PUSCHKIN RUSSALKA


Deutsch von Josef Maria von der Ewigen Weisheit




ERSTE SZENE

(Ufer des Dnjepr. Mühle. Der Müller und seine Tochter.)

MÜLLER
Ja, so seid ihr alle, ihr jungen Dinger,
Ihr seid unvernünftig! Wenn einmal ein Mann,
Der vornehm ist, um den euch Andere beneiden,
Sich eingefunden, sollt ihr ihn festhalten.
Wodurch? Durch kluges, feines Betragen,
Bald streng ihn behandeln, bald schmeichelnd ihn anlocken,
Ihr sollt unvermerkt, mit kluger Wendung,
Von der Hochzeit sprechen und vor allen Dingen
Bewahren keusch der Jungfrau Ehre,
Die kostbare Perle, die wie das Wort
Nicht mehr zurückzubringen ist, wenn es dir entschlüpft ist.
Ist aber mit einer Hochzeit nicht zu rechnen,
So lässt sich irgendwie ein anderer Vorteil
Für sich und die Eurigen erschleichen.
Sagtet ihr nur so zu euch selbst: Er wird nicht ewig
Mich lieben und verwöhnen... aber nein,
Euch fällt es nicht ein, bei Zeiten das zu bedenken.
Euch schwindelt der Kopf, ihr seid froh,
Seinen Wunsch ihm ohne Rückhalt zu erfüllen -
Den lieben langen Tag zu liebkosen
Den Geliebten, und der Geliebte,
Ehe ihr es merkt, ist weg! verschwunden!
Und ihr habt nichts! Ach, ihr seid alle Närrinnen!
Habe ich dir nicht hundertmal gesagt:
Gib acht, Tochter! Sei keine Närrin,
Versäume nicht träumend dein Glück!
Den Fürsten lass nicht los und stürz dich nicht
So dumm ins Verderben! Aber half das was?
Jetzt kannst du da sitzen und dich ewig bekümmern,
Denn hin ist hin - da hilft gar nichts.

TOCHTER
Und warum glaubst du, dass er mich aufgegeben hat?

MÜLLER
Warum, das fragst du noch? Wie oft kehrte er nicht sonst
Während der Woche in unserer Mühle ein.
Jeden Gottestag, manchmal sogar
Zweimal am Tag. Dann immer seltener
Erschien er, und jetzt ist es der neunte Tag,
Dass wir ihn nicht gesehen. Was sagst du dazu?

TOCHTER
Er hat zu tun, ihn plagen viele Sorgen.
Er ist kein Müller und für ihn
Schafft nicht das Wasser. Oft sagte er mir,
Dass seine Mühe die schwerste sei von allen.

MÜLLER
Ja trau du ihm nur. Wann müssen sich Fürsten mühen?
Was ist denn ihre Mühe? Hasen jagen
Und Festessen geben, die Nachbarn ausplündern
Und euch verführen, ihr armen Närrinnen!
Er schafft selber? Ach es ist zum Erbarmen,
Für mich schafft das Wasser? Und doch hab ich
Bei Tag und Nacht keine Ruhe: sieht man nach,
So gibt es überall was zu flicken:
Hier fault es, dort leckt es. Wahrhaftig, besser wär es,
Wenn du wüsstest, von dem Fürsten dir
Ein Sümmchen für den Umbau zu erbitten.

TOCHTER
Ah!

MÜLLER
Was ist?

TOCHTER
Hör hin, es ist das Stampfen
Von seinem Pferd, er ist es, er ist es!

MÜLLER
Höre, Tochter,
Vergiss nicht, was ich dir geraten habe, denk daran!

TOCHTER
Da ist er, endlich!

(Der Fürst tritt ein; der Stallknecht führt sein Pferd weg.)

FÜRST
Wie geht’s dir, liebes Kindchen?
Wie geht es dir, Müller?

MÜLLER
Mein gnädiger Herr,
Willkommen! Es ist schon lange her, dass wir
Dein lichtes Antlitz nicht gesehen haben.
Ich gehe, dir eine Mahlzeit zuzubereiten.
(ab)

TOCHTER
Ach, endlich, endlich hast du an mich doch gedacht!
Wie hast du es übers Herz gebracht, so lange
Mich zu quälen mit der Qual des Wartens?
Was ging mir armen Frau nicht alles durch den Kopf!
Welche Schrecken gab es, die ich mir nicht ausgemalt?
Einmal dachte ich, dass dein Pferd dich fortgetragen
Durch Sümpfe und wilde Schluchten, dass ein Bär
Im Walddickicht dich überwältigt habe,
Dass du krank wärst, dass du mich nicht mehr lieb hast –
Aber Gott sei Dank! du lebst, du bist gesund,
Und liebst mich noch, oder?

FÜRST
Wie immer!
Nein, mehr noch, mein Kindchen!

SIE
Aber du bist so traurig...
Was ist geschehen?

FÜRST
Ich traurig?
Das kommt dir nur so vor. Nein, ich bin fröhlich,
Wenn ich dich seh!

SIE
Nein, wenn du froh bist,
Beschleunigst du den Schritt von Weitem schon,
Und rufst mit schöner Stimme: Wo ist mein Täubchen?
Wie geht es ihr? Und küsst mich gleich
Und forschst, ob ich mich auch an dir freue,
Und ob ich dich auch so früh erwartet habe.
Doch jetzt hörst du mich an und sagst kein Wort,
Umarmst mich nicht, küsst mir nicht die Augenlider.
Gewiss hat etwas dein Herz betrübt –
Was ist es? Du bist doch nicht böse auf mich?

FÜRST
Was hilft es, dass ich mich länger verstelle?
Ja, du hast Recht, es bedrückt mich ein schwerer Kummer!
Und du kannst ihn durch Liebesschmeicheleien
Nicht zerstreuen, wenn du ihn mit mir nicht teilen willst.

SIE
Mich aber schmerzt es, dass ich deine Leiden nicht
Mit dir tragen soll. Tu mir kund das Geheimnis!
Kanns dir denn recht sein, so weine ich; magst du aber nicht,
Fall ich mit keiner Träne dir zur Last.

FÜRST
Was zögere ich? Je schneller, desto besser!
Geliebtes Mädchen, du weißt, kein irdisches Glück
Hat sicheren Bestand, weder ein altes Adels-Geschlecht,
Noch junge Schönheit, weder Macht, noch großer Reichtum.
Nichts kann des Schicksals Schlägen widerstehen.
Auch wir nicht! Ist es nicht so, mein liebes Herz?
Wir waren glücklich, mindestens war ich es
Durch dich, ich war durch deine Liebe beglückt!
Und was auch weiter für mich kommen mag.
Wo ich auch sein werde, stets werde ich an dich denken,
Mein süßes Mädchen, und nichts auf der Erde kann,
Was ich je verliere, dich jemals mir ersetzen.

SIE
Noch kann ich deine Worte nicht deuten,
Und schon werde ich ängstlich. Das Schicksal - -
Es bereitet uns ein ungeahntes Wehe!
Die Trennung vielleicht?

FÜRST
Ja, du hast es erraten.
Es ist vom Schicksal uns die Trennung geboten!

SIE
Wer, wer trennt uns denn? Steht es nicht in meiner Macht,
Dir überall auf deinen Wegen zu folgen?
Als Knabe verkleidet will ich treu dir dienen,
Sei es auf der Reise,
Sei es im Krieg - ich fürchte den Krieg nicht,
Wenn du nur bei mir bist! Nein, ich glaub es nicht.
Entweder willst du meine Gedanken erforschen,
Oder du treibst mit mir einfach nur Scherz...

FÜRST
Zum Scherzen bin ich heute nicht gelaunt,
Dich zu erforschen habe ich keinen Anlass,
Auf weite Reise will ich nicht gehen,
Ich will auch in keinen Krieg: Ich gehe nicht aus dem Haus –
Und doch muss ich für immer von dir scheiden!

SIE
Halt! Jetzt versteh ich alles!
Du nimmst dir eine Ehefrau!

(Der Fürst schweigt.)

Du nimmst dir eine Ehefrau?

FÜRST
Was solls?
Urteile selber, wir Fürsten sind nicht frei,
Wie ihr es seid, und die Lebensgefährtin wird
Nicht nach der Neigung gewählt, sondern nach Berechnung,
Von fremden Leuten und zum Nutzen fremder Leute.
Allein Gott und die Zeit wird deinen Kummer lindern...
Vergiss mich nicht! Hier, nimm zum Angedenken
Ein Stirnband, komm, ich leg es selber dir an.
Auch hab ich eine Halskette mitgebracht,
Nimm sie. Und noch eins: Dies hier versprach ich
Deinem Vater, gib es ihm.

(Er gibt ihr einen Beutel voll Gold in die Hand.)

Lebewohl!

SIE
Warte, ich hab dir noch was zu sagen,
Ich weiß nicht was...

FÜRST
Denk nach!

SIE
Für dich bin ich bereit...
Nein, das war es nicht, warte.
Unmöglich, dass du mich für immer
Verlassen kannst! Nein, das wars auch nicht.
Jetzt hab iches. Es regt sich, guter Freund,
Mir unterm Herzen dein Kind!...

FÜRST
Du Unglückliche! - Was tun?
Du musst dich schonen,
Schon um des Kindes willen. Und glaube mir,
Ich werde Mutter und Kind nicht verlassen!
Wenn es möglich ist, komm ich selbst,
Euch zu besuchen. Bleibe fest!
Lass dich zum letzten Mal umarmen!

(Weggehend)

Das wär vorbei!
Ich atme erleichtert auf.
Ich war auf einen Sturm gefasst –
Das ging noch ganz ruhig über die Bühne.

(Er geht ab. Sie bleibt unbeweglich stehen. Der Müller tritt auf.)

MÜLLER
Ist es dir nicht angenehm,
Jetzt bei uns einzutreten? - Wo ist er denn?
Sag mir, wo ist der Fürst? Ah, schau mal!
Was für ein Stirnband voller Edelsteine!
Das schimmert! Und Perlen – wahrlich,
Ein königliches Geschenk hast du bekommen!
Und was ist das? Ein Beutel – Geld?
Doch du, was stehst du da so stumm und sagst nichts?
Sagst nicht ein Sterbenswörtchen?... Oder
Hat die unerwartete Freude deinen Geist verwirrt?
Erfasste dich ein Fieberkrampf?

TOCHTER
Ich kann es nicht glauben,
Es kann nicht sein – ich habe ihn so sehr geliebt!
Ist er ein Tier?
Hat er ein Herz aus Stein?

MÜLLER
Wer ist es, von dem du sprichst?

TOCHTER
Papa, sag mir, hab ich ihn wohl
Zornig gemacht? Ist denn meine junge Schönheit
In einer Woche verwelkt? Oder
Hat man ihm einen Trank gegeben?

MÜLLER
Was ist mit dir?

TOCHTER
Er ist weg, da prescht sein Pferd!
Und ich, ich Verrückte, ich ließ ihn gehen!
Ich klammerte mich nicht an seinen Mantel,
Ich hing mich nicht an den Zaum seines Pferdes!
Wollte er mir dann auch in seinem Zorn
Die Hand abhauen, wollte er mich auf der Stelle
Durch die Hufe seines Pferdes zertreten lassen!

MÜLLER
Was hat sie?

TOCHTER
Fürsten sind nicht frei
Wie unsereins, sie wählen nicht nach der Zuneigung
Ihre Ehefrau – wohl aber ist es ihre Art,
Uns Mädchen durch Schwüre zu verführen,
Zu flüstern: Mädchen, ich bring dich auf mein Schloss,
Da ist ein gemütliches Zimmer, ich bekleide
Dich mit feinster Seide und schwarzem Samt.
Sie dürfen uns verführen, um Mitternacht
Auf das gegebene Zeichen hin aufzustehen,
Zu sitzen bei der Mühle bis zum Morgen.
Sie finden es toll, ihr übermütiges Herz zu erquicken
An unserem Elend, und sagen zuletzt: Adieu,
Geh, mein Täubchen! Geh, wohin du willst,
Und liebe, wen du willst.

MÜLLER
So steht es?

TOCHTER
Wer ist seine Braut? Für welche Frau hat er
Mich aufgegeben? Oh, ich werde es erfahren,
Ich gehe zu ihr, rede sie an, die böse Hexe:
Lass ihn mir! Du siehst, es leben nicht
Zwei Wölfinnen in Einer Schlucht!

MÜLLER
Du Närrin!
Hat sich der Fürst nun einmal eine Dame erwählt,
Wer kann ihn dann aufhalten? Siehst du es nicht?
Hab ich es dir nicht vorhergesagt?

TOCHTER
Und durfte er
Als tapferer Mann es wagen, so sich von mir zu scheiden,
Dass er mir noch Geschenke gab? Was denkt der sich?
Und Geld! Damit meint er sich loszukaufen?
Durch Silber will er mich stumm machen,
Dass ich nicht Schlechtes über ihn rede
Und es nicht der anderen Frau zu Ohren komme!
Ja, fast hätt ichs vergessen, hier
Lässt er dieses Geld dir geben dafür,
Dass du ihm wohlgesonnen warst, dass du deiner Tochter
Erlaubt, ihm nachzulaufen, dass du nicht streng
Sie zurückgehalten. Siehe, dir kommt zu Gute
Mein Untergang!

(Sie gibt ihm den Geldbeutel.)

MÜLLER
(weinend)
Was muss ich erleben!
Was legte Gott mir nicht alles auf! Sünde ist es,
Dass du so bitter verlästerst den eignen Vater!
Du bist ja doch mein einziges Kind auf Erden,
Die einzige Freude meiner alten Tage,
Wie hätte ich dich nicht verwöhnen sollen?
Jetzt straft mich Gott dafür, dass ich zu schwach war
In meiner Vaterliebe...

TOCHTER
Ah, ich ersticke!
Die kalte Schlange würgt mir den Hals,
Mit einer schimmernden Schlange hat er
Und nicht mit Perlenschnüren mich umwunden.

(Sie reißt die Perlenkette ab.)

So möchte ich, du böse Schlange, dich zerreißen!
Dich, du verfluchter Feind meiner Freude!

MÜLLER
Wahrlich, du redest wie eine Wahnsinnige!

TOCHTER
(nimmt das Stirnband ab).
Da, da ist mein Kranz!
Ein Kranz der Schande! Mit ihm hat uns
Der böse Feind vermählt, als ich mich losriss
Von allem, was ich mir früher heilig war!
Wir sind geschieden! Welke, mein Kranz!

(Sie wirft das Stirnband in den Dnjepr.)

Und jetzt ist alles aus!

(Sie stürzt sich in den Fluss.)

DER MÜLLER
(stürzt zu Boden)
Ah weh mir! Wehe! Wehe!



ZWEITE SZENE

(Der Saal des Fürsten. Hochzeitsfeier; das Paar sitzt am Tisch. Gäste. Chor von Mädchen.)

WERBER
Das war einmal ein lustiges Hochzeitsfest!
Nun, Fürst, ich wünsche dir Glück zur Fürstin,
In Liebe und Eintracht lasse euch leben Gott
Und lasse uns recht oft noch bei euch speisen!
Ihr aber, hübsche Mädchen, warum schweigt ihr?
Ihr weißen Schwäne, warum seid ihr stumm?
Habt ihr schon alle Lieder gesungen?
Sind euch vom Singen schon die Kehlen vertrocknet?

CHOR DER JUNGEN MÄDCHEN
Werber, Werber,
Närrischer Werber!
Wir gingen, auf die Braut zu warten,
Wir kamen in den Garten,
Haben ein Fass Bier ausgegossen,
Haben den Kohl begossen.
Vor dem Zaun verbeugten wir uns,
Vor dem Pfosten verneigten wir uns,
Wir baten: O Pfosten,
Weise uns den Weg,
Wo die Braut geht.
Werber, du musst nicht abschweifen,
Sollst in den Beutel greifen.
Im Beutel klingelt Gold,
Das hübschen Mädchen gut gefällt.

WERBER
Ihr Schelme, was singt ihr da für ein Lied!
Da habt ihr Gold, und nun lasst mich ungeschoren.

(Er beschenkt die hübschen Mädchen.)

EINE STIMME
Über die Kieselsteine, über den weißen Sand
Eile dahin der schnelle Fluss,
Im schnellen Fluss plätschern zwei Fische,
Zwei Fische, zwei fröhliche Forellen.
Hörtest du schon, Schwester Forelle,
Was geschah bei uns im Fluss?
Wie ein schönes Mädchen sich gestern hier ertränkte
Und noch im Untergang dem Freier fluchte?

WERBER
Ihr schönen Mädchen, was ist das für ein Gesang?
Das ist ja doch kein Hochzeitslied!
Wer hat das Lied gewählt? Sagt es mir.

DIE MÄDCHEN
Ich nicht,,
Ich nicht, wir nicht.

WERBER
Wer hat es denn gesungen?

(Gemurmel und Verwirrung unter den Mädchen.)

FÜRST
Ich weiß, wer es gesungen.

(Er steht vom Tisch auf und flüstert dem Knecht zu)

Die Müllerin muss da sein:
Führe sie gleich hinaus und frage,
Wer sie hereingelassen?

(Der Knecht tritt an die Mädchen heran.)

FÜRST
(für sich)
Wahrlich,
Sie wäre im Stande, solchen Lärm zu machen,
Dass ich nicht weiß, wo ich mich vor Schande
Verstecken könnte!

KNECHT
Mein Fürst, ich konnte sie nicht finden.

FÜRST
Suche nur weiter! Ich weiß, sie ist hier, sie war es,
Die dieses Lied gesungen hat.

EIN GAST
Bringt doch Wein!
Es fuhr mir ein Schrecken durch alle Glieder!
Fort mit dem Ärger –
Versüßen wir uns den Ärger!

(Das Paar küsst sich. Ein leiser Schrei wird gehört.)

FÜRST
Sie war es! Es war ein Schrei der Eifersucht!
Wie siehts aus?

KNECHT
Ich kann sie nirgendwo finden.

FÜRST
Schwachkopf!

WIRT
(aufstehend)
Wäre es jetzt nicht Zeit, die Fürstin dem Gatten
Zuzuführen und dem schönen Paar
Mit Hopfen die Schwelle zu bestreuen?

(Alle stehen auf.)

WERBERIN
Ja, jetzt ist es Zeit. Bringt den gebratenen Hahn!

(Man setzt dem Paar einen gebratenen Hahn vor, bestreut das Paar mit Hopfen und führt sie dann ins Schlafzimmer.)

WERBERIN
Nun, Fürstin, Herzilein, weine nicht, sei nur ruhig
Und ergib dich deinem Schicksal.

(Das Paar begibt sich ins Schlafzimmer. Alle entfernen sich, außer der Werberin und dem Wirt.)

WIRT
Wo ist die Flasche?
Soll ich die ganze Nacht hindurch vorm Fenster wachen,
So ist eine kleine Stärkung wahrlich nicht vom Übel.

WERBERIN
(schenkt ihm ein).
Da trink! Prosit!

WIRT
Ah, danke schön!
Es ging doch alles gut, nicht wahr?
Ein prächtiges Hochzeitsfest!

WERBERIN
Ja, Gott sei Dank,
Es war alles gut –
Nur eins war nicht gut.

WIRT
Und was?

WERBERIN
Das Lied, das sie da sangen,
Kein Hochzeitslied, Gott weiß, was für ein Lied...

WIRT
Ach diese Mädchen! Können sie doch nie
Die Scherze lassen. Ist es wohl gut,
Ein fürstliches Hochzeitsfest zu stören?



DRITTE SZENE

(Zimmer. Die Fürstin und die Amme.)

FÜRSTIN
Wird nicht geblasen? – Nein, er kommt nicht!
Ach, liebe Amme, wie süß war er als Freier!
Nicht einen Schritt wich er mir von der Seite,
Die Augen konnte er nicht von mir wenden!
Aber seit wir verheiratet sind, ist alles anders.
Jetzt weckt er mich schon in aller Frühe
Und gibt sofort den Befehl, sein Pferd zu satteln,
Und schweift bis in die Nacht, Gott weiß wohin!
Kommt er zurück, so hat er für mich
Kaum ein freundliches Wort, und kaum noch streichelt er
Mit sanfter Hand, wie sonst, mein weißes Antlitz.

AMME
Ach, Fürstin, lass es! Der Mann ist wie der Hahn:
Er kräht, er schlägt mit den Flügeln und – weg ist er!
Die Frau dagegen gleicht der Henne:
Da sitzt sie und brütet ihre Küken!
Als Freier, da will er gar nicht gehen,
Er isst nicht, er trinkt nicht, er kann sich nicht satt sehn.
Aber hat er geheiratet, dann beginnen die Sorgen.
Bald gilt es, einen Nachbarn zu besuchen,
Bald gilt es, auf die Falkenjagd zu gehen,
Dann führt ihn gar sein böser Stern in den Krieg.
So ist er überall, nur nicht zu Haus.

FÜRSTIN
Amme, nährt er im Herzen heimlich Liebesglut
Für eine Andere?

AMME
Sei still und sündige nicht!
Welcher Anderen könnte er dich wohl opfern?
Dein ist der Ruhm an Geist, an Schönheit,
An Sitte und Vernunft, sag es doch selber,
Du Herzkönigin, in welcher Anderen
Könnte er einen solchen Schatz wiederfinden?

FÜRSTIN
Wenn Gott mein inbrünstiges Flehen erhören wollte
Und Kinder mir gewähren... oh dann könnte ich
Von Neuem den Mann wohl an mich fesseln.
Siehe, die Jäger erfüllen den Hof,
Mein Mann ist heimgekehrt.
Warum kommt er nicht zu mir?

(Ein Jäger tritt ein.)

Der Fürst! Wo ist der Fürst?

JÄGER
Der Fürst befahl uns,
Nach Hause zu reiten.

FÜRSTIN
Aber wo ist er?

JÄGER
Er blieb allein im Wald am Ufer des Dnjepr.

FÜRSTIN
Und ihr ward so kalt, den Fürsten dort
Allein zu lassen? Ist das eure Liebe?
Kehrt schnell um, eilt sofort zu ihm,
Und meldet ihm, ich sei es, die euch zu ihm geschickt.

(Der Jäger geht ab.)

Ah Gott! Im Wald in finsterer Nacht, da geht um
Das wilde Tier – der schlimme Mensch! Es lauert
Der Walddämon da, und wie schnell ist das Unheil da!
Schnell, Amme, entzünde vor der Ikone die Kerze!

AMME
Sofort, mein Kind, sofort.


VIERTE SZENE

(Am Dnjepr. In der Nacht.)

DIE NYMPHEN
Wir tauchen so heiter
Herauf aus der Tiefe,
Es wärmt die Luna uns
Zur nächtlichen Stunde.

Oh, Lust bereitet es uns, zu meiden
Nacht für Nacht das Fluss-Bett,
Freien Hauptes zu durcheilen
Seiner Fluten Spiegel;
Uns zu rufen Paar um Paar,
Dass die Lust erklingt wie Kirchenglocken - -
Und die feuchten goldenen Locken
Schütteln wir und wringen sie aus.

EINE NYMPHE
Still! es hat in den grünen Zweigen
Ein Vogel sich bewegt.

EINE ANDERE NYMPHE
Bei Luna und unseren Tänzen
Jemand ist heran gekommen.

(Die Nymphen erstecken sich)

FÜRST
An dieses gespenstische Ufer ziehen mich
Unwiderstehlich dunkle Mächte...
Der öde Ort ist mir bekannt,
Vertraut ist alles mir, was mich hier umgibt.
Da ist die Mühle, aber sie ist zerfallen,
Der Mühlstein ruht auch, gewiss, es starb der Alte,
Die arme Tochter hat er lange bejammert!
Hier war ein Fußpfad, er ist jetzt verwachsen,
Ihn hat seit langem kein Fuß mehr betreten.
Hier war ein umzäunter Garten, sollte
Er zu solch einer Wildnis aufgeschossen sein?
Da steht die Eiche, unserer Liebe treuer Zeuge,
Hier sank das Mädchen an meine Brust!
Ist es möglich?

(Er geht auf die Tür zu; Blätter fallen)

Was ist das? Die trockenen Blätter
Rascheln plötzlich von der Eiche
Und fallen wie Regen mir auf den Kopf!
Da steht sie nackt vor meinem Auge -
Wie ein verfluchter Baum!

(Auftritt der Alte, in Lumpen und halb nackt)

DER ALTE
Wie geht es dir, mein Sohn?

FÜRST
Wer bist du?

DER ALTE
Ich bin der Rabe dieses Ortes.

FÜRST
Ist es möglich? Ist das der Müller?

DER ALTE
Ach was, der Müller!
Dem Hauskobold verkaufte ich meine Mühle,
Und das gewonnene Geld gab ich in Verwahrung
Der Russalka, meiner weisen Tochter.
Das Geld ist im Dnjepr begraben.
Gehütet wird es von einem einäugigen Fisch.

FÜRST
Der Unglückliche, er ist wahnsinnig!
Wie Wolken vom Sturm zerstreut,
So irren seine Gedanken.

DER ALTE
Warum bist du gestern nicht gekommen?
Da gab es ein Festessen,
Wir haben lange auf dich gewartet.

FÜRST
Wer hat auf mich gewartet?

DER ALTE
Wer? Nun, meine schöne Tochter!
Du weißt, ich sehe zu allem durch die Finger
Und lass euch die Freiheit;
Mag sie nur immer zusammen sitzen
Mit dir die ganze Nacht – bis zum Hahnenschrei –
Ich sag kein Wort...

FÜRST
Armer Müller!

DER ALTE
Was soll das mit dem Müller? Hörst du nicht?
Ich bin der Rabe und nicht der Müller. Seltsam!
Als sie – weißt du noch? – sich in den Fluss
Gestürzt, da folgte ich närrisch ihrer Spur
Und wollte eben von dem Felsen springen,
Da fühlte ich plötzlich, wie zwei große weiße Flügel
Mit starker Kraft mir an den Schultern wuchsen
Und in der Luft mich oben hielten. Seit der Zeit
Fliege ich bald hierhin, bald dorthin, und picke bald
An einer toten Mutterkuh, bald sitze ich krächzend
Auf einem Grab….

FÜRST
Ah weh! was für ein Jammer!
Wer ist es denn, der dich pflegt?

DER ALTE
Ja ein Pflegefall bin ich,
Denn ich bin alt geworden
Und etwas wunderlich...
Mich pflegt die liebe kleine Russalka ...

FÜRST
Wer?

DER ALTE
Mein Enkelkind.

FÜRST
Unmöglich, ihn zu verstehen!
Höre, Alter, hier im Wald
Stirbst du an Hunger, wenn nicht ein wildes Tier
Dich frisst. Willst du mir nicht auf mein Schloss folgen
Und bei mir leben?

DER ALTE
Auf dein Schloss? Nein, ich danke sehr!
Du lockst mich hin und willst mich dann erwürgen
Mit einem Halsband. Hier bleib ich am Leben,
Hier bin ich satt und frei. Ich will nicht auf dein Schloss!

(Der Alte ab)

FÜRST
Und das alles habe ich verschuldet! Schrecklich!
Es ist, um den Verstand zu verlieren - -
Besser sterben!
Den Toten schauen wir mit heiliger Ehrfurcht an
Und sprechen Gebete zu ihm: Alle macht
Der Tod gleich. Doch der ist nicht mehr Mensch,
Der seines Verstandes nicht mehr mächtig ist,
Umsonst hat er die Sprache! Er beherrscht
Das Wort nicht mehr, ihresgleichen sehen in ihm
Die Tiere nur, die Menschen spotten über ihn!
Ihn schützt die Welt nicht, und ihn richtet Gott nicht.
Unglücklicher Alter! Sein Anblick hat in mir
Die Qual der Reue erregt!

(Auftritt des Jägers)

JÄGER
Da ist er. Mühsam war es, ihn zu finden.

FÜRST
Was willst du hier?

JÄGER
Die Fürstin sendet uns.
Sie ist um dich in Sorge.

FÜRST
Unerträglich ist ihre Ängstlichkeit.
Bin ich ein Kind?
Dass ich keinen Schritt tun kann ohne Kindermädchen?

(Fürst und Jäger ab. Die Nymphen erscheinen auf dem Wasser.)

DIE NYMPHEN
Sagt, Schwestern, sollen wir streifen
Ihnen nach auf Feld und Wiese,
Und mit Spritzen, Kichern und Flöten
Ihre Rosse scheu machen?
Nein, es ist spät. Kühl werden die Wellen,
Fern her kräht der Hahn schon laut,
Abwärts ist Luna gegangen,
Dunkel ist der Himmel.

EINE NYMPHE
Lasst uns noch ein wenig bleiben.

EINE ANDERE NYMPHE
Nein, wir müssen uns beeilen.
Denn es wartet auf ihrem Thron
Unsere ernste Schwester.



FÜNFTE SZENE

Dnjepr. Saal der Nymphen. Sie sitzen rings um ihre Königin.

DIE NYMPHEN-KÖNIGIN
Hört auf zu arbeiten, Schwestern. Die Sonne sank schon.
Voll glänzt schon über uns Luna. Genug!
Taucht nun auf, zu spielen unter dem Himmel,
Doch rührt mir heute keine Menschenseele an!
Untersteht euch, den Wanderer zu kitzeln
Oder des Fischers Netz zu beschweren
Mit Schilf und Schlamm, auch lockt mir keinen Knaben
Mit Märchen von den goldenen Fischen in die Tiefe.

(Eine kleine Nymphe kommt)

Wo warst du?

TOCHTER
Es rief mich ein Geschäft hinauf zur Erde.
Gestern bat er mich,
Auf dem Grund des Flusses das Geld zu sammeln,
Das er einst zu uns hinab ins Wasser geworfen.
Lange hab ich darnach gesucht.
Was Geld ist, das weiß ich freilich nicht!
Doch hab ich ihm dafür hervorgebracht
Von schillernden Muscheln eine große Menge,
Er hatte große Freude daran.

RUSSALKA
Törichter Geizhals!
Nun höre, meine Tochter, heute bau ich ganz
Auf dich. Es wird zu uns ans Ufer kommen
Ein Mann, den lass nicht aus den Augen,
Geh ihm entgegen. Wisse, er steht uns nah,
Er ist dein Vater!

TOCHTER
Ist es derselbe, der dich einst verließ
Und dann eine Dame geheiratet hat?

RUSSALKA
Er ists. Zärtlich schmiege dich an ihn
Und erzähle ihm alles, was du durch mich
Von deiner Herkunft weißt, und erzähle ihm
Von mir. Und wenn er dich fragt,
Ob ich ihn vergessen habe oder nicht - -
So sage ihm, dass ich immer noch an ihn denke,
Ihn liebe und sehnsüchtig erwarte!
Hast du das alles verstanden?

TOCHTER
Ich hab es verstanden.

RUSSALKA
Geh nun. Von der Zeit an,
Wo ich mich im Wahnsinn in die Flut stürzte
Als ein verzweifelndes und beleidigtes Mädchen,
Dann auf des Dnjepr tiefem Grund erwachte
Als eine mächtige Russalka,
Da sann ich unablässig auf Rache!
Und heute endlich schlägt meine Stunde.


SECHSTE SZENE

Ufer des Dnjepr.

FÜRST
Zu diesem gespenstischen Ufer ziehen mich
Unwiderstehlich dunkle Mächte.
Hier erinnert mich alles an die Vergangenheit,
An meine freien schöne Jugend
Und ihr liebes und trauriges Leben.
Hier war es, wo in jenen Tagen mich,
Den Freien, die freie Liebe umfing!
Da war ich glückselig! Aber ich Wahnsinniger
Konnte töricht dieses Glück verscherzen...
Die schwermütigen Bilder hat mir
Die Begegnung gestern wieder aufgefrischt.
Unseliger Vater! Schrecklich anzusehen!
Vielleicht treffe ich ihn heute wieder,
Und vielleicht entschließt er sich, den Wald zu verlassen
Und bei uns zu wohnen?

(Die kleine Russalka kommt ans Ufer)

Was schaue ich?
Woher kommst du, du wunderschönes Kind?