesenechsen
Lädt in ihr altes Haus wie alte Zauberhexen?
CHORFÜHRERIN
Ergründe nur den Grund von solcher Krankheit Qual,
Dann folgt die Therapie auch in der Ärzte Saal.
AMME
Doch ich verstehe nicht den Abgrund solcher Schrecken,
Und frage ich danach, so möchte sie mich necken
Und sagt nichts andres als: Ulyß ins Totenreich
Stieg auch dereinst hinab, Odysseus bin ich gleich
Und steige auch hinab zur Unterwelt der Schatten,
Daß Kore ich verehr, dem Hades mich zu gatten!
CHORFÜHRERIN
Bringt sie sich selber um? O steh der Armen bei,
Daß sie nicht selber sich macht von den Schmerzen frei!
AMME
Der Selbstmord bringt ja nur in ewigliche Schulden!
Ich sage Phädra nur: Hier gilt nur dulden, dulden!


DRITTE SZENE

(Phädra, Amme.)

PHÄDRA
Geliebte Amme mein, dein süßes Mutterherz
Heilt alle meine Qual und allen Seelenschmerz,
Ob auch die Schmerzen noch die Schwerter feindlich schärfen
Und wie in Fiebersglut entbrannt sind meine Nerven
Und Schrecken in der Nacht durch meine Seele fährt,
Ein Feuer ist in mir, das gänzlich mich verzehrt!
AMME
Sei ausgeglichner nur und sondre dich nicht ab,
Die Einsamkeit zuletzt erwartet dich im Grab,
Sei menschenfreundlich zu den Kleinsten und den Größten
Und manches sanfte Herz wird deine Seele trösten.
PHÄDRA
Doch kaum ertrag ich noch die Menschen dieser Welt,
Die Welt scheint mir ein Wolf, der in die Lämmer fällt.
Was kann ein Lamm allein, wer kann dem Armen helfen,
Verblutet ihm das Herz, zerfleischt von hundert Wölfen?
AMME
Du Lamm bist nicht allein, auch andre Lämmer sieht
Mein mütterliches Aug. Denk nur an Hippolit!
PHÄDRA
Der Name ist so süß, des Gotteswortes Same
Gesät in meinen Schoß der Seele ist der Name,
Der Name ist voll Macht, erweckt den Lebenstrieb,
Der Name ist so sanft, so gütig und so lieb,
Der Name mitleidvoll erbarmt sich aller Armen,
Der Name ist so gut, voll herzlichem Erbarmen,
Der Name ist voll Pracht und macht mir Lebensmut,
Der Name ist so schön, so mild, so süß, so gut,
Der Name rettet mich, wenn ich verzweifelt stöhne,
Der Name ist so schön, von göttergleicher Schöne,
Der Name ist so tief, so hoch, so lang, so breit,
Der Name ewig ist in alle Ewigkeit,
Der Name ist mein Geist, die Seele meiner Seele,
Daß ich dem Namen mich in Ewigkeit vermähle
Und selbst den Namen trag voll Liebe je und je!
AMME
Du redest trunken, Kind, als lallst du Evoe!
PHÄDRA
Die Musen über mich mit Feuerzungen kamen!
AMME
Doch welchen Namen meinst du mit dem schönen Namen?
PHÄDRA
Mein Seelchen immer seufzt: Ach süßer Hippolit!
Ach Hippolith, mein Herz! Mein Herz, ach Hippolit!
AMME
Jetzt ist mir alles klar, als ob ein Gott es schriebe:
Die Krankheit, die du trägst, die Krankheit ist die Liebe!


VIERTE SZENE

(Phädra, Amme, Chor.)

CHOR
Ja, Aphrodite lebt! Ja, Aphrodite lebt!
In Aphrodite lebt die ganze Welt und bebt!
Doch Aphrodite ist nicht nur die Menschengöttin,
Nicht Ares’ Bettgenoss, nicht Vulkans Ehegattin,
Nein, Aphrodite ist die allerhöchste Macht,
Macht über alle Macht, die sie hervorgebracht
Das ganze große All mit schöpferischem Triebe
Allein aus Überfluß des Herzens ihrer Liebe!
PHÄDRA
Ach, Liebe ist nur Schmerz! Die Liebe, Rose rot,
Die Liebe ist vereint dem bitterlichsten Tod.
Die Liebe weiß allein nur Leiden zu vererben,
Willst du vor Liebe fliehn, so eile du zu sterben!
Der Tod allein erlöst aus ihrem Schlangenarm!
Ich schrei in Höllenglut: O Heiland Tod, erbarm!
Die Liebe sehe ich mit feuerroten Wangen,
Die Liebe sehe ich mit schwarzen Lockenschlangen,
Die Liebe sehe ich mit einem Leib wie Schnee,
Die Liebe fühle ich, und alles tut mir weh,
Und tief in Geist und Fleisch, in Seele und im Herzen
Ist alles nichts als Qual und untragbare Schmerzen,
Besessen bin ich von der Liebe! Will ich fort,
Bleibt zur Befreiung nur des eignen Lebens Mord!
AMME
Der Aphrodite in demütigster Ergebung
Ergib dich, liebes Kind, dann schenkt sie dir Belebung,
Was Aphrodite ja am allermeisten liebt,
Ist, wenn voll Demut sich ein Menschenherz ergibt
Und gibt der Liebe Raum, das Leben zu gestalten,
Lässt Aphrodite nur im eignen Leben walten.
CHOR
Ergebung ja gebührt der höchsten Allgewalt
Der Liebe! Gottheit in unsichtbarer Gestalt,
O Aphrodite, du allein der Seele Labe,
Wir geben uns dir hin in voller Ganzhingabe!
Du Gottheit, du hast Lust an uns, wenn nach der Nacht
Dein Morgenstern erscheint, du aller Mächte Macht,
Wenn deiner Liebe sich Gewalten all und Mächte
Ergeben sich, dann freut dein Innres die Gerechte,
Die ganz sich gibt dir hin mit Seele und mit Sinn,
Dir, Aphrodite, gibt sich die Gerechte hin,
Du wirst ihr das Begehr mit heißer Liebe stillen
Und sie mit Götterlust im Innersten erfüllen!


FÜNFTE SZENE

(Phädra, Amme.)

AMME
Wie wird dir Hilfe und wie wird dir guter Rat?
PHÄDRA
Nie wird zum runden Kreis das eckige Quadrat,
Nie Weisheit einig ist mit der verliebten Jugend.
AMME
Die Meister helfen doch, die lehren fromme Tugend.
Der Mensch ist wie ein Vieh und hungert nach dem Fleisch,
Ist voller wilder Wut, begierig, doch nicht keusch,
Der Mensch ist ähnlich auch den tödlichen Dämonen,
Ein Mörder ist der Mensch, den Menschen nicht zu schonen,
Der Mensch ist Genius, ist nahezu ein Gott,
Die Schönheit anzuschaun, die Göttin ohne Spott.
Wenn du dies Ziel verfolgst mit deinem innern Herzen,
Zu schaun die Schönheit an, dann weichen deine Schmerzen.
Was macht denn solche Not, was solche Qualen dir?
Es ist der Appetit der fleischlichen Begier!
Weil Fleischeslüste dir dich selbst verzehrend glühten
Und in dir lodert Zorn und leidenschaftlich Wüten!
Doch zähme diese Brunst und zähme diese Brunft
Und folge ganz allein der leuchtenden Vernunft
Und ordne die Begier und alles Wüten unter
Der heiligen Vernunft, dann wirst du wieder munter
Und von dir flieht die Qual, der unglücksatte Schmerz,
Denn Götter schauen wird das makellose Herz.
PHÄDRA
Obwohl mein Leiden auch betitelt wird moralisch
Und meine Leidenschaft getauft wird infernalisch,
So hilft mir Weisheit nicht aus dem Ideensaal
Und nicht die Tugenden, nicht Ethik und Moral.
AMME
Unheilbar willst du sein? O hoffnungslose Jugend!
Hilft dir die Weisheit nicht, die Lehre nicht der Tugend,
Hilft dir vielleicht der Arzt mit seiner Medizin?
Frag nur den weisen Arzt, um Hilfe bitte ihn,
Denn was verwirrt dich sonst als schlecht gemischte Säfte?
Doch er kennt der Natur Physik, Selbstheilungskräfte
Der Organisation der Seele und des Leibs,
Er kennt die Mischung der Natura eines Weibs
Und kennt auch das Gehirn und seine Elemente
Und kennt die Galle auch und alle Temperamente,
Die Niere und die Milz, und seine Medizin
Stellt die Gesundheit her, so wende dich an ihn.
PHÄDRA
Unheilbar aber ist der Liebeskrankheit Wunde
Und heil wird erst das Kind in seiner Todesstunde!
Nur Eine Medizin die schwarze Galle heilt:
Wenn Hippolit am Hals - am Busen Phädras weilt!


SECHSTE SZENE

CHOR
Der Erste aller Götter ist
Gott Eros, wie ihr alle wisst.
Gott Eros trieb die Mutter Nacht,
Die Liebe mit dem Wind gemacht
Und hat das Ei der Welt gelegt,
Gott Eros sich im Ur-Ei regt
Und so entfaltet diese Welt
Und innerlich zusammen hält.
Gott Eros ist der Götter Herr,
Die Göttinnen führt einzig Er,
Von Gott und Göttin ist ein Paar,
Weil Eros Ehestifter war.
Und Gott und Menschenseele sind
Vereint durch Eros, dieses Kind.
Gott Eros lebt auch in dem Kraut,
Wenn es verliebt zum Busche schaut.
Gott Eros antreibt jedes Tier,
So hetzt er auf die Kuh den Stier,
Die Zicke treibt er mit dem Stock,
Die Zicke zu dem Ziegenbock,
Dem Rehbock sagt er: Rehbock, geh
Zur Quelle und zum schönen Reh!
Das Mädchen mit der Jungfernhaut,
Gott Eros macht sie bald zur Braut
Und stiftet Hymens Ehebund
Und öffnet ihren Muttermund
Zur segensreichen Fruchtbarkeit.
Gott Eros macht den Mann bereit,
Daß er vereinigt sich der Frau
Und schenkt ihr seinen Samen-Tau.
Gott Eros führt dem Weibe ein
Den Mann und zeugt die Kinderlein.
Gott Eros kleinen Kindern schon
Die Liebe schenkt, dem kleinen Sohn,
Der zärtlichsüßen Tochter auch,
Sie leben schon von seinem Hauch.
Gott Eros in sublimer Brunst
Die Lyrik stiftet und die Kunst,
In Malerei und Marmorblock
Steht Kypris da im kurzen Rock.
Mysteriöstester Magie
Gott Eros in der Philosophie
Den Weisen führt den Weg genau
Zur Gotterkenntnis, Gottesschau!


DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Phädra und Chorführerin vor dem Haus, im Hause Hippolit und die Amme.)

PHÄDRA
Die liebe Amme mein, um für mich fürzusprechen
Beim schönen Hippolit, sie wird das Herz mir brechen!
CHORFÜHRERIN
Wie willst du Hippolit gewinnen, wenn du nicht
Ihm offenbarst dein Herz, dein inneres Gesicht?
PHÄDRA
Nun sagte sie ihm gar von meinen Liebesflammen!
Wie zuckte er entsetzt vor der Gewalt zusammen!
CHORFÜHRERIN
Die Liebe hat doch Macht! So musst du ihn für dich
Erobern, wenn du ihm vermachst dein ganzes Ich!
PHÄDRA
Ach, alle Leidenschaft wird nicht sein Herz gewinnen,
Er schaudert ja zurück vor Wollust in den Sinnen.
CHORFÜHRERIN
Die Amme kennt dein Herz, und spricht sie für dich für,
So wird sie, Peitho, ihm erwecken die Begier.
PHÄDRA
Der Liebste ahnt nichts von der Seelenliebe Zierde,
Er hält das alles nur für fleischliche Begierde.
CHORFÜHRERIN
Er ist doch auch ein Mann! Du öffne ihm die Brust,
Entflamme mit der Brust im Herzen ihm die Lust!
PHÄDRA
Ach nein, ich bin verdammt! Aus himmelweiten Fernen
Bin ich verflucht, verdammt, von unheilvollen Sternen!
HIPPOLIT
(Aus dem Inneren des Hauses)
Du alte Kupplerin der Dirnen-Buhlerin!
Du denkst, dass ich ein Mann der geilen Unzucht bin?
AMME
Nein, nein, mein lieber Herr! Mit ganzem Lebenstriebe
Gibt Phädra alles hin, dir ihre ganze Liebe!
HIPPOLIT
Sie, meines Vaters Braut, die sie die Ehe bricht,
Wo Ehetreue doch der wahren Liebe Pflicht?
AMME
Der Liebe Macht kennt kein Gesetz! Und Leidenschaften,
Die kann kein armes Weib am eignen Leib verkraften!
HIPPOLIT
Wie tierisch ist die Brunst, die Geilheit in dem Fleisch!
Ich dien der Jungfrau nur, der reinen Göttin keusch!
AMME
Die Jungfraungöttin selbst hat keine süßen Triebe?
Dient sie denn selber nicht der Gottheit schöner Liebe?
HIPPOLIT
Die reinste Liebe wohnt in ihrer hohen Brust!
Doch was ihr Liebe nennt, das ist der Affen Lust!


ZWEITE SZENE

(Amme, Hippolit)

AMME
Bist du ein Weiberfeind? Und liebst du nicht die Liebe?
HIPPOLIT
Ich liebe nicht das Fleisch und nicht die geilen Triebe.
AMME
Hast du nicht Liebe für das Feuer in der Brust?
HIPPOLIT
Wie flüchtig ist der Rausch der eitlen Fleischeslust!
AMME
Und betest du nicht an des Weibes Leibesschöne?
HIPPOLIT
Einst ist der Maden Kot, wonach ich brünstig stöhne.
AMME
Ist dir nicht Götterlust der sexuelle Akt?
HIPPOLIT
Die Göttin selber schenkt der Liebe Katarakt!
AMME
Hab Mitleid mit dem Weib, das dich um Liebe bittet!
HIPPOLIT
Sie liebt sich selber nur in Ich-Sucht ungesittet.
AMME
So ist denn jedes Wort umsonst und alles Flehn?
HIPPOLIT
Ich habe manches Weib auf Erden schon gesehn,
Ich sah die Eitelkeit in ihrem bunten Putze,
Ich sah die Hurerei in ihrem eklen Schmutze,
Ich sah die Lüsternheit in ihrem geilen Fleisch,
Die alles hasste, was gottselig war und keusch,
Ich sah die heiße Gier, die mit des Geiers Schwingen
Sich alle Stoffe nahm von allen toten Dingen,
Ich sah die Ehefrau, die einen guten Mann
Bezaubert hat und dann sprach über ihn den Bann
Und holte ihn herab von seinen Geistesflügen,
Daß er sich sollte an die toten Dinge schmiegen,
Ich sah den Heiligen, wie er verließ den Leib
Und schaute Götter an, bis ihn verführt das Weib
Und er verließ den Geist der weisheitsvollen Griechen,
Um in dem Alltagsstaub als dummer Wurm zu kriechen,
Ich sah den Dichter auch, anbetend eine Frau
Und sie verehren als der Gottesschönheit Schau,
Wie sie ihn dann gelockt hat in das Lotterbette,
Daß sie ihn an den Staub des eitlen Alltags kette,
Ich sah den weisen Mann, der lebte nur dem Geist,
Der die Hetäre selbst als Gottesschönheit preist,
Zur Strafe seiner Lust Gott gab ihm seine Buße
Und er verlor das Glück der weisheitsvollen Muße,
So dass ich ganz geheilt von Erdenwollust bin!
Dein geiles Weib ist mir nichts als Verführerin,
Ich aber lass mich nicht von Fleischeslust verführen,
Ich will die Göttin selbst zu meiner Gattin küren!


DRITTE SZENE

(Phädra, Amme, Chor.)

PHÄDRA
Ach Amme, sag, warum sprachst du zu Hippolit
Von meiner Liebe, wie mein Busen für ihn glüht?
Nun wird mich Hippolit im heißen Zorn verachten!
Ich fühle meinen Geist im Unglück sich umnachten!
AMME
Wenn du ihm nicht gestehst, du seist in ihn verliebt,
Dann bleibst du doch allein und jämmerlich betrübt.
Wenn du ihm offenbarst den Andrang deiner Triebe
Und wie in Leidenschaft verzehrt dich deine Liebe
Und wie sein Angesicht verzaubernd dich betört,
Dann wirst du glücklich erst, wenn er dich doch erhört.
PHÄDRA
Das weiß ich aber wohl, das kann mein Geist noch fassen,
Will einer lieben nicht, so wird er schließlich hassen,
Wenn er geliebt wird von dem Herz, das er nicht liebt,
Wenn die, die er nicht liebt, ihm ihre Liebe gibt,
Dann ekelt ihn das an, dann ist ihm das zuwider.
Ah wehe, Amme mein, ich stürz zu Tode nieder!
CHOR
Wir fanden in der Not die Rettung dennoch oft,
Verzweifeln muss nur der, der in der Not nicht hofft,
Wer aber in der Nacht hält seinen Busen offen
Dem Rettenden, der darf auch auf den Retter hoffen.
PHÄDRA
Den Retter seh ich auch, der Rettung Morgenrot,
Der Rettung Abendrot, das ist der Heiland Tod!
O Heiland Tod, erbarm dich meiner, lass mich sterben,
Laß in Elysium mich Seelenruhe erben
Und in der Nymphenschar Elysiums voll Lust
Ich tanze mit als Geist, ein Schwert in meiner Brust!
Nur Schmerz, nur Schmerz, nur Schmerz mir Liebe war hienieden
Und erst im Schattenreich die Schatten haben Frieden.
Die Seele im Verließ, im Körper voller Qual,
Entfliehen möchte sie in den Ideensaal
Und möchte nymphengleich die himmlischen Ideen,
Wie sie im Tanze sich bewegen, selig sehen.
Auf Erden ist kein Licht, nur dichte Finsternis,
Zu Seiten mir der Tod und vor mir der Abyss,
Von Thanatos’ Kultur, der Übermacht des Bösen,
Das Schwert nur in der Brust kann einzig mich erlösen,
Mein eignes Salamis, mein eignes Schwert der Parther,
Eudämonie in Gott mein Ziel, der Weg die Marter!
Die Liebe gleiche ich der Schärfe eines Schwerts,
Altar des Eros, Herr, ich schlachte dir mein Herz!


VIERTE SZENE

CHOR
Wer stirbt, der wird nach seinem Tod,
Entkommen letzter Erdennot,
Geführt ins geisterhafte Licht
Zu Minos, kommt dort ins Gericht,
Empfängt dort seinen Urteilsspruch,
Den Bösen Minos spricht den Fluch,
Die treten in den Hades ein,
Wie Tantalos voll Durst zu sein,
Wo über ihm hängt prall die Frucht,
So köstlich, doch in steter Flucht!
Stets unerreichbar, süß und prall!
So quälen sich Verdammte all!
Wer weder gut noch böse war,
Wer mittelmäßig in der Schar
Gewöhnlich war, ob Mann ob Frau,
Nicht kalt, nicht heiß zu Gott, nur lau,
Die kommen in den Zwischenort
Und brennen in den Feuern dort,
Die brennen in dem Phlegeton,
Die brennen in dem Acheron
Und weinen Tränen ihrer Reu
Und machen ihre Seelen neu,
Sie waschen sich die Kleider weiß
Mit Reuetränen feucht und heiß,
Und wenn gereinigt sie dann sind
Und voller Unschuld wie ein Kind,
Sie kommen nach Elysium.
O Wonne, Wonne, um und um!
Die Heiligen, die da gerecht
Gewesen, ihre Liebe echt,
Hier, wo die Herzen offenbar,
Ist klar, dass ihre Liebe wahr,
Hier selig ist der Philosoph,
Der diente an der Weisheit Hof,
Ideen sieht er hier im Glanz
Wie Nymphen drehen sich im Tanz,
Wie Jungfraun keusch und rein und süß
In diesem Himmelsparadies.
Die Göttin Weisheit selbst erscheint,
Der Philosoph vor Freude weint,
Jetzt Philo schaut glückselig Sie,
Die übergöttliche Sophie! –
Oh welcher Liebe Überfluss
Im delikatesten Genuss!
Genießend ewig – ewig Sie,
Die Seligmacherin Sophie!


VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Chor und Amme.)

CHOR
Ah weh, ah weh, ah weh! Ach, Phädra ist gestorben,
Dahin die liebe Frau, von Todes Hand verdorben!
AMME
Ah weh, mein Kindchen mein, du warst mein liebstes Kind,
Unschuldig warest du wie kleine Kinder sind,
Einfältig warest du, naiv, von treuem Herzen.
Ach ich begreife nicht die grimmen Todesschmerzen,
Daß Gott mir nahm mein Kind, dass sie jetzt nicht mehr ist,
Daß meine Seele, ach, sie ewig jetzt vermisst,
Daß sie, die all mein Ruhm, die meiner Tugend Ehre,
Ging in das Schattenreich, in wesenlose Leere.
CHOR
Wir jammern alle laut! Aus Quellen des Gesichts
Die Tränen strömen uns! Weh, bodenloses Nichts!
Die Gute starb dahin, lebendig blieben Schlechte,
Die Erde sich verbirgt in tiefe Mitternächte,
Die Erde ist erstarrt in schrecklich-starrem Frost.
O welcher Gott hat jetzt für uns noch einen Trost?
Denn Phädra ging hinab in Hades’ düstre Kammer,
Auf Erden bleibt uns nichts als namenloser Jammer!
AMME
Doch ein Gedanke, ach, mit Schrecken mich befällt,
Freiwillig Phädra, ach, verließ die Erdenwelt,
Sie, die durch den Beschluss der Götter ist geworden,
Sie wagte, ach, zuviel, sich selber zu ermorden.
CHOR
Zu schelten weiß ich nicht des Menschen Suizid,
Zu weinen weiß ich nur mit Tränen im Gemüt,
Wenn Menschen wollen selbst von dieser Erde scheiden,
Dann weiß ich nur voll Leid mit ihnen mitzuleiden,
Denn schrecklich ist die Nacht der Angst in Einsamkeit,
Die Götter fleh ich an, ach, um Barmherzigkeit!
AMME
Und irrt sie immer noch voll Angst im Schattenreich der Toten?
Und kommt sie nie zurück zu uns wie Götterboten?
CHOR
Wir bringen Opfer dar, wir opfern Brot und Wein.
AMME
Ich mische mit dem Wein, die Tränen, die ich wein,
Mein Tränenopfer ists, die Götter zu versöhnen,
Mein Tränenopfer gilt der heimgegangnen Schönen.


ZWEITE SZENE

(König Theseus mit Gefolge. Chor.)

CHOR
O König Theseus, Herr, dein Eheweib ist tot!
Da liegt das Täubchen, tot, in ihrem Blute rot!
THESEUS
Wie, tot ist meine Frau? Die Liebe ohne Fehle
Ist tot? Gestorben ist mir meine eigne Seele!
Ich liebte meine Frau mehr als mein eignes Kind,
Ich liebte meine Frau, wie Eheleute sind
Geworden eins, Ein Mensch, zwei-einig Menschenwesen,
Zwei Apfelhälften wir sind Einer Frucht gewesen,
Die bessre Hälfte mein ist nun dahin und tot,
Die andre Hälfte bleibt allein in höchster Not,
Der Seele Innerstes, mein Weib, ist mir gestorben,
Mein unbeseelter Leib ist jetzt im Staub verdorben,
Weil Phädra fehlt mir jetzt, das Ebenbild des Lichts,
Bleibt nichts als dunkle Nacht, als Totenreich und Nichts!
CHOR
Ah weh, der arme Mann, im unbeseelten Leibe,
Die Seele schwand ihm mit dem seelenvollen Weibe!
THESEUS
Wenn ihre Seele schwand dahin ins Schattenreich
Und wandelt dorten sie den hohlen Schatten gleich,
Ich hör der Seele Ruf, hör Rufen von dem Weibe:
Der Seele folge mit dem unbeseelten Leibe,
Daß Leib und Seele sich vereinen ehegleich
Im Jenseitshochzeitsglück im süßen Totenreich!
CHOR
O Theseus, sei ein Mann, und gürte deine Lenden!
THESEUS
Doch warum tat mein Weib ihr Leben denn beenden?
CHOR
Die arme Phädra ließ dir einen letzten Brief,
Die letzten Worte sind gewiss voll Liebe tief.
Hier ist der Brief, o Herr, vom seelenvollen Wesen,
Du sollst das Testament der Vielgeliebten lesen.
THESEUS
Was schreibt die liebe Frau? – O König Theseus, du
Verzeihe deiner Frau, die nun in Totenruh
Gebettet liegt allein, sich vor der Schande rette,
Weil Hippolit versucht, in deinem Ehebette
Zu lieben deine Frau, doch wollte ich das nicht,
Die Götter hassen den, der Ehen treulos bricht,
Doch Hippolit voll Gier und Feuer in den Lenden,
Des Königs Ehebett versuchte er zu schänden.
Ich scheide jetzt von dir! Von Herzen lieb ich dich,
Doch bitt ich dich bei Gott, mein König, räche mich!
CHOR
Die Rache ist des Herrn! Die Rache sollst du erben?
THESEUS
Weh, Hippolit, mein Sohn! Ja, Hippolit muss sterben!


DRITTE SZENE

(König Theseus, Hippolit.)

HIPPOLIT
O Herzensvater gut, ich hörte deinen Schrei.
Was weinst du, Väterchen? Sag, was es immer sei.
Die Vaterschmerzen sind dem Sohn auch die größten.
O Vater, liebes Herz, sprich, denn ich will dich trösten.
THESEUS
O Torheit, deine Macht ist übermächtig groß!
Es wütet mir der Zorn im Busen und im Schoß,
Schon habe ich mein Weib, die Liebe selbst verloren,
Jetzt höre ich den Spott von diesem jungen Toren!
O Jugend, du bist ganz der Torheit doch vereint,
Dein alter Vater hier in Seelenkummer weint,
Es schämt sich doch der Mann der kleinen Tränentropfen,
Da willst du mir mein Maul mit Frömmelei verstopfen?
Du redest, du seist keusch, der Jungfrau dienst du keusch?
Wenn läufig ist ein Hund, so geil ist auch dein Fleisch,
Ich kenne dieses Fleisch, ich weiß von deinen Schwächen,
Du sprichst vom Zölibat und willst die Ehe brechen?
Der Jungfrau dienst du nicht, dein Zölibat ein Spott,
Die Unzucht liebst du nur, und Eros ist dein Gott!
HIPPOLIT
Die Jungfrau ist ganz rein, sie hat mich auserkoren,
Was kümmert mich der Spott von götterlosen Toren?
Der reinen Jungfrau nur der reine Diener naht,
Ich habe nicht befleckt den keuschen Zölibat,
Ich lebe rein und keusch, trotz meines Fleisches Schwächen,
Die Jungfrau sah mich nie den Bund der Ehe brechen,
Ob auch versucht wird oft mein frevelhaftes Fleisch,
Die Jungfrau mich bewahrt, ich lebe rein und keusch,
Ich halte streng mich frei von allen Unzuchtssünden.
THESEUS
Die Leidenschaften doch die Triebe dir entzünden,
Entzündeten dein Fleisch mit freier Liebe Glut,
Drum wird dir Vaterzorn, des Vaters Grimm und Wut,
Ja, sterben sollst du, Sohn, den Todesbecher zechen,
Den Tod hast du verdient durch deines Fleisches Schwächen.
Doch sterben ist zu schön! In Einem Augenblick
Der Lebensleiden frei, genießt du Hades’ Glück?
Nein, sterben sollst du nicht, ich werde dich verbannen!
Zu ewgen Leiden soll sich Hippolit ermannen!
Ich weiß, der süße Tod ist dein ersehntes Ziel,
Ich aber fluche dir, verbann dich ins Exil!


VIERTE SZENE

(Hippolit allein vor der Statue der göttlichen Jungfrau.)

HIPPOLIT
O Jungfrau, dir allein ich klage meine Leiden,
Die Menschen nennen mich hochmütig, unbescheiden,
Weil ich dich kenne und auf dich allein vertrau,
Du meine Retterin, du reine Götterfrau!
Man fordert jetzt von mir heroische Ermannung,
Denn tragen soll allein ich Elend und Verbannung.
Wer steht mir denn noch bei in diesem Jammertal,
Dem Tränental, da sind die Tränen ohne Zahl.
Mein Herz wär gern sozial, im Liebesglück gemeinsam
Mit lieben Menschen, doch ich leider bin sehr einsam.
Die Welt ist eine Nacht, ist keine Heimat mehr,
Die Welt ist kahl und kalt, erschreckend liebeleer.
Wann wird mich Bruder Tod vom Todesleib erlösen?
Wie lange muss ich noch ertragen all die Bösen?
Du forderst Demut und Gehorsam und Geduld
Und tragen soll ich all das Leid allein, der Huld
Der Königin allein, der Jungfrau ganz vertrauen.
Die Männer dieser Welt, sie haben ihre Frauen,
Die ihnen Hilfe sind und guter Beistand auch,
Ich habe nichts als dich, nur deiner Gnade Hauch.
Wie ist es oft so schwer, dem unsichtbaren Wesen
Alleine zu vertraun, das mich doch auserlesen.
Mein Vater schickt mich fort aus meinem Vaterland,
Der Vater schlägt mich hart, mich züchtigt seine Hand
Für Sünden, die ich nicht in Schuld begangen habe.
Mir reicht kein Menschenherz die liebevolle Gabe
Der warmen Herzlichkeit. Ich aber bin Gebet,
Ein junger Mann allein, ach, dem entgegensteht
Die ganze kalte Welt. Wir wollen sie erlösen,
O Jungfrau, aber sie stehn in der Macht des Bösen.
O Jungfrau, deine Huld schuf mich zum Menschenfreund,
Der alle retten will, doch jeder ist mein Feind,
Die Liebsten in der Welt, die eigene Familie,
Die ich gesegnet oft in betender Vigilie,
Sie hasst mich bis zum Tod, verschlossnen Angesichts
Und harten Herzens sie verdammen mich ins Nichts,
Ich blutete für sie aus tausend Herzenswunden,
Doch wie sie mir tun, tun sie nicht mal ihren Hunden,
Ja, besser geht’s dem Hund dort unter ihrem Tisch,
Die Kinder hungern, doch der Hund bekommt den Fisch,
So jagen sie mich fort aus meinem Vaterlande!
O Jungfrau, du verzeih der wilden Räuberbande,
Sie wissen gar nicht, was sie alles Böses tun,
Mich aber lasse du an deinen Brüsten ruhn!


FÜNFTE SZENE

CHOR
Alle suchen die Fortuna,
Die doch launisch wie die Luna,
Der Fortuna nur zu willen,
Ihren launenhaften Grillen,
Jeder wäre gerne glücklich.
Doch das Rad dreht augenblicklich
Die Fortuna unbescheiden
Und der Freude folgen Leiden.
Heute tanzt man auf den Festen,
Morgen wird sie Tod verpesten,
Heute seid ihr reich an Golde,
Scheint Fortuna euch die Holde,
Nach dem Drehen ihres Rades
Morgen jammert ihr im Hades.
Manche Dichter aber sagen
Und zu singen nicht verzagen,
Daß der höchste Gott geboten,
Er, der Richter aller Toten,
Der Fortuna, zu regieren
Und des Zepters Stab zu führen
Und den Menschen zuzuteilen,
Was das Leiden mag zu heilen,
Tags die Arbeit, nachts den Schlummer,
Morgens Wollust, abends Kummer,
Alles deckt sie mit dem Mantel,
Allen wechselvollen Wandel
Stolz verwaltet die Fortuna,
Göttin, thronend auf der Luna.
Doch es singen wahrhaft Weise
Eine andre Weisheit leise,
Denn in wechselnden Geschicken
Sie den Flickenteppich blicken,
Providentia gewoben
Hat den Teppich, schaut von oben
Dieses Teppichs buntes Eden,
Unten sehn wir wirre Fäden,
Sehn in törichter Verwirrung
Nichts als des Geschicks Verirrung,
Wild verschlungne Labyrinthe,
Spreu, geworfelt von dem Winde,
Providentia von oben
Sieht den Teppich, der gewoben
Ist aus Hochzeit, Totenfeier,
Providentia im Schleier
Alles plant unendlich weise.
Also fleht der Weise leise
Providentia zur Leier,
Daß sie schließlich sich entschleier!


FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(König Theseus, ein Bote.)

BOTE
Mein König und mein Herr! Ich bringe Trauerkunde,
Nur Trauervolles hörst du, ach, aus meinem Munde.
Da du den Sohn verdammt, verbannt hast zum Exil,
Du weißt, o weiser Fürst, das Fluchen ist kein Spiel,
Geritten Hippolit ist aus dem Vaterlande,
Und da er eben ritt voll Schmerz am Meeresstrande,
Empörte sich das Meer mit aufgeschäumter Flut,
Poseidon wütete mit wilder Götterwut,
Und aus des Meeres Schoß kam eine große, lange
Gefleckte Schlange, und die große Meeresschlange
Umschlang mit Todeslust den jungen Hippolit!
THESEUS
Bringt seinen Leichnam her, auf dass mein Auge sieht
Des Todes wilde Wut in der Gestalt der Leiche.
O Todesschlange du, mit deinem Giftzahn weiche!
BOTE
So grausig war es, ach, zu sehen diesen Kampf,
Da Hippolit gezuckt, geschüttelt ward vom Krampf,
Die Schlange glatt und feucht mit listenreichem Flüstern
Umschmeichelte den Leib des Todgeweihten lüstern,
Der Giftzahn wie ein Schwert das Herz des Sohnes ritscht,
Der Schlange nackter Leib um seinen Körper glitscht,
Elektrisch schlägt durch ihn ein Schütteln und ein Zucken,
Kaum kann er noch hinan zum hohen Himmel gucken,
Die Schlange windet sich mit wilder Todeslust
Wie kopulierend um des Todgeweihten Brust,
Als wollte sich der Tod mit seinem Opfer gatten
Und Hochzeit feiern, ach, im Totenreich der Schatten!
THESEUS
O wehe meinem Fluch! Wie Gottes Zorn mir flammt,
Weil ich als Vater bös den eignen Sohn verdammt!
Ist Gott ein Vater nicht mit liebevollem Herzen?
Ich böser Vater tat dem Sohne an nur Schmerzen,
Dem Sohne Hippolit, der Liebe nur gesucht,
Ich böser Vater hab den eignen Sohn verflucht!
Nun traf mein Fluch auch ein! O Schamrot meiner Wange!
Aus meinem Fluche kam hervor die wilde Schlange!
Gerecht ist, dass der Zorn des Höchsten mich nun trifft,
Denn Schlangenzunge war mein Mund voll Fluches Gift!


ZWEITE SZENE

(Der Chor steht im Kreis um das Standbild der Göttin Aphrodite.)

CHOR
O grause Liebe du, voll Allgewalt des Schreckens,
Ich spür nichts mehr von Lust des Scherzens und des Neckens,
Sonst reiztest du den Trieb zur Stillung süßer Lust,
Sonst quoll wie süße Milch der Mutter deine Brust,
Du Urmacht aller Welt, in jedem Lebenstriebe
Erschien in höchstem Reiz die Süßigkeit der Liebe,
Sonst war voll Heiterkeit wie Abendstern dein Blick,
O Lachenliebende, du schönstes Seelenglück,
Frau Aphrodite du, noch heißer als die Sonne
Im Süden sommerlich, voll wollustvoller Wonne!
Jetzt aber schrecklich, ach, in deiner Dämonie,
Dem Tod verbunden in geheimer Sympathie,
Die Beter schrein zu dir von Helikon und Athos,
Die Liebenden voll Leid, sie reden voller Pathos,
Du aber ehern schweigst in starker Grausamkeit
Und bist wie Hades stumm in Götterschweigsamkeit!
Wir suchen alle nur den frohen Augenblick,
Da Liebe uns beglückt, die Wollust schenkt uns Glück,
Da Genien der Welt mit Gnadengunst nicht geizen
Und unsres Daseins Zeit sich füllt mit süßen Reizen!
Du aber, Herrscherin, verjagst uns von dem Ort
Der süßen Heiterkeit, jetzt wütet es wie Mord
In unserem Gebein, von Aphrodites Orden
Die Liebenden voll Leid sich selber jetzt ermorden,
Und wer sich tötet nicht, wer aushält in der Welt,
Wird von der Schlange Zahn verwundet und gefällt,
Und alles stirbt dahin, verwelkend und vermodernd.
Einst in der Jugendlust voll süßer Torheit lodernd,
Die alte Weisheit jetzt macht uns den Schädel kahl,
Der Totenschädel bleich und blass, wie Geister fahl,
Grinst frech uns an, der Tod! Ach, all die jungen Schwestern
Aus Aphrodites Reich jetzt Aphrodite lästern,
Und keiner in der Welt ist voller Liebe mehr.
Wann tauchst du wieder auf aus deinem Mittelmeer?
Bis wir dich wieder sehn, nackt tauchend aus den Schäumen,
Ach Aphrodite, wir nur Schreckensträume träumen.
Gewaltige, wir flehn, wir betteln flehend fromm:
O Schreckensherrscherin, ach Aphrodite, komm!


DRITTE SZENE

(Vor König Theseus erscheint die göttliche Jungfrau in strahlender Reinheit, mit Tränen in den Augen.)

DIE JUNGFRAU
Dich, Vater, klag ich an, der seinen Sohn getötet,
Ja, jetzt ist dir vor Scham die Wange heiß gerötet,
Jetzt jammerst du und weinst, doch steht im Lebensbuch
Für alle Ewigkeit dein todesvoller Fluch.
Den Leib getötet hast du deinem frommen Sohne,
Die Seele hättest du ermordet auch noch ohne
Furcht vor der Schöpfermacht, vor aller Götter Gott,
Denn Götterehrfurcht war dir wert nur einen Spott!
Ich komme zum Gericht und alles Morsche falle
Und alle Bosheit, die für Gott nur hatte Galle
Und Gottes Diener und der Jungfrau Lieblingsknecht
Verspottet und verhöhnt! Wie machtet ihr ihn schlecht,
Der doch mein Liebling war, erkorener Erwählter.
Ihr waret seelenlos, er aber war beseelter
Und liebevoller als die tote Mörderwelt,
Die ihn zuletzt gestürzt, mit kaltem Haß gefällt.
Ihr glaubt, dass auf mein Recht zu richten ich verzichte,
Ihr glaubt nicht, dass ich euch gerecht und heilig richte?
Ihr aber irrt euch sehr! Wo ist jetzt euer Spott,
Den ihr gespendet habt der Jungfrau und dem Gott?
Wie hieltet ihr euch fest an eitlen toten Sachen,
Jetzt ist die Stunde da, euch höhnisch auszulachen!
Ihr wolltet ja den Rat, der Jungfrau Weisung nicht,
Jetzt zittre, Kreatur, vorm heiligen Gericht,
Jetzt erntest du die Frucht aus deinen bösen Taten,
Jetzt hilft dir keine List von Winkeladvokaten,
Denn unbestechlich ist die Jungfrau im Gericht,
Ja, schaue mich nur an, die Königin im Licht,
Was meinem Liebling du getan, ihn zu zerbrechen,
Das wird die Jungfrau jetzt an seinem Vater rächen!
THESEUS
O Herrscherin voll Macht, ich bebe zag und bang,
Wie böse war mein Trieb, wie übel all mein Drang,
Ich falle nieder hier, ein Wurm zu deinem Fuße,
O gib wie Feuer mir ein Leid zu meiner Buße
Und Schmerzen sende mir, der sich zu frech erkühnt,
Ja, leiden will ich Qual, bis alle Schuld gesühnt!
DIE JUNGFRAU
Gerechtigkeit ist groß, doch größer das Erbarmen,
Ihr Reichen seid ja doch die Ärmsten aller Armen,
Es bat für dich dein Sohn, drum gnädig ist mein Herz!
Ja, sühne deine Schuld, aus Huld schenk ich dir Schmerz!


VIERTE SZENE

(Der sterbende Hippolit und die Jungfrau.)

HIPPOLIT
Jetzt muß ich sterben, ach, da seh ich einen Schimmer,
Den sieht kein andrer Mensch, ich seh ein Lächeln immer,
Geliebte Jungfrau, ach, wie ich mich selig freu,
Daß du zu mir jetzt kommst! Aufrichtig ich bereu,
Was ich gefehlt im Geist, in heimlich-heißen Träumen,
Hab manchmal auch geseufzt nach Kypris weißen Schäumen
Und manchmal auch entfloß ein Seufzer meinem Fleisch
Und immer war ich nicht und allezeit nicht keusch.
Ersetze, was mir fehlt, vorm allerhöchsten Richter,
Bewahre, Göttin, mich vor Hades, dem Vernichter.
DIE JUNGFRAU
Die Jungfrau bin ich doch der Allbarmherzigkeit,
Die ihrem Lieblingsknecht verzeiht, wenn er verzeiht!
HIPPOLIT
Und so verzeihe ich dem Vater seine Strenge
Und seines Herzens Frost und seines Herzens Enge,
Und meiner Mutter auch, dass sie mich einst gebar,
Der ich so selig doch im Schoß der Vorwelt war.
DIE JUNGFRAU
Zeus-Vater bittet dich, dem Vater zu verzeihen
Von ganzem Herzen und den Vater mir zu weihen.
HIPPOLIT
O Theseus, Vater mein, du wie ein Eber hart,
Ich weihe deinen Geist der reinen Jungfrau zart,
Der makellosen Frau, der Göttin ohne Fehle
Für alle Ewigkeit vertrau ich deine Seele!
DIE JUNGFRAU
Der du auf Erden schon mir ganz ergeben warst,
Die Ganzhingabe du an dir selbst offenbarst,
Auf Erden lebtest schon in Geistesparadiesen,
Auf Erden gingest schon wie Geister in Elysen,
Der Jungfrau Liebesgunst, der Huld Mysterium
Führt heute deinen Geist in das Elysium!
HIPPOLIT
O reinste Jungfrau du in höchster Keuschheit Reiz,
Ich fürchte mich vorm Gott, dem Gott der Götter Zeus!
DIE JUNGFRAU
In deinem Sterbebett liegst du auf weißem Kissen,
Ich raube deinen Geist mit liebevollen Küssen!
Sei fröhlich, Hippolit, denn die Jungfräulichkeit
Belohnt der Vater Zeus dir mit Glückseligkeit!
HIPPOLIT
In deine Hände, Frau und Göttin, ich befehle
Für alle Ewigkeit dir meine fromme Seele!
(Er stirbt.)


FÜNFTE SZENE

CHOR
Hippolit wird nun begraben,
Gerne geben wir die Gaben,
Ehren gern sein Angedenken,
Wollen unsre Liebe schenken
Ihm auch noch nach seinem Tode.
Körper, eines Rasens Sode
Deckt nun deiner Ruhe Schlummer,
Mitbegraben aller Kummer.
Oft noch schleichen uns die Tränen
Aus den Augen und wir sehnen
Oft uns noch nach seiner Liebe,
Seinem süßen Liebestriebe,
Seiner Freundschaft, seiner Güte.
Auf dem Grabe manche Blüte
Lässt sich in dem Frühling sehen,
Die Natur wird auferstehen,
Nach des Winters strenger Grenze
Tanzen wieder wir im Lenze,
Tanzen auf den Gräbern heiter,
Tanzen unsre Liebe weiter.
Hippolit in Paradiesen
Tanzt die Tänze von Elysen
Mit den Horen und den Musen,
Horen mit den schönsten Busen,
Musen mit den schönsten Haaren,
Liebe uns zu offenbaren,
Kommt er von der Welt der Geister,
Von der Welt der weisen Meister,
Philosophen und Sophisten,
Von der Jungfrau neunzehn Brüsten
Singt er ewig seine Oden.
Wir beweinen unsern Toten,
Wir beweinen ihn voll Trauer,
Oft noch strömt ein Tränenschauer
Uns aus unsern dunklen Augen,
Wir am Kummerbecher saugen,
Vor dem Tode trunkne Zecher
Saugen an dem Kummerbecher,
Heißes Blut aus unsern Venen
Mischen wir mit unsern Tränen,
Allzeit traurig zu beweinen
Hippolit, bis uns wird scheinen
Liebe, wie sie spielt die Flöte
Köstlich in der Morgenröte!



DRITTE TRAGÖDIE
DER ANGENAGELTE PROMETHEUS



ERSTER AKT

(Am Kaukasos. Der hinkende Gott Vulkan und der Titane Kraft schleifen in Ketten den armen Prometheus zu dem Felsen, an dem er angenagelt werden soll.)

KRAFT
Ich, der Titane Kraft, ich bin der Sohn des Styx,
Ich freue mich im Hass, ich hasse voll des Glücks,
Daß der Prometheus jetzt, der Mann der Menschenliebe,
Wird angenagelt an dem Berg. Die Lebenstriebe
Sind dem Titanen Kraft erfüllt von hartem Hass.
Mich ekelt an der Mann! Wie aber Wein im Fass,
Ist lange schon gegärt mein Zürnen und mein Grimmen!
Prometheus soll im Leid, in Ozeanen schwimmen,
Im Tränen-Ozean, im schwarzen Kummer-Meer!
Den Becher saufe er, der voller Leiden, leer!
Ich, der Titane Kraft, aus Hass bin ich so mutig,
Und du, Prometheus, du, du weine Tränen blutig!
VULKAN
Was dich erwartet hier für alle Lebenszeit,
Prometheus, das ist nichts als nackte Einsamkeit!
Die Götter im Olymp in Scherzen sind gemeinsam,
Doch du, nichts als ein Mann, auf Erden bist du einsam.
Tags schreist du laut vor Schmerz und nachts flieht dich der Schlummer,
Ertrinken wirst du in dem Ozean aus Kummer,
Dich schlägt des Himmels Zorn, der Zorn der höchsten Macht,
Die Sinne sind dir tief getaucht in dunkle Nacht,
Die Seele ist getaucht in abgrundtiefes Dunkel,
In deiner dunklen Nacht kein einzig Sterngefunkel,
Dein Menschengeist getaucht ins Meer der Bitternis,
Der Gottheit Blitz ist dir wie dichte Finsternis,
Die Menschenliebe, die geblutet dir im Herzen,
Die Liebe dir besteht aus nichts als Todesschmerzen!
Nur noch um deinen Tod du bei dem Himmel wirbst
Und musst doch leben, ach! Gott will, dass du nicht stirbst!
KRAFT
Die Götter allesamt, im Zorn dir heimzuzahlen
Die Menschenliebe, sie verschwören sich, dir Qualen
Zu schenken, ihre Gunst in diesem Jammertal,
Der Götter Gunst für dich ist tausendfache Qual!
Ich will mehr Qualen noch dir Heißgehasstem machen,
Und stirbst du fast vor Schmerz, so werd ich höhnisch lachen!
PROMETHEUS
Die Menschenliebe ist aus Schmerzen, wie ich seh,
Aus Liebe leide ich! Ah weh mir, weh mir, weh!
KRAFT
Sonst redetest du stolz, Prometheus, unbescheiden,
Der Gott das Feuer stahl, jetzt strafen dich die Leiden,
Mein, des Titanen Kraft, mein heißer Hass bezeugt,
Daß dich, den Liebenden, der Götter Zorn gebeugt,
Jetzt wär dir schon ein Trost nur eine milde Wehmut
In abgrundtiefer Qual. So Gott lehrt dich die Demut.
Vulkanos, der du hinkst, der Venus Ehemann,
Prometheus schlage du an diesen Gipfel an!
VULKAN
Gerecht ist Gottes Zorn. Der Mensch erduld bescheiden,
Was zumisst ihm der Herr, die ganze Zahl der Leiden.
So leide denn der Mensch! Doch seh ich seine Not,
So groß, dass er sich wünscht nichts andres als den Tod,
Seh ich in Seelenqual zerrissen diesen Armen,
Mein Götterherz erfüllt ein herzliches Erbarmen.
Könnt lindern ich die Not, tät ich ein gutes Werk.
Doch muß ich schlagen ihn an diesen harten Berg,
Weil Jove es so will. Gehorsam muß ich üben,
Ob mich der Zorn des Herrn auch herzlich muß betrüben.
Geduldig leide du, Prometheus, mit Geduld
Abbüße du vor Gott durch Leiden alle Schuld.
Was hilft die Sehnsucht dir? Vergeblich alles Sehnen,
Gott hat bereits gezählt die große Zahl der Tränen,
Die du noch weinen musst. Und ist dein Herz wie Glas,
Die Trauer ordnet Gott nach Ordnung, Zahl und Maß.
Und wähnest du dich ganz von Himmlischen vergessen,
Die Schicksalsgöttinnen das Maß der Tränen messen,
Und bis die Zahl vollbracht, die Gott dir vorbestimmt,
Wein heiße Tränen du, bis Jove nicht mehr grimmt.
KRAFT
So weichen Herzens, Gott Vulkanos, bei dem Jammer?
Vulkanos, Hinkender, erhebe deinen Hammer
Und schlag Prometheus an an seiner Leiden Berg,
Vollführe Gottes Zorn und tu des Himmels Werk.
Was kümmert dich es, Herr, ob seine Seele heile?
Gott zürnt dem Menschen ja! Vulkanos, eile, eile,
Nur rascher schlage zu, beeile dich, o Gott,
Es muß der Liebende rasch werden jetzt zu Spott,
Er, der die Menschenwelt durch Liebe wollt vergotten,
Die Götter allesamt den Narren jetzt verspotten!
Verspritze er sein Blut und allen Lebenssaft,
Ich hass den Menschen heiß, ich, der Titane Kraft!
VULKAN
Freiwillig tu ich’s nicht, doch hat es Gott geboten!
Als Lebenden es geht doch besser noch den Toten,
Als Toten besser noch, wer nie geboren ward!
KRAFT
Laß ab vom weichen Herz! Mach hart dein Herz, steinhart!
VULKAN
So schlagen wir den Mann jetzt an der Leiden Gipfel!
KRAFT
Hinab den Lendenschurz, der letzten Keuschheit Zipfel!
VULKAN
Soll leiden so der Mann, wie Gott ihn schuf, ganz nackt!
KRAFT
Ja, ja, den ganzen Mann des Leidens Kralle packt!
VULKAN
Soll schlagen ich den Pfahl durch seine nackten Füße?
KRAFT
Für alle Schritte er der Menschenkinder büße!
VULKAN
Soll schlagen ich den Pfahl durch seine zarte Hand?
KRAFT
Schwer lastet Gottes Hand auf diesem Menschenland!
VULKAN
Soll krönen ich sein Haupt mit spitzen Rosendornen?
KRAFT
Die Rose Dornen nur schenkt diesem Auserkornen!
VULKAN
Soll ich durchbohren ihm mit spitzem Pfeil das Herz?
KRAFT
Durchbohren wird sein Herz der tiefste Liebesschmerz!
VULKAN
Und wird er vor der Zeit sein Leben schon verbluten?
KRAFT
Ein langes Leben, ha, schenk Jove diesem Guten!
VULKAN
Soll auf sein Schulterpaar ich legen ihm dies Holz?
KRAFT
Des Daseins schwere Last zerquetsche seinen Stolz!
VULKAN
Soll reißen ich entzwei ihm seine beiden Arme?
KRAFT
Ja, reiße ihn entzwei, ob er auch schreit: Erbarme!
VULKAN
Soll ich ihm speien auch mit Speichel ins Gesicht?
KRAFT
Ihn anzuspucken ist der Menschenkinder Pflicht!
VULKAN
Ohrfeigen soll ich ihn? Zerkratzen ihm die Wange?
KRAFT
Ja, beiße ihn der Zahn voll Gift der kalten Schlange!
VULKAN
Soll schlagen ich aus ihm die Blutestropfen rot?
KRAFT
Ja, quäle ihn zu Tod, doch gönn ihm nicht den Tod!
VULKAN
Und wenn ich all das tu, davon nichts unterlasse?
KRAFT
Ich freu mich wie ein Gott in meinem Todeshasse!
PROMETHEUS
O Pater Uranos! Erbarme dich, erbarm,
Erbarm dich meiner, Gott! Ich bin ein Würmlein arm,
Nicht gleich dem goldnen Haus, von Elfenbein dem Turme,
Es zuckt in mir mein Trieb, der Trieb von einem Wurme!
Der Dieb hat mich geraubt, ich ward des Diebes Raub!
Ach, läge ich schon tot in Mutter Erde Staub!
Ach, nimm von mir, o Gott, den Geist mir und die Seele!
Ach, wäre Mutter Grab mir letzter Zuflucht Höhle!
Gebrochen ist mein Herz, mir brach des Lebens Stab!
Komm, Schwester Made, komm, geliebte Mutter Grab!
Ein Seufzerschatten ich, vom Staub bin ich, vom Staube!
Ich brumme wie ein Bär, ich gurr wie eine Taube!
Der Bärenmutter gleich, der man die Jungen raubt,
Ist Pater Uranos, wie meine Seele glaubt,
Dem Pantherweibchen gleich, mich gierig zu zerfleischen
Ist Pater Uranos! Heil, dreimal Heil dem keuschen
Und unberührten Gott, den ich nicht mehr begreif!
O Gott, mein letztes Kleid mir von dem Leibe streif
Und stell mich so vor dich! Ich heiße nackte Seele
In heißer Liebesgier, so sehr ich mich auch quäle,
Ich schrei zu dir, mein Gott! Trotz aller Feinde Spott,
Ich schrei zu dir, mein Gott! O Gott, o Gott, o Gott!
Ich schmelze in der Glut, der Liebesglut wie Butter!
Erbarme dich, erbarm, o hohe Göttermutter!
In meiner tiefen Not, in meiner letzten Not
Ich halt an deinem Rock mich fest, und kommt der Tod,
Denn schließlich kommt der Tod nach eitlem Erdenwandel,
Ich klammre, Mutter, mich an deinen blauen Mantel!
Erbarme dich, erbarm dich in Barmherzigkeit,
Denn unaussprechlich schwer drückt nieder mich das Leid,
Es blutet mir mein Herz, das Blut in meinen Venen
Strömt blutig aus der Stirn, ich weine heiße Tränen,
In diesem Tränental, in diesem Jammertal,
In diesem Elende, o Mutter, voller Qual,
Kann ich mir wünschen nur im elenden Verderben,
Daß Gott mir schenkt den Tod und lässt mich endlich sterben!
Ich hab am Leben, ach, nicht mehr die Lebenslust,
Nimm, Mutter, mir den Geist! O birg an deiner Brust
Barmherzig mich, gib Trost von deinem Mutterbusen!
Ah, Schwanenjungfraun nahn, die Grazien und Musen.
CHOR DER DORIDEN
Erbarmen, Uranos, erbarm,
Gib Zuflucht, Gott, in deinem Arm!
Des Mitleids Schwestern wir, die Schwäne,
Wir trocknen dir die Trauerträne.
Ja, wir verstehen deinen Schmerz,
Wir schauen tief dir in dein Herz.
Die Qualen alle und die Peinen
Bewegen uns, wir müssen weinen.
Die Träne tropft uns blutig rot,
Wir leiden mit in deiner Not.
Gott schlug dich zwar mit hartem Hammer,
Dein Herz zerfließt in lauter Jammer,
Doch unser Mitleid steht dir bei.
Ach, werde von dem Kummer frei,
Doch wage nicht, den Herrn zu lästern,
Denn fromm sind deine schönen Schwestern,
Voll herzlicher Barmherzigkeit.
Geduldig trage du dein Leid,
Geschlagen an an diesem Felsen,
Selbst harte Herzen würden schmelzen,
Sähn sie dein Leiden, deine Not.
O weine Tränen blutig rot,
Ich will mit meinen langen Locken
Von Tränentau dich reiben trocken.
In tiefer Trauer dein Genuß
Sei meiner Gnade sanfter Kuss!
So schenken dir den Seelenfrieden
Die frommen Schwestern, die Doriden.
Du bist doch weise und du weißt,
Daß unsichtbar bei dir der Geist,
Wie schönste Nymphen ohne Mängel
Sind mit dir Gottes gute Engel.
Wenn du in allertiefster Not
Nur flehen kannst noch um den Tod
Und in der irdischen Gemeinde
Der Freund geworden ist zum Feinde
Und du in namenloser Pein
Auf Erden findest dich allein,
Nimm Zuflucht zu den frommen Toten!
Die Geister kommen dann als Boten
Und schenken dir in Qual und Pein
Uralt-geläutert Feuerwein
Zum Trost dem wilden Todestriebe
Und trösten dich mit Engelsliebe!
Doriden, Schwestern, näher nun,
Du sollst am Schwanenbusen ruhn,
Und solltest du gar Jove lästern,
Fürbittend beten für dich Schwestern,
Der Schwesterliebe Überfluss
Empfange du, der Gnade Kuss!


ZWEITER AKT

DER OZEAN
Nun schütte mir dein Herz in Ruhe aus, Geliebter!
PROMETHEUS
Geliebten nenn mich nicht, sag lieber: Mein Betrübter!
Ach, dass geboren mich der dunkle Mutterschoß,
Der ich nur Jammer seh, nur Seelenschmerzen groß!
Ach wäre ich im Schoß der Mutter doch gestorben
Und wie die Fehlgeburt im Mutterschoß verdorben!
Ach warum nur gebar die Mutter mich der Nacht,
Die all mein Leben mir verhüllt mit finstrer Macht?
Was kam ich aus dem Schoß, der Mutter innern Kammer,
Der ich nichts andres seh als Gram und Grimm und Jammer?
Verflucht sei jener Tag, da ich geboren ward,
Es soll ein Zauberer mit langem weißem Bart
Die Stunde der Geburt und Tag und Jahr verfluchen,
Da ich verlassen hab den dunklen Mutterkuchen
Und eingetreten bin ins grelle Licht der Welt,
Da stand ein böser Stern am finstern Himmelszelt,
Mars stand im Skorpion und grimmig schaute Eros
Und bannte von mir weg den herrlichen Anteros!
Stets einsam war ich, ach, Komet am Himmelszelt,
Ich war im Streite mit dem ganzen Rest der Welt,
Und einsam weinend saß ich in der dunklen Kammer,
War angefüllt mit Gram und Schwermut voller Jammer,
Mit Schwermut, die mich nie, als treue Frau, verlässt,
War mit den Frohen nie gesellig auf dem Fest,
Trank meinen Wein allein, der Tränen bittern Becher,
War nie betrunken froh im Kreis der wilden Zecher,
Trank keinen süßen Wein, ich trank die Bitterkeit
Wie Tränenflut, wie Blut, in tiefster Einsamkeit.
So wurde ich zum Spott der weltverliebten Spötter,
Als hielte ich mich selbst, ein Gott im Kreis der Götter,
Für einen Heros gar! Ein Heros war ich ja,
Bei Pater Uranos und bei Urania,
Der Schönheit Königin, ich mehr als Philosophe,
Ich feierte den Thron des Götterkönigs Jove,
Ich sprach mit Jove: Herr, erbarme dich der Welt!
Und Jove sprach zu mir: Die Welt mir nicht gefällt,
Wie diese Menschen all viel Sünden schlimm verrichten,
Ich werde diese Welt in einer Flut vernichten!
Ich sprach zu Jove für die arme Menschenwelt:
O Jove, König, Herr und Gott im Himmelszelt,
Vernichte nicht die Welt, vernichte nicht die Leute!
Und was tat Jove da? Wie findest du mich heute?
Der über alle Welt ergrimmt, der hat den Grimm
Mir auferlegt allein, drum geht es mir so schlimm,
Jetzt Jove mich allein aus Ingrimm will verderben!
O großer Ozean, Gott, dürfte ich nur sterben!
OZEAN
Man nannte dich doch klug, man nannte dich doch weise,
Der Weisheit Himmelsbrot war täglich deine Speise,
Wo ist die Weisheit jetzt mit ihrem Trost und Rat?
Viel Weise in der Welt, die weise für den Staat,
Die raten, wie die Welt in Frieden lebt gemeinsam,
Unweise sind sie doch, sind sie allein und einsam.
Und andre Weise sind, die wissen keinen Rat
Den lieben Frauen und den Männern in dem Staat,
Für sich alleine nur die innerlichen Weisen
Die Wege wissen, die die guten Geister weisen.
Und mancher Weise auch ist in dem großen Land,
Von aller Welt verkannt, den Menschen unbekannt.
Die Feinde nahn der Stadt und alle Wächter weichen,
Die Torheit findet man bei Mächtigen und Reichen,
Da ist ein armer Mann, der aber weise ist,
Doch ach, die ganze Welt den armen Mann vergisst,
Wenn ihr ihn nur gefragt um gute Weisung hättet,
Vielleicht der arme Mann, er hätte euch gerettet.
PROMETHEUS
Die Weisheit wich von mir und leer sind Hirn und Herz,
Gedanken flohen mich, es herrscht allein der Schmerz!
O Liebesschmerzen, die im Herzen ihr mir glühtet,
Wie habt ihr mit Gewalt in meinem Geist gewütet!
Jetzt kein Gedanke mir kommt von der Weisheit mehr,
Von Todesschmerzen ist mein Hirn gedankenleer!
OZEAN
Du hast getröstet doch mit Tröstungen so viele,
Die Kindermenschen, die verletzten sich im Spiele,
Die armen Einsamen, die Leidenden, die krank,
Die Sterbenden zuletzt, sie waren voller Dank,
Weil du und dein Genie die Sterbenden erlösten,
Es war dein Amt, die Welt im Todeskampf zu trösten.
Jetzt leidest selber du und findest keinen Trost?
PROMETHEUS
O Leidensbecher voll blutroter Tränen, Prost!
OZEAN
Du weißt nichts anderes der abgrundtiefen Schwermut
Als diesen Becher voll von Blut, das Sternbild Wermut?
PROMETHEUS
Den Kindermenschen hab versöhnt ich allen Zank,
Jetzt aber bin ich, ach, jetzt bin ich liebeskrank!
OZEAN
O guter Seelenarzt, jetzt helfe dir doch selber!
Ward Galle dir und Milz nur schwärzer noch und gelber?
Arzt, hilf dir selber doch und tu ein gutes Werk
Auch an dir selber doch! So steig herab vom Berg!
PROMETHEUS
So tröste mich, Musik! Ich hab getröstet alle!
O Himmelsharmonie mit unhörbarem Schalle,
Nun tröste du doch mich, nimm dir ein Vorbild an
Prometheus. Trostlos, ach, und nichts als Schmerzensmann!
OZEAN
Ich will zu Joves Thron, für deine Seele bitten!
Du hast doch nun genug dein Lebensleid gelitten.
Ich bet für dich zu Gott, dass Gott erbarme sich
Und von dem Leid befrei und von den Schmerzen dich.
Die schöne Liebe herrscht im ganzen Weltgebäude,
So freue du dich auch mit grenzenloser Freude,
So bitte ich für dich, dass Gott dir nimmt das Leid,
Daß Gott dir wieder schenkt des Herzens Heiterkeit.
Ist Gott nicht groß und gut, nicht gut und schön in Wahrheit?
Was trauerst du denn noch? Erhebe dich zur Klarheit
Der lichten Heiterkeit. Ich schwöre dir bei Styx,
Ich bitte für dich Gott, den Ursprung allen Glücks.
PROMETHEUS
Ach Vater Ozean, du redest treu und schicklich,
Ich auch, ich wäre gern in meiner Seele glücklich,
Doch darf es ja nicht sein. Des Gottes Herrlichkeit
Erfüllt mit Schrecken mich und füllt mich an mit Leid,
Denn Gott ist schrecklich, der Allmächtige ist schrecklich!
Ja, bete nur Gebet, als wäre es erwecklich,
Gott bleibt doch stumm und schweigt, Gott schweigt und bleibt mir stumm.
Ich zittere vor Gott in dem Mysterium
Der Gottesfinsternis! Der Gottesschönheit Schrecken
Will mich zerreißen fast, ich muß die Arme recken,
Die Arme ausgestreckt, das Herz im Busen schreit,
So schrecklich es auch ist, die Seele will das Leid!
OZEAN
Ach, das versteh ich nicht, ich frage dich bescheiden:
Der Himmelsgötter Glück bedeutet dir nur Leiden?
PROMETHEUS
Ach, frage mich nur nicht, denn, ach, ich bin entsetzt,
Im tiefsten Seelengrund von Gottes Zorn verletzt,
Ein Geist ergreift mich jäh als Windstoß bei den Locken,
Ich schaute Gottes Blitz und, ach, ich war erschrocken,
Des Lichtes Finsternis hat mich zutiefst erschreckt,
Nun dichte dunkle Nacht den Geist im Busen deckt!
Ja, Gott ist schrecklich, Gott, den meine Seele liebt,
Ich liebe meinen Gott, der mich zu Tod betrübt,
Der Gott, der Schönheit ist, die Gottesschönheit furchtbar,
Mein Gottesleiden ist im Menschenbusen fruchtbar!
OZEAN
Du redest irre, Mensch, es hört sich an wie Spott,
Soll ich nicht sprechen für dein Herz beim großen Gott?
PROMETHEUS
Ja, rede nur mit Gott! Doch was wirst du bezwecken?
Gott wird dich kreuzigen, dich mit der Hölle schrecken!
OZEAN
Ergib dich drein, mein Freund, und leide in Geduld,
Du büßest sicher ab die eigne Menschenschuld,
Und büßest du nicht selbst die eignen Sündenschulden,
So büßt du für die Welt. So lerne dich gedulden.
PROMETHEUS
Und doch empör ich mich! Ich schwöre dir bei Styx:
Geschaffen bin ich für die Seligkeit des Glücks!
OZEAN
Die Demut lerne du, gehorsam sei, bescheiden,
Denn über alle Welt ergeht das bittre Leiden.
Wer bist du denn, o Mensch, was blähst du dich voll Stolz?
Will Gott dein Leiden, nun, so leide du! Was solls?
PROMETHEUS
Was predigst du mir so das Leid des Gottesstaates?
Das Leid, ich bin gewiß, das Leid stammt aus dem Hades!
OZEAN
Ja, aus dem Hades stammt das bitterliche Leid,
Doch manchen brachte es bereits zur Herrlichkeit.
Das Leben ist dein Leid? Ein Leiden ist dein Leben?
So unterwirf dich Gott und leide gottergeben!
PROMETHEUS
Ach wär es nur ein Tag und dann die süße Nacht,
Da Schlummer mir und Traum die Seele glücklich macht!
Am Abend, sagt man wohl, am Abend musst du weinen,
Doch lachen wirst du froh, wenn Morgensterne scheinen.
Mit Tränen säst du aus der Tränen reiche Saat,
Als Ernte wird dir Glück. Mir aber ist genaht
Die Hoffnungslosigkeit, da musste ich verzweifeln
Und Nacht und Morgen, ach, ich wünscht zu allen Teufeln,
Und endlos schien mir und unendlich alle Not,
Allein mein Retter scheint zu sein der Heiland Tod!
OZEAN
Doch bist du einer ja vom Menschensöhne-Orden,
So ich beschwöre dich, dich selbst nicht zu ermorden!
Der Selbstmord ist gewiß die allergrößte Schuld,
Nein, gottergeben du, ach, leide in Geduld.
PROMETHEUS
Ach, wär der Selbstmord nur Erlösung von den Leiden,
Doch leider ist er’s nicht, ich sage es bescheiden,
Ich weiß, wer Selbstmord übt, er wird im Acheron
Das Leiden immer neu erleben, Schmerzenssohn,
Und nicht Erlösung kommt mit eines Kusses Gruße,
Bis er den Selbstmord hat gebüßt in weher Buße,
Und so Erlösung ist nicht aus den Lebensleiden,
Bis Gott den Geist uns küsst und ruft uns abzuscheiden.
Ich bete jeden Tag, wie all ihr Geister wisst,
Daß Gottes Gnade mich mit Todeslippen küsst!
OZEAN
Jetzt scheide ich, mein Freund. Ein Dürsten ruft den Zecher,
Ich will in meinem Bett aussaugen meinen Becher!
CHOR DER DORIDEN
Ach weh, ach, fromme Schwestern, weh,
Prometheus naht, in seiner Näh,
Ihr Schwäne aus den Schwanennestern,
Schenkt Tröstung ihm, ihr milden Schwestern!
Zum Mitleid rufe ich die Welt,
Im Leiden ist er ja ein Held.
Ob wir sein Leid auch nicht erlösten,
Doch möchten wir ihn gerne trösten.
O tröste ihn, du große Rom,
O tröste ihn, du Tiber-Strom,
O tröstet ihn im Schmerzensbrande,
Ihr Grazien vom Griechenlande,
O tröstet ihn in Reu und Buß,
Ihr Beter in der alten Rusj,
Mit Märchen tröstet ihn und Mythen,
Mit Haschisch tröstet ihn, ihr Skythen.
Gib, Gottheit, deiner Gnade Kuss,
Den Weinstock gib vom Kaukasus.
Ihr Jungfraun gleich der Madonnina,
Ihn tröstet, Frauen ihr von China.
Ich ruf den ganzen Weltenplan,
Euch, Göttinnen von Hindostan,
In Medien und Susa alle,
O tröstet ihn mit schönen Schalle,
O tröste, Königin von Ur,
Du Muttergöttin der Natur,
Du tröste auch, du Tochter Babel,
Und Jungfrau du, der Erde Nabel,
Jungfräuliche Jerusalem,
O Mädchen du von Bethlehem,
O tröstet, Ahnen in den Krypten,
Und du, o Isis von Ägypten,
Ihr Ahnen all von Afrika,
Seid, Ahnen, ihr noch alle da?
Der Vater Nil mit gelben Fluten
Mir tröste diesen Edel-Guten,
Ihr in Rosette an dem Riff
Und du, vollbusig Tarsis-Schiff,
Und Herakles bei seinen Säulen,
O höret meines Helden Heulen,
Und du, Atlantis-Inselreich,
Mit Küssen komme zärtlich weich,
O tröstet meinen Gottesseher,
Im weißen Eis ihr Hyperboräer,
Ihr alle unterm Himmelsdom,
Und Magna Mater du von Rom,
Prometheus tröstet in den Schmerzen,
Weil Liebe herrscht in seinem Herzen!


DRITTER AKT

DORIS
(Chorführerin der Doriden)
Prometheus, lieber Mensch, wenn ich dein Schicksal seh,
An Atlas denk ich dann und wie er trägt sein Weh.
PROMETHEUS
Nach Tarschisch reise du im Geiste der Gedanken,
Die Säulen schaue du von Herkules, die blanken,
Schau nach Atlantis aus. Wo einst die Insel war,
Schau den Atlantik an, das Meer bei Gibraltar.
Fahr dann nach Afrika und denke an Rosette,
Wo sich der Vater Nil ergießt ins Meeresbette,
Der siebenmündige, der Gelbe Vater Nil.
Karthago schau dir an, wo Fürstin Dido fiel
Von ihrer eignen Hand, das schaute Schwester Anna,
Aus Liebe dieser Tod zu einem schönen Mann, ah.
Zur Wüste gehe dann, die man Sahara nennt,
Wo Helios so heiß wie sieben Sonnen brennt.
Schau die Gebirge dort, schau an die Atlas-Berge.
Die Eseltreiber dort erscheinen dir wie Zwerge.
Den Anti-Atlas-Berg schau in der Wüste an,
Dann denk den Helden dir, titanisch dieser Mann,
Der auf den Schultern trägt des ganzen Weltalls Lasten
Und hebt das All empor. Die Arme stark umfassten
Den großen Atlas-Berg, auf seinem Schulternpaar
Das Universum ruht, da heimlich-offenbar
Weltseele geistig weht, doch all den dichten Stoffen
Ist Schwere eigen. Er nun über alles Hoffen
Auf die Erlösung hofft. Unglücklich ist er doch,
Ja, unglückselig er, es drückt ihn hart das Joch,
Er sehnt verzweifelt sich nach jenen Augenblicken,
Da kommt der Jovis-Sohn, um Atlas zu erquicken.
Der nimmt die Last ihm ab, die auf den Schultern drückt,
Dann Herkules voll Kraft an Atlas’ Stelle rückt,
Und Herkules das All wird auf die Schultern laden
Und tragen diese Welt, der Held von Gottes Gnaden,
Und Atlas wird befreit, der sich zur Erde bückt
Und an der Mutter sich erneuert und erquickt!
DORIS
Doch Herkules muß noch zum Hesperiden-Garten,
Die Hesperiden dort mit Liebesäpfeln warten.
PROMETHEUS
Der Drache vor dem Baum, die Schlange in dem Baum,
Erlaubt es Herkules vor gelbem Neide kaum,
Zu pflücken sich die Frucht vom Baum der Hesperiden,
Doch findet Herkules allein im Garten Frieden,
Wenn er die Äpfel pflückt der Hesperiden schön.
DORIS
Ich höre seufzen dich sehnsüchtiges Gestöhn.
PROMETHEUS
Ach, ließe mich auch Gott in diesen Seelenfrieden,
Dürft in den Garten ich der schönen Hesperiden!
DORIS
Du brachtest allen Trost, Ur-Becher voller Trost,
Und findest selbst nicht Trost? Trink blutigroten Most!
PROMETHEUS
Was habe ich gebracht den lieben Menschenkindern?
Ich brachte ein Geschenk und machte sie zu Findern,
Der Weisheit Gaben ich den Menschen brachte, denk
Dir, Doris, Schwanin, wie ich brachte das Geschenk
Der Zimmermännerkunst, das wissen weise Kenner,
Urweisheit ist Geschick der guten Zimmermänner.
Ich zeigte ihnen, wie man Tempel baut perfekt,
Die Weisheit ist ja selbst des Kosmos Architekt.
Ich malte ihnen vor in heiligen Exempeln
Die Gottesschönheit, die da wohnt in schönen Tempeln.
Ich lehrte sie die Kunst, wie Kinder man erzieht
Mit Zeit und Zärtlichkeit, Zuwendung, und man sieht,
Daß ich als Meister sie gelehrt die Pädagogik,
Da Autorität vereint mit Liebe ist die Logik,
Die innre Logik der Erziehung. Frauen auch
Die Weisheit brachte ich, dass großen Geistes Hauch
Auf frommen Frauen ruht, und ob die Männer führend
Und tätig in dem Werk, die Frauen inspirierend
Des Mannes Seele sind. Ich lehrte auch die Kunst
In jeder Hinsicht, die sublime Liebesbrunst
Das schöne Kunstwerk schafft, da zeigte ich die Richtung
Der Poesie für Gott, der heilig-schönen Dichtung.
Skulpturen zeigte ich, da Schönheit feiert Sieg,
Und Schönheitsmalerei und liebliche Musik,
Wie man das Schicksal ehrt und Gott, den Himmelsvater,
Wie man die Vorsicht ehrt in dem Sakraltheater.
Ich lehrte sie, wie man sich einen Weinberg baut,
Wie man den Weinberg liebt als vielgeliebte Braut,
Wie von dem Weinstock man empfängt das innre Leben,
Wie aus dem Weinstock saugt den Saft der Mund der Reben.
Ihr lehrte Liebe sie im Geiste und im Leib,
Wie sich vereinige der Mann mit seinem Weib,
Wie die Vereinigung soll geistig, seelisch, leiblich
Ein Wesen bilden, das zweieinig, männlich-weiblich,
Und lehrte, wie der Mann massiert der Frau die Brust
Und wie des Weibes Mund dem Mann bereitet Lust
Und wie die liebe Frau zu seligsten Genüssen
Den Mann, den Liebenden, soll sanft und zärtlich küssen.
Ich lehre sie den Kuss und wie man küsst den Hals,
Wo flutet schwarzes Haar wie Flut des Wasserfalls.
Ich lehrte sie den Geist, die Weisheit der Ideen,
Daß sie in der Natur die Schönheit Gottes sehen,
Urschönheit Gottes hab ich ihnen offenbart,
Urschönheit Gottes, Quell der Frauenschönheit zart.
Die ganze Weisheit gab ich Heiligen und Dirnen.
Und will mir darum Gott mit heißer Rage zürnen?
Weil ich den Menschen gab der Weisheit Höchstes Gut,
Drum Jove zürnt mit Grimm, mit väterlicher Wut?
DORIS
Die andern Männer doch, vor Neid sie werden gelber
Und gelber stets vor Neid. Du hilf dir doch auch selber!
Du spendest allen Trost und deiner Weisheit Gunst,
Machst ihnen zum Geschenk die Weisheit und die Kunst.
Denk an dich selber auch, an dich auch selbst zu denken,
Gebiet ich dir, und dir auch selber Gunst zu schenken.
Ein Vater warest du für alle Kinderlein,
Der Witwen Ehemann, der Waisen Väterlein,
Du gabest ihnen Geist und mütterlich das Futter.
Prometheus, lieber Mann, sei selbst dir eine Mutter!
Behaglich schaffe du dir einen Innenraum
Und bette dort dich weich und warm auf Schwanenflaum
Und tröste mütterlich, wenn will dein Herz verzagen,
Dann tröste mütterlich mit heiligem Behagen
Dich selber innerlich und nimm dich in die Hut,
Wie eine Mutter sei du zu dir selber gut!
PROMETHEUS
Selbstliebe lehren stets die kalten Egoisten,
Ich aber sehne mich nach liebevollen Brüsten!
DORIS
Was du nicht in dir hast, gibt dir kein andres Herz,
Wenn du dich selbst nicht liebst, wird Liebe dir zum Schmerz,
Wenn Liebe du allein suchst in den andern Herzen,
Dann wirst du finden nichts als bittre Liebesschmerzen.
Die Schönheit suchst du, suchst die Schönheit in der Welt,
In schönen Frauen suchst du Schönheit, o du Held,
Du Schönheit sucht man nicht mit äußerlichen Sinnen,
Denn in dir ist der Glanz der Schönheit, in dir innen!
Die Werke des Gesichts hast du nun lang geübt,
Jedoch die Innre Frau, sie will auch sein geliebt!
PROMETHEUS
O weise Einsamkeit! Der Weise liebe einsam
Sich selbst, sein eignes Ich? Ich aber will gemeinsam
Mit Menschen leben und im Liebesglück sozial
In der Gemeinsamkeit anschaun mein Ideal.
Es sollen Suchende doch werden auch zu Findern,
Ich suche Liebe, ach, bei lieben Menschenkindern,
Ich suche Liebe, ach, ein Herz in jeder Frau,
Ich suche einen Freund, vertraut der Gottesschau.
Die Schönheit suche ich in Rose und in Lilie,
Die Menschheit suche ich als heilige Familie!
DORIS
Du aber bist allein! So sei zufrieden auch!
In tiefster Einsamkeit küsst dich des Geistes Hauch!
Willst du vereinigen dich denn mit eitlen Spöttern?
In deinem Inneren sind Himmel voll von Göttern!
PROMETHEUS
Des Todes Einsamkeit mich zu den Göttern reißt!
Prophetisch greift am Schopf und küsst mich Gottes Geist!
DORIS
Was in dem Spiegel denn des Himmels darfst du sehen?
Was offenbarte dir der Tanz der Ur-Ideen?
PROMETHEUS
Von Gottes Einsamkeit ward manches Wort gesagt,
Als ob der höchste Herr wie wir so einsam klagt.
Doch über dieser Eins, die absolut ist einsam,
Seh ich geheimnisvoll in Liebe Drei gemeinsam!
DORIS
In Liebe diese Drei, in liebendem Verein?
Gott ist nicht absolut ein einsam Einig-Ein?
PROMETHEUS
Die Moira schaute ich, das Schicksal in der Dreiheit,
Mich riß zur Drei hinan der Gottesgeist der Freiheit.
Die Götter allesamt und selbst der Götter Gott
Stehn unterm Schicksal auch, ich Odem im Schamott,
Das Schicksal schaute ich, vernahm des Schicksals Stimme:
Daß Jove ist ein Gott von großem Zorn und Grimme,
Das nimmt ein Ende einst. So hör des Schicksals Rat,
Es raten dir die Drei: Es wird im Gottesstaat
Ein Neuer Gott geborn, es ist der Unbekannte!
Den Unbekannten mir des Schicksals Dreiheit nannte.
Des Schicksals Ratschlag selbst hat dieses mir bezeugt,
Ein Ur-Mysterium. Mein Mund nun mystisch schweigt.
DORIS
Doch welcher Gott im Schoß wird welchen Weibes zeugen?
PROMETHEUS
Oh Göttermutter, oh! Doch ich muß mystisch schweigen.
DORIS
Sprich von dem Neuen Gott, du bitte bleib nicht stumm,
Sprich, was du schautest, Mensch, von dem Mysterium.
PROMETHEUS
Es wird der Neue Gott, ich sage es bescheiden,
Erlösen mich dereinst von allen meinen Leiden!
DORIS
Die Hoffnung kam zu dir, ah, die geschäftige,
Die holde Trösterin, die zärtlich-kräftige?
PROMETHEUS
Die immerjugendlich den Durst der Lebenstriebe
In Ewigkeit mir stillt mit göttingleicher Liebe!
CHOR DER DORIDEN
Jetzt musst du büßen, Menschensohn,
Dein Leichnam dient in strenger Fron.
Jetzt musst du beten, büßen, fasten,
Jetzt musst du schultern deine Lasten.
Die Schwermut jetzt als Ehefrau
Presst aus dir aus den Tränentau.
Jetzt leidest du noch selbst im Schlummer
An Schwermut, Jammer, Trauer, Kummer.
Jetzt bohrt das Schwert sich durch dein Herz,
Die Seele spaltet dir der Schmerz,
Der Tränen ewiges Gewässer
Geht durch das Herz dir wie ein Messer,
Jetzt opferst du der Tränen Blut,
Jetzt wütet Gott in wilder Wut
Ungnädig in den Eingeweiden
Des Menschensohnes voller Leiden,
Jetzt bohrt sich dir durchs Fleisch der Pfahl,
Jetzt bohrt sich ein des Schwertes Stahl,
Verzweifeln musst du, darfst nicht hoffen,
Vom Wein der Traurigkeit besoffen,
Ach wehe dir, ach wehe, weh,
Ich doch in meinem Geiste seh,
Wie du in Leidenschaft und Jugend
Geliebt ein Weib voll frommer Tugend,
Die reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie Hochzeitslieder du gesungen
Mit Menschen- und mit Engelszungen
Der reizenden Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie du in hochzeitlichen Tänzen
Die Liebste liebtest in den Lenzen,
Die reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie ließ sie ihre Wimpern fächeln,
Entzückend ihr charmantes Lächeln,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie bebten ihre weißen Brüste,
Ihr Leib wie Liebe voller Lüste,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie unterm Baume mit den Feigen
Euch plötzlich überfiel das Schweigen,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie ich dich jetzt am Kreuze sehe,
So einsam, Herr! Ach weh dir, wehe!


VIERTER AKT

ISIS
Ach wehe mir, ach weh, ach wehe mir, ach weh,
Ich irre durch die Welt und keinen Lichtglanz seh,
Kein Stern am Himmel steht, mich tröstend mit Gefunkel,
So schwarz die Wolken sind, so dicht das tiefe Dunkel,
Fast hat mich schon der Schmerz gewaltsam umgebracht,
Die Sinne spüren nichts, der Geist geht in der Nacht,
Verzehrend sehnt sich fort zu meinem Glück die Seele,
Sie weiß nicht, was sie hat, sie weiß nicht, was ihr fehle.
Wie soll ich diesem Leid und dieser Trauer wehren,
Denn ich verzehre mich in brennendem Begehren!
Die Seele ist so leer, das Herz so unerfüllt,
Wo ist die Gotteshuld, die liebend mich erfüllt?
Einst träumte ich des Nachts, ich Jungfrau lag im Bette,
Daß eine Gottheit käm und liebend mich errette.
Ich hatte einen Traum, sah schauend die Vision,
Daß aus der Götter Schar zu mir ein Gottessohn
Gekommen ist, mich nahm zum Bund geheimer Ehe,
Ich Jungfrau ruhte da in eines Gottes Nähe.
In heißer Liebesglut ich eine Seele nackt,
Die Gottheit voll Potenz, voll schöpferischem Akt!
Doch welche Kleine sich vermählt dem Übergroßen,
Die wird in tiefe Nacht, ins Schmerzensreich gestoßen!
Jetzt irre ich umher, der schönen Heimat fern,
In meiner dunklen Nacht am Himmel strahlt kein Stern,
Jetzt nach der Seligkeit von Gottes Liebesküssen
Bin ich im Inneren verwundet und zerrissen,
Ich, die ich selig lag an eines Gottes Herz,
Ich tauchte in das Meer aus Bitterkeit und Schmerz.
Ob meine Küsse auch dem Gottessohn gemundet,
Ich bin jetzt fast schon tot, ich bin zu Tod verwundet,
Und über einen Schlund geh ich auf schmalem Steg
Und durch die Dornen führt mein steiler Tugendweg
Und ob ich einst gehofft, dass mich der Gottherr rette,
Ich mich in Rosen nicht, ich mich in Dornen bette!
Ich Götterlieblingin, ich Gottes Braut und Magd,
Ich wandle voller Angst durch Finsternis verzagt
Und sehne mich hinab in meine Grabeskammer,
Dort wird verstummen erst der armen Seele Jammer!
Bis dahin weine ich viel Tränen blutigrot,
Da mich mein Gott verstieß, ruf ich den Heiland Tod!
PROMETHEUS
O schöne Göttin du, von Schwermut so umnachtet,
Ihr Genien des Lichts nur Dunkelheiten brachtet,
Ich fühle mit dir die Zerrissenheit, dein Weh,
Schmerz öffnet mir den Blick, hellsichtig ich nun seh
Die Zukunftskirche, ah, Gott schüttelt ab die Bösen
Und schöne Liebe wird uns all vom Leid erlösen!
ISIS
Die Zukunftskirche siehst hellsichtig du im Licht,
So gib von der Vision getreulich mir Bericht.
PROMETHEUS
Geh, schöne Göttin du, ins wilde Reich der Skythen,
Dort opfert man im Zelt den Duft von Haschischblüten,
Die Skythen reiten dort, die Rosse sind begehrt,
Die Vielgeliebte man vergleicht mit einem Pferd.
Dann über den Ural und in den fernen Osten
Geh du zum Kaukasus, dort stehe deinen Posten,
Und schau am Kaukasus, am gipfelhohen Kliff,
Nach einem Rettungsboot, nach eines Retters Schiff.
Vom Kaukasus hinab, hinab die Weinterrassen
Gen Westen wende dich und wandere gelassen,
Ja, in Gelassenheit vom hohen Kaukasos
Hinab ans Schwarze Meer und an den Bosporos.
Die Aphrodite von dem Bosporos, die Hehre,
Mit langem schwarzem Haar taucht aus dem Schwarzen Meere.
Europa liegt dir still zur rechten Seite da,
Zur linken Seite liegt die Mutter Asia.
Besuche Asia, die Mutter, die Uralte,
Wo mancher Pilger schon auf Götterspuren wallte,
Und wandere hinab von Mutter Asia
Zur schwarzen Königin im schwarzen Afrika
Und suche dort in Kusch die tiefgeheimen Quellen
Des Gelben Vaters Nil. Woher sind seine Wellen?
Und von dem schwarzen Kusch und durch den Wüstensand
Du pilgere hinan, komm in Ägyptenland,
Und wo der Vater Nil sich eint dem Meeresbette,
Der siebenzüngige, dir schaue an Rosette
Und komm nach Syrien und in der Hirten Land,
Dort ehrt man einen Gott, dem Götter unbekannt.
ISIS
O, dieser Götter Gott, wird er mich nicht verschmähen?
Mich nicht als ein Idol und Götzenbild ansehen?
Als Heidin, Abgott und der Götter heilge Magd?
Ich fürcht mich vor dem Gott! Ich frage dich verzagt!
PROMETHEUS
Ach, all der Götter Schar, die Götter mir verzeihen,
Dich wird ein Göttersohn zur Auserwählten freien,
Der Göttersohn herab kommt von dem Götterthron
Und, Göttin Isis, zeugt in dir den schönsten Sohn!
ISIS
Wenn ich empfange einst von eines Gottes Samen,
So nenne mir den Sohn und sag des Sohnes Namen!
PROMETHEUS
Epaphroditus wird der Göttin Sohn genannt,
In Tyrus lebt er und in Sidon, in dem Land
Am Berge Libanon. Er wird ein Priester werden
Geheimen Ordens und mit klagenden Gebärden
Adon bejammern, der im Herbst gestorben war,
Doch auferstand im Lenz als Rose offenbar.
Epaphroditus wird von Tyrus mit dem Schiffe
Nach Zypern reisen und vorbei dem Römer-Riffe
Bei Paphos landen an und wird in Marion
Und in Kouklia dann beweinen den Adon.
Doch Aphrodite wird Epaphroditus lieben
Und trösten wird sie ihn im Trauern und Betrüben
Und küssen wird sie ihn mit zärtlich-keuschem Kuss
Und jauchzen wird er oft in trunkenem Genuss
Und trinkt den Wein allein und nicht im Kreis der Zecher
Und opfert Paphia die vielen vollen Becher.
Romantisch leben sie am Strand von Salamis
Und schaun nach Susa aus, doch ohne Bitternis,
Beim Oleanderbusch und trauernden Zypressen
Zusammen trinken sie der Traurigkeit Vergessen.
Romanzen träumt man so, wie schön die Götterfrau
Den Sohn der Göttin liebt! Der heitre Himmel blau
Und auf dem Mittelmeer ein schwanenweißes Schäumen,
Läßt sie Glückseligkeit empfinden wie in Träumen.
Doch später, wie ich seh, wird Göttin Paphia
Dem Liebling einen Sohn aus Liebe schenken, da
Beginnt die Dynastie. Die heiligen Dynasten
Von Aphrodites Schoß viel büßen, beten, fasten.
Und von Geschlechtern zu Geschlechtern folgen sich
Dynasten, welche fromm und mystisch, innerlich,
Ein priesterlich Geschlecht, die fromm wie Eremiten,
Und alle Frauen sind wie Nonnen-Aphroditen,
Sie leben heilig, keusch, in Tugend und in Zucht
Und keiner je begehrt von der verbotnen Frucht.
Sie leben alle keusch, jungfräulich, in der Ehe,
Sie leben schwesterlich als wie in Gottes Nähe,
Von diesem glücklichen und heiligen Geschlecht
Kommt nach des Schicksals Rat und höchsten Gottes Recht
Ein Mädchen dann hervor von eben vierzehn Jahren,
Ein Schönheitswunder sie mit langen schwarzen Haaren
Und grünen Augen in der schönsten Mandelform
Und ihre Heiligkeit ist herrlich und enorm.
Und dieses Mädchen in der keuschen Mädchenblüte
Die Erbin ist allein der Göttin Aphrodite.
ISIS
Erzähl mir mehr, o Freund, von dieser jungen Frau!
Wie siehst du im Gesicht das Mädchen deiner Schau?
PROMETHEUS
So vierzehn Jahre zählt die Frau, so sechzehn Jahre,
Ich sehe lang und glatt die schwarzen Seidenhaare,
Ich seh die Augen grün in schöner Mandelform,
Das Antlitz ist oval, harmonisch nach der Norm
Der Schönheitsharmonie, die Haut des Antlitz bräunlich,
Wie von der Sonnenglut gefärbet augenscheinlich,
Ich sehe ihren Mund, seh ihren Lächelmund,
Die Zähne perlenweiß, die Reihen ganz gesund,
Wie kusslich mir und süß erscheinen ihre Lippen,
Der rosenrote Mund, an rotem Wein zu nippen,
Und unter ihrem Haar, der Flut des Wasserfalls,
Ein Turm von Elfenbein, ein langer Schwanenhals,
Ich sehe ihren Leib von Anmut und von Reizen,
Die Finger ihrer Hand sich falten und sich spreizen,
Ich sehe diese Maid in schönster Lenznatur,
In ihren Fingern zart die weiße Perlenschnur.
Da sehe ich den Geist der Götter, ja, ich glaube,
Der Götter guter Geist kam wie die Liebestaube
Und zeugte einen Sohn. Die Taube hat geruckt,
Das schöne Mädchen hat mit offnem Aug geguckt,
Die Liebestaube kam mit Schnäbeln und mit Picken,
Das schöne Mädchen tat voll Huld und Gnade nicken,
Und so das schöne Kind, die Mädchenfrau gebar
Den Unbekannten, der der Neue Gottherr war!
ISIS
Du Seher des Gesichts, verschlossner Augen offen,
Ist dieser Neue Gott dein hoffnungsloses Hoffen?
PROMETHEUS
Sein Name ist der Schmerz! Daß er mein Leiden tröst
Und mich zum guten Schluß von allem Leid erlöst!
ISIS
Wie wird der Neue Gott den Schmerzensmann denn trösten?
Wie ist die Seligkeit denn der von ihm Erlösten?
Schaun sie erlöst auch aus, erlöst von allem Weh?
Ob ich Erlöste je auf schwarzer Erde seh?
PROMETHEUS
Auf Erden Schmerz, Schmerz, Schmerz! Doch dann in Paradiesen
Die Nymphen tanzen wie Ideen in Elysen!
ISIS
Und meine Tochter, sprich, die junge Mädchenfrau,
Was wird aus ihr dereinst nach deiner Geistesschau?
PROMETHEUS
Ach, in Elysium die Frau wird sich entschleiern
Und ich, der Schmerzensmann, mit ihr die Hochzeit feiern!
CHOR DER DORIDEN
Wie schön ist eine Ehe doch,
Da geht der Mann im sanften Joch
Der wundervollen Frauenliebe,
Ergänzung finden da die Triebe
Und in den Seelen keusch und rein
Ereignet schön sich der Verein
Und starke Männer, schöne Weiber
Vereinen zärtlich ihre Leiber
Und wie die beiden liebend sind,
Sie werden fruchtbar in dem Kind.
Ob Indianer oder Inder,
Die Frauen schenken uns die Kinder.
Und die Familie liebevoll,
Bei allen Musen und Apoll,
In Scherz und Ernst und Leid und Lachen
Das Lebensspiel gemeinsam machen
Und heiter wie das kleine Kind
Der Vater und die Mutter sind
Und tanzen wie im Lenz die Falter
Und lieben sich auch noch im Alter
Und wenn dann kommt der bittre Tod
In ihres Lebens Abendrot
In Götterdämmrungen, purpurnen,
Die Aschen ruhen in den Urnen,
Wie sich das Paar die Liebe gab,
Vereinigt noch in Mutter Grab.
Doch wehe, wehe, wehe, wehe,
Wenn einer wählt die Gottes-Ehe!
Dahin ist der Erotik Reiz,
Wie Sklaven hängt er an dem Kreuz!
Gott will ihn schon auf Erden richten
Und fordert radikal Verzichten
Und Opfer fordert ohne Spott
Und schmerzliche Entsagung Gott!
Dann dulden muß man Frevler, Spötter,
Die preisen ihre goldnen Götter,
Dann tausend Tode stirbt man, bis
In allertiefster Finsternis
Sich deine gottverlassne Seele
Dem gottverlassnen Gott vermähle!
Dann erst nach dem Martyrium –
Heil, Heil! – folgt das Elysium!


FÜNFTER AKT

PSYCHOPOMPUS
(Der Götterbote und Seelenführer der Toten)
Prometheus, alter Narr! Wer ist denn jenes Mädchen,
Das Gott gebären wird? Das Schicksal spinnt die Fädchen
Seit aller Ewigkeit. Von Jove ward geschickt
Ich heute her zu dir. Gott hat dich angeblickt
Und will jetzt wissen: Wer wird jenen Gott gebären,
Den deine Geistvision schon heute tut verehren,
Der dich vom Leid erlöst, der dich erlösen soll,
Ob Jove dir auch zürnt, der Vater-Rage voll?
PROMETHEUS
Ich kenn die Eifersucht der Götter und Göttinnen,
Drum schweige mystisch ich. Ich muß mich doch besinnen.
PSYCHOPOMPUS
Beschreibe mir das Weib noch einmal ganz genau,
Das Wundermädchen, das halb Kind, halb junge Frau.
PROMETHEUS
Die schwarze Katze der Mondgöttin Isis schleicht
Nicht so charmant und sanft, wie dieses Kind entweicht,
Naht ihr ein alter Mann. Ein alter Mann ist dumm
Und wird vor dieser Frau, vor diesem Kinde stumm.
Es ist ein alter Mann dem hübschen Kind abscheulich,
Denn sie ist keusch und rein und immerdar jungfräulich.
PSYCHOPOMPUS
Wie aber sieht sie aus? Das sollst du mir benennen,
Denn Jove will sie dann zur rechten Zeit erkennen.
PROMETHEUS
Sie ist gazellenschlank, anmutig wie ein Reh,
Sie ist so leis und sanft wie frischgefallner Schnee,
Die Stimme flötet süß wie Nachtigallenlieder,
Wie Stäbe Elfenbeins die schlanken Fingerglieder,
Die Brüste fest und klein, der Bauch ist fest und schlank,
Die Augen voll von Licht wie grüne Meere blank,
Geschnitten groß und rund in schönsten Mandelformen,
Sie schaun wie Orient dich groß an, die enormen,
Du siehst das Angesicht der Schönsten aller Fraun,
Es ist des Mädchens Haut von heißer Sonne braun.
PSYCHOPOMPUS
Viel schöne Frauen sind im Tränental der Erde.
Wie ich die Eine in der Schar erkennen werde?
PROMETHEUS
Es gehn die Frauen all auf einem breiten Weg,
Da ist ein Schnattern wie von lauten Gänsen reg,
Betrachtest du die Welt im femininen Scheine,
Dann plötzlich blitzt dir auf: Die Schönste ist die Eine,
Die Frau der Frauen sie, in dem Ideensaal
Der Nymphen der Ideen ist Sie das Ideal!
PSYCHOPOMPUS
Und dieser Frau der Fraun und diesem Himmelsschwane
Bist du verfallen schon im liebevollsten Wahne?
PROMETHEUS
Ja, Wahn ist alles, Wahn! Ich bin ein Idiot!
Komm, küsse mich, o Tod! Du küsst so zärtlich, Tod!
Was will ich von der Welt noch als von Gaben wissen?
Der Frauen-Genius kommt tödlich mich zu küssen!
Wie gut der Tod doch küsst! Was für ein süßer Kuss!
Wie gut doch küssen kann der Frauen-Genius!
PSYCHOPOMPUS
Was Tod? Was Genius der Frauen? O du Tor,
Der liebend den Verstand im Liebeswahn verlor !
PROMETHEUS
Ganz aufgeweicht das Hirn mir aus der Nase schnäuze
Und heule jämmerlich vor tödlich-schönem Reize!
PSYCHOPOMPUS
Doriden, hütet euch vor dieses Manns Manie,
Dem Jove zwar Genie, doch nicht Vernunft verlieh!
Ihr Schwanennymphen, ihr liebreizende Doriden,
Der arme Tor verlor den innern Seelenfrieden,
O hütet euch vor ihm und seinem irren Wahn,
Sein Wahnsinn steckt euch noch mit irren Küssen an!
PROMETHEUS
Doriden-Königin, lass küssen dich, o Doris,
Du Lebensquelle mein, o Mater Creatoris!
PSYCHOPOMPUS
O Doris, hüte dich ! Die Leiden der Manie
Verfluchen sonst auch dich in böser Sympathie,
Denn diesem bösen Mann die Götter alle fluchen
Und Flüche sind auf ihm schon seit dem Mutterkuchen!
DORIS
Doriden, kommt mit mir, ist jede wie ein Schwan,
Er hauche euch nicht an, der Schmerzenssohn im Wahn!
DORIDEN
O Mutter Doris du, du Königin voll Frieden,
Wir schwimmen fort mit dir, jungfräuliche Doriden.
PSYCHOPOMPUS
Ha, jetzt bist du allein! Du Irrer, du bist krank!
Gott schickte Wahnsinn dir! Sag Jove schönen Dank!
PROMETHEUS
Ja, Dank dir, großer Gott, für alle Todesqualen!
So kann ich meine Schuld mit Schmerzen dir bezahlen!
Du liebst es ja, o Gott, wenn einer tödlich stöhnt
Und sich in Todesqual mit deinem Zorn versöhnt!
PSYCHOPOMPUS
Den Geier rufe ich, ich ruf den Lämmergeier!
Hier, wo das Aas ist, kommt der Tod zur Leichenfeier!

(Ein Geier kommt herangeschwebt und bohrt den Schnabel dem Prometheus in die Leber, ihn langsam zerfleischend.)

Für tausend Jahre sollst du leiden, Schmerzensmann,
Für tausend Jahre sei du in der Leiden Bann!
PROMETHEUS
Hochheilige Mutter mein, Erbarmen, ach, Erbarmen,
Hochheilige Mutter mein, ich sterb in deinen Armen!
Hochheilige Mutter mein, ich ärmster Schmerzensmann,
Hochheilige Mutter mein, in tiefster Qualen Bann,
Hochheilige Mutter mein mit honigsüßem Herzen,
Hochheilige Mutter mein, erbarm dich meiner Schmerzen!
Hochheilige Mutter mein, ich schenk dir meine Qual,
Hochheilige Mutter mein, in diesem Tränental!
Hochheilige Mutter mein, von aller Macht des Bösen,
Hochheilige Mutter mein, wollst gnädig mich erlösen!

(Prometheus stirbt.)




SATYRSPIEL
APHRODITE IN FLAMMEN


ERSTE SZENE

(Homer allein in seinem Haus.)

HOMER
Nun bin ich fünfzig Jahre alt,
Der Tod naht mir mit Machtgewalt,
Doch wen die jungen Götter lieben,
So steht es in der Schrift geschrieben,
Den lassen sie auch jung versterben
Und das Elysium ererben.
Das Alter ist ein grauer Mann,
Er klopft ganz ungelegen an
Und stört mich in der schönen Muße
Und ruft zu Reue auf und Buße.
Nun, den Geburtstag soll ich feiern,
Soll stimmen meine goldnen Leiern
Und Hymnen singen für den Tag,
Da ich geboren ward. Ich mag
Es meiner Mutter gar nicht sagen,
Doch muß ich diesen Tag beklagen:
Weh, Mutter, dass du mich geboren,
Der in der blinden Welt verloren
Als Götterseher unter Blinden,
Um nichts als Jammernot zu finden!
Doch Aphrodite ist gesellig,
Sie feiert mich. Doch unterschwellig
Sie feiert selber sich und will,
Daß ich nicht einsam bin und still,
Daß ich bereite in dem Neste
Die Fröhlichkeit von einem Feste.
Daß Aphrodite auf der Szene
Nicht einsam ist, kommt auch Athene,
Der Aphrodite Busenfreundin
Und meine schlimmste Minnefeindin.
Der fromme Dichter soll nicht lästern,
Die beiden schönen Himmelsschwestern
Schon zwanzig Jahre mich ergötzen.
Sie fingen an als junge Metzen,
Nun sind sie fromme alte Nonnen
Und keusch wie heilige Madonnen.
Doch Aphrodite eifersüchtig
Betrachtet, wenn Athene züchtig
Mich reißt zu Leidenschaften hin,
Der klug ich wie Odysseus bin
Und bet zum Strahlenaug Athene
Und weine Träne über Träne
Vor Liebessehnsucht jede Nacht.
Doch Aphrodite gerne lacht.
Jetzt aber sag ich ein Geheimnis,
Jetzt ohne weiteres Versäumnis
Erwart ich das Geburtstagsfest,
Weil sich was Neues sehen lässt.
Das Neue aber ist das Alte.
In meiner Jugend in dem Walde,
Da liebte ich das keusche Reh,
Die Hindin, die so weiß wie Schnee,
Mondgöttin in der Finsternis,
Die Jugendliebe Artemis!
Und Artemis schrieb einen Brief
Mit Liebesworten schön und tief,
Sie wolle wieder mich besuchen
Und mit mir kosten Feigenkuchen
Und über alte Zeiten plaudern.
Ihr Musen, mich befällt ein Schaudern!
Wenn Artemis tritt auf die Szene,
Vergleichen will ich sie Athene.
In meiner Kammer stillem Saal
Schau meiner Jugend Ideal
Beim Ideale meines Alters
Ich sitzen. Saiten meines Psalters,
Wen werdet ihr dann rühmen, loben?
Wem werden meine Sinne toben?
Ach, Artemis in ihrer Jugend
War Jungfraungöttin voller Tugend,
Und Aphrodite an der Küste
Wild schüttelte die großen Brüste,
Athene aber in Hesperien
Mich unterwies in den Mysterien.
Drei Göttinnen, o welche Pein,
Sie sollten alle Eine sein!
Wie Artemis sie sollte schreiten
Und keusch wie eine Hindin gleiten,
Wie Aphrodite sollt sie lachen
Und lauter liebe Sachen machen
Und sollte wie Athene reden
Nur von Elysium und Eden.
Ich bin ganz aufgeregt, ihr Musen,
Ich bräuchte Aphrodites Busen,
Den völlig aufgewühlten Willen
An Aphrodites Brust zu stillen!
Daß nach der Todesfinsternis
Ich wieder sehn soll Artemis!
Jedoch, es klingelt an dem Tor,
Die Aphrodite steht davor,
Die Göttin mit dem schönen Hintern,
Sie kommt mit ihren lieben Kindern.


ZWEITE SZENE

(Homer, die fünfzigjährige Aphrodite, mit ihrem Sohn, dem zehnjährigen Apoll,
und den sechsjährigen Zwillingen Eros und Anteros. Eros und Anteros treten fröhlich lärmend in Homeros Eremitenzelle.)

APHRODITE
Viel Liebeswonne und viel Segen,
Mein Schatz, auf allen deinen Wegen!
HOMER
Was schenkst du mir zum Jammertag?
APHRODITE
Was du dir wünschst, mein Liebling, sag!
HOMER
O, einmal möcht ich dich noch küssen!
Wie schwer, die Küsse zu vermissen!
APHRODITE
Hier auf die weiche Pfirsichwange
Bei meiner braunen Lockenschlange?
HOMER
Nein, Aphrodite, auf die Lippen!
Und nicht nur so am Mündchen nippen!
Nein, heiße Küsse sollen taugen,
Den Saft mir aus dem Mark zu saugen!
(Aphrodite küsst Homeros.)
APHRODITE
Nun, meine vielgeliebten Kinder,
Homeros ist ein Überwinder,
Er war im weltlichen Theater
Euch wie ein lieber Herzensvater!
Kommt, fasst euch an den Patschehändchen,
Bringt Väterchen Homer ein Ständchen!
DIE KINDER
(singen)
Wie schön, dass du geboren bist,
Wir hätten dich sonst sehr vermisst!
APOLL
Homer, die vielen Bücher da
Hast du gelesen, Vater, ja?
HOMER
Hab viele Bücher schon gehabt
Von schlechten Dichtern unbegabt
Und auch von trefflichen Poeten,
Von Musenpriestern und Propheten!
Wenn ich sie alle heut noch hätte,
Sie reichten mir zu meinem Bette,
Ich fände dann in meinem Stübchen
Doch keinen Platz mehr für ein Liebchen!
EROS
Wann darf ich wieder bei dir schlafen?
Mein Schiff will in den Heimathafen!
Man nennt mich Schelm und Schalk und Bube,
Wohl ist mir nur in deiner Stube!
APOLL
Ja, in der Stube ungelüftet
Es stets nach Süßigkeiten düftet!
ANTEROS
Was machst du mit den vielen Flaschen?
Hast du was Leckeres zu naschen?
HOMER
Für Aphrodite Feigenkuchen
Und auch noch zwei Rosinenkuchen.
APHORODITE
Ein Feigenkuchen, welche Lust!
Wie hüpft das Herz mir in der Brust!
Und zwei Rosinenkuchen auch!
Ein Falter flattert mir im Bauch!
APOLL
Komm, Eros, zu der Spielzeugkiste!
EROS
Erst, wenn mich mein Homeros küsste!
APOLL
Anteros, komm, wir wollen spielen,
Hier in der Spielzeugkiste wühlen.
EROS
Ich bin der süße Knabe Eros
Und du mein Väterchen Homeros,
Ich will auf deinem Schoße sitzen,
Mit Blicken dir ins Auge blitzen,
Die Arme schlingen um den Hals
Und küssen will ich jedenfalls
Mit meinen Lippen deine Lippen
Und dann am Apfelnektar nippen.
APHRODITE
Mein Kind, so wahr lebt Jesus Christ,
Du weißt, dass du der Liebling bist
Und dass das Väterchen Homeros
Verliebt ist närrisch in den Eros!
Doch hab Erbarmen mit der Mutter,
Mein Busen ist so weiß wie Butter,
Ich wurde wegen meinem Busen
Auch eine von Homeros Musen,
Als ich noch war die Lustig-Junge!
HOMER
Ja, Schatz, und wegen deiner Zunge!
APHRODITE
Wie, wegen meinem dummen Schwatzen,
Wie, oder wegen meinem Schmatzen?
HOMER
Wie deine Zunge mich liebkost!
Erinnerungen sind mein Trost!
(Es klingelt an der Tür.)


DRITTE SZENE

(Homer, Aphrodite und ihre Kinder, die fünfzigjährige Athene tritt ein.)

ATHENE
Homer, mein Freund, ich wünsch dir Glück!
HOMER
Zum Ungeborensein zurück?
ATHENE
Das Glück steht erst am Ziele, sieh,
Die Ewige Eudämonie
Erwartet dich! Doch überleg:
Das Glück ist dienlich nicht als Weg.
APHRODITE
Suchst das Geheimnis du des Glücks?
Such eine Freundin dir am Styx...
ATHENE
Ach Aphrodite, Busenfreundin,
Du meine schlimmste Herzensfeindin,
Tyrannin aller Himmelsgötter,
Heut hoffentlich ist schönes Wetter,
Ich will spazieren noch durchs Feldchen
Zum stillen schönen Eichenwäldchen.
APHRODITE
Was willst denn du im Walde suchen?
Hier wartet dein der Feigenkuchen!
ATHENE
O, Kuchen! Wie im Paradies!
Die Feige ist doch honigsüß!
APHRODITE
Und schau, Homer, der alte Knilch,
Hat einen Krug voll Ziegenmilch.
ATHENE
Er nennt uns beide: alte Zicken
Und sehnt sich schon nach jungen Ricken!
APHRODITE
Ob alte Zicken, junge Ricken,
Die Männer wollen immer ficken!
HOMER
In meiner Jugend ein Gedicht
Las ich dir vor, da reimt ich schlicht
Der Glocke baumelndes Gebimmel
Auf Gottes Heiterkeit im Himmel.
APHRODITE
Ich reimte: Himmel und Gebimmel,
Ich weiß, Homer, das reimt auf Pimmel.
ATHENE
Er nennt uns auch schon: alte Huren!
Doch wir sind Göttliche Naturen!
Wenn wir uns selber so verachten
Und uns als Tempelhuren achten,
Sind selbst wir an der Schande schuld.
Doch pflegen wir den Ego-Kult
Und lieben selber uns am meisten,
Dann wird uns unser Selbst begeisten,
Dann sind wir Göttinnen im All.
HOMER
Ja, ich bin deine Nachtigall,
Athene, du bist Gottes Rose!
APHRODITE
Und heut kommt auch die Makellose,
Die Jungfraungöttin voller Tugend,
Die Vielgeliebte deiner Jugend,
Die alte Dame Artemis?
HOMER
Sie stürzte mich in Finsternis,
Mein Herzblut sprudelte blutrot,
Da griff nach mir schon Bruder Tod!
ATHENE
O Aphrodite, Stern der Schwestern,
Laß über Artemis uns lästern!
Hast du gesehen je ihr Bild?
Sie lebt ja scheu im Wald und wild.
APHRODITE
Ich sah ihr Bildnis von Apelles,
Das Augenpaar ein mondweiß helles,
Doch, bei dem Mittler und Versöhner,
Ich bin doch wirklich vielmals schöner!
Der Artemis Gesicht ist spitz,
Die Brust kein hüpfend Zwillingskitz,
Die krausen Locken dunkelblond,
Das Antlitz bleich und nicht besonnt.
ATHENE
Homeros, Aphrodites Ex,
Er hatte damals keinen Sex
Mit Artemis in seiner Jugend,
Drum preist er sie als Stern der Tugend.
HOMER
Athene, meine Weisheitsgöttin,
Mein Ideal, ersehnte Gattin!
Schon zwanzig Jahre lieb ich dich
Und widme deinem Dienst mein Ich,
Doch hab ich oftmals mich gesehnt
Und vor Verlangen heiß gestöhnt,
Daß ich dich sehe, neben dir
Frau Artemis in ihrer Zier,
Und dann euch beiden Gnadenreichen
Wollt prüfen ich und streng vergleichen.
APHRODITE
Du betest diese beiden an?
Ich aber liebe dich, mein Mann!
(Es klingelt an der Tür.)


VIERTE SZENE

(Zu den Vorigen, Artemis tritt ein.)

ARTEMIS
Homer, so lange nicht gesehn
Seit unsrer tollen Jugend schön,
Und doch erkennen wir uns wieder!
Und singst du heut noch deine Lieder?
HOMER
Vorstellen will ich dir die Schwestern,
Die Vögelinnen in den Nestern.
Dort die, um die ich mich bemühte,
Die Liebesgöttin Aphrodite,
Und dort die Quelle mancher Träne,
Die Weisheitskönigin Athene.
APHRODITE
Du also bist die Artemis?
O, bei der Höllenfinsternis,
Weißt du denn auch, dass mich verließ
Homeros in dem Paradies,
In allen Lüsten unsrer Jugend,
Weil er begehrte deine Tugend?
ARTEMIS
Ja, ja, wir waren jung und rein,
Ich aber lud ihn niemals ein,
Er wählte mich zur Auserkornen,
Doch war ich stachlig wie die Dornen,
Er konnte lispeln, lallen, fisteln,
Ich glich den Nesseln und den Disteln,
Homeros aber kennt kein Nein,
Da machte er mir manche Pein,
Da stand er immer vorm Balkon
Bei dem Kastanienpavillon
Und sang dort immer zur Gitarre:
O Artemis, ich harre, harre,
Ich harre bis zu meinem Tod
Und in der letzten Todesnot
Und selber nach dem Tode doch
Lieb ich dich trotzdem immer noch!
So sang der närrische Homeros.
APHRODITE
Worüber lachst du, lieber Eros?
EROS
Ach, diese spitze Hakennase
Der Dame Artemis! Ich rase!
Und diese schmalen, dünnen Lippen,
Die immer schwarzen Tee nur nippen!
ARTEMIS
Homer, woher kommt dieser Bube,
Ja, all die Kinder in der Stube?
HOMER
Ich habe selber keine Kinder,
Doch alle Griechen, alle Inder,
Das ganze irdische Theater
Lieb ich als herzensguter Vater.
Und, Artemis, bist du auch Mutter?
War je dein Busen voll von Butter?
ARTEMIS
Was weißt du denn von meinen Brüsten?
HOMER
Im Bade einst mich tats gelüsten,
Du warst im Badezimmer nackt,
Ganz ein Modell für einen Akt.
ARTEMIS
Wer sollte je mich nackend finden,
Den reih ich in die Schar der Blinden.
APHRODITE
Was tust du dich so züchtig zieren,
Willst du denn keinen Mann verführen?
ARTEMIS
Ach, diese arroganten Männer,
Die einen spielen Alleskönner,
Die andern spielen Müßiggänger
Und Taugenichts und Grillenfänger!
Nein, lieber bleibe ich allein,
Ich bin noch Jungfrau keusch und rein,
Bin selbstbestimmt, ein freies Weib,
Mir ganz allein gehört mein Leib,
Mir ganz allein gehört mein Bauch!
HOMER
Ist alles nichts als eitler Hauch!
Im Alter bist du noch ein Mädchen,
Im Lockenhaar schon Silberfädchen,
Du alte Jungfer Trockenpflaume!
Dich sah ich einst in meinem Traume
Und hielt dich für die Maid Maria
Und für die Hagia Sophia?
APOLL
Komm, lass uns lieber Karten spielen!
Hier die Zentaurenkrieger zielen!
ANTEROS
Ich geb dir dafür Amazonen,
Auch Drachentöter und Äonen!
Laß mich in deine Karten schauen!
EROS
Ich hab drei Kleine Meerjungfrauen!


FÜNFTE SZENE

(Wäldchen vor Homeros Hütte. Artemis und Athene gehen zusammen spazieren.)

ATHENE
Ich hielt es nicht mehr länger aus
In diesem muffig-dumpfen Haus,
Den Besen hat er nie benutzt,
Nie Staub von Büchern abgeputzt.
ARTEMIS
So war er schon in seiner Jugend,
Die Reinheit ist nicht seine Tugend.
ATHENE
Wie war er in der Jugend denn?
Erzähl mir von dem Liebenden!
ARTEMIS
Er betete zu mir, als wäre
Ich Gott! Das ist zuviel der Ehre!
Ich sprach in meinem weißen Rock:
Ich aber habe keinen Bock
Auf deine Leidenschaft der Triebe
Und deine religiöse Liebe!
ATHENE
Hat er dich da in Ruh gelassen?
ARTEMIS
Denk ich daran, muß ich ihn hassen!
Er lagerte vor meiner Türe,
Er streckte tierisch alle Viere
Und bettelnd wie ein Straßenhund
Er schrie: Ich bin am Herzen wund!
O Retterin, du musst mich heilen!
Komm, Vielgeliebte, lass uns eilen!
Wir sind doch schon seit Millionen
Von überhimmlischen Äonen
Zu einem Liebespaar bestimmt!
ATHENE
O, wie mir meine Seele grimmt!
Da werd ich armes Weibchen männlich,
Entzündlich und im Zorne brennlich,
Weil seines Mundes übler Hauch
Zu mir das Gleiche sagte auch!
ARTEMIS
Er predigte auch dir wie Pfaffen,
Du seiest nur für ihn erschaffen?
ATHENE
Bevor die Mutter ihn empfangen,
Wir wären schon vor Gott gegangen
Als Eheleute Hand in Hand,
Vereinigt im Ideenland!
ARTEMIS
Da siehst du seine ganze Narrheit!
Es ist doch wahrlich Gottes Wahrheit
Getreuer als der weise Plato
Und als der Advocate Cato.
ATHENE
Das sind nun meine lieben Leute.
Doch frag ich mich, was das bedeute,
Daß unser Narr noch nach dem Tod
Will schenken mir die Rose rot
Und in Elysium mich freien,
Im Himmel würde ich mich weihen
Schlussendlich seinem Durst der Triebe
Und stillen ihn mit meiner Liebe!
ARTEMIS
Das sagte er ja auch zu mir:
O Jungfrau voll der Zierrat Zier,
Ich lieb dich bis zur Todesstunde
Und schwöre dir mit heißem Munde,
Ich lieb dich nach dem Tode noch
Als Engel in dem Himmel doch!
ATHENE
Wie er in trunkener Ekstase
Nur immer lallt die gleiche Phrase!
ARTEMIS
Ich aber zornig sagte ihm:
Du Schwärmer! Du liebst zu sublim
Ja nur die Himmlische Idee!
In deinem blauen Auge seh
Ich die Ikone der Maria,
Den Glanz der Hagia Sophia!
Doch ich bin aus der Welt der Schatten,
Ich will mich einem Schatten gatten!
Du aber liebe immer wilder
Ideen, Ideale, Bilder!
ATHENE
Er hat es selber mir gestanden,
Als er war in der Liebe Banden:
Ich liebe niemals eine Frau,
Allein der Ideale Schau,
Wenn über einem Weib ich seh
Den Glanz der Himmlischen Idee!
Die Himmelskönigin Madonne
Allein ist meine Liebeswonne!
ARTEMIS
Er liegt gewiss grad jetzt zu Füßen
Der Aphrodite, um der Süßen
Den selben Unsinn zu erzählen
Von ihren parallelen Seelen!
ATHENE
Wie leid tut mir Urania!
ARTEMIS
Der arme Dichter! Ha, ha, ha!


SECHSTE SZENE

(Homer und Aphrodite allein in der Kammer.)

HOMER
Die Kinder spielen draußen schön!
Ach Aphrodite! Hör, ich stöhn:
Wenn ich doch noch ein Kindlein wäre
Und mein Großmütterchen voll Ehre
Mich wieder in die Arme nähme!
APHRODITE
Vor Aphrodite dich nicht schäme
Der Trauer schwachen Augenblicke.
Schau, wie ich lächelnd gnädig nicke!
HOMER
Apoll sprach gestern ein Gedicht.
APHRODITE
Sag, wie mein Sohn in Reimen spricht!
HOMER
(zitiert)
Von Blut zu Blut die Todesleiden
Wild wühlen in den Eingeweiden!
APHRODITE
Das spricht dir ganz aus deinem Herzen,
Nicht wahr, du Mann der Liebesschmerzen?
Wie schön du mit den Kindern spielst
Und auch mit ihrem Kummer fühlst,
In diesem tragischen Theater
Des Jammertals ein lieber Vater.
Weißt du, mein Ehemann Vulkan
Sah dich nur immer neidisch an,
Er klagte seiner Mutter das,
Der Göttin Juno. Weißt du, was
Die Göttin Juno da gesagt?
Ich höre, wie Vulkanos klagt,
Homeros sei sein Überwinder,
Homeros sei der Gott der Kinder!
Apoll, Anteros und der Eros
Sind doch gezeugt von dem Homeros,
Und dem Vulkan, dem Sohn, dem lieben,
Du tatest sie dann unterschieben!
So sprach die Göttin Juno. Ha,
Homer, das sagt Urania:
Ich liebe dich mit ganzem Triebe
Für deine treue Kinderliebe!
Und dafür will ich dich belohnen,
Erlaube dir, mir beizuwohnen!
HOMER
Was sagt dazu dein Ehegatte,
Der Satansbraten, diese Ratte?
APHRODITE
Wir leben ja in Griechenland,
Hier schrieb kein Gott mit seiner Hand
Auf Felsentafeln seinen Fluch,
Ich Göttin lieb den Ehebruch,
Im Goldenen Äone wars,
Als ich Vulkan betrog mit Mars!
HOMER
Ja, weißt du noch, in unsrer Jugend,
Als wir noch töricht frei von Tugend,
Wie wir da in der Sommersonne
Genossen wilde Liebeswonne?
APHRODITE
Willst du dich wieder auf mir wälzen
Wie damals bei dem Klippenfelsen?
HOMER
Auch das war schön, doch denke ich,
Wie ich dereinst genossen dich
Süß unterm Blütenpavillon
Kastanienbaums auf dem Balkon.
APHRODITE
Ah, ich erlange die Erhellung,
Du meinst die wunderschöne Stellung,
Da Kopf und Füße man vertauscht?
HOMER
Oh, ich bin ganz von Lust berauscht!
APHRODITE
Nun zieh mir meine Kleider aus,
Wir sind ja ganz allein im Haus,
Wir wollen nach der Liebe Regeln
Wie Tauben-Eheleute vögeln!
HOMER
O du Modell für einen Akt,
Wie göttlichschön bist du doch nackt,
Du Liebe voller Liebeslüste,
Wie majestätisch deine Brüste!
APHRODITE
Du wirst mit deinem Lied mich krönen.
Den Apfel schenkst du mir, der Schönen?
HOMER
Den Apfel hast du auch verdient,
Weil du der Liebe gut gedient
Als Magd der Götter, Hierodule!
Die Magd der Götter meine Buhle!
Nun ich dich fleißig auch bediene,
O Göttin, meine Konkubine!
(Sie verschwinden im Schlafzimmer.)


SIEBENTE SZENE

(In Homeros Wohnzimmer. Die Kinder spielen. Aphrodite isst Feigenkuchen. Artemis und Athene diskutieren. Homer beobachtet alles.)

ARTEMIS
Die Herren Männer halten sich
Fürs Ebenbild von Gottes Ich,
Als Erste in der Welt erschienen,
Daß alle Frauen ihnen dienen.
Wir sollen still sein und demütig
Und lieblich, zärtlich und sanftmütig,
Als ewig sanfte stille Weibchen
Erquicken sie mit unsern Leibchen,
Empfänglich stets, nur lauschen stille,
Was uns verkündet Männerwille
Und zu des Wortes Mannessamen
Als Mägde sagen Ja und Amen.
ATHENE
Der Urmensch war doch androgyn!
In meiner Weisheit sag ich kühn
Wie einst Aristophanes sprach,
Daß Gott das Urgeschöpf zerbrach,
Daß alles strebend jetzt erfleht
Erneut die Androgynität,
Daß Weiber männlich werden müssen
Und Männer wieder weiblich küssen.
Wenn männlich wird das Feminine
Und weiblich wird das Maskuline.
Der Urmensch, androgyner Zwitter,
Erscheint erneut. Doch das ist bitter
Für jene maskulinen Kerle,
Die suchen nur des Weibes Perle
Und sagen: Weiber, seid doch weiblich,
Seid ewigweiblich seelisch-leiblich,
Seid Töchter, Mädchen, werdet Mütter.
Die Kerle hassen dann den Zwitter,
Den Gott der Schöpfer einst zerbrach,
Sie wollen ihre Weibchen schwach
Und immer gütig, immer mild
Und schön wie ein Madonnenbild
Und starren allezeit hypnotisch
Auf Weibes Leibchen hoch erotisch.
ARTEMIS
Das alles ist doch patriarchalisch,
Der Anfang aber matriarchalisch
War Frauenherrschaft in der Welt.
Kein Herrgott sprach vom Himmelszelt,
Auf Erden war die Große Mutter,
Ein Paradies von Seim und Butter!
Der Großen Mutter Priesterinnen,
Das waren Jungfraunköniginnen.
Dort herrschten nicht die Hausfraunmütter,
Die Kindersorgen haben bitter,
Den Kindern geben Seim zu naschen,
Dann eilen Wäsche sie zu waschen,
Dann waschen sie die Kinderköpfe
Und putzen Pfannen dann und Töpfe,
Die Mütter voller Alltagssorgen
Regierten nicht am Weltenmorgen,
Vielmehr die femininen Nonnen,
Voll Geist jungfräuliche Madonnen,
Der Jungfraungöttin Priesterinnen,
Jungfräulich-reine Königinnen.
ATHENE
Kein väterlicher Geist vom Himmel
Dort ordnete das Weltgewimmel,
Kein Geist erzeugte dort die Formen,
Gott war nicht Geist und gab nicht Normen
Der patriarchalischen Ehe-Ethik
Und patriarchalischer Poetik,
Nein, an dem Anbeginn kein Vater
Die Welt erschuf, die Magna Mater
War Mater, war Materia,
Materia war immer da,
Materia im Anbeginn.
Ich Materialistin bin!
Materia gebar die Stoffe
Und wird gebären, wie ich hoffe,
Wenn diese Welt zugrunde geht,
Dann eine neue Welt entsteht,
So fort und fort in Ewigkeit.
Nicht linear zum Ziel die Zeit
Führt uns zum Himmel, wo wir strahlen,
Die Zeit bewegt sich in Spiralen,
Und nach der Patriarchen Krieg
Erneut erscheint der Mutter Sieg,
Da kommt die göttliche Asträa
Als Magna Mater Bona Dea
Und Frauenherrschaft bringt den Frieden,
Dann ist das Paradies hienieden.
ARTEMIS
Wir Jungfraun aber unbemannt,
Die Göttin haben wir erkannt.
ATHENE
Die Weisheit zeigt sich uns erkennlich,
Wenn wir als Weiber werden männlich,
Nicht lieblich-feminin, nein, bitter,
Voll Zank und Zürnen, starke Zwitter!
ARTEMIS
Ja, Weiber sollen zänkisch werden!
Dann kommt das Paradies auf Erden!


ACHTE SZENE

(Homer und Aphrodite sitzen Arm in Arm auf dem Sopha und flüstern. Die Kinder werden plötzlich verdächtig still! Artemis und Athene verabschieden sich.)


ATHENE
Es war sehr schön bei dir, Homer,
Nun werde dir dein Herz nicht schwer,
Ergib dich keinen Liebesleiden,
Athene muß jetzt von dir scheiden.
ARTEMIS
Wie schön, dass wir uns wiedersahn,
Jetzt muß ich nach des Schicksals Plan
Von dannen gehn. Du sollst nicht fluchen
Und sollst mich auch nicht weiter suchen!
(Athene und Artemis ab.)
APHRODITE
Es ist mit einem Mal so stille!
Mein Freund, was wäre jetzt dein Wille?
HOMER
Geliebte, alles was wir müssen,
Das ist uns küssen, küssen, küssen.
Du liebes Weib, mit einem Wort:
Komm, treiben wir der Liebe Sport!
APHRODITE
Bei meinem hochverehrten Hintern:
Ich muß erst schauen nach den Kindern.
HOMER
Ich aber frag mich langsam auch:
Was machen sie? Hier riechts nach Rauch!
ANTEROS
Ach liebe Mutter, nicht mehr schwätzen!
Ich, Mama, will dir jetzt was petzen!
Der Eros machte Feuer an!
Das darf nur ein erwachsner Mann.
Er spielte mit dem Feuerzeug!
EROS
Anteros, halt den Schnabel, schweig!
HOMER
Ich glaube, meine Wohnung brennt!
Rasch, vielgeliebte Kinder, rennt!
APHRODITE
Homer, mit Macht von Überwindern
Sei du der Retter meinen Kindern!
Das Feuer, des Geprassels Prasser,
Ich will es löschen mit dem Wasser!
(Homer nimmt Eros auf den Arm, Anteros an die Hand und ruft Apoll zu, so eilen sie hinaus. Das ganze Haus steht in Flammen.)
EROS
Homer, Homer, es ist zu spät!
Die Aphrodite untergeht!
APOLL
Wie hart schlägt Gottes Vaterhand!
Weh, Aphrodite ist verbrannt!
HOMER
Herr Jesus hat sie doch gerettet
Und sie im Paradies gebettet!
Da feiert Jesus Nazarenus
Die Hochzeit mit der Göttin Venus!
EROS
Ach, Aphrodite ohne Mängel,
Ist jetzt geworden unser Engel!
ANTEROS
Was soll jetzt aus uns Kindern werden
In diesem Jammertal der Erden?
HOMER
Ich bringe euch zu dem Zentauren!
Ihr Kinder sollt nicht länger trauren!
Seht, Chiron ist ein Pädagog,
Der Kinder nie gewaltsam bog,
Er macht den einen und den andern
Als Pädagog zu Alexandern,
So klug wie Aristoteles
Und so verliebt wie Sokrates
In Alkibiades gewesen,
Das können wir bei Platon lesen.
Ihr werdet auf Atlantis leben
Und über euch wird segnend schweben
Sankt Aphrodite ohne Mängel,
Fürsprecherin und Hüte-Engel,
Für immer sei euch Advocata
Sankt Aphrodite Immaculata!
EROS
(umschlingt den Hals von Homer und weint)
Ach Herzensväterchen Homeros,
Du liebstes Papachen von Eros,
Wie war die Zeit mit dir so schön!
HOMER
Wir werden uns nie wieder sehn!
Wie grausam, Gott, ist der Verlust!
Ich heul an Aphrodites Brust,
Mich tröste Aphrodites Busen!
Vor Kummer schweigen meine Musen!
Fort ist am Dasein alle Lust
Durch diesen grässlichen Verlust!
Wie soll es mit mir weitergehen?
APOLL
Wird Aphrodite auferstehen?
HOMER
Gott wird sie auferwecken, ja,
Die Selige Urania!


NEUNTE SZENE

(Gebirgsgegend, Hain von Ölbäumen, Eichen. Über einer Steineiche eine seltsame Lichterscheinung. Homer staunt die Lichterscheinung an.)

HOMER
Die weißen Laken eines Bettes
Trägt dieses Weib, es ist ein nettes,
Ich sehe kein Gesicht voll Charme
Und seh am Leibe keinen Arm...
(Plötzlicher Windstoß rauscht in den Eichen.)
O Gott, du rauschst in diesem Wind!
Was bin ich armes Menschenkind,
Daß du dich meiner annimmst, Gott?
Ich bin nur Odem im Schamott!
(Plötzlich kommt ein junges Mädchen, sie ist wunderschön, wie das Modell eines Venusmalers.)
Wer bist du, wunderschönes Mädchen?
Du kommst woher, aus welchem Städtchen?
HELENA
Ich bin die Helena von Sparta,
Bin nicht Maria und nicht Martha,
Ich bin die junge Helena,
Die Nichte der Urania!
HOMER
Wie alt? Wie lang sind deine Haare?
HELENA
Ich zähl im Maien sechzehn Jahre.
Die braunen Haare reichen so
Mir beinah bis zu meinem Po.
HOMER
Bildhauer möchte ich sein, bei Amor,
Und hauen deinen Leib aus Marmor.
Ich wäre ein Praxiteles,
Dem zugeschaut einst Sokrates,
Wie er gemeißelt schön die Phryne
So aphrodisisch schön, der Kühne.
Ja, oder ich wär der Apelles,
Ich malte dann ein Bild, ein helles,
Wie Kypris steht auf einer Muschel
In ihrer Lockenflut Gewuschel.
HELENA
Wer bist du denn, bist du ein Maler?
Du bist ein alter Mann, ein kahler,
Ein alter Mann mit dickem Bauch
Und stinkend deines Mundes Hauch.
Ich aber, schön wie Stella Maris,
Ich lieb den schönen Jüngling Paris!
HOMER
Ob Matutina oder Maris,
O Stella, liebe nur den Paris,
Ich will dich ja auch nur bedichten.
Sonst gäb es ja auch nur Geschichten,
Wenn ich dich lieben wollte, Kind.
Du weißt doch, wie die Leute sind.
Ich schreib ein episches Gedicht,
Den Hymnus auf dein Angesicht.
HELENA
Homer, das ist zuviel der Ehre,
Das ist ja mehr als ich begehre.
Ich schon die Iliade seh
Und lese schon die Odyssee.
Doch zeig die Bücher, deinen Veda,
Nicht meiner strengen Mutter Leda!
HOMER
Die Königin ist fromm und züchtig.
HELENA
Sie ist auch rasend eifersüchtig,
Besonders, wenn ein trunkner Dichter
Preist ihrer Tochter Augenlichter
Und schwärmt für ihrer Tochter Charme
Und Reiz und Liebreiz – Gott erbarm! –
Dann wird die Luft für Leda stickig,
Dann wird sie zänkisch, wird sie zickig!
HOMER
Was sagt die Mutter Leda dann?
HELENA
Ja, ja, so ist der böse Mann,
Verrückt nach junger Mädchen Reiz,
Die Alten schlagen sie ans Kreuz,
Nie lieben sie die armen Alten,
Stets nur die Mädchen ohne Falten,
Wo nicht die Brüste welk und schlaff,
Wo Mädchenbrüste fest und straff!
HOMER
Ich mich doch ziemlich irren müsste,
Wenn nicht ganz himmlisch deine Brüste!
HELENA
Doch will ich nicht den Schleier lüpfen!
HOMER
Ich seh der Ricke Kitze hüpfen!
HELENA
Nun gut, du darfst mein Dichter sein,
Das darf nur wissen Gott allein!
HOMER
Urschönheit der Urgottheit, Heil!