EINE
IDYLLE
VON
TORSTEN SCHWANKE
ERSTES KAPITEL
1 In den Tagen, da die Bürgermeister regierten, war eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Hage in Friesland zog fort, er, seine Frau und seine beiden Söhne, um in den Ebenen von Frankreich zu leben.
2 Der Mann hieß Dirk, seine Frau Paula (die Kleine) und ihre beiden Söhne Milan (die Liebe) und Simon (von Gott erbeten); sie waren aus Berum, aus Hage (Garten) in Friesland. Sie gingen in die Ebenen von Frankreich, dort ließen sie sich nieder.
3 Dirk, Paulas Mann, starb, und sie und ihre beiden Söhne blieben dort.
4 Die Söhne heirateten Franzöninnen: die eine wurde Evi (das Leben) und die andere Anna Karina (die gnädige Geliebte) genannt. Sie lebten dort für etwa zehn Jahre.
5 Milan und Simon starben auch, und Paula war beraubt ihrer beiden Söhne und ihres Mannes.
6 Sie beschloss, zurückzukehren von den Ebenen von Frankreich mit ihren Schwiegertöchtern, nachdem sie in den Ebenen von Frankreich gehört, dass Gott sein Volk heimgesucht und ihnen Essen gegeben.
7 Also, mit ihren Schwiegertöchtern verließ sie den Ort, wo sie lebte, und nahm den Weg zurück nach Friesland.
8 Paula sagte zu ihren zwei Schwiegertöchtern: „Geht zurück, jede von euch in das Haus ihrer Mutter.
9 Möge Jehova euch seine treue Liebe zeigen, wie ihr sie denen, die gestorben sind, und mir gezeigt habt. Jehova möge euch segnen, dass jede von euch das Glück hat, wieder einen Mann zu finden!“ Sie küssten sie, aber dann begannen sie laut zu weinen
10 und sagten: „Nein, wir wollen mit dir gehen als deine Dienerinnen.“
11 „Geht nach Hause, meine Töchter“, antwortete Paula. „Warum wollt ihr mit mir kommen? Habe ich noch mehr Söhne in meinem Schoß, um Ehemänner für euch zu gebären?
12 Geht heim, meine Töchter, geht, denn ich bin jetzt zu alt, um noch einmal zu heiraten. Auch wenn ich sagte: Ich habe immer noch eine Hoffnung: Ich werde einen Mann in dieser Nacht nehmen und weitere Söhne in meinem Schoße tragen,
13 wärt ihr denn bereit, auf sie zu warten, bis sie erwachsen sind? Möchtet ihr euch weigern bis dahin, noch einmal zu heiraten? Nein, Töchter, ich bin bitter vor Leid um euretwillen, da die Hand des Herrn wider mich erhoben ist.“
14 Sie begannen alle, laut zu weinen, immer wieder; Evi küsste ihre Schwiegermutter und ging zurück zu ihrem Volk. Aber Anna Karina blieb bei ihr.
15 Paula sagte: „Schau, deine Schwester ist zu ihrem Volk und zu ihren Göttern gegangen. Geh du auch nach Hause, folge deiner Schwester.“
16 Aber Anna Karina sagte: „Bedränge mich nicht, dich zu verlassen und nicht mit dir zu gehen, denn wohin du gehst, will ich auch gehen, wo du lebst, will ich auch leben. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.
17 Wo du stirbst, will ich auch sterben, und dort will ich begraben werden. Lasse Jehova unermessliche Übel über mich bringen und noch schlimmere Übel, doch nur der Tod soll mich von dir scheiden!“
18 Als sie sah, dass Anna Karina entschlossen war, mit ihr zu gehen, sagte Paula nichts mehr.
19 Die beiden gingen weiter, bis sie nach Hage kamen. Ihre Ankunft brachte das ganze Dorf auf die Beine, und die Frauen sagten: „Kann das Paula sein?“
20 Dazu sagte sie: „Nennt mich nicht mehr Paula, (die Kleine), sondern nennt mich Margarethe (die Meeresperle), denn Shaddai hat mein Schicksal verwundet!
21 Ich ging voll aus, und der Herr hat mich leer nach Hause gebracht. Warum nennt ihr mich also Paula, da der Herr sich gegen mich ausgesprochen und Shaddai mich elend gemacht?“
22 Dies war, wie Paula nach Hause kam mit ihrer Schwiegertochter, der Französin Anna Karina, bei der Rückkehr von den Ebenen von Frankreich. Sie kamen in Hage an zu Beginn der Gerstenernte.
ZWEITES KAPITEL
1 Paula hatte einen Verwandten von der Seite ihres Mannes, wohlhabend und von Dirks Sippe. Sein Name war Torsten (Donnerhammer Gottes).
2 Anna Karina, die Französin, sprach zu Paula: „Lass mich in die Felder gehen und Ähren lesen in den Fußstapfen eines Mannes, der mich mit Liebe ansehen wird.“ Sie antwortete: „Geh, meine Tochter.“
3 So zog sie aus und ging in den Feldern, hinter den Schnittern her aufzulesen. Der Zufall führte sie zu einem Grundstück des Torsten von Dirks Sippe.
4 Torsten war gerade aus Hage gekommen. „Jehova sei mit euch!“ sagte er zu den Schnittern. „Der Herr segne dich!“ antworteten sie.
5 Torsten sagte zu einem seiner Diener, der über die Schnitter eingesetzt war: „Zu wem gehört diese schöne Frau?“
6 Und der Knecht, der über die Schnitter eingesetzt war, antwortete: „Das Mädchen ist die Französin, die mit Paula aus den Ebenen von Frankreich kam.
7 Sie sagte: Bitte lass mich doch auflesen und mitnehmen, was von den Garben hinter den Schnittern abfällt. – So kam sie, und hier blieb sie und machte kaum eine Pause von morgens bis jetzt.“
8 Torsten sagte zu Anna Karina: „Hör mir zu, liebes Kind. Du sollst nicht zur Nachlese in irgendeinen anderen Bereich gehen. Du sollst nicht von hier weggehen. Bleibe nah bei meinen Arbeitern.
9 Halte die Augen gerichtet, auf welchem Teil des Feldes sie ernten, und folge ihnen. Ich habe meinen Männern verboten, dich zu belästigen. Und wenn du durstig bist, geh zu den Krügen und trinke, was die Knechte schöpfen.“
10 Anna Karina fiel nieder auf ihr Angesicht, warf sich nieder und sagte: „Wie habe ich gewonnen deine Gnade, denn du hast mich beachtet, die ich nur eine Ausländer bin?“
11 Torsten antwortete: „Ich habe alles gehört über die Art, wie du dich seit dem Tod deines Mannes bei deiner Schwiegermutter benommen hast und wie du von deinem eigenen Vater und Mutter und dem Land, wo du geboren wurdest, zu einem Volk gekommen bist, von dem du vorher nichts wusstest.
12 Möge Jehova dir alles vergelten, was du getan hast, mögest du reichlich von Jehova, dem Gott Deutschlands, belohnt werden, die du unter seinen Flügeln Zuflucht genommen hast!“
13 Sie sagte: „Mein Herr, ich hoffe, du wirst immer auf mich schauen mit Liebe! Du hast mich getröstet und ermutigt, obwohl ich nicht einmal gleich bin einer deiner Arbeiterinnen.“
14 Als es Zeit war zu essen, sagte Torsten zu ihr: „Komm und iss etwas von diesem Brot und tauche deinen Bissen in den Quark.“ Anna Karina setzte sich neben die Schnitter, und Torsten machten einen Haufen von gerösteten Getreide für sie; und sie aß, bis ihr Hunger gestillt war, und sie ließ einiges übrig.
15 Als sie wieder sammeln gingen, gab Torsten Aufträge seinen Arbeitern: „Lasst sie zwischen den Garben auflesen. Belästigt sie nicht!
16 Und ihr werdet sicher ein paar Ähren von den Bündeln zupfen und fallen lassen. Lasst sie das dann aufzulesen, und schimpft nicht mit ihr.“
17 So las sie auf dem Gebiet bis zum Abend. Dann drosch sie, was sie aufgelesen hatte, und es war etwa ein Scheffel Gerste.
18 Da ging sie zurück in die Stadt. Ihre Schwiegermutter sah, was sie aufgelesen hatte. Anna Karina nahm auch, was sie nach dem Essen behalten hatte, und gab es ihr.
19 Ihre Schwiegermutter sagte: „Wo hast du heute Nachlese gehalten? Wo hast du gearbeitet? Gesegnet sei der Mann, der Notiz nahm von dir!“ Anna Karina erzählte ihrer Schwiegermutter, in wessen Bereich sie tätig gewesen war. „Der Name des Mannes, bei dem ich gearbeitet habe“, sagte sie, „ist Torsten.“
20 Paula sagte ihrer Schwiegertochter: „Möge er von Jehova gesegnet werden, der seine treue Liebe den Lebenden und Toten nicht vorenthalten hat! Dieser Mann“, fügte Paula hinzu, „steht in einer engen Beziehung mit uns. Er ist einer von denen, die das Recht der Lösung über uns haben.“
21 Anna Karina, die Französin, sagte zu ihrer Schwiegermutter: „Er sagte auch: Bleib bei meinen Arbeitern, bis sie meine ganze Ernte beendet haben.“
22 Paula sagte zu Anna Karina, ihrer Schwiegertochter: „Es ist besser für dich, Tochter, mit seinen Arbeiterinnen zu gehen, als zu einem anderen Feld zu gehen, wo du vielleicht schlecht behandelt würdest.“
23 So blieb sie bei den Arbeiterinnen des Torsten und las auf, bis die Gersten- und Weizenernte fertig war. Und sie lebte mit ihrer Schwiegermutter zusammen.
DRITTES KAPITEL
1 Ihre Schwiegermutter sagte dann: „Tochter, ist es nicht meine Pflicht, dich glücklich zu machen?
2 Torsten, der Mann, mit dessen Arbeiterinnen du warst, ist er nicht unser Verwandter? Heute Abend wird er die Gerste dreschen auf der Tenne.
3 So wasche dich und parfümiere dich, lege dein schönstes Kleid an und geh auf die Tenne. Lass ihn dich nicht erkennen, während er noch isst und trinkt.
4 Aber wenn er sich hinlegt, beachte, wo er liegt, dann geh und hebe die Decke und lege dich selber neben ihn. Er wird dir dann sagen, was du tun sollst.“
5 Anna Karina sagte: „Ich werde alles tun, was du mir gesagt hast.“
6 So ging sie auf die Tenne und tat alles, was ihre Schwiegermutter ihr gesagt hatte.
7 Als Torsten fertig gegessen und getrunken hatte, ging er hin und legte sich neben den Haufen von Gerste. Anna Karina ging dann leise zu ihm, hob die Decke und legte sich zu ihm.
8 In der Mitte der Nacht wachte er auf und sah sich um; und neben ihm lag eine Frau.
9 „Wer bist du?“ sagte er; und sie antwortete: „Ich bin deine Magd Anna Karina. Breite den Zipfel deines Mantels über deine Magd, denn du hast das Recht der Lösung.“
10 „Der Herr segne dich, liebes Kind“, sagte er, „denn dieser zweite Akt der treuen Liebe, den du tust, ist größer als der erste, da du nicht jungen Männern hinterher läufst, sie seien arm oder reich.
11 Fürchte dich nicht, liebes Kind, ich werde alles tun, was du bittest, da die Leute auf dem Markt unsres Dorfes alle wissen, dass du eine Frau von großer Würde bist.
12 Aber, obwohl es wahr ist, dass ich das Recht der Lösung habe, hast du doch noch einen näheren Verwandten als mich.
13. Bleib hier heute Abend und am Morgen, und wenn er sein Recht auf dich ausüben will, gut, dann soll er dich lösen. Aber wenn er es nicht wünscht, so zu tun, dann, so wahr der Herr lebt, werde ich dich lösen. Lege dich hier hin bis zum Morgen.“
14 So lag sie neben ihm bis zum Morgen, stand aber auf vor der Stunde, da ein Mensch einen anderen erkennen kann, denn Torsten dachte: „Es muss nicht bekannt werden, dass diese Frau auf die Tenne kam.“
15 Dann sagte er: „Breite den Rock, den du trägst, und halte ihn mir hin!“ Sie hielt ihn hin, während er sechs Maß Gerste hinein legte, und dann lud er ihr alles auf; und sie ging in das Dorf.
16 Als Anna Karina nach Hause kam, fragte ihre Schwiegermutter sie: „Wie ging es mit dir, Tochter?“ Sie erzählte ihr alles, was der Mann für sie getan hatte.
17 „Er gab mir diese sechs Maß Gerste und sagte: Du sollst nicht mit leeren Händen nach Hause zu deiner Schwiegermutter gehen.“
18 Paula sagte: „Tu nichts, Tochter, bis du siehst, wie die Dinge sich entwickeln. Ich bin sicher, er wird nicht ruhen, bis die Angelegenheit noch heute erledigt ist.“
VIERTES KAPITEL
1 Torsten war inzwischen zum Markt gegangen und setzte sich, und der Verwandte, von dem er gesprochen hatte, kam herbei. Torsten sprach zu ihm: „Hier, mein Freund, komm und setze dich“; da kam der Mann und setzte sich.
2 Torsten wählte anschließend zehn Alte der Stadt und sagte: „Setzt euch hierher“; und sie setzten sich.
3 Torsten sagte dann zu dem Mann, der das Recht der Lösung hatte: „Paula, die wiedergekommen ist aus den Ebenen von Frankreich, will ein Stück Land verkaufen, das unserem Bruder Dirk gehörte.
4 Ich dachte, ich sollte dir davon erzählen. Kaufe es in Anwesenheit der Männer, die hier in der Gegenwart der Alten unsres Volkes sitzen. Wenn du dein Recht der Lösung verwenden möchtest, löse das Land. Wenn du es aber nicht willst, sag es mir, damit ich es weiß, denn ich bin die einzige Person, die neben dir zu lösen das Recht hat, und ich komme nach dir.“
5 Torsten sagte dann: „An dem Tag, da du das Feld von Paula erwirbst, erwirbst du auch Anna Karina, die Französin, die Frau des Mannes, der gestorben ist, um so den Namen des Toten in seinem Erbe zu verewigen.“
6 Der Mann mit dem Recht der Lösung sagte dann: „Ich kann mein Recht auf Lösung nicht verwenden, ohne dabei meinem eigenen Erbe zu schaden. Ich würde ja etwas kaufen, was später nicht bei meiner Familie verbliebe.“
7 Nun, in früheren Zeiten war es Brauch in Deutschland, bei einer Transaktion im Bereich des Kaufs oder der Erbschaft, da gab einer seinen Schuh dem anderen und bestätigte so den Vertrag. Dies war die Art, wie Vereinbarungen in Deutschland ratifiziert wurden.
8 Also, als der Mann mit dem Recht der Lösung sagte zu Torsten: „Erwirb du es selbst“, und er gab ihm seine Sandale.
9 Torsten sagte zu den Alten und allen Leute da: „Heute seid ihr Zeugen, dass ich von Paula erworben alles, was Dirk gehörte, und alles, was Milan und Simon gehörte,
10 und dass ich auch Anna Karina, die Französin, Milans Witwe, erworben, dass sie meine Frau werde, um den Namen des Toten in seinem Erbteil zu erhalten, so dass der Name des Toten nicht unter seinen Brüdern und auf dem Markt seines Dorfes verloren geht. Heute seid ihr Zeugen.“
11 Alle Menschen an der Pforte sagten: „Wir sind Zeugen“; und die Alten sagten: „Möge Jehova die Frau machen wie Gudrun und Thusnelda, die beide das Haus Deutschland gebaut haben. Werdet mächtig in Berum, in Hage werdet berühmt!
12 Und durch die Kinder, die der Herr dir von dieser jungen Frau geben wird, möge deine Familie wie die Familie Ottos werden, den Theophanu gebar.“
13 Also nahm Torsten Anna Karina, und sie wurde seine Frau. Und als sie sich vereinigten, schwängerte sie der Herr, und sie gebar einen Sohn.
14 Da sagten die Frauen zu Paula: „Gepriesen sei der Herr, der dich nicht verlassen hat, der dich erlöst hat. Sein Name soll in Deutschland gepriesen werden!
15 Das Kind wird ein Trost für dich sein und die Stütze deines Alters, denn er wurde geboren von deiner Schwiegertochter, die dich liebt und die für dich mehr wert ist als sieben Söhne.“
16 Und Paula nahm das Kind und legte es auf ihren Schoß; und sie war es, die nach ihm sah.
17 Und die Frauen der Nachbarschaft gaben ihm einen Namen. „Ein Sohn“, sagten sie, „ist der Paula geboren worden“, und sie nannten ihn Juri (Landmann). Dieser wurde der Vater von Jesse, dem Vater des Messias.