von Josef Maria von der Ewigen Weisheit
Ich wohnte bei
meinen Eltern und hatte Kontakt zu unserem Nachbarn Uwe, der zwei
Jahre älter war als ich, und der eine große Schallplattensammlung
mit Krautrock hatte. Bei ihm lernte ich Eloy und Novalis kennen.
Eines Tages schenkte er mir einen kleinen Brocken Hasch. Ich wusste
nicht, wie damit umgehen. Ich legte es auf einen Teelöffel und
erwärmte den Teelöffel mit einem Feuerzeug, dann tat ich das
Haschisch in eine Tasse Tee. Ich stellte aber keine Wirkung fest.
Aber das war der Anfang.
*
Mein Freund
Christian hatte zuhause eine kleine selbstgebastelte Wasserpfeife,
ein kleiner Pfeifenkopf von der Größe einer Zigarettenspitze, auf
einem ordinären Wasserglas. Ich fragte, was das sei. Er log, das
sei, um Zigarettenrauch zu kühlen. Dann aber gestand er, es sei, um
Haschisch zu rauchen. Nun erlebte ich meinen ersten Rausch. Wir
hörten Genesis, the Lamb lies down on Broadway. Ich saß im Sessel,
er stand über mir, ließ eine Schere über meinem Oberkörper
fallen, fing sie wieder auf, das wiederholte er mehrmals, ich war
gequält und geängstigt, aber ich war vom Haschisch so gelähmt,
dass ich micht nicht im geringsten bewegen oder wehren konnte.
Dennoch hat mich das nicht abgeschreckt, sondern ich war nun süchtig
geworden, vielleicht wegen dem intensiven Genuss der psychedelischen
Musik.
*
Ich hatte mit
Christian Haschisch geraucht. Er hatte aus dem Physiklabor der
Gymnasiums einen Liebigkühler geklaut und daraus eine Wasserpfeife
gemacht. Da rief mich meine Geliebte Hedda bei Christian an, ihr
Fahrrad sei kaputt, ob ich kommen könne, es zu reparieren. Ich
dachte: Was für ein profanes Alltagsthema! Ich schwebe gerade in
goldenen Wolken, auf den Flügeln der Musik, und sie will, dass ich
irdische Praxis übe. Ich ging dennoch hin, benahm mich aber beim
Versuch, das Fahrrad zu reparieren, dermaßen ungeschickt und
weltfremd und psychisch-merkwürdig, dass Hedda fragte: Was hast du,
was ist mit dir? Ich sagte ihr nichts von meinem Rausch. Dabei hatte
ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr etwas Wesentliches
vorenthielt und Geheimnisse mit ihr hatte.
*
Bei meinem Freund
Christian drehte sich im Leben alles nur noch ums Haschisch. Er
züchtete selber Hanfpflanzen in seinem Zimmer. Er las Carlos
Castaneda, was mir nie gefallen hat. Er saß mit drei andren Freaks
auf dem Sofa, sie rauchten ein gewaltiges Kawumm-Pfeifenrohr, und
saßen dann schweigend und apathisch zusammen. Er las Bücher über
Drogen wie Tollkirsche, Stechapfel und Kokain. Ich aber hatte Gorkis
Mutter gelesen und über die Friedensbewegung Kontakte zum Marxismus
und Leninismus bekommen. Weder der Drogenrausch mit Christian noch
die sexuellen Räusche mit Hedda befriedigten meine Seele, ich suchte
mehr, die Befreiung der Menschheit, den Weltfrieden, und meinte das
im Kommunismus zu finden. Auf meine Reise in den Kommunismus nahm ich
aber das Haschisch mit.
*
Ich hatte einen
Freund kennengelernt, Michael, ein Arbeitersohn, ohne Interesse an
der Ideologie, mit ihm rauchte ich Haschisch, wir hörten dann Pink
Floyd, die psychedelische Musik und das Haschisch erzeugten Visionen
oder Halluzinationen. Eines Abends ging ich berauscht mit Michael zu
Christian. Wir kamen an einem Wald vorbei. In meiner Tasche hatte ich
meine Blockflöte. Ich nahm den Flötenkopf ab, blies hinein und
fächelte mit der Hand vor der Öffnung, so erzeugten Atem und Holz
sehr hohe, singende Töne. Da kam aus dem Wald eine Fledermaus und
umkreiste mich. Ich hörte auf zu flöten, sie verschwand. Ich
flötete wieder, sie kam zurück zu mir. Das muss wohl Orpheus so
gegangen sein, als er seine Klagelieder für seine tote Eurydice
spielte und die ganze Natur ihm folgte.
*
Mit Christian
trampte ich durch Deutschland. Und in der Nähe von Frankfurt nahm
uns ein Wagen voll junger Leute, Männer und Frauen, mit, die in
Partylaune waren und lachten. Eine junge Frau stand aufrecht im
Cabriolet. Wir hörten Genesis, lilywhithe Lilith. Der Wagenlenker
war der Sohn des berühmten deutschen Schriftstellers Peter Härtling,
der einen Roman über Hölderlin geschrieben hat (den ich nie gelesen
habe). So kam ich in das Haus von Peter Härtling. Dort habe ich mit
seinem Sohn im Wohnzimmer Haschisch geraucht. Die Wände waren voller
Bücher, ich erinnere mich an die Gesamtausgabe von Marx und Engels
*
Christian hatte
Stechapfel gesammelt. Wir hatten uns in meinem Zimmer im elterlichen
Haus verabredet, und wollten zusammen Stechapfeltee trinken. In einem
Buch stand, dass ein so Berauschter über eine Straße ging, weil
keine Autos dort fuhren, dachte er, es fuhren aber sehr viele Autos
dort, die er nicht sah und hörte. Christian und ich bekamen
plötzlich - Gott sei Dank - Angst und tranken den Stechapfeltee
nicht.
*
Ich hatte im Umfeld
der kommunistischen und Friedens-Bewegung Friedrich und Theda kennen
gelernt, die ein Paar waren. Thedas Mutter war eine stadtbekannte
Feministin, die Bücher über die Große Göttin schrieb. Friedrich
hatte mich zu sich aufs Land eingeladen zum Haschischrauchen. Er
hatte extra für mich Brausepulver gekauft, puren Zucker mit
künstlichem Fruchtgeschmack, der schäumte im Mund, wenn er sich mit
dem Speichel vermischte. Auch Schokolade schmeckte im Haschischrausch
süßer. Theda aber bat mich, als sie in Sommerurlaub fahren wollte,
solange ihre Marihuana-Pflanzen bei mir zuhause zu pflegen. Wir
hatten hinterm eigenen Garten einen verwilderten Park. Da war eine
Wiese voll von Brenn-Nesseln. Mitten unter diese stellte ich die
Töpfe mit Thedas Marihuana-Pflanzen. Aber wir hatten in dem Park
auch ein angepflocktes Schaf, das sich eines Tages losgerissen hatte
und Thedas Pflanzen alle aufgefressen. Wie nun Marihuana auf Schafe
wirkt, konnte ich nicht beobachten. Theda glaubte mir die Geschichte
nicht, sie dachte, ich hätte alles selbst geraucht. Denn es gab
unter den Haschischsüchtigen viel Egoismus und Diebstahl und Betrug,
wie ich oft erfahren.
*
In der Discothek
"Meta" an der Nordsee hinterm Deich tanzte ich im
Vollrausch von Bier, Wodka und Haschisch auf der highway to hell,
unter dem Dröhnen von hell's bells. Ich sagte: ich tanzte, aber es
war nur ein ekstatisches Zucken und berauschtes Taumeln. Da sprach
mich Sonja an. Wir gingen über den Deich an die Nordsee und küssten
uns. Ich verbrachte drei Monate, einen ganzen Winter in ihrem Bett,
im Rausch von Alkohol und Rauschgift und im sexuellen Rausch. Aber
innerlich fühlte ich mich wie ein einsamer Steppenwolf in der
verschneiten russischen Taiga, den kalten Mond um Erbarmen anheulend.
Ich hatte die Vision, dass ich in einem Moor immer tiefer versinke,
dass meine Freunde am Rande stehen wie Baumstümpfe, mir aber keiner
eine helfende Hand reicht. Sonja traf ich dann eines Tages nackt auf
dem Schoß meines "besten Freundes" Volker. Das waren die
berühmten Orgien des Dionysos.
*
In meiner ersten
eigenen Wohnung, einem Zimmer im Haus einer Witwe, habe ich den
Rausch mit einer Frau erlebt. Ich las Berthold Brecht: Mags, wenn
Tugend einen Hintern und ein Hintern Tugend hat. Und in dieser
Vereinigung in einer Nacht, berauscht von Alkohol und Hasch, hatte
ich in der sexuellen Ekstase Schauungen von himmlischen
Erdbeerfeldern. Eines Tages hatte ich ein kleines Stück Haschisch
gekauft, und als ich es aus der Aluminiumfolie auswickelte, sah ich,
dass es schimmlig geworden war. In großer Angst mich zu vergiften
warf ich das Haschisch weg. Später sagte mir ein Kiffer, der
Schimmel sei das Beste am Haschisch.
*
Ich traf mich mit
Friedrich und Theda. Friedrich hatte eine originale orientalische
Wasserpfeife. Er legte schweres schwarzes Afghanisches Haschisch auf.
Ich wurde davon so schwer und bleiern, ich konnte mich nicht bewegen,
nicht erheben. Ich war ganz der Musik und den akustischen und
optischen Halluzinationen ausgeliefert. Schließlich schaffte ich es
nachts aufs Fahrrad. Mein Weg nach Hause war eine lange einsame
Landstraße. Ich fuhr, schien mir, durch einen Tunnel aus
Stacheldraht, der sich immer enger zusammenzog. Ich hatte große
Angst. Erst als ich vor einem Haus anhielt und von einem Baum einen
Apfel pflückte, erlosch der Alptraum. Das habe ich ungefähr drei
Nächte nacheinander erlebt. Immer erlöste mich der Apfelbaum.
*
Eines Tages stand
ich in meines Vaters Werkzeugkeller. Ich war berauscht und hatte vom
Haschisch rote Augen. Mein Vater packte mich mit Gewalt und schrie:
Sieh mir in die Augen! Nimmst du Drogen? Ich beschimpfte ihn wütend
und schlug um mich. Meine Mutter kam dazu und rief verzweifelt: Dass
ist nicht mehr mein Sohn! Ich erkenne meinen Sohn nicht wieder!
*
Meine schulischen
Leistungen hatten natürlich stark nachgelassen aufgrund des
Dauerrausches von Wodka, Bier und Haschisch. In der
naturwissenschaftlichen Fächern hate ich die schlechtmöglichste
Zensur. Es ging noch etwas in Englisch, da wir Shakespeares Macbeth
lasen. Ich liebte den Auftritt der Hexen. Aber ich fehlte auch oft im
Englischunterricht. Freude machte mir nur der Deutschunterricht. Ich
war verliebt in die junge Deutschlehrerin. Wir lasen Schillers
Räuber, Thomas Manns Tod in Venedig und Nietzsches Geburt der
Tragödie. Da ich in einem schweren Abgrund einer psychischen Krise
versunken war, traf sich meine Deutschlehrerin mit mir zu einem
seelsorgerlichen Gespräch. Sie riet mir, alles aufzuschreiben. Das
tat ich auch. Ich führte meine ganze Jugend über ausführliche
Tagebücher, die ich nach meiner Bekehrung zu Christus in der
ausbrechenden Psychose alle im heimatlichen Wald verbrannte.
*
Ich musste die elfte
Klasse des Gymnasiums wiederholen. So lernte ich Erich kennen. Mit
ihm zusammen schwänzte ich die Schule. Er hatte eine grüne Ente,
mit der fuhren wir durch Ostfriesland und saßen in irgendwelchen
Cafés. Ich las Lenin, völlig berauscht las ich seinen Kommentar zu
Hegels Dialektik. Erich war Anarchist, er liebte Erich Mühsam, den
anarchistischen Dichter. Mein Idol war Lenin, Erichs Idol war Ché
Guevarra. Wir rauchten viel zusammen und hörten dann Bob Dylan. Wir
machten auch Blues-Musik zusammen mit Gitarre, Blues-Mundharmonika
und Gesang. Öfter übernachtete ich auch bei ihm. Eines Nachts
fuhren wir in der Ente durch den ostfriesischen Nebel und kamen an
eine Pferdeweide. Ich wollte die Pferde füttern und pflückte große
Pflanzen und sie aßen sie gerne. Erst am nächsten Morgen merkte
ich, dass es Brenn-Nesseln gewesen waren, die mich nun nüchtern
brannten, berauscht hatte ich nichts gemerkt.
*
Erich und ich waren
beide in Maike verliebt. Wir waren zwanzig, sie dreizehn. Sie lebte
allein, ihre Mutter war tot und ihr Vater in Brasilien. Wir rauchten
zu dritt Haschisch. Erich war mit ihr zusammen. Ich sagte: Immer wenn
ich komme, hat ein anderer das Rätsel vor mir schon gelöst. - Sie
sagte: Ich bin kein Rätsel, ich bin ein Geheimnis... Jahre später
traf ich Maike noch einmal in der Discothek Meta. Ich war akut
psychotisch und berauscht von Haschisch und Bier und trug in mir den
festen Entschluss, mich umzubringen. Maike und ich nahmen uns in die
Arme: Schön, dass du noch lebst, sagte ich. Es war wie die Umarmung
von zwei Todgeweihten.
*
Erich war auch gut
befreundet mit Hedda, meiner ersten Geliebten. Hedda hat ein eigenes
Zimmer. Erich und Hedda qualmten mit der Haschischpfeife und hörten
the Dark Side of the Moon von Pink Floyd, und ich lag draußen
berauscht vor dem Fenster und sehnte mich gequält nach Heddas Leib,
ihren Brüsten, ihrem Schoß. Sie ist später in die Szene der
Heroin-Süchtigen geraten, hat aber wohl den Absprung geschafft. Nun
ist sie Rechtsanwältin mit Ehemann und Kindern.
*
Erich war auch mit
Matthias befreundet. Der war fünfzehn und hatte lange blonde Haare,
war schlank und schön wie ein Mädchen. Wir trafen uns zu dritt in
meiner Wohnung. Matthias brachte seine zahme Ratte Mathilde mit. Ich
hatte große Angst. Später in der Psychose hatte ich paranoide
Wahnvorstellungen von Raten der Hölle. Ich schwärmte für Matthias.
Später, in meiner Psychose, sah ich ihn noch einmal wieder. Ich
dachte in meinem Wahn, in meinem früheren Leben sei ich ein
chinesischer Poet zur Zeit der Tang-Dynastie gewesen. Als Chinese
müsste ich natürlich einmal Opium rauchen. Ich traf Matthias
wieder, der inzwischen Heroin-süchtig geworden war. Wieder ein
Liebesgruß zweier Todgeweihten. Wir wollten Mohnsamen sammeln und
selber Opium bereiten. Es kam aber nicht dazu. Gott sei Dank.
*
Muse, schweige von
Marion! Die russische Weisheit hat ihr Urteil über dieses Phänomen
gesprochen. Dostojewski sagte: Und er dichtete so lange an diesem
armen blassen Mädchen herum, bis sie zur Jungfrau Maria wurde....
Und Anna Achmatowa schrieb:
Du hast mich
ausgedacht. So etwas gibt es nicht,
So etwas kann es auf
der ganzen Welt nicht geben.
Das heilt kein Arzt,
das lindert kein Gedicht,
Der Schatten dieses
Spuks quält dich dein ganzes Leben.
*
Ich war verliebt in
ein Paar Augen. Die ganze Nacht verbrachte ich im Haschischrausch.
Morgens, übernächtigt, überwach, hypersensibel durch Schlafentzug
und Haschisch, ging ich zum Haus der Geliebten. Ich kam an einer
Wiese vorbei, die in Stille und Morgenröte lag, da weideten Pferde.
Da sah ich das Reich des Friedens, das Himmelreich, das Reich der
himmlischen Pferde…
*
Erich war in ein
sehr hübsches Mädchen namens Sonja verliebt. Erich sagte immer, er
sei Er und Ich. Offensichtlich war ich in jedes Mädchen verliebt, in
das Erich sich verliebt hatte. Erich, Sonja, Marion und ich fuhren zu
einem Fest neuheidnischer Naturverehrer. Wir saßen in der Nacht am
Lagerfeuer vor einem Bauernhof auf Strohhalmen und trommelten wie die
Indianer und zupften die Gedärme der Gitarren wie Baal. Ich
schmiegte mich an Sonja. Erich und ich besuchten Sonja einmal
zuhause, wir gingen dann aus dem Haus, da man bei ihr nicht rauchen
durfte, und rauchten eine Haschischpfeife auf dem Abeneuerspielplatz
meiner Kindheit, wo ich als Knabe mich in Nscho-Tschi verliebt hatte,
Winnetous Schwester.
*
Erich und ich
wollten mit seiner Ente durch Europa fahren und uns den
Lebensunterhalt mit Straßenmusik verdienen. Matthias wollte
vielleicht mitkommen, ich sagte aber zu Erich: Nur ohne die Ratte.
Matthias sagte ab. Marion wollte erst mitkommen, sagte dann aber auch
ab, lieh mir aber ihr Akkordeon. Erich und ich fuhren - natürlich -
zuerst nach Holland, parkten irgendwo in der Natur, rauchten
Haschisch, musizierten etwas, stritten uns und fuhren heim.
*
Ich arbeitete in
einer Gruppe gegen die Arpartheit in Südafrika, wir probten ein
Theaterstück, dass ich geschrieben hatte, wir probten im
Gemeindehaus der evangelischen Kirche. Da hatte ich mir eine Bibel
geklaut. Erich war bei mir, wir rauchten Haschisch, dann nahm er die
Bibel in die Hand und las mir theatralisch das Buch der Apokalypse
vor. Davon ward ich so wütend, dass ich ihm an den Hals sprang und
ihn würgte, bis er aufhörte.
*
Nach dem Gymnasium
ward ich Schriftsetzer bei einem Zeitungsverlag. Die Ausbildung
dauerte drei Jahre. Oft wachte ich morgens auf, zündete eine Kerze
an, trank einen Tee, rauchte Haschisch, hörte Beethoven oder Hans
Eisler, blieb im Bett liegen, träumte vor mich hin, bis mich die
solidarischen Kollegen anriefen, ich sei schon wieder viel zu spät,
ich müsse kommen, oder sie könnten es nicht länger geheimhalten.
Auch im Betrieb rauchte ich Haschisch auf der Wiese draußen oder in
der Dunkelkammer. Ich war ein faulen, schlechter Arbeiter. Die
Arbeiter sagten, ich müsse bald studieren, sie hörten schon, wie
die Studenten mir zujubelten.
*
Nach meiner Lehre
und vor dem Beginn des Studiums wohnte ich bei einem jungen Pärchen,
die im Sommer 1989 über Prag aus der DDR geflohen waren und nun in
Ostfriesland lebten. Er trank jeden Abend eine Flasche Rotwein und
sprach von Nietzsche, sie, Birgit, war anmutig wie eine
expressionistische Muse, ich wollte sie küssen. Nach dem Fall der
Berliner Mauer bekamen sie Besuch von drei Freundinnen aus dem Osten.
Deren erster Wunsch in der neugewonnenen Freiheit war es, Haschisch
zu probieren. Der Mann bat mich, ihnen etwas zu besorgen. Das tat ich
auch, gab es ihnen, sie freuten sich wie Kinder über Schokolade.
*
Ich war nach
Oldenburg zum Studium der Germanistik und Geschichte gezogen. Mein
Bruder lebte noch alleine und gab mir ein Zimmer ab. Eines Abends war
ich in der Oldenburger Innenstadt in einer Discothek. Vor der Tür
sprach mich ein Freak an. Ich nahm ihn mit in mein Zimmer, wir
rauchten Haschisch zusammen. Mein Bruder war nicht da. Am nächsten
Tag war ich in der Universität. Ich las gerade Wielands Agathon und
sah in den tausenden jungen schönen Studentinnen lauter griechische
Nymphen. Berauscht vom Haschisch und von der Frauenschönheit kam ich
nach Hause. Der Freak hatte einen angebrannten Löffel und ein Band
zum Abbinden da gelassen. Mein Bruder dachte, ich sei heroinsüchtig
geworden und hatte meine Eltern alarmiert, die waren sofort gekommen.
Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder saßen über mich zu
Gericht, ich stand da als Angeklagter. Mein Vater schrie mich an:
Zeig uns deine Arme! - ob ich Einstiche hätte. Ich zeigte ihm wütend
meine Arme. Er sagte: Wir geben dir Geld, dass du studieren kannst,
und nicht, dass du Drogen nimmst! Ich schrie ihn an: Leck mich doch
am Arsch mit deinem Geld!
*
Ein Bekannter hatte
mir ein kleines Stück Papier, getränkt mit LSD geschenkt. Ich legte
es auf die Zunge und sah sofort eine Nebelwelt mit giftgelben
Spinnen. Sofort spuckte ich das LSD wieder aus. Ich wusste, hinter
dieser Tür wartet ein gigantischer Alptraum auf mich. Bei allem
Haschisch- und Alkohol-Konsum bin ich Gott doch dankbar, dass er mich
vor LSD und Heroin, Stechapfel und Opium bewahrt hat.
*
Ich hatte mich auf
den ersten Blick in Karine verliebt. Sie hatte einen göttlichen
Glanz um sich, den Glanz der Aphrodite. Aber ich trug auch noch
Marion im Herzen, von der ich oft träumte. Karine hatte Eine Seele
in ihren zwei Brüsten, aber ich hatte zwei Seelen in meiner
Mannesbrust: die eine Seele, die Karine-Seele, wollte alle irdische
Lust, die andere Seele, die Marion-Seele, wollte hinauf ins Reich der
Götter und Geister. So war ich di-psychos, wie die Bibel es nennt.
Ich las Anna Achamatowas Poem ohne Held. Angetan von diesem
Geisterspuk, gequält von meiner inneren Zerrissenheit und berauscht
vom Haschisch stieg ich in der Sylvesternacht 1991 in Osternburg in
Oldenburg über die Mauer auf den jüdischen Friedhof, setzte mich
vor die Kapelle und sah zu den Sternen. Da erschien mir eine
geheimnisvolle Frau. Sie hatte keinen irdischen Leib, sondern war nur
Astralleib oder Aura oder reiner Äther. Dennoch war sie eine Frau,
in ein rotes Kleid gekleidet und einen blauen Mantel, mit
kastanienbraunen Haaren. Sie sah mich freundlich ernst an aus Augen,
die wie Sterne waren, sagte aber nichts.
*
Ich war mit Karine
in ein kleines Zimmer gezogen. In der Nähe war ein Wäldchen und ein
verschwiegener Teich, menschenleer. Ich las viel Marina Zwetajewa.
Sie hatte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Liebesgedicht geschrieben
an den, der sie in hundert Jahren lieben wird. Das war ich. Sie hatte
mir ein Liebesgedicht geschrieben. Ich ahnte, Marina im Jenseits, sie
liebt mich. Mit dieser heimlichen Liebe im Herzen und berauscht vom
Haschisch ging ich an den stillen See. Da setzte ich mich nieder.
Beten konnte ich noch nicht, aber Gedanken ins Jenseits senden. Da
sah ich auf der anderen Seite des Sees wieder diese geheimnisvolle
Frau. Sie trug ein langes violettes Kleid. Sie und ihr Kleid waren
nur aus Licht. Sie schwebte über dem Gras. Sie sah zu mir herüber
wie eine Freundin oder Schwester. Aber wieder schwieg die
geheimnisvolle Frau. Ihr Gesichtsausdruck war wieder
freundlich-ernst, aber auch gewissermaßen liebevoll-mahnend, mein
Leben in Ordnung zu bringen.
*
Das THC hatte sich
an meinen Synapsen festgesetzt, so hatte ich auch Halluzinationen,
Visionen, ohne unmittelbar vorher Haschisch geraucht zu haben. Es war
die langsam heranschleichende Psychose. Mit Karine fuhr ich nach
Darmstadt zu unsrer Freundin Evi (Kleopatra-Isis). Ich fuhr
eigentlich in den Odenwald an die Quelle, da Siegfried hinterrücks
ermordet wurde. Unterwegs hatte ich ein Gesicht: Ich sah am Himmel
eine Frau in einem langen goldenen Mantel, auf dem Haupt eine goldene
Krone. Ihre Gestalt war umgeben von einer hellroten, mandelförmigen
Mandorla als ihrem Heiligenschein (heilig nicht nur um das Haupt,
sondern um die ganze Gestalt). Ich sah ihr Herz, es war aus loderndem
Feuer. Ich wusste, es war das Feuer der göttlichen Liebe. Zu ihrer
rechten Seite sah ich einen Engel ohne Flügel, kleiner als sie, ein
Jüngling, der hielt eine goldene Harfe in dem Arm. Da hatte ich den
Gedanken: Das bin ja ich!
*
Mit Karine war ich
in Südfrankreich, in der Provence, an einem Seitenarm der Rhone, der
Ardeche, in einem Weinbergtal. Ich hatte Tagträume von Karine als
sumerischer Muttergöttin und von antiken Dionysosprozessionen. Ich
suchte die mythologischen Götter. Ich hatte einen Kanister voll
Rotwein und trank. Eines Abends gingen Karine und ich schweigend an
die Ardeche. Am anderen Ufer stieg eine Felsenwand auf. Da hatte ich
wieder eine Halluzination. Ich sah auf den Felsen fließendes
grün-weißes Licht. Dann sah ich eine Hütte, die war aus geistigem
Licht. Und in der Hütte stand eine Frau (ganz Geist, ganz Licht).
Sie war schlank und groß, gekleidet in ein langes weißes Kleid. Um
die Stirn trug sie ein weißes Stirnband. Sie erschien mir wie eine
heilige antike Hohepriesterin. Ohne laut zu sprechen, sprach ich sie
in meinem Inneren an: Gibt es die Götter? Und im Inneren meiner
Seele hörte ich eine zärtlich-sanfte Frauenstimme: Das Göttliche
ist in dir!
*
Mit Karine fuhr ich
ins französische Baskenland. In den Pyrenäen lebten wir auf dem Pic
du Midi in einer einsamen Hirtenhütte. Nur ein alter baskischer
Hirte war noch da, der nur baskisch sprach, der hütete seine
Schafherde mit einem dreibeinigen Hund. Karine und ich ernährten uns
nur von Reis mit Salz und Butter und klarem Wasser aus der Quelle.
Aber auch hier hatte ich wieder eine Halluzination. Ich stand im
Wohnraum der Hirtenhütte. Auf dem Kaminsims stand eine Kerze in der
Form einer Madonna. Eine Holztreppe führte in das obere Stockwerk,
wo Karines und mein Schlafzimmer war. Am oberen Ende der Treppe
erschien mir wieder die Königin meiner Halluzinationen. Sie trug ein
ganz reines weißes Kleid, das reichte bis zu den Füßen. Um die
Brust trug sie einen goldenen Gürtel. Ihr Haupt war von Licht
umgeben. In den Armen hielt sie eine goldene antike Lyra.
*
Karine bekam Besuch
von Babette aus Berlin. Babette las in meinem Buch mit Gedichten von
Karoline von Günderode und vertonte ein Lied von ihr und sang es.
Babette wohnte in einer kleinen verfallenen Hütte vor Emden, wo ich
sie besuchte. Wir rauchten Haschisch zusammen. Sie las im Alten
Testament. Ich ging in der Abenddämmerung vor der Hütte spazieren.
Die Luft war dunkel, grauschwarz, die Natur war schattig, vor mir
floss ein kleiner Graben, das war wohl der Fluss Lethe aus dem
Jenseits, der Fluss des Vergessens. Auf der anderen Seite kam ein
Schatten auf mich zu, ein Mann im schwarzen Anzug, einen schwarzen
dreieckigen Hut auf dem Kopf, den er vor mir zog und mich schweigend
grüßte. Ich dachte: Das ist Hölderlins Geist, ein Schatte aus den
elysischen Feldern. (Ich studierte nämlich in der wissenschaftlichen
Gesamtausgabe Hölderlins jedes Detail seiner Poesie.)
*
Karine besuchte
einen jungen Mann in Berlin. Ich war rasend eifersüchtig, dachte,
sie werde mit untreu und mit dem Typen intim. Ich las eine Ode von
Horaz an Lydia, da er seine verzehrende Eifersucht zum Ausdruck
bringt. In der Abenddämmerung ging ich berauscht durch Osternburg
und sah am Himmel den Abendstern, das ist der Planet Venus oder die
Göttin Venus. Und ich betete zur Göttin Venus, sie möge Karine zu
mir zurückbringen. Der Abendstern funkelte grünweiß auf, als sei
mein Gebet erhört. Karine kam zurück und bekannte, sie habe an
jenem Abend schon im Bett des Typen gelegen, habe plötzlich aber
Gewissensbisse bekommen, sei aufgestanden und zu mir zurück
gekommen.
*
Ich mag von der
zweijährigen akuten Psychose nicht schreiben. Ich hatte eine
blühende Phantasie eines Wahnsinnigen. Ich war im Himmel und sah
Christi Angesicht, ich sah und hörte meinen Schutzengel Mahanajim,
ich sah Sankt Michael mit seinem Schwert, aber ich sah auch mein
voriges Leben und meine Geburt in China im achten Jahrhundert, ich
sah die Immaculata Maria als chinesische Göttin der Barmherzigkeit
Guan Yin, ich sah die Ratten der Hölle, ich roch den Schwefelgestank
der Hölle, ich ward versucht vom Satan mit einem Bibelwort, mir
selbst das Leben zu nehmen, ich sah im Augenblick des Verblutens
Christi Auferstehung, Christus am Abendmahlstisch, Maria Magdalena
gehüllt in lange goldene Haare und die Madonna mit dem Jesuskind auf
dem Arm. Meine Mutter fand mich halb tot und blutüberströmt vor
ihrem Haus und rief: Mein Sohn, ach mein Sohn! Anschließend kam ich
in die Psychiatrie, wo ich ein Jahr blieb und keine Halluzinationen
mehr hatte und kein Haschisch mehr rauchte.