DIE MUSIK


VON TORSTEN SCHWANKE / SHI TUO-TANG



ERSTER GESANG


DIE KLASSISCHE MUSIK 


Die Ursprünge der Musik liegen weit zurück. 

Sie entspringt dem Maß 

Und ist im Großen Einen verwurzelt. 

Das Große Eine erzeugt die beiden Pole; 

Die beiden Pole erzeugen die Kraft 

Des Dunklen und des Lichts. 

Die Kraft des Schattens und des Lichts verwandelt sich; 

Die eine steigt in die Höhe 

Und die andere sinkt in die Tiefe; 

Sie vereinigen sich und bilden die Körper, 

Die wogend und fließend sind. 

Wenn sie getrennt werden, 

Vereinigen sie sich wieder; 

Wenn sie vereinigt sind, 

Trennen sie sich wieder. 

Dies ist der ewige Lauf des Himmels. 

Himmel und Erde befinden sich in einem Kreislauf. 

Auf jedes Ende folgt ein Anfang, 

Auf jedes Ende folgt eine Wiederkehr. 

Alles ist aufeinander abgestimmt. 

Sonne, Mond und Sterne bewegen sich 

Teils schnell, teils langsam. 

Sonne und Mond sind sich nicht einig über die Zeit, 

Die sie brauchen, um ihre Umlaufbahn zu vollenden. 

Die vier Jahreszeiten kommen nacheinander. 

Sie bringen Hitze und Kälte, 

Kürze und Länge, Weichheit und Härte. 

Das, aus dem alle Wesen entstehen 

Und ihren Ursprung haben, 

Ist das große Eine; 

Durch das sie geformt und vollendet werden, 

Ist die Dualität von Dunkel und Licht. 

Sobald sich die Keime zu regen beginnen, 

Gerinnen sie zu einer Form. 

Die physische Form befindet sich 

In der Welt des Raumes, 

Und alles Räumliche hat einen Klang. 

Klang entsteht aus Harmonie. 

Harmonie entsteht aus Übereinstimmung. 

Harmonie und Übereinstimmung sind die Wurzeln, 

Aus denen die Musik entstand, 

Die die alten Könige schufen.


Wenn die Welt in Frieden ist, 

Wenn alle Dinge in Ruhe sind, 

Wenn alle ihren Oberen 

In ihren Verwandlungen folgen, 

Dann kann die Musik vollendet werden. 

Die vervollkommnete Musik hat ihre Wirkungen. 

Wenn die Wünsche und Leidenschaften 

Nicht auf Abwege geraten, 

Dann kann die Musik vervollkommnet werden. 

Vollkommene Musik hat ihre Ursache. 

Sie entspringt dem Gleichgewicht. 

Das Gleichgewicht entsteht aus dem Rechten, 

Das Rechte entsteht aus dem Sinn der Welt. 

Deshalb kann man nur mit einem Menschen 

Über Musik sprechen, 

Der den Sinn der Welt erkannt hat.


Natürlich fehlt es den verfallenden Staaten 

Und den Menschen, die reif 

Für den Untergang sind, nicht an Musik, 

Aber ihre Musik ist nicht fröhlich. 

Die Ertrinkenden lachen, 

Selbst die zum Tode Verurteilten singen, 

Selbst die Wahnsinnigen sind bereit zu kämpfen. 

Das ist mehr oder weniger der Fall 

Bei der Musik eines Zeitalters der Verwirrung. 

Fürst und Beamter nehmen nicht 

Die richtigen Positionen ein. 

Vater und Sohn finden nicht 

Das richtige Verhältnis zueinander, 

Und die Beziehungen zwischen Mann und Frau 

Sind nicht in Ordnung. 

Wenn die Menschen seufzen und sich beschweren, 

Denken sie, es sei die Musik. 

Wie falsch ist dieses Verhalten!


Die Musik beruht auf der Harmonie 

Zwischen Himmel und Erde, 

Auf der Übereinstimmung 

Von Dumpfheit und Licht.


Es ist die Natur, die den Menschen hervorbringt. 

Wenn der Mensch nichts zu tun hat, 

Entsteht in ihm von Natur aus Lust. 

Ohne sie gäbe es kein Verlangen für den Menschen. 

Der Hass entsteht im Menschen von Natur aus; 

Ohne ihn gäbe es keine Entfremdung für den Menschen. 

Der Mensch hat von Natur aus Lust und Hass;

Er kann ihnen von sich aus nichts hinzufügen, 

Nichts ändern. 

Es gibt unter den Gelehrten unserer Zeit einen, 

Der die Musik ablehnt; 

Wie kommt er dazu? 

Große Musik ist etwas, woran sich Fürst 

Und Beamter, Vater und Sohn, 

Alter und Jugend erfreuen und ergötzen. 

Freude entsteht aus innerem Gleichgewicht; 

Inneres Gleichgewicht entsteht aus Sinn. 

Das, was man Sinn nennt, 

Ist etwas, wonach man schaut, ohne es zu sehen, 

Wonach man hört, ohne es zu hören, 

Man kann es nicht körperlich fühlen. 

Wer das unmittelbare Schauen, 

Das unhörbare Hören, 

Die formlose Gestalt erkennt, 

Kommt dem wahren Wissen nahe.


Was als Sinn bezeichnet wird, 

Ist etwas höchst Subtiles, 

Das man sich nicht vorstellen 

Und begrifflich nicht benennen kann. 

Als Notinformation kann es das große Eine genannt werden. 

Das Eine befiehlt, das Zweite gehorcht. 

Die Weisen der Urzeit wandten sich vom Zweiten ab 

Und hielten sich an das Eine, 

Deshalb erkannten sie das Wesen aller Dinge.


Wer in diesem Einen zu regieren versteht, 

Erfreut Fürsten und Beamte, 

Bringt Nah und Fern zusammen, 

Erheitert die Scharen der Menschen 

Und vereint die Verwandten untereinander. 

Wer seine Person in diesem Einen zu regieren weiß, 

Vermeidet Unheil, 

Vollendet sein zugewiesenes Alter 

Und vervollkommnet sein Wesen. 

Wer sein Volk in diesem Einen zu führen weiß, 

Dem bleiben die Verderbten fern, 

Die Würdigen nähern sich ihm, 

Und groß ist der Einfluss, den er ausübt. 

Wer in ihm die Welt zu regieren vermag, 

Bringt Kälte und Hitze in Ordnung 

Und lässt Wind und Regen ihre Zeit einhalten. 

Deshalb erkennt der weise Mensch den Einen. 

Wer das Eine erkennt, ist klug; 

Wer nur das Zweite versteht, ist ein Narr.




ZWEITER GESANG


DIE BERAUSCHENDE MUSIK


Die Menschen leben alle aufgrund 

Ihrer angeborenen Fähigkeit zu leben, 

Ohne zu wissen, worauf das Leben beruht. 

Alle Menschen erkennen aufgrund 

Der ihnen innewohnenden Fähigkeit zu erkennen, 

Ohne zu erkennen, worauf das Erkennen beruht. 

Wer erkennt, worauf das Erkennen beruht, 

Von dem kann man sagen, 

Dass er den Sinn der Welt erkannt hat. 

Wer nicht erkennt, worauf sein Erkennen beruht, 

Von dem kann man sagen, dass er das, 

Was am wertvollsten ist, wegwirft. 

Wer sein Kostbarstes wegwirft, 

Klammert sich an seine Fehler.


Die Herrscher dieser Welt halten gewöhnlich 

Perlen und Edelsteine, Lanzen und Schwerter 

Als ihre wertvollsten Dinge, 

Aber je mehr sie davon haben, 

Desto mehr murrt das Volk, 

Desto mehr gerät das Land in Gefahr, 

Und desto mehr werden sie selbst in den Ruin verwickelt. 

Diese Bedingungen führen in Wirklichkeit 

Zum Verlust dieser kostbaren Dinge. 

Die Musik eines perversen Geschlechts 

Hat die gleiche Wirkung. 

Wenn Pauken und Trommeln wie Donner klingen, 

Wenn Zimbeln und klingende Steine wie Blitze ertönen, 

Wenn Flöten und Geigen, 

Tanz und Gesang lärmend erklingen, 

Ist sie gut geeignet, die Nerven zu erschüttern, 

Die Sinne zu erregen 

Und das Leben in Wallung zu bringen.


Aber Musik, die mit diesen Mitteln arbeitet, 

Macht uns nicht fröhlich. 

Je berauschender also die Musik, 

Desto melancholischer wird das Volk, 

Desto gefährlicher wird das Land, 

Desto mehr sinkt der Fürst. 

Auf diese Weise geht auch das Wesen der Musik verloren.


Was alle Heiligen Könige an der Musik schätzten, 

War ihre Fröhlichkeit. 

Die Tyrannen Gia von Hia und Jou Sin von Yin 

Machten berauschende Musik. 

Sie hielten die starken Klänge 

Großer Pauken und Glocken, klirrender Steine, 

Klarinetten und Flöten für schöne 

Und sehenswerte Masseneffekte. 

Sie strebten nach neuen und seltsamen Klangeffekten, 

Nach Klängen, die noch kein Ohr gehört hatte, 

Nach Spektakeln, die noch kein Auge gesehen hatte. 

Sie suchten sich gegenseitig zu übertreffen 

Und sprengten Maß und Ziel.


Der Grund für den Niedergang des Staates Sung war, 

Dass sie tausend Glocken erfanden; 

Der Grund für den Niedergang des Staates Tsi war, 

Dass sie die große Glocke erfanden. 

Der Grund für den Niedergang des Staates Chu war, 

Dass sie die magische Musik erfanden. 

Solche Musik ist zwar laut genug, 

Aber vom Standpunkt der Wahrheit aus gesehen 

Hat sie sich vom Wesen der wahren Musik entfernt. 

Weil sie sich vom Wesen der wahren Musik entfernt hat, 

Ist diese Musik nicht fröhlich. 

Wenn die Musik nicht fröhlich ist, 

Schimpfen die Menschen 

Und das Leben wird beschädigt. 

Unter dem Einfluss dieser Musik 

Leidet das Leben wie Eis in der prallen Sonne, 

Es löst sich auf. 

All das kommt daher, 

Dass man das Wesen der Musik nicht versteht, 

Sondern nur an den rauschenden Effekten 

Der Klänge interessiert ist.


Die Natur der Musik ist 

Wie die Natur der körperlichen Organe. 

Da sie eine bestimmte Natur haben, 

Hängt sie von ihrer natürlichen Pflege ab. 

Kälte und Hitze, 

Überanstrengung und Bequemlichkeit, 

Hunger und Überdruss, 

Diese sechs Dinge entsprechen nicht der Natur. 

Wer das Leben kultivieren will, 

Sorgt dafür, dass das, was nicht der Natur entspricht, 

Durch das ersetzt wird, was der Natur entspricht. 

Wer in der Lage ist, dauerhaft 

In Verhältnissen zu verweilen, 

Die der Natur entsprechen, lebt lange.


Das wahre Leben besteht darin, 

Dass der Körper fest und ruhig ist, 

Dass er nur dann Empfindungen hat, 

Wenn ihm Sinneseindrücke vorausgegangen sind, 

Dass er äußeren Einflüssen nachgibt, 

Ohne Nachwirkungen zu hinterlassen, 

Und dass er Begierden und Wünsche mäßigt. 

Ungezügelte Begierden und Wünsche 

Führen zum Verlust der ursprünglichen Natur. 

Wer in seinen Begierden und Wünschen ungezügelt ist, 

Wird gierig, gemein, unbeherrscht 

Und unordentlich in seiner Stimmung 

Und ausschweifend, verschwenderisch, 

Betrügerisch und falsch in seinem Handeln. 

Dann kommt es dazu, dass die Starken 

Die Schwachen unterdrücken, 

Dass die Mehrheit die Minderheit vergewaltigt, 

Dass die Mutigen die Furchtsamen misshandeln 

Und dass das Alter die Jugend verachtet.




DRITTER GESANG


DIE ALTE MUSIK


Die Ursprünge der Musik reichen weit zurück; 

Man darf sie nicht verkommen lassen. 

Es gibt Musik, die maßvoll ist, 

Und Musik, die übertrieben ist. 

Es gibt Musik, die einfach ist, 

Und Musik, die extravagant ist. 

Für die Würdigen dient sie zum Gedeihen, 

Für die Unwürdigen ist sie ein Verhängnis.


In alten Zeiten regierte Chu Siang Shi die Welt. 

Zu jener Zeit wehten viele Winde, 

Die Kraft des Lichts sammelte sich, 

Und alle Dinge lösten sich auf, 

Die Früchte und Samen reiften nicht. 

Da schuf Shi Da die fünfsaitige Harfe, 

Um die Kraft des Dunkels zu beschwören 

Und alle Lebewesen zu vereinen.


Die Musik des Herrschers Go Tian Shi 

Bestand aus drei Männern, 

Die an einem Kuhschwanz zogen, 

Mit den Füßen stampften 

Und so acht Strophen sangen. 

Die erste Strophe sprach 

Über die Behandlung der Menschen, 

Die zweite über die Pflege des Geflügels, 

Die dritte über die Förderung 

Von Kräutern und Bäumen, 

die vierte über die Pflege der fünf Feldfrüchte, 

Die fünfte über den Respekt 

Vor den Regeln des Himmels, 

Die sechste über die Rechtfertigung 

Der Werke eines Herrschers, 

die siebte über die Nutzung der Kraft der Erde, 

Die achte über die allgemeine Nutzung 

Aller Vögel und Tiere.


Zu Beginn des Herrschers Tau Tang 

Sammelte sich die dunkle Macht 

In großem Ausmaß an 

Und sammelte sich in der Tiefe. 

Der Lauf des Lichts wurde gehemmt, 

So dass es nicht mehr geordnet wirken konnte. 

Die Stimmung der Menschen wurde dumpf und träge. 

Die Sehnen und Knochen entspannten sich 

Und gehorchten nicht mehr. 

Also erfand er den Tanz, 

Um die Menschen wieder in Bewegung zu bringen.


In alten Zeiten beauftragte Huang Di 

Ling Lun mit der Herstellung von Tonleitern. 

Ling Lun ging vom Westen des Berges Da Hia 

Bis zum Norden des Berges Yuan Yu. 

Dann holte er Bambus aus dem Hia-Hi-Tal 

Und benutzte solchen, dessen Höhlen 

Dick und gleichmäßig waren, 

Und schnitt ihn zwischen zwei Ästen. 

Ihre Länge betrug drei Zoll, neun Linien. 

Er blies sie an und bestimmte, 

Dass dies die Tonika der Tonleiter 

Huang Dschung sein sollte. 

Er blies sie an und sagte: Das ist richtig! 

Daraufhin machte er die zwölf Pfeifen. 

Als er den männlichen und weiblichen 

Phönix (Fong Huang) 

Am Fuße des Berges Yuan Yu singen hörte, 

Unterschied er die zwölf Tonarten. 

Aus dem Gesang des Männchens machte er sechs 

Und aus dem Gesang des Weibchens ebenfalls sechs, 

Die alle mit der Tonika der Tonleiter 

Huang Dschung erzeugt werden konnten. 

Deshalb sagt man, dass die Tonika 

Des Huang Dschung der Grundton 

Der Ganzton- und der abgeleiteten Skalen ist.


Huang Di befahl auch dem Ling Lun, 

Zusammen mit Yung Dsiang 

Zwölf Glocken zu gießen, 

Ddie die harmonischen fünf Töne 

Der Tonleiter erzeugen sollten, 

Um eine prächtige Musik aufführen zu können. 

Im mittleren Frühlingsmonat, am Tag I Mao, 

Als die Sonne im Zeichen Kui stand, 

Wurde sie zum ersten Mal aufgeführt 

Und Hian Tsi genannt.


Der Herrscher Juan Hu 

Wurde auf dem Wasser Jo geboren 

Und ließ sich dauerhaft in Kung Sang nieder. 

Dann bestieg er den Herrschersitz, 

Und da dieser in Harmonie mit dem Himmel war, 

Wehten die Winde genau aus ihren Richtungen. 

Ihr Klang war wie Hi Hi, Tsi Tsi, Tsiang Tsiang. 

Der Herrscher Juan Hu liebte ihren Klang 

Und befahl dem fliegenden Drachen (Fe Lung), 

Sie zu imitieren 

Und die Klänge der acht Winde zu formen. 

Er nannte diese Musik die Aufnahme der Wolken 

Und verwendete sie, um dem obersten Gott 

Opfergaben zu bringen. 

Er befahl auch dem Salamander (To), 

Den Musikmeistern den Takt vorzugeben. 

Der Salamander hockte sich hin 

Und schlug mit seinem Schwanz auf den Bauch. 

Es klang wie Yang Yang.


Der Herrscher Gu befahl Hian He, 

Lieder zu komponieren. 

Chui war auch da und machte 

Handtrommeln und Pauken, Glocken und Klangsteine, 

Flöten und Oboen, Rasseln und Klappern, 

Kleine Trommeln und Hammerglocken. 

Dann ließ der Herrscher Gu 

Das Volk in die Hände klatschen, 

Die Trommeln rühren, die Glocken und Steine schlagen, 

Die Flöten und Pfeifen blasen 

Und mit der Rassel und den Kastagnetten schließen. 

Auf diese Weise brachte er den Vogel Fong 

Am Himmel dazu, im Takt zu fliegen. 

Herrscher Gu war darüber sehr erfreut, 

Und die Musik diente dazu, 

Den Einfluss des Herrschers zu sichern.


Als der Herrscher Yau auf den Thron kam, 

Befahl er Ji, Musik zu machen. 

Ji ahmte in seinem Gesang 

Die Geräusche der Wälder und Bachtäler nach. 

Er spannte ein Hirschleder über ein irdenes Gefäß 

Und trommelte darauf. 

Er strich über den klingenden Stein 

Und schlug den klingenden Stein, 

So dass er wie der klingende Nephrit 

Des höchsten Gottes klang 

Und alle Tiere sich im Takt dazu bewegten. 

Der blinde alte Mann teilte die fünfsaitige Leier 

In eine fünfzehnsaitige Leier. 

Er nannte sie Da Dschang 

Und benutzte sie bei den Opfern 

Für den höchsten Gott. 

Als Shun an die Macht kam, 

Teilte er die Leier, 

Die der blinde alte Mann gemacht hatte, 

Und fügte ihr acht Saiten hinzu, 

So dass sie zur 23-saitigen Leier wurde.


Der Herrscher Shun befahl den Ji, 

Neunfache Schau-Musik, sechsfache Lia-Musik 

Ud sechsfache Ying-Musik zu machen 

Und die Tugend des Herrn zu preisen.


Als Yu ernannt wurde, mühte er sich ab 

Und sorgte sich um die Welt. 

Tag und Nacht gönnte er sich keine Ruhe. 

Er regulierte die großen Flüsse, 

Formte das Schwemmland, 

Meißelte das Drachentor aus 

Und leitete das Wasser nach unten um, 

Damit der Gelbe Fluss sein festes Bett bekam. 

Er regulierte die drei Giang-Flussläufe 

Und die fünf Seen 

Und leitete sie nach Osten um, 

Um die Mengen der Menschen zu fördern. 

Dann befahl er dem Gau Yau, 

Die neun Sätze des Hia Yuo zu musizieren, 

Um seine Werke ans Licht zu bringen.


Als Tang aus dem Hause Yin den Thron bestieg, 

War der letzte Herrscher aus dem Hause Hia 

Vom rechten Weg abgekommen. 

Er behandelte die Menschenmengen mit Grausamkeit, 

Beraubte die Fürsten 

Und wich von den festen Maßen und Schienen ab. 

Die ganze Welt lehnte sich gegen ihn auf. 

Tang führte daraufhin die Kriegstruppen 

Von sechs Provinzen an, 

Um die Schuld von Gia zu bestrafen. 

Das große Werk war vollbracht, 

Und die Massen waren in Frieden. 

Dann befahl Tang dem I Yin, 

Die Da Huo Musik und den Morgengesang 

(Schen Lu) zu machen. 

Er ordnete die neunfache Schau-Musik 

Und die sechsfache Lia-Musik, 

Damit man seine Güte sehen konnte.


Als König Wen von Jou 

Am Fuß des Berges Ki verweilte, 

Wandten sich die Prinzen 

Von der Bosheit des Königs von Yin ab 

Und halfen König Wen. 

San I Shong sagte: 

Yin ist reif für die Bestrafung. 

Aber König Wen war damit nicht einverstanden. 

Da stimmte Dan, der Fürst von Jou, ein Lied an:


König Wen ist oben

Und leuchtet im Glanz des Himmels,

Ein altes Land ist Jou,

Doch sein Beruf ist neu.


Damit lobte er die Tugend von König Wen.


Als König Wu den Thron bestieg, 

Kämpfte er mit sechs Armeen gegen Yin, 

Und bevor die sechs Armeen 

Seine Hauptstadt erreicht hatten, 

Schlug er ihn mit der Vorhut 

Auf der Ebene des Weidefeldes (Mu Ya). 

Als er zurückkehrte, opferte er 

Die abgeschnittenen Ohren der Überwältigten 

Im königlichen Ahnentempel 

Und befahl dem Prinzen von Jou, 

Den großen Wu zu musizieren.


Als König Chong den Thron bestieg, 

Machte das Volk der verbannten 

Yin-Dynastie einen Aufstand. 

Der König befahl Herzog Chou, 

Dorthin zu reisen, um sie zu bestrafen. 

Das Volk von Shang (Yin) hatte Elefanten gezähmt, 

Um die Barbaren aus dem Osten einzuschüchtern. 

Der Fürst von Jou folgte ihnen mit seiner Armee 

Und trieb sie südlich des Yangtsekiang. 

Dann ließ er die Musik der drei Elefanten 

(San Siang) erklingen, um seine Tugend zu preisen.


Die Ursprünge der Musik reichen also weit zurück, 

Und sie wurde nicht 

Von einer einzigen Rasse geschaffen.




VIERTER GESANG


DIE ANFÄNGE DER MUSIK 


Kung Gia, ein Herrscher des Hauses Hia, 

Ging einst im Dung-Yang-Fu-Gebirge auf die Jagd. 

Es kam ein großer Sturm auf 

Und es wurde ganz dunkel. 

Kung Gia verirrte sich

Und kam zu einem Bauernhaus, 

In dem gerade ein Kind geboren worden war. 

Jemand sagte: Der Herrscher ist gekommen, 

Dies ist ein glücklicher Tag; 

Das Kind wird sicherlich großes Glück haben. 

Ein anderer sagte: Das Kind 

Ist diesem Glück nicht gewachsen; 

Es wird sicher Unglück haben. 

Der Herrscher nahm das Kind mit nach Hause 

Und sagte: Ich werde es als meinen Sohn großziehen; 

Wer wird es dann wagen, ihm Unglück zu bringen? 

Als das Kind herangewachsen war, 

Zerbrach es eine Stange, 

Als es ein Zelt versetzen wollte, 

Und eine Axt hieb ihm den Fuß ab. 

Dann wurde er Türhüter. 

Kung Gia sagte: Oh, wie schnell 

Sich das Schicksal bewegt! 

Dann machte er das Lied vom Axthieb. 

Dies ist der eigentliche Anfang der östlichen Musik.


Als Yu-ü sein großes Werk vollbrachte, 

Sah er das Mädchen vom Berg Tu Shan. 

Bevor Yu-ü mit ihr zusammen war, 

Musste er aufbrechen, 

Um die südlichen Regionen zu besuchen. 

Dann nahm das Mädchen vom Tu Shan-Berg 

Ihre Dienerin mit und wartete im Süden 

Des Tu Shan-Bergs auf Yu-ü. 

Das Mädchen sang ein Lied mit dem Titel: 

Ach! Ich warte auf ihn! 

Das war der Beginn der südlichen Musik.


Die Herzöge von Dschou und Schau 

Sammelten Lieder mit dieser Stimmung 

Und nannten sie: Südlich von Dschou 

Und südlich von Schau.


König Dschau von Dschou zog aus, 

Um gegen den Staat Tschu zu kämpfen. 

Sin Yu Mi, ein Mann von großer Statur 

Und mit viel Kraft, stand zur rechten Hand 

Des Königs im Kriegswagen. 

Auf dem Rückweg brach die Brücke 

Beim Überqueren des Han-Flusses. 

Der König und Herzog Tsai 

Stürzten in den Han-Fluss. 

Sin Yu Mi rettete den König 

Und brachte ihn an das Nordufer. 

Dann kehrte er zurück 

Und rettete auch Herzog Tsai. 

Der Herzog von Dschou erwartete ihn 

Im Westen und verlieh ihm für seine Tapferkeit 

Den Titel eines Herzogs von Tschang.


Yin Chong Gia war schon früher 

An den westlichen Gelben Fluss gezogen, 

Aber er dachte sehnsüchtig an seine alte Heimat. 

Dies ist der eigentliche Beginn 

Der westlichen Musik. 

Herzog Tschang setzte diese Musik fort, 

Als er auf dem Westberg weilte. 

Herzog Mu von Tsin machte sich 

Diese Stimmung zunutze, 

Um die Anfänge der Musik von Tsin zu schaffen.


Der Herrscher von Yu Sung 

Hatte zwei wunderschöne Töchter. 

Er baute für sie einen neunstöckigen Turm. 

Wenn sie aßen oder tranken, 

Wurde immer Musik gespielt. 

Dann schickte der Herr eine Schwalbe, 

Um auf sie aufzupassen. 

Ihr Lied klang wie: ai, ai. 

Die beiden Mädchen fanden das toll 

Und fingen sie. 

Sie deckten sie mit einem Nephritkorb zu. 

Nach einer Weile hoben sie ihn wieder auf 

Und sahen nach ihr. 

Die Schwalbe hatte zwei Eier gelegt, 

Dann flog sie weg in den Norden 

Und kam nicht mehr zurück. 

Die beiden Mädchen sangen ein Lied 

Mit dem Titel: Schwalbe, Schwalbe, 

Du bist weggeflogen. 

Das war dann der Beginn der nordischen Musik.


Alle Musik wird im Herzen des Menschen geboren. 

Was das Herz bewegt, fließt in Tönen aus; 

Und was draußen klingt, 

Beeinflusst das Herz im Inneren. 

Wenn man also die Klänge eines Landes hört, 

Kennt man seine Sitten. 

Wenn man seine Sitten untersucht, 

Kennt man seine Haltung. 

Wenn man seine Haltung betrachtet, 

Kennt man sein Wesen. 

Blüte und Verfall, Würdigkeit und Unwürdigkeit, 

Edle und gemeine Gefühle, 

All das wird in der Musik ausgedrückt 

Und kann nicht verborgen werden. 

Deshalb heißt es: 

Tief ist die Einsicht, die die Musik gibt.


Wenn der Boden arm ist, 

Wachsen keine Kräuter und Bäume; 

Wenn das Wasser trüb ist, 

Wachsen keine Fische und Schildkröten. 

Wenn die Zeit unrein ist, 

Werden die Sitten verwirrt, 

Und die Musik wird unmoralisch. 

Dies sind die Klänge von Jong und We 

Und die Musik unter den Maulbeerbäumen.


Es ist diese Musik, die in der Verwirrung 

Der Liebe besteht 

Und an der sich Menschen 

Mit verfallener Tugend erfreuen. 

Wenn unreine und sittlich verderbliche Musik erklingt, 

Verursacht sie unreine Gemüter 

Und schlechte Neigungen. 

Durch diese Wirkung werden alle Arten 

Von Lastern und Schlechtigkeit geboren. 

Deshalb kehrt der Edle auf den rechten Weg zurück 

Und kultiviert seine Tugend. 

Aus reiner Tugend fließt reine Musik. 

Durch die Harmonie der Musik 

Sorgt er für Ordnung. 

Wenn die Musik harmonisch ist, 

Schätzen die Menschen, was richtig ist.



FÜNFTER GESANG


DIE GRUNDLAGEN DER MUSIK 


Wenn man die höchste Musik sehen will, 

Dann sicherlich in Ländern, 

In denen die höchste Ordnung herrscht. 

Wo edle Sitten herrschen, 

Herrscht edle Musik;

Wo schlechte Sitten herrschen, 

Herrscht schlechte Musik. 

In unordentlichen Zeiten 

Ist die Freude ungezügelt. 

Heute schließen die Menschen Fenster und Türen 

Und machen im Haus einen Lärm, 

Der Himmel und Erde erschüttert.


Zur Zeit Tangs des Vollendeten 

Wuchs vor dem Schloss eine Ähre. 

Am Abend kam sie hervor 

Und am nächsten Morgen war sie so dick, 

Dass man sie gerade noch 

Mit beiden Händen greifen konnte. 

Der große Astrologe bat darum, 

Das Orakel nach der Ursache befragen zu dürfen. 

Tang wies die Orakelpriester zurück und sagte: 

Ich habe gehört, dass günstige Zeichen 

Vorboten des Glücks sind. 

Wenn man günstige Zeichen sieht, 

Aber nicht gut handelt, 

Kommt das Glück trotzdem nicht. 

Ungünstige Zeichen sind Vorboten des Unglücks. 

Wenn man ungünstige Zeichen sieht, 

Aber gut handelt, 

Kommt das Unglück nicht. 

Daraufhin öffnete der König früh seinen Hof 

Und ging erst spät in der Nacht zu Bett. 

Er kümmerte sich um die Kranken 

Und trauerte mit den Trauernden. 

Er übte Wohlwollen und half dem Volk. 

Nach drei Tagen war die Kornähre verschwunden. 

Es ist also das Unglück, 

Auf dem das Glück ruht, 

Es ist das Glück, auf das das Unglück lauert. 

Aber nur der weise Mensch sieht das. 

Wie sollte die große Masse die Keime verstehen! 

König Wen von Jou hatte acht Jahre lang 

Über sein Land geherrscht. 

Einmal, im sechsten Monat, lag König Wen 

Fünf Tage lang krank, 

Als die Erde rundherum bebte. 

Aber das Erdbeben ging nicht 

Über die königliche Hauptstadt hinaus. 

Die Diener traten flehend an ihn heran 

Und sagten: Wir haben gehört, 

Dass Erdbeben um des Herrschers willen auftreten. 

Nun ist der König seit fünf Tagen krank, 

Und die Erde hat gebebt, 

Aber das Erdbeben hat sich nicht 

Über die Hauptstadt Jou hinaus ausgedehnt. 

Deshalb sind alle Beamten beunruhigt 

Und meinten, das Unglück solle verziehen werden.

König Wen fragte: Wie kann man das Unglück abwenden? 

Sie antworteten: Wenn wir die Sache 

In Bewegung setzen und die Massen aufbringen, 

Um die Mauern der Hauptstadt zu erhöhen, 

Kann es vielleicht verlagert werden. 

König Wen sagte: Das ist nicht möglich. 

Wenn der Himmel unheilvolle Zeichen schickt, 

Dann um die Schuldigen zu bestrafen. 

Ich muss mir etwas zuschulden kommen lassen haben, 

Dass der Himmel mich auf diese Weise bestraft. 

Wenn ich nun die Sache in die Hand nähme 

Und die Massen versammeln würde, 

Um die Mauern der Hauptstadt zu erhöhen, 

Würde ich meine Sünden verdoppeln. 

Das ist nicht möglich! 

Ich werde mich bessern 

Und mehr Gutes tun, 

Anstatt dem Unglück auszuweichen. 

Dann betrachtete er alle Formen sehr genau. 

Er ordnete die Insignien in Leder und Fellen 

In seinem Umgang mit den Feudalherren. 

Seine Befehle und Erlasse überlegte er sorgfältig. 

Er ehrte die Helden mit Geschenken 

Aus Nephrit und Seide, 

Eer ordnete ihren Rang 

Und teilte die zu verleihenden Gebiete auf, 

Um seine Beamten zu belohnen. 

Kurze Zeit später erholte er sich 

Von seiner Krankheit. 

König Wen saß bereits seit acht Jahren auf dem Thron, 

Als die Erde bebte. 

Nach dem Erdbeben regierte er noch 43 Jahre lang. 

Als er starb, hatte König Wen 51 Jahre lang 

Das Königreich verwaltet. 

Auf diese Weise begegnete König Wen dem Bösen 

Und machte die bösen Omen zunichte.


Zur Zeit des Herzogs Ching von Sung 

Erschien der Feuerstern 

In der Konstellation des Herzens. 

Der Herzog war erschrocken; 

Eer rief den Dsi We herbei, 

Befragte ihn und sagte: 

Der Feuerstern ist im Herzen, was bedeutet das? 

Dsi We sagte: Der Feuerstern bedeutet 

Eine Strafe des Himmels. 

Das Herz ist die Domäne von Sung; 

Dem Prinzen droht Unheil. 

Aber es kann durch den Kanzler abgewendet werden. 

Der Herzog sagte: Mit dem Kanzler 

Rgiere ich mein Land; 

Wenn ich ihn durch diese Abwendung 

Zu Tode bringen sollte, wäre das unheilvoll. 

Dsi Wir sagte: Dann kann man es auf das Volk abwälzen. 

Der König sagte: Wenn das Volk stirbt, 

Wen soll ich dann regieren? 

Ich würde lieber allein sterben. 

Dsi Wir sagten: Dann kann es auf die Ernte 

Des Jahres übertragen werden.

Der Herzog sagte: Wenn die Ernte verdorben ist, 

Kommt das Volk in Hungersnot; 

Wenn das Volk Hunger leidet, stirbt es. 

Wenn ich als Fürst mein Volk töten wollte, 

Um mich selbst am Leben zu erhalten, 

Wie würde ich dann noch den Namen 

Eines Fürsten verdienen? 

Das ist mein Schicksal, ich werde es ertragen. 

Ihr braucht nicht weiter zu sprechen. 

Dann zog sich Dsi We zurück 

Und wandte sein Gesicht dem Prinzen zu. 

Er verbeugte sich und sagte: 

Ich habe von Eurer Hoheit hier 

Drei Worte der höchsten Güte gehört, 

Und der Himmel wird Eure Hoheit 

Sicherlich dreifach belohnen. 

Heute Nacht wird der Feuerstern 

Drei himmlische Häuser weiterziehen 

Und das Leben Eurer Hoheit 

Um 21 Jahre verlängern. 

Der Herzog fragte: Woher wisst Ihr das? 

Er antwortete: Wer dreimal hintereinander Gutes spricht, 

Wird sicherlich dreimal hintereinander belohnt werden, 

Und der Feuerstern wird drei Häuser weiterziehen. 

In jedem Haus gibt es sieben Sternbilder, 

Und wenn er weiterwandert, 

Bedeutet das sieben Jahre. 

Drei mal sieben ist einundzwanzig. 

Deshalb sage ich, dass das Leben Eurer Hoheit 

U einundzwanzig Jahre verlängert werden soll. 

Ich bitte um Erlaubnis, 

Auf den Stufen des Throns zu bleiben, 

Um das Ereignis abzuwarten. 

Wenn der Feuerstern nicht vorrückt, 

Bitte ich darum, sterben zu dürfen. 

Der Herzog sagte: So soll es sein! 

Und tatsächlich, an diesem Abend 

Zog der Feuerstern drei Häuser weiter.