DAS LIED DER HIRTIN

Von Torsten Schwanke



(Mai 1999/Mai 2004)


"Ich bin ein ros...

Berait zu warer minne."

(Des Minnesangs Erzvater)



I


Myrrha will ich singen, die Hirtin, und Daphnis,

Ihre Liebe füreinander. –

Am athenischen Hof des Tyrannen Demokrates,

Da war Myrrha,

Denn Demokrates hatte sie in seinen Harem holen lassen,

Wo der Magna Mater Priesterin

Die hübschen Sklavinnen frauenliebenden Herrschers beherrschte.

In den kühlen Marmorwandelhallen

Zirpten aufgeregt quer durch die stoische Ruhe

Die Mädchen, allesamt auserwählte Jungfraun

Aus dem griechischen Volke

Für den Herrscherhof Demokrates‘.


Drei der Mädchen saßen beisammen

Auf der grünen Sommerwiese

Im Innenhofe des Marmorpalastes,

Da die Fraun des Tyrannen wohnten:

Atalante, Melitta, Perinna.

Atalante war eine schwarzhaarige Dorerin

Unter reichlichem Silberschmuck

Und von hübscher Schlankheit,

Perinna trug rotbraune Locken

Und war ein wenig verschüchtert,

Melitta in der Flut derdunkelblonden Locken

Zeigte den rosigen Mund von zierlicher Schmalheit.


Da kam Myrrha herzu,

Sie trat zu den Fraun auf der Wiese,

Das Schmuckstück Demokrates‘,

Der in den letzten drei Wochen, seit er sie umwarb,

Nur für sie noch Augen hatte.

Myrrha, die Hirtin aus Arkadien,

Diesem schönsten Weideland der Schafe Griechenlands,

Myrrha, die Schöne:

Gold ihr Haar wie Weizenfelder,

Blau ihre Augen wie Himmel,

Prachtvoll ihr Leib und unvergleichlich

Und Gesang der Musen Myrrhas Stimme.


O Myrrha, was sangen da die anderen Frauen dir zu?

Sagte nicht die bittere Clio, Oberaufseherin ihres Harems:

"Den Daphnis, den träumenden Hirten,

Der da zwischen den Anemonen träumt,

Den laß du, Myrrha, der ist allzu träumerisch, ach,

Und ein armer Hirte dazu.

Aber nun, sprach Clio, bist du am Hofe Demokrates‘,

Da ist Reichtum und Macht zu Seiten seines Thrones,

Dem suche zu gefallen, Schwester Myrrha",

Sprach Clio, die alte, schon lang nicht mehr aufgesuchte Frau.


Atalante, Perinna, Melitta

Riefen der schönen Hirtin Myrrha zu:

"Freu dich, die du hier zwischen blauäugigen Veilchen wandelst,

Tochter arkadischen Sanges,

Denn Demokrates wird in dieser Sommernacht heimsuchen dich,

Zu umschlingen mit seinen leidenschaftlichen Armen dich,

Zu küssen dich mit dem Zwitschern seiner Lippen,

Dem Tschilpen seiner Zunge, dem Wachtelschlag seines Mundes,

Freu dich drum, du Tochter Arkadiens, Myrrha,

Denn seine Küsse sind heilsamer noch als Balsam,

Süßer noch als Nachtigallhymnen,

Trostreicher noch als Wein aus Chios,

Den schon Homer den Göttern geopfert."


Myrrha sprach: "Der Unbekannte vergebe dir,

Homer, du größter aller Dichter!-

Aber mir will die Leidenschaft des Tyrannen nichts bedeuten,

Mehr noch, sie kränkt das zarte Gemüt der Hirtin,

Die gewohnt ist mit Lämmern zu weiden,

Und nicht gewohnt, mit Wölfen zu spielen."


Clio, der Magna Mater Priesterin,

Oberaufseherin ihrer Haremsjungfraun,

Trat herzu mit würdigem Gang:

"O Myrrha, dein Name, der ists, der mich begeistert,

Denn es ist ein Klang so lieblich

Wie Öl vom Myrrhenbaum in Palästina,

Mit denen Könige ihre Füße salben

Und Philosophen ihre Häupter

In den Wandelhallen platonischen Akademien,

Jungfrauen ihre weißen Glieder für ihre Liebsten –

So du, o Myrrha, bist eine edle Salbe dem Herrn Demokrates.

Und nicht nur dem Tyrannen bist du lieblich,

Auch die Haremsfrauen im Garten der Magna Mater lieben dich sehr,

o Myrrha, denn du bist angenehm an Seele und weise an Geist –

Ja mit einer lieben Hirtenweisheit bist du angetan

Von deinem Unbekannten!"


"Ah", riefen Atalante und Perinna aus Einem Munde,

"Du bist uns eine schöne Freundin.

Denn wenn wir nicht wetteifern müssen

Um die Zuneigung unsres Tyrannen,

(Denn er ist nun am meisten dir zugetan),

Dann können wir ja Freundinnen sein

Und Spiele der Unterhaltung

Und des Ergötzens an müßigen Dingen spielen."

Es fügte Melitta hinzu:

"Und preisen die Statue unsrer Himmelskönigin

Mit den schönen Perlenketten gemeinsam!"


Und ein lieblicher würziger Windhauch rauschte

Wie zarter Taubenflug über die Wiese,

Denn nicht in Donnern sprach zu ihr der Gott,

Sondern im Liebessäuseln zu Myrrha.

Und die Veilchen neigten sich in zierlicher Anmut vor dem Winde

Und blickten aus ihren blauen Augenkelchen

Nach den Wirkungen geistigen Windes,

Denn da war ein süßes Zittern in den schönen Gräsern der Wiese.


"Sahest du schon", so fragte Atalante,

Des Tyrannen Gemächer, Liebreizende du,

Da er die Liebe üben will an deinen weichen Gliedern?" –

"Aber woher denn?" entrüstet sich Myrrha,

"Bin ich doch rein, jungfräulich,

Trotz allem widrigen Schicksal

Treu meinem lieben Hirten, dem Arkadier Daphnis.

Ihm spar ich Herz und Nieren und Glieder auf

Zum Tage meines Hymenfestes.

Mag Demokrates noch so sehr werben,

Mag er mich gar bestürmen, bedrängen,

Ich werd mich ihm weigern in stoischer Schicksalsgelassenheit,

In platonischer Wollust-Enthaltsamkeit

Und arkadischer Liebestreue zu Daphnis!"


Die Mädchen aber sprachen zu Myrrha:

"Du müsstest Demokrates‘ Lagerstatt sehn,

Da würde dein weibliches Herz in Schwäche erliegen

Und vor Hitze der Wonne zerschmelzen,

Denn sehr weich sind seine Taubenkissen,

Wie Wolken aus Seide und Duft,

Gar lieblich die Geruchs-Aromen seiner Bäder;

Lavendel liebt er über alles,

Und deinetwegen, o Myrrha, gewiß die Myrrhe!"


"Meinethalben", plusterte sich auf die hübsche Melitta,

"Liebt er Melisse, sie beruhigt sein Herz so gut,

Als er so stürmte vor Leidenschaft,

Denn es glühte ihm heiß und hitzig,

Wenn er meine Lippen sah und meine Schultern."

Sie warf sich die Locken in den Rücken

Und stolzierte davon wie ein Pfau, hochmütiger Eleganz.


Just in dem Augenblick schaute von fern

Der Herrscher Demokrates zu den Mädchen herüber.

Jene, die schon länger im Harem weilten,

Fühlten ihre Herzen klopfen;

Myrrha fühlte nur kühle Distanz.

Die andern, allen voran die schwarzgelockte Atalante, huldigten:

"O geliebter Tyrann! Demokrates, Herr!

Wende dich einmal wieder deinem Harem zu,

Den Schönsten deines Hofes,

Die dir mit höfischer Liebe huldigen wollen!"


Demokrates lächelte stolz und geschmeichelt

Über die Unterwürfigkeit seiner Schönen,

Denn sie bestätigten ihn in seiner mannhaften Mannheit:

"Ihr hübschen Geschöpfe, was denn könnt ich zu eurer Freude,

Zu eurem Ergötzen euch tun?"


Clio, die Äbtissin der Heidenmädchen, lispelte leise:

"O geliebter Tyrann, o Herrscher, deine Liebe

Macht den Mädchen die Herzen klopfen!

Dein Lächeln, das läßt ihre Seelen lachen!

Hast du an ihnen Wohlgefallen,

So jauchzen ihnen Geist und Sinne,

Sie sind fröhlich in deiner Freude!

Gib einer von ihnen einen Kuß,

Und alle werden rasen vor Eifersucht;

Und küss eine jede, und jede will die Einzige sein!"


Demokrates lächelte weiterhin stolz wie ein Hahn

Und geschmeichelt wie ein Jagdhund.

Er sah zu Myrrha, der Schönsten, und fühlte...

Ihm fehlten die Worte.



II


Zu den Haremstöchtern redete Myrrha

Mit ihrer Stimme, die klang wie Quellenrieseln,

Nachtigallen, Meeressand zwischen den Fingern:

"Frauen, was seht ihr so scheel auf meine Haut?

Sicher, ich bin weiß wie Milch,

Wie die Milch der Magna Mater,

Weiß wie der Schnee auf dem Berge Athos

Oder der ewige Glanz auf dem Olymp.

Ihr könnt euch rühmen der schönen Bräune eurer Haut,

Die dem Tyrannen so wohl gefällt,

Doch mich hat nicht einmal die mondenmilchige Weiße meiner Haut

Vor seiner Verfolgung bewahrt.

Bin ich auch weiß wie die Seide aus China,

Weiß wie das Elfenbein an dem Turme des Libanon,

Weiß wie die Einhörner der iberischen Kelten,

So bin ich dennoch lieblich!

Ja, meinem Liebsten gefällt die feine Blässe

Meiner Mädchenhaut wohl."


Die Mädchen sprachen: "Hast du denn nie

Iin dem Blick der Sonne dich deiner Glieder ergötzt

Und gebadet in den Quellen Arkadiens bloß,

So wie du geschaffen,

Daß du werdest bräunlich an deiner Frauenhaut?

Oder pflegtest dich heimlich zu stehlen

In den Schatten, in die Hütte,

Wenn andere Arbeit taten und gingen mit den Herden, Hirtin,

Im Schweiße des Angesichts; sag uns, wo du da warst."


Myrrha sprach: "Ich ging wohl im Augenwerfen der Sonne auf mich,

Durch die Reihen der Rebstöcke ging ich

Und pflückte mir in einen großen Korb auf dem Rücken

Die reifen prallen Trauben, im Mittag noch ruht‘ ich nicht,

Sondern holte die Ernte ein im Weinberg

Meiner ältern Brüder Menon und Lukas,

Aber meine Haut blieb dennoch ein Weinberg,

Dessen Trauben nicht reif und dunkel wurden;

Als hingen weiße Milchtropfen an den Zweigen,

So erntete Trauben ich, verbrachte meine Zeit in der Sonne.

Aber ihr Frauen, mir kommt ein Gedanke:

Auch Frau Sonne im Mittag ist strahlendweiß im Angesicht."


Myrrha erhob sich und wandelte seitwärts zum Akazienbaum,

Der am Rande des Innenhofes seine Zweige schattend gebreitet,

Unter diesem Baume ließ sie sich nieder,

Holte ihre Panflöte aus der Kordeltasche und blies hinein,

Und ließ die Gedanken schweifen wie träumerisch Gewölk im Sommerwinde

Und sprach dann leis, als flüstere sie sich selbst ins Ohr:


"O geliebter Daphnis, mein reiner Hirte,

Sage mir, wo bist du jetzt? Sieh,

Ich habe solche Sehnsucht nach deinen starken warmen Hirtenarmen,

Daß sie mich umschlingen! Verschlingen will ich dich, Liebster!

Du, Liebe ist Sehnsucht nach Nähe.

Ich habe Sehnsucht nach deiner Nähe.

Ich bin eine näheliebende Frau,

Deren Seele Einheit und Verschmelzen sucht

Mit aller Leidenschaft des Gemütes.

Bist du jetzt im hohen Mittagsschatten unsrer breiten Liebeslinde,

Umsäuselt vom linden Lüftchen,

Und redest mit dem Liebling deiner Seele, dem Unbekannten?

Darf ich zart und zaghaft wie ein süßes weißes Täubchen

Mich dir nahen und schnäbeln mit deinen Lippen,

Die girrende Worte mir lispeln,

Mein Liebster, darf ich? O Liebe!

Ich hab dich lieb von Herzen,

Mit meines Gemütes Traurigkeit

Am Hof des Tyrannen sehn ich mich zu dir,

Zu dir, geliebter Daphnis,

In den Lindenschatten deiner Hirtenweide!"


Myrrha strich mit ihren feinen weißen Fingern

Sanft und zärtlich und träumerisch

Über das blaugrüne Laub der Akazie,

Wie ein Vorspiel zart,

Wie ein Saitenspiel der Liebe leis und innig liebkosend,

Denn sie träumte vom blonden Haar und Barte

Des geliebten Hirten,

In dessen Weichheit sie spielerisch liebkosend wühlen wollte.


Sie warf sich den purpurnen Schleier,

Von transparenter Glut,

Ums Haupt und ging wie eine verschleierte Jungfrau,

Eine Entsagende, Trauernde, eine Vestalin,

So ging sie durch die vielen Schleier,

Die im Innern des Elfenbeinturmes

Um die ebenhölzerne Wendeltreppe wehten

Und flatterten als wie Heeresbanner herrlich

Und wie Nachtfalter schwärmerisch zart,

Und trat ins Obergeschoß und seufzte.


"Ach", seufzte sie am Fenster

Und schaute in schöner Schwermut

Und Liebe voller Wehmut

In die Fern‘ der athenischen Landschaft,

"Ach so fern ist mein geliebter Daphnis,

Daß ich ihn nicht herzen und küssen kann.

Mir ist so wehe, als rönne der Scheidefluß

Zwischen Toten und Lebenden zwischen uns hin, die kalte Lethe,

Denn ich kann nicht halten Daphnis zu meinem Troste

In meinen begehrenden Armen und pressen den Liebling,

Meinen Freund an mein glühendpochendes Herz!"


Und ihre himmelblauen Augen,

Strahlend wie Sommermittag,

Verloren sich glänzend in weißen Wolken,

Und sie wandelte als wie eine Hirtin

Mit dem Meer der trottenden Schafe,

Alle auf demselben Weg, auf Abwegen keins,

Und zog mit ihnen in die Ferne

Zu den blauen Blumenwiesen

Und den kristallenen Lebensquellen,

Wo Tropfen quollen wie demantene Liebesperlen.


"Daphnis, wenn ich jetzt im Geiste suche,

So bin ich nahzu irre,

Ich seh deinen Freund, seh Agathon

Mit dem Ziegenbart und der steifen Gestalt,

Halb Mann halb Ziege, und seh Pylades,

Den aufgeschwemmten Jüngling,

Der mir so frech auf die schönen Brüste stiert,

Wo aber bist du, geliebter Daphnis, daß ich dich finde

In den Phantasiegefilden meines Tagtraums,

Schöner und lieber und guter Daphnis."


Aber das hörten Melitta, Atalante, Perinna,

Das Liebesgeseufze der einsamen Turteltaube,

Und lächelten spöttisch und riefen herauf

Zum kleinen Fenster des Elfenbeinturmes:

"Oh du Wunderschöne,

Du vom Lande gemolkene Schönheit,

Willst fliehn die Herrlichkeit des schönsten Palastes in ganz Athen?

Willst zurück zu Böcklein und Wildsau

Und dich suhlen bei strömendem Regen in Schlamm und Ziegenkot?

Närrin du, du mit deinem Ideal von Einfalt und Armut,

Weißt nicht zu schätzen dies kostbarste Schloß der höfischen Liebe!

Fürstin könntest du werden

Und herrschen als Erste Hetäre

An der Seite des Tyrannen Demokrates,

Ganz Griechenland verehrte dich mehr

Als einst Sparta und Troja die schöne Helena ehrten.

Myrrha, würde man sagen, ist die erste Frau in Griechenland.

Aber du willst zurück ins Dorf zu deinen Sauhirten?

Törichte Närrin du, Myrrha,

Naiv und albern ist dein Sinn!"


Myrrha ward rot von schönstem Schamrot.

Ebenso schön ists, im weithin verschneiten Arkadien,

Mitten in einsamer Hirtenidylle,

Eine purpurnes Blutes erblühende Duftrose prangen zu sehn.

O Myrrha, Daphnis ist nicht zu Unrecht

So ganz und gar von dir entzückt!



III


Demokrates trat lachend in die obere Kammer,

Selbstsicher trat er zu Myrrha,

Die eben noch zärtlich und weich sinnierte,

Blühend wie ein tränendes Herze,

Weiß vor Keuschheit, rot vor Sehnsucht,

Mit einem Herzen, blühend wie brennende Liebe,

Wie ein Stern, der Morgenstern

Aus dem Feuer der Leidenschaft des Gemütes,

Zart und fein wie Mädchenanmut.

Anders Demokrates, er kam wie ein Held,

Ein Eroberer, Sieger, Triumphator,

Und sprach zu seiner neusten Eroberung so:


"Myrrha heißest du, Schöne?

Such dir eine Stute aus meinem Gestüt aus,

Ich habe pythische und olympische Stuten,

Siegreiche Hengste aus Marathon,

Arabische Hengste und Renner von Kos,

So such du dir nur eines aus.

Meine weiße Lieblingsstute,

Die schöne Kalliope, sie ist nicht so herrlich wie du!

Wenn sie zittert und dampft im Rennen,

Dann ist sie zahm im Verhältnis zu deiner holden Wildheit,

Zu deinem geisterfüllten Zittern, o Myrrha!

Kalliopes braunes Auge ist weich und träumerisch,

Aber schöner dein Auge, Myrrha,

So eine feine zarte Sinnigkeit ist in deinem Blick,

So zärtlich-innig und zartselig blickest du, o Geliebte!

Deine Augen blühen wie blaue Violen,

Welche Morgentau schluchzend zum Vater Äther schauen..."


Myrrha zuckte zusammen:

Hatte doch auch ihr reiner Daphnis

Ihre Augen blaue Blumen genannt, Vergißmeinnicht...

Und sagte nicht Daphnis vom ersten Tag an zu ihr: "Mein Einhorn?"

Warum äffte dieser Lüstling Demokrates also äffend-ähnlich

Die reine menschliche Liebe ihres Daphnis nach?

Welcher Dämon inspirierte diesen Frauenhelden,

Der die Liebkosungen zischte,

Welche so ewig jugendlichschön ein himmlischer Genius

eingeflüstert dem reinen Hirten? O Daphnis!


Da hob Demokrates wieder seine Stimme,

der große Tyrann, und sprach mit markigem Stimmenton:

"O Schöne, in meiner Lieblingsstute Mähne flocht ich bunte Zierbänder,

Und sie standen ihr wohl.

Wenn sie rannte und raste und schnaufte,

Flatterte ihre prachtvolle Mähne im Sturmwind,

Da war vor lauter Zierband der Sturmwind ein bunter Sturmwind,

Ein Wehen von bunten Kügelchen, aufgereiht an bunten Bändern.


Meinest du nicht, du Schöne, o Myrrha,

Daß dein weizenblondes Haar noch herrlicher wäre,

Wenn perlmutterne Perlen hineingeflochten würden?

Rosiger Schimmer wie von eben erblühtem Mohn

Im Weizenfelde deiner feinen Strähnen? Und wehte dein Haar

Und flösse dein Haar in lauter Wildheit und Raserei mir hin,

So wärs wie Feuer und Gold und Morgenröte, o Myrrha!"


Myrrha stutze innerlich, denn sie dachte:

"Wie oft hat der Tyrann wohl schon

Den Mädchen Perlenschnüre ins Haar geflochten?

Lieber ist mir mein Daphnis, dem ich die Einzige bin,

Er nannte mich seine wunderbare Perle."


"Myrrha, Myrrha, Myrrha!

Du bist mir die schönste Perle des Mittelmeeres,

Schöner als selbst die Liebe Frau vom Mittelmeere,

Die auf einer perlmutternen Muschel daherrauscht -

Sieh hier diese Kette, wo mein Künstler

Die erlesensten Perlen an einer Baumwollschnur aufgefädelt,

Denn ich gab ihm den Auftrag letztes Jahr,

Als ahnt‘ ich, daß du kommen würdest,

Du schönste Perle des Archipelagus, Myrrha!"


Myrrha zeigte dem Tyrannen trotzig das schlichte

Schöne Freundschaftsband,

Das Daphnis ihr geflochten

In einer romantischen Abendstunde,

Da seine Lämmer grasten und er träumerisch lag im Grase.

Das zeigte sie dem Tyrannen und sprach:

"Das ist der schönste Schmuck, den es geben kann auf der Erde.

Schöner kann mich nur der Unbekannte

schmücken mit dem Schmuck seiner Liebe!"


Demokrates ließ sich nicht irremachen,

Denn er war sich seines Reichtums

Und seiner verführerischen Wirkung sicher und pries:

"O Schönste meiner Frauen,

Sieh hier die Goldplättchen an dem Silberkettchen,

Das ist vom ersten Kunstschmied aus Kleinasien hergestellt,

Edleres findest du nimmer. Dies sei dein,

Wenn du mir lieblich die Liebe erklärst."


Der Tyrann zog sich zurück auf seinen Regierungssitz,

Da er auf seinem halbrunden Diwan

Mit seinen beiden Beratern Alexis und Menelas saß und ratschlug.

Dieweil aber seufzte Myrrha, seufzte und seufzte,

Voll der melancholischen Schwermut, und seufzte nach Daphnis:


"Wie der Honigtau der Bienenfreundin,

Der herzerfreuenden Freundin Melisse,

Ist mein Freund, gar süß und goldig, gar lieblich

Und eine Ruhe und holde Unruh für mein Herz.

Du meine Freude, du mein Herzeleid!

Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust;

Als da ist die Seele, die seufzt nach dir

Voll Sehnsucht nach ihrem Daphnis, dem blonden Hirten,

Und die andere Seele ist bang und zaghaft,

Fürchtet vor Lieben und Geliebtwerden, ach mein Daphnis!"


Myrrha kullerten einige salzige Augentropfen

Aus ihren Vergißmeinnicht, ihren Liebesgrotten,

Sie trocknete sie mit dem kleinen Finger der linken Hand,

Voll holder Anmut, zarter Bewegung, und seufzte wieder:

"Ach was bin ich so melancholisch an diesem blauen Abend,

Wehmütig wie der dunkle Dämmer umher

Und schwermütig wie die silbrigen Abendschwaden

Üüber den blaugrünen Wiesen der Einsamkeit,

Da traurig die Mohnblume schlummert im müden Winde.

Ach Melancholie! Ach Daphnis!"


Sie fühlte ein wärmendes Handauflegen des Unbekannten,

Dessen Geist eine wohlige Ruhe legte ihr auf die zitternde Seele,

Ein Nachhausekommen und Heimatfinden,

Ein Empfinden wie nach einem Kelch voll süßen Weines,

Voller Frieden der Seele und des Herzens,

Denn es zeigte der Gott ihr den sanften Hirten,

Wie er träumerisch weich bei zarten Lämmern

Im Abendfrieden fromm und selig ruhte.

"Ach Daphnis! Mein frommer Bruder,

Mein sanfter Hirte im Abendflaum der Weiden!"


Dann legte sich die melancholische, ach,

Vor einsamer Liebe trübsalssinnige Hirtin

Auf ihre Kissen, kein weiches riechendes Lammfell, ach,

Sondern Purpurentendaunen in Seide, verziert mit Brokat,

Und schlummerte sanft hinweg,

Das Leinensäckchen mit Rosenblättern, ihres Daphnis Geschenk,

An ihren schönen Busen pressend, ihr müde klopfendes Herz.


Am Morgen färbte sich der Horizont die Fingernägel

Und Haare rot mit der Paste der Hennablätter,

Die Sonne trug einen Strauß von Zyperblumen zum Tag,

Wie eine Braut ihrem Bräutigam Hennablüten bringt,

Eeine Hennablüte von der Süßwasserquelle:

Daphnis, der blonde Hirte,

War eine Hennablüte von der Süßwasserquelle,

Und seine Küsse, die waren der frische Lebenstau

Einer Süßwasserquelle von Elysium, seine Morgenküsse,

Wenn sie morgens gingen freundschaftlich in Arkadiens Auen,

Waren wie tschilpende Spatzen, seine Küsse

Waren goldene Söhne der Freude.


Aber Demokrates trat

In der schwärmenden Myrrha Ruhezelle,

Da sie gerade lispelte ihr Gebet zum Unbekannten,

Er störte: "Myrrha, schön wie der Morgen, schön wie die Sonne,

Die sich Rosenperlen ins Haar steckt auf goldenem Muschelkamm,

So schön wie schneeweiße Tauben,

Vom purpurnen Morgengewölk süßduftend angelächelt,

Vom Morgensterne wie von rubinenen Diamanten angestrahlt,

Myrrha! deine Augen,

Jung wie Sperlinge, rein wie Tauben,

Klar wie Bergseen, blau wie Himmel,

Licht wie Unsterbliche, Myrrha,

In deinen Augen will ich meine Blicke weiden

Und leben lassen als in elysischen Gärten!"


Ach“, dachte Myrrha, "seine Worte fließen wie Öl,

Sein Maul trieft wie fettige Butter,

Aber sein Geraspel von Süßholz macht mich früh am Morgen schon

Ganz melancholisch, o Gott!"



IV


Am Vormittage spazierte Myrrha

Von den Haremshallen fort einen schmalen Fußweg,

Ihre Füße in goldnen Sandalen

Spielten mit kleinen Kieselsteinen.

Am Rande kam sie vorüber einer alten Eiche,

Die sich männlich-mächtig erhob;

Drei Männer braucht‘ es, sie zu umfangen.


Hinter der Eiche weideten Schafe,

Myrrha hüpfte das Herz.

Da war ein weißes Mutterschaf,

Ein weißes männliches Lamm,

Ein grauwollenes Schaf mit schwarzem Kopf und Beinen,

Ein braunes Lamm und ein schwarzes Schaf.

Sie fraßen von den langen Gräsern

Und machten Myrrha wehmütig, heimwehkrank.


"Ach Daphnis, hier wohn ich

Zwischen Seide im Elfenbeinturm,

Mit dir aber lag ich träumend

Zwischen Eichen und Linden in den Gräsern,

Du erzähltest mir die Reden deines Großvaters wieder:

Siehe, sagtest du mir, o Myrrha, siehe den Klee:

An einer Kleeblume - das ist der Unbekannte –

findest du drei Blätter - Theos, Logos, Pneuma.

Von allen Seiten umgibt dich

Und liebt dich der schöne Gott. Und ich lieb dich auch,

Myrrha! sprachest du, Daphnis.


Ach Daphnis, zarter Daphnis, du bist so fein,

Dein Bart so weich wie Gras,

Das so hauchfein und flaumweich weißduftendes Rosa

Mit wolligweicher Pastellzartheit blüht.

Deine Zähne sind weiß wie die Milch des Mutterschafs

Oder die weiße Blüte des Klees.


Hülle noch einmal, wie du am kühlen Abend

Mir gedichtet, mich in den blühenden Frauenmantel.

Lächle mich an so zart wie die Nymphenrosen,

Die zarten rosanen Grazienrosen, welche schön sind und licht.


Wie gerne ging ich wieder mit dir in den Wald,

Wie am Abend, da deine Schwester,

Die goldene Pythonissa mit uns ging,

Ihre feinen Lippen wie Blüten der Grazienrosen lächelnd.

Und die Abendsonne glühte

Durch die dunklen Stämme der dichten Fichten.

Auf weichem braunen Waldboden tanzte

Unsre verliebte Jugend schwärmerisch mit den Fackeln.

Leise waren unsere Kosereien,

Daß wir die zärtlichmütigen Rehe und Hirschkühe,

Einhörner und Zentauren nicht erschrecken.

Wir gaben lachend Antwort

Dem köstlichen Rauschen der Waldtauben,

Welche ebenso girrten wie wir.

Pythonissa pflückte, die füllige Schöne,

Uns einen bunten Strauß; Euch Verliebten! sprach sie

und zeigte uns Wiesenkerbel und Schafgarbe weiß,

Purpurea und Klatschmohn rot.

Du, herziger Mann, wurdest kräftig vor Lebensfreude

Und warfest Stämme quer durch den Wald

Und riefest: Meine brennende Liebe!

Bären und Löwen ring ich nieder für Myrrha, Liebe! –

O Daphnis, du kerniger Held, du Heros meines Herzens!"


Nun sandte der Tyrann Demokrates einen Boten,

Einen Eunuchen des Himmelreichs von Harem,

Mit einen Brief an Myrrha:

"Demokrates, der Tyrann von Athen, er sendet an Myrrha,

Die Erste seiner Frauen, diese Schmeichel-Ode:

Herrliche, du bist eine Bohnenblüte zwischen Bohnenstangen,

Eine Purpurea zwischen Nesseln.

Dich hab ich erwählt mit dem Feuer meines Geistes

Und der lodernden Flamme meines Fleisches.

Komm in meine Privatgemächer,

Ich will dir dort ein Lager bereiten.

Du sollst Pindar in die athenische Zunge übertragen

Und Sapphos Lieder zur Lyra singen.

Ich will dir Frauen suchen,

Die deinem sterbenden Gott, dem Unbekannten mit dir hulden.

Komm, o komm und laß uns eilen, o Myrrha!"


Dieselbe zerriß den Brief mit der feuchten Schmeichelei

In tausend Fetzen und warf sie ins Feuer.

Sie schlug sich unter zornigen Tränen auf die Schenkel

Und begann, den Hirten Daphnis zu preisen:


"Mein Liebling, der Sohn des Unbekannten, der Hirte!

Er ist wie ein Pfirsichbaum unter verwilderten Judasbäumen!

Seine Frucht, seine Liebe, ist süß.

Und seine Küsse munden meinem Gaumen

Wie eine frische Sommerfrucht.

Seine Zweige voller Laub und feiner Blüten

Werfen kühlen Schatten in der Mittagshitze,

So angenehm ist seine Gegenwart,

Er ist herrlich erfrischend.


Seine Lippen sind köstlicher als der beste Rotwein aus Zypern.

Er führte mich auf die weinlaubumrankte Terasse seiner Liebe,

Unter den trunkenen Abendhimmel der Wollust seiner Seele,

Zum Tavernenzeichen seiner Treue -

Dem immertreuen Schwan des Gottes der Dichter -

Und pries mir mit Perlen auf der Zunge den Einzigen:


Der ist die Liebe und segnet unsere Liebe!

Seine Liebesfahne in Purpur mit der weißen Liebestaube

Flattert über uns im Zephyr des Lenzes!

Und trunken wurd ich von süßen Küssen meines Daphnis,

Wie von Frühlingswindes Küssen, Geistes Küssen,

Zyprischem Weine gleich an Stärke und Süße.

Mir tanzten bei seinen Küssen die Sterne vor Augen,

Die Perlenkette der Nacht,

An der sie abzählt die fünfzehn Lobpreisungen göttlicher Liebe

In dem Herzen des Unbekannten!


Evoe! Gott! O küssen möcht ich

Das Elysium und Arkadien, Gärten des Himmels,

Wo Daphnis in seinen Liebesträumen mit mir weilt

Und weidet unter Pfingstrosen wohl in feuriger Liebe,

Liebe gleich einem Flammentanz seliger Genien,

Töchtern der Freude, Töchtern Elysiums, Töchtern Gottes!

Mir ist elend vor Sehnsucht,

Ich bin krank vor Liebe zu meinem guten Hirten!“



V


In Arkadien, in der Hütte ihrer Ferien, schlummerte Myrrha,

Die schweren weißen Lider gesenkt

Auf die blauen Diamanten ihrer Augen,

Die weichen Nasenflügel zitternd.

Ihr hoher Busen wölbte sich, hob sich und sank mit leisem Atmen,

Sie wendete sich von der linken auf die rechte Seite.

Draußen um die Hütte lagen die Hühner und schliefen auch.

Aber da der Morgen nahte, fing der Hahn an zu krähen.

Er hatte ein prächtiges rotes Gefieder und einen rubinroten Kamm,

Der wie Flammenzacken sich auf die Morgenröte reimte.


Gleich, da sie erwachte, dachte Myrrha

Voller Sehnsucht an ihren Geliebten:

"Daphnis, du Gottesträumer, du Hennablüte,

Du bist kein trauriger Taugenichts,

Bist ein Liebling des Unbekannten!

Und mein Liebling auch! Oh, wie ich dich vermisse!

Geh ich an den See Cyane in Arkadien hier

Und bade meine milchigen Frauenglieder in kristallener Klarheit,

Denk ich an dich, daß du im Lorbeerstrauch

Mit geschlossenen Augen auf mich wartest

Und mir zuwirfst einige Leinenhemden und einen langen Rock,

Daß ich mich bekleide in Weiß und Blau,

O du mein Lieber, schau mich an, schau mich an, mein Lieber,

Aber schau mich keusch an und nicht mit geilen Blicken,

Denn mein Herz ist bang und fürchtet sich vor Liebe!

Daphnis, du wirst Rücksicht auf meine Furchtsamkeit nehmen?"


Mit einem Gänseblümchen in der Hand

Saß Myrrha in der Hütte bei einem Kruge Milch

Und zählte pflückend Blütenblatt um Blütenblatt:

"Er kommt, er kommt nicht, er kommt, er kommt nicht,

Siehe, er kommt! Mein Geliebter kommt!“

Tatsächlich sah sie aus dem Fensterloch

Und sah von Ferne Daphnis nahen,

Von weitem erkannte sie ihren blonden Hirten

Am melancholisch-dunkelblauen Kleid.

Aber er war so froh und in solcher Freude,

Daß er hüpfte wie Chiron, der Meister der Zentauren,

In seiner Jugend, voller Frohsinn, wie ein törichtes Närrchen,

Tanzend wie eine Glockenblume im Winde hin und her,

Springend wie ein verliebter Hase kreuz und quer,

Wirbelnd wie Pusteblumensamen, wenn der Wind mit ihm spielt.

Daphnis, Daphnis, wie hüpften nicht nur deine Glieder,

Dein heißes Herze hüpfte vor Wonne,

Denn Wonnen wie der Pedhieos-Strom dein Mannesherz tränkten,

Jugend und Rosenblust und Morgenglut war dein!


Oh Daphnis, du sahest deine Myrrha!

Endlich sahest du sie wieder!

In vollem Weizengold und Himmelblau,

Eine fröhliche Hochzeit von Himmel und Erde

War Myrrha, die selige Jungfrau!


Ihre blauen Diamanten, Meeressterne,

Funkelten als wie luftblaue Feuer, sprühend vor Geist

Und fließend vor lauter Seelenfülle.

O Daphnis, tauche in die blauen Teiche,

Die blauen Kornblumen ihrer Augen,

Bade voller Wollust in den Wasserpforten ihrer Seele,

Und spiele in dem Blond ihres Weizens,

Duftend nach Mohnmilch,

Ihrem Haar sprich Liebkosungen zu,

Verwebe dich in Netz und Flut, o Daphnis, Verzückter,

Und versiegle den Liebesbrief ihrer Lippen

Mit dem blutroten heißen Siegellack deines Kusses! –

"Myrrha, komm, mein Mädchen,

Laß dich leis und sanfte küssen, Liebe!"


Wie lange hatten sich die Beiden nicht mehr gesehn!

Welche Schmerzen aus trauriger Trennung

Fanden nun Heil in einem Händespiel zärtlichsinniger Liebe,

Der zärtlichen Lust am Tasten und Verflechten.

Myrrha, Geliebte! Daphnis, Geliebter!


Wie stauntet ihr einander an,

Ob all die holden Phantasien der Einsamkeit

Der Wirklichkeit entsprachen?

Ob der Mund so weich? das Auge so licht?

Das Haar so fein? die Hand so zart?

Der Busen so rund? die Linie auch so melodisch?

Und die Stunden, die jetzt kamen, waren Stunden der Sprache,

Des Vertrauens, verständnisvoller Wechselrede,

Der Vereinigung ihrer Seelen in Minne,

Des Staunens, des harmonischen Schweigens,

Des Schnäbelns und Girrens und Turtelns.


Die Turteltaube fühlte ihr heißes Herze klopfen

Und ihre Brüste beben.

Die Nachtigall sang eine leidenschaftlich glühende Hymne

Der Liebe, ihres holden Wahnsinns,

Ihrer süßen Raserei, entzückenden Schwachsinns,

Ihres poetischen Schwärmens,

Ihres Reifens und Weisewerdens.

Der Schwan und die Schwanin sangen auf dem Cyane-See schön

Von Elysium und Seligkeit

Und der Herrlichkeit des Gottes der Liebe!

Die Lerchen mit goldenem Jubel neigten sich

Charismatisch singend im Palast der Morgenwinde

Vor dem herrlichen Licht.


Die Zier- und die Duftrosen blühten

Und glühten innig in den Balsambeeten.

Daphnis ging in den Balsamgarten

Uund pflückte eine seidige keusche Orchis für Myrrha

Und kleidete diese bloße Blume in einen Bund von Schleierkraut,

Von Tau zart duftend besprengt.

Und Daphnis biß in die Lippen Myrrhas,

Die wie reife Süßkirschen waren!

Und der Lenz sang sein Lied der Liebe,

Gesegnet vom Unbekannten und seiner schönen Liebe!



VI


Auf seinem Tragbett ward herangetragen der Tyrann,

Demokrates ließ sich bringen

Inmitten von veilchenduftenden Kissen,

In Seide und Samt und Brokat,

Ein Herrlicher, Prunk- und Prachtvoller,

Dessen Prozession umwölkt ward von Weihrauch

Und Duft von ätherischem Öl der Lavendel,

Zu bezirzen durch den Odem des Windes,

Der im Lenz die süßduftenden Blüten wachküsst.


Hochzeit zu halten mit der neusten Jungfrau,

Dem hübschen Landmädchen Myrrha,

War sein Begehr, des Tyrannen Verlangen.

Sie zu freien, zu herzen und küssen,

Sich zu berauschen an den Brüsten des jungen Weibes

Und ihr nahezusein und zu kultivieren die "Gnosis des Eros"...


Sein Tragbett war liebevoll geschmückt

Von den Töchtern Athens, den Musen,

Najaden, Nymphen, Charitinnen,

Verziert mit Marmor von Paros,

Zypressenholz Zyperns,

Ebenholz aus dem schwarzen Äthiopien,

Lapislazuli aus Ägyptens Nilland,

Gold aus Ofir, Schoham von Eden,

Bedeckt mit Tigerfellen aus Thrakiens Wäldern,

Bärenpelzen Mazedoniens

Panterfellen des dionysischen Nyssa.


Auf dem braungelockten Haupte

Über der sorgenvoll gefurchten Stirne

Trug der Tyrann seine Hochzeitskrone,

Die seine Mutter Pyrrha dem Tyrannen geschenkt.

(Pyrrha seine Mutter?

Und weil Myrrha sich reimt auf Pyrrha,

War Demokrates so verliebt in die schöne Hirtin?)

Alle seine siebenhundert Nymphen –

Dorerinnen, Achäerinnen, Spartanerinnen,

Asiatinnen und Ägypterinnen,

Trojafrauen und Tarsisfrauen,

Frauen aus Ausonien - alle,

Alle fürchteten seine Mutter,

Die in ehebrecherischem Lustverhältnis

Den Demokrates einst mit ihrem Adonis gezeugt;

Nur Myrrha fürchtete sich nicht vor ihr.


Wenn Myrrha "Mutter" dachte, dachte sie daran,

Den blonden Liebling Daphnis

In das Haus ihrer Mutter Doris zu bringen.

Wenn Daphnis im Hause von Myrrhas Mutter wäre,

säh er die Weide ihrer Kindheit und könnt ihr Bruder sein.


Aber Demokrates ließ die Sänfte des Tyrannen

Sich neigen vor der stillen Hirtin

Und hob an mit seiner vom Hofpoeten gedichteten Schmeichelei

Und dem Lobgesang auf die Schönheit Myrrhas:


"Liebe Fraue, deine Augen sind wie Teiche,

Wie der See Cyane in Arkadien, blau und klar,

Deine Augen sind in weißer Milchflut

Schwimmende blaue Fische der Liebesgöttin,

Deine Augen sind Sterne, auf denen himmelblaue Rosen blühn,

Deine Augen sind wie der Duft von Vergißmeinnicht,

Der über dem Schnee des Olympos schwebt,

Deine Augen sind besinnlich wie die Ode

Des Singschwanes an der Grenze zum Totenreich,

Deine Augen blicken freundlich

Wie zwei himmelblaue Amoretten, o Myrrha!


Dein Haar ist wie der goldene Faden an der Weizenähre,

Wie die Haarflut der Mittagssonne,

Blond wie meiner Mutter Blondheit,

Golden wie die Sandalen der Himmelskönigin,

Golden wie die Stimmbänder meiner Lieblingsnachtigall,

Die in eine persische Gold-Rose sehr verliebt ist,

Dein Haar ist wie der Schleier der schönsten Frau Griechenlands

In ihrer Jungfraunzeit, ich meine Helena,

Um deretwillen Troja unterging,

Aber dein Haar, o Myrrha, ist schöner als Helenas Schleier.


Deine Zähne sind weiß wie die Vliese palästinensischer Lämmer,

Weiß wie das Elfenbein der Elefantenkuh aus Kusch,

Weiß wie der Schnee auf dem Gipfel der Titanen, Ossas Schnee,

Weiß wie die Milch eines Einhornweibchens,

Weiß wie der Marmor von Cararra,

Vollkommen wie ein Schwanenpaar,

Ebenmäßig wie die Glieder eines Heroen,

Und sie können beißen

Wie die Zähne einer Hirtenhündin im Frühling.


Deine Lippen sind weichgeschwungene

Schaumwogen einer rosanen Muschel,

Sind wie fliegende Blüten betauter Rosenblätter,

Zarte Blüten des Mittelmeeres bei Morgenröte,

Deine Lippen sind köstlich wie Granatapfelwein,

Süßer als Nelkenwein von Zypern,

Deine Lippen sind rot, man muß sie küssen, Myrrha,

Zärtlich laß uns girren und turteln und schnäbeln,

Laß uns trunken werden vor Küssen!


Wenn ich dir in der zärtlichen Sprache der Inder sage,

Daß ich dich liebhab, Myrrha,

Dann sind deine Wangen rot wie die Scham der astralen Jungfrau,

Wenn der astrale Orion hinter ihr herjagt,

Rot wie die zarte Blüte des Ziermohns

Und weiß wie die Milch des Mohnes,

Aus der die Träume gesponnen sind,

Und deine Wangen sind wie Einhornblut und Taubenmilch,

Und sanft wie ein Weidekätzchen.


Dein Hals ist wie der singende Hals einer verliebten Schwanin,

Von holder Majestät und melancholischer Weichheit,

Dein Hals ist wie der Elfenbeinturm des Königs Theseus,

An dem zwei silberne Schilde hingen,

Die Magna Mater und den Heros zeigend,

So ist der Schmuck an deinem Hals, o Myrrha,

Wenns auch dir Zeichen deines Gottes sind,

Den du den Unbekannten, den Gott der Liebe nennst,

Und seiner Mutter, der Himmelskönigin, Myrrha,

Siehst du, Myrrha? dein Hals macht mich fromm.


Deine Brüste in ihrer jugendlichen Frische

Sind zwei goldene Äpfel aus dem Garten der Hesperiden,

Streng bewacht, o reine Jungfrau,

Zwei Vollmonde, zwei Magnolienblüten,

Jungfräuliche Reinheit duftend,

Reichsäpfel königlicher Jungfrau-Mutter.

Du bist die Makellose

In meinem sündigen Harem." Da schwieg Demokrates still,

Und Myrrha ward rot und ihr Atem flog.



VII


Der sanfte schönlachende Hirte redete seiner Hirtin,

Der Täuberich seiner Turteltaube

Worte der Koserei zu, beschwor sie:

"Myrrha, verlaß den Prunkpalast von Athen

Und komm herauf in unser Arkadien!

Schöner ists in Arkadien, wo wir zusammen sind.


Myrrha, Herzensdiebin!

Was kamst du zur Nacht

Mit Blicken wie fliegende Sterne

Und raubtest mir mein Herz?

Die Eule wurde mir zur Nachtigall,

Da du mir ein neues Herz gegeben.

Du schriebest meinen Namen in der Sprache der Skythen,

Du riefest den Unbekannten in Achäisch an,

Die Sterne wie weiße Freudenfeuer lachten süß herab

In unsre romantische Nacht, da gingest du fort

Mit meinem Daphnisherzen in deiner zärtlichen Hand.

In meinem Busen klopfte zärtlich fortan der Name Myrrha,

Myrrha, du süße Herzensdiebin!


Deine Blicke waren wie Diamantensterne

In der romantischen Wildnacht meines Herzens

Und zündeten an ein loderndes Süßfeuer

All in lauter honiggoldnen Flammen,

Sprühend wie orangenglühender Sternrosentau,

O geliebte Myrrha!


Meine Schwester, des Himmels süßsingende Tochter,

Du vom großen Wind befeuerte Sängerin,

Liebste, holde Hirtin, schönes Landmädchen,

Einzigartige Rose, Vertraute,

Du mit dem schönen Namen, Myrrha!

Du, wie herzlieb sind mir deine Worte:

Lieber! sagst du, ich solle dich vertraut mir machen,

Du vermissest mich und sehnst dich nach Umarmung

Und singst mir zu die dunkelmelancholische Tonart

Deiner goldnen Liebeslyra, Hirtin,

Meine Tochter des Gesanges, Muse vom Helikon,

Da du zwischen den Schafen ruhest mit der Harfe im Arm,

Myrrha, und wenn der große Wind deine Harfe anhaucht,

Singst du inspirierte Oden und Hymnen

Dem schönen Gott der Liebe.


Du bist ein Garten, Geliebte,

In dessen Laubgängen darf kein Ungeweihter wandeln,

Ein heiliger Hain, Geliebte,

In dessen labyrinthischen Wandelgängen

Nur ein Gottesliebling mit der Fackel der Liebe

Schwärmerisch wandeln und leise tanzen darf

Auf sanften Sohlen goldner Sandalen.

Du bist ein Zypressenhain der Melancholie,

Wo Liebe stark ist wie der Tod.

Du bist ein Veilchenbeet, wo die Lüfte süß sind

Wie vom Odem des großen Windes,

Des heiligen Geistes unsrer Mysterienlehre.


Du bist ein Rosengarten, Geliebte,

Da unter dornenlosen Rosen der Gott der Liebe

Als dein Bräutigam mit dir weidet.

Du bist ein Hain aus Hennablumen,

Die du mit mir verglichest, du Liebenswerte.

Du bist wie lauter Lilien,

In deren Kelchen voll Tau

Süßlächelnde Nymphen nackig baden.

Du bist ein Duftbaum aus Ceylon,

Ein Salböl aus Indien,

Sandelholzgarten ohne Schlange."


Myrrha gab Wechselrede, wie Pieriden-Musen,

Dem schönen Hirten, schön von Seele ihrem Herzen:

"Komm, o mein lieber Freund, in meinen Garten

Und pflücke dort den Tag deiner Jugend!

Sei wie eine Biene um die süßen Blüten meiner Linde,

Summe süße Gesänge,

Sei beharrlich und berausche dich am Blütenwein,

Der Linde Nektar, aber laß der Linde

Ihren frommen frohen Abendfrieden.


Freund meiner Träume, komm so zärtlich wie der Südwind

In meinen duftenden Garten

Und spiele mit dem aromatischen Duft

Meiner Persönlichkeit. Lieber Daphnis, du sollst leben!

Du sollst leben und schön sein

Wie eine Zypertraubenblume in dem Garten meiner Seele,

Wie eine Seeros‘ auf dem stillen Teiche meiner Seele,

Sei wie eine tanzende Blüte

Auf dem Springquell meines Herzens,

Krone und Schmuck du meines Innern.“


Und Daphnis gab zur Antwort: "Schöne, Sanfte, Zarte,

Wie ein Sturm bin ich gekommen,

Das Gewölk ist der Staub meiner Schritte,

Und bin mit Vollmacht und Segen an dein Tor getreten,

Dort sanften Frieden zu finden

Und leise meine rauhe Hand

An deine milchweiße Hand zu legen

Und zärtliche Koserei

Und girrendes Süßspiel auszutauschen mit dir,

O Myrrha, meine Liebe!"



VIII


In Athenas ehernen Mauern

Träumte Traum die Hirtin,

Da lag sie in zitterndem Schlaf, in zuckendem Traum,

Wie von der Milch des Wiesenmohns getränkt,

Und träumte von Daphnis,

Wie er kam von den Hügeln und Auen Arkadiens her,

Und wie er kam in romantischer Sommernacht an,

Da zwischen den Johannisbrotbäumen

Nymphen in weißen Gewändern tanzten

Und solche in den klaren Quellen badeten, nackt,

Die das silberne Mondlicht widerspiegelten heimlich.


Sie sah sein Haar, sein blondes,

Das er in der Mitte gescheitelt trug,

Und das naß war vom Nachttau arkadischen Sommers,

Und den lockigen Bart, der feucht war

Von den warmen Tropfen Taues der Sommermondnacht.

Er fuhr sich mit dem braunen Fingerkamm durch das Blondhaar

Und legte die Strähnen hinter die Ohren.

Einen Nachttropfen strich er sich

Von der feinen dunkelblonden Braue,

Als sei es an der Wimper eine Träne.


Und in ihrem Inneren, welches träumte süßen Traum,

Schaute die Schöne die Pforte ihres Marmorgemaches

Und hörte an der hölzernen Pforte ein Klopfen,

Welches unsichtbar Echo tausendmal wiederholte.


Aber Myrrha regte sich nicht auf ihrem weichen Lager,

Denn ihre Psyche sprach:

"Soll ich ihm jetzt schon auftun

Und nachgeben seinem Verlangen und willig sein

Dem Begehren seiner verliebten Seele?

Lieber will ich mich zieren und will zärtlich zagen

Und jungfräulichkeusch mich wohlgehaben

In schüchterner Blödigkeit,

Meine Mädchenangst ihm sagen ohne Worte,

Meine Angst vor leiblicher Nähe,

Denn vielleicht wirbt er dann feuriger, süßer,

Wie die Rosen im Abendrot glühn

Und Bienen Nektar schlürfen,

Vor lauter Sehnsucht und Verlangen?"


Da hörte sie in dem dösenden Dämmer ihres Innern

Wieder ein pochendes Klopfen und dann

Ein sanftes Rütteln an der braunen Pforte:

Daphnis wollte herein!

Da pochte ihr Herz im bebenden Busen

Vor Erregung und zärtlicher Unruh,

Ihr pochte das Herz in der Brust vor Sehnsucht und Verlangen.

Daphnis war ihr Begehr,

Ihn zu halten in den weißen Armen

Und zu pressen an das fliegende Herz,

Daß durch sanfte Liebe Ruhe einkehr in der Jungfrau Brust.


Also stand sie auf, mit zitternden Knien und fliegenden Händen,

Selbst im Traum voll Schwäche,

Und tastete sich durchs kühle Dunkel ihres Marmorgemaches

Voll liebender Hitze zur Pforte

Und öffnete, sah hinaus, doch - er war fort!

Es war zu spät, sie hatte zu zag gezögert,

Zu bang und lang gewartet, zu spröde getan.


Gleich rannte sie hinaus in die Nacht

Mit Trauer in der Kehle und Angst in der Brust

Und Sehnsucht im rasenden Blut,

Und eilte durch die labyrinthischen Gassen Athens,

Die Hunde hinter ihr her,

An den weißen Häusern mit den blauen Fenstern vorüber,

Die vor lauter Mondschein der Johannisnacht schimmerten,

Bis sie auf die drei Stadtwächter stieß.

Diese rissen ihr den Umhang von den Schultern

Und schlugen ihr seidenes Nachthemd und den schönen Frauenrücken

Mit zischenden Weidenruten wund.


Ihr Leib im Schlafe zitterte, zuckte vor Angst,

Denn sie rannte und kam nicht von der Stelle.

Da rief sie zu Hilfe den Unbekannten:

"Pneuma, komm, o sanfter Hauch,

und hauche mich an mit süßer Agape,

Heiliger sie als der Menschen eigensüchtiger Eros,

Hauche mich an mit des Gottes schöner Agape,

Daß mein Herze werde voll

Des Guten und Wahren, voll des Schönen

Aus den Händen der Schönen Liebe,

Daß unsterblich meine Seele sei in der Agape Gottes!“


Am nächsten Morgen besuchten die Töchter des Harems,

Atalante, Melitta, Perinna, ihre Mitgenossin,

Die fremde und sonderbare Hirtin aus Arkadiens Auen.

Voller Liebe war Myrrha,

Denn der Unbekannte hatte ihr Flehen gehört,

Und so sagte sie den Töchtern Athens,

Wie ihr Hirte war, der träumerische Liebling ihrer Seele:


"Wisset, ihr Töchter Athens,

Mein Geliebter ist wie Milch und Blut,

Jung und stürmisch, rein und feurig in seiner Seele,

Er ist tugendweiß und liebesrot,

Rot an Liebe zum Gott und zu seiner Myrrha.

Seine Augen rucken und gurren mit verliebten Blicken

Und schimmern wie das Gefieder von Turteltauben

Und sind reiner und liebevoller

Als die Tauben eurer Liebesgöttin,

Denn seine Augen schauen Gott an, der da die Liebe ist,

Dessen Geist in Daphnis Herzen ist sanft wie eine Taube.

Seine Augen sind graublaue Tauben,

Die im Milchteich der glückseligen Insel baden,

So wunderschön, so idyllisch und so lieblich!


Sein Bart ist parfümiert

Und duftet wie Ginseng aus China.

Sein Atem duftet bis in den Rachen hinein

Wie frische Minze aus dem Norden Kittims.

Seine Fingernägel sind schön wie spanischer Perlmutt.

Sein ganzer Körper ist wie die Elfenbeinschnitzerei

An dem Turm, in dem die Jungfrau saß,

Als der Allerhöchste erschien

Wie goldener Regen und Feuerzungen.

Seine Adern mit dem Blut des Lebens

Sind blau wie Lapislazuli aus Sais in Mizraim.

Sein ganzer Körper ist eine Zeder Arkadiens, stolz und herrlich.

In seinem Gaumen bewegt sich sonderbar schöne

Genienhafte Glossolalie, hymnisches Halleluja!

Er ist schön, ihr Töchter, schön."



IX


Zu der schönen Hirtin wandte sich rasend der Tyrann,

Rasend nicht vor Tyrannenzorn, sondern vor Leidenschaft,

Heiß wie der Hades, feurig wie Phlegeton,

Unwiderstehlich wie der schwarze Acherusische See

In der Unterwelt mit seinen starken Strudeln

Und seinem grausamen Sog.


Er sprach: "Du bist immer heiter und freundlich

Wie die Jonische See zu mir gewesen,

Und nun seh ich dich umwölkt,

Da bist du schrecklich wie ein persisches Heer mit Tigerbannern,

Wenn es gegen Salamis zieht. O Tag an Salamis Ufern,

Wenn die Heeresbanner schrecklich wehn und Speere fliegen:

Deine Blicke sind diese Todesgeschosse!


Du hast mich überwunden, Myrrha,

Nicht mit Henna und ägyptischem Lippenrot

Oder reizenden Haarflechten,

Wie all meine andern Frauen,

Sondern mit deiner lichten Reinheit

Und Tugend hast du mich bezaubert,

Denn du bist keusch wie eine Vestalin aus Rom,

Die ihre Jungfräulichkeit aufspart,

Dem Feuer ihres Gottes ganz zu dienen!


Tausend Frauen, sagt das Volk, sind in meinem Harem,

Schwarze aus Äthiopien, braune aus Indien,

Mänaden des Weingotts,

Dirnen der Liebesgöttin,

Töchter der Großen Mutter,

Aber du, o Myrrha, bist die Einzige von den Schönen allen,

Die den Unbekannten verehrt.

Außerdem sind die andern von Hennahaar

Oder griechischem Schwarz,

Aber dein Haar ist wie gesponnen aus der Wolle des Goldenen Vlieses.

Andre sind albern, mich zu ergötzen,

Aber du bist tiefsinnig wie ein Philosoph.

Andere schwätzen wie eitle Närrinnen,

Aber du redest in der Sprache der Dichter zu mir.


Melitta und ihre Bademädchen,

Atalante und ihre Schminkmägde

Und Perinna mit ihren Leierspielerinnen

Traten zu Myrrha und lobten sie,

So hatte Demokrates sie beauftragt,

Um die Hirtin zu locken und zu werben für den Hof,

Und also zirpten bezirzend die Frauen des Harems:


"Dreh dich im Tanz von Lesbos,

Im Jungfrauntanz, im Mädchenreigen,

Den Sappho zur Lyra begleitet

Und Erinna ihre Mädchen lehrt!

Deine Schönheit ist die eines goldenen Apfels

Vom Baum des hesperischen Paradieses!

Während du tanzt und Schleier fallen läßt,

O Schönste unter den Weibern,

Bewundern wir deinen Schritt

In den goldnen Sandalen der Himmelskönigin,

Voller Ruhe und Gelassenheit!


Deine Taille ist wie der goldene Armreif eines Phidias,

Den er einer Statue heimlich gestohlen,

Der seinen Arm um deine Hüfte legen will.

Dein Nabel, o schöne Frau, ist wie der Kelch vom letzten Mahl

Des Lieblings aller Unsterblichen,

Oder der Kelch, den Sokrates leerte,

In die Unsterblichkeit einzutreten,

Dein Schoß ist Diotimas Kelch,

Gefüllt mit zyprischem Würzwein,

Dem Trank der elysischen Lebensfreude!


Dein Leib ist wie Weizen, goldenweiß

Und voller Pracht und Reife und schönster Fülle,

Deine Brüste sind wie silberne Granatäpfel,

Die auf dem Monde am Baum des Lebens wachsen!


Du bist eine Orchidee aus Indiens Wäldern,

Die der Tänzer mitgebracht,

Der dich in der Rechten trug

Und in der Linken den Taumelkelch mit Freudenwein!

Du bist voller Pracht und Herrlichkeit und Schönheit,

Eines schönen Gottes schönes Ebenbild!


Deine Augen sind Quellen,

Sie sprühen kristallenes Licht,

Himmelblaue Lebenswasser,

Sie sind voller Anmut wie die kastalische Quelle,

Daraus die Musensöhne Begeisterung schlürfen,

Inspiriert zu werden vom göttlichen Feuer,

Denn in deinen Augen, den Spiegeln deiner Seele,

Lebt ein göttlicher Geist mit seinem Liebesfeuer!


Dein Haupt ist herrlich wie der Olymp,

In dessen ewigem Schnee die Throne der Himmlischen stehn,

Die dem Gott der Götter untertan sind,

Dessen Geist auf deinem Haupte ruht.

Dein Haar ist wie reines Leinen,

Welches die unsterblichen Seelen

Auf ihren Inseln der Glückseligkeit tragen.

In deinem Weizenblond wollt jeder Dichter gern

Träumend gefangen liegen und dichten

Vom himmlischen Garten-Elysium

Und seinen Töchtern der Freude!"


Myrrha aber trat zum Fenster

Und schaute voller Sehnsucht und bebendes Herzens

Hinaus in den Sonnenuntergang

Und dachte an Arkadien, dachte an Daphnis:

"Nun liegst du im Grase

Und schaust den pelzigen Hummeln

In den lila Honigblüten zu,

Ruhend in den Armen der Mutter Erde,

Über deinen Rücken spielt der laue Abendwind des Himmels,

Und du redest in illyrischer Zunge

Eine Lobeshymne auf den Gott der Götter!


Komm mit mir zu den Weinbergen,

Laß uns arkadische Reben keltern

Und schlürfen abendlichen Kelch

Geruhsamlieblicher Wonne,

Du Liebe voller Wonne!

Und laß uns wandeln über die Auen

Und reden mit den Lämmern,

Laß uns ihnen Liebes reden,

Laß uns schnalzen zu ihrer Freude!


Unsre Liebe ist frisch und lebendig wie Mai,

Der Wonnemonat, der Mond der Honigblüten,

Der Mond der Weiden, der grünen Weiden,

Der Mond der Himmelskönigin, der Monden-Monat,

Da das Feuer des Unbekannten vom Himmel her überfließt!


Laß uns einander Liebesäpfel von Liebespflanzen schenken,

Die in den Nächten und im Schatten wachsen

Und betäuben zu süßer Ohnmacht,

Aber duften wie Elysium

Und Hesperien oder Indiens Wälder!


Ach, wärst du mein junger Bruder,

Ich könnte bei dir sein und Hand in Hand mit dir wandeln

Und öffentlich vor allen Hirten dich küssen

Auf deinen Zuckermund, o du mein Daphnis!

Meine Mutter würd es gestatten,

Daß du in meine Kammer kämest

Und legtest deine sanften Hirtenarme, die sonst Lämmer tragen,

Um meine Hüfte und zögest mich zärtlich zu dir, Geliebter!“



X


Und nun kamen sie zu ihrem alten Dorf in Arkadien,

Hübsch am Hang gebaut, reich an bunten Hütten,

Umstanden von Fichten, Linden in Blüte,

Da sagte Daphnis: "Erinnerst du dich, meine liebe Myrrha,

Wie wir gesessen unter der blühenden Linde,

Die schon manch ein lispelndes Beten meiner Zunge gehört,

Aber die auch vernahm, wie ich deinen schönen Namen lobte:

Immer wollte ich meine Tochter Myrrha nennen!

Und wie ich pries den Goldflaum,

Den Pfirsichflaum auf deinem weißen Arm!

Da lächelte nicht nur das Volk

Der goldenen Schwärmer um den Liebesbaum,

Da lächelte meine Myrrha auch,

Lächelte lieb mit ihren hellblauen Augen."


Drauf sprach Myrrha:

"Du bist wie das Kettchen mit dem Hölzchen,

Das um meinen Hals vorm Herzen hängt,

Denn du bist ein Zeichen der Liebe

Meinem Herzen, ein Zeichen der Huld,

Und bist wie das Zeichen des Unbekannten

An meinem Handgelenk,

Du bist nicht nur dem Geheimnis meines Herzens nah,

Sondern auch meinen Händen.


Unsre Liebe ist stärker als Thanatos,

Wenn sie ihn auch hübsch bemalen,

Unsre Liebe ist unwiderstehlich

Wie die Unsterblichkeit unsrer Seele

Und wie Elysium droben im Himmel,

Sie ist unausweichlich wie der Scheidefluß

Zwischen dem Land des Todes und dem Land der Lebendigen,

Unsre Liebe ist heißer als das Feuer des Prometheus,

Heißer als das Feuer der ersten Olympiade,

Uunsre Liebe ist das Feuer Gottes!


Wenn die Metren der Dichter,

Die Perioden der Rhapsoden,

Die Künste der Lyraspielerinnen,

Die Weisheiten aller Platone

Und die Geschicklichkeit aller Phidiasse

Vergangen, dahin als Trümmer und Fragment,

Dann brennt noch das Feuer der Liebe unsres Gottes!


Ich hab Frieden gewonnen,

Weil ich nun wandle mit meinem Hirten unter der Linde,

Vor den Weinbergen, einzig mit dir, o Daphnis,

Und der Zärtlichkeit deiner Seele.

Laß uns beten gemeinsam

In dem uralten Dom der Natur

Zum Unbekannten, dem Schöpfer

Der Himmlischen, Menschen und Kreaturen!


Du magst meine Stimme hören,

Mein sanftes Flüstern, mein dunkles Gurren,

Mein Singen in lydischer Tonart zur Hochzeit?

Zwei sind besser als einer, sing ich.

Komm, laß uns eilen wie Einhörner

Zu den Hennabüschen zwischen den Weinbergen,

Da zu schlummern und zu träumen

Träume ewiger Liebe!"