VON TORSTEN SCHWANKE
DIE
GRIECHIN
DER
BAUM
Ich
zog mich aus, auf eine hohe Buche zu klettern,
Meine
Schenkel, nackt, klammerten fest sich ans Holz,
An
die glatte und feuchte Rinde, und meine Sandalen
Kletterten
stetig und stolz, langsam ins hohe Gezweig.
Droben
hoch, doch immer noch unter den grünlichen Blättern,
Vor
der Hitze geschützt tief in dem Schatten des Baums,
Spreizte
ich eine weit verbreitete Astgabel, spreizend,
Schwang
meiner Füße Paar tief in die Leere der Luft.
Regen
war gefallen. Es fielen Tropfen von Wasser,
Flossen
auf meine Haut. Meine zwei Hände vom Moos
Waren
verschmutzt, und meine Fersen waren gerötet
Von
den zerkleinerten Knospen im Wipfel des Baums.
Ich
hab gefühlt die schöne Baumhütte, als nun der Wind ging
Durch
das rauschende Laub. Fest schloss die Beine ich straff,
Presste
meine geöffneten Lippen an den behaarten
Nacken
des Astes, der sich anbot den Lippen zum Kuss.
PASTORALGESANG
Man
muss ein Hirtenlied singen, um Pan, den Allgott des Sommers,
Anzurufen
im Lied. Ich schau das Herdenvieh an,
Sehe
Selenes Zeitmaß in dem Schatten des Ölbaums,
Liebe
Selene, den Mond, Königin droben im All.
Siehe,
Selene wird liegen auf der grünlichen Wiese,
Sie
steht auf und läuft, Heuschrecken jagend, durchs Gras,
Sie
nimmt Blumen und Gräser oder badet ihr Antlitz
In
dem kühlen Strom eines kristallenen Bachs.
Ich
aber reiße die Wolle vom weißen Rücken der Schafe,
Langsam
ist die Zeit. Hoch an dem Himmel ein Aar.
Schatten
bewegen sich. Bringe den Korb mit blühenden Blumen
Und
den Topf mit Milch! Singe ein Hirtenlied Pan,
Anzurufen
den Gott des Sommers, der Schwüle und Hitze,
Wenn
das Licht im Zenit feiert die Hochzeit des Lichts.
MÜTTERLICHER
RAT
Meine
Mutter badet mich in der Dunkelheit, kleidet
Mich
in dem Sonnenlicht, setzt mir den Schleier aufs Haupt
In
dem sanften Scheine der Lampe. Doch wenn ich wandle
In
dem Schimmer des Monds, bindet den Gürtel sie fest.
Meine
Mutter sagte mir: Spiel mit den Jungfrauen, Tochter,
Tanze
mit Kindern den Tanz. Nicht aus dem Fensterchen schau!
Fliehe
die Unterhaltung der Jünglinge, ach, und der Männer,
Fürchte
der Witwen Rat, halte die Unschuld nur fest!
Eines
Abends wird jemand kommen, wie es schon immer
War
und die Schwelle zum Haus wird er dich führen zum Klang
Klingender
Trommeln und lieblicher Flöten, die Herrschaft des Eros
Und
des Hymen ist mit dem gesegneten Mann.
Diesen
Abend, wenn du dann gehst, geliebte Kallisto,
Lässt
du drei Kürbisse mir voll von der Galle des Wehs,
Einen
dem Morgen, einem dem Nachmittag, einen dem Festtag
Und
der Hochzeitsnacht, die dich der Mutter beraubt.
BARFUSS
Lange
schwarze Haare hab ich bis über den Rücken,
Und
einen kleinen Hut. Weißwollig trag ich das Kleid.
Meine
Beine sind straff, gebräunt von der brennenden Sonne,
Meine
Füße sind nackt, nicht sind die Nägel geschminkt.
Wenn
ich in der Stadt lebte, müsste ich goldenen Schmuck und
Kleider
goldbestickt haben und silberne Schuh.
Aber
ich schaue auf meine nackten Füße in Schuhen
Einzig
aus irdischem Staub, Staub von dem Sande des Strands.
Psophis,
komm, du kleines Wesen, und trag an den Bach mich,
Bad
meine Füße im Bad, bad meine Hände im Bad,
Und
zerdrücke einige violette Oliven,
Gib
ein paar Veilchen dazu, dass ich genieße den Duft.
Heute
sollst du mein Sklave sein, du sollst mir folgen und dienen,
Und
am Ende des Tags werde ich Linsen dir gern
Aus
dem eigenen Garten mein dir mitgeben, Psophis,
Dass
du der Mutter sie gibst, dass sie ein Süppchen dir kocht.
DER
ALTE MANN UND DIE JUNGEN NYMPHEN
Alt
und blind ein Mann lebte auf dem einsamen Berge,
Der
die Nymphen gesehn, jugendlich herrlich und nackt,
Nun
aber waren seine Augen schon lange erstorben,
Und
sein einziges Glück war der Erinnerung Lust.
Ja,
ich schaute sie, zu mir sprach ers, Helopsychria,
Und
Limanthis, sie waren dem Ufersaum nah,
Nahe
dem grünen Teiche von Physos mit schimmerndem Wasser,
Dieses
reichte hinauf bis zu den blendenden Knien.
Ihre
schlanken Hälse waren unter den Haaren
Heuschreckenflügeln gleich.
Hauchdünn die Nägel und rot.
Ihre
Brüste waren voll, so voll wie der volle
Hyazinthenkelch,
voll von dem Honig, der Milch.
Und
sie legten die schlanken Fingerchen hin auf das Wasser,
Rosen
mit langem Stiel zogen sie da aus dem Schlick.
Über
ihre geteilten Schenkel verbreiteten langsam
Wasserkreise
sich, kosten die Keuschheit der Scham.
GESANG
Liebster,
was machst du denn da? - Ich wickle Wolle und spinne
Das
milesische Garn. - Schatz, komm doch lieber zum Tanz! -
Nein,
o Freundin, ich tanze nicht, ich bin so traurig, so traurig,
Meine
Schwermut durchbohrt tausendfach schmerzend mein Herz!
Liebster,
was machst du denn da? - Ich schneide Schilfrohr zum Grabmal.
-
Sag mir, was ist geschehn? - Ich finde nimmer das Wort.
Oh,
ich werde nie sagen können vom schrecklichen Tode,
Da
die Seele entfloh, ließ mich auf Erden allein!
Liebster,
was machst du denn da? - Ich breche den Zweig von Oliven
Für
der Beerdigung Öl. - Wer ist gestorben, mein Schatz? -
Wie
kannst du fragen, wie kannst du fragen: Wer ist gestorben?
Mir
ist gestorben mein Herz, ach, und mein besseres Selbst!
Liebster,
was machst du denn da? - Sie stürzte ins Wasser des Meeres!
-
Ach, wie ist das geschehn? - Sie fiel vom Rücken des Pferds.
Sie
ist gefallen von dem weißen Rücken des Pferdes
Und
ertrank in dem Meer, die meine Lieblingin war!
JÜNGLINGSLIEBE
Eines
Abends, als ich vor meiner Pforte gestanden,
Kam
ein junger Mann, ich hab mich von ihm gewandt,
Er
sah mich an, ich hab nicht seine Blicke erwidert,
Er
sprach ein Wort zu mir, ich gab nicht Antwort dem Mann.
Zwar
er wäre wohl gerne näher zu mir gekommen,
Ich
nahm die Sense zur Hand, die an die Mauer gelehnt,
Damit
wollte ich schlagen die rechte Wange des Frechen,
Hätte
er Einen Schritt näher zum Mädchen getan!
Dann
trat er ein wenig zurück und fing an zu lächeln,
Hauchte
über die Hand, sagte: Ein Küsschen für dich!
Aber
ich schrie und weinte wie eine zickige Göre.
Meine
Mutter kam, denn sie vernahm mein Geschrei,
Ängstlich
dachte sie, ich wär vom Skorpione gestochen,
Aber
ich weinte nur: Mama, es küsst mich der Mann!
Meine
Mutter küsste mich auch mit zärtlichen Küssen,
Nahm
mich in den Arm, zog mich hinweg von der Tür.
DIE
NEUE STERNENFRAU
ANRUFUNG
O
Sonnen-Mutter, deren Leib ist weiß
Von
Sternenmilch, neig dich zu deinem Knecht,
Verleih
ihm deinen mystisch süßen Kuss!
Entfach
in ihm die heilige Ekstase,
Die
du all denen, die dich wahrhaft lieben,
Versprochen
hast, die trunkene Ekstase,
Die
uns von allem altewn Schmerz erlöst!
Denn
du hast dieses Wort ihm doch verkündet:
Die
Sorgen sind nur Schatten, gehn vorüber,
Doch
denke immer nur an das, was bleibt.
Das
Universum ist ja pure Wonne!
Du
schenkst ja unvorstellbar süße Freuden
Auf
Erden. Und du forderst nichts als Opfer.
Ich
will mich freun und dir mit Freuden dienen.
Und
das sei deine Lust, mein Glück zu sehen,
Wie
du in deinem Testament versprochen.
Und
darum bin ich voller Lust in deiner Liebe!
DIE
QUELLE
Ich
wandre an dem Bach, und meine Augen
Gefangen
sind von jenem lichten Glitzern
Astraler
Himmelsaugen in dem Wasser.
So
ists mit meinem Denken, welches fließt
Zum
Großen Ozeane der Erkenntnis,
Ich
komm zu dir und kann genau erkennen.
Und
manchmal in des Flusses Lauf er droht
Den
Ufersaum zu überfluten eifernd,
Das
Bildnis deines Leibs zu reflektieren.
Wie
über Steine geht die Strömung, rauscht
Das
Leben meines Wesens, Nervenfieber
In
zärtlicher Liebkosung deines Bildes.
Du
bist ein Ding. Ich bin dein Seelenfreund.
Ich,
dein Genosse, immer in Bewegung!
Die
Steine sind sehr dicht bei dir. Der Geist,
Das
Leben, ist mein Selbst, mein wahres Wesen.
Durchströme
mich, o Strom, durchström mich, Leben!
Im
Großen Ozeane der Erkenntnis
Bist
du, geliebte Frau, die Große Mutter!
DER
TULPENGARTEN
Lang,
lang hab ich gelegen und gewartet
Auf
dich im Tulpengarten prallen Lebens,
Doch
hieltest du dich fern von meiner Weisheit.
Als
ich gelegen da, betrachtete
Ich
die Natur als eine Riesen-Tulpe.
Ach
Blütenblätter, Blütenblätter, ach,
Wo
aber, Schönheit, ist dein süßes Herz?
Hast
du kein Herz, hast du nur Blütenblätter?
Erreich
ich nimmer deines Wesens Kern?
Doch
sagtest du: Ich liebe dich von Herzen,
Ich
sehne mich nach dir, ob bleich, ob purpurn,
Verschleiert
oder lustvoll in der Nacktheit,
Die
ich die Wonne und der Purpur bin
Und
Trunkenheit des innerlichen Sinnes,
Ja,
ich begehre dich, o komm, o komm!
Das
Bergwerk meines innern Sinnes ist
Betrunken
und berauscht vom Tau der Tulpe.
Mein
Herz, dein Herz, da ist kein Unterschied.
Wenn
ich durchdrungen hab das Herz der Tulpe,
So
finde ich mich selbst in deinem Schoß.
Ich
komme nicht zu mir, ich komm zu dir.
DER
FUCHSSCHWANZ
Hoch,
grade, wie ein Fuchsschwanz steh ich da
Vor
dir, o Große Mutter du im Himmel.
Die
Blume meines Wesens wird dir geben
Die
Imagination der Träume, und
Ich
wachse zu den Sternen und noch weiter
Zu
Riesen-Sonnen andrer Galaxien.
Bist
du denn nicht die Mutter aller Sonnen?
So
habe ich verschmäht den Herrn und Schöpfer
Um
deinetwillen. Doch ich schäm mich nicht.
Denn
ich vergaß die Sonne, doch ich werde
Die
Sonne selber sein, dein Sohn, o Mutter,
Und
tausendmal noch mehr dein Schatz, Geliebte!
Die
Füchse haben Gruben und die Vögel
Im
Wipfel haben Nester, aber ich
Hab
keine Stelle, meinen Kopf zu betten,
Der
wie ein Fuchsschwanz stehe ich vor dir.
Mein
Ruhebett, das ist der Schoß der Sterne!
Was
ich begreifen kann von deinem Leib,
Ist
wie ein Handschuh deiner sanften Hand,
Die
Erde zu berühren mit den Händen,
Doch
nie die kleinen Blumen zu verletzen.
DER
STURM
Ach
dunkle Nacht und wilder Wettersturm.
Die
Blitze zuckten zwischen dir und mir.
Ich
bin geblendet, kann dich so nicht sehen.
Doch
in der Tiefe meiner Seele funkeln
Des
Lebens Feuer, blind zu der Erkenntnis
Und
zum Verständnis deines Selbst und der
Unendlichkeit
von deinem Sternenkörper.
Doch
seh ich dich gespiegelt in den Körpern
Der
Menschen, die ich liebe, wie mit Zittern
Erwartet
man die Wiederkunft des Donners.
Die
Seele fürchtet sich vorm Zorn des Donners
Und
wendet sich der eignen Tiefe zu.
Auch
dort jedoch die Blitze flammen lodernd,
Ich
habe selbst das Feuer meines Seins
Entzündet
in der innern dunklen Tiefe,
Dem
wilden Wettersturm des Herrn zu Ehren,
Zum
Ruhme deines grenzenlosen Leibes.
DAS
LOCH IM DACH
Ich
wusste, dass er eine Schlange war.
Er
freute sich im warmen Licht der Sonne,
Die
durch ein kleines Löchlein in der Decke
Der
dunklen Höhle eingedrungen war.
Er
war schon alt und reich an alter Weisheit.
Bei
mir ist konzentriert das Licht des Alls,
So
sprach er. Doch ein kleiner brauner Käfer,
Der
lang mit ihm gelebt hat in der Höhle,
Der
blickte auf, und seine Flügel flogen
Durchs
Loch im Dach ins grenzenlose Jenseits.
Und
so verlassend die geliebte Weisheit,
So
kam ich zu dir, o geliebte Herrin
Des
sternenreichen Firmaments am Himmel.
INTELLIGENTES
DESIGN
O
Kurven, Kurven, Zahlen der Musik,
Harmonisch
ward ein Muster so gewebt.
So
fand ich das Design von meinem Freund,
Als
wir zuerst uns trafen in der Kirche.
Es
war ein Tausch von segensreichen Grüßen
Und
einer innerlichen Anerkennung.
O
könnte ich erreichen doch den Wandel
Und
das Design von deinem Sternenkörper,
O
Große Mutter du im Himmelreich!
Doch
steht geschrieben: Mann und Frau sind Sterne.
Unendlich
sind die Zahlen der Musik,
Im
Weltall gibt es keine Unterschiede.
So
ist das Leben für die Freunde, die
Dich
lieben: Kurven, Zahlen der Musik,
Harmonische
Musik des Universums.
SCHNEETREIBEN
Mein
Leib war blau wie deiner, o Geliebte,
Als
du mich fandest. Ich war steif und hart,
Wie
eng umarmt. Ich war mir nichts bewusst
Als
deiner, bis die kleinen Erden-Feuer
Mit
einem Jucken wieder mich erlösten
Von
aller Qual der Herz- und Seelenschmerzen.
Wie
ging verloren ich im Schneegestöber?
Ich
denke dran, wie Schutz ich einst gefunden
Vorm
Sturm und seinen blendend-grellen Blitzen.
Der
Schnee fiel über mich. Ich wartete
Und
wandte die Gedanken zur Geliebten.
Dann
merkte ich, wie jede weiße Flocke
Ein
kleines Sternchen war. Ich schaute hin,
Vergrub
mein Antlitz in den weißen Haufen,
So
wie in deinen schwanenweißen Busen.
Und
ich umarmte dieses Schneegestöber,
Ich
hing daran im Wahnsinn der Ekstase!
Als
hätt ich deinen Leib in meinen Armen,
Da
warest du unendlich, ich so klein,
Wie
ein Kristall von einer Sternen-Flocke.
Und
also ist mein Körper eingefroren
Wie
in dem großen Frost im Universum.
So
war ich blau, als sie mich damals fanden,
Gesperrt
in deine ewige Umarmung.