VOM HASCHISCH


von Josef Maria von der Ewigen Weisheit



Ich wohnte bei meinen Eltern und hatte Kontakt zu unserem Nachbarn Uwe, der zwei Jahre älter war als ich, und der eine große Schallplattensammlung mit Krautrock hatte. Bei ihm lernte ich Eloy und Novalis kennen. Eines Tages schenkte er mir einen kleinen Brocken Hasch. Ich wusste nicht, wie damit umgehen. Ich legte es auf einen Teelöffel und erwärmte den Teelöffel mit einem Feuerzeug, dann tat ich das Haschisch in eine Tasse Tee. Ich stellte aber keine Wirkung fest. Aber das war der Anfang.

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Mein Freund Christian hatte zuhause eine kleine selbstgebastelte Wasserpfeife, ein kleiner Pfeifenkopf von der Größe einer Zigarettenspitze, auf einem ordinären Wasserglas. Ich fragte, was das sei. Er log, das sei, um Zigarettenrauch zu kühlen. Dann aber gestand er, es sei, um Haschisch zu rauchen. Nun erlebte ich meinen ersten Rausch. Wir hörten Genesis, the Lamb lies down on Broadway. Ich saß im Sessel, er stand über mir, ließ eine Schere über meinem Oberkörper fallen, fing sie wieder auf, das wiederholte er mehrmals, ich war gequält und geängstigt, aber ich war vom Haschisch so gelähmt, dass ich micht nicht im geringsten bewegen oder wehren konnte. Dennoch hat mich das nicht abgeschreckt, sondern ich war nun süchtig geworden, vielleicht wegen dem intensiven Genuss der psychedelischen Musik.

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Ich hatte mit Christian Haschisch geraucht. Er hatte aus dem Physiklabor der Gymnasiums einen Liebigkühler geklaut und daraus eine Wasserpfeife gemacht. Da rief mich meine Geliebte Hedda bei Christian an, ihr Fahrrad sei kaputt, ob ich kommen könne, es zu reparieren. Ich dachte: Was für ein profanes Alltagsthema! Ich schwebe gerade in goldenen Wolken, auf den Flügeln der Musik, und sie will, dass ich irdische Praxis übe. Ich ging dennoch hin, benahm mich aber beim Versuch, das Fahrrad zu reparieren, dermaßen ungeschickt und weltfremd und psychisch-merkwürdig, dass Hedda fragte: Was hast du, was ist mit dir? Ich sagte ihr nichts von meinem Rausch. Dabei hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr etwas Wesentliches vorenthielt und Geheimnisse mit ihr hatte.

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Bei meinem Freund Christian drehte sich im Leben alles nur noch ums Haschisch. Er züchtete selber Hanfpflanzen in seinem Zimmer. Er las Carlos Castaneda, was mir nie gefallen hat. Er saß mit drei andren Freaks auf dem Sofa, sie rauchten ein gewaltiges Kawumm-Pfeifenrohr, und saßen dann schweigend und apathisch zusammen. Er las Bücher über Drogen wie Tollkirsche, Stechapfel und Kokain. Ich aber hatte Gorkis Mutter gelesen und über die Friedensbewegung Kontakte zum Marxismus und Leninismus bekommen. Weder der Drogenrausch mit Christian noch die sexuellen Räusche mit Hedda befriedigten meine Seele, ich suchte mehr, die Befreiung der Menschheit, den Weltfrieden, und meinte das im Kommunismus zu finden. Auf meine Reise in den Kommunismus nahm ich aber das Haschisch mit.

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Ich hatte einen Freund kennengelernt, Michael, ein Arbeitersohn, ohne Interesse an der Ideologie, mit ihm rauchte ich Haschisch, wir hörten dann Pink Floyd, die psychedelische Musik und das Haschisch erzeugten Visionen oder Halluzinationen. Eines Abends ging ich berauscht mit Michael zu Christian. Wir kamen an einem Wald vorbei. In meiner Tasche hatte ich meine Blockflöte. Ich nahm den Flötenkopf ab, blies hinein und fächelte mit der Hand vor der Öffnung, so erzeugten Atem und Holz sehr hohe, singende Töne. Da kam aus dem Wald eine Fledermaus und umkreiste mich. Ich hörte auf zu flöten, sie verschwand. Ich flötete wieder, sie kam zurück zu mir. Das muss wohl Orpheus so gegangen sein, als er seine Klagelieder für seine tote Eurydice spielte und die ganze Natur ihm folgte.

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Mit Christian trampte ich durch Deutschland. Und in der Nähe von Frankfurt nahm uns ein Wagen voll junger Leute, Männer und Frauen, mit, die in Partylaune waren und lachten. Eine junge Frau stand aufrecht im Cabriolet. Wir hörten Genesis, lilywhithe Lilith. Der Wagenlenker war der Sohn des berühmten deutschen Schriftstellers Peter Härtling, der einen Roman über Hölderlin geschrieben hat (den ich nie gelesen habe). So kam ich in das Haus von Peter Härtling. Dort habe ich mit seinem Sohn im Wohnzimmer Haschisch geraucht. Die Wände waren voller Bücher, ich erinnere mich an die Gesamtausgabe von Marx und Engels

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Christian hatte Stechapfel gesammelt. Wir hatten uns in meinem Zimmer im elterlichen Haus verabredet, und wollten zusammen Stechapfeltee trinken. In einem Buch stand, dass ein so Berauschter über eine Straße ging, weil keine Autos dort fuhren, dachte er, es fuhren aber sehr viele Autos dort, die er nicht sah und hörte. Christian und ich bekamen plötzlich - Gott sei Dank - Angst und tranken den Stechapfeltee nicht.

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Ich hatte im Umfeld der kommunistischen und Friedens-Bewegung Friedrich und Theda kennen gelernt, die ein Paar waren. Thedas Mutter war eine stadtbekannte Feministin, die Bücher über die Große Göttin schrieb. Friedrich hatte mich zu sich aufs Land eingeladen zum Haschischrauchen. Er hatte extra für mich Brausepulver gekauft, puren Zucker mit künstlichem Fruchtgeschmack, der schäumte im Mund, wenn er sich mit dem Speichel vermischte. Auch Schokolade schmeckte im Haschischrausch süßer. Theda aber bat mich, als sie in Sommerurlaub fahren wollte, solange ihre Marihuana-Pflanzen bei mir zuhause zu pflegen. Wir hatten hinterm eigenen Garten einen verwilderten Park. Da war eine Wiese voll von Brenn-Nesseln. Mitten unter diese stellte ich die Töpfe mit Thedas Marihuana-Pflanzen. Aber wir hatten in dem Park auch ein angepflocktes Schaf, das sich eines Tages losgerissen hatte und Thedas Pflanzen alle aufgefressen. Wie nun Marihuana auf Schafe wirkt, konnte ich nicht beobachten. Theda glaubte mir die Geschichte nicht, sie dachte, ich hätte alles selbst geraucht. Denn es gab unter den Haschischsüchtigen viel Egoismus und Diebstahl und Betrug, wie ich oft erfahren.

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In der Discothek "Meta" an der Nordsee hinterm Deich tanzte ich im Vollrausch von Bier, Wodka und Haschisch auf der highway to hell, unter dem Dröhnen von hell's bells. Ich sagte: ich tanzte, aber es war nur ein ekstatisches Zucken und berauschtes Taumeln. Da sprach mich Sonja an. Wir gingen über den Deich an die Nordsee und küssten uns. Ich verbrachte drei Monate, einen ganzen Winter in ihrem Bett, im Rausch von Alkohol und Rauschgift und im sexuellen Rausch. Aber innerlich fühlte ich mich wie ein einsamer Steppenwolf in der verschneiten russischen Taiga, den kalten Mond um Erbarmen anheulend. Ich hatte die Vision, dass ich in einem Moor immer tiefer versinke, dass meine Freunde am Rande stehen wie Baumstümpfe, mir aber keiner eine helfende Hand reicht. Sonja traf ich dann eines Tages nackt auf dem Schoß meines "besten Freundes" Volker. Das waren die berühmten Orgien des Dionysos.

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In meiner ersten eigenen Wohnung, einem Zimmer im Haus einer Witwe, habe ich den Rausch mit einer Frau erlebt. Ich las Berthold Brecht: Mags, wenn Tugend einen Hintern und ein Hintern Tugend hat. Und in dieser Vereinigung in einer Nacht, berauscht von Alkohol und Hasch, hatte ich in der sexuellen Ekstase Schauungen von himmlischen Erdbeerfeldern. Eines Tages hatte ich ein kleines Stück Haschisch gekauft, und als ich es aus der Aluminiumfolie auswickelte, sah ich, dass es schimmlig geworden war. In großer Angst mich zu vergiften warf ich das Haschisch weg. Später sagte mir ein Kiffer, der Schimmel sei das Beste am Haschisch.

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Ich traf mich mit Friedrich und Theda. Friedrich hatte eine originale orientalische Wasserpfeife. Er legte schweres schwarzes Afghanisches Haschisch auf. Ich wurde davon so schwer und bleiern, ich konnte mich nicht bewegen, nicht erheben. Ich war ganz der Musik und den akustischen und optischen Halluzinationen ausgeliefert. Schließlich schaffte ich es nachts aufs Fahrrad. Mein Weg nach Hause war eine lange einsame Landstraße. Ich fuhr, schien mir, durch einen Tunnel aus Stacheldraht, der sich immer enger zusammenzog. Ich hatte große Angst. Erst als ich vor einem Haus anhielt und von einem Baum einen Apfel pflückte, erlosch der Alptraum. Das habe ich ungefähr drei Nächte nacheinander erlebt. Immer erlöste mich der Apfelbaum.

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Eines Tages stand ich in meines Vaters Werkzeugkeller. Ich war berauscht und hatte vom Haschisch rote Augen. Mein Vater packte mich mit Gewalt und schrie: Sieh mir in die Augen! Nimmst du Drogen? Ich beschimpfte ihn wütend und schlug um mich. Meine Mutter kam dazu und rief verzweifelt: Dass ist nicht mehr mein Sohn! Ich erkenne meinen Sohn nicht wieder!

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Meine schulischen Leistungen hatten natürlich stark nachgelassen aufgrund des Dauerrausches von Wodka, Bier und Haschisch. In der naturwissenschaftlichen Fächern hate ich die schlechtmöglichste Zensur. Es ging noch etwas in Englisch, da wir Shakespeares Macbeth lasen. Ich liebte den Auftritt der Hexen. Aber ich fehlte auch oft im Englischunterricht. Freude machte mir nur der Deutschunterricht. Ich war verliebt in die junge Deutschlehrerin. Wir lasen Schillers Räuber, Thomas Manns Tod in Venedig und Nietzsches Geburt der Tragödie. Da ich in einem schweren Abgrund einer psychischen Krise versunken war, traf sich meine Deutschlehrerin mit mir zu einem seelsorgerlichen Gespräch. Sie riet mir, alles aufzuschreiben. Das tat ich auch. Ich führte meine ganze Jugend über ausführliche Tagebücher, die ich nach meiner Bekehrung zu Christus in der ausbrechenden Psychose alle im heimatlichen Wald verbrannte.

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Ich musste die elfte Klasse des Gymnasiums wiederholen. So lernte ich Erich kennen. Mit ihm zusammen schwänzte ich die Schule. Er hatte eine grüne Ente, mit der fuhren wir durch Ostfriesland und saßen in irgendwelchen Cafés. Ich las Lenin, völlig berauscht las ich seinen Kommentar zu Hegels Dialektik. Erich war Anarchist, er liebte Erich Mühsam, den anarchistischen Dichter. Mein Idol war Lenin, Erichs Idol war Ché Guevarra. Wir rauchten viel zusammen und hörten dann Bob Dylan. Wir machten auch Blues-Musik zusammen mit Gitarre, Blues-Mundharmonika und Gesang. Öfter übernachtete ich auch bei ihm. Eines Nachts fuhren wir in der Ente durch den ostfriesischen Nebel und kamen an eine Pferdeweide. Ich wollte die Pferde füttern und pflückte große Pflanzen und sie aßen sie gerne. Erst am nächsten Morgen merkte ich, dass es Brenn-Nesseln gewesen waren, die mich nun nüchtern brannten, berauscht hatte ich nichts gemerkt.

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Erich und ich waren beide in Maike verliebt. Wir waren zwanzig, sie dreizehn. Sie lebte allein, ihre Mutter war tot und ihr Vater in Brasilien. Wir rauchten zu dritt Haschisch. Erich war mit ihr zusammen. Ich sagte: Immer wenn ich komme, hat ein anderer das Rätsel vor mir schon gelöst. - Sie sagte: Ich bin kein Rätsel, ich bin ein Geheimnis... Jahre später traf ich Maike noch einmal in der Discothek Meta. Ich war akut psychotisch und berauscht von Haschisch und Bier und trug in mir den festen Entschluss, mich umzubringen. Maike und ich nahmen uns in die Arme: Schön, dass du noch lebst, sagte ich. Es war wie die Umarmung von zwei Todgeweihten.

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Erich war auch gut befreundet mit Hedda, meiner ersten Geliebten. Hedda hat ein eigenes Zimmer. Erich und Hedda qualmten mit der Haschischpfeife und hörten the Dark Side of the Moon von Pink Floyd, und ich lag draußen berauscht vor dem Fenster und sehnte mich gequält nach Heddas Leib, ihren Brüsten, ihrem Schoß. Sie ist später in die Szene der Heroin-Süchtigen geraten, hat aber wohl den Absprung geschafft. Nun ist sie Rechtsanwältin mit Ehemann und Kindern.

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Erich war auch mit Matthias befreundet. Der war fünfzehn und hatte lange blonde Haare, war schlank und schön wie ein Mädchen. Wir trafen uns zu dritt in meiner Wohnung. Matthias brachte seine zahme Ratte Mathilde mit. Ich hatte große Angst. Später in der Psychose hatte ich paranoide Wahnvorstellungen von Raten der Hölle. Ich schwärmte für Matthias. Später, in meiner Psychose, sah ich ihn noch einmal wieder. Ich dachte in meinem Wahn, in meinem früheren Leben sei ich ein chinesischer Poet zur Zeit der Tang-Dynastie gewesen. Als Chinese müsste ich natürlich einmal Opium rauchen. Ich traf Matthias wieder, der inzwischen Heroin-süchtig geworden war. Wieder ein Liebesgruß zweier Todgeweihten. Wir wollten Mohnsamen sammeln und selber Opium bereiten. Es kam aber nicht dazu. Gott sei Dank.

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Muse, schweige von Marion! Die russische Weisheit hat ihr Urteil über dieses Phänomen gesprochen. Dostojewski sagte: Und er dichtete so lange an diesem armen blassen Mädchen herum, bis sie zur Jungfrau Maria wurde.... Und Anna Achmatowa schrieb:

Du hast mich ausgedacht. So etwas gibt es nicht,
So etwas kann es auf der ganzen Welt nicht geben.
Das heilt kein Arzt, das lindert kein Gedicht,
Der Schatten dieses Spuks quält dich dein ganzes Leben.

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Ich war verliebt in ein Paar Augen. Die ganze Nacht verbrachte ich im Haschischrausch. Morgens, übernächtigt, überwach, hypersensibel durch Schlafentzug und Haschisch, ging ich zum Haus der Geliebten. Ich kam an einer Wiese vorbei, die in Stille und Morgenröte lag, da weideten Pferde. Da sah ich das Reich des Friedens, das Himmelreich, das Reich der himmlischen Pferde…

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Erich war in ein sehr hübsches Mädchen namens Sonja verliebt. Erich sagte immer, er sei Er und Ich. Offensichtlich war ich in jedes Mädchen verliebt, in das Erich sich verliebt hatte. Erich, Sonja, Marion und ich fuhren zu einem Fest neuheidnischer Naturverehrer. Wir saßen in der Nacht am Lagerfeuer vor einem Bauernhof auf Strohhalmen und trommelten wie die Indianer und zupften die Gedärme der Gitarren wie Baal. Ich schmiegte mich an Sonja. Erich und ich besuchten Sonja einmal zuhause, wir gingen dann aus dem Haus, da man bei ihr nicht rauchen durfte, und rauchten eine Haschischpfeife auf dem Abeneuerspielplatz meiner Kindheit, wo ich als Knabe mich in Nscho-Tschi verliebt hatte, Winnetous Schwester.

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Erich und ich wollten mit seiner Ente durch Europa fahren und uns den Lebensunterhalt mit Straßenmusik verdienen. Matthias wollte vielleicht mitkommen, ich sagte aber zu Erich: Nur ohne die Ratte. Matthias sagte ab. Marion wollte erst mitkommen, sagte dann aber auch ab, lieh mir aber ihr Akkordeon. Erich und ich fuhren - natürlich - zuerst nach Holland, parkten irgendwo in der Natur, rauchten Haschisch, musizierten etwas, stritten uns und fuhren heim.

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Ich arbeitete in einer Gruppe gegen die Arpartheit in Südafrika, wir probten ein Theaterstück, dass ich geschrieben hatte, wir probten im Gemeindehaus der evangelischen Kirche. Da hatte ich mir eine Bibel geklaut. Erich war bei mir, wir rauchten Haschisch, dann nahm er die Bibel in die Hand und las mir theatralisch das Buch der Apokalypse vor. Davon ward ich so wütend, dass ich ihm an den Hals sprang und ihn würgte, bis er aufhörte.

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Nach dem Gymnasium ward ich Schriftsetzer bei einem Zeitungsverlag. Die Ausbildung dauerte drei Jahre. Oft wachte ich morgens auf, zündete eine Kerze an, trank einen Tee, rauchte Haschisch, hörte Beethoven oder Hans Eisler, blieb im Bett liegen, träumte vor mich hin, bis mich die solidarischen Kollegen anriefen, ich sei schon wieder viel zu spät, ich müsse kommen, oder sie könnten es nicht länger geheimhalten. Auch im Betrieb rauchte ich Haschisch auf der Wiese draußen oder in der Dunkelkammer. Ich war ein faulen, schlechter Arbeiter. Die Arbeiter sagten, ich müsse bald studieren, sie hörten schon, wie die Studenten mir zujubelten.

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Nach meiner Lehre und vor dem Beginn des Studiums wohnte ich bei einem jungen Pärchen, die im Sommer 1989 über Prag aus der DDR geflohen waren und nun in Ostfriesland lebten. Er trank jeden Abend eine Flasche Rotwein und sprach von Nietzsche, sie, Birgit, war anmutig wie eine expressionistische Muse, ich wollte sie küssen. Nach dem Fall der Berliner Mauer bekamen sie Besuch von drei Freundinnen aus dem Osten. Deren erster Wunsch in der neugewonnenen Freiheit war es, Haschisch zu probieren. Der Mann bat mich, ihnen etwas zu besorgen. Das tat ich auch, gab es ihnen, sie freuten sich wie Kinder über Schokolade.

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Ich war nach Oldenburg zum Studium der Germanistik und Geschichte gezogen. Mein Bruder lebte noch alleine und gab mir ein Zimmer ab. Eines Abends war ich in der Oldenburger Innenstadt in einer Discothek. Vor der Tür sprach mich ein Freak an. Ich nahm ihn mit in mein Zimmer, wir rauchten Haschisch zusammen. Mein Bruder war nicht da. Am nächsten Tag war ich in der Universität. Ich las gerade Wielands Agathon und sah in den tausenden jungen schönen Studentinnen lauter griechische Nymphen. Berauscht vom Haschisch und von der Frauenschönheit kam ich nach Hause. Der Freak hatte einen angebrannten Löffel und ein Band zum Abbinden da gelassen. Mein Bruder dachte, ich sei heroinsüchtig geworden und hatte meine Eltern alarmiert, die waren sofort gekommen. Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder saßen über mich zu Gericht, ich stand da als Angeklagter. Mein Vater schrie mich an: Zeig uns deine Arme! - ob ich Einstiche hätte. Ich zeigte ihm wütend meine Arme. Er sagte: Wir geben dir Geld, dass du studieren kannst, und nicht, dass du Drogen nimmst! Ich schrie ihn an: Leck mich doch am Arsch mit deinem Geld!

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Ein Bekannter hatte mir ein kleines Stück Papier, getränkt mit LSD geschenkt. Ich legte es auf die Zunge und sah sofort eine Nebelwelt mit giftgelben Spinnen. Sofort spuckte ich das LSD wieder aus. Ich wusste, hinter dieser Tür wartet ein gigantischer Alptraum auf mich. Bei allem Haschisch- und Alkohol-Konsum bin ich Gott doch dankbar, dass er mich vor LSD und Heroin, Stechapfel und Opium bewahrt hat.

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Ich hatte mich auf den ersten Blick in Karine verliebt. Sie hatte einen göttlichen Glanz um sich, den Glanz der Aphrodite. Aber ich trug auch noch Marion im Herzen, von der ich oft träumte. Karine hatte Eine Seele in ihren zwei Brüsten, aber ich hatte zwei Seelen in meiner Mannesbrust: die eine Seele, die Karine-Seele, wollte alle irdische Lust, die andere Seele, die Marion-Seele, wollte hinauf ins Reich der Götter und Geister. So war ich di-psychos, wie die Bibel es nennt. Ich las Anna Achamatowas Poem ohne Held. Angetan von diesem Geisterspuk, gequält von meiner inneren Zerrissenheit und berauscht vom Haschisch stieg ich in der Sylvesternacht 1991 in Osternburg in Oldenburg über die Mauer auf den jüdischen Friedhof, setzte mich vor die Kapelle und sah zu den Sternen. Da erschien mir eine geheimnisvolle Frau. Sie hatte keinen irdischen Leib, sondern war nur Astralleib oder Aura oder reiner Äther. Dennoch war sie eine Frau, in ein rotes Kleid gekleidet und einen blauen Mantel, mit kastanienbraunen Haaren. Sie sah mich freundlich ernst an aus Augen, die wie Sterne waren, sagte aber nichts.

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Ich war mit Karine in ein kleines Zimmer gezogen. In der Nähe war ein Wäldchen und ein verschwiegener Teich, menschenleer. Ich las viel Marina Zwetajewa. Sie hatte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Liebesgedicht geschrieben an den, der sie in hundert Jahren lieben wird. Das war ich. Sie hatte mir ein Liebesgedicht geschrieben. Ich ahnte, Marina im Jenseits, sie liebt mich. Mit dieser heimlichen Liebe im Herzen und berauscht vom Haschisch ging ich an den stillen See. Da setzte ich mich nieder. Beten konnte ich noch nicht, aber Gedanken ins Jenseits senden. Da sah ich auf der anderen Seite des Sees wieder diese geheimnisvolle Frau. Sie trug ein langes violettes Kleid. Sie und ihr Kleid waren nur aus Licht. Sie schwebte über dem Gras. Sie sah zu mir herüber wie eine Freundin oder Schwester. Aber wieder schwieg die geheimnisvolle Frau. Ihr Gesichtsausdruck war wieder freundlich-ernst, aber auch gewissermaßen liebevoll-mahnend, mein Leben in Ordnung zu bringen.

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Das THC hatte sich an meinen Synapsen festgesetzt, so hatte ich auch Halluzinationen, Visionen, ohne unmittelbar vorher Haschisch geraucht zu haben. Es war die langsam heranschleichende Psychose. Mit Karine fuhr ich nach Darmstadt zu unsrer Freundin Evi (Kleopatra-Isis). Ich fuhr eigentlich in den Odenwald an die Quelle, da Siegfried hinterrücks ermordet wurde. Unterwegs hatte ich ein Gesicht: Ich sah am Himmel eine Frau in einem langen goldenen Mantel, auf dem Haupt eine goldene Krone. Ihre Gestalt war umgeben von einer hellroten, mandelförmigen Mandorla als ihrem Heiligenschein (heilig nicht nur um das Haupt, sondern um die ganze Gestalt). Ich sah ihr Herz, es war aus loderndem Feuer. Ich wusste, es war das Feuer der göttlichen Liebe. Zu ihrer rechten Seite sah ich einen Engel ohne Flügel, kleiner als sie, ein Jüngling, der hielt eine goldene Harfe in dem Arm. Da hatte ich den Gedanken: Das bin ja ich!

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Mit Karine war ich in Südfrankreich, in der Provence, an einem Seitenarm der Rhone, der Ardeche, in einem Weinbergtal. Ich hatte Tagträume von Karine als sumerischer Muttergöttin und von antiken Dionysosprozessionen. Ich suchte die mythologischen Götter. Ich hatte einen Kanister voll Rotwein und trank. Eines Abends gingen Karine und ich schweigend an die Ardeche. Am anderen Ufer stieg eine Felsenwand auf. Da hatte ich wieder eine Halluzination. Ich sah auf den Felsen fließendes grün-weißes Licht. Dann sah ich eine Hütte, die war aus geistigem Licht. Und in der Hütte stand eine Frau (ganz Geist, ganz Licht). Sie war schlank und groß, gekleidet in ein langes weißes Kleid. Um die Stirn trug sie ein weißes Stirnband. Sie erschien mir wie eine heilige antike Hohepriesterin. Ohne laut zu sprechen, sprach ich sie in meinem Inneren an: Gibt es die Götter? Und im Inneren meiner Seele hörte ich eine zärtlich-sanfte Frauenstimme: Das Göttliche ist in dir!

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Mit Karine fuhr ich ins französische Baskenland. In den Pyrenäen lebten wir auf dem Pic du Midi in einer einsamen Hirtenhütte. Nur ein alter baskischer Hirte war noch da, der nur baskisch sprach, der hütete seine Schafherde mit einem dreibeinigen Hund. Karine und ich ernährten uns nur von Reis mit Salz und Butter und klarem Wasser aus der Quelle. Aber auch hier hatte ich wieder eine Halluzination. Ich stand im Wohnraum der Hirtenhütte. Auf dem Kaminsims stand eine Kerze in der Form einer Madonna. Eine Holztreppe führte in das obere Stockwerk, wo Karines und mein Schlafzimmer war. Am oberen Ende der Treppe erschien mir wieder die Königin meiner Halluzinationen. Sie trug ein ganz reines weißes Kleid, das reichte bis zu den Füßen. Um die Brust trug sie einen goldenen Gürtel. Ihr Haupt war von Licht umgeben. In den Armen hielt sie eine goldene antike Lyra.

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Karine bekam Besuch von Babette aus Berlin. Babette las in meinem Buch mit Gedichten von Karoline von Günderode und vertonte ein Lied von ihr und sang es. Babette wohnte in einer kleinen verfallenen Hütte vor Emden, wo ich sie besuchte. Wir rauchten Haschisch zusammen. Sie las im Alten Testament. Ich ging in der Abenddämmerung vor der Hütte spazieren. Die Luft war dunkel, grauschwarz, die Natur war schattig, vor mir floss ein kleiner Graben, das war wohl der Fluss Lethe aus dem Jenseits, der Fluss des Vergessens. Auf der anderen Seite kam ein Schatten auf mich zu, ein Mann im schwarzen Anzug, einen schwarzen dreieckigen Hut auf dem Kopf, den er vor mir zog und mich schweigend grüßte. Ich dachte: Das ist Hölderlins Geist, ein Schatte aus den elysischen Feldern. (Ich studierte nämlich in der wissenschaftlichen Gesamtausgabe Hölderlins jedes Detail seiner Poesie.)

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Karine besuchte einen jungen Mann in Berlin. Ich war rasend eifersüchtig, dachte, sie werde mit untreu und mit dem Typen intim. Ich las eine Ode von Horaz an Lydia, da er seine verzehrende Eifersucht zum Ausdruck bringt. In der Abenddämmerung ging ich berauscht durch Osternburg und sah am Himmel den Abendstern, das ist der Planet Venus oder die Göttin Venus. Und ich betete zur Göttin Venus, sie möge Karine zu mir zurückbringen. Der Abendstern funkelte grünweiß auf, als sei mein Gebet erhört. Karine kam zurück und bekannte, sie habe an jenem Abend schon im Bett des Typen gelegen, habe plötzlich aber Gewissensbisse bekommen, sei aufgestanden und zu mir zurück gekommen.

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Ich mag von der zweijährigen akuten Psychose nicht schreiben. Ich hatte eine blühende Phantasie eines Wahnsinnigen. Ich war im Himmel und sah Christi Angesicht, ich sah und hörte meinen Schutzengel Mahanajim, ich sah Sankt Michael mit seinem Schwert, aber ich sah auch mein voriges Leben und meine Geburt in China im achten Jahrhundert, ich sah die Immaculata Maria als chinesische Göttin der Barmherzigkeit Guan Yin, ich sah die Ratten der Hölle, ich roch den Schwefelgestank der Hölle, ich ward versucht vom Satan mit einem Bibelwort, mir selbst das Leben zu nehmen, ich sah im Augenblick des Verblutens Christi Auferstehung, Christus am Abendmahlstisch, Maria Magdalena gehüllt in lange goldene Haare und die Madonna mit dem Jesuskind auf dem Arm. Meine Mutter fand mich halb tot und blutüberströmt vor ihrem Haus und rief: Mein Sohn, ach mein Sohn! Anschließend kam ich in die Psychiatrie, wo ich ein Jahr blieb und keine Halluzinationen mehr hatte und kein Haschisch mehr rauchte.