VON TORSTEN SCHWANKE
FÜR EVI GESCHRIEBEN
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
(1800)
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
INTERPRETATION
EINLEITUNG
novalis lebte von 1772 bis 1801. sein bürgerlicher familienname war von hardenberg. Sein künstlername novalis bedeutet: der neuland bearbeitende.
Literarisch zählt man ihn zur frühromantik. Während die deutschen klassiker aus weimar und jena, goethe und schiller und wieland, die kunst der antiken römer und griechen erneuern wollten, wandten sich die romantiker dem katholischen mittelalter zu. Dies schien ihnen nicht das „finstere mittelalter“ der protestantischen und aufklärerischen propaganda, sondern eine idealform wahrhaft christlicher zivilisation.
Novalis war eigentlich protestant, aber er liebte sehr die jungfrau maria. Dies kommt in diesem sehr schönen gedicht zum ausdruck:
Ich sehe dich in tausend Bildern
Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
In seinem aufsatz „das christentum und europa“ beklagt er den schleichenden abfall europas von der christlichen kirche, eingeleitet von der protestantischen revolution und vollendet durch die aufklärung. Als seine hoffnung für europa beschrieb er eine rückkehr europas zur göttlichen katholischen religion.
Wichtig zum verständnis des novalis ist SOPHIA. Er las jakob böhme, diesen teutonischen philosophen des 17. jahrhunderts. Jakob böhme war ein lutheraner, aber wegen seiner mystischen spekulationen wurde er von den lutherischen pastoren verfolgt. Jakob böhme schrieb von einer plötzlichen erleuchtung, in der er das geheimnis der göttlichen weisheit oder sophia schaute. Novalis war nun auch noch mit einem jungen mädchen namens sophie verlobt, so dass er zum verehrer der göttlichen sophia wurde.
Er wollte eine völlige romantisierung oder poetisierung aller lebensbereiche, nicht nur der dichtkunst. Er wollte eine romantisierung aller künste, eine poetisierung der gesellschaft. Er verehrte den preußischen könig und die königin, aber er träumte nicht, wie dante, von einer weltmonarchie, sondern von einer weltrepublik.
Auch erkenntnis und wahrnehmung des menschen sollten poetisiert werden, so dass der mensch gerüche sieht und töne schmeckt, wie es in dem lieblingsvers meiner kindheit heißt: wer schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie wolken schmecken.
Ähnlich wie der idealistische philosoph schelling und sein zeitgenössischer dichter hölderlin, wollte auch novalis eine philosophie, die poetisch wird: apollo weissagt aus der verbindung von philosophie und poesie. Schelling träumte von einer neuen mythologie, die hölderlin in seiner poesie zu verwirklichen suchte. Hölderlin und novalis sind sich einmal persönlich begegnet.
Meiner ansicht nach ist ein dichter nichts ohne muse. Hölderlin kam in das haus eines bankiers als hauslehrer der kinder und er und die ehefrau des bankiers, suzette, verliebten sich in einander. Damals schrieb hölderlin an einen freund: nach diesem madonnenkopf will ich meine kunst bilden. Goethe wurde von vielen frauen inspiriert, aber im alter schrieb er, dass shakespeare und charlotte von stein ihn zum dichter gebildet. Novalis liebte sophie, seine braut, die aber sehr jung an schwindsucht starb. In seinen tagebüchern ist zu lesen, wie er nach ihrem tod den selbstmord plante. Inspiriert von sophies tod entstanden die hymnen an die nacht mit ihrer todessehnsucht. Sophie erscheint in seinem roman heinrich von ofterdingen als mathilde und als blaue blume. Heinrich heine spottet kurz vor seinem tod: wer weiß, ob nicht die blaue blume des novalis das blaue strumpfband seiner verlobten war?
Sozio-ökonomisch war die zeit der frühromantik die zeit des aufkommenden industrie-kapitalismus mit seinem materialistisch-ökonomischen denken und seinem wertmaßstab der ökonomischen nützlichkeit des menschen. Scheint uns heute die zeit der romantik ein idyllisches zeitalter (mit pferden statt autos, mit wäldern und gärten statt computern), so litten doch die empfindsamen poeten und poetinnen der romantik sehr unter dieser kalten bürgerlichen herrschaft des geldes. Sie waren aber keine frühsozialisten, sondern überwiegend katholische monarchisten.
VERS-FÜR-VERS
I
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen…
hier sehe ich die kritik 1. an der aufklärung, 2. am rationalismus, 3. an der anthropologie des industrie-kapitalismus, 4. an der verabsolutierung der naturwissenschaft.
1.
im mittelalter gab es in europa eine politische, kulturelle und religiöse einheit. Diese ist aber durch die protestantische revolution und den dreißigjährigen krieg zerstört worden. Infolge dessen vertraute die intelligenz nicht mehr auf die göttlich offenbarte religion, sondern nur noch auf die menschliche vernunft. So wurden in der von den freimaurern geführten französischen revolution die altäre christi eingerissen und stattdessen altäre für die göttin vernunft (déesse raison) errichtet. Es galt eben nur noch des menschen (des mannes) verstand.
2.
das nennt man auch rationalismus. Während in der katholischen religion glaube und vernunft die beiden flügel sind, mit denen der mensch sich zu gott erhebt, wurde in der religion luthers vom glauben allein gesprochen, die vernunft wurde von luther eine hure genannt. Dagegen stand der rationalismus auf, der keinen glauben an göttliche offenbarung mehr anerkannte, sondern auch in der religion nur noch das akzeptierte, was dem menschlichen verstand einsichtig scheint. Dieser rationalismus drang im 19. jahrhundert in die evangelische und im 20. jahrhundert in die katholische theologie ein. Der rationalismus will ein christentum ohne dreifaltigkeit gottes, ohne menschwerdung gottes aus einer jungfrau, ohne übernatürliche wunder jesu und ohne leibliche auferstehung christi. Von der religion bleibt nur noch die praktizierte nächstenliebe übrig. Von gott wird nur das akzeptiert, was das denken des menschen begreifen kann.
3.
in der anthropologie des bürgerlichen industrie-kapitalismus wird der mensch vom mittelpunkt der arbeit weg gerückt und wird zu einem bloßen mittel für den materiellen profit der herrschenden. Der wert des menschen wird gemessen an seiner arbeitsleistung, an seinem materiellen wohlstand, an seiner sozio-ökonomischen karriere. (Dies wird auch auf das tier ausgedehnt.) Der mensch in seiner arbeit ist nicht mehr der freie, schöpferische mensch, der in der ausübung seiner talente seine kreativität entfaltet, sondern er wird zum seelenlosen rad in der unbarmherzigen maschinerie der industrie-produktion. Darunter haben die empfindsamen künstler der romantik sehr gelitten. Das prinzip des frühbürgerlichen industrie-kapitalismus ist im grunde auch das prinzip der heutigen digitalen revolution. Der mensch wird nach zahlen bemessen, der mensch mit seiner lebendigen seele ist kein mysterium mehr, das bis in gott mündet.
4.
im 18. und 19. jahrhundert machten die exakten naturwissenschaften enorme fortschritte. Die naturwissenschaft emanzipierte sich von theologie, mystik und philosophie und wurde zu einer vernunftarbeit mit mathematischer genauigkeit. Die natur wurde mehr und mehr in ihre einzelteile zerlegt, gemessen und berechnet, um sie beherrschbar zu machen im dienst des ökonomischen fortschritts des menschen. Die romantiker antworteten darauf mit einer mystischen naturphilosophie, besonders auch novalis als philosoph, der späte schelling und franz von baader, die alle drei an die naturphilosophie jakob böhmes anknüpften. Hier war nicht nur vom materiellen körper des kosmos die rede, sondern man übernahm von platon und plotin das konzept der weltsseele. Poetisch gesprochen: der naturwissenschaftler klassifiziert eine rote rose nach der zahl ihrer blütenblätter und staubgefäße und nach ihren verschiedenen arten und dem lateinischen fachnamen, der romantische naturmystiker sieht die rose, wenn er sie seiner geliebten schenkt, als ausdruck seines vor liebe blutenden herzens.
II
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen…
hier spricht der dichter 1. über die heiligkeit der musik, 2. über die liebe als erkenntnis, 3. über den unterschied zwischen weisheit und vielwisserei.
1.
der afrikanische kirchenlehrer aus dem 4. jahrhundert, augustinus, sagte: wer singt, betet doppelt. Darum gibt es auch in jeder religion sakrale musik. Der vorsokratische philosoph pythagoras behauptete sogar, dass die kosmische ordnung eine harmonische ordnung ist, wie die harmonie der musik. Und es wird berichtet, dass pythagoras einen augenblick lang die sphären-musik hörte. Ähnliches wird vom heiligen franz von asissi berichtet, er habe einen augenblick die musik des himmels gehört und anschließend gesagt: diese musik war so schön, hätte ich sie noch länger gehört, wäre ich gestorben. Auch der deutsche dichter klopstock schrieb eine ode über die musik der sterne und die musik des himmels. Rainer maria rilke schrieb, die musik erbaue kathedralen im geist. Papst benedikt XVI, den man auch den mozart unter den theologen nannte, sagte, die musik etwa von mozart und bach sei ein klarer gottesbeweis, dass der mensch des glaubens so etwas schönes schaffen könne. Auch die alten chinesen hatten eine hohe wertschätzung für die musik, sie unterschieden zwischen der alten heiligen musik, die den kosmos und die welt ordne, und der sinnlich berauschenden musik des verfalls (der dekadenz).
2.
das küssen, also die liebe, wird als mittel zur erkenntnis beschrieben. In der sprache der bibel steht das wort „erkennen“ sowohl für die eheliche sexuelle vereinigung von mann und frau, als auch für die erkenntnis gottes. Religion und sexualität sind die intimsten und heiligsten herzenangelegenheiten des menschen. Man kann nur erkennen, was man liebt. Ein du zu lieben, heißt, es zu erkennen. Gott zu lieben heißt, gott zu erkennen (als unergründliches mysterium). Auch in der zwischenmenschlichen liebe gilt das. Der mann kann die frau nur erkennen, wenn er sie liebt. Darum ist auch die sexuelle vereinigung ohne wahre tiefe liebe des menschen nicht würdig. Wenn ein mann eine frau liebend erkennt, so steht er staunend vor dem verschleierten mysterium ihrer seele, die im innersten in das mysterium der gottheit mündet. Die frau ist ein mysterium und wird es immer bleiben. Sie ist kein rätsel, das erklärt werden kann. Wenn ein mann von der frau sagt, er habe sie ganz durchschaut und sie könne ihn nicht mehr überraschen, hat er die liebe schon verloren.
3.
die tiefgelehrten, die ohne harmonische schönheit und ohne liebe erkennen wollen, das sind nicht die weisen, sondern die vielwisser. Diese unterscheidung macht lao tse im tao te king. Jesus spricht von den klugen dieser welt, die gott nicht erkennen, im gegensatz zu den kindern, die die offebarung empfangen. Paulus sagt: die weisheit der welt ist torheit vor gott. Vielwisser sind auch die, die bücher in massen fressen. So sprach der römische stoiker seneca von der eitelkeit großer büchereien, wie der bibliothek von alexandrien, und wie aufgeblasen menschen ihre bibliotheken ungelesener bücher zeigen, dagegen der wahrhaft weise nur ein dutzend bücher braucht, aber die besten der welt, die er immer wieder studiert. Auch nietzsche lehnte das viele bücherlesen ab und sprach nur von einem dutzend autoren, die er immer wieder lese, ansonsten auf stundenlangen spaziergängen selber dachte. Die vielwisser dagegen, das sind die französischen enzyklopädisten oder der heutige mister wikipedia, der artikel des konversationslexikons auswendig lernt. Die wahre weisheit dagegen kommt aus gebet, aus meditation und kontemplation. Der weise liest mehr im buch des gebetes als in den büchern der weltweisheit. Denn wahre weisheit ist eine gabe gottes, eine gnade des heiligen geistes, und muss erbeten sein. Diese weisheit gottes ist nicht das vielwissen und die sogenannte erkenntnis, oder gnosis, die nach dem wort des paulus nur aufbläht, sondern es ist die weisheit des herzens, ein herz so weit wie der sand am meer, die weisheit der ewigen liebe.
III
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben...
hier spricht der dichter 1. über die welt und 2. über die freiheit.
1. die welt kommt im neuen testament in zweifacher bedeutung vor. Erstens ist die welt die schöpfung von natur und mensch. Nach der bibel ist die schöpfung gut und der mensch als mann und frau sehr gut. Im johannesevangelium heißt es: so sehr hat gott die welt geliebt, dass er seinen einzigen sohn gesandt hat. Zweitens ist die welt negativ und meint den gottlosen zeitgeist. Während die fernöstlichen philosophien und religionen eine weltflucht nahelegen, sich herauszumeditieren aus der welt, empfiehlt christus, sich vom weltlichen zeitgeist freizumachen, den geist zu gottes liebe zu erheben, und dann bereichert mit göttlicher liebe sich der welt, also der schöpfung und menschheit zu schenken und hinzugeben. Der tao-buddhistische dichter hesse sprach von der weltverachtung, der menschenverachtung und als höchster form der selbstverachtung. Hegel wollte die rein geistige idee gottes mit der welt vereinen im begriff des weltgeistes. Im hinduismus ist die welt göttlich, in der westlichen esoterik ist das universum oder die mutter erde göttlich. Im judentum und christentum ist die welt eine von gott geliebte schöpfung. Hier geht es nicht darum, der welt zu entfliehen, sondern die welt mit gottes liebe zu erfüllen.
2.
freiheit schreiben sich alle politischen parteien auf die fahne. Im westen sprachen die konservativen demokraten von freiheit und frieden, im osten sprachen die kommunisten von den revolutionären befreiungsbewegungen. Im 19. jahrhundert wurde die freiheit zu einer göttin erhoben. Klopstock, puschkin, lord byron und heinrich heine und andere besangen die göttin freiheit. Philosophisch sprach fichte über die freiheit, er sprach von der freiheit des absoluten ich, das aber sehr einsam und isoliert bleibt, wenn es sich nicht bindet an die absolute freiheit gottes. Nietzsche unterschied zwischen freiheit-wovon und freiheit-wofür. Edith stein nannte die freiheit-von eine leere freiheit, wahre freiheit wird erst verwirklicht in der freiheit-für, in der freigewählten hingabe an ein göttliches du, in der bindung an gottes freiheit. Jesus sagte: wo der geist ist, da ist freiheit, und: die wahrheit wird euch freimachen. Die katholische religion lehrt, dass der mensch mit willensfreiheit ausgestattet ist. Luther leugnete, dass der mensch einen freien willen hat. Aber die katholiken sagen: gott kniet vor deiner freiheit! Die freiheit der menschen ist gott so wichtig, dass er auch bereit ist, ihre freie entscheidung für das böse in kauf zu nehmen. Denn wahre liebe zu gott und den mitmenschen gibt es nur in der freiheit.
Und so entfernt sich der weise mensch vom zeitgeist einer gottlosen welt und beginnt frei in der freiheit gottes zu leben und kommt von dort mit einer sendung, die göttliche liebe in die welt von mensch und natur zu tragen.
IV
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten...
Hier lädt uns der dichter ein, 1. über licht, 2. über finsternis, 3. über die nacht, 4. über den schatten und 5. über die wahre klarheit nachzudenken.
1.
Gott gab den menschen vier arten des lichts: erstens das licht der natur, also die sonne, den mond, das feuer, die elektrizität. Der wissenschaftler sagt, man könne nicht sagen, ob das licht aus teilchen bestehe oder einer welle gleiche. Zweitens das licht der vernunft. Dass der mensch vernünftig denken kann ist bestandteil seiner gottes-ebenbildlichkeit. Gottes vernunft ist gottes weisheit, und der mensch kann weise werden. Drittens das licht des glaubens. Der glaube als eine gehorsame annahme der göttlichen selbstoffenbarung ist eine erkenntnis, die noch über die erkenntnis des menschlichen wissens hinausgeht. Viertens das licht der himmlischen herrlichkeit. Gott wohnt in einem unzugänglichen licht, in das wir aber eingeladen sind, nach unserem tode einzutreten. Die herrlichkeit kann man auch mit schönheit übersetzen. Gott ist eine lichtvolle schönheit.
2.
das licht gottes ist tausendmal heller als das licht der sonne. Das alte testament sagt: niemand kann gott schauen und am leben bleiben. Erst nach unserem tod sind wir fähig, gott zu schauen. Und das ist auch der himmel: gottes schönheit zu schauen und darin selig zu sein. Im fünften jahrhundert lebte ein syrischer christ namens dionysius areopagita, ein christlicher neuplatoniker, den man auch vater der abendländischen mystik nennt. Er sagte, dass das licht gottes zu hell für uns sei, als dass wir es erkennen könnten, und darum sei für uns das licht gottes ein „finsteres licht“.
3.
im zwölften jahrhundert entstand eine gemeinschaft von katholischen einsiedlern auf dem berg karmel in israel, der sich besonders dem kontemplativen gebet gewidmet hat. Im 16. jahrhundert wurde dieser orden der karmeliter in europa, besonders in spanien erneuert. Besonders teresa von jesus und johannes vom kreuz standen an der spitze dieser reformierung. Johannes vom kreuz gilt als lehrer der mystik. Seine mystik beschreibt die „dunkle nacht der seele“. Diese dunkle nacht der seele ist nicht zu verwechseln mit krankhafter melancholie. Die seele sah johannes vom kreuz als braut gottes, die den inneren weg beschreitet, der zur ehe mit gott führt oder zur mystischen vereinigung. Auf dem weg zu dieser liebesvereinigung mit gott muss die liebende seele durch einige nächte. Die nacht der sinne bedeutet, dass die seele keine sinnlichen gefühle gottes mehr hat, keinen fühlbaren trost, keinen genuss gottes mehr schmeckt. Die nacht des geistes bedeutet, dass die geistseele sich gott nicht mehr denken kann, alle philosophie und theologie sagt ihr nichts mehr, gott befreit die seele hier von allen menschlichen gottesbildern. Die nacht des glaubens bedeutet, dass all aussagen des glaubens, was bibel und kirche sagen, der seele nichts mehr sagen. Die seele betet und weint weiter aus sehnsucht nach gott, aber wer oder was gott ist, weiß sie nicht mehr. Im 19. jahrhundert lebte die karmelitin therese vom kinde jesus. Sie wurde nur 24 jahre alt. Als sie im sterben lag, erlebte sie die nacht des nichts. Es war das heraufkommen des zeitalters des atheismus. Gott mutete seiner braut zu, stellvertretend für alle hoffnungslosen atheisten die nachts des nicht zu erleiden, zu sterben ohne hoffnung auf den himmel. Wie es in meiner kindheit hieß: klappe zu – affe tot! Im zwanzigsten jahrhundert erlitt auch der geniale katholische dichter reinhold schneider die dunkle nacht. Er starb ostern 1956. kurz zuvor schrieb er in seinem letzten buch: von einem wiedersehen mit den lieben im himmel ist in der bibel eigentlich gar nicht die rede. Ich kann angesichts der leiden der welt gar nicht mehr von gott als einem liebenden vater reden. Begrabt mich nur unter einem kreuz. Gott wird nicht so grausam sein, mich aufzuwecken. Auch die weltberühmte mutter teresa von kalkutta lebte 35 jahre in der dunklen nacht. Während sie berühmt ist für ihre sprichwörtlich gewordene selbstlose nächstenliebe, litt sie im geheimen daran, dass sie rein gar nichts fühlte von der liebe jesu. Jedes gebet, das ich zum himmel sende, kommt wie ein pfeil in mein herz zurück. Keinerlei genuss der gottesliebe, keinerlei trost war ihr beschieden.
4.
den schatten können wir erstens psychologisch und zweitens religiös betrachten.
Erstens: in der tiefenpsychologie von c.g. jung bezeichnet der schatten das, was siegmund freud das es nannte, nämlich das unbewusste der seele. Der mensch lernt schon als kind, eine maske anzulegen, ein wunschbild von sich selbst, ein idealisiertes ich, das alles aufweist, was von den eltern und der gesellschaft als gut und liebenswert definiert wird. Was nicht zu dieser maske des ideal-ich passt, wird verdrängt und in den keller des unbewussten gesperrt. Es muss nicht das radikal böse sein, es ist einfach der teil der seele, der in den schatten des unbewussten gedrängt wurde. Zur reife der persönlichkeit gehört es, sich die kräfte und triebe des schattens bewusst zu machen, also sie ins licht des bewusstseins zu bringen. Christlich gesprochen geht es darum, das unerlöste in uns in das licht christi zu bringen.
Zweitens: in der antiken religion der juden und der heiden bezeichnete der schatten die seele des toten. Das totenreich stellte man sich als schattenreich vor. Bei den juden war es die scheol, bei den griechen der hades. Erst im neuen testament, in der apokalypse erscheinen die toten als strahlend-herrliche heilige im himmelreich gottes. Der dichter klopstock sagte: wenn dir die toten erscheinen, erscheinen sie nicht als bleiches skelett, sondern als ein „weißer schatten“.
5.
die wahre klarheit ist die erkenntnis der himmlischen weisheit. Im buch der apokalypse wird das himmelreich mit einem kristallenen meer verglichen. Dabei geht es nicht um materielles wasser. Das meer ist sonst in der sprache der bibel ein synonym für chaos. Dass das meer im himmel klar wie kristall ist, bedeutet, dass all unser irdisches chaos (politisch, religiös, psychisch) von einer himmlischen klarheit abgelöst wird. Alles dumpfe, animalisch-triebhafte, chaotische, dumme wird abgelöst durch reine einsicht, himmlische erkenntnis und lichtvolle weisheit. Die klarheit ist auch eine beschreibung der erlösten seelen im himmelreich gottes. Sie sind voller erkenntnis, nicht mehr triebgesteuert, sondern rein vernünftig, nicht mehr dumm, sondern weise, nicht mehr blind, sondern gott schauend. Auch der am ende der zeit in der allgemeinen auferstehung der toten verheißene geist-leib, so nennt ihn paulus, ist von einer strahlend-herrlichen klarheit und lichtvollen schönheit. Nicht mehr der leib beherrscht die seele, wie auf erden, sondern die seele regiert den verklärten leib. Der verklärte geistleib ist leicht wie eine wolke, schnell wie ein blitz und strahlend wie die sonne und die sterne. Die lateinische theologie rühmt maria als femina clarrissima: allerklarste frau. Sie ist nicht von sünden befleckt, sondern ganz rein. Ein seher beschrieb die himmlische jungfrau maria so: unsagbare schönheit eines ganz lichten leibes in einem kleid wie aus transparentem kristall. Das ist der auferstehungsleib, der uns allen verheißen ist.
V
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten…
Hier redet der dichter 1. über die weisheit der märchen, 2. über die würde der poesie und 3. über den sinn der weltgeschichte.
1
die gegner des christlichen glaubens sagen: die bibel ist ein märchenbuch. Die verteidiger des glaubens sagen: die bibel ist kein märchenbuch. Natürlich ist die bibel kein märchenbuch, sondern das zeugnis von erfahrungen des eingreifens gottes in die reale geschichte der menschheit. Die geburt jesu ist kein zeitloses märchen, kein zeitloser mythos,sondern ein historisches faktum. Aber sowohl die gegner als auch die verteidiger verwenden das wort märchen für ein sinnloses lügengespinst, hohle phantasie für kinder. Das sind die märchen aber nicht. Zum einen sind märchen die poesie der völker. Um eine kultur kennen zu lernen, muss man ihre märchen kennen. Da sie volkspoesie sind, wurden sie von den romantikern besonders geschätzt, wie z.b. den gebrüdern grimm. Die romantiker waren so fasziniert von der poesie und weisheit der märchen, dass sie eigene kunstmärchen schufen, wie z.b. clemens brentano. Noch der achtzigjährige goethe las die märchen von 1001 nacht. Diese oft erotischen märchen sind ein meisterwerk der weltliteratur. Islamisten möchten das buch gerne zensieren. Auch in der psychologie spielen märchen eine bedeutende rolle, da man ihre immer wiederkehrenden gestalten wie könig und königin, prinz und prinzessin, jungfrau und ritter und drachen und sprechende tiere als archetypen odder urbilder der menschheit ansieht, große urbilder aus dem schatz des kollektiven unbewussten. Ein christlicher seelsorger mit tiefenpsychologischer ausbildung riet, das lieblingsmärchen der eigenen kindheit zu deuten in hinblick auf die eigene lebensaufgabe.
2
der ursprung der poesie liegt in der religiösen oder magischen zauberformel. Das lateinische wort carmen bedeutet sowohl lied als auch zauber. Die ersten gedichte waren beschwörungen der götter und geister. Die älteste poesie der welt, ob nun indisch, chinesisch, babylonisch, ägyptisch, griechisch oder germanisch oder amerikanisch ist religiöse poesie. Darum sagen die moslems: adam sprach im paradies in versen. Und papst johannes paul II sagte: der ausruf adams, als gott eva zu ihm führte, war die erste liebespoesie, und sein jubel klingt durch die liebespoesie der jahrtausende und aller völker fort. Und oft wird die liebespoesie zu einer heiligen mystik, wie im hohelied salomos oder in der persischen mystiker-poesie des mittelalters oder beim heiligen johannes vom kreuz. Die griechen und die europäischen renaissance-dichter sahen die poesie als ein mittel der verewigung und vergöttlichung des menschen, sei es nun des königs oder der geliebten. Dante wurde im paradies von den engeln begrüßt, indem die engel seine sonette an donna beatrice sangen.
3
weltgeschichte schreiben, bedeutet nicht nur fakten und zahlen aufzureihen, sondern den sinn der geschichtlichen ereignisse aufzuzeigen. Hat denn die weltgeschichte einen sinn? Hat sie einen anfang und ein letztes ziel? Die religionen und philosophien außerhalb der göttlichen offenbarung verkünden einen zyklischen zeitbegriff. Im hinduismus wird die welt immer wieder geschaffen, erhalten, zerstört und wieder geschaffen. Im hinduismus und buddhismus ist das leben ein rad der wiedergeburten. In der neuzeit verkündete nietzsche seine lehre von der ewigen wiederkehr. Im bereich der göttlichen offenbarung finden wir einen linearen zeitbegrif. Die welt hat einen anfang. Die materie ist nicht wie bei aristoteles und giordano bruno ewig, sondern hat einen anfang: im anfang schuf gott himmel und erde, oder es gab den urknall. Und die welt hat ein ziel. Die weltgeschichte ist bei den mittelalterlichen chronisten eingeordnet zwischen genesis, also schöpfung, und apokalypse, also weltgericht. Die weltgeschichte ist nicht selbst das weltgericht, wie im deutschen idealismus, sondern das weltgericht ist die göttliche vollendung der weltgeschichte. Die weltgeschichte ist heilsgeschichte. Ihr anfang kommt von gott, und ihr ziel ist die vollendung in gott. Christus ist in die weltgeschichte eingetreten (zur zeit des augustus und des pontius pilaus). Christus ist der herr und der sinn der weltgeschichte. Ein katholischer naturwissenschaftler nannte christus alpha und omega der evolution, also anfang und ende, und den „evolutionator“, das heißt, der christus-logos ist die innere triebkraft der evolution, der die evolution zu ihrem „omega-punkt“ führt, also zum göttlichen ziel. Und dieses göttliche ziel ist die „amoration“ des kosmos, dass kosmos und weltgeschichte vollkommen zum reich der liebe gottes werden.
VI
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Was ist dieses geheime wort? Alle theologen, mystiker, philosophen und dichter sind sich einig, dass das geheime wort „liebe“ ist. Der apostel johannes schrieb: gott ist die liebe. - aber was ist liebe? Es ist hilfreich, ins griechische zu blicken, denn da wird die liebe differenzierter betrachtet als im deutschen. Im griechischen gibt es vier begriffe für liebe. 1. die liebe der eltern zu ihren kindern, 2. die freundschaft, 3. die leidenschaftliche liebe zwischen mann und frau und 4. die selbstlos schenkende göttliche liebe (lateinisch caritas). All diese formen der liebe finden sich in gott. 1. die elternliebe: gott wird als liebender vater und als zärtliche mutter dargestellt. Die menschen sind geliebte kinder gottes. 2. die freundschaft: jesus nennt uns nicht mehr knechte, sondern freunde. Salomo sagt: nimm dir die weisheit zur freundin. 3. eros: die propheten stellen gott dar als leidenschaftlich liebenden bräutigam seiner braut (seines volkes und der einzelnen seelen). Die liebeslieder salomos, das hohelied, besingen die erotische liebe zwischen gott und der bräutlichen seele. 4. die caritas: gott liebt uns, weil er liebe ist. Die prophtin hildegard von bingen sah die göttliche caritas als eine göttliche mutter mit dem jesuskind auf den armen, sie sah auch die göttliche caritas (magna mater caritas divina) im ehebett gottes.