EPOS
VON TORSTEN SCHWANKE
ERSTER TEIL
MARTIN LUTHER – MARIENS MAGNIFICAT
An Seine Durchlaucht, Prinz Johann Friedrich,
Herzog von Sachsen, Landgraf von Thüringen,
Markgraf von Meißen, meinen gnädigen Herrn und Patron.
Möge Euer Gnaden mein demütiges Gebet annehmen.
Der freundliche Brief Eurer Gnaden ist kürzlich
in meine Hände gelangt und sein aufmunternder Inhalt
hat mir viel Freude bereitet. Als Antwort übersende ich Ihnen
diese kleine Darstellung des Magnificats,
die ich Ihnen längst versprochen habe,
die aber durch die lästigen Streitereien vieler Gegner
immer wieder unterbrochen wurde.
Wenn ich es länger aufschiebe,
werde ich vor Scham erröten müssen.
Es ist auch nicht angebracht, dass ich weitere Entschuldigungen
vorbringe, damit der jugendliche Geist Euer Gnaden,
der zur Liebe zur Heiligen Schrift neigt,
nicht zurückgeblieben ist
und der durch weitere Übung in derselben
um so mehr aufgewühlt und gestärkt werden könnte.
Dazu wünsche ich Euer Gnaden Gottes Gnade.
Und das ist bitter nötig.
Denn das Wohl vieler liegt in der Macht
eines so mächtigen Fürsten,
wenn er aus sich selbst genommen
und von Gott gnädig regiert wird,
ebenso wie andererseits das Verderben vieler
in seiner Macht liegt, wenn man ihn überlässt sich selbst
und von Gottes Ungnade regiert.
Denn während die Herzen aller Menschen
in Gottes allmächtiger Hand sind,
sagt man nicht ohne Grund nur von Königen und Fürsten:
Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn:
er dreht es, wohin er will.
Wodurch Gott den mächtigen Herren
Seine Furcht einflößen und sie lehren würde,
dass all ihre Gedanken und Absichten
ohne Seine besondere Inspiration nichts sind.
Die Taten anderer Menschen bringen Gewinn oder Verlust
für sie allein oder für nur wenige andere;
aber Herrscher werden nur zu dem besonderen Zweck ernannt,
anderen Menschen entweder zu schaden oder ihnen zu helfen,
und je mehr Menschen, desto größer ihre Herrschaftsbereiche.
Darum nennt die Schrift auch fromme und gottesfürchtige Fürsten
Engel Gottes und sogar Götter;
aber schädliche Fürsten nennt sie Löwen, Drachen
und wilde Tiere, die Gott zu seinen vier Plagen zählt –
Pest, Hungersnot, Krieg und lästige Bestien.
Das Herz des Menschen ist also, da es von Natur aus
Fleisch und Blut ist, von sich aus anfällig für Anmaßung;
und wenn ihm außerdem noch Macht, Reichtum
und Ehre zufallen, so bilden diese einen so starken Ansporn
zu Anmaßung und Selbstüberschätzung,
um ihn dazu zu bewegen, Gott zu vergessen
und seine Untertanen zu verachten.
Da er ungestraft Unrecht tun kann, lässt er sich gehen
und wird zu einem Tier, tut, was er will,
und ist dem Namen nach ein Herrscher,
aber in der Tat ein Monster.
Darum hat der weise Bias treffend gesagt:
Magistratus virum ostendit –
das Amt des Herrschers offenbart,
was für ein Mensch der Herrscher ist.
Was die Untertanen betrifft, so wagen sie es nicht,
sich aus Angst vor den Behörden gehen zu lassen.
Daher alle Herrscher, da sie sich nicht zu fürchten brauchen,
sollten Gott mehr fürchten als andere,
ihn und seine Werke kennen lernen und eifrig wandeln,
wie der heilige Paulus den Römern sagt:
Wer herrscht, der tue es mit Eifer. Nun kenne ich
in der ganzen Schrift nichts, was einem solchen Zweck
so gut dient wie dieser heilige Hymnus
der allerseligsten Mutter Gottes,
der in der Tat von allen gelernt
und im Gedächtnis behalten werden sollte,
die gut regieren und hilfreiche Herren sein wollen.
Wahrlich, sie singt darin aufs süßeste
von der Gottesfurcht, was für ein Herr er ist,
und besonders, was er mit denen
von hohem und niedrigem Rang zu tun hat.
Möge ein anderer seiner Liebsten zuhören,
die ein weltliches Liedchen singt;
diese reine Jungfrau verdient es wohl,
von einem Prinzen und Herrn gehört zu werden,
wie sie ihm ihr heiliges, keusches und heilsames Lied singt.
Es ist auch ein schöner Brauch, dass dieser Gesang
in allen Kirchen täglich zur Vesper gesungen wird,
und zwar in einem besonderen und angemessenen Rahmen,
der ihn von den anderen Gesängen unterscheidet.
Möge die zärtliche Mutter Gottes selbst
mir den Geist der Weisheit verschaffen,
um dieses ihr Lied gewinnbringend
und gründlich auszulegen,
damit Euer Gnaden wie auch wir alle
daraus heilsame Erkenntnis schöpfen können
und ein lobenswertes Leben, und so dazu kommen,
dieses Magnificat ewig im Himmel zu singen.
Möge Gott uns dazu helfen. Amen.
Hiermit empfehle ich mich Eurer Gnaden
und bete demütig in aller Güte um Eure Gnaden,
meine armselige Bemühung zu empfangen.
Wittenberg, 10. März 1521.
DAS MAGNIFICAT
1. Meine Seele preist den Herrn:
2. Und mein Geist hat sich über Gott, meinen Heiland, gefreut.
3. Denn er hat den niedrigen Stand seiner Magd angesehen: Denn siehe, von nun an werden mich alle Geschlechter selig preisen.
4. Denn der Starke hat Großes an mir getan, und heilig ist sein Name.
5. Und Seine Barmherzigkeit gilt denen, die Ihn fürchten: Von Generation zu Generation.
6. Er hat Stärke gezeigt mit Seinem Arm: Er hat die Stolzen in der Phantasie ihrer Herzen zerstreut.
7. Er hat die Mächtigen von ihren Sitzen gestoßen und die Niedrigen erhöht.
8. Die Hungrigen hat er mit guten Dingen gesättigt, und die Reichen hat er leer fortgeschickt.
9. Er hat seinem Diener Israel geholfen: in Erinnerung an seine Barmherzigkeit.
10. Wie er zu unseren Vätern sprach: zu Abraham und zu seinen Nachkommen in Ewigkeit.
Um diesen heiligen Lobgesang richtig zu verstehen,
müssen wir bedenken, dass die allerseligste Jungfrau Maria
aus ihrer eigenen Erfahrung spricht, in der sie
vom Heiligen Geist erleuchtet und belehrt wurde.
Denn niemand kann Gott oder Sein Wort richtig verstehen,
der solches Verständnis nicht direkt
vom Heiligen Geist erhalten hat.
Aber niemand kann es vom Heiligen Geist empfangen,
ohne es zu erfahren, zu beweisen und zu fühlen.
In solchen Erfahrungen unterweist uns der Heilige Geist
wie in seiner eigenen Schule,
außerhalb derer nichts gelernt wird
als leere Worte und müßige Fabeln.
Als die Heilige Jungfrau dann erlebte,
was Gott Großes in ihr bewirkte,
war sie doch so arm, sanftmütig, verachtet
und von niedrigem Grad,
lehrte der Heilige Geist sie dieses kostbare Wissen
und diese Weisheit, dass Gott ein Herr ist,
dessen Werk nur darin besteht,
sie von niedrigem Grad zu erheben,
die Mächtigen von ihren Sitzen zu stürzen,
kurz gesagt, zu brechen alles, was ganz ist,
und heil zu machen, was zerbrochen ist.
Denn so wie Gott am Anfang der Schöpfung
die Welt aus dem Nichts gemacht hat,
weshalb Er der Schöpfer und Allmächtige genannt wird,
so ist Seine Wirkungsweise immer noch die gleiche.
Sogar jetzt und bis zum Ende der Welt
sind alle Seine Werke so, dass Er aus dem, was nichts,
Wertloses, Verachtetes, Elendes und Totes ist,
etwas Kostbares, Ehrbares, Gesegnetes und Lebendiges macht.
Was auch immer etwas Kostbares, Ehrbares, Gesegnetes
und Lebendiges ist, macht Er zu nichts, wertlos, verachtet,
elend und sterbend. Auf diese Weise kann kein Geschöpf arbeiten;
niemand kann etwas aus nichts hervorbringen.
Deshalb blicken Seine Augen nur in die Tiefe,
nicht in die Höhe; wie es in Daniel heißt:
Du sitzt auf den Cherubim und siehst die Tiefen;
im Psalm: Der Herr ist der Höchste
und blickt auf das Niedrige herab,
und das Hohe kennt er von ferne;
und im Psalm: Wer ist wie der Herr, unser Gott,
der in der Höhe wohnt und herabblickt
auf das Niedrige im Himmel und auf Erden?
Denn da Er der Allerhöchste ist und nichts über Ihm ist,
kann Er nicht über sich erblicken; noch zu beiden Seiten,
denn keiner ist Ihm gleich.
Er muss daher notwendigerweise in sich
und unter sich schauen; und je weiter einer unter ihm ist,
desto besser sieht er ihn.
Die Augen der Welt und der Menschen hingegen
blicken nur über sich und sind stolz erhoben,
wie es im Buch der Sprüche heißt: Es gibt eine Generation,
deren Augen erhaben sind und ihre Augenlider erhoben sind
in der Höhe. Das erleben wir jeden Tag.
Jeder strebt nach dem, was über ihm ist,
nach Ehre, Macht, Reichtum, Wissen,
einem Leben in Leichtigkeit und allem,
was erhaben und groß ist.
Und wo solche Leute sind, gibt es viele Mitläufer,
die ganze Welt versammelt sich um sie,
leistet ihnen gerne Dienste
und möchte an ihrer Seite sein
und an ihrem Rausch teilhaben.
Deshalb beschreibt die Schrift nicht umsonst
nur wenige Könige und Herrscher,
die gottesfürchtige Männer waren.
Andererseits ist niemand bereit, in die Tiefe
mit ihrer Armut, Schande, Verkommenheit, Elend
und Angst zu blicken. Von diesen wenden alle ihre Augen ab.
Wo solche Leute sind, eilt ein jeder davon,
verlässt und meidet sie und überlässt sie sich selbst;
niemand träumt davon, ihnen zu helfen
oder etwas aus ihnen zu machen.
Und so müssen sie notgedrungen in der Tiefe
und in ihrem niedrigen und verachteten Stand bleiben.
Es gibt unter den Menschen keinen Schöpfer,
der aus nichts etwas machen würde,
obwohl es der heilige Paulus lehrt, wenn er sagt:
Liebe Brüder, denkt nicht an hohe Dinge,
sondern macht mit den Niedrigen mit.
Gott allein gehört daher jenes Sehen,
das mit seiner Not in die Tiefe blickt und allen nahe ist,
die in der Tiefe sind; wie der heilige Petrus sagt:
Gott widersteht den Stolzen,
aber den Demütigen gibt er Gnade.
Und dies ist die Quelle der menschlichen Liebe
und des Lobpreises Gottes.
Denn niemand kann Gott preisen,
ohne ihn zuerst zu lieben.
Niemand kann ihn lieben, es sei denn,
Er macht sich ihm auf die liebenswerteste
und vertrauteste Weise bekannt.
Und er kann sich nur durch seine Werke kundtun,
die er in uns offenbart
und die wir in uns fühlen und erfahren.
Aber wo diese Erfahrung ist, nämlich dass Er ein Gott ist,
der in die Tiefe schaut und nur den Armen,
Verachteten, Bedrängten, Elenden, Verlassenen hilft,
da entsteht eine herzliche Liebe zu Ihm,
dem das Herz überfließt vor Freude
und springt und tanzt zum großen Vergnügen,
es hat in Gott Liebe gefunden.
Dort ist der Heilige Geist gegenwärtig
und hat uns durch diese Erfahrung im Handumdrehen
eine so überaus große Erkenntnis und Freude gelehrt.
Darum hat Gott auch uns allen den Tod auferlegt
und Seinen geliebten Kindern und Christen
das Kreuz Christi samt unzähligen Leiden
und Bedrängnissen auferlegt; ja er lässt uns sogar manchmal
in Sünde fallen; damit Er weit in die Tiefe schaue,
vielen Hilfe bringe, mannigfaltige Werke verrichte,
sich als wahrer Schöpfer zeige
und sich dadurch bekannt mache
und der Liebe und des Lobes würdig mache.
Hier, leider, die Welt mit ihren stolzen Augen
behindert Ihn ständig, behindert Sein Sehen,
Wirken und Helfen und unser Wissen, Lieben und Loben
von Ihm und beraubt Ihn all Seiner Herrlichkeit,
selbst seiner Freude, Wonne und Erlösung.
Er warf auch Seinen einzigen und geliebten Sohn Christus
in die Tiefe alles Weh und zeigte an Ihm am deutlichsten,
worauf Sein Sehen, Wirken, Helfen, Verfahren
und Wollen gerichtet ist. Darum ist Christus,
nachdem er all diese Dinge am umfassendsten erfahren hat,
in alle Ewigkeit reich an Erkenntnis,
Liebe und Lobpreisung Gottes;
wie es im Psalm heißt: Du hast ihn überaus erfreut
mit deinem Angesicht – nämlich darin,
dass er dich sieht und dich kennt.
Auch hierhin gehört der Psalm, wo gesagt wird,
dass alle Heiligen im Himmel nichts anderes tun werden,
als Gott zu preisen, weil er sie angeschaut hat,
als sie in der Tiefe waren, und sich ihnen dort offenbart hat
und von ihnen geliebt und gepriesen wird.
Die liebevolle Mutter Christi
tut hier dasselbe und lehrt uns mit ihren Worten
und durch das Beispiel ihrer Erfahrung,
wie man Gott kennt, liebt und lobt.
Denn da sie sich mit vor Freude hüpfendem Herzen
rühmt und Gott lobpreist,
dass Er sie trotz ihres niedrigen Standes
und ihrer Nichtigkeit angesehen hat,
müssen wir unbedingt glauben,
dass sie von armen, verachteten und niedrigen Eltern stammte.
Lasst es uns um des Einfachen willen sehr deutlich machen.
Zweifellos gab es in Jerusalem Töchter des Häuptlings
der Priester und Ratgeber, die reich, attraktiv, jugendlich,
kultiviert und bei allen Menschen hoch angesehen waren;
so wie es heute bei den Töchtern von Königen,
Fürsten und Reichen der Fall ist.
Das gleiche galt auch für viele andere Städte.
Sogar in ihrer eigenen Stadt Nazareth
war sie nicht die Tochter eines der obersten Herrscher,
sondern eine arme und schlichte Bürgertochter,
zu der niemand aufblickte oder sie schätzte.
Für ihre Nachbarn und ihre Töchter
war sie nur ein einfaches Mädchen,
das sich um das Vieh kümmerte
und das Verrichten der Hausarbeit,
und zweifellos nicht mehr geschätzt
als irgendein armes Dienstmädchen heute,
das tut, was ihr über das Haus geboten wird.
Denn so kündigte Jesaja an:
Ein Reis wird aus dem Stamm Isais hervorgehen,
und eine Blume wird aus seiner Wurzel aufgehen,
und der Heilige Geist wird auf ihm ruhen.
Der Stamm und die Wurzel ist die Generation von Jesse
oder David, insbesondere die Jungfrau Maria;
der Reis und die Blume sind Christus.
Nun, genauso unwahrscheinlich, ja unglaublich, ist es,
dass ein schöner Zweig und eine schöne Blume
aus einem trockenen und verdorrten Stamm
und einer Wurzel entspringen sollte,
so unwahrscheinlich war es, dass die Jungfrau Maria
die Mutter eines solchen Kindes werden sollte.
Denn ich nehme an, sie wird Stamm und Wurzel genannt,
nicht nur, weil sie auf übernatürliche Weise
und ohne Verletzung ihrer Jungfräulichkeit
Mutter geworden ist, auch wenn es über der Natur liegt,
aus einem toten Baumstumpf einen Ast wachsen zu lassen,
aber auch aus folgendem Grund: Früher,
in den Tagen Davids und Salomos,
war der königliche Stamm Davids grün und blühend,
glücklich in seiner großen Pracht, Macht und Reichtum
und berühmt in den Augen der Welt.
Aber in den letzten Tagen, als Christus kommen sollte,
hatten die Priester diese Ehre an sich gerissen
und waren die alleinigen Herrscher,
während die königliche Linie Davids
so verarmt und verachtet worden war,
dass sie wie ein toter Stamm war,
sodass es keine Hoffnung mehr gab noch Wahrscheinlichkeit,
dass ein König, der davon abstammte,
jemals zu irgendeinem großen Ruhm gelangen würde.
Aber als alles höchst unwahrscheinlich schien,
kommt Christus und wird von dem verachteten Stamm
geboren, der armen und niedrigen Jungfrau!
Das Reis und die Blume entspringen aus ihr,
die die Tochter von Hannas oder Kaiphas
nicht für die Zofe ihrer bescheidensten Dame
zu haben geruht hätte. So sind Gottes Werk
und Seine Augen in der Tiefe,
aber des Menschen nur in der Höhe.
Soviel zum Anlass des Mariengesangs,
den uns nun im einzelnen betrachten lasst.
Meine Seele verherrlicht den Herrn!
Diese Worte drücken die starke Glut
und überschwängliche Freude aus,
wodurch ihr ganzes Denken und Leben
innerlich im Geist erhoben wird.
Deshalb sagt sie nicht: Ich erhebe den Herrn,
sondern: Meine Seele erhebt Ihn.
Es ist, als ob sie sagte: Mein Leben
und alle meine Sinne schweben in der Liebe
und dem Lob Gottes und in erhabenen Freuden,
damit ich nicht mehr Herrin meiner selbst bin;
ich bin erhaben, mehr als ich mich selbst erhebe,
den Herrn zu preisen.
Das ist die Erfahrung all jener,
durch die die göttliche Süße
und der Geist ausgegossen werden;
sie finden keine Worte, um auszudrücken, was sie fühlen.
Denn den Herrn mit Freuden zu preisen ist kein Menschenwerk;
es ist vielmehr ein freudiges Leiden
und allein das Werk Gottes.
Es kann nicht mit Worten gelehrt werden,
sondern muss in der eigenen Erfahrung gelernt werden.
So wie David sagt: O schmecke und siehe,
dass der Herr süß ist; gesegnet ist der Mann,
der auf ihn vertraut. Er stellt das Schmecken vor das Sehen,
denn diese Süße kann man nicht kennen,
wenn man sie nicht selbst erlebt und gefühlt hat;
und niemand kann zu einer solchen Erfahrung gelangen,
wenn er nicht mit ganzem Herzen auf Gott vertraut,
wenn er in der Tiefe und in der Not ist.
Deshalb beeilt sich David hinzuzufügen:
Gesegnet ist der Mann, der auf Gott vertraut.
Solch jemand wird das Wirken Gottes in sich selbst erfahren
und wird so dazu kommen, Seine Süße zu spüren
und dadurch alle Erkenntnis zu erlangen und Verständnis.
Nehmen wir die Wörter in ihrer Reihenfolge auf.
Das erste ist „meine Seele “. Die Heilige Schrift
weist dem Menschen drei Teile zu:
Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar,
damit euer ganzer Geist, eure Seele und euer Leib
untadelig bewahrt werden für die Wiederkunft
unseres Herrn Jesus Christus.
(Es gibt noch eine andere Unterteilung von jedem dieser drei
und des ganzen Menschen in zwei Teile,
die Geist und Fleisch genannt werden.
Dies ist eine Unterteilung, die nicht der Natur entspricht
des Menschen, sondern seiner Qualitäten.
Die Natur des Menschen besteht aus den drei Teilen:
Geist, Seele und Körper;
und alle diese können gut oder böse sein,
das heißt, sie können Geist oder Fleisch sein.
Aber wir haben es jetzt nicht mit dieser Aufteilung zu tun.)
Der erste Teil, der Geist, ist der höchste, tiefste
und edelste Teil des Menschen.
Durch ihn wird er befähigt, Dinge zu erfassen,
die unbegreiflich, unsichtbar und ewig sind.
Es ist, kurz gesagt, die Wohnstätte des Glaubens
und des Wortes Gottes. Davon spricht David:
Herr, schaffe in meinem Innern einen rechten Geist,
das heißt einen geraden und aufrechten Glauben.
Aber von den Ungläubigen sagt er:
Ihr Herz war nicht recht mit Gott,
und ihr Geist war ihm nicht treu.
Der zweite Teil oder die Seele ist,
soweit es seine Natur betrifft, derselbe Geist,
der jedoch eine andere Funktion erfüllt,
nämlich den Körper zu beleben
und durch den Körper zu wirken.
In der Heiligen Schrift wird sie häufig für das Leben gesetzt;
denn die Seele kann ohne den Körper leben,
aber der Körper hat kein Leben ohne die Seele.
Auch im Schlaf lebt und arbeitet die Seele ohne Unterlass.
Es ist ihre Natur, nicht unverständliche Dinge zu begreifen,
sondern solche Dinge, die die Vernunft wissen
und verstehen kann. In der Tat ist die Vernunft
Licht in dieser Wohnung, und wenn der Geist,
der vom helleren Licht des Glaubens erleuchtet ist,
dieses Licht der Vernunft nicht beherrscht,
kann er nur im Irrtum sein.
Denn es ist zu schwach, sich mit göttlichen Dingen zu befassen.
Diesen beiden Teilen des Menschen
schreibt die Schrift vieles zu, wie Weisheit und Erkenntnis,
Weisheit dem Geist, Erkenntnis der Seele;
ebenso Hass und Liebe,
Entzücken und Entsetzen und dergleichen.
Der dritte Teil ist der Körper mit seinen Gliedern.
Seine Arbeit besteht nur darin, das auszuführen
und anzuwenden, was die Seele weiß und der Geist glaubt.
Nehmen wir dazu ein Beispiel aus der Heiligen Schrift.
In der von Mose gestalteten Stiftshütte
gab es drei getrennte Fächer.
Das erste wurde das Allerheiligste genannt:
hier war Gottes Wohnung, und darin war kein Licht.
Das zweite wurde das Heiligtum genannt:
hier stand ein Leuchter mit sieben Armen und sieben Lampen.
Der dritte hieß Vorhof: dieser lag unter freiem Himmel
und im vollen Licht der Sonne.
In diesem Tabernakel haben wir eine Figur
des christlichen Menschen.
Sein Geist ist das Allerheiligste, wo Gott
in der Dunkelheit wohnt des Glauben, wo kein Licht ist;
denn er glaubt, was er weder sieht noch fühlt noch versteht.
Seine Seele ist der heilige Ort mit seinen sieben Lampen,
das heißt alle Arten von Vernunft, Urteilsvermögen, Wissen
und Verständnis von sichtbaren und körperlichen Dingen.
Sein Leib ist der für alle offene Vorhof,
damit die Menschen seine Werke
und seine Lebensweise sehen können.
Nun bittet Paulus Gott, der ein Gott des Friedens ist,
uns zu heiligen, nicht nur in einem Teil,
sondern ganz, durch und durch, damit Geist, Seele, Leib
und alles heilig seien. Wir könnten viele Gründe nennen,
warum er auf diese Weise betet,
aber das Folgende soll genügen.
Wenn der Geist nicht mehr heilig ist,
dann ist nichts heilig.
Diese Heiligkeit des Geistes ist der Schauplatz
des schlimmsten Konflikts
und die Quelle der größten Gefahr.
Sie besteht in nichts anderem als im Glauben
schlicht und einfach. denn der Geist hat,
wie wir gesehen haben, nichts mit begreiflichen Dingen zu tun.
Aber jetzt kommen falsche Lehrer
und locken den Geist aus der Tür;
der eine bringt dieses Werk hervor,
ein anderer jene Art, Gottseligkeit zu erlangen.
Und wenn der Geist nicht bewahrt wird und weise ist,
wird er hervorkommen und diesen Männern folgen.
Er wird sich auf die äußeren Werke und Regeln stürzen
und sich einbilden, durch sie zur Gottseligkeit
gelangen zu können. Und bevor wir es wissen,
ist der Glaube verloren
und der Geist ist tot in den Augen Gottes.
Dann beginnen die mannigfachen Sekten und Orden.
Dieser wird Kartäuser, jener Franziskaner;
dieser sucht Erlösung durch Fasten, jener durch Beten;
einer nach dem anderen arbeitet,
der andere nach dem anderen.
Doch das sind alles selbstgewählte Werke und Befehle,
nie von Gott befohlen,
sondern von Menschen erfunden.
In sich versunken, haben sie kein Auge für den Glauben,
sondern lehren die Menschen nur,
ihr Vertrauen auf Werke zu setzen,
bis sie so sehr in Werke versunken sind,
dass sie untereinander zerfallen.
Jeder wäre der Größte und verachtet den anderen,
wie es heute unsere prahlenden und polternden
Observanten tun. Gegenüber solchen Werkheiligen
und fromm erscheinenden Lehrern
betet Paulus und nennt Gott einen Gott des Friedens
und der Einheit. Solch ein Gott,
diese gespaltenen, unfriedlichen Heiligen
können ihn weder haben noch behalten,
es sei denn, sie geben ihre eigenen Dinge auf,
stimmen in demselben Geist und Glauben überein
und lernen, dass Werke nichts als Unterschiede,
Sünde und Zwietracht hervorbringen,
während der Glaube allein die Menschen fromm,
vereint und friedfertig macht.
Wie es im Psalm heißt: Gott lässt uns in Einigkeit
im Haus wohnen; und: Siehe, wie gut und wie angenehm es ist,
wenn Brüder in Einheit zusammenwohnen.
Es gibt keinen Frieden, außer wo die Menschen lehren,
dass wir durch keine Arbeit oder äußere Sache
fromm, gerecht und gesegnet sind,
sondern allein durch den Glauben, das heißt,
ein festes Vertrauen auf die unsichtbare Gnade Gottes,
die uns verheißen ist, wie ich gezeigt habe,
ohne größere Länge in den guten Werken.
Aber wo kein Glaube ist, müssen viele Werke sein,
und wo diese sind, weichen Frieden und Einheit,
und Gott kann nicht bleiben.
Deshalb begnügt Paulus sich nicht damit,
hier einfach zu sagen: dein Geist, deine Seele,
sondern er sagt: dein ganzer Geist,
denn davon hängt alles ab.
Er verwendet einen schönen griechischen Ausdruck,
dein Geist, der das ganze Erbe besitzt.
Es ist, als hätte er gesagt: Lasst euch von keiner Werklehre
in die Irre führen. Der gläubige Geist allein
besitzt alle Dinge. Alles hängt vom Glauben des Geistes ab.
Und ich bitte Gott, diesen gleichen Geist,
der das ganze Erbe besitzt,
in Euch zu bewahren gegen die falschen Lehren,
die Werke zur Grundlage unseres Vertrauens
auf Gott machen wollen,
und die nur falsche Nachrichten sind,
weil sie solches Vertrauen nicht
allein auf Gottes Gnade gründen.
Wenn dieser Geist, der das ganze Erbe besitzt,
bewahrt wird, können sowohl Seele
als auch Körper ohne Irrtum und böse Werke bleiben.
Andererseits, wenn der Geist ohne Glauben ist,
kann die Seele samt dem ganzen Leben nicht umhin,
in Bosheit und Irrtum zu verfallen,
wie gut eine Absicht und Meinung sie auch bekennen mag,
und darin ihre eigene Hingabe und Befriedigung finden.
Als Folge dieses Irrtums und dieser falschen Meinung
der Seele werden alle Werke des Körpers
gleichermaßen böse und verdammenswert,
obwohl ein Mensch abtötete sich durch Fasten
und verrichtete die Werke aller Heiligen.
Damit also unsere Werke und unser Leben
nicht vergeblich seien, sondern damit wir wahrhaft
heilig werden, ist es notwendig,
dass Gott zuerst unseren Geist
und dann unsere Seele und unseren Leib bewahrt,
nicht nur vor offenen Sünden. sondern viel mehr
vor falschen und scheinbar guten Werken.
Lasst dies zur Erklärung dieser beiden Worte,
Seele und Geist, genügen;
sie kommen sehr häufig in der Heiligen Schrift vor.
Wir kommen zum Wort Magnificat,
was bedeutet, jemanden zu verherrlichen,
zu erheben, hoch zu schätzen, als jemand,
der die Macht, das Wissen und den Wunsch hat,
viele große und gute Dinge zu vollbringen,
wie die, die in diesem Lobgesang folgen.
So wie ein Buchtitel anzeigt, was der Inhalt des Buches ist,
so wird dieses Wort Magnificat von Maria verwendet,
um anzuzeigen, worum es in ihrem Lobgesang gehen soll,
nämlich um die großen Werke und Taten Gottes
für die Kraft des Irrens unseres Glaubens,
zum Trost aller Niedrigen und zum Schrecken
aller Mächtigen der Erde.
Wir sollen das Lied diesem dreifachen Zweck dienen lassen;
denn sie hat es nicht nur für sich gesungen,
sondern für uns alle, damit wir es ihr nachsingen.
Nun, diese großen Werke Gottes
werden niemanden erschrecken oder trösten,
es sei denn, er glaubt, dass Gott nicht nur die Macht
und das Wissen hat, sondern auch die Bereitschaft
und den herzlichen Wunsch, so große Dinge zu tun.
Nein, es reicht nicht einmal zu glauben,
dass er bereit ist, sie für andere zu tun, aber nicht für Euch.
Das hieße, sich von diesen Werken Gottes zu trennen,
wie es diejenigen tun, die ihn wegen ihrer Kraft nicht fürchten,
und die Kleingläubigen, die wegen ihrer Drangsal
in Verzweiflung geraten. Diese Art von Glauben ist nichts;
er ist tot; er ist wie eine Idee aus einer Geschichte.
Ihr müsst vielmehr, ohne zu schwanken oder zu zweifeln,
Seinen Willen Euch gegenüber erkennen
und fest daran glauben, dass Er Euch auch Großes antun will
und wird. Ein solcher Glaube hat Leben und Sein;
er durchdringt und verändert den ganzen Menschen;
er zwingt dich, dich zu fürchten, wenn du mächtig bist,
und dich zu trösten, wenn du von geringer Stufe bist.
Und je mächtiger du bist, desto mehr musst du fürchten;
je niedriger du bist, desto mehr musst du dich trösten.
Dies vermag keine der beiden anderen Glaubensrichtungen
zu bewirken. Wie wird es dir ergehen in der Todesstunde?
Da musst du unbedingt glauben,
dass Er nicht nur die Macht und das Wissen hat,
sondern auch den Wunsch, dir zu helfen.
Denn es ist in der Tat ein unsäglich großes Werk,
das getan werden muss, um dich
vom ewigen Tod zu befreien, dich zu retten
und dich zum Erben Gottes zu machen.
Diesem Glauben sind alle Dinge möglich,
wie Christus sagt; er allein bleibt;
es kommt auch dazu, die Werke Gottes zu erfahren,
und gelangt so zur Liebe Gottes
und von dort zu Liedern und Lobpreisungen Gottes,
so dass der Mensch ihn hoch schätzt
und ihn wirklich verherrlicht.
Denn Gott wird nicht von uns verherrlicht,
was Sein Wesen betrifft – Er ist unveränderlich –,
aber Er wird in unserem Wissen
und unserer Erfahrung verherrlicht,
wenn wir Ihn hoch schätzen und hoch achten,
besonders in Bezug auf seine Gnade und Güte.
Deshalb sagt die heilige Mutter nicht:
Meine Stimme oder mein Mund,
meine Hand oder meine Gedanken,
meine Vernunft oder mein Wille
verherrlichen den Herrn.
Denn es gibt viele, die Gott mit lauter Stimme preisen,
mit hochtönenden Worten von Ihm predigen,
viel von Ihm reden, streiten und schreiben über ihn
und malen sein Bild; deren Gedanken
oft bei Ihm verweilen und die sich nach Ihm ausstrecken
und mit ihrer Vernunft über Ihn spekulieren;
es gibt auch viele, die Ihn mit falscher Hingabe
und falschem Willen preisen.
Aber Maria sagt: Meine Seele verherrlicht ihn –
das heißt, mein ganzes Leben und Wesen,
mein Verstand und meine Kraft schätzen ihn sehr.
Sie ist gleichsam zu Ihm entrückt
und fühlt sich in Seinen guten und gnädigen Willen erhoben,
wie der folgende Vers zeigt. Dasselbe gilt,
wenn uns jemand ein Zeichen der Bevorzugung erweist;
unser ganzes Leben scheint sich ihm zuzuneigen,
und wir sagen: Ach, ich schätze ihn sehr, das heißt:
Meine Seele macht ihn groß.
Um wie viel mehr wird solch eine lebhafte Neigung
in uns geweckt, wenn wir die Gnade Gottes erfahren,
die in Seinen Werken überaus groß ist.
Alle Worte und Gedanken verblassen uns,
und unser ganzes Leben und unsere ganze Seele
müssen in Bewegung gesetzt werden, als ob alles,
was in uns lebte, in Lobpreis
und Gesang ausbrechen wollte.
Aber hier finden wir zwei Arten falscher Geister,
die das Magnificat nicht richtig singen können.
Erstens gibt es diejenigen, die Ihn nicht preisen werden,
wenn Er ihnen nicht Gutes tut;
wie David sagt: Er wird dich preisen,
wenn du ihm Gutes tust.
Diese scheinen tatsächlich Gott sehr zu preisen;
aber weil sie nicht bereit sind, Unterdrückung zu erleiden
und in der Tiefe zu sein, können sie niemals
die eigentlichen Werke Gottes erfahren
und können Ihn daher niemals wirklich lieben oder preisen.
Die ganze Welt ist heutzutage mit Lobpreis erfüllt
und Gottesdienst, mit Gesang und Predigt,
mit Orgeln und Trompeten,
und das Magnificat wird prächtig gesungen;
aber ach! dass dieser kostbare Gesang
von uns so äußerst ohne Salz oder Geschmack
wiedergegeben werden sollte. Denn wir singen nur,
wenn es uns gut geht; sobald es schlecht geht,
haben wir mit dem Singen aufgehört
und schätzen Gott nicht mehr hoch,
sondern nehmen wir an, er kann
oder will nichts für uns tun.
Dann muss auch das Magnificat schmachten.
Die anderen Arten sind noch gefährlicher.
Sie irren auf der anderen Seite.
Sie erheben sich durch die guten Gaben Gottes
und schreiben sie nicht allein Seiner Güte zu.
Sie selbst wollen an ihnen teilhaben;
ihretwegen würden sie geehrt
und über andere Männer gestellt werden.
Wenn sie die guten Dinge sehen,
die Gott für sie gewirkt hat, fallen sie auf sie
und machen sie sich zu eigen;
sie halten sich für besser als andere,
die solche Dinge nicht haben. Wahrlich,
dies ist eine glatte und schlüpfrige Position.
Die guten Gaben Gottes werden ganz natürlich stolze
und selbstzufriedene Herzen hervorbringen.
Deshalb müssen wir hier dem letzten Wort
Marias Beachtung schenken, das „der Herr “ ist.
Sie sagt nicht: „Meine Seele erhebt sich“
oder „erhebt mich“. Sie will nicht geschätzt werden;
sie verherrlicht allein Gott und gibt Ihm alle Ehre.
Sie lässt sich selbst aus und schreibt alles allein Gott zu,
von dem sie es empfangen hat.
Denn obwohl sie ein so überaus großes Werk Gottes
in sich selbst erlebte, war sie doch immer darauf bedacht,
sich nicht über den demütigsten Sterblichen zu erheben.
Hätte sie das getan, wäre sie wie Luzifer
in die unterste Hölle gesunken.
Sie hatte keinen anderen Gedanken als dies:
Wenn irgendein anderes Mädchen
so gute Dinge von Gott bekommen hätte,
würde sie sich genauso freuen
und es ihr nicht übel nehmen;
ja, sie hielt sich als einzige solcher Ehre für unwürdig
und alle anderen ihrer würdig.
Sie wäre sehr zufrieden gewesen,
wenn Gott ihr diese Segnungen entzogen
und sie vor ihren Augen einer anderen geschenkt hätte.
So wenig erhob sie Anspruch auf irgendetwas,
sondern überließ alle Gaben Gottes frei in Seinen Händen
und war selbst nicht mehr als ein fröhliches Frauenzimmer
und eine bereitwillige Gastgeberin
für einen so großen Gast.
Darum behielt sie auch all diese Dinge für immer.
Das heißt, Gott allein zu verherrlichen,
nur Ihn für groß zu halten und nichts zu beanspruchen.
Wir sehen hier, welch starken Antrieb sie hatte,
nicht in Sünde zu fallen,
so dass es nicht weniger ein Wunder ist,
dass sie sich von Stolz und Arroganz zurückhielt,
als dass sie die Gaben erhielt.
Sag mir, war sie nicht eine wunderbare Seele?
Sie findet sich als Mutter Gottes,
erhaben über alle Sterblichen,
und bleibt dabei so einfach und so ruhig
und zählt keine arme Dienerin unter sich.
O wir armen Sterblichen!
Wenn wir zu ein wenig Reichtum
oder Macht oder Ehre kommen,
ja wenn wir ein bisschen schöner sind als andere Menschen,
können wir es nicht ertragen,
jemandem unter uns gleich gemacht zu werden,
sondern sind über alle Maßen aufgeblasen.
Was sollten wir tun, wenn wir solch große
und erhabene Segnungen besitzen?
Deshalb lässt Gott uns arm und unglücklich bleiben,
weil wir Seine zarten Gaben nicht unbefleckt lassen
und keinen ausgeglichenen Geist bewahren können,
sondern unsere Stimmung steigen oder fallen lassen,
je nachdem Er Seine Gaben gibt oder nimmt.
Aber Marias Herz bleibt immer dasselbe;
sie lässt Gott seinen Willen mit sich haben
und schöpft daraus nur guten Trost,
Freude und Gottvertrauen.
So sollten auch wir handeln;
das wäre ein richtiges Magnificat zu singen.
Und mein Geist hat sich in Gott gefreut, meinem Retter!
Wir haben gesehen, was mit „Geist“ gemeint ist;
es ist das, was durch den Glauben
unbegreifliche Dinge ergreift.
Deshalb nennt Maria Gott ihren Retter oder ihr Heil,
obwohl sie dies weder sah noch spürte,
sondern in sicherer Zuversicht darauf vertraute,
dass er ihr Retter und ihr Heil sei.
Welcher Glaube kam zu ihr durch das Werk,
das Gott in ihr gewirkt hatte.
Und wahrlich, sie bringt die Dinge in die richtige Ordnung,
wenn sie Gott ihren Herrn nennt,
bevor sie Ihn sie nennt Erlöser,
und wenn sie ihn ihren Erlöser nennt,
bevor sie von seinen Werken erzählt.
Wobei sie uns lehrt, Gott nur für sich selbst zu lieben
und zu preisen, und zwar in der richtigen Reihenfolge,
und nicht selbstsüchtig etwas von Seinen Händen zu suchen.
Dies geschieht, wenn man Gott lobt, weil er gut ist,
nur seine bloße Güte betrachtet
und nur darin seine Freude und sein Vergnügen findet.
Das ist eine erhabene, reine und zärtliche Art,
Gott zu lieben und zu preisen,
und kommt dem hohen und zärtlichen Geist
dieser Jungfrau sehr zugute.
Aber die unreinen und perversen Liebenden,
die nichts anderes sind als Parasiten
und die ihren eigenen Vorteil in Gott suchen,
lieben und preisen Seine bloße Güte nicht,
sondern haben ein Auge auf sich und bedenken nur,
wie gut Gott zu ihnen ist,
wie zutiefst lässt er sie seine Güte spüren
und wie viele gute Dinge er ihnen tut.
Sie schätzen ihn hoch, sind voller Freude
und singen seinen Lobpreis,
solange dieses Gefühl anhält.
Aber sobald er sein Gesicht verbirgt
und seine Strahlen der Güte zurückzieht,
die sie bloß und im Elend zurücklässt,
ihre Liebe und ihr Lobpreis sind zu Ende.
Sie sind unfähig, die bloße, ungefühlte Güte,
die in Gott verborgen ist, zu lieben und zu preisen.
Womit sie beweisen, dass ihr Geist
sich nicht über Gott, ihren Erlöser, freute
und dass sie keine wahre Liebe und keinen Lobpreis
für Seine bloße Güte hatten.
Sie freuten sich viel mehr über ihre Errettung
als über ihren Retter, über die Gabe mehr
als über den Geber, über das Geschöpf mehr
als über den Schöpfer. Denn sie sind nicht imstande,
in Überfluss und Mangel, in Reichtum und Armut
einen ausgeglichenen Geist zu bewahren;
wie Paulus sagt: Ich weiß, wie man Überfluss hat
und wie man Mangel leidet.
Hier gelten die Worte im Psalm: Sie werden dich rüsten,
wenn du ihnen Gutes tun wirst.
Das heißt, sie lieben nicht dich, sondern sich selbst;
wenn sie nur deine guten und angenehmen Dinge haben,
kümmern sie sich nicht um dich.
Wie auch Christus zu denen sagte, die ihn suchten:
Wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht,
weil ihr Wunder gesehen habt,
sondern weil ihr von den Broten gegessen habt
und satt geworden seid.
Solche unreinen und falschen Geister
verunreinigen alle Gaben Gottes
und hindern ihn daran, ihnen viele Gaben zu geben,
insbesondere die Gabe der Errettung,
wovon das Folgende eine gute Illustration ist:
Es war einmal eine gewisse gottesfürchtige Frau,
die in einer Vision drei Jungfrauen
in der Nähe eines Altars sitzen sah.
Während der Messe sprang ein schöner Knabe vom Altar,
näherte sich der ersten Jungfrau aufs freundlichste,
überhäufte sie mit Liebkosungen
und lächelte ihr liebevoll ins Gesicht.
Daraufhin näherte er sich der zweiten Jungfrau,
war aber nicht so freundlich zu ihr,
er streichelte sie auch nicht, aber er hob ihren Schleier
und schenkte ihr ein freundliches Lächeln.
Aber für die dritte Jungfrau hatte er
kein freundliches Zeichen, schlug sie ins Gesicht
und riß ihr die Haare aus, stieß sie von sich
und ging mit ihr aufs Ungalanteste um.
Dann rannte er schnell zurück zum Altar und verschwand.
Danach wurde die Vision für die Frau
folgendermaßen gedeutet: Die erste der drei Jungfrauen
war eine Figur der unreinen und selbstsüchtigen Geister,
auf die Gott muss viele gute Dinge verschwenden,
und deren Willen er tun muss;
sie sind nicht bereit, Not zu leiden,
sondern müssen immer Freude und Trost in Gott finden
und sind mit Seiner Güte nicht zufrieden.
Die zweite Jungfrau war eine Figur der Geister,
die den Anfang machen, Gott zu dienen,
und bereit sind, auf manches zu verzichten,
aber nicht auf alles, noch frei zu sein
von aller Selbstsucht und Genuss.
Gott muss ihnen hin und wieder zulächeln
und sie seine guten Dinge fühlen lassen,
damit sie dadurch lieben und preisen lernen
Seine bloße Güte. Aber die dritte Jungfrau,
das arme Aschenputtel –
für sie gibt es nichts als Not und Elend;
sie sucht nichts zu genießen
und ist zufrieden damit, zu wissen, dass Gott gut ist,
obwohl sie es niemals erfahren sollte,
obwohl das unmöglich ist.
Sie behält in beiden Ständen einen ausgeglichenen Geist;
sie liebt und preist Gottes Güte genauso sehr,
wenn sie sie nicht fühlt, wie wenn sie es tut.
Sie fällt weder auf die guten Dinge,
wenn sie gegeben werden,
noch fällt sie weg, wenn sie entfernt werden.
Das ist die wahre Braut Christi, die zu ihm sagt:
Ich suche nicht dein, sondern dich;
Du bist mir nicht lieber, wenn es mir gut geht,
noch weniger lieb, wenn es mir schlecht geht.
Solche Geister erfüllen die Worte der Schrift:
Geht nicht vom geraden und rechten Weg Gottes ab,
weder zur Linken noch zur Rechten.
Das heißt, sie sollen Gott gleichmäßig und gerecht lieben
und preisen und nicht ihren eigenen Vorteil
oder Genuss suchen. Solch ein Geist war David,
der, als er von seinem Sohn Absalom
aus Jerusalem vertrieben wurde
und für immer vertrieben zu werden drohte
und sein Königreich und die Gunst Gottes verlieren würde,
sagte: Geh hin; wenn ich Gunst finde in den Augen des Herrn,
er wird mich wieder zurückbringen.
Aber wenn er zu mir sagt: Du gefällst mir nicht;
ich bin bereit.
O welch reiner Geist war das,
die Güte Gottes auch in der größten Not
zu lieben, zu preisen und ihr nachzufolgen!
Ein solcher Geist wird hier von Maria,
der Mutter Gottes, offenbart.
Inmitten solcher überaus großen guten Dinge stehend,
fällt sie nicht auf sie, noch sucht sie ihr eigenes Vergnügen darin,
sondern hält ihren Geist rein,
indem sie die bloße Güte Gottes liebt und lobpreist,
bereit und willens, dass Gott sie ihr entzieht
und verlasse ihren Geist arm und nackt und in Not.
Nun ist es viel schwieriger, inmitten von Reichtum,
Ehre und Macht Mäßigung zu praktizieren
als inmitten von Armut, Unehre und Schwäche,
da erstere mächtige Anreize zum Bösen sind.
Dennoch verdient der wundersame reine Geist Mariens
größeres Lob, weil sie, mit solch überwältigenden Ehren
auf ihrem Haupt gehäuft, nicht stolpert,
sondern so tut, als ob sie es nicht sieht,
gleich und Kämpfe im Weg,
klammert sich nur an Gottes Güte,
die sie weder sieht noch fühlt,
übersieht die guten Dinge, die sie fühlt,
und erfreut sich daran weder,
noch sucht sie ihr eigenes Vergnügen daran.
So kann sie wirklich singen:
Mein Geist freut sich in Gott, meinem Heiland.
Es ist in der Tat ein Geist, der nur im Glauben frohlockt
und sich nicht über die guten Dinge Gottes freut,
die sie fühlte, sondern nur über Gott, den sie nicht fühlte
und der ihr Heil ist, den sie allein im Glauben kennt.
Das sind die wirklich Niedrigen, Nackten,
Hungrigen und Gott-fürchtende Geister,
wie wir weiter unten sehen werden.
Aus alledem können wir wissen und beurteilen,
wie voll die Welt heutzutage ist von falschen Predigern
und falschen Heiligen, die die Ohren der Menschen
mit der Predigt guter Werke füllen.
Es gibt zwar einige, die sie lehren, wie man gute Werke tut,
aber die meisten predigen menschliche Lehren und Werke,
die sie selbst erdacht und aufgestellt haben.
Selbst die besten von ihnen, leider!
sind doch so weit von diesem ebenen und geraden Weg entfernt,
dass sie die Menschen ständig zur rechten Hand treiben,
indem sie gute Werke und ein gottesfürchtiges Leben lehren,
nicht um der Güte Gottes willen,
sondern um des eigenen Vergnügens willen.
Denn wenn es weder Himmel noch Hölle gäbe
und wenn sie sich nicht der guten Gaben Gottes
erfreuen könnten, würden sie seine guten Dinge
ungeliebt und ungelobt lassen.
Diese Männer sind bloße Parasiten und Söldner;
Sklaven, nicht Söhne;
Ausländer, keine Erben.
Sie verwandeln sich in Götzen,
die Gott lieben und preisen soll,
und für die Er genau das tun soll,
was sie für Ihn tun sollten.
Sie haben keinen Geist, noch ist Gott ihr Heil.
Seine guten Gaben sind ihr Retter,
und mit ihnen muss Gott ihnen notwendigerweise
als ihr Diener dienen.
Sie sind die Kinder Israels,
die sich in der Wüste nicht damit begnügten,
Brot vom Himmel zu essen,
sondern denen es nach Fleisch,
Zwiebeln und Knoblauch gierte.
Ach! Die ganze Welt,
alle Klöster und alle Kirchen sind jetzt
mit solchen Leuten gefüllt.
Sie alle wandeln in diesem falschen, perversen
und ungleichen Geist und drängen
und treiben andere dazu, dasselbe zu tun.
Sie erheben gute Werke so hoch, dass sie glauben,
sie könnten damit den Himmel verdienen.
Aber die bloße Güte Gottes sollte vielmehr
vor allem anderen gepredigt und erkannt werden,
und wir sollten lernen, dass, ebenso wie Gott
uns aus reiner Güte ohne jeden Verdienst von Werken rettet,
wir unsererseits das tun sollten und arbeiten
ohne Belohnung oder selbstsüchtig,
um der bloßen Güte Gottes willen.
Wir sollten von ihnen nichts als Sein Wohlgefallen begehren
und uns nicht um eine Belohnung sorgen.
Das wird von selbst kommen, ohne unser Suchen.
Denn obwohl es unmöglich ist,
dass die Belohnung nicht folgen sollte,
wenn wir in einem reinen und richtigen Geist Gutes tun,
ohne an Belohnung oder Vergnügen zu denken;
dennoch wird Gott keinen solchen selbstsüchtigen
und unreinen Geist haben,
noch wird er jemals eine Belohnung erhalten.
Ein Sohn dient seinem Vater freiwillig und ohne Belohnung,
als sein Erbe nur um des Vaters willen.
Aber ein Sohn, der seinem Vater
nur um des Erbes willen diente,
wäre in der Tat ein unnatürliches Kind
und hätte es verdient,
von seinem Vater verstoßen zu werden.
Denn Er hat das Niedrige geachtet Seiner Magd:
Denn siehe, von nun an sollen mich
alle Generationen selig nennen.
Das Wort humilitas wurde von einigen mit Demut übersetzt,
als ob die Jungfrau Maria sich auf ihre Demut bezog
und sich ihrer rühmte; daher nennen sich gewisse Prälaten
auch Demütige. Aber das ist sehr weit gefehlt,
denn niemand kann sich einer guten Sache
in den Augen Gottes ohne Sünde und Verderben rühmen.
In seinen Augen sollten wir uns nur seiner reinen Gnade
und Güte rühmen, die er uns Unwürdigen
zuteil werden lässt; damit nicht unsere Liebe und Lobpreis,
aber nur seine Liebe allein möge in uns wohnen
und uns bewahren. So lehrt uns Salomo:
Stell dich nicht in die Gegenwart des Königs
und stelle dich nicht an die Stelle großer Männer.
Es ist besser, wenn zu dir gesagt wird: Komm herauf!
als dass du vor dem Fürsten erniedrigt würdest.
Wie sollte dieser reinen und gerechten Jungfrau
solcher Stolz und Prahlerei zugeschrieben werden,
als ob sie sich ihrer Demut
in der Gegenwart Gottes rühmte?
Denn Demut ist die höchste aller Tugenden,
und niemand außer den stolzeen Sterblichen kann sich rühmen,
sie zu besitzen. Nur Gott kennt Demut;
Er allein beurteilt es und bringt es ans Licht;
damit niemand weniger von der Demut weiß
als der wahrhaft Demütige.
Die biblische Bedeutung von humiliare
ist demütigen und zunichte machen.
Daher werden Christen
in der Heiligen Schrift häufig
pauperes, afflicti, humiliati genannt –
arm, bedrängt, verachtet.
So heißt es im Psalm: Ich war sehr bedrängt –
das heißt, gedemütigt. Demut ist also nichts anderes
als ein verachtetes und niedriges Gut,
wie es arm, krank, hungrig, durstig,
im Gefängnis, leidend und sterbend ist.
So war Hiob in seinen Bedrängnissen,
David, als er aus seinem Königreich vertrieben wurde,
und Christus
sowie alle Christen in ihren Nöten.
Das sind die Tiefen, von denen wir oben sagten,
dass Gottes Augen nur in sie hineinblicken,
die Menschen aber nur in die Höhe, nämlich auf das,
was herrlich und glorreich ist und sich tapfer zeigt.
Darum wird Jerusalem in der Schrift eine Stadt genannt,
auf die Gottes Augen offen sind –
das heißt, die christliche Kirche liegt in der Tiefe
und wird von der Welt verachtet;
deshalb betrachtet Gott sie und Seine Augen
sind immer auf sie gerichtet, wie er im Psalm sagt:
Ich werde meine Augen auf dich richten.
Der heilige Paulus sagt: Gott hat die Torheit der Welt erwählt,
um die Weisen zu verwirren;
und Gott hat die Schwachen erwählt,
um die Mächtigen zu verwirren;
und das Niedrige der Welt hat Gott erwählt,
ja, und das, was nicht ist, um das, was ist,
zunichte zu machen.
Wodurch Er die Welt mit all ihrer Weisheit
und Macht in Torheit verwandelt
und uns eine andere Weisheit und Macht schenkt.
Da es also Seine Art ist, Dinge zu betrachten,
die in der Tiefe liegen und nicht beachtet werden,
habe ich das Wort humilitas mit Nichtigkeit wiedergegeben.
Deshalb meint Maria Folgendes:
Gott hat mich angesehen,
ein armes, verachtetes und niedriges Mädchen,
obwohl er eine reiche, berühmte, edle und mächtige Königin
hätte finden können, die Tochter von Prinzen und großen Herren.
Er könnte die Tochter von Annas oder Kaiphas gefunden haben,
die das erste Volk im Land waren.
Aber Er ließ Seine reinen und gnädigen Augen
Licht auf mich werfen
und benutzte ein so armes und verachtetes Mädchen,
damit sich niemand seiner Gegenwart rühme,
als ob er dessen würdig wäre, und dass ich alles
als reine Gnade und Güte
und keineswegs als mein Verdienst anerkennen muss
oder meine Würdigkeit.
Nun, wir haben oben ausführlich beschrieben,
wie niedrig der Stand dieser zarten Jungfrau war,
und wie unerwartet diese Ehre ihr zuteil wurde,
dass Gott sie in so überströmender Gnade betrachten sollte.
Daher rühmt sie sich weder ihrer Würdigkeit
noch ihrer Unwürdigkeit, sondern allein
der göttlichen Achtung, die so überaus gütig und gnädig ist,
dass er sich herabließ, auf ein so niedriges Mädchen zu schauen,
und sie in so herrlicher und ehrenhafter Weise anzusehen.
Deshalb tun ihr Unrecht, die meinen,
sie habe sich zwar nicht ihrer Jungfräulichkeit,
aber ihrer Demut gerühmt.
Sie rühmte sich weder des einen noch des anderen,
sondern nur der gnädigen Achtung Gottes.
Daher liegt die Betonung nicht auf dem Wort
humilitatem, sondern auf dem Wort repexit.
Denn nicht ihre Demut,
sondern Gottes Achtung ist zu preisen.
Wenn ein Fürst einen armen Bettler bei der Hand nimmt,
ist nicht die Demut des Bettlers,
sondern die Anmut und Güte des Fürsten zu loben.
Um diese falsche Meinung zu zerstreuen
und echte von falscher Demut zu unterscheiden,
müssen wir ein wenig abschweifen
und das Thema Demut behandeln,
in Bezug auf das viele weit vom Weg abgekommen sind.
Demut nennen wir das, was der heilige Paulus
im Lateinischen „affectus vilitatis
seu sensus humilium rerum“ nennt,
das heißt eine Liebe und Neigung
zu niedrigen und verachteten Dingen.
Nun finden wir hier viele, die Wasser zum Brunnen tragen;
das heißt, die bescheidene Kleidung betreffend,
Gesichter, Gesten, Orte und Worte,
aber mit der Absicht, von den Mächtigen und Reichen,
von Gelehrten und Heiligen, ja, von Gott selbst
als Menschen angesehen zu werden,
die sich an niedrigen Dingen erfreuen.
Denn wenn sie wüssten, dass niemand achtete,
was sie taten, würden sie bald aufgeben.
Das ist eine künstliche Demut.
Denn der böse Blick ist nur auf den Lohn
und das Ergebnis ihrer Demut gerichtet
und nicht auf Kleinigkeiten außer einer Belohnung;
daher, wenn die Belohnung und das Ergebnis
nicht mehr verlockend sind, ihre Demut stoppt.
Solche Leute kann man nicht affekti vilitatis nennen –
sie haben ihr Herz und ihren Willen
auf Dinge niederen Grades gerichtet;
denn sie haben nur ihre Gedanken, Lippen, Hände, Kleidung
und Haltung darin, während ihr Herz
auf große und erhabene Dinge blickt,
die es durch diesen Anschein von Demut zu erreichen hofft.
Dennoch halten sich diese Männer für demütige Heilige.
Aber die wahrhaft Demütigen schauen nicht
auf das Ergebnis der Demut,
sondern betrachten mit einfachem Herzen
die Dinge von niedrigem Grad
und unterhalten sich gerne mit ihnen.
Es kommt ihnen nie in den Sinn, dass sie demütig sind.
Hier fließt das Wasser aus dem Brunnen;
daraus ergibt sich natürlich und selbstverständlich,
dass sie ein demütiges Auftreten, demütige Worte,
Orte, Gesichter und Kleider pflegen
und Großes und Erhabenes so weit wie möglich meiden.
So sagt David im Psalm: Herr,
mein Herz ist nicht hochmütig,
noch meine Augen erhaben.
Und Hiob: Wer gedemütigt wird,
wird in Herrlichkeit sein;
und wer seine Augen niederbeugt,
der wird gerettet werden.
Daher kommen Ehrerbietungen immer unverhofft über sie,
und sie werden alle überrumpelt;
denn sie waren einfach zufrieden
mit ihrer niedrigen Stellung
und strebten nie nach den Höhen.
Aber die falsch Demütigen wundern sich,
warum ihr Ruhm und ihre Ehre
so lange auf sich warten lassen;
ihr heimlicher falscher Stolz begnügt sich nicht
mit ihrem niedrigen Stand,
sondern strebt im Verborgenen immer höher und höher.
Wahre Demut weiß daher nie, dass sie demütig ist,
wie ich gesagt habe; denn wenn sie das wüsste,
würde sie stolz werden von der Betrachtung
einer so schönen Tugend.
Aber es klammert sich mit ganzem Herzen und Verstand
und allen Sinnen an die niedrigen Dinge,
stellt sie sich beständig vor Augen
und grübelt darüber in seinen Gedanken.
Und weil es sie vor Augen hat,
kann es sich selbst nicht sehen
und sich seiner selbst nicht bewusst werden,
geschweige denn der hohen Dinge.
Und deshalb, wenn Ehre und Erhebung kommen,
müssen sie es unvorbereitet hinnehmen und finden,
dass es in Gedanken an andere Dinge versunken ist.
So sagt uns Lukas in seinem ersten Kapitel,
dass Maria über die Worte des Engels beunruhigt war
und sich überlegte, welche Art von Gruß
das konnte sein, da sie so etwas nie erwartet hatte.
Wäre er zu der Tochter des Kaiphas gekommen,
sie hätte sich nicht überlegt,
was für eine Art Gruß das war,
sondern hätte es sofort an sich gedrückt und gedacht:
Ha! was ist das für eine feine Sache
und wie bin ich reich beschenkt!
Falsche Demut hingegen weiß nie, dass sie stolz ist;
denn wenn sie das wüsste,
würde sie bald demütig werden
angesichts dieses hässlichen Lasters.
Aber es klammert sich mit Herz und Verstand und Sinnen
an hohe Dinge, stellt sie sich beständig vor Augen
und grübelt darüber in seinen Gedanken.
Und weil es das tut, kann es sich selbst weder sehen
noch sich seiner selbst bewusst werden.
Daher kommen Ehrungen nicht unbewusst
oder unerwartet zu ihm,
sondern finden ihn in Gedanken daran versunken.
Aber Schmach und Demütigung überrumpeln ihn
und wenn er an etwas ganz anderes denkt.
Es ist daher vergebens, die Menschen Demut zu lehren,
indem man sie lehrt, ihre Augen auf Niedriges zu richten,
und niemand wird stolz, wenn er seine Augen
auf Erhabenes richtet. Nicht die Dinge,
sondern unsere Augen müssen verändert werden;
denn wir müssen unser Leben hier
inmitten von niedrigen und hohen Dingen verbringen.
Es ist unser Auge, das ausgerissen werden muss,
wie Christus sagt. Mose sagt uns nicht,
dass Adam und Eva nach dem Fall
verschiedene Dinge sahen, aber er sagt,
dass ihre Augen geöffnet wurden
und sie sahen, dass sie nackt waren,
obwohl sie zuvor nackt waren
und sich dessen nicht bewusst waren.
Königin Esther trug eine kostbare Krone auf ihrem Kopf,
doch sie sagte, dass es in ihren Augen
nur ein schmutziger Menstruationslappen zu sein schien.
Die erhabenen Dinge wurden ihr nicht aus den Augen entfernt,
aber da sie eine mächtige Königin war,
hatte sie sie in großer Fülle vor sich
und kein niedriges Ding in Sichtweite;
aber ihre Augen waren demütig,
ihr Herz und Sinn blickten nicht auf die erhabenen Dinge,
und so wirkte Gott wunderbare Dinge durch sie.
Es sind also nicht die Dinge, sondern wir,
die in Herz und Sinn verändert werden müssen.
Dann werden wir von uns selbst wissen,
wie man hohe Dinge verachtet und meidet,
und wie man niedrige Dinge schätzt und sucht.
Dann ist Demut wahrlich gut und standhaft in jeder Hinsicht
und ist sich doch nie bewusst, dass sie demütig ist.
Alle Dinge werden gerne getan,
und das Herz ist ungestört,
wie auch immer sich die Dinge verschieben
und wenden mögen, von hoch zu niedrig, von groß zu klein.
Ah, wie viel Stolz lauert hinter diesem demütigen Gewand,
dieser demütigen Rede und diesem bescheidenen Verhalten,
von denen die Welt heute so voll ist.
Die Menschen verachten sich selbst,
um von niemand anderem verachtet zu werden;
sie fliehen vor Ehren,
um dennoch durch Ehren verfolgt zu werden;
sie meiden hohe Dinge,
aber um geschätzt und gelobt zu werden,
und um ihre niedrigen Dinge
nicht allzu niedrig zu halten.
Aber diese heilige Jungfrau weist auf nichts
außer ihrem niedrigen Stand hin.
Sie war damit zufrieden, den Rest ihrer Tage
darin zu verbringen, ohne danach zu trachten,
geehrt oder erhöht zu werden,
ohne sich jemals ihrer eigenen Demut bewusst zu werden.
Denn Demut ist eine so zarte und kostbare Sache,
dass sie es nicht ertragen kann,
ihr eigenes Gesicht zu sehen;
das gehört allein Gottes Augen,
wie es im Psalm heißt: Der auf das Niedrige
im Himmel und auf Erden herabschaut.
Denn wenn jemand seine eigene Demut sehen könnte,
könnte er beurteilen sich selbst des Heils würdig,
und so Gottes Gericht vorwegnehmen;
denn wir wissen, dass Gott wahrhaftig die Demütigen rettet.
Deshalb muss sich Gott notwendigerweise
das Recht vorbehalten, Demut zu kennen und zu betrachten,
und muss es vor uns verbergen, indem er uns Dinge
von niedrigem Grad vor Augen stellt
und uns darin übt, damit wir vergessen,
auf uns selbst zu schauen.
Das ist der Zweck der vielen Leiden,
des Todes und aller Arten von Bedrängnissen,
die wir auf Erden zu tragen haben;
durch die Mühe und Schmerzen, die sie uns zufügen,
sollen wir den bösen Blick ausreißen.
So zeigt uns das kleine Wort humilitas deutlich,
dass die Jungfrau Maria
eine arme, verachtete und niedrige Jungfrau war,
die Gott in ihrem niedrigen Stand diente,
ohne zu wissen, dass sie von Ihm so hoch geschätzt wurde.
Dies sollte uns trösten und uns lehren,
dass wir, obwohl wir bereitwillig gedemütigt
und verachtet werden sollten, nicht verzweifeln
und Gott zornig auf uns finden sollten,
sondern unsere Hoffnung auf seine Gnade setzen
und uns nur Sorgen machen sollten,
dass wir nicht fröhlich sind und zufrieden genug
in unserem niedrigen Stand,
und vielleicht ist unser böser Blick nicht zu weit geöffnet
und täuscht uns, indem er heimlich
nach erhabenen Dingen
und Zufriedenheit mit sich selbst giert,
was der Tod der Demut ist.
Was nützt es den Verdammten,
dass sie bis ins kleinste Maß gedemütigt werden,
da sie nicht bereit und zufrieden sind,
dort zu sein, wo sie sind?
Nochmals, was schadet es allen Engeln,
dass sie in höchstem Maße erhöht sind,
solange sie nicht mit falschem Verlangen
an ihrer Stufe festhalten?
Kurz gesagt, dieser Vers lehrt uns,
Gott richtig zu kennen, weil er uns zeigt,
dass er die Niedrigen und Verachteten liebt.
Denn der kennt Gott recht, der weiß,
dass er die Niedrigen ansieht, wie wir oben gesagt haben.
Aus solchem Wissen fließen Liebe
und Vertrauen zu Gott,
wodurch wir uns Ihm hingeben und Ihm gerne gehorchen.
Wie Jeremia sagt: Lass niemanden glühen
in seiner Weisheit, Macht oder Reichtum,
sondern den, der sich rühmt, soll darin leuchten,
dass er mich versteht und kennt.
Und der heilige Paulus lehrt: Wer sich rühmt,
der rühme sich des Herrn.
Nun, nachdem sie ihren Gott und Retter
mit einem reinen und einzigen Geist geehrt hat
und nachdem sie wahrhaftig das Lob
seiner Güte gesungen hat,
indem sie sich nicht seiner Gaben rühmt,
wendet sich die Muttergottes
an der nächsten Stelle auch dem Lob
seiner Werke und Gaben zu.
Denn wie wir gesehen haben, dürfen wir nicht
auf die guten Gaben Gottes fallen oder uns ihrer rühmen,
sondern unseren Weg durch sie hindurch bahnen
und zu ihm aufsteigen, uns an ihn allein klammern
und seine Güte hoch schätzen.
Daraufhin sollten wir Ihn auch in Seinen Werken preisen,
in denen Er seine Güte für unsere Liebe,
unser Vertrauen und unser Lob zum Ausdruck brachte;
so dass seine Werke nur so viele Anreize sind,
seine bloße Güte, die über uns herrscht,
zu lieben und zu preisen.
Maria beginnt bei sich selbst und singt,
was er für sie getan hat. So erteilt sie uns
eine zweifache Lektion.
Erstens, dass jeder von uns darauf achten sollte,
was Gott für ihn tut, und nicht all die Werke,
die er für andere tut.
Denn niemand wird gerettet durch das,
was Gott einem anderen tut,
sondern nur durch das, was er dir tut.
Als Petrus bezüglich Johannes fragte:
Was soll dieser Mann tun?
Christus antwortete und sprach zu ihm:
Was geht dich das an? Folge mir!
Das heißt: Johannes‘ Werke werden dir nichts nützen;
du musst selbst aufbrechen und abwarten,
was ich dir tun werde.
Aber jetzt ist die Welt einem schrecklichen Missbrauch verfallen –
dem Verkauf und der Verbreitung guter Werke –
durch den bestimmte verwegene Geister
anderen helfen würden, besonders solchen,
die ohne eigene gute Werke leben oder sterben,
so als ob diese Geister getan hätten
einen Übermaß an guten Werken.
Aber der heilige Paulus sagt deutlich:
Jeder wird seinen eigenen Lohn erhalten
nach seiner eigenen Arbeit –
sicherlich nicht nach der eines anderen.
Es wäre nicht so schlimm, wenn sie für andere beten
oder ihre Werke als Fürsprache vor Gott bringen würden.
Da sie aber mit ihren Werken umgehen,
als müssten sie sie verschenken,
wird es zum Skandalgeschäft.
Und was das Schlimmste ist, sie verschenken ihre Werke,
deren Wert sie in Gottes Augen selbst nicht kennen;
denn Gott sieht nicht auf die Werke, sondern auf das Herz
und auf den Glauben, durch den er selbst an uns wirkt.
Darauf achten sie nicht im Geringsten,
sondern vertrauen nur auf die äußeren Werke
und betrügen sich selbst und alle anderen daneben.
Sie sind sogar so weit gegangen, Männer zu überreden,
auf ihren Sterbebetten die Mönchskutte anzuziehen
und vorzugeben, dass jeder,
der in diesem heiligen Habit stirbt,
Ablass für alle seine Sünden erhält und gerettet wird.
So haben sie begonnen, Menschen nicht nur
mit den Werken, sondern auch mit der Kleidung
anderer zu retten. Wenn wir uns nicht darum kümmern,
fürchte ich, dass der böse Geist sie dazu treiben wird,
Menschen durch klösterliche Kost, Zellen
und Begräbnisse in den Himmel zu bringen.
Großer Gott, was für eine finstere Finsternis ist das!
Eine Mönchsmütze macht einen Mann fromm und rette ihn!
Wo ist dann der Glaube nötig?
Lasst uns alle Mönche werden
oder alle in Kutten sterben!
Welche Mengen an Stoff würden allein auf diese Weise
zur Herstellung von Mönchskutten verwendet werden!
Hüte dich, hüte dich vor den Wölfen in solchem Schafspelz;
sie werden dich täuschen und dich in Stücke reißen.
Denke daran, dass Gott auch Sein Werk in dir hat,
und gründe deine Erlösung auf keine anderen Werke
als die, die Gott allein in dir wirkt,
wie du die Jungfrau Maria hier tun siehst.
Es ist richtig und angemessen, sich dabei
von der Fürbitte anderer unterstützen zu lassen;
wir sollten alle füreinander beten und arbeiten.
Aber niemand sollte von den Werken anderer abhängig sein,
ohne die Werke Gottes in sich selbst.
Jeder soll sich und seinen Gott
mit allem Eifer so betrachten, als ob Gott und er
die einzigen Personen im Himmel und auf Erden wären
und als ob Gott mit niemand anderem
als mit ihm zu tun hätte. Daraufhin darf er auch
auf die Werke anderer blicken.
Zweitens lehrt sie uns, dass jeder danach streben sollte,
Gott an erster Stelle zu preisen,
indem er ihm die Werke zeigt, die er an ihm getan hat,
und ihn dann für die Werke lobt,
die er an anderen getan hat.
So lesen wir, dass Paulus und Barnabas
den Aposteln die Werke verkündeten,
die Gott durch sie vollbracht hatte,
und dass die Apostel ihrerseits diejenigen wiederholten,
die Er durch sie vollbracht hatte.
Dasselbe wurde von den Aposteln
in Bezug auf die Erscheinungen Christi getan
nach seiner Auferstehung.
So entstand ein gemeinsames Jubeln und Loben Gottes,
jeder lobte die dem anderen zuteil gewordene Gnade,
am meisten aber die ihm selbst zuteil gewordene,
so viel bescheidener sie auch war als die der anderen.
Sie waren so einfachen Herzens,
dass alle wünschten, nicht im Besitz der Gaben
an erster Stelle zu stehen, sondern Gott zu preisen
und zu lieben, denn Gott selbst
und seine bloße Güte genügten ihnen,
so klein seine Gaben auch sein mögen.
Aber die Söldner und Mietlinge werden grün vor Neid,
wenn sie bemerken, dass sie nicht in erster Linie
die guten Dinge Gottes besitzen;
anstatt zu loben, murren sie,
weil sie anderen gleich oder niedriger gestellt sind,
wie die Weingärtner im Evangelium,
die gegen den Gutsherrn des Hauses murrten,
nicht weil er ihnen Unrecht getan hätte,
sondern weil er sie gleichstellte den anderen Arbeitern,
indem sie alle den gleichen Pfennig bekamen.
Trotzdem finden wir heute Menschen,
die die Güte Gottes nicht preisen,
weil sie nicht sehen können,
dass sie dasselbe empfangen haben wie der hl. Petrus
oder irgendein anderer der Heiligen
oder als dieser oder jener Mann, der auf Erden lebt.
Sie meinen, sie würden Gott auch preisen und lieben,
wenn sie so viel besäßen,
und sie verachten die guten Gaben Gottes,
mit denen sie so reichlich überschüttet werden
und die sie überhaupt übersehen,
wie Leben, Körper, Vernunft, Güter, Ehre, Freunde,
der Dienst der Sonne und aller erschaffenen Dinge.
Und selbst wenn sie all die guten Dinge von Maria hätten,
würden sie Gott in ihnen dennoch nicht erkennen
noch ihn ihretwegen preisen.
Denn wie Christus in Lukas sagt:
Wer im Geringsten treu ist, ist auch im Großen treu;
und wer im Geringsten ungerecht ist,
der ist auch im Großen ungerecht.
Weil sie das Kleine und das Wenige verachten,
sind sie des Vielen und des Großen nicht würdig.
Aber wenn sie Gott lobten im Wenigen,
würde ihnen auch das Viele hinzugefügt werden.
Sie handeln so, wie sie es tun,
weil sie über sich und nicht unter sich schauen;
wenn sie unter sich schauen würden, würden sie viele finden,
die nicht die Hälfte von dem haben, was sie haben,
und dennoch in Gott zufrieden sind und sein Lob singen.
Ein Vogel pfeift seinen Schlaf
und freut sich über die Gaben, die er hat;
nicht murrt er, weil er nicht die Gabe der Sprache hat.
Ein Hund springt fröhlich umher und ist zufrieden,
obwohl ihm die Gabe der Vernunft fehlt.
Alle Tiere leben in Zufriedenheit und dienen Gott,
den sie lieben und loben.
Nur das böse, widerwillige Auge des Menschen
ist niemals zufrieden, noch kann es wegen seiner Undankbarkeit
und seines Stolzes jemals wirklich zufrieden sein.
Es möchte immer den besten Platz beim Fest haben
und der Hauptgast sein; es ist nicht bereit, Gott zu ehren,
sondern möchte lieber von Gott geehrt werden.
Es gibt eine Geschichte aus den Tagen
des Konstanzer Konzils von zwei Kardinälen,
die auf einem Ausritt einen Hirten auf einem Feld
stehen und weinen sahen. Einer der beiden Kardinäle,
der eine gute Seele war und nicht bereit war, vorbeizugehen,
ohne dem Mann etwas Trost zu spenden,
ritt auf ihn zu und fragte ihn, warum er weine.
Der Hirte, der verwundet weinte,
antwortete lange Zeit auf die Frage des Kardinals.
Schließlich zeigte er mit dem Finger auf eine Kröte und sagte:
Ich weine, weil Gott mich so begünstigt hat,
ein Mensch zu sein, und nicht abscheulich wie dieses Reptil,
und ich habe es noch nie anerkannt
noch ihm dafür gedankt und ihn gepriesen.
Der Kardinal schlug sich an die Brust und zitterte so heftig,
dass er von seinem Reittier fiel.
Er musste zu seiner Herberge getragen werden und rief:
Ach, heiliger Augustinus, wie wahr hast du gesagt:
Die Ungelehrten springen auf
und nehmen den Himmel mit Gewalt,
und wir mit all unserer Gelehrsamkeit sehen,
wie wir uns suhlen in Fleisch und Blut!
Nun, ich glaube, dieser Hirte war weder reich
noch schön noch mächtig; dennoch hatte er
einen so klaren Einblick in die guten Gaben Gottes
und dachte so tief darüber nach, dass er darin mehr fand,
als er begreifen konnte. Maria bekennt,
dass das wichtigste Werk, das Gott für sie vollbracht hat,
darin bestand, sie zu betrachten,
was in der Tat das größte seiner Werke ist,
von dem alle anderen abhängen
und von denen sie alle abstammen.
Denn wo es geschieht, dass Gott einem Menschen
sein Angesicht zuwendet, um ihn anzusehen,
da ist nichts als Gnade und Erlösung,
und alle Gaben und Werke müssen notwendigerweise folgen.
So lesen wir in Mose, dass Er Abel
und seine Opfergabe respektierte,
aber Kain und seine Opfergabe nicht respektierte.
Hier ist der Ursprung der vielen Gebete im Psalter,
dass dieser Gott sein Angesicht über uns erheben möchte,
dass er sein Angesicht nicht vor uns verbergen möchte,
dass er sein Angesicht über uns leuchten lassen möchte.
Und da Maria selbst dies als das Wichtigste betrachtet,
weist sie darauf hin, indem sie sagt: Siehe,
da er mich angesehen hat, werden mich selig preisen
alle Geschlechter. Beachte, dass sie nicht sagt,
dass Menschen allerlei Gutes über sie sprechen,
ihre Tugenden preisen, ihre Jungfräulichkeit
oder ihre Demut preisen oder über das singen sollen,
was sie getan hat. Aber allein wegen dieser einen Sache,
dass Gott sie angesehen hat, werden die Menschen
sie selig nennen. Das bedeutet, Gott
die ganze Ehre so vollständig wie möglich zu geben.
Deshalb weist sie auf Gottes Ansehen hin
und sagt: Denn siehe, von nun an werden mich selig preisen
alle Geschlechter. Das heißt, von der Zeit an,
wo Gott mein niedriges Gut ansah,
werde ich gesegnet genannt.
Nicht sie wird damit gepriesen,
sondern Gottes Gnade zu ihr.
Nein, sie verachtet sich selbst, indem sie sagt,
ihr niedriger Stand sei von Gott angesehen worden.
Deshalb erwähnt sie auch ihre Glückseligkeit,
bevor sie die Werke aufzählt, die Gott an ihr getan hat,
und schreibt alles der Tatsache zu, dass Gott
ihren niedrigen Stand betrachtete.
Daraus können wir lernen, ihr die Ehre
und Hingabe zu erweisen, die ihr zustehen.
Wie soll man sie ansprechen?
Behalte diese Worte im Gedächtnis
und sie werden dich lehren zu sagen:
O heilige Jungfrau, Mutter Gottes,
du warst nichts und verachtet; doch Gott
in seiner Gnade hat dich angesehen
und so große Dinge in dir gewirkt.
Du warst keiner von ihnen würdig,
aber die reiche und überfließende Gnade Gottes war auf dir,
weit über deine Verdienste.
Sei gegrüßt, gesegnet seist du von nun an und für immer,
einen solchen Gott zu finden.
Du brauchst auch nicht zu befürchten,
dass sie dir übel nehmen wird, wenn wir sie
einer solchen Gnade unwürdig nennen.
Denn wahrlich, sie hat nicht gelogen,
als sie selbst ihre Unwürdigkeit und Nichtigkeit anerkannte,
die Gott nicht wegen eines Verdienstes an ihr,
sondern allein aufgrund seiner Gnade ansah.
Aber sie nimmt es übel, dass die eitlen Schwätzer
so viel über ihre Verdienste predigen und schreiben.
Sie wollen ihr Können beweisen
und sehen nicht, wie sie das Magnifikat verderben,
die Gottesmutter zur Lügnerin machen
und die Gnade Gottes schmälern.
Denn in dem Maße, wie wir ihr Verdienst
und Würdigkeit zuschreiben, verringern wir
die Gnade Gottes und verringern
die Wahrheit des Magnifikat.
Der Engel grüßt sie aber als hoch begnadet von Gott,
und weil der Herr mit ihr ist, weshalb sie
unter den Frauen gesegnet ist.
Darum sind alle, die ihr so viel Lob und Ehre
auf ihr Haupt häufen, nicht weit davon entfernt,
sie zum Götzen zu machen, als sei sie besorgt,
dass die Menschen sie ehren und Gutes von ihr erwarten,
wenn sie es in Wahrheit von sich abstößt,
und möchte, dass wir Gott in ihr ehren
und durch sie zu einem guten Vertrauen
in seine Gnade kommen.
Wer ihr also die gebührende Ehre erweisen will,
darf sie nicht allein und für sich betrachten,
sondern sie in die Gegenwart Gottes
und weit unter Ihn stellen,
muss sie dort aller Ehre berauben
und ihr geringes Gut achten, wie sie selbst sagt;
er sollte dann über die überaus reiche Gnade Gottes staunen,
der eine so arme und verachtete Sterbliche ansieht,
umarmt und segnet.
In Bezug auf sie wirst du also dazu bewegt,
Gott für seine Gnade zu lieben und zu preisen,
und dazu hingezogen, alles Gute bei Ihm zu suchen,
der die Armen, Verachteten und Niedrigen nicht ablehnt,
sondern gnädig ansieht. So wird dein Herz im Glauben,
in der Liebe und in der Hoffnung gestärkt.
Was, denkst du, würde sie mehr erfreuen,
als wenn du so durch sie zu Gott kommst und von ihr lernst,
deine Hoffnung und dein Vertrauen auf Ihn zu setzen,
ungeachtet deines verachteten und niedrigen Standes,
im Leben wie im Tod?
Sie will nicht, dass du zu ihr kommst,
sondern durch sie zu Gott.
Nichts würde ihr wiederum mehr gefallen,
als wenn du dich ängstlich
von allen erhabenen Dingen abwendest,
auf die die Menschen ihr Herz richten,
da Gott selbst in seiner Mutter
nichts Höheres fand oder begehrte.
Aber die Meister, die die selige Jungfrau so schildern
und porträtieren, dass an ihr nichts zu verachten ist,
sondern nur Großes und Erhabenes,
was tun sie, als uns ihr gegenüberzustellen
statt sie Gott? Wodurch sie uns ängstlich machen
und das schöne Bild der Jungfrau verbergen,
wie die Bilder in der Fastenzeit bedeckt sind.
Denn sie nehmen uns ihr Beispiel,
an dem wir uns trösten könnten;
sie machen eine Ausnahme von ihr
und stellen sie über alle Beispiele.
Aber sie sollte und würde es selbst gerne sein,
das beste Beispiel für die Gnade Gottes,
um die ganze Welt zum Vertrauen zu bewegen,
diese Gnade zu lieben und zu preisen,
damit durch sie die Herzen aller Menschen
mit solcher Gotteserkenntnis erfüllt werden,
dass sie getrost sagen können:
O du selige Jungfrau, Mutter Gottes,
welch großen Trost hat Gott uns erwiesen in dir,
indem du deine Unwürdigkeit und deinen niedrigen Stand
so gnädig betrachtest.
Hiermit werden wir ermutigt zu glauben,
dass er uns Arme und Niedrige fortan nicht verachten,
sondern auch uns gnädig achten wird nach deinem Beispiel.
Bitte, erzähle; wenn David, Petrus, Paulus,
Maria Magdalena und dergleichen Beispiele sind,
um unser Vertrauen in Gott
und unseren Glauben zu stärken,
aufgrund der großen Gnade,
die ihnen ohne ihre Würdigkeit zum Trost aller zuteil wird,
will nicht auch die Gottesgebärerin
aller Welt gern ein solches Vorbild sein?
Aber jetzt kann sie das nicht sein
wegen der überschwänglichen Lobredner
und leeren Schwätzer, die den Menschen
aus diesem Vers nicht zeigen,
wie sich die überwältigenden Reichtümer Gottes
in ihr mit ihrer äußersten Armut vereinen,
die göttliche Ehre mit ihrem geringen Stand,
die göttliche Herrlichkeit mit ihrer Schmach,
die göttliche Größe mit ihrer Kleinheit,
die göttliche Güte mit ihrem Mangel an Verdienst,
die göttliche Gnade mit ihrer Unwürdigkeit.
Dadurch würde unsere Liebe und Zuneigung zu Gott
mit allem Vertrauen wachsen und zunehmen,
wozu in der Tat ihr Leben und ihre Werke
sowie die Leben und Werke aller Heiligen
aufgezeichnet wurden. Aber jetzt finden wir diejenigen,
die zu ihr um Hilfe und Trost kommen,
als ob sie eine Göttin wäre, so dass ich befürchte,
dass es jetzt mehr Götzendienst auf der Welt gibt
als je zuvor. Aber genug davon für den Augenblick.
Den lateinischen Ausdruck omnes generationes
habe ich mit Kindeskindern wiedergegeben,
obwohl er wörtlich „alle Generationen“ bedeutet.
Aber das ist ein obskurer Ausdruck,
und viele haben sich durch diese Passage schwer getan,
zu wissen, wie es sein kann, dass alle Generationen
sie segnen werden, da die Juden, die Heiden
und viele böse Christen sie lästern oder verachten,
sie selig zu nennen. Sie verstehen unter dem Wort
„Generationen“ die Gesamtheit der Menschheit,
wobei hier eher die natürliche Abstammungslinie
vom Vater gemeint ist, Sohn, Enkel,
wobei jedes Mitglied eine Generation genannt wird.
Die Jungfrau Maria will einfach sagen,
dass ihr Lob von einer Generation
zur anderen gesungen wird,
sodass es nie eine Zeit geben wird,
in der sie nicht gelobt wird.
Dies zeigt sie an, indem sie sagt:
Siehe, von nun an alle Geschlechter.
Das heißt, es beginnt jetzt
und wird sich durch alle Generationen
bis zu den Kindeskindern fortsetzen.
Das Wort makariousi bedeutet mehr als nur selig zu nennen;
seine Bedeutung ist eher segnen oder selig machen.
Dies besteht nicht nur darin, die Worte zu sagen,
das Knie zu beugen, den Kopf zu neigen, den Hut zu ziehen,
Bilder zu machen oder Kirchen zu bauen;
das können sogar die Bösen tun.
Aber es geschieht mit aller Kraft
und mit gerader Aufrichtigkeit, wenn das Herz,
bewegt von ihrer Niedrigkeit
und Gottes gnädiger Rücksicht auf sie,
wie wir gesehen haben, sich über Gott freut
und von ganzem Herzen sagt oder denkt:
O Du gesegnete Jungfrau Maria!
Sie zu segnen bedeutet also, ihr die Ehre zu erweisen,
die ihr zusteht, wie wir gesehen haben.
Denn er ist mächtig und hat große Dinge an mir getan
und heilig ist sein Name! Hier singt sie in einem Hauch
alle Werke, die Gott an ihr getan hat,
und achtet auf die rechte Ordnung.
In der vorangehenden Strophe sang sie von Gottes Achtung
und gnädigem Wohlwollen ihr gegenüber, was in der Tat
das größte und wichtigste Werk der Gnade ist.
Jetzt kommt sie zu den Werken und Geschenken.
Denn Gott gibt einigen wirklich viele gute Dinge
und schmückt sie reich,
wie Er es Luzifer im Himmel getan hat.
Er verteilt seine Gaben unter der Menge;
aber Er betrachtet sie deshalb nicht.
Seine guten Dinge sind nur Geschenke,
das letzte aber für eine Zeit;
aber seine Gnade und Achtung sind das Erbe, das ewig währt,
wie der heilige Paulus sagt:
Die Gnade Gottes ist ewiges Leben.
Indem er uns die Gaben gibt, gibt er nur das, was ihm gehört,
aber in seiner Gnade und seiner Rücksicht auf uns
gibt er sich selbst. In den Gaben berühren wir seine Hand,
aber in seiner gnädigen Betrachtung
empfangen wir sein Herz, seinen Geist,
seinen Verstand und seinen Willen.
Daher stellt die selige Jungfrau seinen Respekt
an die erste und höchste Stelle
und beginnt nicht damit, zu sagen:
Alle Geschlechter werden mich selig preisen,
weil Er Großes an mir getan hat, wie dieser Vers sagt;
aber sie beginnt, wie der vorangehende Vers zeigt:
Er hat mein niedriges Gut betrachtet.
Wo Gottes gnädiger Wille ist, da sind auch seine Gaben;
aber andererseits ist dort, wo seine Gaben sind,
nicht auch sein gnädiger Wille.
Dieser Vers folgt daher logisch auf den vorhergehenden Vers.
Wir lesen bei Mose, dass Abraham
den Söhnen seiner Nebenfrauen Geschenke gab,
aber Isaak, seinem natürlichen Sohn
von seiner wahren Gehilfin Sarah, gab er das ganze Erbe.
So möchte Gott, dass seine wahren Kinder
nicht auf seine Güter und Gaben vertrauen,
seien sie geistlich oder weltlich,
wie groß sie auch sein mögen, sondern
auf seine Gnade und auf sich selbst,
ohne jedoch die Gaben zu verachten.
Maria zählt auch keine besonderen guten Dinge auf,
sondern fasst sie alle in einem Wort zusammen
und sagt: Er hat große Dinge an mir getan,
das heißt: Alles, was er an mir getan hat, ist groß.
Dabei lehrt sie uns, dass je mehr Hingabe im Herzen ist,
desto weniger Worte fallen.
Denn sie hat das Gefühl, dass sie es,
so sehr sie sich auch anstrengen und versuchen mag,
nicht in Worte fassen kann.
Deshalb sind diese wenigen Worte des Geistes
so groß und tief, dass niemand sie verstehen kann,
ohne zumindest teilweise denselben Geist zu haben.
Aber für die Ungeistigen, die mit vielen Worten
und viel lautem Lärm umgehen,
scheinen solche Worte völlig unzureichend
und völlig ohne Salz oder Geschmack zu sein.
Christus lehrt uns auch, nicht viel zu reden, wenn wir beten,
wie es die Heiden tun, denn sie denken,
dass sie erhört werden, weil sie viel reden.
Auch heute gibt es in den Kirchen
ein großes Glockenläuten, Posaunenblasen,
Singen, Rufen und Stimmen,
und doch fürchte ich eine köstliche kleine Anbetung Gottes,
der im Geist und in der Wahrheit angebetet werden möchte.
Salomo sagt: Wer seinen Freund mit lauter Stimme segnet,
frühmorgens aufstehend, dem wird es als Fluch gelten.
Denn ein solcher erweckt den Verdacht, dass er bestrebt ist,
eine böse Sache zu schmücken; er protestiert zu viel
und besiegelt nur sein eigenes Ende.
Wer dagegen seinen Nächsten mit lauter Stimme verflucht
und frühmorgens aufsteht (also nicht gleichgültig,
sondern mit großem Eifer und Dringlichkeit),
ist als ein Lobpreiser seines Nächsten anzusehen.
Denn die Menschen glauben ihm nicht,
sondern halten ihn für von Hass und bösem Herzen getrieben;
er schadet seiner eigenen Sache
und hilft der seines Nächsten.
Auf die gleiche Weise daran zu denken,
Gott mit vielen Worten und großem Lärm anzubeten,
ihn entweder für taub oder unwissend zu halten
und anzunehmen, wir müssten ihn wecken oder belehren.
Eine solche Meinung über Gott neigt eher
zu seiner Schande und Unehre
als zu seiner Anbetung. Aber wenn man in der Tiefe
seines Herzens über Seine göttlichen Werke nachdenkt
und sie mit Staunen und Dankbarkeit betrachtet,
so dass man aus großer Glut eher in Seufzer und Stöhnen
als in Reden ausbricht; wenn die Worte,
weder gut gewählt noch vorgeschrieben,
so hervor strömen, dass der Geist mit ihnen
und den Worten brodelt, lebend und Hände und Füße habend,
ja, dass der ganze Leib und das ganze Leben
mit allen seinen Gliedern nach Äußerung strebt
und sich anstrengt – das ist wahrlich
eine Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit,
und solche Worte sind ganz Feuer, Licht und Leben.
Wie David sagt: Herr, dein Wort ist überaus geläutert;
und wieder: Meine Lippen sollen eine Hymne hervorbringen,
selbst wenn kochendes Wasser überläuft und brodelt,
unfähig, sich vor der großen Hitze im Topf zurückzuhalten.
Von dieser Art sind die Worte der seligen Jungfrau
in diesem ihrer Hymne, wenige,
aber tiefgründig und mächtig.
Solche Seelen nennt Paulus spiritu ferventes,
inbrünstig und im Geiste brodelnd,
und lehrt uns, es auch zu sein.
Die großen Dinge sind nichts Geringeres,
als dass sie die Mutter Gottes wurde,
in deren Arbeit ihr so viele und so große gute Dinge
zuteil werden, die das menschliche Verständnis übersteigen.
Denn daraus folgt alle Ehre, alle Seligkeit
und ihr einzigartiger Platz in der ganzen Menschheit,
unter denen sie ihresgleichen sucht,
nämlich, dass sie ein Kind vom Vater im Himmel hatte,
und ein solches Kind.
Sie selbst findet keinen Namen für dieses Werk,
es ist zu groß; alles, was sie tun kann,
ist in den inbrünstigen Schrei auszubrechen,
es sind großartige Dinge, unmöglich zu beschreiben
oder zu definieren. Daher haben die Menschen
ihre ganze Herrlichkeit in ein einziges Wort gedrängt
und sie Mutter Gottes genannt.
Niemand kann etwas Größeres über sie oder zu ihr sagen,
obwohl er so viele Zungen hatte, wie es Blätter
an den Bäumen oder Gras auf den Feldern
oder Sterne am Himmel oder Sand am Meer gibt.
Es muss im Herzen darüber nachgedacht werden,
was es bedeutet, Mutter Gottes zu sein.
Auch Maria schreibt alles freiwillig der Gnade Gottes zu,
nicht ihrem Verdienst. Denn obwohl sie
ohne Sünde war, war diese Gnade
doch zu überwältigend groß,
als dass sie sie in irgendeiner Weise verdient hätte.
Wie sollte ein Geschöpf es verdienen,
Mutter Gottes zu werden!
Obwohl einige Schreiberlinge viel Aufhebens
um ihre Würdigkeit für eine solche Mutterschaft machen,
werde ich ihr dennoch mehr glauben als ihnen.
Sie sagt, ihr niedriger Stand wurde von Gott angesehen,
noch war das eine Belohnung für irgendetwas,
was sie getan hatte, aber er hat mir große Dinge getan;
er hat dies aus eigenem Antrieb ohne mein Zutun getan.
Denn niemals in ihrem ganzen Leben
hat sie daran gedacht, Mutter Gottes zu werden,
noch weniger hat sie sich darauf vorbereitet.
Die Nachricht traf sie völlig unerwartet,
wie Lukas berichtet.
Aber Verdienst ist nicht unvorbereitet auf seinen Lohn,
sondern sucht und erwartet ihn bewusst.
Es ist kein stichhaltiges Argument dagegen,
die Worte der Hymne Regina coeli laetare zu zitieren:
Den du zu tragen verdienst, und noch einmal:
Den zu tragen du würdig warst.
Denn dieselben Dinge werden vom heiligen Kreuz besungen,
das ein Ding aus Holz und unwürdig war.
Die Worte sind in diesem Sinne zu verstehen:
Um Gottesmutter zu werden, muss sie eine Frau,
eine Jungfrau, aus dem Stamm Juda sein,
und muss der Engelsbotschaft glauben,
um dafür tauglich zu werden, wie die Schriften vorhergesagt.
Da das Holz keinen anderen Verdienst oder Wert hatte,
als dass es geeignet war, zu einem Kreuz gemacht zu werden,
und von Gott dazu bestimmt war,
so lag ihre einzige Würdigkeit, Mutter Gottes zu werden,
darin, dass sie dazu geeignet
und dazu bestimmt war;
damit es reine Gnade sei und kein Lohn,
damit wir Gottes Gnade, Anbetung und Ehre
nicht dadurch entziehen, dass wir ihr zu viel zuschreiben.
Denn es ist besser, ihr zu viel zu nehmen
als der Gnade Gottes. Tatsächlich können wir ihr
nicht zu viel nehmen, da sie wie alle anderen Kreaturen
aus dem Nichts erschaffen wurde.
Aber wir können leicht zu viel von der Gnade wegnehmen,
was eine gefährliche Sache ist und ihr nicht gut gefällt.
Es ist auch notwendig, sich in Grenzen zu halten
und nicht zu viel davon zu halten, sie Königin
des Himmels zu nennen, was ein wahrer Name ist
und sie dennoch nicht zu einer Göttin macht,
die Gaben gewähren oder Hilfe leisten könnte,
wie manche annehmen, beten und flehen lieber zu ihr
als zu Gott. Sie gibt nichts, Gott gibt alles,
wie wir in den folgenden Worten sehen:
Er, der mächtig ist. Wahrlich, mit diesen Worten
nimmt sie allen Geschöpfen alle Macht
und verleiht sie allein Gott.
Was für eine große Kühnheit von Seiten
eines so jungen und zarten Mädchens!
Sie wagt es, durch dieses eine Wort alle Starken schwach,
alle Mächtigen ohnmächtig, alle Weisen töricht,
alle Berühmten verachtet
und Gott allein zum Besitzer aller Kraft,
Weisheit und Herrlichkeit zu machen.
Denn dies ist die Bedeutung des Ausdrucks „der Mächtige“.
Es gibt keinen, der etwas tut,
aber wie St. Paulus sagt: Gott wirkt alles in allem,
und die Werke aller Geschöpfe sind Gottes Werke.
So wie wir im Glaubensbekenntnis bekennen:
Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen.
Er ist allmächtig, weil es allein seine Macht ist,
die in allem und durch alles und über alles wirkt.
So singt die heilige Anna, die Mutter Samuels:
Durch Stärke wird niemand siegen.
Und der heilige Paulus schreibt:
Nicht, dass wir von uns selbst genug wären,
etwas von uns zu denken;
aber unsere Genugtuung ist von Gott.
Dies ist ein äußerst wichtiger Glaubensartikel,
der viele Dinge enthält; es legt allen Stolz, Arroganz,
Blasphemie, Ruhm und falsches Vertrauen
vollständig nieder und erhebt Gott allein.
Es weist auf den Grund hin, warum Gott allein
erhöht werden soll – weil Er alles tut.
Das ist leicht gesagt, aber schwer zu glauben
und ins Leben zu übersetzen. Denn diejenigen,
die es in ihrem Leben ausführen,
sind äußerst friedfertige, gelassene
und einfach herzige Menschen,
die auf nichts Anspruch erheben, wohl wissend,
dass es nicht ihnen, sondern Gottes gehört.
Dies also ist der Sinn dieser Worte der Muttergottes:
In all diesen großen und guten Dingen ist nichts von mir,
als dass er, der allein alles tut
und dessen Macht in allem wirkt,
an mir getan hat große Dinge.
Denn das Wort „mächtig“ bezeichnet keine ruhende Macht,
wie man von einem weltlichen König sagt, er sei mächtig,
auch wenn er still sitzt und nichts tut.
Aber es bezeichnet eine energetische Kraft,
eine kontinuierliche Aktivität,
die ohne Unterlass wirkt. Denn Gott ruht nicht,
sondern wirkt ohne Unterlass, wie Christus sagt:
Mein Vater wirkt bis hierher und ich wirke.
Im gleichen Sinne sagt Paulus: Er kann über alles tun,
worum wir bitten – das heißt, er tut immer mehr,
als wir bitten; das ist sein Weg
und so wirkt seine Kraft. Deshalb habe ich gesagt,
dass Maria kein Idol sein möchte;
sie tut nichts, Gott tut alles.
Wir sollten sie anrufen, damit Gott um ihretwillen
gewährt und tut, was wir erbitten.
So sind auch alle anderen Heiligen anzurufen,
damit das Werk in jeder Weise Gottes allein sei.
Deshalb fügt sie hinzu: Und heilig ist sein Name.
Das heißt: Da ich keinen Anspruch auf das Werk erhebe,
erhebe ich auch keinen Anspruch auf den Namen und Ruhm.
Denn der Name und Ruhm gehören allein Ihm,
der die Arbeit tut. Es ist nicht gerecht,
dass einer die Arbeit macht
und ein anderer den Ruhm hat und nimmt den Ruhm.
Ich bin nur die Werkstatt, in der er sein Werk ausführt;
mit der Arbeit selbst hatte ich nichts zu tun.
Niemand sollte mich daher preisen oder mir die Ehre geben,
die Mutter Gottes geworden zu sein, sondern Gott allein
und sein Werk sind in mir zu ehren und zu preisen.
Es genügt, mir zu gratulieren und mich selig zu nennen,
weil Gott mich gebraucht
und Seine Werke in mir gewirkt hat.
Siehe, wie sie alles auf Gott zurückführt,
keine Werke beansprucht, keine Ehre, keinen Ruhm.
Sie benimmt sich wie früher, als sie von alledem
noch nichts hatte; sie verlangt keine höheren Ehren als zuvor.
Sie ist nicht aufgeblasen, rühmt sich nicht
und verkündet nicht mit lauter Stimme,
dass sie Mutter Gottes geworden ist.
Sie sucht keinen Ruhm,
sondern geht ihren gewohnten Haushaltspflichten nach,
melkt die Kühe, kocht das Essen, wäscht Töpfe und Kessel,
fegt die Zimmer aus und verrichtet
die Arbeit eines Dienstmädchens – Dienerin
oder Hausmutter in Niedrigkeit
und verächtlichen Aufgaben, als kümmerte sie sich nicht
um solch überaus große Gaben und Gnaden.
Sie wurde unter anderen Frauen und ihren Nachbarinnn
nicht höher geschätzt als zuvor,
und wollte es auch nicht sein, sondern blieb
eine arme Dorffrau, eine aus der großen Menge.
O wie einfach und rein war ihr Herz,
wie sonderbar war diese Seele!
Was für großartige Dinge verbergen sich hier
unter diesem bescheidenen Äußeren!
Wie viele werden mit ihr in Berührung gekommen sein,
mit ihr geredet, gegessen und getrunken haben,
die sie vielleicht verachtet und für ein gemeines,
armes und einfaches Dorfmädchen gehalten haben,
und die, wenn sie es gewusst hätten,
vor Schrecken vor ihr geflohen wären.
Das ist die Bedeutung des Satzes „Heilig ist sein Name“.
Denn „heilig“ bedeutet abgesondert und Gott geweiht,
dass niemand es berühren oder beschmutzen sollte,
aber alle es in Ehren halten sollten.
Und „Name“ bedeutet ein guter Bericht,
Ruhm, Lob und Ehre. So soll jeder
den Namen Gottes in Ruhe lassen,
ihn nicht anfassen oder sich aneignen.
Es ist ein Bild davon, wenn wir lesen,
dass Moses ein Öl aus heiliger Salbe machte,
auf Gottes Befehl, und verbot direkt,
dass es auf das Fleisch eines Mannes gegossen wurde.
Das heißt, niemand sollte sich selbst
den Namen Gottes zuschreiben.
Denn wir entweihen Gottes Namen,
wenn wir uns loben oder ehren lassen,
oder wenn wir Freude an uns selbst haben
und uns unserer Werke oder unseres Besitzes rühmen,
wie es der Lauf der Welt ist,
der den Namen Gottes ständig entehrt und entweiht.
Aber wie die Werke allein sind, so sollte auch
der Name sein sein. Und alle,
die so seinen Namen heiligen
und sich alle Ehre und Herrlichkeit versagen,
ehren seinen Namen zu Recht
und werden daher durch ihn geheiligt.
So lesen wir in Mose, dass die kostbare Salbe so heilig war,
dass sie alles heiligte, was sie berührte.
Dass, wenn Gottes Name von uns geheiligt wird,
so dass wir darin keine Arbeit, Ruhm
oder Selbstzufriedenheit beanspruchen,
er zu Recht geehrt wird
und uns seinerseits berührt und heiligt.
Deshalb müssen wir auf der Hut sein,
denn wir können auf Erden nicht
auf Gottes Wohltaten verzichten
und können daher nicht ohne Namen und Ehre sein.
Wenn Menschen uns Lob und Ehre erweisen,
sollten wir vom Beispiel der Mutter Gottes profitieren
und uns jederzeit mit diesem Vers wappnen,
um die richtige Antwort zu geben
und solche Ehre und Lob richtig zu verwenden.
Wir sollten offen sagen oder zumindest
in unserem Herzen denken: O Herr Gott,
Dein ist dieses Werk, das wird gelobt und gefeiert.
Dein sei auch der Name. Nicht ich habe es getan,
sondern du, der du alles vermagst,
und heilig ist dein Name.
Wir sollten dieses Lob und diese Ehre weder verwerfen,
als ob sie falsch wären, noch sie verachten,
als ob sie nichts wären; aber weigere dich,
sie als zu kostbar oder edel anzunehmen,
und schreibe sie Ihm im Himmel zu, dem sie gehören.
Dies ist eine Lehre aus diesem kostbaren Vers.
Es liefert uns auch eine Antwort auf die Frage,
die manche vielleicht stellen,
ob niemand einen anderen ehren sollte.
St. Paulus sagt tatsächlich,
dass wir danach streben sollten,
einander in Ehre zu bevorzugen.
Aber niemand soll die ihm zuteil gewordene Ehre
annehmen oder sich selbst nehmen,
sondern soll sie heiligen und Gott zuschreiben,
dem sie gebührt, indem er allerlei gute Werke verrichtet,
aus denen Ehre kommt. Denn niemand soll
ein unehrenhaftes Leben führen.
Aber wenn er ehrenhaft leben will,
muss ihm Ehre erwiesen werden.
Dennoch ist ein ehrenhaftes Leben das Geschenk
und Werk Gottes, so sollte auch der Name
ihm allein gehören, heilig und unbefleckt
von Selbstgefälligkeit. Dafür beten wir im Vaterunser
Geheiligt werde dein Name.
Und seine Barmherzigkeit ist auf denen, die ihn fürchten:
Von Generation zu Generation.
Wir müssen uns an den Schriftgebrauch gewöhnen,
wonach Generationen, wie wir oben gesagt haben,
die Abfolge der im Laufe der Natur Geborenen sind,
ein Mensch, der vom anderen abstammt.
Daher ist das deutsche Wort Gechlechter
keine adäquate Übersetzung,
obwohl ich es nicht besser weiß.
Denn unter Gechlechter verstehen wir Familien.
Aber das Wort bedeutet hier die natürliche Nachfolge
vom Vater zum Sohn und Sohnessohn,
wobei jedes einzelne Mitglied
eine Generation genannt wird;
damit das Folgende keine schlechte Übersetzung wäre,
und seine Barmherzigkeit währt bis zu den Kindeskindern
derer, die ihn fürchten.
Dies ist ein sehr gebräuchlicher Ausdruck
in der Heiligen Schrift und hat seinen Ursprung
in den Worten Gottes unter dem Ersten Gebot,
die auf dem Berg Sinai zu Moses
und allen Menschen gesprochen wurden:
Ich bin dein Gott, stark und eifersüchtig:
Suche die Sünden der Väter über die Kinder
bis zur dritten und vierten Generation heim
unter denen, die mich hassen,
und Barmherzigkeit gegenüber vielen tausend Generationen
unter denen, die mich lieben und meine Gebote halten.
Nachdem Maria von sich selbst
und den guten Dingen, die sie von Gott hatte, gesungen
und sein Lob gesungen hat, wiederholt sie nun
alle Werke Gottes, die er im Allgemeinen
in allen Menschen wirkt, und singt sein Lob
auch für sie, indem sie uns lehrt,
richtig zu verstehen das Werk, die Methode, das Wesen
und den Willen Gottes. Auch viele Philosophen
und Menschen mit großem Scharfsinn
haben sich bemüht, das Wesen Gottes herauszufinden;
sie haben viel über ihn geschrieben,
der eine so, der andere so, und doch sind alle
blind geworden über ihrer Aufgabe
und verfehlten die richtige Einsicht.
Und in der Tat ist es das Größte im Himmel und auf Erden,
Gott recht zu kennen,
wenn einem das zugestanden werden darf.
Dies lehrt uns die Gottesmutter
hier auf meisterhafte Weise,
wenn man nur ihren Sinn verstehen will,
so wie sie es oben auch in und durch ihre eigene
Erfahrung gelehrt hat.
Wie kann man Gott besser kennen
als in den Werken, in denen er ganz er selbst ist?
Wer seine Werke richtig versteht,
kann sein Wesen und seinen Willen,
sein Herz und seinen Sinn nicht erkennen.
Daher ist es eine Kunst, seine Werke zu verstehen,
die erlernt werden muss. Und damit wir es lernen können,
zählt Maria in den folgenden vier Versen
sechs göttliche Werke unter ebenso vielen Klassen
von Personen auf. Sie teilt die ganze Welt
in zwei Teile und weist jeder Seite drei Werke
und drei Klassen von Menschen zu,
so dass jede Seite in der anderen
ihr genaues Gegenstück hat.
Sie beschreibt die Werke Gottes
in jedem dieser beiden Teile, ihn so gut darstellend,
dass es nicht besser gemacht werden könnte.
Diese Unterteilung ist gut durchdacht
und wird durch andere Passagen
der Heiligen Schrift bestätigt. Zum Beispiel
sagt Gott: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit,
der Starke rühme sich nicht seiner Stärke,
der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums,
sondern der sich rühme, rühme sich dessen,
dass er mich versteht und kennt, dass ich der Herr bin,
der auf Erden Güte, Recht und Gerechtigkeit ausübt;
denn an diesen Dingen habe ich Gefallen,
spricht der Herr. Dies ist ein edler Text
und stimmt gut mit diesem Hymnus
der Muttergottes überein.
Hier sehen wir, dass auch er alles, was in der Welt ist,
in drei Teile teilt – Weisheit, Macht und Reichtum –
und sie alle niederlegt, indem er sagt,
dass sich niemand dieser Dinge rühmen sollte,
denn niemand wird ihn darin finden,
noch wird Er sich freuen darin.
Er stellt ihnen drei andere gegenüber –
liebende Güte, Gericht und Gerechtigkeit.
In diesen Dingen, sagt Er, bin ich zu finden;
ja, ich übe sie aus, so nah bin ich ihnen;
ich übe sie auch nicht im Himmel aus,
sondern auf der Erde, wo mich Menschen finden können.
Und wer Mich so versteht, mag sich wohl rühmen
und darauf vertrauen. Denn ist er nicht weise,
sondern arm im Geiste,
so ist Meine Güte mit ihm;
wenn er nicht mächtig, sondern erniedrigt ist,
ist mein Urteil an seiner Seite, um ihn zu retten;
ist er nicht reich, sondern arm und bedürftig,
um so mehr hat er von meiner Gerechtigkeit.
Unter Weisheit schließt er alle geistlichen Besitztümer
und Gaben ein, durch die ein Mensch
Popularität, Ruhm und einen guten Ruf erlangen kann,
wie der folgende Vers zeigen wird.
Solche Gaben sind Verstand, Vernunft,
Witz, Wissen, Frömmigkeit, Tugend,
ein gottesfürchtiges Leben, kurz, was in der Seele ist,
was die Menschen göttlich und geistig nennen,
alles große und hohe Gaben, aber keine davon Gott.
Unter Macht schließt er alle Autorität,
Adel,Freunde, hohe Stellung und Ehre,
sei es in Bezug auf weltliche oder geistliche Güter
oder Personen (obwohl es in der Schrift
keine geistliche Autorität oder Macht gibt,
sondern nur Diener und Untertanen,)
zusammen mit allen damit verbundenen Rechten,
Freiheiten und Privilegien. Zu Reichtümern
gehören Gesundheit, Schönheit, Lust, Kraft
und alle äußeren Güter, die dem Körper
widerfahren können. Im Gegensatz zu diesen dreien
stehen die Armen im Geiste, die Unterdrückten,
und die, denen das Lebensnotwendige fehlt.
Betrachten wir nun diese sechs Werke der Reihe nach.
Das erste Werk Gottes ist die Barmherzigkeit.
Davon handelt unser Vers: Seine Barmherzigkeit
ist auf denen, die ihn fürchten:
von Generation zu Generation.
Sie beginnt mit dem Höchsten und Größten,
mit den geistigen und inneren Gütern,
die die eitlen, stolzen und halsstarrigen Menschen
auf Erden hervorbringen. Kein Reicher oder Mächtiger
ist so aufgeblasen und kühn wie ein solcher Klugscheißer,
der fühlt und weiß, dass er im Recht ist,
alles von einer Sache versteht und klüger ist
als andere Leute. Besonders wenn er findet,
dass er nachgeben oder sich im Unrecht bekennen sollte,
wird er so unverschämt und ist so völlig frei
von Gottesfurcht, dass er sich zu rühmen wagt,
unfehlbar zu sein, erklärt Gott auf seiner Seite
und die anderen auf der Seite des Teufels
und hat die Frechheit, sich auf das Gericht
Gottes zu berufen. Wenn solch einer die nötige
Macht besitzt, stürzt er kopfüber los,
verfolgt, verurteilt, verleumdet, tötet, verbannt
und vernichtet alle, die mit ihm uneins sind,
und sagt hinterher, er habe alles zur Ehre
und Herrlichkeit Gottes getan. Er ist so sicher
wie kaum ein Engel im Himmel, viel Dank
und Verdienst vor Gott zu verdienen.
O was für eine Blase haben wir hier!
Wie viel hat Gottes Wort über solche Menschen zu sagen,
und mit wie vielen schmerzlichen Dingen droht es ihnen!
Aber sie fühlen sie weniger als der Amboss den Hammer
des Schmiedes. Das ist ein großes, weit verbreitetes Übel.
Christus sagt über solche Männer:
Es kommt die Zeit, dass jeder, der euch tötet,
denken wird, dass er Gott dient.
Und der Psalm sagt Folgendes über sie:
Er bläst alle seine Feinde an. Er hat gesagt:
Ich werde niemals in Not geraten,
wie wer sagen würde: Ich bin im Recht, ich tue gut,
Gott wird mich reich belohnen usw.
Das waren die Leute von Moab,
von denen wir lesen: Wir haben von Moab gehört
(es ist überaus stolz ), seine Erhabenheit
und seine Arroganz und sein Stolz und der Hochmut
seines Herzens und seine Empörung
sind mehr als seine Stärke. So sehen wir,
dass solche Männer in ihrer großen Arroganz
gerne mehr tun würden, als sie können.
So war das Volk der Juden in seinem Umgang mit Christus
und den Aposteln. Das waren die Freunde von St. Hiob,
der mit außerordentlicher Weisheit
gegen sie argumentierte
und Gott in den erhabensten Worten lobte und predigte.
Solche Leute werden dir kein Gehör schenken;
es ist unmöglich, dass sie sich irren oder nachgeben.
Sie müssen sich durchsetzen,
obwohl die ganze Welt zugrunde geht.
Die Schrift kann nicht genug Vorwürfe
für eine so verlorene Mannschaft finden.
Jetzt nennt es sie eine Natter, die sich die Ohren verstopft,
damit sie nicht hört; jetzt ein Einhorn,
das nicht gezähmt werden kann;
wieder einen wütenden Löwe, einen mächtigen,
unverrückbaren Felsen, einen Drachen.
Aber nirgendwo werden sie treffender dargestellt
als in Hiob, wo er sie Behemoth nennt.
Behema ist ein einzelnes Tier, Behemoth
eine Herde von Tieren, das heißt, ein Volk,
das einen bestialischen Geist hat
und nicht willens ist, vom Geist Gottes regiert zu werden.
In diesen Kapiteln beschreibt Gott sie als Augen
wie die Morgenröte, denn ihre Klugheit ist grenzenlos.
Sein Fell ist so hart, dass er lacht,
um den Bogenschützen und die, die den Speer schwingen,
zu verachten; das heißt, wenn ihnen gepredigt wird,
lachen sie darüber, denn ihr Recht
darf nicht in Frage gestellt werden.
Wiederum sind seine Schuppen miteinander verbunden,
dass keine Luft zwischen sie kommen kann;
das heißt, sie halten so eng zusammen,
dass kein Geist Gottes in sie eindringen kann.
Sein Herz, sagt der Herr, ist fest wie ein Schmiedeamboss;
es ist der Körper des Teufels.
Deshalb schreibt er auch dem Teufel die gleichen Dinge zu.
Das sind vor allem der Anti-Papst und seine Herde heute
und diese vielen Tage. Sie tun all diese Dinge
und schlimmer als je zuvor; es gibt kein Zuhören
und kein Nachgeben, es nützt nichts zu reden,
zu beraten, zu bitten oder zu drohen. Es ist einfach:
Wir sind im Recht, und es hat kein Ende,
ungeachtet aller anderen, obwohl es die ganze Welt ist.
Aber jemand könnte sagen: Wie ist das?
Sind wir nicht verpflichtet, das Recht zu verteidigen?
Sollen wir die Wahrheit ruhen lassen?
Ist uns nicht geboten, um des Rechts und der Wahrheit willen
zu sterben? Haben die heiligen Märtyrer
nicht um des Evangeliums willen gelitten?
Und Christus selbst, wollte er nicht im Recht sein?
Es kommt in der Tat vor, dass solche Männer zuweilen
öffentlich (und wie sie schwatzen, vor Gott ) im Recht sind
und dass sie weise und gut handeln.
Ich antworte: Hier ist es höchste Zeit und nötig,
dass wir unsere Augen öffnen,
denn hier liegt der Kern der ganzen Sache.
Alles hängt von unserem richtigen Verständnis von
„im Recht sein“ ab. Es ist wahr,
wir sollen alles um der Wahrheit und des Rechtes willen
leiden und es nicht leugnen, so unwichtig
die Sache auch sein mag. Es kann auch sein,
dass diese Männer dann und wann im Recht sind;
aber sie verderben alles, indem sie ihr Recht
nicht richtig geltend machen, indem sie es nicht
mit Furcht angehen und Gott nicht vor Augen haben.
Sie halten es für ausreichend, dass es richtig ist,
und wollen es dann aus eigener Kraft fortsetzen
und ausführen. So verwandeln sie ihr Recht in ein Unrecht,
selbst wenn es an sich richtig war.
Aber es ist viel gefährlicher, wenn sie nur glauben,
im Recht zu sein, sich aber nicht sicher sind;
wie sie es in den wichtigen Angelegenheiten tun,
die Gott und sein Recht betreffen.
Lass uns jedoch zuerst auf das greifbarere
Menschenrecht eingehen und ein einfaches
Beispiel verwenden, das alle verstehen können.
Ist es nicht wahr, dass Geld, Eigentum, Körper,
Frau, Kind, Freunde und dergleichen gute Dinge sind,
die von Gott selbst geschaffen und gegeben wurden?
Da sie also Gottes Gaben sind und nicht deine eigenen,
stell dir vor, er würde dich auf die Probe stellen,
um zu erfahren, ob du bereit wärst,
sie um seinetwillen loszulassen
und eher an ihm festzuhalten
als an solchen seinen Gaben. Angenommen,
er hat einen Feind erweckt, der dich ganz
oder teilweise davon beraubt hat,
oder du hast sie durch Tod
oder ein anderes Unglück verloren.
Glaubst du, du hättest berechtigten Grund zu
Wut und Sturm, und sie mit Gewalt wieder zu nehmen,
oder ungeduldig zu schmollen,
bis sie dir zurückgegeben werden?
Und wenn du sagtest, dass sie gute Dinge
und Gottes Geschöpfe seien, die
mit seinen eigenen Händen gemacht wurden,
und dass du, da die ganze Schrift
solche Dinge gut nennt, entschlossen warst,
Gottes Wort zu erfüllen und solche Güter
auf Kosten des Lebens zu verteidigen
oder zurückzubekommen, oder ihren Verlust
nicht bereitwillig ertragen
oder sie mit Geduld gehen zu lassen –
was für eine Farce wäre das!
Um in diesem Fall das Richtige zu tun,
solltest du nicht durcheinander eilen,
sondern Gott fürchten und sprechen: Lieber Herr,
es sind gute Dinge und Gaben von dir,
wie dein eigenes Wort und deine Schrift sagt;
dennoch weiß ich nicht, ob du mir erlaubst,
sie zu behalten. Wusste ich, dass ich sie nicht haben sollte,
ich würde keinen Finger rühren, um sie zurückzubekommen.
Wüsste ich, dass du sie lieber in meinem Besitz
belassen möchtest als in dem anderer,
dann würde ich deinem Willen dienen,
indem ich sie unter Gefahr fürs Leben zurücknehme.
Aber jetzt, da ich beides nicht kenne, und einsehe,
dass du sie mir vorläufig nehmen lässt,
übergebe ich dir die Sache. Ich werde abwarten,
was ich tun soll, und bereit sein, sie zu haben
oder auf sie zu verzichten, auch Frau und Kinder.
Das, merkt man, ist eine richtige Seele
und eine, die Gott fürchtet.
Es gibt Gottes Barmherzigkeit, wie die Gottesmutter singt.
Daher können wir sehen, warum Abraham, David
und das Volk Israel in vergangenen Zeiten
Krieg führten und viele töteten.
Sie zogen durch den Willen Gottes in den Kampf,
sie standen in Furcht und kämpften
nicht um der Güter willen, sondern weil Gott
ihnen befahl zu kämpfen; wie die Erzählungen zeigen,
in denen dieses Gebot Gottes steht meist am Anfang.
Auf diese Weise wird die Wahrheit nicht geleugnet,
denn die Wahrheit erklärt, dass sie gute Dinge
und Geschöpfe Gottes sind.
Aber dieselbe Wahrheit sagt und lehrt auch,
dass ihr solche guten Dinge loslassen,
jederzeit bereit sein sollt, darauf zu verzichten,
wenn Gott es so will, und immer an Gott
allein festhalten sollt. Die Wahrheit, die sagt,
dass sie gut sind, zwingt euch nicht,
die guten Dinge zurückzunehmen oder zu sagen,
dass sie nicht gut sind, aber sie zwingt euch,
sie mit Gleichmut zu betrachten
und zu bekennen, dass sie gut und nicht böse sind.
Genauso müssen wir mit dem Rechten
und den mannigfachen guten Dingen der Vernunft
oder Weisheit umgehen.
Wer kann daran zweifeln, dass Recht etwas Gutes
und eine Gabe Gottes ist? Gottes Wort selbst sagt,
dass Recht gut ist, und niemand sollte zugeben,
dass seine gute und gerechte Sache
ungerecht oder böse ist, sondern eher dafür sterben
und alles loslassen, was nicht Gott ist.
Andernfalls würde man Gott und sein Wort verleugnen,
denn er sagt, dass Recht gut und nicht böse ist.
Aber wenn dir solches Recht abgerungen
oder unterdrückt wird, würdest du darum schreien,
stürmen und wüten und die ganze Welt töten?
Einige tun dies; sie schreien zum Himmel,
richten allerlei Unheil an, ruinieren Land und Leute
und füllen die Welt mit Krieg und Blutvergießen.
Woher wisst ihr, ob es Gottes Wille ist,
dass ihr ein solches Geschenk und Recht behaltet?
Es gehört ihm, und er kann es dir heute
oder morgen nehmen, äußerlich oder innerlich,
durch Freund oder Feind, wie er will. Er prüft dich,
ob du um seines Willens willen auf dein Recht verzichten,
im Unrecht sein und leiden wirst Unrecht,
ertragen Schande für Ihn und halten nur an Ihm fest.
Wenn du Gott fürchtest und denkst: Herr, es ist dein;
ich werde es nicht behalten, es sei denn,
ich weiß, dass Du willst, dass ich es habe.
Nimm mir, was du willst, sei nur du mein Gott –
dann erfüllt sich dieser Vers: Seine Barmherzigkeit
ist auf denen, die ihn fürchten,
die nichts tun werden, was nicht seinem Willen fremd ist.
Dann werden beide Seiten des Wortes Gottes beachtet:
Erstens bekennst du, dass das Recht,
deine Vernunft, Erkenntnis, Weisheit
und alle deine Gedanken, richtig und gut sind,
wie Gottes Wort lehrt. Zweitens bist du bereit,
um Gottes willen auf solche guten Dinge zu verzichten,
um zu Unrecht geplündert
und vor der Welt beschämt zu werden,
wie es auch Gottes Wort lehrt.
Das Rechte und Gute zu bekennen ist eine Sache,
es zu erlangen eine andere.
Es genügt dir zuzugeben, dass du im Recht bist;
wenn du es nicht erreichen kannst, übergib es Gott.
Dir ist das Bekenntnis anvertraut, was Gott
für sich reserviert hat. Wenn Er will,
dass du es auch erlangst, wird Er es Selbst ausführen
oder es dir in den Weg legen, ohne dass du daran denkst,
sodass du es in Besitz nehmen und den Sieg erringen musst,
vor allem, was du erbeten oder gedacht hast.
Wenn Er nicht möchte, dass du es erlangst,
lass Seine Barmherzigkeit für dich ausreichen.
Obwohl sie dir den Sieg des Rechts vorenthalten,
können sie dir das Geständnis nicht vorenthalten.
So müssen wir uns nicht von den guten Dingen
Gottes fernhalten, sondern uns sündhaft
und falsch an ihnen festhalten;
damit wir sie gebrauchen oder ihren Mangel
mit Gleichmut erleiden und uns,
was auch immer geschehen mag, an Gott allein klammern.
O das sollten alle Fürsten und Herrscher wissen,
die sich nicht damit begnügen, das Recht zu bekennen,
es ohne Gottesfurcht sofort erlangen
und den Sieg erringen wollen;
die die Welt mit Blutvergießen und Elend füllen
und denken, was sie tun, sei richtig und gut gemacht,
weil sie eine gerechte Sache haben oder meinen,
sie hätten eine gerechte Sache. Was ist das anderes
als der stolze und hochmütige Moab,
der sich für würdig erachtet, das Recht zu besitzen,
dieses feine und edle Gut und Geschenk Gottes;
wenn es sich in den Augen Gottes für richtig hält,
es ist wegen seiner Sünden nicht würdig,
auf der Erde zu leben oder eine Kruste Brot zu essen.
O Blindheit, Blindheit!
Wer ist des geringsten Geschöpfes Gottes würdig?
Doch wollen wir nicht nur die höchsten Geschöpfe,
Recht, Weisheit und Ehre besitzen,
sondern sie behalten oder wieder in Besitz nehmen
mit wütendem Blutvergießen und jedem Unglück.
Daraufhin gehen wir und beten, fasten,
hören die Messe und gründen Kirchen,
mit solch blutigen, wütenden, rasenden Herzen,
es ist ein Wunder, dass die Steine nicht platzen
uns ins Gesicht. Hier stellt sich eine Frage.
Wenn ein Herrscher sein Land und seine Untertanen
nicht gegen Unrecht verteidigt, sondern meinem Rat folgt,
keinen Widerstand leistet und sich alle nehmen lässt,
was würde aus der Welt werden?
Ich werde kurz meine Sicht der Dinge darlegen.
Die weltliche Macht ist verpflichtet,
ihre Untertanen zu verteidigen,
wie ich schon oft gesagt habe;
denn sie trägt das Schwert, um die fürchten zu machen,
die solche göttlichen Lehren nicht beachten,
und sie zu zwingen, andere in Frieden zu lassen.
Und darin sucht die weltliche Macht
nicht ihren eigenen, sondern den Vorteil
ihres Nächsten und Gottes Ehre;
sie würde gerne schweigen
und ihr Schwert rosten lassen,
wenn Gott sie nicht dazu bestimmt hätte,
den Übeltätern ein Hindernis zu sein.
Doch sollte diese Verteidigung ihrer Untertanen
nicht mit noch größerem Schaden einhergehen;
das wäre nur ein Sprung von der Bratpfanne ins Feuer.
Es ist eine schlechte Verteidigung,
um einer Person willen eine ganze Stadt
einer Gefahr auszusetzen
oder das ganze Land zu riskieren
für ein einzelnes Dorf oder eine Burg,
es sei denn, Gott hätte dies
durch einen besonderen Befehl angeordnet,
wie Er es in alter Zeit tat.
Wenn ein Raubritter einem Bürger
seinen Besitz beraubt und du, mein Herr,
dein Heer gegen ihn führst,
um dieses Unrecht zu bestrafen,
und dabei das ganze Land verwüstest,
wer wird den größeren Schaden angerichtet haben,
der Ritter oder der Herr?
David blinzelte bei vielen Dingen,
wenn er nicht in der Lage war, zu bestrafen,
ohne anderen Schaden zuzufügen.
Alle Herrscher müssen dasselbe tun.
Andererseits muss ein Bürger
um der Gemeinschaft willen ein gewisses Maß
an Leiden ertragen und nicht verlangen,
dass alle anderen Menschen um seinetwillen
den größeren Schaden erleiden.
Christus wollte nicht, dass das Unkraut eingesammelt wird,
damit nicht auch der Weizen mit ausgerottet wird.
Wenn die Menschen bei jeder Provokation
in den Krieg zögen
und an keiner Beleidigung vorbeigingen,
würden wir niemals Frieden haben
und nichts als Zerstörung haben.
Deshalb ist richtig oder falsch niemals
ein ausreichender Grund, um wahllos zu bestrafen
oder Krieg zu führen. Es ist ein ausreichender Grund,
um innerhalb von Grenzen zu bestrafen,
ohne einen anderen zu zerstören.
Der Herr oder Herrscher muss immer darauf achten,
was davon profitiert die ganze Masse
seiner Untertanen und nicht irgendeinen Teil.
Der Hausvater wird nie reich werden,
der, weil man seiner Gans eine Feder ausgerissen hat,
ihm die ganze Gans hinterher schleudert.
Es ist jetzt nicht die Zeit, auf das Thema Krieg einzugehen.
Dasselbe müssen wir in den göttlichen Dingen tun,
wie dem Glauben und dem Evangelium,
die die höchsten Güter sind
und die niemand loslassen sollte.
Aber das Recht, die Gunst, die Ehre
und die Akzeptanz von ihnen
müssen wir in die Waagschale werfen
und sie Gott anvertrauen.
Wir sollten uns nicht darum kümmern,
etwas zu erlangen, sondern bekennen
und es bereitwillig ertragen,
geschmäht zu werden, vor aller Welt verfolgt,
verbannt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt
oder auf andere Weise getötet,
als Ungerechte, Betrüger, Ketzer, Abtrünnige,
Lästerer und was nicht; denn dann
ist Gottes Barmherzigkeit auf uns.
Sie können uns den Glauben und die Wahrheit
nicht nehmen, auch wenn sie uns das Leben nehmen.
Es gibt jedoch nur wenige, die wüten und sich ärgern,
um den Sieg in dieser Angelegenheit zu erlangen
und zu erringen, wie es die Menschen
in zeitlichen Gütern und Rechten tun.
Es gibt auch wenige, die es richtig
und aus Prinzip bekennen.
Aber wir sollten trauern und klagen für die anderen,
die durch die Niederlage des Evangeliums
an der Errettung ihrer Seele gehindert werden.
Ja, wir sollten viel lieber (jedoch als in den Augen Gottes)
wegen der Verletzung der Seelen,
die die Moabiter um ihrer eigenen zeitlichen
Güter und Rechte zufügen, wie wir oben sagten,
klagen und arbeiten. Denn es ist beklagenswert,
wenn Gottes Wort nicht den Sieg erringt,
beklagenswert nicht für den Beichtvater,
aber für die, die dadurch gerettet werden sollten.
Daher finden wir in den Propheten, in Christus,
und bei den Aposteln, solch einen Kummer
und Wehklagen über die Unterdrückung
des Wortes Gottes, die dennoch froh waren,
jede Ungerechtigkeit und Verletzung zu tragen.
Denn von der Erlangung dieses Gutes
hängt weit mehr ab als von jedem anderen.
Doch niemand sollte Gewalt anwenden
oder ein solches Recht des Evangeliums
durch Wut und Unvernunft bewahren
oder wiedererlangen; er sollte sich lieber
vor Gott als vielleicht nicht würdig demütigen,
dass so etwas Großes und Gutes durch ihn getan werde,
und alles seiner Barmherzigkeit
mit Gebet und Klage anvertrauen.
Das ist also das erste Werk Gottes,
dass Er allen gnädig ist, die bereit sind,
auf ihre eigene Meinung, ihr Recht, ihre Weisheit
und alle geistlichen Güter zu verzichten
und bereit sind, arm im Geist zu sein.
Das sind diejenigen, die Gott wahrhaftig fürchten,
die sich nichts für würdig halten, sei es noch so klein,
und froh sind, nackt und bloß vor Gott
und den Menschen zu sein; die alles,
was sie haben, Seiner reinen Gnade zuschreiben,
die den Unwürdigen zuteil wird;
die es mit Lob und Furcht gebrauchen
und Danksagung, als gehöre es einem anderen,
und die nicht ihren eigenen Willen, ihr Verlangen
oder ihre Ehre suchen, sondern nur
den seinen, dem es gehört.
Maria weist auch darauf hin,
wie viel lieber Gott solche Barmherzigkeit zeigt,
die Sein edelstes Werk ist,
als ihr Gegenstück, Seine Stärke;
denn sie sagt, dieses Werk Gottes
dauert ohne Unterlass von Generation zu Generation
derer, die ihn fürchten, während seine Kraft
nur bis zur dritten und vierten Generation andauert,
und hat in dem folgenden Vers
keine Zeit oder Grenze dafür gesetzt.
Er hat Stärke gezeigt mit seinem Arm:
Er hat die Stolzen in der Vorstellung
ihrer Herzen zerstreut.
Ich vertraue darauf, dass niemand
durch meine Übersetzung verwirrt wird.
Oben habe ich diesen Vers wiedergegeben:
Er zeigt Stärke, und hier: Er hat Stärke gezeigt.
Ich habe dies getan, damit wir diese Worte
besser verstehen können,
die nicht an eine Zeit gebunden sind,
sondern allgemein die Werke Gottes darstellen sollen,
die Er immer getan hat, immer tut und immer tun wird.
Daher wäre das Folgende eine angemessene Übersetzung:
Gott ist ein Herr, dessen Werke
von solcher Art sind, dass er die Stolzen mächtig zerstreut
und denen gnädig ist, die ihn fürchten.
Der Arm Gottes bedeutet in der Heiligen Schrift
Gottes eigene Kraft, durch die Er
ohne das Medium irgendeines Geschöpfs wirkt.
Diese Arbeit wird still und im Verborgenen verrichtet,
und niemand wird sich dessen bewusst,
bis alles vollendet ist; so dass diese Macht
oder dieser Arm nur durch den Glauben
erkannt und verstanden werden kann.
Deshalb klagt Jesaja, dass so wenige
an diesen Arm glauben, und sagt:
Wer hat unserem Bericht geglaubt?
und wem wird der Arm des Herrn offenbart?
Diese Dinge sind so, weil, wie er weiter sagt,
alles im Verborgenen und ohne den Anschein
von Macht geschieht. Wir lesen auch in Habakuk,
dass Hörner aus Gottes Händen kommen,
um seine mächtige Macht anzuzeigen;
und doch heißt es: Da war das Verbergen seiner Macht.
Was ist die Bedeutung davon?
Das bedeutet, dass, wenn Gott
durch seine Geschöpfe wirkt, deutlich wird,
wo die Stärke und wo die Schwäche liegt.
Daher das Sprichwort: Gott hilft sich selbst.
Welcher Prinz zum Beispiel auch immer
eine Schlacht gewinnt, es ist ersichtlich,
dass Gott den anderen durch ihn besiegt hat.
Wenn ein Mensch von einem Wolf gefressen
oder anderweitig verletzt wird, ist es offensichtlich,
dass dies durch die Kreatur geschehen ist.
So macht oder zerbricht Gott
ein Geschöpf durch ein anderes.
Wer fällt, fällt; wer steht, steht.
Anders ist es aber, wenn Gott selbst
mit seinem eigenen Arm wirkt.
Dann wird etwas zerstört oder aufgerichtet,
bevor man es merkt, und niemand sieht es geschehen.
Solche Werke verrichtet Er nur
unter den zwei Abteilungen der Menschheit,
den Gottesfürchtigen und den Bösen.
Er lässt zu, dass die Gottesfürchtigen
machtlos und erniedrigt werden,
bis jeder glaubt, ihr Ende sei nahe,
wenn Er ihnen gerade in diesen Dingen
mit all Seiner Macht gegenwärtig ist,
doch so verborgen und im Verborgenen,
dass sogar die, die unter der Unterdrückung leiden,
es nicht fühlen, sondern nur glauben.
Es gibt die Fülle von Gottes Kraft
und Seinen ausgestreckten Arm.
Denn wo die Kraft des Menschen endet,
beginnt die Kraft Gottes,
sofern der Glaube gegenwärtig ist und auf Ihn wartet.
Und wenn die Unterdrückung ein Ende hat,
zeigt sich, welch große Stärke
unter der Schwäche verborgen war.
Trotzdem war Christus am Kreuz machtlos,
und doch vollbrachte er dort sein mächtigstes Werk
und besiegte Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel
und alles Böse. So waren alle Märtyrer
stark und überwanden.
So werden auch alle Leidenden
und Unterdrückten überwinden.
Deshalb heißt es: Lass die Schwachen sagen:
Ich bin stark – jedoch im Glauben
und ohne es zu fühlen, bis es vollbracht ist.
Wieder lässt Gott zu, dass die andere Hälfte
der Menschheit groß wird und sich mächtig erhöht.
Er entzieht ihnen seine Kraft
und lässt sie sich allein
in ihrer eigenen Kraft aufblähen.
Denn wo die Stärke des Menschen beginnt,
endet die Stärke Gottes.
Wenn ihre Blase voll aufgeblasen ist
und jeder annimmt, dass sie gewonnen
und überwunden haben, und sie sich selbst
sicher und geborgen fühlen und etwas erreicht haben,
dann sticht Gott in die Blase und alles ist vorbei.
Die armen Betrüger wissen nicht,
dass sie, selbst wenn sie sich aufblähen
und stark werden, von Gott verlassen sind
und Gottes Arm nicht mit ihnen ist.
Deshalb hat ihr Wohlstand ausgedient,
verschwindet wie eine Seifenblase
und ist, als ob er nie gewesen wäre.
Darauf bezieht sich der Psalmist.
Er war beunruhigt, als er die Reichtümer,
den Stolz und den Wohlstand
der Bösen in der Welt sah.
Schließlich sagte er: Als ich dachte, das zu wissen,
war es zu schmerzhaft für mich,
bis ich in die verborgenen Dinge Gott es sah;
da verstand ich ihr letztes Ende.
Denn ich sah, dass sie wegen ihrer eigenen Täuschung
erhaben sind; als sie erhoben wurden,
hast du sie niedergeworfen.
Wie werden sie wie in einem Augenblick
ins Verderben gebracht! sie sind,
als wären sie nie gewesen,
wie ein Traum, wenn man erwacht.
Ich habe die Gottlosen hoch erhaben gesehen
und erhaben wie die Zedern des Libanon.
Und ich ging vorüber, und siehe, er war nicht mehr;
und ich suchte ihn,
und seine Stätte wurde nicht gefunden.
Aufgrund unseres Mangels an Glauben
können wir nicht ein wenig zögern,
bis die Zeit kommt, in der auch wir sehen werden,
wie die Barmherzigkeit Gottes
mit all seiner Macht mit denen ist, die ihn fürchten,
und der Arm Gottes mit aller Strenge und Macht
gegen die Stolzen. O Treuloser!
wir tasten mit unseren Händen
nach der Barmherzigkeit und dem Arm Gottes,
und da wir sie nicht fühlen können, glauben wir,
unsere Sache sei verloren
und die unserer Feinde gewonnen,
als ob Gottes Gnade und Barmherzigkeit
uns verlassen hätte und sein Arm
hätte sich gegen uns gewendet.
Dies tun wir, weil wir Seine eigentlichen Werke
nicht kennen und kennen daher Ihn nicht,
weder Seine Barmherzigkeit noch Seinen Arm.
Denn Er muss und wird durch Glauben erkannt werden;
daher müssen unser Sinn und unsere Vernunft
die Augen schließen. Dies ist das Auge,
das uns beleidigt; darum muss es ausgerissen
und von uns geworfen werden.
Dies sind also die beiden gegensätzlichen
Werke Gottes, aus denen wir erfahren,
dass Er gewillt ist, weit entfernt
von den Weisen und Klugen zu sein,
und nahe den Toren und denen,
die gezwungen sind, im Unrecht zu sein.
Das macht Gott liebenswert und preiswürdig
und tröstet Seele und Leib und all unsere Kräfte.
Wir kommen zu den Worten:
Er zerstreut die Stolzen in der Vorstellung ihrer Herzen.
Diese Zerstreuung geschieht, wie wir gesagt haben,
wenn ihre Klugheit auf dem Höhepunkt ist
und wenn sie von ihrer eigenen Weisheit erfüllt sind;
dann ist Gottes Weisheit wahrlich nicht mehr bei ihnen.
Und wie könnte er sie besser zerstreuen,
als indem er sie seiner ewigen Weisheit beraubt
und sie mit ihrer eigenen zeitlichen,
kurzlebigen und vergänglichen Weisheit
erfüllen lässt? Denn Maria sagt:
Die Stolzen in der Vorstellung ihres Herzens –
das heißt, die, die sich an ihren eigenen Meinungen,
Gedanken und Vernunft erfreuen,
die nicht Gott, sondern ihr Herz inspiriert,
und die sie allein für richtig und gut
und weise halten vor allen anderen.
Darum erheben sie sich über die Gottesfürchtigen,
setzen die Meinung und das Recht anderer herab,
schütten Schande darüber
und verfolgen sie bis zum Äußersten,
damit ihre eigene Sache auf jeden Fall recht habe
und aufrechterhalten werde.
Wenn sie das geschafft haben,
rühmen sie sich und prahlen laut;
wie es die Juden mit Christus taten,
die nicht sahen, dass ihre Sache vernichtet
und zunichte gemacht wurde,
aber Christus zur Herrlichkeit erhöht.
Wir bemerken also, dass unser Vers
von geistlichen Gütern handelt
und wie man darin Gottes zweifaches Wirken
erkennen kann. Es zeigt uns, dass wir gerne
arm im Geiste und im Unrecht sein sollten
und unsere Gegner im Recht sein lassen sollten.
Sie werden nicht lange andauern;
das Versprechen ist zu stark für sie.
Sie können Gottes Arm nicht entkommen,
sondern müssen erliegen und so tief gebracht werden,
wie sie einst hoch waren,
wenn wir es nur glauben wollen.
Aber wo es keinen Glauben gibt,
vollbringt Gott solche Werke nicht;
Er zieht seinen Arm zurück
und wirkt offen durch die Geschöpfe.
Aber dies sind nicht Seine eigentlichen Werke,
durch die Er erkannt werden kann,
denn in ihnen vermischt sich die Kraft der Geschöpfe
mit Seiner eigenen Kraft.
Sie sind nicht Gottes eigene reine Werke,
wie sie es sein müssen, wenn niemand
mit Ihm arbeitet und Er allein die Arbeit tut,
die Er tut, wenn wir machtlos werden
und in unserem Recht oder unserer Meinung
unterdrückt werden, und lassen
Gottes Kraft in uns wirken.
Was sind das für kostbare Werke!
Mit welcher Meisterschaft trifft Maria
hier die perversen Heuchler!
Sie schaut weder auf ihre Hände noch in ihre Augen,
sondern in ihre Herzen, wenn sie sagt:
die Stolzen in der Phantasie ihrer Herzen.
Sie bezieht sich insbesondere auf die Feinde
der göttlichen Wahrheit, wie die Juden
in ihrer Opposition zu Christus,
und die Menschen von heute.
Denn diese Gelehrten und Heiligen
sind nicht stolz auf ihre Kleidung oder ihr Verhalten ;
sie beten viel, fasten viel, predigen und studieren viel;
sie lesen auch Messe,
gehen demütig mit gesenktem Kopf
und meiden teure Kleidung. Sie denken,
es gibt keine größeren Feinde
für den Stolz, Irrtum und Heuchelei,
noch bessere Freunde der Wahrheit
und Gottes, als sie selbst.
Wie sonst könnten sie der Wahrheit
so großen Schaden zufügen,
wenn sie nicht so heilige, fromme
und gelehrte Leute wären? Ihre Taten
machen nach außen eine mutige Show
und beeindrucken das einfache Volk.
O sie haben gute Herzen und meinen es gut,
sie rufen den guten Gott an
und bemitleiden ihren armer Jesus,
der so ungerecht und stolz war
und nicht so fromm wie sie.
Er sagt von ihnen: Die göttliche Weisheit
wird gerechtfertigt durch ihre Kinder –
das heißt: Sie sind gerechter und weiser als ich,
der ich die göttliche Weisheit selbst bin;
was immer ich tue, ist falsch,
und ich werde von ihnen belehrt.
Diese Männer sind das giftigste
und schädlichste Volk der Welt,
ihre Herzen sind voller satanischem Stolz.
Es gibt keine Hilfe für sie;
sie werden unseren Rat nicht beachten.
Es betrifft sie nicht; das überlassen sie
armen Sündern, für die eine solche Lehre
notwendig ist, aber nicht für sie.
Johannes nennt sie eine Schlangengeneration,
und Christus tut es auch.
Das sind die recht Schuldigen, die Gott nicht fürchten,
und nur geeignet sind, dass Gott sie
mit ihrem Stolz zerstreut,
weil niemand das Recht
und die Weisheit mehr verfolgt als sie –
doch um Gottes und der Gerechtigkeit willen.
Daher müssen sie notwendigerweise
an erster Stelle unter den drei Feinden Gottes
auf dieser Seite stehen. Denn die Reichen
sind am wenigsten Seine Feinde;
die Mächtigen sind viel feindseliger;
aber diese Klugscheißer
sind die schlimmsten von allen
wegen ihres Einflusses auf andere.
Die Reichen zerstören untereinander die Wahrheit;
die Mächtigen vertreiben sie von anderen;
aber diese Weisen löschen die Wahrheit selbst
vollständig aus und ersetzen sie
durch andere Dinge, die Einbildung
ihres eigenen Herzens, damit die Wahrheit
nicht wieder in ihr eigenes Herz kommen kann.
So viel die Wahrheit selbst besser ist als die Menschen,
unter denen sie wohnt, so viel schlimmer
sind die Weisen als die Mächtigen und Reichen.
O Gott ist ihr besonderer Feind,
wie sie es verdient haben.
Er hat die Mächtigen von ihren Sitzen gestürzt.
Dieses Werk und die folgenden
sind aus den beiden vorhergehenden Werken
leicht verständlich. Denn so wie Gott
die Weisen und Klugen
in ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen zerstreut,
auf die sie sich verlassen, und ihren Stolz
an denen auslassen, die Gott fürchten,
die notwendigerweise im Unrecht sind
und ihr Recht und ihre Meinung
zurückgewiesen sehen müssen (was hauptsächlich
geschieht um des Wortes Gottes willen);
genauso zerstört Er die Mächtigen und Großen
mit ihrer Kraft und Autorität und setzt sie nieder,
auf die sie angewiesen sind,
und lassen ihren Stolz an ihren Untergebenen,
den Gottesfürchtigen und Schwachen, aus,
die durch ihre Hände Verletzungen, Schmerzen,
Tod und alle möglichen Übel erleiden müssen.
Und so wie Er diejenigen tröstet,
die für Recht, Wahrheit und Wort
Unrecht und Schande erleiden müssen,
so tröstet Er auch diejenigen,
die Unrecht und Böses erleiden müssen.
Und so sehr Er Letztere tröstet,
so sehr erschreckt Er Erstere.
Aber auch dies muss alles im Glauben erkannt
und erwartet werden. Denn Er vernichtet
die Mächtigen nicht so plötzlich, wie sie es verdienen,
sondern lässt sie eine Zeit lang ziehen,
bis ihre Macht ihren Höhepunkt erreicht hat.
Wenn dies getan ist, unterstützt Gott sie nicht,
noch kann sie sich selbst unterstützen;
sie bricht von ihrem eigenen Gewicht
ohne Krachen und Geräusch zusammen,
und die Unterdrückten werden erhoben,
auch ohne Geräusch, denn Gottes Kraft ist in ihnen,
und sie allein bleibt, wenn die Kraft
der Mächtigen gefallen ist.
Beachte jedoch, dass Maria nicht sagt,
dass er die Sitze zerbricht,
sondern dass er die Mächtigen von ihren Sitzen wirft.
Sie sagt auch nicht, dass er die Niedrigen
in ihrer niedrigen Stufe belässt, sondern sie erhöht.
Denn solange die Erde bleibt,
müssen Autorität, Herrschaft, Macht
und Sitze notwendigerweise bestehen bleiben.
Aber Gott wird nicht lange zulassen,
dass Menschen sie missbrauchen
und gegen Ihn aufbringen,
den Frommen Ungerechtigkeit und Gewalt zufügen
und sich daran ergötzen, sich ihrer rühmen
und sie nicht im Dienst verwenden der Gottesfurcht,
zu Seinem Lob und zur Verteidigung der Gerechtigkeit.
Wir sehen in allen Geschichten und in der Erfahrung,
dass er ein Königreich niederschlägt
und ein anderes erhöht,
ein Fürstentum erhöht und ein anderes niederwirft,
ein Volk vermehrt und ein anderes zerstört;
wie Er es mit Assyrien, Babylon, Persien, Griechenland
und Rom tat, obwohl sie dachten,
dass sie für immer auf ihren Sitzen sitzen sollten.
Er zerstört auch nicht Vernunft, Weisheit und Recht;
denn wenn die Welt weitergehen soll,
müssen diese Dinge bleiben.
Aber er zerstört den Hochmut und die Hochmütigen,
die diese Dinge für eigennützige Zwecke verwenden,
sich daran erfreuen, Gott nicht fürchten,
sondern die Gottesfürchtigen
und das göttliche Recht durch sie verfolgen
und so die schönen Gaben Gottes missbrauchen
und sie verkehren gegen ihn.
Nun, in göttlichen Dingen pflegen
die Klugen und stolzen Weisen
mit den Mächtigen gemeinsame Sache zu machen
und sie zu überreden, gegen die Wahrheit
Partei zu ergreifen; wie es im Psalm geschrieben steht:
Die Könige der Erde stellen sich auf,
und die Fürsten beraten miteinander
gegen den Herrn und gegen seinen Gesalbten.
Denn Wahrheit und Recht müssen immer
von den Weisen, Mächtigen und Reichen
angegriffen werden, das heißt von der Welt
mit ihren Größten und Besten.
Daher tröstet der Heilige Geist
Wahrheit und Recht durch den Mund dieser Mutter
und befiehlt ihnen, sich weder zu täuschen
noch zu fürchten. Lass sie weise,
mächtig und reich sein: es wird nicht lange dauern.
Denn wenn die Heiligen und Gelehrten
zusammen mit den mächtigen Herren
und den Reichen nicht gegen, sondern für
das Recht und die Wahrheit wären,
was würde aus dem Unrecht werden?
Wer würde das Böse erleiden?
Aber dazu darf es nie kommen.
Die Gelehrten, Heiligen, Mächtigen, Großen
und Reichen und die Besten, die die Welt hat,
müssen kämpfen gegen Gott und das Recht
und des Teufels eigen sein.
Wie es in Habakuk heißt: Sein Fleisch
ist köstlich und auserlesen – das heißt,
der böse Geist hat einen äußerst feinen Gaumen
und genießt es, sich an den allerbesten,
köstlichsten und erlesensten Bissen zu laben,
wie ein Bär am Honig. Daher sind
die gelehrten und heiligen Heuchler,
die großen Herren und die Reichen
des Teufels eigene Leckerbissen.
Auf der anderen Seite die, die die Welt ablehnt,
die Armen, Niedrigen, Einfältigen und Verachteten,
Gott hat sie erwählt, wie Paulus sagt,
und bewirkt, dass der beste Teil der Menschheit
Leid über den niedrigsten Teil bringt,
damit die Menschen wissen,
dass unsere Errettung nicht in der Macht
und den Werken des Menschen besteht,
sondern in Gott allein, wie auch Paulus sagt.
Daher ist viel Wahrheit in diesen Aussprüchen:
Je mehr die Menschen wissen,
desto schlechter werden sie.
Ein Prinz, ein seltener Vogel im Himmel.
Hier reich, dort arm.
Denn Gelehrte werden ihren Stolz nicht aufgeben,
noch die Mächtigen ihre Unterdrückung,
noch die Reichen ihre Vergnügungen.
So wedelt die Welt mit dem Schwanz.
Und erhöht die Niedrigen.
Die Niedrigen sind hier nicht die Demütigen,
sondern solche, die in den Augen der Welt
verächtlich und überhaupt nichts sind.
Es ist derselbe Ausdruck, den Maria
auf sich selbst anwendete –
Er hat den niedrigen Stand seiner Magd betrachtet.
Dennoch sind diejenigen, die bereit sind, nichts zu sein
und von Herzen demütig und nicht danach streben,
groß zu sein, wirklich demütig.
Wenn Er sie nun erhöht, bedeutet das nicht,
dass Er sie auf die Sitze derer setzen wird,
die Er ausgestoßen hat; genauso wenig
wie wenn Er denen, die Ihn fürchten, Barmherzigkeit erweist,
setzt Er sie an die Stelle der Gelehrten, der Stolzen.
Er gewährt ihnen vielmehr, geistlich
und in Gott erhöht zu werden
und Richter über Sitze und Macht zu sein,
sowohl hier als auch im Himmel;
denn sie haben mehr Wissen
als alle Gelehrten und Mächtigen.
Wie das geht, wurde oben gesagt
und braucht nicht wiederholt zu werden.
All dies wird für den Trost gesagt
des Leidens und des Schreckens der Tyrannen,
wenn wir nur genug Glauben hätten, es zu glauben.
Er hat die Hungrigen mit guten Dingen gesättigt,
und die Reichen hat er leer weggeschickt.
Wir sagten, dass mit denen von niedrigem Grad
nicht diejenigen gemeint sind, die verachtet
und nichts im Anschein sind, sondern diejenigen,
die bereit sind, in einem solchen Zustand zu sein,
besonders wenn sie um Gottes Wort
oder des Rechts willen dazu gezwungen wurden.
Unter den Hungrigen sind aber nicht die zu verstehen,
die wenig oder nichts zu essen haben, sondern die,
die gerne leiden, besonders wenn sie um Gottes willen
oder der Wahrheit willen von anderen
gewaltsam dazu gezwungen werden.
Wer ist niedriger, verachteter und bedürftiger
als der Teufel und die Verdammten,
oder als Menschen, die wegen ihrer bösen Taten
gefoltert, ausgehungert oder getötet werden,
oder alle, die gegen ihren Willen niedrig und arm sind?
Doch das hilft ihnen nicht, sondern vergrößert nur ihr Elend.
Von ihnen spricht die Gottesmutter nicht,
sondern von denen, die eins sind mit Gott
und Gott mit ihnen, und die
an ihn glauben und ihm vertrauen.
Andererseits, was hinderten ihre Reichtümer
die heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob?
Welches Hindernis war sein königlicher Thron für David
oder seine Autorität in Babylon für Daniel?
oder ihre hohe Stellung oder große Reichtümer
denen, die sie hatten oder heute haben,
vorausgesetzt, dass sie ihr Herz nicht an sie hängen
noch ihr Eigenes in ihnen suchen?
Salomo sagt: Der Herr wägt die Geister –
das heißt, er urteilt nicht nach dem Äußeren,
ob jemand reich oder arm, hoch oder niedrig ist,
sondern nach dem Geist
und wie er sich innerlich verhält.
Es muss solche Unterschiede und Unterscheidungen
von Personen und Stationen in unserem Leben
hier auf Erden geben, doch das Herz
sollte weder an ihnen festhalten noch vor ihnen fliehen –
nicht an den Hohen und Reichen festhalten,
noch vor den Armen und Niedrigen fliehen.
So heißt es auch im Psalm:
Gott prüft die Herzen und Nieren –
also ist Er ein gerechter Richter.
Aber die Menschen urteilen nach dem Äußeren;
deshalb irren sie sich oft.
Diese Arbeiten werden, wie die oben erwähnten,
im Verborgenen durchgeführt,
so dass niemand davon Kenntnis hat,
bis sie zu Ende sind. Ein reicher Mann
ist sich nicht bewusst, wie leer und elend
er wirklich ist, bis er stirbt
oder anderweitig Verluste erleidet.
Erst dann sieht er, wie all seine Güter nichts waren,
wie es im Psalm heißt:
Sie haben ihren Schlaf entschlafen;
und alle Reichen haben nichts in ihrer Hand gefunden.
Auf der anderen Seite die Hungrigen und Durstigen
wissen nicht, wie voller guter Dinge sie sind,
bis sie ans Ende kommen. Dann finden sie
die Worte Christi wahr: Selig sind,
die hungern und dürsten; denn sie werden satt werden,
und hier das tröstliche Versprechen der Gottesmutter:
Er hat die Hungrigen mit guten Dingen gesättigt.
Es ist völlig unmöglich für Gott,
jemanden, der auf Ihn vertraut,
an Hunger sterben zu lassen;
Alle Engel müssen eher kommen und ihn speisen.
Elia wurde von Raben gefüttert,
und lebte viele Tage von einer Handvoll Mehl,
er und die Witwe von Sarepta.
Gott kann diejenigen nicht verlassen,
die ihm vertrauen. Daher sagt David:
Ich bin jung gewesen und bin jetzt alt,
und doch habe ich den Gerechten nicht verlassen gesehen
noch seine Nachkommen um Brot betteln.
Nun, der ist gerecht, der auf Gott vertraut.
Wieder im Psalm: Die Reichen haben gemangelt
und gelitten Hunger; aber denen,
die den Herrn suchen, wird nichts Gutes vorenthalten.
Und die heilige Anna, die Mutter Samuels,
sagt: „Die vorher satt waren,
haben sich für Brot verdingt,
und die Hungrigen werden satt.
Aber unser erbärmlicher Unglaube
hindert Gott immer daran, solche Werke
in uns zu wirken, und uns selbst daran,
sie zu erfahren und zu erkennen.
Wir wünschen uns, satt zu werden
und alles in Hülle und Fülle zu haben,
bevor Hunger und Verlangen eintreffen.
Wir treffen Vorkehrungen für zukünftigen Hunger und Not,
damit wir Gott und seine Werke nicht mehr brauchen.
Was ist das für ein Glaube, der auf Gott vertraut,
wenn man dabei fühlt und weiß,
dass man Güter auf Lager hat,
womit man sich selbst helfen kann?
Aufgrund unseres Unglaubens sehen wir
Gottes Wort, die Wahrheit und das Rechte besiegt
und das Falsche triumphiert,
und doch schweigt man, tadelt nicht, spricht es nicht aus,
verhindert es nicht, sondern lässt die Dinge laufen,
wie sie wollen. Wieso denn? Wir haben Angst,
dass auch wir angegriffen und verarmt werden
und dann vor Hunger sterben
und für immer niedergestreckt werden könnten.
Das bedeutet, zeitliche Güter höher zu schätzen als Gott
und sie an die Stelle Gottes als Götzen zu setzen.
Wenn wir dies tun, verdienen wir es nicht,
diese angenehme Verheißung Gottes zu hören
oder zu verstehen – dass er die Niedrigen erhöht,
die Mächtigen erniedrigt, die Armen sättigt
und die Reichen leert. Wir verdienen es nicht,
jemals zur Erkenntnis Seiner Werke zu gelangen,
ohne die es keine Errettung gibt.
Wir müssen daher für immer verdammt sein,
denn: Weil sie die Werke des Herrn nicht achten
noch das Wirken seiner Hände,
wird er sie zerstören und nicht aufbauen.
Und das zu Recht; weil sie seinen Verheißungen
nicht glauben, aber nennen Ihn
einen unbeständigen, lügenden Gott.
Sie wagen es nicht, ein Wagnis einzugehen
oder sich auf die Kraft Seiner Worte zu verlassen,
so wenig schätzen sie Seine Wahrheit.
Es ist in der Tat notwendig, dass wir
einen Versuch machen
und uns auf Seine Worte wagen;
denn Maria sagt nicht, er habe die Vollen gesättigt
und sie hoch erhöht, sondern die Hungrigen
hat er gesättigt und die Niedrigen erhöht.
Sie müssen unbedingt die Prise Armut
inmitten Ihres Hungers spüren
und durch Erfahrung lernen,
was Hunger und Armut sind,
ohne Versorgung und ohne Hilfe bei sich selbst
oder einem anderen Menschen,
sondern nur bei Gott; damit das Werk Gottes
allein sei und unmöglich von jemand anderem
getan werden könne. Du musst nicht nur
von einem niedrigen Zustand denken und sprechen,
sondern tatsächlich in einen niedrigen Zustand geraten
und darin gefangen sein, ohne menschliche Hilfe,
damit Gott allein das Werk tun kann.
Oder wenn es nicht so weit kommen sollte,
müssen Sie es zumindest wünschen
und nicht davor zurückschrecken.
Wir sind Christen und haben das Evangelium,
das weder der Teufel noch die Menschen ertragen können,
damit wir in Armut und Niedrigkeit kommen
und Gott dadurch sein Werk in uns haben kann.
Denken Sie nur für sich selbst nach
und Sie werden sehen, dass,
wenn Gott Sie sättigen würde,
bevor Sie hungrig waren,
oder Sie erhöhen würde,
bevor Sie erniedrigt wurden,
Er notwendigerweise auf die Ebene
eines Zauberers oder Beschwörers herabsinken muss;
Er wäre nicht in der Lage, das zu tun, was Er verspricht,
und alle Seine Werke wären ein bloßer Scherz,
während geschrieben steht:
Seine Werke sind Wahrheit und lautere Wahrheit.
Und selbst wenn Er Seine Werke ausführen würde,
sobald Sie die erste Prise Mangel
oder Niedrigkeit verspürten,
oder Ihnen in einer leichten Not helfen würde,
wären solche Werke Seiner göttlichen Macht
und Majestät völlig unwürdig;
denn der Psalm sagt von ihnen: Groß sind die Werke
des Herrn, erwählt nach all seinem Willen.
Nehmen wir den umgekehrten Fall an.
Wenn er die Reichen und die von hohem Rang
erniedrigen würde, bevor sie entweder reich
oder hoch sind, wie würde er vorgehen?
Sie müssen erst so weit aufgestiegen
und zu so großen Reichtümern gekommen sein,
dass sie selbst und alle anderen meinten –
ja, dass es tatsächlich so sei,
dass niemand sie niedermachen,
niemand sie aufhalten könne
und dass sie ihrer selbst sicher seien
und sagten, was Jesaja über Babylon schreibt:
Höre nun dies, du Feine und Zuversichtliche,
die du in deinem Herzen sagst:
Ich bin es und niemand sonst außer mir;
ich werde nicht als Witwe sitzen,
noch werde ich den Verlust kennen meiner Kinder
(das heißt, von Macht und Hilfe).
Aber diese beiden Dinge werden
an einem Tag zu dir kommen.
Nur dann kann Gott seine Werke in ihnen wirken.
So ließ er es zu, dass der Pharao
sich gegen die Kinder Israels auflehnte
und sie unterdrückte, wie er selbst sagt:
Darum habe ich dich erweckt,
um an dir meine Macht zu zeigen;
und dass mein Name auf der ganzen Erde
verkündet werde. Von solchen Beispielen
ist die Bibel voll, wobei sie nichts als Gottes
Werk und Wort lehrt und das Werk und Wort
der Menschen ablehnt. Siehe, welch starker Trost ist es,
dass nicht der Mensch, sondern Gott den Hungrigen gibt,
und dass Er ihnen nicht nur dies oder jenes gibt,
sondern sie sättigt und vollkommen sättigt.
Maria sagt außerdem: mit guten Dingen.
Das heißt, diese Fülle soll harmlos, heilsam
und rettend sein und Körper, Seele
und all ihren Kräften zugute kommen.
Aber es zeigt auch, dass die Hungrigen,
bevor sie satt werden, an allem Guten ermangeln
und von allem Mangel erfüllt sind.
Denn Reichtümer umfassen hier, wie gesagt,
allerlei zeitliche Güter zur Befriedigung
der leiblichen Bedürfnisse,
worüber sich auch die Seele freut.
Trotzdem bedeutet Hunger hier nicht nur
den Mangel an Nahrung, sondern
an allen zeitlichen Gütern. Denn ein Mensch
kann auf alles andere als Nahrung verzichten,
so dass fast alle Güter dazu da sind,
ihn mit Nahrung zu versorgen,
ohne die kein Mensch leben kann,
auch wenn er ohne Kleidung, Haus, Geld und Besitz
leben könnte unter den Mitmenschen.
Die Schrift bezeichnet daher hier zeitliche Güter
nach dem Teil von ihnen, dessen Bedarf und Gebrauch
am wesentlichsten sind und auf den wir
am wenigsten verzichten können.
So nennt sie auch Geizhälse und weltliche Habsüchtige
Diener des eigenen Bauches.
Und Paulus nennt ihren Bauch ihren Gott.
Wie könnte man stärker und bequemer
dazu bewegt werden, Hunger und Armut
bereitwillig zu ertragen, als durch diese schönen Worte
der Mutter Gottes, dass Gott
alle Hungrigen mit guten Dingen sättigen wird?
Wen diese Worte und solcher Ruhm
und Lob der Armut nicht bewegen,
der ist gewiss ohne Glauben und Vertrauen,
ein wahrer Heide. Andererseits,
wie könnte man eine vernichtendere Anklage
gegen den Reichtum erheben
oder die Reichen schmerzlicher erschrecken,
als wenn man sagt, dass Gott sie leer wegschickt?
O wie groß und überfließend ist Gottes Fülle
und Gottes Sendung! Wie völlig vergeblich
ist hier die Hilfe oder der Rat irgendeiner Kreatur!
Ein Mann erschrickt, wenn er hört,
dass sein Vater ihn verstoßen hat oder dass er
bei seinem Herrn in Ungnade gefallen ist.
Doch wir Reichen und Hochgestellten erschrecken nicht,
wenn wir hören, dass Gott uns verleugnet,
ja nicht nur verleugnet, sondern droht zu brechen,
zu demütigen und uns leer wegzuschicken!
Dagegen ist es eine Freude, wenn der Vater gut
und der Herr gnädig ist, und mancher
so viel Wert auf diese Dinge legt,
dass er dafür Leben und Besitz hingibt.
Wir haben hier eine solche Verheißung Gottes
und so starker Trost – doch wir können sie
weder gebrauchen noch genießen,
ihm weder dafür danken noch uns daran erfreuen!
O elender Unglaube! hart und fest
wie Stock und Stein, um so große Dinge nicht zu fühlen.
Lassen Sie dies in Bezug auf die Werke Gottes genügen.
Er hat seinem Diener Israel geholfen:
In Erinnerung an Seine Barmherzigkeit.
Nachdem Maria die Werke Gottes in ihr
und in allen Menschen aufgezählt hat,
kehrt sie zum Anfang und zum Wesentlichen zurück.
Sie schließt das Magnifikat mit der Erwähnung
des allergrößten aller Werke Gottes –
der Menschwerdung des Sohnes Gottes.
Sie bekennt sich freiwillig als Dienerin
und Magd der ganzen Welt, indem sie bekennt,
dass dieses Werk, das in ihr verrichtet wurde,
nicht nur für sie, sondern für ganz Israel getan wurde.
Aber sie teilt Israel in zwei Teile
und bezieht sich nur auf den Teil, der Gottes Diener ist.
Nun ist niemand Gottes Diener außer dem,
der Ihn seinen Gott sein lässt
und Seine Werke in Ihm tun lässt,
von denen wir oben sprachen, Ach!
das Wort „Gottesdienst“ hat heutzutage
eine so seltsame Bedeutung und Verwendung angenommen,
dass, wer es hört, nicht an diese Werke Gottes denkt,
sondern an das Läuten der Glocken,
das Holz und den Stein der Kirchen,
den Weihrauchtopf, das Flackern der Kerzen,
das Gemurmel in den Kirchen,
das Gold, Silber und die Edelsteine
in den Chorgewändern der Knaben und Zelebranten,
von Kelchen und Monstranzen,
von Orgeln und Bildnissen,
von Prozessionen und Kirchgängen
und vor allem von Lippengeplapper
und Rosenkränzerasseln. Dies, ach! ist es,
was der Dienst Gottes jetzt bedeutet.
Von solchem Dienst weiß Gott überhaupt nichts,
während wir nichts als dies wissen.
Wir singen das Magnifikat täglich
in einem besonderen Ton und mit wunderschönem Pomp,
und je öfter wir es singen, desto mehr verstummen wir
seine wahre Musik und Bedeutung.
Doch der Text steht fest.
Wenn wir diese Werke Gottes nicht lernen und erfahren,
wird es keinen Dienst geben an Gott,
kein Israel, keine Gnade, keine Barmherzigkeit,
keinen Gott; obwohl wir uns mit Singen
und Läuten in den Kirchen umbringen
und alle Güter der ganzen Welt hineinschleppen.
Gott hat keines dieser Dinge befohlen;
daher kann es keinen Zweifel geben,
dass Er daran kein Vergnügen hat.
Nun, das Israel, das Gottes Diener ist,
profitiert von der Menschwerdung Christi.
Das ist Sein eigenes geliebtes Volk,
um dessentwillen Er auch Mensch geworden ist,
um es von der Macht des Teufels,
der Sünde, des Todes und der Hölle zu erlösen
und es zur Gerechtigkeit, zum ewigen Leben
und zur Erlösung zu führen. Das ist die Hilfe,
von der Maria singt. Wie Paulus sagt:
Christus gab sich selbst für uns hin,
damit er sich ein besonderes Volk reinige;
und St. Peter: Ihr seid ein heiliges Volk,
ein besonderes Volk,
eine königliche Priesterschaft.
Dies sind die Reichtümer
der grenzenlosen Barmherzigkeit Gottes,
die wir nicht durch Verdienst,
sondern durch reine Gnade empfangen haben.
Deshalb singt sie: Er hat seiner Barmherzigkeit gedacht.
Sie sagt nicht: Er hat an unseren Verdienst
und unsere Würdigkeit gedacht.
Wir waren zwar in Not, aber durchaus unwürdig.
Darin besteht sein Lob und seine Herrlichkeit,
während unsere Prahlerei und Anmaßung
schweigen müssen. Es gab für Ihn nichts zu beachten,
was Ihn bewegen könnte, außer Seine Barmherzigkeit,
und diesen Namen wollte Er bekannt machen.
Aber warum sagt sie: Er erinnerte sich
und nicht: Er betrachtete?
Weil Er diese Barmherzigkeit versprochen hatte,
wie der folgende Vers zeigt.
Nun hatte er lange gewartet, bevor er es zeigte,
bis es schien, als hätte er es vergessen –
so wie alle seine Werke so scheinen,
als ob er uns vergessen würde –
aber als er kam, war zu sehen,
dass er es nicht vergessen hatte,
sondern fortwährend hatte im Sinn,
sein Versprechen zu erfüllen.
Es ist wahr, dass das Wort Israel
nur die Juden bedeutet und nicht uns Heiden.
Aber weil sie Ihn nicht haben wollten,
wählte Er dennoch einige aus ihrer Zahl aus
und befriedigte dadurch den Namen Israel
und machte fortan daraus ein geistiges Israel.
Dies wurde gezeigt, als der heilige Patriarch Jakob
mit dem Engel rang, der das Gelenk seiner Hüfte zerrte,
um zu zeigen, dass seine Kinder fortan
nicht mehr mit ihrer fleischlichen Geburt prahlen sollten,
wie es die Juden tun. Deshalb erhielt er auch
einen neuen Namen, dass er fortan Israel heißen sollte,
als Patriarch, der nicht nur Jakob war,
der Vater der fleischlichen Kinder, aber Israel,
der Vater der geistigen Kinder.
Damit stimmt das Wort Israel überein,
denn es bedeutet ein Fürst bei Gott.
Das ist ein allerhöchster und heiliger Name
und enthält in sich das große Wunder,
dass ein Mensch durch die Gnade Gottes
gleichsam bei Gott gesiegt hat,
damit Gott tut, was der Mensch begehrt.
Dasselbe sehen wir im Fall der christlichen Kirche.
Durch Christus ist sie mit Gott als Braut
ihres Bräutigams verbunden,
so dass die Braut ein Recht auf
und Macht über den Körper ihres Bräutigams
und all seine Besitztümer hat;
all das kommt durch den Glauben zustande.
Durch den Glauben tut der Mensch was Gott will;
Gott wiederum tut, was der Mensch will.
Israel bedeutet also einen gottähnlichen,
Gott besiegenden Menschen,
der ein Herr in Gott, mit Gott und durch Gott ist,
der fähig ist, alle Dinge zu tun.
Das ist die Bedeutung von Israel.
Als Jakob nun mit dem Engel gerungen und gesiegt hatte,
sprach er zu ihm: Dein Name soll Israel heißen;
denn da du Macht hast bei Gott,
wirst du auch Macht haben bei Menschen.
Zu diesem Thema gäbe es noch viel mehr zu sagen,
denn Israel ist ein seltsames und tiefes Geheimnis.
Wie er zu unseren Vätern sprach:
Abraham und seinem Samen für immer.
Hier werden alle Verdienste und Anmaßungen erniedrigt
und allein Gottes Gnade und Barmherzigkeit erhöht.
Denn Gott hat Israel nicht wegen ihrer Verdienste
aufgenommen, sondern wegen seiner eigenen Verheißung.
In reiner Gnade hat er das Versprechen gegeben,
in reiner Gnade hat er es auch erfüllt.
Deshalb sagt der heilige Paulus,
dass Gott Abraham vierhundert Jahre zuvor
die Verheißung gegeben hatte, vor dem Gesetz Moses,
damit sich niemand rühme, er habe solche Gnade
und Verheißung durch das Gesetz
oder die Werke des Gesetzes verdient und erlangt.
Dieselbe Verheißung lobt und erhebt die Gottesmutter
hier über alles andere und schreibt dieses Werk
der Menschwerdung Gottes allein
der unverdienten Verheißung der göttlichen Gnade zu,
die Abraham gegeben wurde.
Die Verheißung Gottes an Abraham
ist besonders in Genesis aufgezeichnet
und wird außerdem an vielen anderen Stellen erwähnt.
Es lautet wie folgt: Bei mir selbst habe ich geschworen:
In deinem Samen sollen gesegnet werden
alle Geschlechter oder Nationen der Erde.
Diese Worte werden vom heiligen Paulus
und von allen Propheten hoch geschätzt,
und das mögen sie wohl sein.
Denn in diesen Worten wurden Abraham
und alle seine Nachkommen bewahrt und gerettet,
und in ihnen müssen auch wir alle gerettet werden;
denn darin ist Christus als der Retter
der ganzen Welt enthalten und verheißen.
Dies ist Abrahams Schoß,
in dem alle aufbewahrt wurden,
die vor Christi Geburt gerettet wurden;
ohne diese Worte wurde niemand gerettet,
obwohl er alle guten Werke getan hätte.
An erster Stelle folgt aus diesen Worten Gottes,
dass ohne Christus die ganze Welt
in Sünde und Verdammnis ist
und mit all ihrem Tun und Wissen verflucht ist.
Denn wenn Er sagt, dass nicht einige,
sondern alle Nationen in Abrahams Samen
gesegnet werden sollen, dann wird
ohne Abrahams Samen keine Nation gesegnet werden.
Was war für Gott nötig, so feierlich
und mit einem so mächtigen Eid zu versprechen,
dass Er sie segnen würde,
wenn sie bereits gesegnet waren
und nicht eher verflucht?
Aus diesem Ausspruch zogen die Propheten
viele Schlüsse; nämlich, dass alle Menschen
böse sind, alle Lügner, falsch und blind,
kurz gesagt, ohne Gott, so dass es im Schriftgebrauch
keine große Ehre ist, ein Mensch genannt zu werden,
da in Gottes Augen der Name des Menschen
nicht besser ist als der Name des Lügners
oder Treulosen in den Augen der Welt.
Der Mensch ist durch Adams Fall
so vollständig verdorben,
dass ihm der Fluch innewohnt
und gleichsam zu seiner Natur geworden ist.
Daraus folgt zweitens, dass dieser Same Abrahams
nicht im gemeinsamen Lauf der Natur
von einem Mann und einer Frau geboren werden konnte;
denn eine solche Geburt ist verflucht
und bringt nichts als verfluchten Samen hervor,
wie wir gerade gesagt haben.
Nun, wenn die ganze Welt durch diesen Samen Abrahams
vom Fluch erlöst und dadurch gesegnet werden sollte,
wie das Wort und der Eid Gottes verkünden,
der Same selbst muss zuerst gesegnet
und von diesem Fluch weder berührt noch befleckt werden,
sondern reiner Segen sein, voller Gnade und Wahrheit.
Nochmals, wenn Gott, der nicht lügen kann,
mit einem Eid erklärt hat, dass es Abrahams
natürlicher Same sein sollte, das heißt,
ein natürliches und echtes Kind,
geboren aus seinem Fleisch und Blut,
dann muss dieser Same notwendigerweise
ein wahrer, natürlicher Mensch sein,
des Fleisches und Blutes Abrahams.
Hier haben wir also einen Widerspruch,
das natürliche Fleisch und Blut Abrahams,
und doch nicht im Lauf der Natur geboren,
von Mann und Frau. Deshalb verwendet er
das Wort „dein Same“, nicht „dein Kind“,
um sehr klar und sicher zu machen,
dass es sein natürliches Fleisch und Blut sein sollte,
so wie der Same ist. Denn ein Kind
muss nicht sein leibliches Kind sein, wie jeder weiß,
nun, wer wird die Mittel finden, Gottes Wort
zu begründen und Schwur, worin
so widersprüchliche Dinge nebeneinander liegen?
Gott selbst hat diese Sache getan.
Er ist in der Lage, das zu halten, was er versprochen hat,
auch wenn es niemand verstehen mag, bevor es eintritt;
denn sein Wort und Werk verlangen nicht den Beweis
der Vernunft, sondern einen freien und reinen Glauben.
Siehe, wie er die beiden verband.
Er erweckt Abraham, den natürlichen Sohn
einer seiner Töchter, einer reinen Jungfrau, Maria,
durch den Heiligen Geist
und ohne dass sie einen Mann kennt, einen Samen.
Hier gab es keine natürliche Empfängnis
mit ihrem Fluch, noch konnte sie diesen Samen berühren;
und doch ist es der natürliche Same Abrahams,
so wahrhaftig wie alle anderen Kinder Abrahams.
Das ist der gesegnete Same Abrahams,
in dem die ganze Welt von ihrem Fluch befreit wird.
Denn wer an diesen Samen glaubt, Ihn anruft,
Ihn bekennt und in Ihm bleibt,
dem ist aller Fluch vergeben und aller Segen gegeben,
wie das Wort und der Eid Gottes besagen:
In deinem Samen werden alle Völker der Erde gesegnet.
Das heißt, was gesegnet werden soll,
muss und soll gesegnet werden
durch diesen Samen und auf keine andere Weise.
Dies ist Abrahams Same, gezeugt
von keinem seiner Söhne, wie die Juden
immer zuversichtlich erwarteten,
sondern allein von dieser seiner Tochter Maria geboren.
Das ist es, was die liebevolle Mutter
dieses Samens hier meint, wenn sie sagt:
Er hat seinem Knecht Israel geholfen,
wie er Abraham und all seinem Samen verheißen hat.
Sie fand das Versprechen in sich erfüllt;
daher sagt sie: Es ist jetzt erfüllt;
Er hat Hilfe gebracht und sein Wort gehalten,
nur im Gedenken an seine Barmherzigkeit.
Hier haben wir die Grundlage des Evangeliums
und sehen, warum all seine Lehren und Predigten
die Menschen zum Glauben an Christus
und in Abrahams Schoß treiben.
Denn wo dieser Glaube nicht vorhanden ist,
kann kein anderer Weg erdacht
oder Hilfe gegeben werden,
um diesen gesegneten Samen zu ergreifen.
Und tatsächlich hängt die ganze Bibel
an diesem Eid Gottes, denn in der Bibel
hat alles mit Christus zu tun.
Außerdem sehen wir, dass alle Väter
im Alten Testament zusammen
mit allen heiligen Propheten den gleichen Glauben
und das gleiche Evangelium hatten wie wir,
wie Paulus sagt; denn sie alle blieben
in festem Glauben an diesen Eid Gottes
und an Abrahams Schoß und wurden darin bewahrt.
Der einzige Unterschied ist,
dass sie an das Kommen glaubten
und den Samen versprachen;
wir glauben an den Samen, der gekommen ist
und gegeben wurde. Aber es ist alles
die eine Wahrheit der Verheißung
und daher auch ein Glaube, ein Geist, ein Christus,
ein Herr, jetzt wie damals und in Ewigkeit,
wie Paulus im Hebräerbrief sagt.
Aber die spätere Weitergabe des Gesetzes
an die Juden ist dieser Verheißung nicht ebenbürtig.
Das Gesetz wurde gegeben, damit sie
durch sein Licht ihren verfluchten Zustand
besser erkennen und den verheißenen Samen
umso inbrünstiger und herzlicher begehren;
worin sie einen Vorteil gegenüber
der ganzen heidnischen Welt hatten.
Aber sie verwandelten diesen Vorteil
in einen Nachteil; sie verpflichteten sich,
das Gesetz aus eigener Kraft zu halten,
und lernten nicht daraus ihren bedürftigen
und verfluchten Zustand. So verschlossen sie
die Tür hinter sich selbst, so dass der Same
gezwungen war, an ihnen vorbeizugehen.
Sie bleiben immer noch in diesem Zustand,
aber Gott gebe es nicht für lange. Amen.
Dies war der Grund für den Streit,
den alle Propheten mit ihnen hatten.
Denn die Propheten haben den Zweck des Gesetzes
gut verstanden, nämlich dass die Menschen
dadurch ihre verfluchte Natur erkennen
und lernen sollten, Christus anzurufen.
Daher verurteilten sie alle guten Werke
und alles im Leben der Juden, was diesem Zweck
nicht entsprach. Darum wurden die Juden
zornig auf sie und töteten sie als Männer,
die den Dienst Gottes, gute Werke
und ein gottgefälliges Leben verurteilten;
auch als die Heuchler und gnadenlosen Heiligen
es immer tun, worüber wir viel sagen könnten.
Wenn Maria sagt: Sein Same für immer,
müssen wir „ewig“ so verstehen, dass diese Gnade
Abrahams Samen (die Juden ) von dieser Zeit an
durch alle Zeiten bis zum Jüngsten Tag erhalten soll.
Obwohl die überwiegende Mehrheit von ihnen
verhärtet ist, gibt es doch immer einige,
wenn auch nur wenige, die sich zu Christus bekehren
und an Ihn glauben. Denn diese Verheißung Gottes
liegt nicht darin, dass die Verheißung Abraham
und seinen Nachkommen gegeben wurde,
nicht für ein Jahr oder für tausend Jahre,
sondern in secula, also von Generation zu Generation,
ohne Ende. Wir sollten daher die Juden
nicht so unfreundlich behandeln,
denn es sind zukünftige Christen unter ihnen,
und sie wenden sich jeden Tag ab.
Außerdem haben nur sie und nicht wir Heiden
diese Verheißung, dass es immer Christen
unter Abrahams Samen geben wird,
die den gesegneten Samen anerkennen,
wer weiß wie oder wann?
Was unsere Sache betrifft, so beruht sie
auf reiner Gnade, ohne ein Versprechen Gottes.
Wenn wir ein christliches Leben führten
und es mit Freundlichkeit zu Christus führten,
gäbe es die richtige Antwort.
Wer möchte Christ werden, wenn er sieht,
wie Christen in einem so unchristlichen Geist
mit Menschen umgehen? Nicht so,
meine lieben Christen. Sag ihnen die Wahrheit
in aller Güte; wenn sie es nicht annehmen,
lass sie gehen. Wie viele Christen gibt es,
die Christus verachten, sein Wort nicht hören
und schlimmer sind als Juden oder Heiden!
Doch wir lassen sie in Ruhe
und fallen ihnen sogar zu Füßen
und verehren sie fast wie Götter.
Das möge für den Augenblick genügen.
Wir beten zu Gott, um uns dieses Magnificat
recht verständlich zu machen, ein Verständnis,
das nicht nur in glänzenden Worten besteht,
sondern in glühendem Leben an Leib und Seele.
Möge Christus uns dies durch die Fürbitte
und um seiner lieben Mutter Maria willen
gewähren. Amen. Jesus und Maria.
ZWEITER TEIL
THOMAS MPNTZER – PREDIGTEN
Thomas Münzer
von ihm selbst
herausgegeben von Torsten Schwanke
ERSTER GESANG
Auslegung des andern Unterschieds Danielis des Propheten,
gepredigt aufm Schloss zu Allstedt
vor den tätigen teuren Herzogen und Vorstehern zu Sachsen
durch Thomas Müntzer, Diener des Wortes Gottes.
Erstlich ward der Text des oben gemeldeten Unterschieds
der Weissagung des Propheten Daniels
nach seinen klaren Worten verzählt und verdolmetscht
und auf solches die ganze Predigt
mit Verfassen des Text gesetzt wie folgt.
Es ist zu wissen, dass der armen, elenden, zerfallenden
Christenheit weder zu raten noch zu helfen ist,
es sei denn dass die fleißigen, unverdrossenen
Gottesknechte täglich die Bibel treiben
mit Singen, Lesen und Predigen.
Aber damit wird der Kopf der zarten Pfaffen
stets große Stöße müssen leiden
oder seines Handwerks abgehen.
Wie soll man ihm aber anders tun,
dieweil die Christenheit so jämmerlich
durch reißende Wölfe verwüstet ist,
wie geschrieben ist vom Weingarten Gottes?
Und Sankt Paulus lehrt, wie man sich in göttlichen
Lobsängen üben soll. Denn gleich wie zur Zeit
der lieben Propheten Jesajas, Jeremias, Hesekiel
und der anderen die ganze Gemeinde der Auserwählten Gottes
also ganz und gar in die abgöttische Weise geraten war,
dass ihr auch Gott nicht helfen mochte,
sondern musste sie gefangen wegführen lassen
und sie unter den Heiden so lange peinigen,
bis dass sie seinen heiligen Namen wieder erkannten
(wie geschrieben steht); also auch nichtsdestoweniger
ist bei unserer Väter und unserer Zeit
die arme Christenheit noch viel verstockter
und doch mit einem unaussprechlichen Scheine
göttlichen Namens, da sich der Teufel und seine Diener
hübsch mit schmücken. Ja, also hübsch,
dass die rechten Gottesfreunde damit verführt werden
und mit dem höchsten angewandten Fleiß
kaum merken mögen ihren Irrtum,
wie Matthäus klar angezeigt.
Dies macht alles die gedachte Heiligkeit
und das heuchlerische Entschuldigen
der gottlosen Feinde Gottes, da sie sagen,
die christliche Kirche kann nicht irren,
so sie doch, den Irrtum zu verhüten,
darum durch das Wort Gottes stets soll erbaut werden
und vom Irrtum ferngehalten,
ja auch die Sünde ihrer Unwissenheit erkennen soll.
Aber das ist wohl wahr: Christus, der Sohn Gottes,
und seine Apostel, ja auch vor ihm
seine heiligen Propheten haben wohl
eine rechte, reine Christenheit angefangen,
den reinen Weizen in den Acker geworfen,
das ist das teure Wort Gottes
in die Herzen der Auserwählten gepflanzt.
Aber die faulen nachlässigen Diener derselbigen Kirchen
haben solches mit emsigem Wachen nicht wollen vollführen
und erhalten, sondern sie haben das Ihre gesucht,
nicht was Jesu Christi war.
Deshalb haben sie den Schaden der Gottlosen,
das ist das Unkraut, kräftig lassen einreißen,
da der Eckstein, hier angezeigt, noch klein gewesen ist,
von welchem Jesaja sagt.
Ja, er hat noch die Welt nicht gar erfüllt,
er wird sie aber gar bald erfüllen und vollmachen.
Darum ist der aufgerichtete Eckstein
im Anfang der neuen Christenheit
bald verworfen von den Bauleuten,
das ist von den Regenten.
Also, sag ich, ist die angefangene Kirche
baufällig geworden an allen Orten
bis auf die Zeit der zertrennten Welt.
Denn Hegesippus und Eusebius sagen
vom Unterschied der christlichen Kirchen
dass die christliche Gemeinde eine Jungfrau blieben sei
nicht länger als bis auf die Zeit des Todes der Apostel.
Und bald danach ist sie eine Ehebrecherin geworden,
wie denn zuvor verkündigt war durch die lieben Apostel.
Und in den Geschichten der Apostel hat Sankt Paulus gesagt
zu den Hirten der Schafe Gottes
mit klaren, hellen Worten: Habt Acht auf euch selber
und auf die ganze Herde, über welche
euch der Heilige Geist gesetzt hat zu Wächtern,
dass ihr sollt weiden die Gemeinde Gottes,
welche er durch sein Blut erworben hat,
denn ich weiß, dass nach meinem Abschied werden
unter euch reißende Wölfe kommen,
die die Herden nicht verschonen werden.
Es werden auch von euch selber Männer aufstehen,
die da verkehrte Lehre reden,
die Jünger nach sich selbst zu ziehen.
Darum achtet darauf!
Desgleichen steht im Sendebrief des heiligen Apostels Judas.
Apokalypse zeigt es auch an.
Deshalb warnt uns unser Herr Christus,
uns vor falschen Propheten zu hüten.
Nun ist klar am Tage, dass kein Ding, Gott sei es geklagt,
also schlimm und gering geachtet wird als der Geist Christi.
Und mag doch niemand selig werden,
derselbige Heilige Geist versichere ihn denn zuvor
seiner Seligkeit, als geschrieben ist.
Wie wollen wir armen Würmer aber hierzu kommen,
weil wir die Würdigkeit der Gottlosen
in solcher Achtbarkeit halten, dass leider
Christus, der zarte Sohn Gottes,
vor den großen Titeln und Namen dieser Welt
scheint wie ein Hanfbube oder gemaltes Männchen.
Und er ist doch der wahre Stein,
der vom großen Berge ins Meer wird geworfen
von der prächtigen Üppigkeit dieser Welt.
Er ist der Stein, der ohne Menschenhände
vom großen Berge gerissen, der da heißt Jesus Christus,
der geboren ward, gleich da die Hauptschalkheit
im Schwange ging, zu den Zeiten des Oktavian,
da die ganze Welt im Schwange ging und geschätzt wurde.
Da hat ein Allmächtiger im Geist,
ein elender Drecksack, wollen die ganze Welt haben,
die ihm doch nirgend zunutze war denn zu Pracht und Hoffart.
Ja, er ließ sich dünken, er wäre allein groß.
O wie gar klein ist da der Eckstein Jesus Christus gewesen
in der Menschen Augen.
Er ward verwiesen in den Viehstall
wie ein Auswurf der Menschen.
Danach verworfen ihn die Schriftgelehrten,
wie sie noch heutigen Tages pflegen.
Ja, sie haben endlich gar wohl die Passion mit ihm gespielt,
seit dass der lieben Apostel Schüler gestorben sind.
Sie haben den Geist Christi für einen Spottvogel gehalten
und tun es noch, wie geschrieben steht.
Sie haben ihn gestohlen wie die Diebe und Mörder.
Sie haben die Schafe Christi der rechten Stimme beraubt
und haben den wahren gekreuzigten Christus
zum lauteren phantastischen Götzen gemacht.
Wie ist das zugegangen? Antwort:
Sie haben die reine Kunst Gottes verworfen
und an seiner Statt einen hübschen, feinen,
güldenen Herrgott gesetzt,
da die armen Bauern vor schmatzen,
wie Hosea klar gesagt hat.
Und Jeremias im Buch der Betrübnis sagt:
Die da vorhin gute gewürzte Speise aßen,
die haben nun Dreck und Kot bekommen.
O leider des erbärmlichen Gräuels,
davon Christus selbst redet!
Dass er so jämmerlich verspottet wird
mit dem Messelesen, mit abgöttischem Predigen,
Gebärden und Leben und doch nicht anders da ist
als ein eitel hölzerner Herrgott.
Ja, ein abgöttischer hölzerner Pfaffe
und ein grobes tölpelhaftes Volk,
welches doch das allergeringste Urteil
von Gott nicht beschließen kann,
ist das nicht ein Jammer, Sünde und Schande?
Ich halte ja die Tiere des Bauchs.
Und die Schwein, davon geschrieben steht,
haben den edlen Stein Jesus Christus
ganz und gar mit Füßen zertreten,
so viel sie vermocht haben.
Da ist er geworden zum Fußschemel der ganzen Welt.
Darum haben uns alle ungläubigen Türken,
Heiden und Juden aufs billigste verspottet
und für Narren gehalten, wie man tolle Menschen halten soll,
die ihres Glaubens Geist nicht wollen hören nennen.
Darum ist das Leiden Christi nicht anders
denn ein Jahrmarkt bei den verzweifelten Buben,
wie nie kein Spitzbube gehabt hat.
Darum, ihr teuren Brüder und Schwestern,
sollen wir aus diesem Unflat auferstehen
und Gottes rechte Schüler werden, von Gott gelehrt,
so will uns vonnöten sein große, mächtige Stärke,
die uns von oben hernieder verliehen werde,
solche unaussprechliche Bosheit zu strafen und zu schwächen.
Das ist die reinste Weisheit Gottes,
welche allein von der reinen, ungeschminkten
Ehrfurcht Gottes entsprießt.
Dieselbe muss uns allein mit gewaltiger Hand wappnen
zur Rache wider die Feinde Gottes
mit dem höchsten Eifer zu Gott,
wie geschrieben steht.
Da ist gar kein Entschuldigen mit menschlichen
oder vernünftigen Vorhaben,
denn der Gottlosen Gestalt ist über alle Maßen schön,
wie die schöne Kornblume unter den Ähren des Weizens,
aber solches muss die Weisheit Gottes erkennen.
Zum andern müssen wir den Gräuel weiter und wohl ansehen
der diesen Stein verachtet.
Sollen wir aber das recht an ihm erkennen,
so müssen wir der Offenbarung Gottes täglich gewärtig sein.
Oh, das ist ganz teuer und seltsam geworden
in der schalkhaften Welt, denn die listigen Anschläge
der Superklugen werden uns alle Augenblicke überfallen
und noch viel höher in der reinen Kunst Gottes verhindern.
Solchem muss man zuvorkommen in der Furcht Gottes.
Wenn dieselbe allein in uns ganz und rein versorgt würde,
dann so möchte die heilige Christenheit leicht
wieder zum Geist der Weisheit
und Offenbarung göttlichen Willens kommen.
Dies alles ist verfasst in der Schrift.
Die Furcht Gottes aber muss rein sein,
ohne alle Menschenfurcht.
Oh, die Furcht Gottes ist uns hoch vonnöten!
Denn so wenig man selig zwei Herren dienen kann,
so wenig kann man auch Gott und Kreaturen fürchten.
Gott mag sich auch über uns nicht erbarmen
(wie die heiligste Mutter Christi, unseres Herrn, sagt),
es sei denn, dass wir ihn aus ganzem Herzen allein fürchten.
Darum sagt Gott: Bin ich euer Vater, wo ist dann meine Ehre?
Bin ich euer Herr, wo ist dann meine Furcht?
Also, ihr teuren Fürsten, ist es notwendig,
dass wir in diesen ganz gefährlichen Tagen
den allerhöchsten Fleiß verwenden, wie alle lieben Väter,
in der Bibel verzeichnet, vom Anfang der Welt
solchem hinterlistigen Übel zu begegnen.
Denn die Zeit ist jetzt gefährlich,
und die Tage sind böse. Warum?
Allein darum, dass die edle Kraft Gottes
so gar jämmerlich geschändet und verunehrt wird,
dass die groben Menschen also
durch die heillosen Schriftgelehrten verführt werden
mit großem Geplauder
wie der Prophet Micha sagt,
welches jetzt fast aller Schriftgelehrten Art ist
und gar wenige ausgenommen sind,
dass die lehren und sagen, dass Gott seinen lieben Freunden
seine göttlichen Geheimnisse nicht mehr offenbart
durch rechte Visionen oder sein mündliches Wort.
Bleiben also bei ihrer unerfahrenen Weise
und machen von den Menschen,
die mit der Offenbarung Gottes umgehen,
ein Sprichwort, wie die Gottlosen täten
dem Jeremia: Höre, hat Gott auch neulich zu dir gesprochen?
Oder hast du den Mund Gottes neulich gefragt
und mit ihm beratschlagt?
Hast du den Geist Christi?
Solches tun sie mit großem Hohn und Spott.
War es nicht ein Großes, das zur Zeit Jeremias geschah?
Jeremia warnte das arme, blinde Volk
vor der Pein des Gefängnisses zu Babylon
gleichwie der fromme Lot seiner Töchter Männer.
Aber es dünkt sie gar närrisch zu sein.
Sie sagten zu den lieben Propheten:
Ja, ja, Gott sollte die Menschen wohl so väterlich warnen?
Was ist aber nun dem spöttischen Haufen
in dem Babylonischen Gefängnis widerfahren?
Nicht anders, als dass sie durch diesen heidnischen König
Nebukadnezar zuschanden wurden. Sieh hier den Text an!
Er hat die Rede Gottes angenommen
und war doch ein mächtiger Wüterich
und eine Rute des Volks der Auserwählten,
die sich gegen Gott versündigt hatten.
Aber von Blindheit und Verstocktheit
des Gottesvolkes müsste die allerhöchste Güte
also der Welt erklärt werden, wie Sankt Paulus sagt.
Also hier zum Unterricht sag ich also,
dass Gott der Allmächtige nicht allein die Dinge,
die in vielen Jahren zukünftig waren,
dem heidnischen König zeigte
zur unaussprechlichen Schmach der Halsstarrigen
unter dem Volk Gottes,
welche keinem Propheten wollten glauben.
Gleichermaßen sind auch die Menschen
zu unseren Zeiten. Sie sind der Strafe Gottes nicht gewärtig,
wenn sie dieselben Dinge gleich vor Augen sehen.
Was soll dann Gott der Allmächtige
mit uns zu schaffen haben?
Drum muss er uns seine Güte entziehen.
Nun folgt der Text: Der König Nebukadnezar
hatte einen Traum, welcher ihm verschwand.
Was sollen wir hierzu sagen? Es ist eine unaussprechliche,
ja ungewöhnliche und hassenswerte Sache,
von Träumen der Menschen zu reden,
der Ursache, dass die ganze Welt vom Anfang bis jetzt
durch die Träumer betrogen ist, wie geschrieben steht.
Deshalb wird in diesem Kapitel angezeigt,
dass der König den klugen Wahrsagern
und Träumern nicht glauben wollte, da er sprach:
Sagt mir meinen Traum, danach die Auslegung,
sonst werdet ihr mir eitel Betrug und Lügen sagen.
Was war das? Sie vermochten und konnten ihm
den Traum nicht sagen und sprachen: O lieber König,
es kann dir den Traum kein Mensch auf Erden sagen
als allein die himmlischen Götter, die keine Gemeinschaft
mit den Menschen auf Erden haben.
Ja, noch ihrem Verstand redeten sie recht
in vernünftiger Weise. Sie hatten aber keinen Glauben
an Gott, sondern es waren gottlose Heuchler und Schmeichler,
die da redeten, was die Herren gern hören,
gleichwie jetzt zu unserer Zeit die Schriftgelehrten tun,
die da gern üppige Bissen essen am Hof.
Aber das ist gegen sie, das da geschrieben steht.
Es sagt der Text hier, es müssten Menschen sein,
die Gemeinschaft im Himmel hätten.
Oh, das ist den Superklugen ein bitteres Kraut!
Und es will doch der heilige Paulus also haben
mit den Philippern.
Danach wollten solche Gelehrten gleichwohl
die Geheimnisse Gottes auslegen.
Oh, der Buben hat jetzt die Welt über die Maßen viele,
die sich solches öffentlich vermessen!
Und von denen sagt Jesaja:
Sie wollen meine Wege wissen gleichwie das Volk,
das da meine Gerechtigkeit ausgeführt hätte.
Solche Schriftgelehrten sind die Wahrsager,
die da öffentlich die Offenbarung Gottes leugnen.
Und fallen doch dem Heiligen Geist in sein Handwerk,
wollen alle Welt unterrichten,
und was ihrem unerfahrenen Verstand nicht gemäß ist,
das muss ihnen alsbald vom Teufel sein.
Und sind doch ihrer eigen Seligkeit nicht versichert,
welches sie doch sein sollten.
Sie können hübsch vom Glauben schwatzen
und einen trunkenen Glauben einbrauen
den armen, verwirrten Gewissen.
Dies macht alles das Urteil und Gräuel,
welchen sie haben von der hassenswerten Betrügerei,
der ganz verfluchten, vergifteten Träume der Mönche,
durch welche der Teufel alle seine Willen ins Werk gebracht,
ja auch viel fromme Auserwählte betrogen hat,
wenn sie ohne allen Bescheid den Visionen und Träumen
mit ihrem tollen Glauben stattgegeben haben.
Und also ihre Regel und lose Bocksfurzerei
durch Offenbarung des Teufels beschrieben,
gegen welche die Kolosser heftig gewarnt sind
vom heiligen Paulus. Aber die verfluchten Träumer
haben nicht gewusst, wie sie sollten
der Kraft Gottes gewärtig sein.
Darüber sind sie in einem verkehrten Sinne verstockt
und sind jetzt der ganzen Welt von Tag zu Tage
dargestellt in Sünden und Schanden
wie die untätigen Lotterbuben.
Dennoch sind sie blind in ihrer Torheit.
Nichts anderes hat sie verführt
und noch auf diesen heutigen Tag je weiter verführt
als der Aberglaube, da sie ohne alle erfahrene Ankunft
des Heiligen Geistes, des Meisters der Furcht Gottes,
mit Verachtung göttlicher Weisheit
das Gute nicht vom Bösen
(unter dem guten Schein verdeckt) absondern.
Über welche schreit Gott durch Jesaja:
Weh euch, die ihr das Gute böse heißt und das Böse gut!
Darum ist es nicht frommer Menschen Art,
das Gute mit dem Bösen zu verwerfen.
Denn der heilige Paulus sagt zu den Thessalonichern:
Ihr sollt die Weissagung nicht verachten!
Prüft alles! Was unter dem aber gut ist, das behaltet!
Zum dritten sollt ihr die Meinung wissen,
dass Gott seinen Auserwählten ganz und holdselig ist,
dass, wenn er sie im allergeringsten könnte warnen,
er täte es aufs höchste, wenn sie dasselbe
vor großem Unglauben empfangen könnten.
Denn hier stimmt dieser Text Daniels
mit dem heiligen Paulus an die Korinther überein
und ist genommen aus dem heiligen Jesaja, sagend:
Das kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat
und in keines Menschen Herz gekommen ist,
das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.
Aber uns hat es Gott offenbart durch seinen Geist,
denn der Geist erforscht alle Dinge,
ja auch die Tiefe der Gottheit.
Darum ist das kürzlich die ernstliche Meinung:
Wir müssen wissen und nicht allein in den Wind glauben,
was uns von Gott gegeben sei
oder vom Teufel oder der Natur.
Denn so unser natürlicher Verstand daselbst
soll zur Dienstbarkeit des Glaubens gefangen werden,
so muss er kommen auf den letzten Grad aller seiner Urteile,
wie zu den Römern angezeigt.
Der Urteile mag er aber keines beschließen
mit gutem Grund seines Gewissens
ohne Gottes Offenbarung. Da wird der Mensch klar finden,
dass er mit dem Kopf durch den Himmel nicht laufen kann,
sondern er muss zuerst ganz und gar
zum innerlichen Narren werden.
Oh, das ist denn der klugen, fleischlichen, wollüstigen Welt
gar ein seltsamer Wind.
Da folgen alsbald die Schmerzen wie einer Gebärenden.
Da findet Daniel und ein jeglicher frommer Mensch mit ihm,
dass ihm alle Dinge gleich so unmöglich sind
wie andern gemeinen Menschen von Gott zu erforschen.
Das meinte der weise Mann, da er sagt:
Wer da will ausforschen Gottes Herrlichkeit,
der wird von seinem Lobpreis erdrückt.
Denn je mehr die Natur nach Gott greift,
je weiter sich die Wirkung des Heiligen Geists
von ihr entfremdet, wie klar anzeigt der Psalmist.
Ja, wenn sich der Mensch verstünde
auf den Vorwitz des natürlichen Lichts,
er würde ohne Zweifel nicht viel Behelf suchen
mit gestohlener Schrift, wie die Gelehrten
mit einem Stück oder zwei tun,
sondern er würde bald empfinden
die Wirkung göttlichen Wortes aus seinem Herzen quellen.
Ja, er dürfte die faulen Wasser im Brunnen nicht ertragen,
wie jetzt unsere Gelehrten tun, die verwickeln die Natur
mit der Gnade ohne allen Unterschied.
Sie verhindern dem Wort seinen Gang,
welches vom Abgrund der Seelen herkommt,
wie Mose sagt: Das Wort ist nicht weit von dir.
Siehe, es ist in deinem Herzen.
Nun fragst du vielleicht, wie kommt es denn ins Herz?
Antwort: Es kommt von Gott oben hernieder
in einer hohen Verwunderung,
welches ich jetzt lasse bestehen bis auf ein andermal.
Und diese Verwunderung, ob es Gottes Wort sei oder nicht,
hebt sich an, wenn einer ein Kind ist von 6 oder 7 Jahren.
Darum trägt Sankt Paulus hervor den Mose und Jesaja
zu den Römern und redet da vom innerlichen Worte,
zu hören in dem Abgrund der Seelen
durch die Offenbarung Gottes.
Und welcher Mensch dieses nicht gewahr
und empfindlich geworden ist
durch das lebendige Zeugnis Gottes,
der weiß von Gott nichts gründliches zu sagen,
wenn er auch hunderttausend Bibeln gefressen hätte.
Daraus mag ein jeglicher wohl ermessen,
wie fern die Welt noch vom Christenglauben sei.
Noch will niemand sehen oder hören.
Soll nun der Mensch des Wortes gewahr werden
und dass er seiner empfindlich sei,
so muss ihm Gott nehmen seine fleischlichen Lüste.
Und wenn die Bewegung von Gott kommt ins Herz,
dass er töten will alle Wollust des Fleisches,
dass er ihm da stattgebe, dass er seine Wirkung bekommen mag.
Denn ein tierischer Mensch vernimmt nicht,
was Gott in die Seele redet,
sondern er muss durch den Heiligen Geist gewiesen werden
auf die ernstliche Betrachtung
des lauteren, reinen Verstandes des Gesetzes,
sonst ist er blind im Herzen
und dichtet sich einen hölzernen Christus
und verführt sich selber. Darum siehe zu,
wie sauer es dem lieben Daniel geworden ist,
dem Könige die Vision auszulegen,
und wie fleißig er Gott darum gesucht und gebeten hat.
Also auch zur Offenbarung Gottes
muss sich der Mensch von aller Kurzweil absondern
und einen ernsten Mut zur Wahrheit tragen
und muss durch die Übung solcher Wahrheit
die untrüglichen Visionen vor den falschen erkennen.
Deshalb spricht der liebe Daniel:
Es soll ein Mensch Verstand haben in den Visionen,
auf dass sie nicht alle zu verwerfen sind.
Zum vierten sollt ihr wissen, dass ein auserwählter Mensch,
der da wissen will, welche Vision oder Traum von Gott,
Natur oder Teufel sei, der muss mit seinem Gemüt und Herzen,
auch mit seinem natürlichen Verstand abgeschieden sein
von allem zeitlichen Trost seines Fleisches
und es muss ihm gehen wie dem lieben Joseph in Ägypten.
Denn es es wird kein wollüstiger Mensch annehmen,
denn die Disteln und Dornen, das sind die Wollüste
dieser Welt, wie der Herr sagt,
verdrängen alle Wirkung des Worts,
das Gott in die Seelen redet.
Darum wenn Gott schon sein heiliges Wort
in die Seelen spricht, so kann es der Mensch nicht hören,
so er ungeübt ist, denn er tut keine Einkehr
und hat keine Einsicht in sich selber
und in den Abgrund seiner Seele.
Der Mensch will sein Leben nicht kreuzigen
mit seinen Lastern und Begierden,
wie Paulus lehrt, der heilige Apostel,
darum bleibt der Acker des Wortes Gottes
voll Disteln und Dornen und voll großer Stauden,
welche alle weg müssen zu diesem Werk Gottes,
auf dass der Mensch nicht nachlässig
oder faul befunden werde.
Dennoch so sieht man die Milde des Ackers
und zum letzten das gute Gewächs.
Dann wird der Mensch erst gewahr, dass er Gottes
und des Heiligen Geists Wohnung sei
in der Länge seiner Tage, ja, dass er wahrhaftig geschaffen sei,
allein der Ursache, dass er Gottes Zeugnis
in seinem Leben erforschen soll.
Dessen wird er jetzt gewahr in den Teilen
durch bildreiche Weise, jetzt auch im ganzen
im Abgrund des Herzen.
Zum andern muss er gar wohl zusehen,
dass solche Figuren, Gleichnisse in den Visionen oder Träumen
mit allen ihren Umständen in der heiligen Bibel bezeugt sind,
auf dass der Teufel nicht daneben einreiße
und verderbe die Salbung des Heiligen Geistes
mit ihrer Süßigkeit, wie der weise Mann
von den Fliegen sagt, die da sterben.
Zum dritten muss der auserwählte Mensch
Acht haben auf das Werk der Visionen,
dass es nicht heraus quelle durch menschliche Pläne,
sondern einfältig fließe nach Gottes Willen,
und muss sich gar eben vorsehen,
dass nicht ein Stück daran gebreche, was er gesehen habe,
denn es muss tapfer ins Werk kommen.
Aber wenn der Teufel etwas wirken will,
so verraten ihn doch seine faulen Fratzen,
und seine Lügen gucken doch zuletzt hervor,
denn er ist ein Vater der Lüge.
Das ist hier in diesem Kapitel gar klar angezeigt
vom Könige Nebukadnezar und danach im Werk bewiesen.
Denn er hat die Ermahnung Gottes gar geschwind vergessen.
Das haben ohne Zweifel seine fleischlichen Begierden,
die er auf die Lüste und Kreaturen erstreckt hat, verursacht.
Denn also muss es gehen, wenn ein Mensch
will seiner Wollust stets pflegen,
mit Gottes Werk zu schaffen haben
und in keiner Betrübnis sein,
so kann ihn auch die Kraft des Wortes Gottes nicht umhüllen!
Gott der Allmächtige weist die rechten Visionen und Träume
seinen geliebten Freunden am allermeisten
in ihrer höchsten Betrübnis,
wie er tat dem frommen Abraham.
Da ist ihm Gott erschienen,
da er sich in großer Furcht entsetzte.
So auch der liebe Jakob, da er mit großer Betrübnis
flüchtig ward vor seinem Bruder Esau,
da kam ihm eine Vision,
dass er die Leiter am Himmel sah aufgerichtet
und die Engel Gottes auf und ab steigen.
Danach, da er wieder heimzog,
hat er sich über die Maßen vor seinem Bruder Esau gefürchtet.
Da erschien ihm der Herr in der Vision,
da er ihm die Hüfte zerschlug und mit ihm rang.
Auch der fromme Joseph ward gehasst von seinen Brüdern,
und in solcher Betrübnis hatte er zwei Visionen.
Und danach in seiner herzlichen Betrübnis
in Ägypten im Gefängnis
ward er also hoch von Gott erleuchtet,
dass er alle Visionen und Träume konnte auslegen.
Über alles dies wird den unversuchten, wollüstigen Schweinen,
den Superklugen vorgehalten
der andere heilige Joseph, der Mann Mariens.
Er hatte vier Träume, da er verängstigt war
in seiner Betrübnis, und war durch die Träume versichert,
wie auch die Weisen im Schlafe unterrichtet vom Engel,
zu Herodes nicht wiederzukommen.
So auch die lieben Apostel haben müssen
mit dem höchsten Fleiß der Visionen gewärtig sein,
wie es in ihrer Geschichte klar beschrieben ist.
Ja, es ist ein rechter apostolischer, patriarchischer
und prophetischer Geist, auf die Visionen zu warten
und sie mit schmerzlicher Betrübnis zu bekommen.
Darum ist es kein Wunder, dass sie Bruder Mastschwein
und Bruder Sanftleben verwirrt haben.
Wenn aber der Mensch das klare Wort Gottes
in der Seele nicht vernommen hat,
so muss er Visionen haben.
Wie Sankt Peter in der Geschichte der Apostel
verstand das Gesetz nicht.
Er zweifelte an der Speise und an den Heiden,
sie zu seiner Gesellschaft zu nehmen.
Da gab ihm Gott eine Vision
im Überschwang seines Gemütes.
Da sah er ein Leinentuch mit vier Zipfeln vom Himmel
auf die Erden gelassen voll vierfüßiger Tiere
und hörte eine Stimme sagen: Schlachte und iss!
Desgleichen hatte der fromme Cornelius,
da er nicht wusste, wie er tun sollte.
Auch als Paulus gen Troas kam,
erschien ihm eine Vision in der Nacht.
Das war ein Mann von Mazedonien,
der stand und bat ihn und sprach:
Komm her nach Mazedonien und hilf uns!
Da er aber solche Vision gesehen hatte,
trachteten wir, also bald zu reisen nach Mazedonien,
denn wir waren gewiss, dass uns der Herr dahin berufen hatte.
So auch, als sich Paulus fürchtete,
zu predigen in Korinth,
da sagte der Herr in der Nacht durch eine Vision zu ihm:
Du sollst dich nicht fürchten.
Es soll sich niemand unterstehen, dir zu schaden,
denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.
Und was ist es nötig, viele Zeugnisse
der heiligen Schrift anzuwenden?
Es wäre nimmermehr möglich in solchen weitläufigen,
gefährlichen Sachen, als da rechte Prediger
Herzogen und Regenten haben,
dass sie sich allenthalben sollten bewahren,
sicherlich und ohne Tadel zu handeln,
wenn sie in der Offenbarung Gottes nicht lebten,
wie Aaron hörte von Moses
und David von Nathan und Gad.
Deshalb waren die lieben Apostel
der Visionen ganz und gar gewohnt,
wie der Text bewährt in der Geschichte der Apostel.
Da der Engel zu Petrus kam
und führte ihn aus dem Gefängnis des Herodes,
und es dünkte ihn, er hätte eine Vision,
er wusste nicht, dass der Engel
das Werk seiner Erlösung in ihm vollführte.
Wäre aber Petrus der Visionen nicht gewohnt gewesen,
wie sollte ihn denn solches gedünkt haben,
eine Vision zu sein? Daraus schließ ich nun,
dass, wer da will aus fleischlichem Urteil
also unbescheiden den Visionen feind sein
und sie alle verwerfen
oder alle aufnehmen ohne allen Bescheid,
darum, dass die falschen Träumer der Welt
solchen Schaden getan haben
durch die Ehrgeizigen oder Genießer,
der wird nicht wohl anlaufen,
sondern wird sich stoßen an den Heiligen Geist,
da Gott klar sagt von der Veränderung der Welt:
Er will sie in den letzten Tagen anrichten,
dass sein Name soll recht gepriesen werden.
Er will sie von ihrer Schande entledigen
und will seinen Geist über alles Fleisch ausgießen,
und unsere Söhne und Töchter sollen weissagen
und sollen Träume und Visionen haben.
Denn so die Christenheit nicht sollte apostolisch werden,
warum sollte man dann predigen?
Wozu dient dann die Bibel von Visionen?
Es ist wahr, und ich weiß fürwahr,
dass der Geist Gottes jetzt vielen auserwählten,
frommen Menschen offenbart:
eine treffliche, unüberwindliche, zukünftige
Reformation von großen Nöten wird sein.
Und es muss ausgeführt werden,
es wehre sich gleich ein jeglicher wie er will,
so bleibt die Weissagung Daniels,
ob ihr wohl niemand glauben will,
wie auch Paulus zu den Römern sagt.
Es ist dieser Text Daniels also klar wie die helle Sonne,
und das Werk geht jetzt im rechten Schwange
vom Ende des fünften Reichs der Welt.
Das erst ist erklärt durch den goldenen Knauf.
Das war das Reich zu Babel.
Das andere durch die silberne Brust und Arme.
Das war das Reich der Meder und Perser.
Das dritte war das Reich der Griechen,
welches erschallt mit seiner Klugheit
(durch das Erz angezeigt),
das vierte, das Römische Reich,
welches mit dem Schwert gewonnen ist
und ein Reich des Zwanges gewesen.
Aber das fünfte ist dies, das wir vor Augen haben,
das auch von Eisen ist und wollte gern zwingen.
Aber es ist mit Kot geflickt,
wie wir mit vorhersehenden Augen sehen,
eitel Anschläge der Heuchelei,
die da sich krümmt und wimmelt
auf dem ganzen Erdreich.
Denn wer nicht betrügen kann,
der muss ein toller Kopf sein.
Man sieht jetzt hübsch, wie sich die Öle
und Schlangen zusammen unkeusch
auf einem Haufen vereinigen.
Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen,
wie sie Johannes, der Täufer Christi, nennt,
und die weltlichen Herren und Regenten sind Öle,
wie figuriert ist bei Mose von den Fischen.
Da haben sich die Reiche des Teufels mit Ton beschmiert.
Ach, ihr lieben Herren, wie hübsch
wird der Herr da die alten Töpfe zerschmeißen
mit einer eisernen Stange!
Darum, ihr teuersten liebsten Regenten,
lernt euer Urteilt recht aus dem Munde Gottes
und lasst euch durch eure heuchlerischen Pfaffen nicht verführen
und mit erdichteter Geduld und Güte aufhalten.
Denn der Stein, ohne Hände vom Berge gerissen,
ist groß worden.
Die armen Laien und Bauern sehen ihn viel schärfer als ihr.
Ja, Gott sei gelobt, er ist so groß geworden,
wenn euch andere Herren oder Nachbarn
schon um des Evangeliums willen wollten verfolgen,
so würden sie von ihrem eigenen Volk vertrieben werden,
das weiß ich fürwahr. Ja, der Stein ist groß!
Da hat sich die blöde Welt lange vor gefürchtet.
Er hat sie überfallen, da er noch klein war.
Was sollen wir denn nun tun, weil er so groß
und mächtig ist geworden
und weil er so mächtig unverzüglich
auf die große Säule geschlagen
und sie bis auf die alten Töpfe zerschmettert hat?
Darum, ihr teuren Regenten von Sachsen,
tretet keck auf den Eckstein,
wie der heilige Petrus tat,
und sucht die rechte Beständigkeit göttlichen Willens!
Er wird euch wohl erhalten auf dem Stein.
Eure Gänge werden richtig sein.
Sucht nur stracks Gottes Gerechtigkeit
und greift die Sache des Evangeliums tapfer an.
Denn Gott steht so nah bei euch,
dass ihr es nicht glaubt.
Warum wollt ihr euch denn vor dem Gespenst
des Menschen entsetzen? Seht hier den Text wohl an.
Der König Nebukadnezar wollte die Klugen darum töten,
dass sie ihm den Traum nicht konnten auslegen.
Es war verdienter Lohn.
Denn sie wollten sein ganzes Reich
mit ihrer Klugheit regieren und konnten solches nicht,
dazu sie doch eingesetzt waren.
Solchermaßen sind auch jetzt unsere Geistlichen.
Und ich sag euch fürwahr, wenn ihr der Christenheit
Schaden so wohl erkennen möchtet und recht bedenken,
so würdet ihr ebensolchen Eifer gewinnen wie Jehu
und wie das ganze Buch der Offenbarung anzeigt.
Und ich weiß fürwahr, dass ihr euch so mit großer Not
würdet enthalten, dem Schwert seine Gewalt zu nehmen.
Denn der erbärmlich Schaden der heiligen Christenheit
ist so groß geworden, dass ihn noch zur Zeit
keine Zunge kann ganz aussagen.
Darum muss ein neuer Daniel aufstehen
und euch eure Offenbarung auslegen,
und derselbe muss vorn, wie Mose lehrt,
an der Spitze gehen.
Er muss den Zorn der Fürsten
und des ergrimmten Volkes versöhnen.
Denn so ihr werdet recht erfahren
den Schaden der Christenheit
und Betrügerei der falschen Geistlichen
und der verzweifelten Bösewichter,
so werdet ihr also auf sie ergrimmen,
dass es niemand bedenken mag.
Es wird euch ohne Zweifel verdrießen
und sehr zu Herzen gehen,
dass ihr so gütig gewesen seid,
nachdem sie euch mit den süßesten Worten
zu den schändlichsten Urteilen geleitet haben
wider alle aufgerichtete Wahrheit.
Denn sie haben euch genarrt,
dass ein jeder zu den Heiligen schwöre,
die Fürsten sind heidnische Leute ihres Amts halben,
sie sollen nichts anderes denn bürgerliche Einigkeit erhalten.
Ach, meine Lieben, ja da fällt und streicht
der große Stein bald drauf
und schmeißt solche vernünftige Anschläge zu Boden,
da er sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden,
sondern das Schwert!
Was soll man aber mit demselben machen?
Nicht anders denn die Bösen,
die das Evangelium verhindern,
wegtun und absondern, wollt ihr anders nicht Teufel
sondern Diener Gottes sein,
wie euch Paulus nennt zu den Römern.
Ihr dürft nicht zweifeln, Gott wird alle eure Widersacher
zu Trümmern schlagen, die euch zu verfolgen unterstehen.
Denn seine Hand ist noch nicht verkürzt, wie Jesaja sagt.
Darum mag er euch noch helfen und will es tun,
wie er dem auserwählten Könige Josia
und andern, die den Namen Gottes verteidigt haben,
beigestanden hat. Also seid ihr Engel,
wo ihr recht tun wollt, wie Petrus sagt.
Christus hat befohlen mit großem Ernst und spricht:
Nehmt meine Feinde und würgt mir sie
vor meinen Augen! Warum?
Ei, darum, dass sie Christus sein Regiment verderbt
und wollen noch dazu ihre Schalkheit
unter der Gestalt des Christenglaubens verteidigen
und ärgern mit ihrer hinterlistigen Schande die ganze Welt.
Darum sagt Christus, unser Herr:
Wer da einen von diesen Kleinen ärgert,
ist ihm besser, dass man ihm einen Mühlstein
an den Hals hänge und werfe ihn in das tiefe Meer.
Es glossiere, wer da will, hin und her.
Es sind die Worte Christi. Darf nun Christus sagen,
wer da einen von den Kleinen ärgert, was soll man dann sagen,
so man einen großen Haufen ärgert am Glauben?
Das tun die Erzbösewichte, die die ganze Welt ärgern
und abtrünnig machen vom rechten Christenglauben
und sagen: Es soll die Geheimnisse Gottes niemand wissen.
Es soll sich ein jeglicher halten nach ihren Worten
und nicht nach ihren Werken.
Sie sprechen, es sei nicht vonnöten, dass der Glaube
bewährt sei wie das Gold im Feuer.
Aber mit der Weise wäre der Christenglaube
ärger denn ein Hundeglaube,
wenn er hofft ein Stück Brot zu empfangen,
so der Tisch gedeckt wird.
Solchen Glauben bilden die falschen Gelehrten
der armen, blinden Welt vor.
Das ist ihnen nicht seltsam, denn sie predigen allein
um des Bauches willen.
Sie können von Herzen nicht anders sagen.
Sollt ihr nun rechte Regenten sein,
so müsst ihr das Regiment bei der Wurzel anheben
und handeln, wie Christus befohlen hat.
Treibt seine Feinde von den Auserwählten fort!
Denn ihr seid die Mittler dazu.
Mein Lieber, gebt uns keine schalen Fratzen vor,
dass die Kraft Gottes es tun soll
ohne euer Zutun des Schwertes,
es möchte euch sonst in der Scheide verrosten!
Gott gebe es! Sage euch welcher Gelehrter, was er will,
so sagt Christus genug: Ein jeglicher Baum,
der nicht gute Frucht tut, soll ausgerissen werden
und ins Feuer geworfen!
So ihr nun die Larve der Welt wegtut,
so werdet ihr sie bald erkennen mit rechtem Urteil.
Tut ein rechtes Urteil auf Gottes Befehl!
Ihr habt Hilfe genug dazu,
denn Christus ist euer Meister.
Darum lasst die Übeltäter nicht länger leben,
die uns von Gott abwenden.
Denn ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben,
wo er die Frommen verhindert.
Du sollst die Übeltäter nicht leben lassen!
Das meint auch Sankt Paulus,
da er vom Schwert der Regenten redet,
dass es zur Rache an den Bösen verliehen sei
und zum Schutz der Frommen.
Gott ist euer Schirm und wird euch lehren
zu streiten gegen seine Feinde.
Er wird eure Hände geschickt machen zum Streit
und wird euch auch erhalten.
Aber ihr werdet darüber ein großes Kreuz
und Anfechtung müssen leiden,
auf dass euch die Furcht Gottes erklärt werde.
Das mag ohne Leiden nicht geschehen,
aber es koste euch nichts mehr
denn die Gefahr um Gottes Willen gewagt
und das unnütze Geplauder der Widersacher gemieden.
Denn so der fromme David schon
von seinem Schloss wurde vertrieben von Absalom,
er kam doch endlich wieder darauf,
als Absalom gehängt und erstochen wurde.
Darum, ihr teuren Väter von Sachsen,
ihr müsst es wagen um des Evangeliums willen,
aber Gott wird euch freundlich züchtigen
wie seine allerliebsten Söhne.
Wenn er in seinem kurzen Zorn inbrünstig ist,
selig sind dann alle, die sich auf Gott verlassen.
Sagt allein frei mit dem Geist Christi:
Ich will mich vor Hunderttausend nicht fürchten,
ob sie mich schon umlagern.
Ich halte aber, hier werden wir unseren Gelehrten
die Güte Christi vorhalten,
welche sie auf ihre Heuchelei zerren.
Aber sie sollen dagegen ansehen auch
den Eifer Christi, da er die Wurzeln der Abgötterei zerstört,
wie Paulus sagt zu den Kolossern,
dass um derselbigen willen der Zorn Gottes
nicht mag weggetan werden von der Gemeinde.
Hat er nun noch unserm Ansehen
das Kleine niedergerissen, er würde ohne Zweifel
auch der Götzen und Bilder nicht geschont haben,
wo sie da wären gewesen.
Wie er dann selber durch Mose befohlen hat,
da er sagt: Ihr seid ein heiliges Volk.
Ihr sollt euch nicht erbarmen über die Abgöttischen.
Zerbrecht ihre Altäre, zerschmeißt ihre Bilder
und verbrennt sie, auf dass ich mit euch nicht zürne.
Diese Worte hat Christus nicht aufgehoben,
sondern er will sie uns helfen erfüllen.
Es sind die Figuren alle durch die Propheten ausgelegt,
aber dies sind helle, klare Worte,
welche ewig müssen bestehen.
Gott kann heute nicht ja sagen und morgen nein,
sondern er ist unwandelbar in seinem Wort.
Dem Einwand, dass aber die Apostel
der Heiden Abgötter nicht zerstört haben,
antworte ich so: dass Sankt Peter
ein furchtsamer Mann gewesen ist.
So hat er geheuchelt mit den Heiden.
Er war aller Aposteln Figur,
dass auch Christus von ihm sagte,
dass er sich ganz heftig vor dem Tod gefürchtet hat
und demselben darum durch solches keine Ursache gegeben,
ist leicht zu ermessen. Aber Sankt Paulus
hat ganz hart geredet gegen die Abgötterei.
Hätte er seine Lehre gekonnt aufs höchste treiben
bei denen von Athen, er hätte ohne Zweifel
die Abgötterei ganz niedergeworfen,
wie Gott durch Mose befohlen hatte
und wie es auch danach durch die Märtyrer geschah
in bewährten Historien.
Drum ist uns mit der Heiligen Gebrechen oder Nachlassen
keine Ursache gegeben, den Gottlosen
ihre Weise zu lassen. Nachdem sie Gottes Namen
mit uns bekennen, sollen sie unter zwei eins erwählen,
den Christenglauben ganz verleugnen
oder die Abgötter wegtun.
Dass aber unsere Gelehrten kommen und sagen
mit Daniel mit ihrer gottlosen gestohlenen Weise,
dass der Antichrist soll ohne Hand zerstört werden,
ist so viel: Er ist schon verzagt, wie das Volk war,
da die Auserwählten ins Gelobte Land wollten,
wie Josua schreibt. Er hat gleichwohl
in der Schärfe des Schwerts ihrer nicht verschont.
Sieh an den Psalm, da wirst du finden
die Auflösung so: Sie haben das Land
nicht durch das Schwert gewonnen,
sondern durch die Kraft Gottes,
aber das Schwert war das Mittel,
wie uns Essen und Trinken ein Mittel ist zu leben,
so notwendig ist auch das Schwert,
die Gottlosen zu vertilgen.
Dass aber dasselbe nun redlicherweise und füglich geschehe,
so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten, tun,
die Christus mit uns bekennen.
Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen
das Schwert genommen werden,
denn sie bekennen ihn also mit den Worten
und leugnen ihn mit der Tat.
Also sollen sie den Feinden vortragen den Frieden:
Wollen sie geistlich sein
und die Kunst Gottes nicht berechnen,
so soll man sie wegtun.
Aber ich bitte für sie mit dem frommen Daniel,
wo sie Gottes Offenbarung nicht entgegen sind;
wo sie aber das Widersprechen treiben,
dass man sie erwürge ohne alle Gnade,
wie Elias die Pfaffen Baals zerstört hatte.
Anders mag die christliche Kirche
zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen.
Man muss das Unkraut ausreißen
aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte,
dann wird der schöne goldene Weizen
beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehen.
Die Engel aber, welche ihre Sicheln dazu schärfen,
sind die ernsten Knechte Gottes,
die den Eifer göttlicher Weisheit vollführen.
Nebukadnezar vernahm die göttliche Weisheit von Daniel.
Er fiel nieder vor ihm, nachdem ihn die kräftige Wahrheit
überwunden hatte. Aber er ward bewegt wie ein Rohr
vor dem Wind. Desgleichen sind jetzt über die Maßen
viel Menschen, die das Evangelium
mit großen Freuden annehmen,
dieweil es also fein freundlich zugeht.
Aber wenn Gott solche Leute will auf den Test
oder aufs Feuer der Bewährung setzen,
ah, da ärgern sie sich am allergeringsten Wort,
wie Christus im Marco verkündigt hat.
In dermaßen werden sich ohne Zweifel
viel unversuchte Menschen an diesem Lied ärgern,
darum dass ich mit Christus sage und mit Paulus
und mit der Unterrichtung des ganzen göttlichen Gesetzes,
dass man die gottlosen Regenten,
besonders Pfaffen und Mönche töten soll,
die uns das heilige Evangelium Ketzerei schelten
und wollen gleichwohl die besten Christen sein.
Da wird die heuchlerische angedichtete Güte
über die Maßen ergrimmt und erbittert,
da will sie dann die Gottlosen verteidigen und sagt,
Christus habe niemand getötet.
Und will die Freunde Gottes also ganz jämmerlich schlecht
dem Winde befehlen, da ist erfüllt die Weissagung Pauli:
In den letzten Tagen werden die Liebhaber der Lüste
wohl eine Gestalt der Güte haben,
aber sie werden verleugnen ihre Kraft.
Es hat kein Ding auf Erden eine bessere Gestalt und Larve
als die angedichtete Güte.
Darum sind alle Winkel voll eitler Heuchler,
unter welchen keiner so kühn ist,
dass er die rechte Wahrheit möchte sagen.
Darum dass die Wahrheit möchte
recht an den Tag gebracht werden,
da müsst ihr Regenten (Gott gebe,
ihr tut es gerne oder nicht) euch halten
nach dem Beschluss Daniels,
dass Nebukadnezar hat den heiligen Daniel gesetzt
zum Amtmann, auf dass er mochte
gute gerechte Urteile ausführen,
wie der Heilige Geist sagt.
Denn die Gottlosen haben kein Recht zu leben,
allein was ihnen die Auserwählten wollen gönnen,
wie geschrieben steht im Buch Exodus:
Freut euch, ihr rechten Freunde Gottes,
dass den Feinden des Kreuzes das Herz in die Hose gefallen ist!
Sie müssen recht tun, wiewohl sie es sich nie geträumt haben.
So wir nun Gott fürchten,
warum wollen wir uns vor losen, untüchtigen
Menschen entsetzen? Seid nur keck!
Der will das Regiment selber haben,
dem alle Gewalt ist gegeben im Himmel und auf Erden,
der euch, ihr Allerliebsten, bewahre ewig.
Amen. Zum Lobpreis der Herrlichkeit des Herrn!
ZWEITER GESANG
Ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens
der untreuen Welt durchs Zeugnis des Evangeliums
Lukas vorgetragen, der elenden, erbärmlichen Christenheit
zur Erinnerung ihres Irrtums.
Liebe Genossen, lasst uns auch das Loch weiter machen,
auf dass alle Welt sehen und begreifen mag,
wer unsere große Hansen sind, die Gott also lästerlich
zum gemalten Männlein gemacht haben.
Nimm wahr, ich hab meine Worte in deinen Mund gesetzt,
ich hab dich heute über die Leute und über die Reiche gesetzt,
auf dass du entwurzelst, zerbrichst, zerstreust
und verwüstest und baust und pflanzt.
Eine eiserne Mauer gegen die Könige, Fürsten
und Pfaffen und gegen das Volk ist aufgestellt.
Sie mögen streiten! Der Sieg ist wunderlich
zum Untergang der starken, gottlosen Tyrannen.
Der Geist der Stärke und die Furcht Gottes sei mit dir,
du erbärmliche Gemeinde!
Nachdem dich die falschen Bücher zum Teil scheu
und auch frech gemacht haben,
ist es über die Maßen ganz hoch vonnöten,
dem anstehenden Übel zuvorzukommen
mit Erweisung christlicher Meisterschaft,
welche zu dieser Zeit nicht anders eröffnet mag werden
als mit Auslegung der Heiligen Schrift
in der Lehre des Geistes Christi
durch die Vergleichung aller Geheimnisse
und Urteile Gottes. Denn es haben alle Urteile
das höchste Gegenteil bei sich selber.
Wo sie aber nicht zusammen verfasst werden,
kann keines ganz und gar verstanden werden
(wie hell oder klar es ist)
ohne des andern unaussprechlichen Schaden.
Das ist die Grundsuppe aller bösen Zertrennung.
Um solcher trefflichen Ursache willen
hab ich elender Mensch mich gewendet zur Wagenburg,
das Loch des Vorhofes weiterzumachen
mit Erwartung allen Übels,
welches die gottlose Art der Verderber pflegt zu leisten
den Dienern der Christenheit,
nachdem sie ihren Buchstaben-Glauben
also hoch aufputzt und verleugnet (dass man es auch begreift)
die holdselige Kraft Gottes und also Gott
stumm, toll und fantastisch machen will
mit ihrem gedichteten Worten und Glauben.
Deshalb auch die prächtige Gewohnheit
allen Gräuels in allen Gemeinden
über die ganze Welt also halsstarrig geworden ist
und von Tag zu Tag unsinnigen Trotz vorbringt.
Darum muss die gründliche Bewegung
des heiligen christlichen Glaubens
den wilden Wog der empörten Wellen erregen,
wie im Psalm beschrieben.
Dieweil niemand das Ruder des Schiffs
der Mühsal wegen ergreifen will,
kann ich es nicht lassen,
nachdem das Wasser allen Verderbens
in die Seelen der Freunde Gottes gedrungen ist.
Ich muss den vergifteten Schaden,
der also tief ist eingerissen, gräulich entdecken.
Wo es sich fügen will,
will ich es gerne mit allem Anstand tun.
Wo es aber zum Nachteil des Geistes Christi kommen würde,
da werde ich mit meiner Geduld
niemands der Schande Bedecker sein.
Zum Anfang dieser Erklärung und Entdeckung
will ich allezeit einen Gesang nach dem andern lassen ausgehen
und also guten Raum und Zeit allen meinen Widersachern geben.
Den gefährlichen Winkel aber hab ich nicht anders gescheut
als nach der Sache Forderung,
wie auch Christus selber die Nattern-Schriftgelehrten
gemieden hat und wollte dem Hannas
keine andere Rechenschaft seiner Lehre geben
im Winkel, als dass er ihn auf seine Zuhörer,
aufs gemeine Volk, verwies. Er sprach klar:
Was fragst du mich? Frag meine Zuhörer.
Unsere Gelehrten wollten gern das Zeugnis des Geistes Jesu
auf die Hohe Schule bringen.
Es wird ihnen weit fehlen,
nachdem sie nicht darum gelehrt sind,
dass der gemeine Mann ihnen
durch ihre Lehre soll gleich werden,
sondern sie wollen allein den Glauben beurteilen
mit ihrer gestohlenen Schrift,
so sie doch ganz und gar keinen Glauben
bei Gott oder vor den Menschen haben.
Denn es sieht und begreift jeder,
dass sie nach Ehren und Gütern streben.
Deshalb musst du, gemeiner Mann, selber gelehrt werden,
auf dass du nicht länger verführt wirst.
Dazu helfe dir der Geist Christi, welcher unsern Gelehrten
muss zu ihrem Untergang ein Spottvogel sein.
Das ganze Evangelium Lukas gibt der Christenheit
mit teurem Zeugnis zu erkennen,
dass der heilige Christenglaube
ein solch fremdes seltsames Ding geworden ist,
dass es nicht wunder wäre,
dass ein Gutherziger möchte Blut weinen,
der die Blindheit der christlichen Gemeinde
recht beschaut. Welches Christus selber
in diesem Evangelium Lukas geredet hat, sagend:
Meinst du, wenn des Menschen Sohn kommen wird,
dass er wird Glauben finden auf Erden?
Auch beklagt das Jesaja und Paulus zu den Römern.
Darum ist es ein unaussprechlicher Jammer
und ganz verdrießlicher Gräuel,
dass die ungläubigen Menschen (wie man vor Augen sieht)
wollen den Christenglauben den Leuten vorpredigen,
den sie doch selber nicht haben erfunden und erfahren,
wissen auch nicht, wie einem Gläubigen zumute ist.
Sie wähnen oder lassen sich dünken,
der Glaube sei also leicht zu überkommen,
wie sie alle Ruhm-begierig davon schwätzen.
Darum müssen wir, meine allerliebsten Brüder und Schwestern,
diesen Gesang mit ernster Betrachtung zu Herzen nehmen
vom Anfang bis zum Ende. Dann werden wir klar finden,
wie der Unglaube entdeckt wurde
in allen Auserwählten. Zacharias hat den wahren Worten
des Engels Gabriel nicht glauben wollen,
um der Unmöglichkeit der Zusage, ihm vom Engel vorgehalten.
Auch, das am allerhöchsten zu betrachten ist, Maria,
die Gottesgebärerin, welche von Kindeskind
deshalb gepriesen wird, hat wollen gute Ankunft
und Bescheid haben. Sie haben ihren Glauben nicht erlangt,
wie jetzt die unsinnige Welt glaubt, in einer gefärbten Weise.
Sie sind nicht also zugefahren: Ja, ich will schlicht glauben.
Gott wird es wohl machen.
Mit solcher leichtfertiger Ankunft dichtet die trunkene Welt
einen vergifteten Glauben,
der da viel ärger ist denn der Türken,
Heiden und Juden Glaube.
Aber Maria und Zacharias haben sich
in der Furcht Gottes entsetzt, bis dass der Glaube
des Senfkorns den Unglauben überwunden hat,
welches denn mit großem Zittern
und Bekümmernis erfunden wird.
Es kann auch Gott den Glauben niemandem vermehren
und ihn damit ansehen, es sei denn,
dass er solche Ankunft erdulde
mit dem höchsten Zittern und Fürchten,
wie Gott selber durch den heiligen Jesaja sagt:
Wen soll ich ansehen als allein den Niedrigen und den,
der sich vor all meiner Rede entsetzt?
Darum sagt Paulus zu den Philippern: Euer Heil
sollt ihr vollstrecken mit Zittern und Fürchten.
Oho! es ist der Natur ein unleidliches Werk,
die Furcht Gottes zum Anfang des Glaubens zu machen.
Mose hörte Gott selber reden,
dennoch wollte er auf seine Worte nicht hingehen,
als er ihn hieß nach Ägypten ziehen.
Er musste der Kraft Gottes gewahr werden
im Abgrund der Seele, wie er danach bezeugt,
sonst wäre er nicht hingegangen.
Gott verhieß dem Patriarchen Jakob viel Gutes
und über die Maße große Versicherung.
Dennoch hat er sich mit ihm überworfen.
Er musste vorhin Gott überwinden,
sollte er anders den Segen bekommen,
welchen der Glaube mitbringt.
Darüber findet ein jeder Fleißiger in der ganzen Schrift Zeugnis,
wie der Glaube mit dem Unglauben
ganz ungehörten Zank anrichtet.
Besonders im Buch der Richter.
Gideon hatte einen solchen festen, starken Glauben,
dass er mit ihm eine unzählige, große Welt
durch dreihundert Mann überwand.
Ehe er aber solchen Glauben wollte annehmen,
sagte er zum Engel, gleich wie man einen pflegt
in der Lüge zu strafen: Du sprichst, der Herr sei mit dir,
du stärkster Mann. Wie kann das sein,
wenn wir soviel Unglück müssen leiden?
Ein ungeübter Glaube zur ersten Ankunft hat kein anderes Urteil,
als sich an allen Orten fürchten
und schwerlich allem Singen und Sagen stattzugeben.
Wer da leicht glaubt, ist eines leichtfertigen Herzens.
Die Furcht Gottes aber gibt dem Heiligen Geist statt,
auf dass der Auserwählte möge überschattet werden von dem,
vor dem sich die Welt mit großer Torheit fürchtet
zum unverbesserlichen Schaden
ihrer weltlichen Weisheit.
Darum ist in diesem Evangelium der Anfang wie das Ende
zu merken von der Überschattung des Heiligen Geists,
welcher uns den Glauben lehrt
mit der reinen Furcht Gottes,
welche so hohe Verwunderung gebiert
im unmöglichen Werk des Glaubens,
da die Kraft des Allerhöchsten
(wie Lukas beschrieben) allen gedichteten,
heimlichen Unglauben verwirft aufs strengste,
denn er wird entdeckt durch das Antun oder Durchgang
im Abgrund der Seelen. Paulus sagt:
Ihr sollt Christus antun, da kann der falsche Glaube
überall keine Stätte haben. Wer aber diesen Durchgang
nicht gehabt, der weiß vom Glauben ganz und gar nichts,
denn er behält sonst einen unerfahrenen Glauben
an seinem verstockten Geist
wie an einen alten Bettler-Mantel,
welchen die untreuen, verzweifelten Schriftgelehrten
ganz meisterlich flicken können mit einem neuen Flicken,
wie dies das Evangelium Lukas sagt,
zum selben verwenden sie nichts anders
als ihre gestohlene Schrift. Wenn sie gefragt werden,
wie sie zu solchem hohen Glauben kommen,
wovon sie also viel unaufhörlich von schwätzen,
oder warum sie nicht lieber Heiden, Juden oder Türken
sein wollen oder wer ihnen doch etwas zugesagt,
da sie also gefährlich die Welt mit bestürmen
und also heftig trotzen, da kommen sie
mit über die Maßen lahmen, schalen Fratzen
und sprechen schlicht unverschämt:
Siehe, ich glaube der Schrift,
und werden da also neidisch und grimmig,
dass sie schlicht aus dem Bart grunzen,
sagend: Oho, dieser leugnet die Schrift!
Da wollen sie viel ärger mit ihrem Lästern
aller Leute Maul verstopfen wie der Tölpel,
der Papst mit seinen Butterbuben.
Sie wollen die hohe Bewegung und herzliche Betrübnis
der Auserwählten schlecht sättigen
oder ohne alle Widerrede dem Teufel übergeben.
Sie pflegen vorzutragen, wie Christus
die gottlosen Schriftgelehrten abweist,
darum dass sie auch desselben Sauerteigs sind.
Sie tun die dünne Zunge hervor.
Mit zarter Weise sprechen sie:
Erforscht die Schrift, denn ihr wähnt,
ihr lasst euch dünken, ihr wollt eure Seligkeit
daselbst bekommen.
Da werden denn die armen dürftigen Leute
also hoch betrogen, dass es keine Zunge genug erzählen mag.
Mit allen Worten und Werken machen sie es ja also,
dass der arme Mann nicht lesen lerne
vor lauter Bedürfnis der Nahrung.
Und sie predigen unverschämt,
der arme Mann soll sich von den Tyrannen lassen schinden
und schaben. Wann will er denn lernen die Schrift lesen?
Ja, lieber Thomas, du schwärmst!
Die Schriftgelehrten sollen schöne Bücher lesen,
und der Bauer soll ihnen zuhören,
denn der Glaube kommt durchs Gehör!
Ach ja, da haben sie einen feinen Griff gefunden,
der würde viel ärgere Buben an die Stelle
der Pfaffen und Mönche setzen,
als vom Anbeginn der Welt geschehen ist.
Gott sei aber gesegnet, dass viele Auserwählte
die Wurzeln des Unglaubens da erkennen,
wie sie sich lange Zeit verdeckt hat
und noch heute gerne verwildern wollte,
auf dass nie der Weizen aufginge.
Deshalb spricht Christus kurz vor oben gemeldeten Worten
zu den frommen Leuten, den Schriftgelehrten:
Mein Wort bleibt bei euch nicht. Ei warum?
Um des Unglaubens willen,
der der rechten Wurzeln des untrüglichen Glaubens
ganz und gar keine Stelle geben will.
Sollen nun solche schädlichen Wurzeln ausgerottet werden,
so muss man sich hüten vor der gottlosen Art
der Schriftgelehrten, mit welchen sich Christus
nie vertragen konnte. Denn sie machen aus der Schrift
ein Schandmal, welches verhindert,
die rechte Natur des Christenglaubens
vor der ganzen Welt scheinen zu lassen.
Der Sohn Gottes hat gesagt: Die Schrift gibt Zeugnis.
Da sagen die Schriftgelehrten: Sie gibt den Glauben!
O nein, Allerliebsten, seht euch viel weiter um,
ihr habt anders den dümmsten Glauben, der auf Erden ist,
wie die Affen. Also ist der arme Haufen verführt
durch die hochmütigen Bacchanten.
Darum muss die verhaltene Wahrheit einmal ganz kühn
an den Tag kommen, welche also lang geschlafen hat,
in solchem Maß: Wenn ein Christ
unter dem armen Haufen spräche,
dass er den Christenglauben von Gott selber gelernt hätte,
würde man ihm nicht glauben (wie wir noch geschickt sind),
wenn er mit der Schrift durch seine Berichte
nicht übereinstimmte, wie alle Auserwählten
sollen von Gott gelehrt werden.
Wenn einer nun sein Leben lang die Bibel
weder gehört noch gesehen hätte,
könnte er wohl für sich durch die gerechte Lehre des Geistes
einen untrüglichen Christenglauben haben,
wie alle die gehabt, die ohne alle Bücher
die Heilige Schrift geschrieben haben.
Und er wäre auch aufs höchste versichert,
dass er solchen Glauben vom untrüglichen Gott geschöpft
und nicht von Abbildern des Teufels
oder eigener Natur bezogen hätte.
Deshalb müsste er denselben Rechenschaft ablegen
vor den Menschen, die auch einen bewährten,
nicht erdichteten Glauben hätten,
nach aller Anforderung, wie das Gold im Feuer
des allerhöchsten Herzeleides bewährt.
Sonst würde eitel Spott und ganz höhnisches Lachen
daraus werden vor den Zärtlingen,
die sich ihr Leben lang nach dem rechten Glauben nie,
nie mit dem allergeringsten Gedanken beflissen haben.
Denn sie wähnen schlicht, man soll glauben,
wie die Erzverführer draus erfahren mit ihrer Dichtung.
Sollen wir Christen nun zusammen einträchtig übereinstimmen
mit allen Auserwählten unter allen Zertrennungen
oder Geschlechtern allerlei Glaubens,
wie uns denn der helle Text an den Geschichten
der Boten Gottes Zeugnis gibt, so müssen wir wissen,
wie einem zu Sinnen ist, der unter den Ungläubigen
von Jugend auf erzogen ist,
der das rechte Werk und die Lehre Gottes
ohne alle Bücher erfahren hat.
Darauf sollte man die Schrift nützen,
dass man über solche treffliche Werke
und solcher Leute Zeugnis mit freundlichem Urteil
einem jeden, er wäre Jude oder Türke,
Unterrichtung täte und erprobte die Geister,
welche Gott oder dem Teufel zugehörig sind.
Da treten unsere Gelehrten gar keck herein
und wollen Wunderwerke haben,
wie die gottlosen Schriftgelehrten zu tun pflegen.
Sie geben mit ihrem schwindelnden Urteil
die Leute dem Teufel, die ein einiges Wort gegen sie reden,
und machen einen Spottvogel aus dem Geist Christi
und sind also kühn, dass sie dürfen schreien und schreiben:
Geist hin, Geist her, ich lobe mein Schreiben, ich hab es getan.
Auch dass man sie erkenne, trachten sie
mit allen ihren Anschlägen Tag und Nacht,
wie sie die umbringen, die ein Wort vom Geiste Gottes sagen,
gleichermaßen wie die Schriftgelehrten taten,
ehe sie Christus ans Kreuz brachten.
Sie sagten zu Christus, er wäre im Gesetz Gottes nicht verheißen,
und jetzt sagen sie das Gleiche, ja noch viel verkehrter,
man soll im Geist Christi nicht anfangen,
man soll sich auch desselben nicht rühmen,
denn wer das tut, ist gezeichnet mit dem ersten,
notwendigen Zeichen eines falschen Propheten.
Aber die Schrift (wie sie sprechen) soll den Glauben geben.
Und die gottlosen Zärtlinge wissen doch keinen Bescheid,
Beweggrund, warum die Heilige Schrift anzunehmen
oder zu verwerfen sei, denn allein,
dass sie vom Alten hergekommen,
also durch viele Menschen angenommen ist.
Ein solche Affenart hat auch der Jude,
Türke und alle Völker, ihren Glauben zu bestätigen.
Das Gegenteil aber sagt uns Maria
und Zacharias, Abraham, Joseph, Mose und alle Patriarchen,
die sich nach dem Anregen des Heiligen Geists gehalten
im Abgrund des Herzens
und sich ganz und gar an die Vortracht
der verzweifelten, untüchtigen Gottlosen nicht gekehrt haben,
wie Jesaja spricht. Denn ihre Vereinigung
und Ratschläge haben dem Geist Gottes
seine Tätigkeit zur Schmach dargestellt.
Sie sprechen, ohne schamrot zu werden:
Dies und das hat die heilige christliche Kirche angenommen,
dieser Artikel, diese Lehre ist Ketzerei,
und wissen doch darüber nicht das allergeringste Seufzen
und auch nicht das allergeringste Wort zu verantworten,
welches sie doch zum Christenglauben
mehr denn zu andern bewegt.
Darum sind die Tagelöhner solche bösen Tröster
den armen, elenden, traurigen, betrübten Menschen.
Sehe ein jeder ganz wohl zu, dann wird er sicherlich finden,
dass der christliche Glaube einem fleischlichen Menschen
solch ein unmögliches Ding ist.
Jawohl, weiter hier im Text allen gläubigen Menschen,
wie Maria, Zacharias, Elisabeth gewesen sind,
dass einem nüchternen, langweiligen, ernsten, bitteren,
geprüften Menschen, der Achtung darauf hat,
die Haare auf dem Haupt möchten krachen.
Merkt nur eben darauf in diesem Text.
Der Engel sprach zur Mutter Gottes:
Es ist bei Gott kein Ding unmöglich.
Warum, meine Allerliebsten?
Wahrlich um des willen, dass es der Natur
ganz ein unmögliches, undenkbares, ungehörtes Ding war.
Wie es uns denn allen in der Ankunft des Glaubens
muss widerfahren und gehalten werden,
dass wir fleischlichen, irdischen Menschen
sollen Götter werden durch die Menschwerdung Christi
und also mit ihm Gottes Schüler sein,
von ihm selber gelehrt werden und vergöttlicht sein.
Jawohl, viel mehr: In ihn ganz und gar verwandelt,
auf dass sich das irdische Leben schwenke in den Himmel.
Siehe, welch ein unmögliches Ding war das
allen Gottlosen und langsamen Auserwählten.
Sie wollten Christus mit Steinen steinigen,
da er diese Wort redete. Ach, lieben Herren,
wie unsinnig wird die Welt, wenn ihr die Stimme Gottes
mit rechter Weise wird vorgehalten,
in der Unmöglichkeit und Ankunft des Glaubens
zu warten und endlich zu harren.
Ei, warum wird Bruder Sanftleben und Vater Leisetreter
also heftig und gar närrisch? Ja, er meint,
er wollte gerne seine vorgenommenen Lüste alle ins Werk führen,
seine Pracht und Reichtümer behalten
und gleichwohl einen bewährten Glauben haben,
welches doch der Sohn Gottes mit klaren Worten
an den Schriftgelehrten getadelt hat, da er spricht:
Wie ist es möglich, dass ihr könnt glauben,
wenn ihr eure Ehre sucht?
Daneben ist auch eine Unmöglichkeit angestellt,
den ungläubigen Wollüstigen sagend:
Ihr könnt nicht Gott und den Reichtümern dienen.
Wer dieselben, Ehre und Güter, zum Besitzer nimmt,
der muss zuletzt ewig von Gott leer gelassen werden,
wie im Psalm Gott sagt: Ihr Herz ist eitel,
und darüber müssen die gewaltigen, eigensinnigen,
ungläubigen Menschen vom Stuhl gestoßen werden,
darum, dass sie den heiligen, wahrhaftigen Christenglauben
in sich und in der ganzen Welt verhindern,
so er will mit allem seinem wahrhaftigen Ursprung aufgehen.
Darum, da die Gnade Gottes durch die Geburt des Johannes
und Empfängnis Christi verkündigt ward,
regierte Herodes, das fromme Blut, das dem Adel
dieser Welt aus dem Sack träufelt,
auf dass das edelste, höchst Gut
mit dem Gegenteil des Gottlosen würde erklärt.
Wie bei unsern Zeiten nun Gott sein Licht in die Welt schickt,
wird bewiesen durch der gottlosen, unsinnigen Menschen
Regiment und Obrigkeit, nach allem Mutwillen
mit allem äußerlichem Toben und Wüten
aufs allerhöchste gegen Gott und alle seine Gesalbten,
dass auch jetzt etliche erst recht anfangen,
ihr Volk zu schlagen, zu schinden und zu schaben,
und bedrohen dazu die ganzen Christenheit
und peinigen und töten schmählich die Ihren
und Fremden aufs schärfste,
dass auch Gott zur Erleichterung der Auserwählten
den Jammer nicht länger wird können und mögen ansehen.
Und die Tage des Leidens muss er seinen Auserwählten verkürzen,
sonst würden die Leute durch kein rechtes Betrachten
die Menschwerdung Christi annehmen.
Es würden eitel Heiden und Teufel draus,
viel ärgere Sekten als vor dem Anfang. Darum sagt Paulus,
dass Gott seinen Geliebten also ganz treu ist,
dass er ihnen nicht mehr auflegt, als sie tragen können.
Wiewohl die Natur des Menschen stets denkt,
dass ihr zu viel aufgelegt wird.
Der gütige allwissende Vater tut nicht eher den Staubbesen weg,
das Kind erkenne denn vorher seine Schuld,
damit es solche böse Obrigkeit verdient hat
mit Umständen aller Grobheit.
Wie kommt das, Allerliebste,
zum Verstand dieses Evangeliums?
Siehe vom Herodes, zu welchen Tagen Christus
und Johannes empfangen und geboren sind,
und auch dass dieser Text ohne alles Verwickeln sagt:
Die Gewaltigen hat er vom Stuhl gestoßen.
Darum, dass sie sich erdreisten,
den Christenglauben zu regieren,
und wollen ihn meisterlich anrichten,
obwohl dessen Entstehen sie nimmermehr gedenken zu lernen.
Wollen es auch niemand gestatten zu lernen
und wollen gleichwohl alle Leute verurteilen
und allein darum die Obersten sein,
dass man sie vor allen Leuten fürchte, anbete, in Ehren halte.
Und wollen doch daneben das Evangelium
aufs schändlichste verketzern,
wie sie immer erdenken mögen.
Da wird die rechte Art Herodes, des weltlichen Regiments, erklärt,
wie der heilige Samuel mit dem erleuchteten Hosea weissagt:
Gott hat die Herren und Fürsten in seinem Grimm
der Welt gegeben, und er will sie in der Erbitterung
wieder wegtun. Darum, dass der Mensch
von Gott zu den Kreaturen gefallen,
ist über die Maßen gerecht gewesen,
dass er die Kreatur (zu seinem Schaden)
mehr denn Gott muss fürchten.
Deshalb sagt Paulus zu den Römern,
dass die Fürsten sind nicht um der Furcht des guten Werks,
sondern um der strafenden Furcht des Bösen.
Darum sind sie nicht anders denn Henker und Büttel,
das ist ihr ganzes Handwerk.
Welch ist nun anders das böse Werk,
als dass man die Kreatur Gott vorsetzt
mit achtbarer Furcht und Würde? Ei, wie kommt das?
Darum, dass niemand Gott (wie man vor Augen sieht)
allein mit emsigem Ernste
mit all seinem Tun und Lassen vorsetzt.
Ach, die Furcht Gottes kann und mag
vor großer menschlicher Gunst nicht rein werden.
Wiewohl Christus ein mächtiges, großes, hartes Gebot
davon getan hat. Dermaßen auch Maria
ihres Glaubens Ankunft (allen Auserwählten beistehend)
vorgetragen hat, sagend: Seine Barmherzigkeit
ist von Geschlecht in Geschlecht
bei denen, die ihn fürchten.
Wenn der Geist der Furcht Gottes
bei den Auserwählten recht versorgt wird,
so muss die ganze Welt einen rechtschaffenen Eiferer
der Würde Gottes fürchten, sie tue es gern oder nicht,
wie von David im Buch der Geschichte der Patriarchen
beschrieben. Wer aber Gott vom Abgrund seines Herzens
nicht allein fürchtet, dem kann auch Gott nicht gnädig sein,
wie ein jeder aus dem Gegenteil der Worte Mariens vernimmt.
Wir können auch nicht erlöst werden von der Hand aller,
die uns hassen, und die herzliche Barmherzigkeit Gottes
kann unsere unerkannte Finsternis nicht erleuchten,
dieweil uns die Furcht Gottes nicht leer macht
zum Anfang der unaufhörlichen Weisheit.
Darum steht klar geschrieben im Psalm:
Der Herr tut den Willen der Gottesfürchtigen,
mit welchem sie erfüllt werden in der Weisheit
und dem Verstand und der Kunst Gottes.
Die Welt will da das Auge nicht auftun
zur Ankunft des Glaubens. Der Ursache halben
muss sie alle ihre Vernunft mit großer, mächtiger Arbeit
in allen Kräften verzehren, einem armen, elenden,
jämmerlichen Pulversack zu dienen
und denselben unverschämt Gott voran setzen.
Darum ist die Welt also grob, Gottes Urteil zu vernehmen.
Der Meinung nach ist auch die Weisheit Gottes,
der rechte Christenglaube, ein solches fremdes,
seltsames, verborgenes, unbekanntes Ding geworden
und auch ganz unmöglich, dass kein Auge dies
genug beweinen und beklagen mag,
keine Zunge genug davon sagen kann.
Es mag ein entsetzter Mensch nicht genug hören oder lesen,
dass die recht teure Weisheit Gottes,
der rechte Christenglaube verunehrt
und geschmäht ist worden. Das macht,
dass man die Geistlosen, die keine Furcht Gottes haben,
zur Christenheit aufgenommen hat,
und man muss dieselben offenbar anbeten,
wie niemand vor einsichtigen Augen leugnen mag.
Abraham, wie im Buch der Schöpfung beschrieben,
richtete alle seine Sache an nach der Furcht Gottes,
durch welche ihn auch der Engel erkannte.
Er hat sich über die Maßen entsetzt.
Wo er das Werk göttlicher Furcht nicht gefunden hat,
da konnte er das Unmögliche vom Möglichen nicht absondern.
So ging es auch dem Zacharias und der Elisabeth,
wiewohl sie rechtfertige Menschen vor Gott
und der Welt waren. Sie fürchten Gott vor allen Dingen,
dennoch vermochten sie nicht das Mögliche
vom Unmöglichen zu unterscheiden, darum,
dass ihnen der Geist der Furcht Gottes
zur Ankunft des Glaubens nicht eröffnet war.
Darum konnte Zacharias dem Engel nicht glauben.
Ei, nach gelegener Sache... Denn sein Weib war alt
und dazu unfruchtbar. Es ließ sich nicht anders ansehen,
sie könnte nimmermehr schwanger werden.
O allerliebste Brüder und Schwestern,
wozu erinnert uns dies Evangelium anders,
als dass der Glaube mit allem seinem Ursprung
hält uns unmögliche Dinge vor,
welche die Zärtlinge nimmermehr wähnen,
dass sie ins Werk kommen sollen.
Die ganz unsinnige, fantastische Welt
bringt hervor einen falschen glossierten Weg
und sagt mit spitzen Zungen:
Ei, man mag wohl das Evangelium predigen,
Gott allein fürchten und auch die unvernünftigen Regenten
in Ehren halten, wiewohl sie wider alle Billigkeit streben
und Gottes Wort nicht annehmen.
Ach, um Gottes Willen, man soll ihnen in allen Sachen,
den guten Junkern, gehorsam sein.
Ei, willkommen du Verteidiger der Gottlosen!
Wie fein, fein muss das stehen, dass man also löblich
zwei Herren, die gegeneinander streben, dienen könnte,
wie der Regenten Räte tun.
Oho! wie kundig weiß sich da die kluge Vernunft,
welche sich mit der Liebe des Nächsten
in ihrer Heuchelei pflegt zu putzen
und aufs hübscheste zu schmücken.
Ja, es ist ganz unmöglich, zu unsern Zeiten
viel mehr als vom Anbeginn des verkehrten Regiments,
dass die ganz Welt muss den Puff halten.
Ja, es dünkt, unzählige Leute
mächtig große Schwärmerei zu sein.
Sie können nicht anders urteilen,
als dass es unmöglich sei, dass ein solches Spiel
sollte angerichtet und vollführt werden,
die Gottlosen vom Stuhl der Urteile zu stoßen
und die Niedrigen, Groben zu erheben.
Da wollen sie Maria nicht hören,
wiewohl sie ihre allerliebste Matronita ist,
da wollen sie ihr keine Rede zugestehen.
O Maria! wie werden deine Worte
noch so viel Unglück anrichten durch deine Anbeter,
welche andere Leute wollen regieren
und könnten doch zur Not
nicht eine Laus zur Ordnung bringen.
Es dünkt die Welt und die unversuchten Schriftgelehrten
oben als Abschaum das unmöglichste Ding zu sein,
dass die Niedrigen sollen erhaben
und abgesondert von den Bösen werden.
Ja, da ist die rechte, schwere, ganze Fessel.
Sie wollen dem Text keinen Wert geben
von der Absonderung der Gottlosen von den Auserwählten.
Sie haben daselbst imaginiert,
aus einem alten Balken visiert,
die Engel mit langen Spießen,
die sollen absondern die Guten von den Bösen
am Jüngsten Tage. Ich meine,
sie können dem Heiligen Geist eine Nase drehen.
Sie sagen unverschämt, dass Gott
seine Urteile niemand offenbart.
Darum leugnen sie solche Engel,
welche sind rechte Boten, zukünftig die Guten
von den Bösen zu scheiden.
Es ist aber unsern frommen Leuten, den Schriftgelehrten,
nicht für übel zu halten, wie ein jeglicher wohl merken kann,
denn sie sind Neutrale, das sind gute Erzheuchler,
die den Stützbalken auf beiden Schultern wohl tragen können.
Sie sprechen aus dem Bart, die glaubwürdigen Leute:
Es kann niemand wissen, wer auserwählt oder verdammt sei.
Ach ja, sie haben einen solchen starken Glauben,
der ist also mächtig gewiss, dass er ganz und gar
keinen Verstand hat, als allein die Gottlosen zu verteidigen.
Ja, es ist dennoch ein feiner Glaube.
Er würde noch viel Gutes anrichten.
Er wird wohl ein subtiles Volk anrichten,
wie Plato, der Philosoph, spekuliert hat
und Apuleius vom goldenen Esel
und wie Jesaja sagt von dem Träumer.
Sie tragen dafür, ihren Mutwillen zu bestätigen,
den heiligen Paulus zu ihrem Schanden-Deckel,
wie denn stets ihre Gewohnheit ist.
Sie sagen: Der Herr weiß, die ihm zugehörig sind.
Es ist wahr, lieber Genosse,
du musst dich aber deiner Stückwerke enthalten
und dem Wort auch Raum geben,
das danach folgt im Text, sagend:
Der den Namen Gottes sucht, der weicht von der Missetat.
Der Auserwählte sei ein Sünder, wie er wolle,
dennoch treibt ihn das Gewissen von den Sünden,
wenn er nur seiner Bewegung in der Betrübnis wahrnehme,
wie, das bezeugt der Psalm.
Das tut aber das Gewissen des Gottlosen nicht,
wie der Psalm sagt. Er trachtet stets auf Unzucht
und auf Geiz und Hoffart.
Es mag ihm keine Schalkheit zu viel werden.
Also bricht er heraus. Auch kann er der Bosheit
nimmermehr feind werden, wiewohl er auch mit Judas
in der Karwoche eine Galgen-Reue hat.
Er trachtet aber im Grunde seines Herzens nicht anders
als wie der reiche Mann in diesem Evangelium
von einem langen wollüstigen Leben,
und er will immer einen guten Mut haben.
Er meint nicht anders, als dass er dazu geschaffen sei.
Weiter muss man vernehmen, wie das Herz der Auserwählten
wird stets zu seinem Ursprung bewegt
durch die Kraft des Allerhöchsten.
Darum pflegt er zu sagen: Ach Herr,
meine Sünde ist mir allezeit vor meinen Augen.
Nimm nicht von mir deinen Heiligen Geist!
Da wird der Geist Gottes in der Furcht also hoch eröffnet,
dass das Herz ganz und gar mürbe wird,
Gottes Gabe zu empfangen.
Da kann Gott das reuige und demütige Herz nicht verachten,
er muss es erhören, darum daß solch gutes Räucherwerk
daraus gemacht ist. Dasselbige schmeckt
zum Geruch der Süßigkeit, die manchem Gottesfürchtigen
um seines Unverstands willen verborgen ist,
aufs allertiefste mit ihrer Menge,
bis in die verständige Anfechtung, da wird sie eröffnet.
Siehe, wie Zacharias in den Tempel gegangen ist
nach der Anweisung des Gesetzes.
Es ist nichts anders, denn das der Psalm auslegt:
Ich will gehen in dein Haus,
ich will bitten in deinem heiligen Tempel in deiner Furcht,
auf dass du mich in deiner Gerechtigkeit führst
um meiner Feinde willen.
Dies hat Zacharias im gegenwärtigen Lobgesang selber erklärt,
dass wir Gott ohne Furcht der Menschen mögen dienen
in Heiligkeit und in Gerechtigkeit, das ist,
in einem untrüglichen, erfahrenen Glauben,
der ihm wohl gefällt. Was ist nun das aufs klarste?
Ein jeder Mensch soll in sich selbst gehen
und eben merken bei seiner Bewegung,
wie er selber ein heiliger Tempel sei,
Gott zugehörig von Ewigkeit,
dass er nirgends anders zu geschaffen ist,
als dass er den Heiligen Geist
zum Schulmeister des Glaubens habe
und all seine Wirkung wahrnehme
und dass derselbe Tempel über die Maßen
von den ungelehrten Pfaffen verwüstet sei.
Ah, es möchten sich wohl alle Kreaturen darüber erbarmen,
dass niemand solchen Gräuel
in der heiligen Stätte erkennen will.
Das arme Volk kann vom Gift der Gottlosen
in sich nicht entkommen. Es steht ein jeder noch draußen
vorm Tempel und erwartet,
wann es doch will einmal gut werden.
Das Volk hat nie anders gewähnt
und lässt sich auf den heutigen Tag noch also dünken,
die Pfaffen wissen den Glauben,
darum dass sie viel schönere Bücher gelesen haben.
Deshalb spricht der arme gemeine Mann:
Ei, es sind feine Männer mit ihren roten Baretten,
sollten sie es nicht wissen, was recht oder unrecht ist?
Es haben in der Wahrheit die Leute
(nachdem sie Christen wollen sein)
ein tölpelhaftes Urteil, wie doch Christus
über die Maßen hoch befohlen hat,
die falschen von den wahrhaftigen Knechten Gottes
zu unterscheiden und erkennen.
Es hat niemand keine Achtung darauf,
viele Kreaturen zu versammeln.
Darum harrt ein jeder vorm Tempel,
kann in sein Herz nicht kommen vorm großen Unglauben,
den er nicht erkennen will vorm Geschäft der Nahrung.
Das klagt der Heilige Geist im Jeremia.
Wenn sich darüber das Volk ganz und gar lang
auf den Pfaffen und Schriftgelehrten verlassen hat,
so ist er ein stummer Götze,
er weiß von Gott viel weniger denn ein Eichenblock
und Kieselstein. Es wird wahr der Psalm:
Die Lippen des Hinterlistigen verstummen.
Da läuft Jeremias rings umher durch alle Gassen
und wollte gern einen Menschen hören,
der da Fleiß anwende, Gottes Urteil
und Glauben zu erlangen.
Er kommt zu den armen Bauern
und fragt sie nach dem Glauben.
Da weisen sie ihn zu den Pfaffen und Schriftgelehrten.
Ja, die armen, elenden Bauern wissen nichts davon,
nachdem sie sich auf die vergifteten Leute verlassen haben.
So gedenkt der Prophet: Ach Gott,
die Bauern sind mühselige Leute,
sie haben ihr Leben mit der ganz sauren Nahrung zugebracht,
auf dass sie den gottlosen Tyrannen den Hals gefüllt haben.
Was sollte denn das arme grobe Volk wissen?
Jeremia redet weiter: Ich gedachte,
ich will zu den großen Hansen gehen,
die werden das arme Volk ja versorgen
und ihm den Glauben und Urteil
mit Worten und Werken wie gute Hirten vortragen.
Ich will mit ihnen davon reden.
Sie werden es ohne Zweifel wissen.
Ja, ja, sie wussten viel weniger als der Allergeringste!
Das ist das, welches der Heilig Geist
durch Hosea geweissagt hat.
Sie wollen die Kunst Gottes nicht haben auf Erden.
Darum wie das Volk ist, so ist der Pfaffe.
Ein Blinder führt also immer den andern,
und fallen über einen Haufen in die Grube
der unwissenden Verderbnis.
Es will sich in diesem Fall ein jeder schön aufputzen
mit eines andern Unflat.
Und es ist doch aller Menschen Schuld,
dass die ganze christliche Gemeinde
einen stummen Gott anbetet.
Wo ist das anders hergekommen,
als dass ein jeder Bauer hat wollen einen Pfaffen haben,
darum, dass sie gute Tage hätten.
Jetzt begehren sie es nicht.
Denn zum rechten Priestertum hilft die ganze Welt ungern,
ja, sie pflegt den rechten Pfaffen
die Köpfe für die Füße zu streichen.
Oh, ein solches gutes Amt schmeckt ihr
wie eine bittere Galle.
Man muss die Wahrheit sagen:
Wir sind viel gröber nach dem Adel unserer Seelen
als die unvernünftigen Tiere.
Hat doch schier keiner Verstand
als nur vom Wucher und von den Tücken dieser Welt.
Wenn etwas von Gott gesagt wird,
dann kommt der Spruch Salomos herzu:
Wer dem Narren lang vorpredigt,
so sagt er am Ende der Rede: Hui, was hast du gesagt?'
Es ist alles, wie man einen schläfrigen Menschen anredet.
Darum können wir armen, elenden, jämmerlichen
Christen nichts mehr von Gott erwirken,
als was ein jeder aus dem Buch gestohlen hat,
und wenn uns dasselbige genommen würde
(wie es möglich ist), so möchte man
dieser groben Christenheit ganz und gar nicht helfen.
Ist das nicht der allerhöchste Jammer?
Noch will es niemand zu Herzen nehmen.
Man meint, es sei zu verschweigen.
O der großen, elenden Blindheit,
dass doch ein jeder lernte
mit einem halben Auge zu sehen.
So anders die Christenheit soll recht aufgerichtet werden,
so muss man die geldgierigen Bösewichter wegtun
und sie zu Hundeknechten machen,
da sie denn kaum zu dienen,
und sollen Prälaten der christlichen Kirche sein!
Das arme, gemeine Volk muß des Geistes Erinnerung pflegen
und also lernen zu seufzen
und bitten und warten auf einen neuen Johannes,
auf einen gnadenreichen Prediger,
welcher den Glauben allenthalben
durch seinen Unglauben erfahren hat.
Denn er muss wissen, wie einem Ungläubigen zu Sinnen ist,
und er muss der emsigen Begierde Maße
an dem Maße des Glaubens wissen.
Wenn das nicht geschähe, so wäre
dieser unerfahrene Christenglaube viel ärger
als des Teufels Lästerung
im Abgrund der Hölle gegen Gott.
Darum muss einer aufstehen,
der die Menschen weise auf die Offenbarung
des göttlichen Lammes im Urteil des ewigen Wortes,
vom Vater ausgehend. Du siehst hier wohl,
dass das Volk ein Urteil hätte darüber,
dass Zacharias also lang im Tempel war.
Denn die Leute konnten es wohl ausrechnen,
annehmen, dass er müsste eine Vision gesehen haben
um des Verharrens willen im Tempel.
Es war auf das Mal das Volk nicht also ganz
und gar hoch verstockt, wie jetzt
die Christenheit durch die bösen
Schriftgelehrten geworden ist.
Sie will keinerlei Weise glauben,
dass ihr Gott also nahe sei
und seinen Willen ihr möge eröffnen.
Oho! wie scheu sind die Leute an der Offenbarung geworden,
wie Micha davon geweissagt hat.
Sie sprechen fast alle:
Ei, wir sind gesättigt an der Schrift.
Wir wollen keiner Offenbarung glauben.
Gott redet nicht mehr.
Wie meinst du, wenn solche Leute gelebt hätten,
da die Propheten waren,
ob sie ihm auch geglaubt hätten oder sie lieber totgeschlagen?
Sind sie doch in der Heiligen Schrift also blind,
dass sie nicht sehen oder hören wollen,
wie sie ganz und gar kräftig darauf dringt,
dass man allein soll und muss von Gott gelehrt werden.
Soll anders jemand mit den ewigen göttlichen
Gütern erfüllt werden, so muss er nach langer Zucht
dazu leer gemacht werden durch sein Leiden und Kreuz,
auf dass ihm sein Maß des Glaubens erfüllt möge werden
mit den höchsten Schätzen christlicher Weisheit.
Es muss ein jeder die Kunst Gottes,
den rechten Christenglauben,
nicht durch stinkenden Atem teuflischer Schriftgelehrter
übernehmen, sonder durchs ewige kräftige Wort
des Vaters im Sohn mit Erläuterung des Heiligen Geistes,
und also erfüllt werden in seiner Seele
in die Länge, die Weite, die Breite, die Tiefe, die Höhe.
Kurzum, es kann nicht anders sein,
der Mensch muss seinen gestohlenen, erdichteten
Christenglauben zu Trümmern stoßen
durch mächtig hohes Herzleid und schmerzliche Betrübnis
und durch unabweisbares Verwundern.
Da wird der Mensch sehr klein
und sich vor seinen eigenen Augen verächtlich.
Damit sich die Gottlosen brüsten und aufputzen,
versinkt der Auserwählte.
Da kann er Gott erheben und groß machen
und kann sich nach der herzlichen Betrübnis
auch aus ganzem Herzen freuen in Gott, seinem Heiland.
Da muss das Große dem Kleinen weichen
und vor ihm zuschanden werden.
Ach, wüssten das die armen, verworfenen Bauern,
es wäre ihnen ganz nützlich!
Gott verachtet die großen Hansen
wie den Herodes und Kaiphas, Hannas
und nahm auf zu seinem Dienst die Kleinen wie Maria,
Zacharias und Elisabeth.
Denn das ist Gottes Werk,
er tut auf den heutigen Tag nicht anderes.
Zacharias war ein verächtlicher Mann,
darum, dass sein Weib unfruchtbar war.
Nach Bericht des Testamentes Maria
war ganz verachtet. Oh, liebe Freunde,
es waren nicht große Köpfe mit prächtigen Titeln,
wie jetzt die Kirche der Gottlosen hat!
Es wähnen viele arme, grobe Menschen,
dass die großen, dicken, feisten Pausbacken
sollen gut Urteil über die Ankunft
des Christenglaubens beschließen.
Ach, Allerliebste, was sollen die Leute doch urteilen,
die uns alle Bewegung des Glaubens leugnen,
verfluchen und ächten alles, was gegen sie strebt,
auf schmähliche Weise? Denn sie haben ihr Leben zugebracht
mit tierischem Fressen und Saufen.
Von Jugend auf zum Zärtlichsten erzogen,
haben ihr Leben lang keinen bösen Tag gehabt,
wollen und gedenken noch keinen anzunehmen
um der Wahrheit willen,
einen Heller an ihren Zinsen nachzulassen,
und dennoch wollen Richter und Beschirmer
des Glaubens sein. Ach, du arme Christenheit,
wie bist du mit deinen Tölpeln also ganz und gar
zum Holzblock geworden, bist du doch also recht übel
mit ihnen versorgt. So die heilige Kirche
soll durch die bittere Wahrheit erneuert werden,
so muss ein gnadenreicher Knecht Gottes hervortreten
im Geist des Elias und muss alle Dinge
in den rechten Schwang bringen.
Wahrlich, ihrer viele müssen erweckt werden,
auf dass sie mit dem allerhöchsten Eifer
durch brünstigen Ernst die Christenheit fegen
von den gottlosen Regenten.
Auch muss vorher das Volk ganz hart gestraft werden
um der unordentlichen Lüste wegen,
die also üppig die Zeit mit Kurzweil vertreiben
ohne allen bleibenden Mut
zur ernsten Betrachtung des Glaubens.
Darum wissen gar wenig Menschen
von der anfänglichen Bewegung des Geistes zu sagen.
Ja, darum ist es ihnen also verächtlich,
dass sie die Langeweile nicht gekostet haben,
durch welche Gottes Werk allein erfunden wird.
Zum ersten durch die Besprengung,
da die Wasser göttlicher Weisheit sich erregen.
Da wird der Traurige gewahr, dass Gott
ganz überschwängliche Dinge an ihm anhebt.
Darum entsetzt er sich zum ersten vor Gottes Namen,
der ihm eröffnet wird
aus der ersten Bewegung göttlichen Werkes.
Er hat keinen Frieden all sein Leben lang,
denselben Namen aus ganzem Herzen zu suchen,
bis er durch ihn begnadet wird, zu erkennen,
dass sein Name im Himmel von Ewigkeit geschrieben sei.
Er kann und mag anders keinen Frieden,
Freude und Gerechtigkeit in seinem Gewissen erreichen,
die ihm doch zugehörig ist. Sonst tappt er
nach dem wahren Gott in der Finsternis
und dem Schatten des Todes,
auf dass seine Füße durch mannigfaltigen Fall
gerichtet werden auf den Weg des Friedens
im allerhöchsten Unfrieden.
Alle Begierden erstrecken sich
zu der ersten Besprengung durch das seufzende Blasen
des Heiligen Geistes.
So einer all seinen Fleiß daselbst anwendet,
dann könnte er keine Ruhe haben
vor dem Treiben des Heiligen Geistes,
der ihn nimmer zufrieden lässt,
ihn zu weisen zum ewigen Gut.
Das kann er einem groben Menschen nicht zu verstehen geben,
denn nach den gröbsten Tölpel-Sünden,
da der Ungeschliffene die nagenden, fressenden Stacheln
ohne Unterlass vernimmt,
da muss er sich zu Gott bekehren
von den Sünden und ihnen feind werden.
Der Mensch nach allen kreatürlichen Lüsten
muss sich zu Gott kehren,
es könnte anders sein natürliches Wesen nicht bestehen.
Da bekennt er erst seinen Unglauben
und schreit nach dem Arzt,
welcher es um seiner Holdseligkeit willen
nimmermehr lassen kann, einem solchen
Im Geiste Armen zu helfen.
Da ist der Ursprung alles Guten,
das rechte Reich der Himmel,
da wird der Mensch den Sünden feind
und der Gerechtigkeit geneigt auf das allerherzlichste,
da wird er erst seiner Seligkeit versichert
und vernimmt klar, dass ihn Gott
durch seine unwandelbare Liebe zum Guten
vom Bösen getrieben hat, von den Sünden,
durch welche der Unglaube gespürt wird,
da ist er befreit aufs fertigste.
Dies ist beschrieben von Jeremia.
Also muss der rechte Glaube den Sieg gewinnen,
nachdem er die Welt überwindet,
die im Herzen ist viel tausendfältiger als draußen.
Nach solcher ernster Erkenntnis
bleibt des Glaubens Überschwang ungehindert,
zu wuchern, zuzunehmen in ihm.
Da findest du, Buchstaben-Genosse,
wie schwer dein Pfund ist. Du kannst es aber nicht eher wägen,
du habest denn die Waage des göttlichen Urteils
in Erfordernis deines Herzens.
So du aber einen Spott willst machen
aus dem Wucher des heiligen Glaubens,
so wird man dich in deinem Untergang verspotten.
Wie wollte es sich finden, wie die Schrift-Diebe sagen,
man soll schlicht glauben der Schrift ohne alle Erfindung
des sichersten Zeugnisses des Geistes
und sich verkriechen in allem geldgierigen Wandel,
durch welchen die Gottlosen ineinander
wie Krötenlaich hängen.
Es kann vor dem Wucher und vor Abgaben und Zinsen
niemand zum Glauben kommen.
Der Schade der Welt wird je länger je breiter und weiter,
dass dem menschlichen Glauben der Weg verschlossen ist.
Die vernünftigen Urteile sind
auf diese Weise nicht zu erschließen.
So wir uns nicht in kurzer Zeit bessern,
haben wir auch die natürliche Vernunft verloren
von unserm Eigennutz wegen,
den wir doch alle auf fleischliche Lüste wenden.
Darum hieß Johannes der Täufer
das Volk mit den Schriftgelehrten Otterngezücht,
darum, dass eitel Gift daraus wird,
wenn man wollüstigen Menschen vorpredigt.
Sie erlesen das ärgste vom besten,
wie denn die jetzigen Christen
mit dem teuren Glauben getan haben.
Es wäre ihnen besser gewesen,
sie wären mit ihren Vätern Heiden geblieben.
Was ihnen vorgepredigt wird,
das sagt man den Schweinen im Kot.
Sie laufen ins Moor und ersticken.
Man sage ihnen, wie viel es sei oder wie doch sei
zum Glauben zu kommen, so hilft es doch ganz und gar nichts.
Sie entschuldigen sich mit ihren lahmen, schalen Fratzen:
Ja, wir sind arme Sünder.
Hat doch Christus die Sünder nicht verachtet;
wie verachtet uns dann dieser pharisäischer Geist?
Ich sage ihnen vom Glauben, den sie gestohlen haben;
so antworten sie mir mit Sünden, sich zu entschuldigen,
und mit ihrem Schein des Glaubens und der Liebe,
sich zu rechtfertigen, nachdem sie
die Heimsuchung Gottes verleugnen.
Denn sie wollen nicht anziehen das Heil der Seligkeit
durch den Mund aller Propheten von Anbeginn.
Deshalb werden sie leer gelassen
ohne Glauben und Liebe,
welcher sie sich doch aufs tapferste rühmen,
und haben nicht einen Trümmer davon,
nachdem sie also hübsch heucheln können,
dass ein jeder zu den Heiligen schwöre,
sie wären fromme Christen,
und sind aller Tücken voll,
die den Glauben an allen Orten zu Boden stoßen.
Wie ist es möglich, dass der göttlichen Glauben habe,
der aller Lügen voll ist, wie die Schrift-Diebe
die ganze Welt voll machen?
Christus ist darum von der reinsten Jungfrau
durch den Heiligen Geist empfangen,
auf dass wir den Schaden der Sünde
mit all seiner Ankunft erkennen sollen.
Denn er ist durch unserer ersten Eltern
durch Lüste der Frucht
des verboten Holzes hergekommen.
Denn der menschliche Leib ist darüber verrückt,
davon auch alle leiblichen Lüste
Verhinderung der Wirkung des Heiligen Geistes sind.
Denselben Schaden zu erkennen und vermeiden
mit ernstem Entsagen sind alle Tage des Menschen
schier zu kurz. Wenn einer nun zu solcher Sache nachlässig
und mit aller Üppigkeit will sehen
wie ein salziges Angesicht und gleich sich stellen,
wie einer, der gespien hätte und sagt ohne allen Unterlass:
Glaube, glaube, dass dir der Rotz von der Nasen tropft!
der ist den Schweinen und nicht den Menschen zugehörig.
Es schwatze ein jeder vom Glauben, was er will,
den wollüstigen Ehrgeizigen ist ganz und gar nichts zu glauben,
denn sie predigen, was sie selber nicht versucht haben.
Darum spricht Christus, die Schafe sollen nicht hören
die Stimmen der Fremdlinge. Der Glaube ist ihnen fremd
und sie ihm, denn das Heil ist weit von ihnen.
Deshalb sind sie auch Tiere des Bauches.
Sie predigen, was sie wollen,
dennoch suchen sie den Bauch.
Oho! den zu erhalten, nehmen sie gern
rote Gulden mit großer Andacht.
Sie bedürften kaum das hundertste Teil,
dennoch wollen sie unsere Evangelisten sein.
Darum hat ihre Lehre auch keine Kraft.
Ihre Lehre will ganz und gar nicht ins Werk
als nur zur Freiheit des Fleisches.
Darum vergiften sie dem Heiligen Geist
die Heiligen Schrift.
Man hört zu etlichen Zeiten sie wohl
auf der rechten Bahn einher treten.
Es währt aber nicht lang.
Es kann sich niemand ihrer bessern,
denn ihr Lehre ist gestohlen.
Darum geht niemand dadurch in sein Herz.
Johannes ist aber ganz ein anderer Prediger,
ein bezeugender Engel Christi,
in einem jeden rechten Prediger angezeigt.
Das Lob muss ein jeder haben wie Johannes,
nicht von der Werke Verdienst,
sonder von des Ernstes wegen,
den die tapfere Nüchternheit gebiert,
der sich zur Entfremdung der Lüste erstreckt,
da die Kräfte der Seele entblößt werden,
auf dass der Abgrund des Geistes erscheine
durch alle Kräfte, da der Heilige Geist
sein Einreden tun muss.
In solcher Entblößung muss ein Prediger
durch wunderliche Weise von Jugend auf
im Untergang seins Willens getrieben sein.
Darum ward Johannes zur Figur aller Prediger,
im Mutterleib geheiligt.
Paulus sagt, dass er vom Mutterleib dazu verordnet sei,
die unschätzbaren Reichtümer Christi zu verkündigen.
Aus solchem Grund müssen die Prediger wissen,
wer sie pflegt auszusenden in die Ernte,
zu welcher sie Gott vom Anfang ihres Lebens geschliffen hat,
wie eine starke Sense oder Sichel.
Es kann ein jeder dies Amt nicht versorgen,
wenn er auch gleich alle Bücher gelesen hätte.
Er muss erst wissen die Sicherheit seines Glaubens,
wie die gehabt, die die Schrift geschrieben haben.
Sonst ist es ein Diebesgeschwätz und ein Wortkrieg.
Es will sich dermaßen nimmermehr fügen
der unverschämten Verteidigung der bösen Erzheuchler,
die da gütiger denn Gott sein wollen,
zu verteidigen die gottlosen, verfluchten, falschen Prediger.
Sie sprechen, ein Pfaffe sei gut oder böse,
dennoch mag er Gottes Geheimnis handeln
und das rechte Wort predigen.
Diese verkehrten Verteidiger der Gottlosen,
ihrer Genossen (eine Krähe hackt der andern
die Augen nicht aus), sind offenbarlich verstockt
gegen den klaren, hellen Text, da Gott sagt
wohl von einem geringeren Urteil:
Ich bin dem Gottlosen nicht hold.
Du sollst seine Sache nicht schmücken.
Danach irren sie noch viel gröber gegen den Psalm,
da von der Verordnung der Knechte Gottes
und von seinem Wort geredet wird.
Und Gott sagt zum gottlosen Prediger:
Wer hat dich geheißen, meine Gerechtigkeit predigen?
Und du nimmst meinen bezeugten Bund in deinen Mund
und hast die Zucht gehasst.
Wie er sollte sagen: Willst du meinen lieben gekreuzigten Sohn
der Welt um deines Bauchs willen predigen
und weißt nicht, wie man ihm muss gleichförmig werden?
Du hast die Kunst Gottes nicht gelernt
und du willst anderer Leute Schulmeister sein?
Deshalb muss der gelassenste Mensch
von Gott erweckt werden aus der Wüstenei seines Herzens,
hervorbrechen und eifern unter den wollüstigen Zärtlingen,
die viel härter sind den Diamanten,
die Wahrheit anzunehmen.
Durch ein bewährtes Leben muss er,
das Kreuz von Jugend auf erkannt,
andern eröffnen und schreien in den elenden, wüsten,
irrenden Herzen der Gottesfürchtigen,
die da jetzt anfangen zu wachen nach der Wahrheit.
Ach, sie wollten gerne recht glauben,
wenn sie nur recht möchten antreffen.
Solcher Leute Begierde ist beschrieben im Psalm:
O Gott, mein Gott, vom Licht wegen
hab ich auf dich gewartet.
Meine Seele dürstet nach dir.
Ach, wie hat sich mancherlei Weise
mein Fleisch bemüht im wüsten Land ohne Weg und Wasser,
da erkannte ich mich, dass ich deine Stärke
und deinen Lobpreis also erfahren musste.
Also muss die Kraft Gottes erlangt werden
in der Überschattung Gottes.
Man mag sich billig der rechten Prediger freuen,
dass sie Gott zu unserer Zeit auf die Erde geben wollen,
auf dass das rechte Zeugnis des Glaubens
an den Tag komme. Darum sagt dieser Text:
Es werden sich seiner viele freuen.
Die Herzen werden erregt von ihrer Nachlässigkeit,
welche sie macht verharren im Unglauben,
abzustehen von demselben
und sich im rechten Glauben zu befleißigen
durch das einmütig gefundene Zeugnis Christi.
Du musst hier den ganzen Kontext
ein Wort beim andern im Gedächtnis haben,
willst du mich anders vernehmen,
was ich sage vom Glauben und seiner Unmöglichkeit.
Es findet der auserwählte Freund Gottes
eine wundersame überschwängliche Freude,
wenn sein Mitbruder auch also durch solchen gleichen Weg
zum Glauben gekommen ist wie er.
Darum gibt die Mutter Gottes Zeugnis Elisabeth
und sie wiederum ihr. Also müssen wir auch tun.
Paulus und Petrus besprachen sich.
Sie überlegten das Evangelium,
welches Petrus durch die Offenbarung des Vaters hatte
und Paulus durch himmlische Eröffnung,
wiewohl es dem giftigem schwarzen Kolkraben spöttisch ist,
wie ihr in seinem Lästerbuch seht.
Es wird in kurzer Zeit dazu kommen,
den Glauben so zu brechen,
wie ein jeder dazu gekommen ist.
Das machte wohl eine rechte christliche Kirche,
die Gottlosen von den Auserwählten zu sondern.
Darum, dass sie durch den Unglauben
nie traurig geworden und ihn auch nie erkannt haben,
was sollen sie denn vom rechten Glauben wissen?
Die jetzige Kirche ist zumal eine alte Hure dagegen,
welche soll noch mit dem inbrünstigen Eifer
angerichtet werden, wenn nun das Unkraut
die Wurfschaufel muss erdulden.
Die Zeit aber der Ernte ist allezeit da.
Liebe Brüder und Schwestern, das Unkraut
schreit jetzt an allen Orten, die Ernte sei noch nicht da.
Ach, der Verräter verrät sich selber.
Die rechte jetzige Christenheit
wird den rechten Schwang
nach allem Ärgernis gewinnen,
denn die Besserung folgt dem Ärgernis
nach der Erstattung des Schadens
und der Pein des Unglaubens.
Das Evangelion wird viel höher ins Wesen kommen
als zu den Zeiten der Apostel.
Es werden von vielen Ländern
und fremden Nationen mannigfaltige Auserwählte
uns faulen, nachlässigen Christen
hoch überlegen sein. Ach, liebe Herren,
seid mit eurem tollen Glauben nicht also kühn,
dass ihr alle Leute (außer euch allein) dem Teufel übergebt,
wie ihr denn stets gewohnt seid.
Denn das Verteufeln hebt sich nun aufs höchste an
durch die geldgierigen Evangelisten,
die ihren Namen also hoch aufwerfen.
Sie meinen, es sei keiner ein Christ,
er muss denn ihren buchstäblichen Glauben annehmen.
Seht, wie vorzeiten von der Menge der Heiden
Judengenossen aufgenommen wurden,
Rahab von Jericho, ein Weib Salmas,
welcher von ihr gebar Boas,
Naaman von Syrien ward durch Elisa
angenommen zum Glauben,
Hiob von den Edomitern von Gott erwählt,
Jethro durch Moses, Cornelius von Petrus.
Der Amtmann vom Herrn Jesus
ward Israel weit vorgesetzt
um des großen Glaubens willen.
Das heidnische Weib ward weit vorgesetzt
den Juden zu Jerusalem.
Darum sind ihrer viele, die von wilden, fremden Heiden
sollen aufgenommen werden,
den falschen Schrift-Dieben zu Schanden.
Da sie sich, wie ich von ihnen gehört,
über die Maßen sehr verwundern an unserm Glauben,
und unsere lose Frechheit hält sie zurück.
Sie werden oft hoch bestürzt
durch übervernünftige Bekümmernis,
und also sicher, dass sie zum ewigen Leben
geneigt und verordnet sind. Es gebricht ihnen
am rechten Zeugnis des Glaubens, wie auch uns allen.
Sonst würden unzählig viele Heiden und Türken
Christen werden. Das kannst du wohl abnehmen,
wenn ein Jude oder Türke unter uns sollte sein
und sollte durch diesen Glauben,
den wir noch zur Zeit haben, gebessert werden.
Da sollte er wohl viel Gewinn treiben,
als viel eine Mücke auf ihrem Schwanz mag wegführen,
ja, noch viel weniger. Denn es ist kein Volk unter der Sonne,
das sein eigenes Gesetz also erbärmlich verketzert,
verflucht und verunehrt wie die jetzigen Christen.
Und sonderlich die buchstäblichen Bösewichter
geben wichtige Ursache zum Schlimmsten
und wollen doch nichts desto weniger
alle Welt rechtfertigen. Sie glauben doch nicht,
dass ihnen Gott möchte eines Heller Wert
Gutes bescheren oder geben.
Darum sind alle Winkel voll Wucherer und Verräter.
Und die der Christenheit sollten am höchsten vorstehen,
darum sie auch Fürsten heißen,
beweisen am allerhöchsten ihren Unglauben
mit allen Sachen und Anschlägen,
dass sie sich vor ihren Genossen fürchten, recht zu tun.
Sie meinen, sie würden vertrieben,
wenn sie bei der Wahrheit stünden,
die sie schlecht zum Schein angenommen haben,
dieweil keine Verfolgung auf sie gefallen.
Wollen auch die Allerchristlichsten genannt sein
und gaukeln hin und her, die Gottlosen,
ihre Genossen, zu verteidigen;
und sprechen aus dem Bart, sie wollen nicht wehren,
wenn ihre Untertanen von ihren Nachbarn
ums Evangelium verfolgt werden.
Sie wollen nur schlechte Diebeshenker
und gute, prächtige Büttel sein.
Die frommen Leute, ihre Pfaffen,
die ihnen das Evangelium predigen, freien alte Weiber
mit großen Reichtümern.
Denn sie haben Sorge, sie müssen zuletzt nach Brot gehen.
Ja, wahrlich, es sind feine evangelische Leute,
sie haben gar einen festen, starken Glauben.
Er sollte wohl zutreffen, wer sich auf ihre scheinbare Larve
und Geschwätz mit ihrem mönchischen Abgott verließe,
denn sie pochen gar sehr darauf
und putzen ihren buchstäblichen Glauben viel höher,
als niemand sagen kann.
Ich sag es euch, allerliebste Brüder und Schwestern,
es ist mir nicht zu verschweigen:
Ich wollte eher Heiden, Türken und Juden unterrichten,
mit dem allergeringsten Wort von Gott
und seiner Ordnung zu reden.
Denn die klügsten Schrift-Diebe leugnen solches zu Boden,
auf dass an ihnen wahr werde, was Judas und Petrus
in ihren Sendbriefen sagen: was sie wissen
wie die unvernünftigen Tiere, darin verderben sie sich,
ja, sie verwerfen es ganz und gar.
Sie haben vor ihrem tollen Glauben weder Sinn noch Witz
und verlästern alle Dinge, die sie nicht wollen annehmen,
wollen es weder hören noch sehen,
wenn ich sie freundlich ermahnt habe
zum Anfang der Bibel.
So muss ihnen alles Schwärmerei sein.
Darum sag ich, wollt ihr den Anfang der Bibel
nicht recht lernen, so werdet ihr weder Gott
noch Kreaturen recht verstehen und verordnen.
Und Gott wird euch durch der Heiden Wachstum
aufs äußerste zuschanden machen,
dass euch die Nachkömmlinge anspeien werden,
wenn eurer wird gedacht werden.
Wenn nun unser Schriftgelehrten schon wollen grunzen
und heftig zürnen mit ihren sterblichen Abgöttern,
so finden sie doch ihren Irrtum in diesem Evangelium
mit Vergleichung der ganzen Heiligen Schrift.
Jesus ward in Galiläa zu Nazareth empfangen
und ward daselbst aufgezogen.
Die Evangelisten haben es ganz eigentlich beschrieben.
So jemand ein gutes Monotessaron daraus macht,
so findet er es auf klarste,
nicht ohne treffliche, mächtige Ursache,
wie ein jeder sieht im Evangelium Johannes.
Die tollen, tobenden, unsinnigen Schrift-Diebe
gedachten in ihrem fleischlichen Gehirn,
dass Jesus von Nazareth keinerlei Weise k
önnte Christus sein, darum,
dass er in Galiläa erzogen war.
Sie hielten sich nach der Schrift
ohne den Geist der Schrift,
wie die Gottlosen auf den heutigen Tag pflegen.
Sie straften den armen Nikodemus
um seines einfältigen Glaubens willen.
Sie wiesen ihn auf die Schrift hin
und meinten, sie hätten es getroffen.
Aber Gott führt sie mit der Nase umher.
Darum vermochten sie die Schrift
nicht vor großer Blindheit zusammen
allenthalben zu erfassen und hatten keine Acht
auf das wunderliche Werk Gottes,
wie jetzt unsere neidischen Fantasten
das Volk verführen zu aller Üppigkeit,
wie ein jeder vor Augen sieht.
So doch solches zu verhüten die Heilige Schrift
zum einigen Trost hier auf Erden
uns Nachlässigen gelassen ist.
Wäre den Schriftdieben die Schrift
nicht ums Bauches willen lieb gewesen,
sie hätten wohl gekonnt durch Daniel
die Zeit der Geburt Christi wissen
und durch Micha die Stadt mit dem Geborenen heimgesucht
und durch Jesaja und andere mögen erkunden
das Aufziehen unseres Heilands.
Es war alles darum zu tun (wie jetzt der Welt),
dass Christus eine verächtliche Person war,
von armen Eltern.
Und er wollte dennoch die großen Pausbacken,
die wollüstigen Menschen, zu viel unterrichten
und zu viel strafen, da er die Weisheit
seines himmlischen Vaters also klar predigte,
dass sie nicht konnten dagegen sein,
und tat solche Wunderwerke,
die sie nicht konnten verwerfen.
Da sagt einer zum andern:
Woher kommt diesem die Weisheit und Kraft?
Er ist eines Zimmermanns Sohn.
Heißt nicht seine Mutter Maria?
Woher kommt ihm dann dies alles?
Und sie ärgerten sich an ihm.
Also tun die Gottlosen bis auf den heutigen Tag,
wenn jemand ihre Larve, ihr Gepränge,
ihre falsche, superkluge Weisheit straft.
Oh, wie oft hat sich das ewige Wort geschwunden
in die auserwählten Menschen
zu unserm Nazareth in der Christenheit,
das ist in die blühenden Auserwählten,
die da grünen und süß blühen
in der Weisheit des Kreuzes,
und es hat sie ein jeder wollüstiger Leisetreter
für toll und unsinnig gehalten.
Das ist der Welt böse Sitte, da sich soll bessern,
da ärgert sie sich aufs allerhöchste.
Ach, ihr Allerliebsten, da ist die Weisheit des Kreuzes,
mit welcher Gott seine Auserwählten grüßt.
Da muss einer sich an der ganzen Welt nicht ärgern
und sieht in keinem Winkel etwas Gutes
und die ganze Welt ärgert sich an der Wirkung
des besten Gutes und sagt, es sei ein teuflisches Gespenst.
Über die Maßen würden die Auserwählten
voll der Huld Gottes werden,
wenn sie am selbigen Ort ihren Willen ließen sausen
und um Gottes willen räumten die Stätte.
Darum sagt Christus mit hellen Worten:
Wer da tut den Willen meines Vaters,
der ist meine Mutter.
Er hat um unser willen seine Mutter am Kreuz aufgegeben
und sie als unsere Mitgenossin dargestellt.
Wir verschrecken auch vor Gottes Gruß wie sie,
wenn uns Gott mit der Menschwerdung
seines Sohnes vergöttlichen will,
das ist, wenn er unsern Glauben bewährt
wie das Gold im Feuer. Wir gedenken:
Ei, was will daraus werden?
Maria ist nach menschlicher Natur
argwöhnisch gewesen auf den Engel,
wie wir auf rechtschaffene Prediger,
die uns das Kreuz und Unmöglichkeit des Glaubens erklären
und vortragen, zu erkennen,
da doch ist das rechte Reich Davids,
da Christus am Holz regiert
und wir mit ihm gekreuzigt sind:
da ist auch das Haus Jakobs die leere Seele
durch die Zerknirschung ihrer Lenden,
durch das Wegtun ihrer Lüste.
Da gebiert die Kraft des Allerhöchsten
das unmögliche Werk Gottes in unserm Leiden
durch die Überschattung des heiligen Alten Bundes
und wird ganz und gar durchleuchtet vom Licht der Welt,
welches ist der wahrhaftige Sohn Gottes, Jesus Christus.
Die Summe dieses ist von der Stärkung des Geistes
im Glauben, ist nichts anderes,
als dass der allerhöchste Gott, unser lieber Herr,
will uns den allerhöchsten Christenglauben
durch das Mittel der Menschwerdung Christi geben,
so wir ihm gleich werden in seinem Leiden und Leben
durch Überschattung des Heiligen Geistes,
auf welchen also bitterlich fleischlich die Welt flucht
und verspottet ihn aufs gröbste.
Darum wird er allein den Armen im Geiste
(die ihren Unglauben erkennen) gegeben.
Diese Schlussrede wird bestätigt durch alle Worte
des ganzen Kapitels und sonderlich
in den wonnesamen Lobgesängen Marien
und Zacharias, in welchen von der herzlichen Barmherzigkeit
also klar geredet wird, welche durch den Geist
der Furcht Gottes kommen wird.
Das ist der heilige Bund, den Gott Abraham
und uns allen zugeschworen hat, zu halten,
ihm zu dienen in Heiligkeit und in Gerechtigkeit,
die da vor ihm in Wahrheit recht gelten wird.
Wer Gott nicht recht fürchtet,
kann auch von Tag zu Tag nicht erneuert werden
in der Erkenntnis Gottes,
welche ihm doch vonnöten ist, zu vernehmen
den Glauben und das Werk Gottes in sich,
kann auch den Glauben nicht lernen.
Weil solches verachtet ist, darum ist der Glaube
also seltsam, welchen Gott in der Anfechtung geben
und vermehren will. Dazu helfe euch der Geist Christi.
DRITTER GESANG
Schutzrede und Antwort wider das geistlose,
sanft lebende Fleisch zu Wittenberg,
welches mit verkehrter Weise durch den Diebstahl
der Heiligen Schrift die erbärmliche Christenheit
also ganz jämmerlichen besudelt hat.
Dem durchlauchtigsten, erstgeborenen Fürsten
und allmächtigen Herrn Jesus Christus,
dem gütigen König aller Könige, dem tapferen Herzog
allen Gläubigen, meinem gnädigsten Herrn
und getreuem Beschirmer und seiner betrübten, einzigen Braut,
der armen Christenheit. Aller Lobpreis, Name, Ehre und Würde,
Titel und alle Herrlichkeit sei dir allein,
du ewiger Gottessohn, nachdem dein Heiliger Geist
vor den gnadenlosen Löwen, den Schriftgelehrten,
allezeit solches Glück gehabt, dass er müsste
der allerschlimmste Teufel sein,
wiewohl du ihn ohne Maßen von Anbeginn hast,
und alle Auserwählten haben ihn
von deiner Fülle bekommen,
und er in ihnen also wohnt.
Du gibst ihn allen, die dir entgegenlaufen,
nach dem Maß ihres Glaubens.
Und wer ihn nicht hat, dass er seinem Geist
untrüglich Zeugnis gebe, der ist dir, Christus, nicht zugehörig.
Das unüberwindliche Zeugnis hast du.
Deshalb ist es nicht ein großes Wunder,
dass der ehrgeizigste Schriftgelehrte Doktor Lügner
je länger je weiter zum hoffärtigen Narren wird
und sich mit deiner Heiligen Schrift
ohne alles Absterben seines Namen und Gemachs
bedeckt und aufs betrügerischste behilft
und nichts weniger will mit dir zu schaffen haben,
gleichwie er deine Urteile
(durch dich, die Pforte der Wahrheit) erlangt hätte,
und ist also frech vor deinem Angesicht
und verachtet zu Boden deinen richtigen Geist.
Dann er meldet sich deutlich unwiderruflich,
dass er aus tobendem Neide
und durch den bittersten Hass, mich,
dein erworbenes Glied in dir,
ohne redliche, wahrhaftige Ursache
vor seinen höhnischen, spöttischen, grimmigen Mitgenossen
zur Lächerlichkeit macht und vor den Einfältigen
zur Ärgernis einen Satan oder Teufel schilt
und mit seinem verkehrten, lästerlichen Urteil
schmäht und spottet.
In dir bin ich aber wonnesam
und hiergegen deines milden Trostes ganz voll gesättigt,
wie du auch deinen herzlichen Freunden
ganz holdselig vorgetragen hast, sagend:
Der Schüler hat es nicht besser als der Meister.
So sie nun dich unschuldigen Herzog
und tröstenden Seligmacher also lästerlich haben
Beelzebub geheißen, wie viel mehr mich,
deinen unverdrossenen Landsknecht,
nachdem ich mich über den schmeichelnden Schelmen
zu Wittenberg geäußert habe
und deiner Stimme gefolgt bin.
Ja, es muss also gehen, wo man die sanftlebenden
Gutmenschen im erdichteten Glauben
und in ihren pharisäischen Tücken
nicht will lassen recht haben.
Sie ließen sich auch dünken, gelehrter zu sein als du
und deine Schüler.
Ja, sie waren mit ihrem buchstäblichen Trotz wohl gelehrter,
als der Doktor Luder nimmermehr werden kann,
sie hätten auch Geschrei und Namen genug in aller Welt.
Es war dennoch nicht recht,
dass sie gegen dich mit ihrem Verstand protestierten
und wollten es mit der klaren Schrift gegen dich beweisen,
wie sie denn dem Nikodemus vorgeworfen
und vom Sabbat sagten.
Sie zogen die ganze Schrift gegen dich,
aufs allerhöchste, dass du darum solltest und müssest sterben,
dass du dich frei bekennst als Sohn Gottes,
vom ewigen Vater geboren, wie wir von deinem Geist.
Darum sprachen sie: Wir haben ein Gesetz,
nach dessen Inhalt muss er sterben!
Denn sie hatten den Text auf dich gezerrt
und mochten sich auch nicht weiter umsehen im selben,
in allem Maß wie jetzt mir
der verschmitzte Schrift-Dieb tut.
Da die Schrift aufweist am höchsten,
verspottet er mit inbrünstigem Neid,
nennt den Geist Gottes einen Teufel.
Die ganze Heilige Schrift sagt nicht anders
(wie auch alle Kreaturen)
als vom gekreuzigten Sohn Gottes,
deshalb er auch selber anfing von Mose
durch alle Propheten zu eröffnen sein Amt,
dass er musste also leiden
und eingehen in die Herrlichkeit seines Vaters.
Dies ist klar beschrieben von Lukas.
Und Paulus sagte auch, dass er nicht anders
als Christus den Gekreuzigten predigen könne.
Nachdem er das Gesetz Gottes tiefer erforscht hatte
als alle seine Mitgenossen,
möchte er doch nichts anders darinnen finden
als den leidenden Sohn Gottes, welcher sagt,
dass er nicht gekommen wäre, das Gesetz aufzuheben
oder den Bund Gottes zu zerreißen,
sondern vielmehr zu erklären und zu erfüllen.
Es möchten dies alles die gehässigen Schriftgelehrten
nicht erkennen, dann sie erforschten nicht die Schrift
ganz aus ihrem Herzen und Geist,
wie ihnen doch gebührte
und Christus ihnen auch befahl.
Sie waren darin gelehrt wie die Affen,
wollen dem Schuster die Schuhe nachmachen
und verderben das Leder. Ei warum?
Sie wollen des Heiligen Geistes Trost vernehmen
und sein ihr Leben lang durch Traurigkeit des Herzens
auf ihren Grund nie kommen, wie es sich doch gebührt,
soll anders das rechte Licht leuchten in der Finsternis
und uns dadurch das Gewalt geben, Kinder Gottes zu sein,
wie klar beschrieben ist.
So nun Christus schon also angenommen
durch den Alten und Neuen bezeugten Bund Gottes
gepredigt ohne Eröffnung des Geistes würde,
könnte ein viel ärger verwickeltes Affenspiel daraus werden
als mit den Juden und Heiden,
wie ein jeder jetzt vor hellsichtigen Augen sieht,
dass die jetzigen Schriftgelehrten nicht anders tun
als vorzeiten die Pharisäer,
rühmen sich der Heiligen Schrift,
schreiben und klecksen alle Bücher voll
und schwatzen immer je länger je mehr: Glaube, glaube!
und leugnen doch die Ankunft des Glaubens,
verspotten den Geist Gottes
und glauben gar überall nichts, wie du siehst.
Es will ihr' keiner predigen,
er hab dann 40 oder 50 Gulden.
Ja, die besten wollen mehr dann hundert
oder zweihundert Gulden haben.
Da wird an ihnen wahr die Weissagung Micha:
Die Pfaffen predigen um Lohns willen
und wollen Ruhe und gutes Gemach haben
und die allergrößte Würdigkeit auf Erden,
und sich dennoch wissen zu rühmen,
sie verstehen den Ursprung
und treiben doch wider ihn das allerhöchste Gegenteil,
darum, dass sie den richtigen Geist
einen irrigen Geist und Satan schelten
mit dem Deckel der Heiligen Schrift,
wie es Christus widerfuhr,
da er durch seine Unschuld den Willen
seines Vaters verkündigte,
welcher den Schriftgelehrten viel zu hoch
und verdrießlich war.
Du findest es nicht anders bis auf den heutigen Tag.
Wenn die Gottlosen durchs Gesetz beschlossen werden,
sagen sie mit großer Leichtfertigkeit:
Ha, es ist aufgehoben!
Wenn es aber ihnen recht erklärt wird,
wie es im Herzen geschrieben
und wie man durch Anweisung desselben
Achtung haben muss, zu betrachten
die richtigen Gänge zum Ursprung des Glaubens,
da überfällt der Gottlose den Gerechten
und trägt Paulus hervor mit einem solchen Tölpel-Verstand,
dass es den Kindern auch zum Puppenspiel wird.
Noch will er der Klügste auf Erden sein,
dass er sich auch rühmt, er hab keinen seinesgleichen.
Darüber nennt er alle armseligen Menschen
die Schwimmelgeister und mag nicht hören,
so man das Wort Geist redet oder liest.
Er muss den klugen Kopf schütteln,
der Teufel mag es nicht hören,
so man ihm vom Anfang des Glaubens sagt,
denn er ist herausgestoßen.
Darum hat er den Gebrauch der Täuschungen.
Im höchsten Alphabet der Musik
singt er aus Paulus, man soll sich mit solchen hohen Dingen
nicht bekümmern, sonder gleichmachen den Geringen.
Da schmeckt ihm der Brei, nicht anders.
Es graut ihm vor der Suppe zum Frühmahl.
Er spricht, man soll einfältig glauben,
und sieht nicht, was dazu erforderlich ist.
Darum sag Salomo von einem solchen Menschen,
dass er ein Stocknarr ist, wie geschrieben steht:
Dem Narren ist die Weisheit Gottes viel zu hoch.
Christus fing an von Ursprung wie Mose
und erklärt das Gesetz vom Anfang bis zum Ende.
Darum sagte er: Ich bin das Licht der Welt.
Sein Predigen war also wahrhaftig
und also ganz wohl verfasst,
dass er die menschlichen Vernunft
auch in den Gottlosen gefangen nahm,
wie der Evangelist Matthäus beschreibt
und auch Lukas zu verstehen gibt.
Aber da ihnen die Lehre zu hoch war
und die Person und das Leben Christi zu gering,
ärgerten sie sich an ihm und seiner Lehre
und sagten aus dem Bart, er wäre ein Samariter
und hätte den Teufel.
Denn ihr Urteil war nach dem Fleisch gerichtet.
Wie es dem Teufel denn daselbst wohl gefällt,
musste es herausplatzen.
Denn sie missfielen der Welt nicht,
welche gern Bruder Sanftleben ist.
Alles, das sie taten, richteten sie an,
dass sie der Welt gefielen.
Also tut mir auch das gottlose Wittenbergische Fleisch,
nun ich durch den Anfang der Bibel
und Ordnung des ersten Unterschieds derselben
strebe nach der Reinheit göttlichen Gesetzes
und durch alle Urteile erkläre die Erfüllung des Geistes
der Furcht Gottes,
ihm auch nicht zulassen will seine verkehrte Weise,
vom Neuen Bunde Gottes zu handeln
ohne Erklärung göttlicher Gebote
und Ankunft des Glaubens, welche erst nach der Strafe
des Heiligen Geistes erkundet wird.
Denn der Geist straft erst nach Erkenntnis des Gesetzes
den Unglauben, welchen niemand erkennt,
er habe ihn denn zuvor beherzigt
also heftig wie der ungläubigste Heide.
Also haben alle Auserwählten vom Anfang
ihren Unglauben erkennt durch Übung des Gesetzes.
Ich setze Christus mit allen seinen Gliedern
zum Erfüller des Gesetzes.
Denn es muss der Wille Gottes und sein Werk
durch Betrachtung des Gesetzes vollführt werden.
Sonst würde niemand den Glauben
vom Unglauben absondern
als nur mit erdichteter Weise,
wie die Juden mit ihrem Sabbat und Schrift taten,
ihren Grund nimmer nicht zu vernehmen.
Ich hab dem tückischen Kolkraben
(welchen Noah in einer Figur aus der Arche ließ fliegen)
nichts anders getan, als dass ich wie eine einfältige Taube
meine Federn geschwungen, durch Silber überzogen,
das siebenmal gefegt
und am Rücken lassen goldfarben werden,
und überflogen und verhasst das Aas,
da er gerne drauf sitzt.
Denn ich will es an die ganze Welt lassen,
dass er den gottlosen Schelmen heuchelt,
wie du siehst im Buch wider mich,
und will sie kurzum verteidigen.
Aus welchem denn klar erscheint,
dass der Doktor Lügner nicht wohnt im Haus Gottes.
Darum, dass der Gottlose durch ihn nicht verachtet,
sondern viele Gottesfürchtige
um der Gottlosen willen Teufel
und aufrührerische Geister gescholten werden,
dies weiß der schwarze Kolkrabe wohl.
Dass ihm das Aas werde, hackt er den Schweinen die Augen
aus dem Haupt, die wollüstigen Leute macht er blind,
darum dass er so hungrig ist,
auf dass er ihrer satt werde an Ehren und Gut
und sonderlich am allergrößten Titel.
Die Juden wollten Christus allenthalben gerne
gelästert und zuschanden machen,
wie mit mir jetzt der Luther vornimmt.
Er schilt mich gar heftig
und wirft mir vor die Güte des Sohnes Gottes
und seiner lieben Freunde,
nachdem ich den Ernst des Gesetzes gepredigt habe,
wie es von der Strafe wegen der geistlosen Übertreter
(wiewohl sie Regenten sein) nicht aufgehoben,
sondern mit dem allerhöchsten Ernst vollzogen werden soll,
wie denn Paulus seinen Schüler Timotheus
und durch ihn alle Seelenwärter unterrichtet,
dem Volk zu predigen. Er sagt klar,
dass es die überfallen soll,
die gegen die gesunde Lehre fechten und streben,
wie niemand verneinen kann,
ist das helle klare Urteil beschlossen.
Und Paulus fällt es auch über den unkeuschen Übertreter.
Wiewohl ich das hab lassen in Druck gehen,
wie ich es vor den Fürsten zu Sachsen hab gepredigt,
ohne alle Hinterlist ihnen das Schwert aus der Schrift gezeigt,
dass sie es sollten brauchen,
auf dass nicht Empörung erwachse.
Kurzum, die Übertretung muss gestraft werden,
es kann weder der Große
noch der Kleine davonkommen.
Gleichwohl kommt Vater Leisetreter, ach,
der durstige Genosse, und sagt,
ich wolle Aufruhr machen,
wie er dann aus meinem Sendebrief
an die Bergarbeiter gelesen.
Eines sagt er, und das Bescheidenste verschweigt er:
Wie ich klar vor den Fürsten ausbreitete,
dass eine ganze Gemeinde Gewalt des Schwertes habe
wie auch den Schlüssel der Auflösung,
und sagte, dass die Fürsten keine Herren,
sonder Diener des Schwertes seien.
Sie sollen es nicht machen, wie es ihnen gefällt,
sie sollen Recht tun. Darum muss auch
aus altem, gutem Brauch das Volk daneben sein,
wenn einer recht richtet nach dem Gesetz Gottes.
Ei warum? Ob die Obrigkeit das Urteil wollte verkehren,
so sollen die umstehenden Christen das verneinen
und nicht leiden. Denn Gott will Rechenschaft haben
vom unschuldigen Blut.
Es ist der allergrößte Gräuel auf Erden,
dass niemand der Bedürftigen Not sich will annehmen.
Die Großen machen es, wie sie wollen.
Der arme Schmeichler will sich mit Christus
in erdichteter Güte bedecken gegen den Text des Paulus.
Er sagt aber, dass die Fürsten sollen getrost
unter die Diebe und Räuber streichen.
Im selben Buch verschweigt er aber
den Ursprung aller Dieberei.
Er ist ein Herold. Er will Dank verdienen
mit der Leute Blutvergießen um zeitlichen Gutes willen,
welches doch Gott nicht auf seine Meinung befohlen.
Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers,
der Dieberei und Räuberei seien
unser Herrn und Fürsten,
nehmen alle Kreaturen zum Eigentum:
die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft,
das Gewächs auf Erden muss alles ihres sein.
Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen
unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten:
Du sollst nicht stehlen. Es dient aber ihnen nicht.
So sie nun alle Menschen verursachen,
den armen Ackermann, Handwerksmann
und alles, das da lebt, schinden und schaben.
So er sich denn vergreift am geringsten, muss er hängen.
Da sagt denn der Doktor Lügner: Amen.
Die Herren machen das selber,
dass ihnen der arme Mann feind wird.
Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun.
Wie kann es auf die Länge gut werden?
So ich das sage, muss ich aufrührerisch sein! Wohlan!
Er kann sich ganz und gar nicht schämen.
Wie die Juden brachten Christus ein Weib,
im Ehebruch begriffen, sie versuchten ihn.
Ob er den Ernst des Vaters wollt übertreten,
hätten sie ihn billig für einen Übeltäter gescholten;
so er aber das Weib ohne Bescheid hätte los gegeben,
so hätten sie gesagt, er wäre ein Verteidiger
der Ungerechtigkeit. Christus hat im Evangelium
durch seine Güte des Vaters Ernst erklärt.
Die Güte Gottes strebt über alle Werke seiner Hände.
Sie wird nicht verrückt durch die Pein des Gesetzes,
welcher der Auserwählte nicht begehrt zu entfliehen.
Wie Jeremia sagt und der Psalmist:
Er will mit Urteil und nicht im Grimm gestraft sein,
welchen Gott von Ewigkeit nie gehabt,
sondern er entsprießt aus der verkehrten Furcht
der Menschen gegen Gott,
die sich von der Pein wegen entsetzen
und nicht ansehen, wie sie Gott durch Betrübnis
in seine Ewigkeit nach aller Pein führe.
Alle Übeltäter der ursprünglichen Misshandlung
der gemeinen Christenheit
müssen durch das Gesetz gerechtfertigt werden,
wie Paulus sagt, auf dass der Ernst des Vaters
die gottlosen Christen aus dem Wege räume,
die der heilsamen Lehre Christi widerstreben,
auf dass die Gerechten Zeit und Raum haben mögen,
Gottes Willen kennen zu lernen.
Es wäre nimmermehr möglich,
dass ein einziger Christ bei solcher Tyrannei
könnte seine Betrachtung wahrnehmen,
so dass das Übel durchs Gesetz zu strafen sollte frei sein
und der Unschuldige sollte sich also lassen peinigen.
Darum, dass sich der gottlose Tyrann behilft
gegen den Frommen, sagend: Ich muss dich martern;
Christus hat auch gelitten; du sollst nicht widerstreben,
das wäre eine große Verderbnis.
Es muss unterschieden werden,
nach dem die Verfolger die besten Christen sein wollen.
Der Teufel hat gar listige Tücken,
gegen Christus und die Seinen zu streben,
jetzt mit schmeichelnder Güte,
wie der Luther mit den Worten Christi
die Gottlosen verteidigt,
jetzt auch mit grimmigem Ernst.
Welchem doch der Finger Christi,
der Heilige Geist, nicht den freundlichen Ernst
des Gesetzes einbildet
und den gekreuzigten Sohn Gottes
durch die ernste Güte zu Eröffnung
göttlichen Willens entgegenhält
mit Vergleichung beider.
Der verachtet das Gesetz des Vaters
und heuchelt durch den teuersten Schatz
der Güte Christi und macht den Vater mit seinem Ernst
des Gesetzes zuschanden
durch die Geduld des Sohnes
und verachtet also den Unterschied des Heiligen Geistes
und verdirbt eines mit dem andern, also lange,
dass schier kein Urteil auf Erden bleibt
und dass Christus allein geduldig sei,
auf dass die gottlosen Christen
ihre weiseren Brüder wohl peinigten.
Christus ward für einen Teufel gescholten,
da er die Juden auf die Werk Abrahams wies
und gab ihnen den allerbesten Unterschied,
zu strafen und zu vergeben.
Zu strafen nach dem rechten Ernst.
Darum hat er das Gesetz nicht aufgehoben,
darum dass er im Johannes sagte:
Ihr sollt ein rechtes Urteil vollführen,
nicht nach dem Angesicht.
Es seien ihnen keine anderen Urteile
als im Gesetz beschrieben, vorgehalten,
zu richten nach dem Geist des Gesetzes.
Also auch mit dem Evangelium zu vergeben,
mit dem Geist Christi zur Forderung
und keiner Verhinderung des Evangeliums
wie mich dann durch solchen Unterschied
der Doktor Lügner zum Teufel machen will
mit seinen Schriftgelehrten, sagend:
Hab ich nicht recht gelehrt
mit meinem Schreiben und Dichten?
Du aber hast keine andere Frucht
als aufrührerisch zu sein.
Du bist ein Satan und ein schlechter Satan.
Siehe du bist ein Samariter und hast den Teufel.
O Christus, ich schätze mich unwürdig,
solches kostbare Leiden mit dir zu tragen
in gleicher Sache. Wiewohl des Widersachers Urteil
viele geneigte, verkehrte Richter hat,
sage ich mit dir dem stolzen, aufgeblasenen,
tückischen Drachen: Hörst du es?
Ich hab den Teufel nicht.
Ich suche durch mein Amt den Namen Gottes zu verkündigen,
Trost den Betrübten, Krankheit den Gesunden.
Und wenn ich spräche, dass ich das wollte lassen
um des bösen Namens willen,
der mir mit Lügen wird aufgelegt,
so wäre ich dir, Doktor Lügner, gleich
mit deinem verkehrten Schmähen und Lästern.
Du kannst doch anders nicht tun,
als dich mit den Gottlosen streiten.
Nun dir aber das geraten ist,
hast du dich an der Bösewichter Statt gesetzt,
die du am schändlichsten hast bewässert.
Nun du vernimmst, es möchte zu tief einreißen,
so willst du deinen Namen, da er am ärgsten ist,
einen andern, dem die Welt vorhin feind ist, auflegen
und dich schön brennen wie der Teufel pflegt,
dass ja niemand deiner Bosheit öffentlich inne werde.
Darum nennt dich der Prophet einen Basilisken,
Drachen und Löwen, darum, dass du mit deinem Gift
jetzt schmeichelst, jetzt tobst
und wütest, wie es deine Art ist.
Der unbefleckte Gottessohn
hat die ehrgeizigsten Schriftgelehrten
dem Teufel die Bewährung verglichen
und uns durch das Evangelium das Urteil zu richten gelassen
mit Verfassung seines unbefleckten Gesetzes.
Ihre Begierden waren zu eitel Totschlagen durstig,
denn sie sagten: So wir ihn lassen bezähmen,
dann werden die Leute alle an ihn glauben.
Es wird ihm das Volk anhängen.
Seht, es läuft ihm schon mit großen Haufen zu.
Werden wir ihn lassen seine Sache also ausführen,
so haben wir verloren, so sind wir arme Leute.
Also kam auch Kaiphas, Doktor Lügner,
und gab einen guten Rat seinen Fürsten.
Da hat er die Sache wohl ausgerichtet.
Er hätte Sorge für seine Landsleute hart bei Allstedt.
Es ist nicht anders in der Wahrheit,
wie mir das ganze Land Zeugnis gibt,
das arme durstige Volk begehrte der Wahrheit also fleißig,
dass auch alle Straßen voll Leute waren
von allen Orten, anzuhören, wie das Amt,
die Bibel zu singen und zu predigen,
zu Allstedt angerichtet ward.
Sollte er auch zerbrechen, so könnte er es
zu Wittenberg nicht tun. Man sieht es
in seiner deutschen Messe wohl,
wie heilig er darauf war.
Welches den Luther also sehr verdross,
dass er zum ersten bei seinen Fürsten zuwege brachte,
dass mein Amt nicht sollte in Druck gehen.
Da nun des wittenbergischen Papstes
Gebot nicht geachtet ward, gedachte er,
harre, der Sache will ich wohl raten,
dass ich die Wallfahrt zu Trümmern verstöre.
Der Gottlose hat einen spitzfindigen Kopf,
solche Dinge auszusinnen.
Denn seine Anschläge waren auch also,
wie du merken kannst, seine Lehre aufzubringen
durch der Laien Hass gegen die Pfaffen.
Hätte er einen zu strafen rechte Liebe gehabt,
so hätte er sich jetzt nicht an die Statt des Papstes gesetzt,
und den Fürsten würde er nicht heucheln,
wie du klar siehst beschrieben im Psalm.
Er hat denselben Psalm gar hübsch von ihm selber
und nicht allein vom Papst verdolmetscht
und will Sankt Peter und Paul zu Bütteln machen,
seine Diebeshenker damit zu verfechten.
Der Doktor Lügner ist aber ein einfältiger Mann,
dass er schreibt, das Predigen soll man mir nicht wehren.
Oder da sollt ihr darauf sehen, spricht er,
dass der Geist zu Allstedt die Fäuste still halte.
Seht, liebe Brüder Christi, ob er nicht gelehrt sei.
Ja, freilich ist er gelehrt, es wird es die Welt noch
in zwei oder drei Jahren nicht inne werden,
welch einen mörderischen, hinterlistigen
Schaden er getan hat. Dass er aber also schreibt,
da will er seine Hände aufs unschuldigste waschen,
dass niemand merken soll, dass er
ein Verfolger der Wahrheit sei,
denn er trotzt darauf, dass sein Predigen darum
das rechte Wort Gottes sei,
dass es also große Verfolgung einträgt.
Es nimmt mich auch sehr wunder,
wie es der unverschämte Mönch tragen kann,
dass er also gräulich verfolgt wird
bei dem guten Bier und bei den Huren.
Er kann nicht anders tun,
als der Schriftgelehrten Art ist.
Um deines guten Werks willen wollen wir dir nichts tun,
aber um der Lästerung willen wollen wir dich
mit Steinen zu Tode werfen.
Also sprachen sie zu Christus wie dieser wider mich,
nicht um des Predigens willen,
sondern um des Aufruhrs willen soll man dich vertreiben.
Allerliebste Brüder und Schwestern!
Es ist wahrlich nicht eine schlechte Sache,
die jetzt zur Zeit umgeht.
Ihr seid zumal ohne Urteil derselben.
Ihr wähnt, so ihr den Pfaffen nicht mehr gebt,
es sei ausgerichtet. Aber ihr wisst nicht,
wie ihr jetzt hundertmal, tausendmal
ärger dran seid als zuvor. Man wird euch fortan
mit einer neuen Logik bescheißen,
mit Täuscherei des Wortes Gottes.
Ihr habt aber dagegen den Befehl Christi.
Den betrachtet von Herzen,
so wird euch keiner betrügen,
er sage oder schreibe, was er will.
Ihr müsst aber eben darauf sehen,
wie Paulus seine Korinther warnt, sagend:
Seht, dass eure Sinne nicht verrückt werden
von der Einfältigkeit Christi.
Diese Einfältigkeit haben die Schriftgelehrten
auf die vollen Schätze göttlicher Weisheit gezogen
gegen den Text Moses, da Gott Adam
durch ein einziges Gebot warnte
vorm zukünftigen Schaden, auf dass er
durch der Kreaturen Lüste nicht zerstreut würde,
sondern sich allein in Gott belustigte,
wie geschrieben: In Gott sollst du dich belustigen!
Eine große Ursache will der Doktor Lügner
gegen mich setzen, wie seine Lehre einfältig ist,
und meint, ich will es alles durchdenken.
Doch ist ihm zuletzt nichts gelegen am Predigen,
denn es müssen Sekten sein,
und bittet, der Fürst solle mir das Predigen nicht wehren.
Ich habe nicht anders gehofft,
er würde mit dem Worte handeln,
mich vor der Welt zu verhören
und sich auf den Plan stellen,
nicht anders als vom Wort handeln.
So dreht er es um und will die Fürsten dazu anhalten,
wie es denn ein angelegter Karren war,
auf dass niemand sagt: Ei, wollen sie
denn nun selber das Evangelium verfolgen?
Sie sollen mich lassen predigen, mir das nicht verbieten,
aber die Hand soll ich stillhalten,
auch im Druck zu schreiben unterlassen.
Ja, das ist eine feine Sache gleich wie mit den Juden,
sagend: Um deiner guten Werke willen tun wir dir nichts,
aber um des Lästern willen.
Die rechten frommen Leute sagten,
wenn einer schon einen Eid täte,
wenn er nicht bei der Gabe des Altars schwört,
so verhindert es gar nichts.
Derselben Tücke brauchten sie gar mächtig viele,
noch waren sie fromme Leute, ja, sie schadeten nicht,
so du nur glaubst, muss man die Schwachen verschonen.
Die Lästerung möchte den Juden nicht zu Herzen gehen,
wie du aus dem Evangelium begreifen kannst.
Auch ging sie das gute Werk überall nicht fast an
wie auch den Luther. Darum warf ihnen Gott vor
das Werk Abrahams. Es war aber in den Juden
ein grimmiger Hass, die sich wollten schön brennen
vor den Leuten, wie jetzt Jungfrau Martin tut,
ach, die keusche babylonische Frau!
Er will es alles von des Worts wegen handeln
und will am Wort nicht anfangen,
meine Sache zu rechtfertigen oder zu verdammen,
nur schlechte Ursache machen bei den Großen,
dass ja niemand meiner Lehre folge,
denn sie ist aufrührerisch.
Wer hier ein reines Urteil haben will,
der muss den Aufruhr nicht lieben,
auch muss er füglich der Empörung nicht feind sein.
Er muss ein ganz vernünftiges Mittelmaß halten.
Sonst muss er meine Lehre anders zu viel hassen
oder zu hoch lieben nach seiner Gelegenheit,
was ich nimmermehr begehren will.
Es wäre wohl förderlicher, dass ich mit guter Lehre
das arme Volk unterrichtete,
als dass ich mich mit dem lästerlichen Mönch
soll in Streit verwickeln, nachdem er will
ein neuer Christus sein,
welcher mit seinem Blut für die Christenheit
viel Gutes erworben hat.
Und denn noch um einer feinen Sache willen:
dass die Pfaffen mögen Weiber nehmen,
was soll ich darauf antworten?
Ich werde vielleicht nichts finden,
als du hast dich allenthalben (wie du dich dünken lässt)
bewahrt. Siehe, wie fein hast du die armen Pfaffen
in der Erklärung Kaiserlichen Ersten Mandats
auf der Fleischbank geopfert, da du sprichst,
es würde über sie ergehen,
auf dass deine angefangene Lehre
nicht gerechtfertigt sollte sein.
Denn mit Heucheln willst du es gerne zulassen,
dass sie immer hinweg genommen würden.
So würdest du dann immer neue Märtyrer gemacht haben
und hättest ein Lied oder zwei von ihnen gesungen.
Dann wärst du zuallererst ein bestätigter Seligmacher geworden.
Freilich würdest du dann auch singen auf deine Weis:
Nunc dimittis, und dass sie dir alle nachriefen:
Mönch, willst du tanzen,
so hofiert dir die ganz Welt.
Bist du aber ein Seligmacher,
so musst du aber wahrlich ein wunderlicher Seligmacher sein.
Christus gibt den Preis seinem Vater und sagt:
So ich meine Ehre suche, so ist sie nichts.
Aber du willst von denen von Orlamünde haben
einen großen Titel. Du nimmst und stiehlst
(wie des Raben Art ist) den Namen von Gottes Sohne
und willst von deinen Fürsten Dank verdienen.
Hast du nicht gelesen, du hochgelehrter Bube,
wie Gott durch Jesaja sagt:
Ich will meinen Preis niemand geben?
Kannst du nicht die guten Leute nennen,
wie Paulus Festus in Geschichte der Apostel?
Warum heißt du sie die durchläuchtigen Fürsten?
Ist doch der Titel nicht ihrer, ist er doch Christi.
Warum heißt du sie hochgeborene?
Ich meinte, du wärest ein Christ,
so bist du ein Erzheide,
machst Jove und Mars aus ihnen.
Vielleicht nicht aus der Scham der Weiber,
sondern aus der Stirn geboren?
Ei, das ist zu viel, zu viel!
Schäme dich, du Erzbube!
Willst du dich mit der irrenden Welt Heucheln flicken
und hast alle Menschen wollen rechtfertigen?
Du weißt aber wohl, wen du sollst lästern:
die armen Mönche und Pfaffen und Kaufleute
können sich nicht wehren,
darum hast du sie wohl zu schelten.
Aber die gottlosen Regenten soll niemand richten,
ob sie schon Christus mit Füßen treten.
Dass du aber den Bauern sättigst, schreibst du,
die Fürsten werden durch das Wort Gottes
zum Scheiterhaufen gehen,
und sagst in deiner Glosse
über das neue Kaiserliche Mandat:
Die Fürsten werden von dem Stuhl gestoßen.
Du siehst sie auch an als Kaufleute.
Du solltest deine Fürsten auch bei der Nasen ziehen,
sie haben es wohl viel höher als die andern verdient.
Was lassen sie abgehen an ihren Zinsen und Schinderei?
Doch da du die Fürsten gescholten hast,
kannst du ihnen wohl wieder Mut machen,
du neuer Papst, schenkst ihnen Klöster und Kirchen,
da sind sie mit dir zufrieden. Ich rate es dir!
Der Bauer möchte sonst zerfallen!
Das du aber willst immer vom Glauben sagen
und schreibst, dass ich unter deinem Schirm und Schutz
will gegen dich fechten, da sieht man
meine Biederkeit und deine Torheit.
Unter deinem Schirm und Schutz bin ich gewesen
wie das Schaf unterm Wolf.
Hättest du daselbst nicht größere Macht
über mich gehabt als anderswo?
Könntest du das nicht bedenken,
was noch daraus erwachsen würde?
Darum war ich in deinem Fürstentum,
dass du keine Entschuldigung haben solltest.
Du sprichst unter unserm Schirm und Schutz.
Oho! wie lässt du dich merken!
Ich meinte, du seist Fürst mit mir!
Was darfst du dich mit dem Schirm und Schutz aufblasen?
Hab ich doch in allen Sendbriefen
seinen Schirm und Schutz nicht wollen haben.
Ich habe begehrt, dass er sein eigenes Volk
nicht wollte scheu machen von des Ziegenstalls wegen
und der heiligen Marien Bildnis.
Darum er wollte in Flecken und Städtchen einfallen
und nicht ansehen, dass die armen Leute
Tag und Nacht mussten in Gefahr sitzen
um des Evangeliums willen.
Meinst du, dass ein ganzes Land nicht weiß,
wie sie schirmen oder schützen?
Gende Gott der Christenheit,
hat sie nicht ihn zum Schützer,
der sie geschaffen hat.
Du sagst, ich sei drei Jahre vertrieben
und herum gelaufen, und sprichst,
ich klage von vielen Leiden.
Siehe, wie es zusammenstimmt!
Du hast mich mit deinen Federn
gegen manchen Biedermann belogen und geschmäht,
wie ich es dir kann nachsagen.
Du hast mich mit deinem Lästermaul
öffentlich einen Teufel gescholten.
Ja, du tust allen Widersachern also.
Was kannst du anders als der Rabe,
der schreit auch nur seinen eigenen Namen aus.
Du weißt auch wohl mit deinem ungebratenen
Laurentius zu Nordhausen, was den Missetätern
schon zu Lohn gegeben, mich zu töten.
Du bist kein mörderischer oder aufrührerischer Geist,
aber du hetzt und treibst wie ein Höllenhund,
dass Herzog Jörg dem Fürsten Friedrich soll ins Land fallen
und also den allgemeinen Frieden aufheben.
Noch machst du keinen Aufruhr.
Du bist die artige Schlange,
die über den Felsen hüpft.
Christus sagt: So sie euch in einer Stadt verfolgen,
flieht in die andern.
Aber dieser Bote, des Teufels Erzkanzler, sagt,
so ich vertrieben bin, sei ich ein Teufel,
und er will es bewähren und erlangt den Verstand
gegen den Heiligen Geist, den er verspottet,
haut darüber sich auf die Backen.
Viel unnützes Gespei und Spott macht er
aus göttlichem Wort und spricht,
ich heiße eine himmlische Stimme
und die Engel reden mit mir.
Antwort: Was der allmächtig Gott mit mir macht oder redet,
kann ich nicht viel Rühmens von machen,
als allein, was ich durchs Zeugnis Gottes
dem Volk aus der Heilige Schrift vorsage,
und will über Gottes Willen
meinen Dünkel nicht predigen. Tu ich es aber,
so will ich mich von Gott
und durch seine lieben Freunde gern lassen strafen
und ihnen erbötig sein, aber dem Spötter
bin ich gar nichts schuldig.
Soll ich doch den Hahn nicht essen,
des gottlosen Spötters Unflat nicht in mich ziehen.
Mich wundert deines rechten Musters,
nachdem du aus dem Harz bist,
möchtest die Geheimnis göttlichen Wortes
nicht ein himmlisches Sackpfeifen heißen?
Da hätte dir dann der Teufel, dein Engel,
dein Lied vor gepfiffen:
Mönch willst du tanzen, so hofieren dir die Gottlosen alle.
Ich sag vom göttlichen Worte
mit seinen mannigfaltigen Schätzen,
welches Mose anträgt, zu lernen,
und Paulus den Römern. Der Psalm sagt,
wie es soll gehört werden von denen,
die sich von ganzem Herzen bekehren
und in der Lehre des Geistes alle Urteile
von der Barmherzigkeit Gottes erstrecken.
Du aber leugnest das rechte Wort
und hältst der Welt nur den Schein vor.
Darum machst du dich gröblich zu einem Erzteufel,
dass du aus dem Text Jesajas ohne allen Verstand
Gott machst zur Ursache des Bösen.
Ist das nicht die grausamste Strafe Gottes über dich?
Noch bist du verblendet,
und du willst doch auch der Welt Blindenführer sein,
und willst es Gott zur Last legen,
dass du ein armer Sünder und ein giftiger Wurm bist
mit deiner beschissenen Demut.
Das hast du mit deinem phantastischen Verstand angerichtet
aus deinem heiligen Augustinus.
Wahrlich eine lästerliche Sache von freiem Willen,
die Menschen frech zu verachten!
Du sagst, ich wollte es stracks mit Gewalt geglaubt haben
und wollte niemand zu bedenken Zeit geben.
Ich sage mit Christus: Wer aus Gott ist, der hört seine Worte.
Bist du aus Gott? Warum hörst du es nicht?
Warum verspottest du es und richtest das,
das du nicht gefunden hast?
Willst du nun erst darauf sinnen,
was du andere Menschen sollst lehren?
Du solltest viel billiger ein Krümmer als ein Richter heißen.
Das wird die arme Christenheit wohl innewerden,
wie richtig dein fleischlicher Verstand
gegen den untrüglichen Geist Gottes gehandelt hat.
Lass dir Paulus das Urteil sagen.
Du hast allezeit mit Einfältigkeit
(durch eine Zwiebel angezeigt, die neun Häute hat)
gehandelt, alles nach der Fuchsart.
Siehe, bist du doch zum Brandfuchs geworden,
der vorm Tage heiß bellt.
Und nun die rechte Wahrheit will aufgehen,
willst du die Kleinen und nicht die Großen schelten,
du tust gleich, wie wir Deutschen sagen:
Du steigst in den Brunnen,
wie der Fuchs in den einen Eimer trat und fraß die Fische.
Danach lockt er dem unsinnigen Wolf in den Brunnen
in dem anderen Eimer. So fährt er empor,
und der Wolf bleibt darunter.
Also werden die Fürsten, die dir folgen, auch bestehen
und die edlen Hähnchen,
welche du an die Kaufleute hetzst.
Hesekiel gibt das Urteil vom Fuchs,
von den wilden Tieren, die Christus Wölfe nennt.
Denen allen wird es gehen
wie den gefangenen Füchsen.
Wenn die Leute werden erst anfangen, aufs Licht zu warten,
so werden die kleinen Hunde
zu den Füchsen ins Loch laufen.
Da werden sie nicht mehr können
als ein wenig vorn ins Maul zu beißen.
Der frische Hund aber schüttelt dem Fuchs das Fell.
Er muss aus dem Loch.
Er hat der Hähnchen genug gefressen.
Siehe, Martin, hast du diesen Braten
nicht gerochen vom Fuchs,
den man zu Herrenhof als einen Hasen
den unerfahrenen Wildschützen gibt?
Du Esau hast es wohl verdient,
dass dich der Jakob vertreibe.
Warum hast du dein Recht
um deiner Suppe willen verkauft?
Hesekiel sagt es dir und Micha:
Du hast die Christenheit mit einem falschen Glauben verwirrt
und kannst sie, nun die Not einhergeht, nicht berichtigen.
Darum heuchelst du mit den Fürsten.
Du meinst aber, es sei gut geworden,
so du einen großen Namen bekommen hast,
und kommst ohne Ende, wie du zu Leipzig
vor der gefährlichsten Gemeinde gestanden bist.
Was willst du die Leute blind machen?
Dir war also wohl zu Leipzig.
Fuhrst du doch mit Nelkenkränen zum Tor hinaus
und trankst den guten Wein beim Melchior Lotter.
Dass du aber zu Augsburg warst,
möchte dir zu keiner Gefahr gelangen,
dann Stupicianum Oraculum stand hart bei dir.
Er mochte dir wohl helfen.
Aber jetzt ist er von dir abgewichen
und ein Abt geworden. Ich hab sicherlich Sorge,
du wirst ihm folgen. Der Teufel
steht wahrlich nicht in der Wahrheit.
Er kann seine Tücke nicht lassen.
Doch er fürchtet sich im Büchlein vom Aufruhr
vor der Prophezeiung seines Gräuels.
Darum sagt er auch von den neuen Propheten
wie die Schriftgelehrten gegen Christus.
Darum hab ich fast das ganze Kapitel
zum gegenwärtigen Urteil genützt.
Paulus sagt von den Propheten:
Ein rechter Prediger muss ja ein Prophet sein,
wenn es die Welt noch also spöttisch dünkt.
Es muss die ganz Welt prophetisch sein,
soll sie urteilen über die falschen Propheten.
Wie willst du die Leute beurteilen,
so du dich im Mönchsgewand des Amts entäußerst?
Dass du sagst, wie du mich aufs Maul geschlagen hast,
redest du die Unwahrheit. Ja, du lügst
in deinen Hals tief. Bin ich doch in sieben Jahren
nicht bei dir gewesen. Hast du aber die guten Brüder
zu Narren gemacht, die bei dir gewesen sind,
das muss freilich an den Tag kommen.
Es wird sich auch anders nicht reimen.
Du solltest die Kleinen nicht verachten.
Über deinem Rühmen möchte einer wohl entschlafen
vor deiner unsinnigen Torheit.
Dass du zu Worms vorm Reich gestanden bist,
Dank hab der deutsche Adel,
dem du das Maul also wohl bestrichen hast
und Honig gegeben. Denn er wähnte nicht anders,
du würdest mit deinem Predigen
heimliche Geschenke geben, Klöster und Stifte,
welche du jetzt den Fürsten verheißt.
So du zu Worms hättest gewankt,
wärst du eher erstochen vom Adel worden
als freigegeben. Weiß es doch ein jeder!
Du darfst es wahrlich dir nicht zuschreiben,
du wolltest denn noch einmal dein edles Blut,
wie du dich rühmst, darum wagen.
Du gebrauchst daselbst mit den Deinen
wilde Tücke und List. Du ließest dich
durch deinen Rat gefangennehmen
und stellst dich gar unleidlich.
Wer sich auf deine Schalkheit nicht verstände,
schwüre wohl zu den Heiligen,
du wärst ein frommer Sankt Martin.
Schlaf sanft, liebes Fleisch!
Ich röche dich lieber gebraten in deinem Trotz
durch Gottes Grimm im Hafen
oder Topf beim Feuer.
Dann, in deinem eigen Sud gekocht,
sollte dich der Teufel fressen.
Du bist ein Esels-Glied,
du würdest langsam gar werden
und ein zähes Gerichte werden
deinen Milchmäulern.
Ihr allerliebsten Brüder und Schwestern in Christus!
Ich bin zum Anfang des Streites müde geworden
um des Ärgernisses des armen Haufens wegen.
Hätte aber mich Doktor Lügner predigen lassen
oder mich vorm Volk überwunden
oder seine Fürsten, da ich zu Weimar vor ihnen war,
mich lassen richten, da sie mich durch Antragen
desselben Mönchs fragten,
so wollte ich viel lieber dieser Sache
müßig gegangen sein.
Es ward endlich beschlossen, der Fürst
wollte den ernsten Richter zum Jüngsten Tag
die Sache lassen hinausführen.
Er wollte den Tyrannen nicht wehren,
die ums Evangelium willen wollten in seine Pflege fallen.
Es wäre fein, wenn es auch dem Gericht befohlen würde.
So würden es die Bauern wohl sehen.
Es wäre ein feines Ding, dass man es alles
aufs Jüngste Urteil bezöge.
So hätten die Bauern auch gute Sache.
Wenn sie sollten recht tun, sprächen sie:
Ich spare es für den Richter.
Aber die Rute der Gottlosen ist dazwischen das Mittel.
Da ich heimkam von dem Verhör zu Weimar,
meinte ich zu predigen das ernste Wort Gottes.
Da kamen meine Ratsherren
und wollten mich den höchsten Feinden
des Evangeliums überantworten.
Da ich das vernahm, war meines Bleibens nimmer.
Ich wischte meine Schuhe von ihrem Staub,
dann ich sah mit meinen hellsichtigen Augen,
dass sie viel mehr ihre Eide und Pflichten
als Gottes Wort achteten.
Sie nahmen sich vor, zwei Herren zu dienen,
so ihnen doch Gott beistand, der sie erlöst hat
aus der Gewalt des Bären und Löwen,
hätte sie auch erlöst von der Hand Goliaths,
wiewohl sich der Goliath
auf seinen Panzer und Schwert verließ.
So wird es ihn der David wohl lehren.
Saul fing auch etwas Gutes an,
aber David nach langem Umtreiben musste es vollführen,
welcher eine Figur deiner, o Christus,
in deinen lieben Freunden, welche du bewahrst.
O Doktor Lügner, du tückischer Fuchs,
du hast durch deine Lügen das Herz
des Gerechten traurig gemacht,
den Gott nicht betrübt hat.
Damit hast du gestärkt die Gewalt
der gottlosen Bösewichter,
auf dass sie auf ihrem alten Wege bleiben.
Darum wird es dir gehen wie einem gefangenen Fuchs.
Das Volk wird frei werden,
und Gott will allein der Herr darüber sein.
Und damit Lob gesungen
Der göttlichen Herrlichkeit der Wahrheit allein!
DRITTER TEIL
DER BAUERNKRIEG
ERSTER GESANG
Der Deutsche Bauernkrieg war ein Konflikt
zwischen der Unterschicht der germanischen Region
des Heiligen Römischen Reiches und dem Adel
um das feudale System der Leibeigenschaft,
der Religionsfreiheit und der wirtschaftlichen Ungleichheit.
Später wurde es von Karl Marx und Friedrich Engels
als Inbegriff des Kampfes zwischen der Arbeiterklasse
und ihren Oberherren beschrieben.
Über die Ursachen des Bauernaufstands
wird immer noch diskutiert, aber im Wesentlichen
stellte der Aufstieg der humanistischen Philosophie
in Verbindung mit der religiösen Reformbewegung
von Martin Luther den Status quo in Frage
und ließ die Unterschicht auf eine Radikale Veränderung
der sozialen Hierarchie hoffen.
Auch der Ritteraufstand wird als ein Faktor angeführt,
der dazu führte, dass die Ritter unter der Führung
von Franz von Sickingen und ermutigt
durch den Ritterdichter Ulrich von Hutten
weigerte sich, Steuern oder Zehnten zu zahlen
und ermutigte die Bauern, dasselbe zu tun.
Zu dieser Zeit nahm die römisch-katholische Kirche
zehn Prozent des Lohns der Bauern als Zehnten,
und der Adel forderte andere Prozentsätze
auf der Grundlage seiner eigenen Steuersysteme,
was die bäuerliche Bevölkerung dazu zwang,
in Armut zu leben. Nachdem Luther die Autorität
der Kirche herausgefordert und damit
die protestantische Reformation in Gang gesetzt hatte,
folgten andere Mitglieder des Klerus diesem Beispiel,
wie etwa Thomas Müntzer, der zunächst hoffte,
dass Luther sich für die Rechte der Bauern einsetzen würde
und als er dies nicht tat, beschuldigte er ihn,
die Sache verraten zu haben. Der Adlige und Ritter
Florian Geyer, ein weiterer Bewunderer Luthers,
organisierte gemeinsam mit Müntzer,
dem Bauernführer Hans Müller, dem Adligen
Wendel Hipler und anderen einen Aufstand
gegen das, was sie waren als unchristliche
und ungerechte Politik der Kirche
und des Adels angesehen. Die Bauern waren
im Vergleich zu den Armeen des Adels
schlecht bewaffnet, es fehlte ihnen
an erfahrener Führung und sie konnten
keine einheitliche Front bilden, was 1525
zu ihrer Niederlage nach mehreren Gefechten führte,
bei denen es sich oft eher um Massaker
als um Schlachten handelte. Schätzungen zufolge
kamen in dem Konflikt etwa 100.000 deutsche Bauern
ums Leben, weitere verhungerten
nach der Zerstörung von Ackerland.
In mancher Hinsicht spiegelte der Kampf
die früheren Hussitenkriege wider, in denen
eine Bauernklasse gegen Berufsarmeen des Adels antrat,
aber es gab keinen starken Anführer
wie Jan Žižka für die germanischen Bauern,
die den überlegenen Taktiken und Waffen
des Adels nicht gewachsen waren.
Marx und Engels, die deutschen Philosophen,
die das System des Marxismus formulierten
und 1848 das Kommunistische Manifest schrieben,
charakterisierten den Konflikt als den Inbegriff
des Klassenkampfs und die Bauernführer
als protokommunistische Helden. Die europäische
Gesellschaft funktionierte zu dieser Zeit noch
nach der Struktur des Mittelalters, mit dem Adel
an der Spitze der Hierarchie und der Bauernschaft
ganz unten. Dazwischen gab es niedere Adlige,
die über kleinere Lehen herrschten, den Klerus
(von denen einige mächtiger waren als die niederen Adligen)
und die Kaufmannsklasse, von denen viele
wie die Geistlichen einen Steuerbefreiungsstatus
beanspruchten. Die als alleinige geistliche Autorität
anerkannte Kirche verlangte von ihren Anhängern
zusätzlich zu anderen Gebühren für verschiedene Dienste
einen Zehnten. Diese vier Klassen waren alle
auf Gelder der untersten Klasse angewiesen,
die ständig mit Steuern in die Armut gedrängt wurde.
Die Bauernklasse hatte im Mittelalter
größere Autonomie und finanzielle Sicherheit erlangt,
als die Kombination aus Kreuzzügen
und dem Schwarzen Tod einen großen Teil
der Bevölkerung getötet hatte, was es den Bauern
ermöglichte, sich zu behaupten und von den Herren
mehr für ihre Arbeit zu verlangen. Was auch immer
sie herstellten, konnte jedoch mit den von der Oberschicht
erhobenen Steuern und der Nachfrage
nach mehr Arbeitskräften nicht mithalten.
Als Martin Luthers 95 Thesen populär gemacht wurden,
interpretierten viele Bauern sie als Herausforderung
für den Status quo und unterstützten Luther
als Verfechter des einfachen Volkes
gegen die Aristokratie und die Kirche
sowie eine Reihe von Mittel- und Unterschichten.
Der Klerus unterstützte Luther in der Hoffnung
auf eine vollständige religiöse Revolution,
die der kirchlichen Korruption ein Ende setzen würde.
Einer dieser Geistlichen war Thomas Müntzer,
der bereits 1514 begann, die Lehren
und Richtlinien der Kirche in Frage zu stellen.
1517 war er in Wittenberg, als Luther
seine 95 Thesen veröffentlichte, und reiste
1519 nach Leipzig, um Luther bei seiner Disputation
mit der Kirche zu unterstützen, und scheint sich
auch im Jahr 1521, als dieser zum Predigen
nach Prag kam, noch immer als Anhänger
des Reformators betrachtet zu haben.
Zu diesem Zeitpunkt interessierte er sich jedoch
zunehmend für die deutsche Mystik und die Gültigkeit
von Träumen und Visionen als Botschaften Gottes.
Müntzer war auch davon überzeugt, dass er
in den Letzten Tagen lebte und dass die Wiederkunft
Jesu Christi unmittelbar bevorstand. In Übereinstimmung
mit der Heiligen Schrift, die er mit Offenbarungen
in Träumen und Zeichen gleichsetzte, hatte er das Gefühl,
dass er sich auf den Tag des Herrn vorbereiten musste.
Zu diesem Zeitpunkt brach er mit Luthers Lehren
und begann, radikalere Reformen zu fördern.
Er wurde von seiner Stelle in Prag entlassen
und reiste nach Allstedt in Sachsen, wo er wie zuvor
weiter predigte. Zu diesem Zeitpunkt war Luther
auf Müntzers Radikalität aufmerksam geworden
und befahl ihm aus Angst, die Reformbewegung
zu gefährden, nach Wittenberg, um sich zu erklären,
doch Müntzer lehnte ab. So wie der Reformator
Huldrych Zwingli in der Schweiz die radikalere Bewegung
der Täufer inspiriert hatte, förderte Luthers Bewegung
in Deutschland Müntzers Vision einer vollständigen
sozialen und religiösen Reform. Luther hielt
die Heilige Schrift für die letzte Autorität
in religiösen Fragen, die dann die Gesellschaft
informierte, und verurteilte Müntzers Angriff
auf die Gesellschaftsordnung im Einklang
mit Bibelstellen: Diener, gehorcht euren irdischen
Meistern mit Respekt und mit aufrichtigem Herzen,
so wie ihr Christus gehorchen würdet. Müntzer
lehnte diese Kritik ab, da er glaubte, die Bibel sei nur
ein Mittel, mit dem Gott zur Menschheit sprach.
Müntzers Vision gefiel einem breiten Teil
der bäuerlichen Bevölkerung, die der hohen Besteuerung,
dem nahezu fehlenden Eigentumsrecht
und der Nullautonomie überdrüssig war.
Den Bauern war es verboten, auf den von ihnen besetzten
Gebieten zu fischen und zu jagen, da diese Ländereien
technisch gesehen ihren Herren gehörten,
und diese Herren hatten die Freiheit, auf der Jagd
durch ihre Felder zu reiten, wann immer sie wollten.
Wenn ein bäuerlicher Haushaltsvorstand starb,
konnten seine Werkzeuge und alles andere von Wert
vom Herrn beschlagnahmt werden, statt sie
an die Söhne des Mannes weiterzugeben,
und zu diesen Beleidigungen kamen noch exorbitante
Steuern und höhere Arbeitsanforderungen hinzu
und weitere Einschränkungen der persönlichen Freiheiten.
Auch wenn Müntzer nicht als einziger Initiator
des Deutschen Bauernkrieges angesehen werden kann,
weckte seine apokalyptische Vision einer neuen Ordnung
in der Bauernschaft die echte Hoffnung,
dass die Zeit gekommen sei, den Adel zu stürzen
und ihre Rechte als freie, führungsfähige Menschen
durchzusetzen. Bis 1524 hatten sich die Bauern
zu territorialen demokratischen Gruppen
(bekannt als Haufen) zusammengeschlossen,
von denen jede über ein eigenes Leitungsgremium
verfügte, das sich auf Gesetze einigte,
die Ordnung aufrechterhielt und die Aktionen
der übrigen lenkte. Die Größe dieser Gruppen
lag zwischen 2.000 und 8.000 und mehr,
abhängig von der Bevölkerungszahl eines bestimmten
Territoriums. Im Spätsommer 1524 rebellierte
eine Gruppe von Bauern in den südgermanischen Gebieten,
nachdem eine Gräfin sie aufgefordert hatte,
ihre Erntearbeit zu unterbrechen, um Schneckenhäuser
zu sammeln, die sie als Garnspulen verwenden konnte.
Der Aufstand breitete sich schnell aus,
da sich bereits Bauernbanden gebildet
und organisiert hatten. Diese Gruppen konnten
ihre Beschwerden schriftlich beim örtlichen
Magistrat einreichen, und die wichtigsten Beschwerden
wurden schließlich im März 1525
in den Zwölf Artikeln vollständig formuliert.
Dabei handelte es sich um ein Dokument,
in dem die Rechte der Bauern geltend gemacht
und die Wiedergutmachung des der Schwaben-Liga
zugefügten Unrechts gefordert wurde, einem Bündnis
des Adels, das die soziale Struktur aufrechterhielt.
Sebastian Lotzer, ein Kürschner, der Sekretär
eines Kontingents der Bauernarmee wurde,
soll die Zwölf Artikel zusammen mit dem reformierten
Theologen Christoph Schappeler und Wendel Hipler
verfasst haben und Müntzer könnte auch dazu
beigetragen haben. Die Artikel befassten sich
mit einer Reihe von Punkten, darunter größerer
Autonomie, Steuererleichterungen, gerechteren Gesetzen
und der Abschaffung der Erbschaftssteuer.
Die Zwölf Artikel gelten als das erste Dokument
über die Menschenrechte im Europa der Frühen Neuzeit,
wurden jedoch vom Adel abgelehnt,
und diese Entscheidung wurde von Luther unterstützt.
Luther verdankte sein Leben dem Adel,
insbesondere dem Kurfürsten Friedrich III. dem Weisen,
der ihn in Schutzhaft genommen hatte, nachdem er
nach seinem Auftritt auf dem Wormser Reichstag
als Ketzer und Gesetzloser verurteilt worden war.
Luthers Rede auf dem Reichstag zu Worms
hatte seine Verbindung zur Kirche abgebrochen
und seine reformierte Vision begründet,
was seine Popularität bei der Bauernschicht steigerte,
aber er wäre daran gehindert worden,
seine Bemühungen fortzusetzen, wenn nicht
der Schutz durch Friedrich III. gewesen wäre.
Als der Aufstand begann, kam Luther aus seinem Versteck,
um dagegen zu predigen und zitierte Bibelstellen,
um die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung
zu unterstützen. Müntzer hatte das Gefühl,
dass Luther seine ursprüngliche Vision und das Volk
verraten hatte, und begann, eine Reihe von Briefen
zu schreiben, in denen er Luther als „Doktorlügner“ angriff
und ihn als Schachfigur des Adels verurteilte.
Für Müntzer hatten die lutherischen Adligen
bei der Unterstützung von Luthers Bewegung
keine echte religiöse Überzeugung, sie waren nur
daran interessiert, was sie finanziell gewinnen konnten,
wenn sie mit der mächtigen Kirche brachen,
die viele fruchtbare Landstriche besaß,
keine Steuern zahlte und von der sie
einen Zehnten verlangten wie von jeder andere Klasse,
und damit hatte er Recht. Luther verurteilte Müntzer
als einen gefährlichen Radikalen, der Unruhen schürte
und die Reformationsbewegung gefährdete,
doch Müntzer wies diese Anschuldigungen zurück
und appellierte direkt an das Volk, indem er
in seiner Rechtfertigung und Widerlegung schrieb:
Öffne deine Augen! Was ist das böse Gebräu,
aus dem alles Wucher, Diebstahl und Raub entsteht,
anderes als die Annahme unserer Herren und Fürsten,
dass alle Geschöpfe ihr Eigentum seien? Die Fische
im Wasser, die Vögel in der Luft, die Pflanzen auf der Erde,
alles muss ihnen gehören! Und Doktor Lügner antwortet:
Amen. Es sind die Herren selbst, die den armen Mann
zu ihrem Feind machen. Wenn sie sich weigern,
die Ursachen des Aufstands zu beseitigen, wie können
dann auf lange Sicht Probleme vermieden werden?
Wenn mich diese Aussage zu einem Anstifter
zum Aufstand macht, dann sei es so!
Müntzers Argumente fanden natürlich großen Anklang
bei der Bauernschaft, aber auch bei einigen
niederen Adligen, die Ländereien, Ansehen
und Einnahmen an die mächtigeren lutherischen
Fürsten verloren hatten. Zu ihnen gehörte
Florian Geyer, der wie Müntzer ein früher Anhänger
Luthers gewesen war, sich aber 1524 auf die Seite
der radikaleren reformierten Vision stellte,
die Müntzer und seine Revolutionäre vertraten.
Die Aufstände von 1524 weiteten sich
immer weiter aus, bis sich die Bauern
Anfang 1525 völlig auflehnten und sich
zu Armeen formierten, unterstützt und ermutigt
von täuferischen Geistlichen, die zwar Pazifisten waren,
die Sache der Bauern jedoch als gerecht ansahen.
Zwischen Januar und April 1525 kam es
zu einer Reihe kleinerer Konflikte, bei denen
die Bauern Taktiken aus den Hussitenkriegen
anwandten, insbesondere die Wagenfestung,
eine bewegliche Festung mit Bogenschützen,
aber das erste umfassende Gefecht
war die Schlacht von Leipheim am 4. April 1525,
bei dem etwa 5.000 Bauern gegen über 8.000
professionell ausgebildete Truppen
des Schwäbischen Bundes antraten. Die Bauern
wurden auf dem Rückzug niedergemetzelt, wobei
die Verluste auf über 3.000 Tote geschätzt wurden.
Die Bauernarmee unter Jakob Rohrbach revanchierte sich,
indem sie das Dorf Weinsberg einnahm, die Burg eroberte,
die Soldaten abschlachtete und die von ihnen
gefangenen Adligen zu einem Spießrutenlauf
mit Spießen und Knüppeln zwang und sie
auf ihrem Weg die Linie hinunter zu Tode prügelte.
Müntzer führte unterdessen seine eigenen Armeen
gegen die Streitkräfte des Schwäbischen Bundes
mit Unterstützung von Geyer und seiner Schwarzen Kompanie,
einer Ritterformation, die sich auf die Zerstörung
von Burgen und Klöstern konzentrierte,
die als Befestigungen für den Feind dienen könnten.
Obwohl jede Bauernarmee das gleiche Ziel verfolgte,
arbeiteten nur wenige gemeinsam daran,
sich gegenseitig zu unterstützen. Wie bereits erwähnt,
trafen die Bauernführer ihre Entscheidungen
in einer Versammlung von nicht mehr als zwölf Männern
und setzten ihre Pläne dann in die Tat um,
ohne sich mit anderen Gruppen abzusprechen.
Hans Müller scheint ohne Rücksprache mit Müntzer
vorgegangen zu sein, und obwohl Geyer die Truppen
unter Müntzer unterstützt haben soll, ist unklar,
in welcher Form dies geschah und ob es sich
um eine konzertierte, organisierte Aktion handelte
oder ob Geyer ihn möglicherweise unterstützte,
weil er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt
zufällig in der gleichen Gegend wie Müntzer befand.
Die Bauernheere wurden von einer Reihe
mächtiger Adliger bekämpft, vor allem aber
von Georg III., Truchsess von Waldburg,
einem erfahrenen Soldaten und Militärbefehlshaber,
der nach seinem Sieg bei Leipheim konsequent
jedes Gefecht gewann, folterte Gefangene,
bevor er sie hinrichtete, und brannte Dörfer nieder,
während er marschierte. Am 12. Mai 1525
traf Georg III. in der Schlacht bei Böblingen
auf ein großes Bauernheer, durchbrach
mit seiner Kavallerie mühelos deren Linien
und schlachtete sie auf dem Rückzug ab.
Die Bauern verloren mindestens 3.000 Soldaten,
während die Verluste von Georg III.
weniger als 40 betrugen. Die entscheidende Schlacht
des Krieges fand nur wenige Tage später,
am 15. Mai 1525, statt, als die Truppen
des Schwäbischen Bundes von Philipp I. von Hessen,
einem weiteren Anhänger Luthers, und denen
von Georg, Herzog von Sachsen, der sich
der Reformation Luthers widersetzte, traf
in der Nähe der Stadt Frankenhausen
auf das Bauernheer unter Müntzer.
Müntzer hatte kürzlich drei Diener des edlen Grafen Ernst
mit der Behauptung hingerichtet, die göttliche
Gerechtigkeit habe ihren Tod gefordert, und nutzte nun
die gleiche Begründung, um seine Truppen
zur Verteidigung der Stadt zu sammeln. Laut dem Mansfelder
Stadtrat Johan Ruhel, der Luther über das Geschehen schrieb,
ritt Müntzer am Tag der Schlacht, dem 15. Mai 1535,
durch das Lager und rief, die Bauern sollten
auf die Macht Gottes vertrauen, das würden
die Steine tun, sie bereiteten ihnen den Weg,
und die Schüsse würden ihnen nichts anhaben.
Aber die Bauern waren umzingelt und, größtenteils
Fußsoldaten, waren der Kavallerie von Hessen
und Braunschweig sowie den Truppen des Herzogs
Georg von Sachsen nicht gewachsen. Vielleicht
wurden bis zu sechstausend Menschen abgeschlachtet;
600 wurden gefangen genommen. Der größte Teil
der Bevölkerung Frankenhausens starb
oder geriet in Gefangenschaft. Müntzer floh vom Feld
und versteckte sich in einem Zimmer eines Hauses in der Stadt.
Als er entdeckt wurde, behauptete er,
ein armer Invalide zu sein, der nichts
mit dem Krieg zu tun hatte, aber eine Tasche,
die er bei sich trug, enthielt eine Reihe von Briefen
und Dokumenten, die ihn identifizierten.
Er wurde in den nächsten Tagen gefoltert
und dann am 27. Mai 1525 hingerichtet;
das gleiche Schicksal ereilte Rohrbach
als Oberbefehlshaber der Armee bei Weinsberg.
Nachdem Geyer gehört hatte, dass Frankenhausen
ein Bauernsieg war, ritt er zu Müntzer,
geriet jedoch in einen Hinterhalt
und die Schwarze Kompanie wurde
in der Schlacht von Ingolstadt vernichtet.
Geyer könnte vor der Schlacht geflohen sein
oder gar nicht anwesend gewesen sein;
später wurde er von zwei Dienern ermordet,
die behaupteten, ihn in Sicherheit zu bringen.
Der Konflikt dauerte den ganzen Sommer 1525 an,
in dem Hans Müllers Truppen besiegt wurden
und er nach Folter hingerichtet wurde.
Wendel Hipler überlebte den Krieg
und starb im folgenden Jahr. Die Feindseligkeiten
endeten schließlich im September 1525
mit über 100.000 Opfern unter den Bauern
und der Wiederherstellung des Status quo.
Im Mai 1525 veröffentlichte Luther
seine berühmte Verurteilung des Bauernaufstands:
Gegen die plündernden und mörderischen Bauernhorden,
und forderte den Adel auf, den Aufstand niederzuschlagen,
und jeden, der sich für Frieden und Stabilität einsetzte,
dabei zu helfen: Deshalb möge jeder, der es kann,
heimlich oder offen schlagen, töten und erstechen
und dabei bedenken, dass nichts giftiger, verletzender
oder teuflischer sein kann als ein Rebell.
Es ist genauso, als ob man einen tollwütigen Hund töten muss;
wenn du ihn nicht schlägst, wird er dich schlagen
und mit dir ein ganzes Land. - Interessanterweise
vertrat die Kirche dieselbe Haltung gegenüber Luther selbst,
der 1521 durch das Wormser Edikt als geächteter
Rebellenpriester verurteilt worden war und jeden,
der konnte, dazu ermutigte, ihn zu töten,
der nun aber von protestantischen Fürsten anerkannt wurde,
wie von Philipp I. von Hessen als Verfechter
der christlichen Wahrheit. Viele der Bauern und,
wie bereits erwähnt, ihre Anführer hatten erwartet,
dass Luther ihre Sache unterstützen würde,
und fühlten sich betrogen, als er sich auf die Seite
des Adels stellte. Nach dem Krieg verlor Luther
die Unterstützung vieler Bauern und wurde einmal
von einem Bauernhaufen gesteinigt.
Müntzer und Geyer sowie die anderen Anführer
des deutschen Bauernaufstands wurden
von katholischen und protestantischen Schriftstellern
als Bösewichte dargestellt, bis Marx und Engels
sie im 19. Jahrhundert als protokommunistische
Revolutionäre darstellten, die den kapitalistischen
Unterdrückern einen Schlag versetzten.
Die Anführer des Deutschen Bauernkrieges,
insbesondere Müntzer, werden in der Geschichte
einiger Länder immer noch so verstanden
(sicherlich von früheren und gegenwärtigen
kommunistischen Regimen) und von einem Teil
der Gelehrtengemeinschaft, der den Aufstand
als vernünftige Reaktion auf unvernünftige Forderungen
anerkennt, die auf diejenigen gelegt worden waren,
die es sich am wenigsten leisten konnten.
Und damit empfohlen dem Feuer des Heiligen Geistes!
ZWEITER GESANG
Ein Aufstand der Bauern Süd- und Mitteldeutschlands,
dessen Ursachen aufgrund religiöser
und politischer Vorurteile umstritten sind.
Derzeit herrscht die Meinung vor, dass der Aufstand
hauptsächlich durch wirtschaftliche Not verursacht wurde.
Die Bedingungen, die hierbei berücksichtigt werden müssen,
sind die folgenden. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts
genossen die Bauern eine relativ vorteilhafte Stellung,
auch wenn sie ihr Land nicht einfach besaßen,
sondern es entweder erblich oder für bestimmte Zeiträume
pachteten. Die Bedingungen verschlechterten sich jedoch.
Die durch Wohlstand bedingte Bevölkerungszunahme
fiel zeitlich mit der Entwicklung des wirtschaftlichen Umgangs
mit Geld und seinen schädlichen Einflüssen zusammen.
Die Stadt überschattete das Land und übte zeitweise sogar
die Herrschaft über die ländlichen Bezirke aus.
Auch die internationalen wirtschaftlichen Bedingungen
wirkten sich nachteilig auf die Bauernklasse aus.
Aus den Minen Perus, Mexikos und Deutschlands
wurden große Mengen Edelmetalle abgebaut,
so dass der Wert des Geldes um etwa die Hälfte sank,
während die Preise stiegen; so wurde in Thüringen
der Wollpreis verdoppelt und der Warenpreis verfünffacht.
Andererseits wurden die Pachtverträge nicht gekürzt
oder die Löhne erhöht, sondern die Grundherren versuchten,
ihre Verluste durch ungewöhnlich hohe Steuern auszugleichen.
Sie erweiterten ihre Macht, erhöhten die Dienste
und Lasten der Leibeigenen, versuchten,
die Rechte der Marktgenossenschaften aufzuheben
und die Erbpacht der Bauern auf ihren Höfen abzuschaffen
und ihnen nur noch die Nutzung von Wald, Wasser
und Weideland zu gewähren gegen hohe Mieten.
Das römische Recht begünstigte diese Forderungen.
Darüber hinaus führten der militärische Bedarf
und die steigenden Kosten der lokalen Regierungen
zu einer Erhöhung der Steuern. Dies löste vor allem
in Württemberg und Bayern große Bitterkeit aus.
Zu den Belastungen des Grundherrn und des Landesherrn
kamen noch kaiserliche Steuern hinzu, unabhängig
von der wirtschaftlichen Lage der ärmeren Klassen.
Am schlechtesten war die Lage der Bauern
in den sehr kleinen deutschen Staaten, wo der Grundherr
auch der Herrscher war und wie ein Fürst leben wollte.
An dem großen Aufstand, der als Bauernkrieg bekannt ist,
beteiligten sich nicht nur Bauern, sondern auch Städter
und Adlige. Von den Städten waren nur die kleineren
wirtschaftlich mit der Bauernschaft verbunden.
Große Städte wie Frankfurt, Würzburg und Mainz
schlossen sich dem Aufstand an; aber die wirtschaftlichen
Bedingungen erklären ihre Wirkung nicht vollständig.
Es muss daher davon ausgegangen werden,
dass äußere Gründe den Adel und die Städte
dazu veranlassten, sich vorübergehend mit den Bauern
im großen Aufstand zu vereinen, und dass die Ursachen
der Unzufriedenheit, die zahlreich waren,
in den verschiedenen Staaten unterschiedlich waren.
Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts waren zwar
große politische Reformbewegungen im Gange,
doch an der eigennützigen Politik der Territorialfürsten
scheiterten alle Versuche, die Zentralmacht zu stärken,
und der Nürnberger Reichstag von 1524
hatte die Reichsverwaltung völlig lahmgelegt.
Ein Teil der Rebellen wollte das Reich reformieren.
Politische Unruhen wurden durch religiöse verschärft.
Acht Jahre lang hatte Luthers Haltung die Menschen
beunruhigt und ihre religiösen Überzeugungen
in ihren Grundfesten erschüttert. Seine Deklamationen
zur christlichen Freiheit, auch wenn sie in einem anderen Sinne
gemeint waren, steigerten die Gärung. Die Gegner
der neuen Lehre betrachteten Luther zum Teil noch immer
als den eigentlichen Anstifter der Revolte; die Rebellen
selbst appellierten an ihn in der Überzeugung,
dass sie nur seine Lehren in die Tat umsetzten.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Ausbruch
erst am Ende des Jahres 1524 stattfand. Die Hoffnung
auf eine nationale Regelung der Kirchenreform
war gescheitert, und der Kaiser hatte den
nach Speyer einberufenen Nationalrat widerrufen
am 1. September 1524. Zu den Ursachen des Ausbruchs
muss auch das Scheitern der politischen und kirchlichen
Reformbemühungen gerechnet werden. Bevor
ein abschließendes Urteil über die Ursachen
gefällt werden kann, bedarf es einer umfassenderen
und gründlicheren Untersuchung des religiösen
und geistigen Lebens des deutschen Volkes
vor der Reformation. In den Jahren 1492–1500
kam es zu vereinzelten Ausbrüchen im Algäu, im Elsass
und im Bistum Speyer, die jedoch verraten
und unterdrückt wurden. Auch der Aufstand
des „armen Konrad“ gegen die Wucherbesteuerung
des württembergischen Herzogs Ulrich
und des Bundes der wendischen Bauern in Kärnten, Krain
und der Steiermark waren von den Herrschern
und Adligen dieser Staaten niedergeschlagen worden.
Im Südschwarzwald begann der große Bauernaufstand
im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts.
Der Aufstand stand unter der kühnen
und weitsichtigen Führung von Hans Müller
von Bulgenbach und als sich der Aufstand
über Schwaben, Franken und das Elsass ausbreitete,
wuchs die Macht der Aufständischen stetig.
Sie stachelten das Volk durch Versprechen
in den sogenannten „Zwölf Artikeln“ auf,
über deren Autor man sich nicht im Klaren ist.
Sie werden dem Memminger Pfarrer Schappler,
Sebastian Lotzer und dem unter Müntzers Einfluss
stehenden Waldshuter Pfarrer Balthasar Hubmaier
zugeschrieben. Ihre Forderungen waren wirtschaftlicher,
sozialer und religiöser Natur. Sie wünschten
eine Milderung des Zinssatzes, der Pflichtleistung
gegenüber dem Gutsherrn und der gesetzlichen Strafen.
Andere Artikel forderten die Wiederherstellung
der alten deutschen Wirtschaftsverhältnisse,
etwa der Gewerkschaften der alten Marken
und des freien Weide-, Fischerei- und Jagdrechts.
Die soziale Reform sollte in der Abschaffung
der Leibeigenschaft gipfeln, denn Christus
machte alle Menschen frei, aber der Gehorsam
gegenüber den von Gott eingesetzten Autoritäten
sollte aufrechterhalten werden. Was die Religion betrifft,
forderten sie das Recht, ihre Pfarrer zu wählen
und zu garantieren, dass der Klerus das reine
und wahre Evangelium predigen sollte. Daher hatte
das gemäßigte Element, das an der Vorbereitung
dieser Artikel beteiligt war, nicht an einen radikalen Umsturz
aller bestehenden Verhältnisse gedacht.
Aber in dieser Leichtigkeit, wie in allen großen
Volksaufständen, wurde die in der Theorie
ausgedrückte Mäßigung nicht durchgeführt.
Der Pöbel, der vom Wirt Georg Metzler,
von Florian Geyer, Wendel Hipler, Jäcklein Rohrbach
und sogar vom Ritter Götz von Berlichingen angeführt wurde,
frönte oft einer ungezügelten Mord- und Zerstörungslust.
Das bekannteste dieser Verbrechen ist die schreckliche
Ermordung des Grafen von Helfenstein
am 16. April 1525. Anfang Mai 1525 siegten
die Bauern überall über den Adel. Die Bischöfe
von Bamberg und Speyer, die Äbte von Hersfeld und Fulda,
der Kurfürst von der Pfalz und andere machten
auf ihre Forderungen Zugeständnisse aller Art.
Der Aufstand befand sich jedoch auf seinem Höhepunkt
und seine Anführer glaubten, ihre politischen Ziele
verwirklichen zu können. Mehrere Städte
schlossen sich dem Aufstand an, der von einer energischen
und gut organisierten Bauernschaft geleitet werden sollte;
in Heilbronn sollte eine gemeinsame Kanzlei
für alle Rebellengruppen eingerichtet werden;
die große Mehrheit der unter Waffen stehenden
Rebellen sollte nach Hause gehen und nur eine ausgewählte
Gruppe sollte das Feld behalten. Die Bauern versuchten,
ihre eigentlichen politischen Gegner, die Territorialfürsten,
zu stürzen. Sie planten eine Neuordnung
der gesamten Reichsverfassung, ein Vorhaben,
das seit dem 14. Jahrhundert immer wieder diskutiert wurde.
Ziel ihrer Reformpläne war die Stärkung des Reiches
und die Schwächung der Macht der Territorialfürsten.
Das Eigentum der Kirche sollte säkularisiert
und dann zur Entschädigung der Feudalherren
für die Abschaffung der Feudallasten verwendet werden.
Die Reformen sollten dann unter der Autorität
des Reiches durchgeführt werden, wie etwa
Einheitlichkeit der Gewichte und Münzen,
Abschaffung des Zolls, Wiederherstellung
des deutschen Gerichtsrechts. Die Kleinfürsten
schlossen sich nun zusammen und Luther bestärkte sie
in ihrer Absicht, den Aufstand niederzuschlagen.
Im April hatte er sich für den Frieden eingesetzt
und zwischen berechtigten und ungerechtfertigten
Forderungen unterschieden. Er hatte nun eine andere Sicht
auf die Sache. Der fanatische Pöbel unter der Führung
von Thomas Müntzer und Heinrich Pfeifer
verbreitete in Thüringen Zerstörung durch Feuer und Schwert
und zerstörte die Klöster des Harzes und
des Thüringer Waldes. Luther sah nun den Sturz
von Staat und Kirche, Eigentum und Familie voraus.
Dementsprechend forderte er am 6. Mai
die Fürsten heftig und leidenschaftlich auf,
die „mörderische und räuberische Bande der Bauern“
zu zerschlagen. Die von Münster befehligten Horden
wurden am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen
von den verbündeten Fürsten Sachsen, Braunschweig,
Hessen und Mansfeld besiegt. Der Prophet Müntzer
wurde hingerichtet. Etwa zur gleichen Zeit
wurde der Aufstand in Süddeutschland niedergeschlagen.
Im Elsass wurden die Bauern am 17. Mai
von den vereinten Kräften des Herzogs Anton
von Lothringen und des Gouverneurs von Mörsperg
erobert; in Württemberg wurden sie bei Sindelfingen
vom Heerführer des Schwäbischen Bundes gestürzt.
Der Mob aus Odenwald und Rothenburg
wurde am 2. und 4. Juni völlig niedergeschlagen;
und am 7. Juni musste Würzburg kapitulieren.
Der Sturz der Bauern am Ober- und Mittelrhein
erforderte mehr Zeit. In Oberschwaben, im Schwarzwald
und in der Schweiz hatte der Aufstand einen geordneten Verlauf
genommen. Der Nordwesten und der Osten
blieben vom Aufstand völlig verschont, da die Lage
der Bauern dort zu dieser Zeit günstiger war.
Früher glaubte man, dass sich die Lage der Bauern
nach diesem Aufstand verschlechtert habe,
aber diese Ansicht ist falsch. Zunächst herrschte
zwar die Strenge des Kriegsrechts; somit gab es
in Würzburg 60 Hinrichtungen, in ganz Franken 211.
Aber die Zeit des Terrors war auch eine Lehre
für die Sieger gewesen. Die Lage der Bauern
verschlechterte sich nicht wesentlich, verbesserte sich
jedoch nicht wesentlich. Nur in wenigen Ausnahmefällen
wurden Reformen eingeführt, wie in Baden und Tirol.
DRITTER GESANG
Gehen wir zunächst kurz zurück auf die Verhältnisse
Deutschlands zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
Die deutsche Industrie hatte im vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung genommen.
An die Stelle der feudalen, ländlichen Lokalindustrie
war der zünftige Gewerbebetrieb der Städte getreten,
der für weitere Kreise und selbst für entlegenere Märkte
produzierte. Die Weberei von groben Wolltüchern
und Leinwand war jetzt ein stehender, weitverbreiteter
Industriezweig; selbst feinere Woll- und Leinengewebe
sowie Seidenstoffe wurden schon in Augsburg verfertigt.
Neben der Weberei hatte sich besonders jene
an die Kunst streifende Industrie gehoben, die
in dem geistlichen und weltlichen Luxus
des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand:
die der Gold- und Silberarbeiter, der Bildhauer
und Bildschnitzer, Kupferstecher und Holzschneider,
Waffenschmiede, Medaillierer, Drechsler.
Eine Reihe von mehr oder minder bedeutenden Erfindungen,
deren historische Glanzpunkte die des Schießpulvers
und der Buchdruckerei bildeten, hatte zur Hebung
der Gewerbe wesentlich beigetragen. Der Handel
ging mit der Industrie gleichen Schritt. Die Hanse
hatte durch ihr hundertjähriges Seemonopol
die Erhebung von ganz Norddeutschland
aus der mittelalterlichen Barbarei sichergestellt;
und wenn sie auch schon seit Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts der Konkurrenz der Engländer
und Holländer rasch zu erliegen anfing, so ging doch
trotz Vasco da Gamas Entdeckungen
der große Handelsweg von Indien nach dem Norden
immer noch durch Deutschland, war Augsburg
noch immer der große Stapelplatz für italienische
Seidenzeuge, indische Gewürze und alle Produkte
der Levante. Die oberdeutschen Städte, namentlich
Augsburg und Nürnberg, waren die Mittelpunkte
eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums und Luxus.
Die Gewinnung der Rohprodukte hatte sich ebenfalls
bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute
waren im fünfzehnten Jahrhundert die geschicktesten der Welt,
und auch den Ackerbau hatte das Aufblühen der Städte
aus der ersten mittelalterlichen Rohheit herausgerissen.
Nicht nur waren ausgedehnte Strecken urbar
gemacht worden, man baute auch Färbekräuter
und andere eingeführte Pflanzen, deren sorgfältige
Kultur auf den Ackerbau im allgemeinen günstig einwirkte.
Der Aufschwung der nationalen Produktion Deutschlands
hatte indes noch immer nicht Schritt gehalten
mit dem Aufschwung anderer Länder. Der Ackerbau
stand weit hinter dem englischen und niederländischen,
die Industrie hinter der italienischen, flämischen
und englischen zurück, und im Seehandel fingen
die Engländer und besonders die Holländer schon an,
die Deutschen aus dem Felde zu schlagen.
Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn gesät.
Die Zivilisation in Deutschland existierte nur sporadisch,
um einzelne Zentren der Industrie und des Handels gruppiert;
die Interessen dieser einzelnen Zentren selbst
gingen weit auseinander, hatten kaum hie und da
einen Berührungspunkt. Der Süden hatte ganz andere
Handelsverbindungen und Absatzmärkte als der Norden;
der Osten und der Westen standen fast außer allem Verkehr.
Keine einzige Stadt kam in den Fall, der industrielle
und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes
zu werden, wie London dies für England schon war.
Der ganze innere Verkehr beschränkte sich fast ausschließlich
auf die Küsten- und Flussschifffahrt und auf die paar
großen Handelsstraßen, von Augsburg und Nürnberg
über Köln nach den Niederlanden und über Erfurt
nach dem Norden. Weiter ab von den Flüssen
und Handelsstraßen lag eine Anzahl kleinerer Städte,
die, vom großen Verkehr ausgeschlossen, ungestört
in den Lebensbedingungen des späteren Mittelalters
fort vegetierten, wenig auswärtige Waren brauchten,
wenig Ausfuhrprodukte lieferten. Von der Landbevölkerung
kam nur der Adel in Berührung mit ausgedehnteren Kreisen
und neuen Bedürfnissen; die Masse der Bauern
kam nie über die nächsten Lokalbeziehungen
und den damit verbundenen lokalen Horizont hinaus.
Während in England und Frankreich das Emporkommen
des Handels und der Industrie die Verkettung
der Interessen über das ganze Land und damit
die politische Zentralisation zur Folge hatte,
brachte Deutschland es nur zur Gruppierung der Interessen
nach Provinzen, um bloß lokale Zentren,
und damit zur politischen Zersplitterung;
einer Zersplitterung, die bald darauf
durch den Ausschluss Deutschlands vom Welthandel
sich erst recht festsetzte. In demselben Maß,
wie das rein feudale Reich zerfiel, löste sich
der Reichsverband überhaupt auf, verwandelten sich
die großen Reichslehenträger in unabhängige Fürsten,
schlossen einerseits die Reichsstädte, andererseits
die Reichsritter Bündnisse, bald gegeneinander,
bald gegen die Fürsten oder den Kaiser.
Die Reichsgewalt, selbst an ihrer Stellung irre geworden,
schwankte unsicher zwischen den verschiedenen
Elementen, die das Reich ausmachten, und verlor
dabei immer mehr an Autorität; ihr Versuch,
in der Art Ludwigs XI. zu zentralisieren,
kam trotz aller Intrigen und Gewalttätigkeiten
nicht über die Zusammenhaltung der österreichischen
Erblande hinaus. Wer in dieser Verwirrung,
in diesen zahllosen sich durchkreuzenden Konflikten
schließlich gewann und gewinnen musste,
das waren die Vertreter der Zentralisation
innerhalb der Zersplitterung, der lokalen
und provinziellen Zentralisation, die Fürsten,
neben denen der Kaiser selbst immer mehr
ein Fürst wie die andern Fürsten wurde.
Unter diesen Verhältnissen hatte sich die Stellung
der aus dem Mittelalter überlieferten Klassen
wesentlich verändert, und neue Klassen hatten sich
neben den alten gebildet. Aus dem hohen Adel
waren die Fürsten hervorgegangen. Sie waren
schon fast ganz unabhängig vom Kaiser
und im Besitz der meisten Hoheitsrechte.
Sie machten Krieg und Frieden auf eigne Faust,
hielten stehende Heere, riefen Landtage zusammen
und schrieben Steuern aus. Einen großen Teil
des niederen Adels und der Städte hatten sie bereits
unter ihre Herrschaft gebracht; sie wandten
fortwährend jedes Mittel an, um die noch übrigen
reichsunmittelbaren Städte und Barone
ihrem Gebiet einzuverleiben. Diesen gegenüber
zentralisierten sie, wie sie gegenüber der Reichsgewalt
dezentralisierend auftraten. Nach innen war
ihre Regierung schon sehr willkürlich. Sie riefen
die Stände meist nur zusammen, wenn sie sich
nicht anders helfen konnten. Sie schrieben Steuern aus
und nahmen Geld auf, wenn es ihnen gut dünkte;
das Steuerbewilligungsrecht der Stände
wurde selten anerkannt und kam noch seltener zur Ausübung.
Und selbst dann hatte der Fürst gewöhnlich
die Majorität durch die beiden steuerfreien
und am Genuss der Steuern teilnehmenden Stände,
die Ritterschaft und die Prälaten. Das Geldbedürfnis
der Fürsten wuchs mit dem Luxus und der Ausdehnung
der Hofhaltung, mit den stehenden Heeren,
mit den wachsenden Kosten der Regierung.
Die Steuern wurden immer drückender. Die Städte
waren meist dagegen geschützt durch ihre Privilegien;
die ganze Wucht der Steuerlast fiel auf die Bauern,
sowohl auf die Dominialbauern der Fürsten selbst
wie auch auf die Leibeigenen, Hörigen und Zinsbauern
der lehnspflichtigen Ritter. Wo die direkte Besteuerung
nicht ausreichte, trat die indirekte ein; die raffiniertesten
Manöver der Finanzkunst wurden angewandt,
um den löchrigen Fiskus zu füllen. Wenn alles nicht half,
wenn nichts mehr zu versetzen war und keine
freie Reichsstadt mehr Kredit geben wollte,
so schritt man zu Münzoperationen der schmutzigsten Art,
schlug schlechtes Geld, machte hohe oder niedrige
Zwangskurse, je nachdem es dem Fiskus konvenierte.
Der Handel mit städtischen und sonstigen Privilegien,
die man nachher gewaltsam wieder zurücknahm,
um sie abermals für teures Geld zu verkaufen,
die Ausbeutung jedes Oppositionsversuchs
zu Brandschatzungen und Plünderungen aller Art
waren ebenfalls einträgliche und alltägliche Geldquellen
für die Fürsten jener Zeit. Auch die Justiz
war ein stehender und nicht unbedeutender
Handelsartikel für die Fürsten. Kurz,
die damaligen Untertanen, die außerdem
noch der Privathabgier der fürstlichen Vögte
und Amtleute zu genügen hatten, bekamen
alle Segnungen des väterlichen Regierungssystems
im vollsten Maße zu kosten. Aus der feudalen
Hierarchie des Mittelalters war der mittlere Adel
fast ganz verschwunden; er hatte sich entweder
zur Unabhängigkeit kleiner Fürsten emporgeschwungen
oder war in die Reihen des niederen Adels herabgesunken.
Der niedere Adel, die Ritterschaft, ging
ihrem Verfall rasch entgegen. Ein großer Teil
war schon gänzlich verarmt und lebte bloß
von Fürstendienst in militärischen oder bürgerlichen Ämtern;
ein anderer stand in der Lehnspflicht und unter der Herrschaft
der Fürsten; der kleinere war reichsunmittelbar.
Die Entwicklung des Kriegswesens, die steigende
Bedeutung der Infanterie, die Ausbildung
der Feuerwaffe beseitigte die Wichtigkeit
ihrer militärischen Leistungen als schwere Kavallerie
und vernichtete zugleich die Unbesiegbarkeit
ihrer Burgen. Gerade wie die Nürnberger Handwerker
wurden die Ritter durch den Fortschritt der Industrie
überflüssig gemacht. Das Geldbedürfnis der Ritterschaft
trug zu ihrem Ruin bedeutend bei. Der Luxus
auf den Schlössern, der Wetteifer in der Pracht
bei den Turnieren und Festen, der Preis der Waffen
und Pferde stieg mit den Fortschritten
der gesellschaftlichen Entwicklung der Zivilisation,
während die Einkommensquellen der Ritter
und Barone wenig oder gar nicht zunahmen.
Fehden mit obligater Plünderung und Brandschatzung,
Wegelagerern und ähnliche noble Beschäftigungen
wurden mit der Zeit zu gefährlich. Die Abgaben
und Leistungen der herrschaftlichen Untertanen
brachten kaum mehr ein als früher. Um ihre
zunehmenden Bedürfnisse zu decken, mussten
die gnädigen Herren zu denselben Mitteln
ihre Zuflucht nehmen wie die Fürsten.
Die Bauernschinderei durch den Adel wurde
mit jedem Jahre weiter ausgebildet.
Die Leibeigenen wurden bis auf den letzten Blutstropfen
ausgesogen, die Hörigen mit neuen Abgaben
und Leistungen unter allerlei Vorwänden
und Namen belegt. Die Fronden, Zinsen, Gülten,
Laudemien, Sterbefallabgaben, Schutzgelder
wurden allen alten Verträgen zum Trotz willkürlich erhöht.
Die Justiz wurde verweigert und verschachert,
und wo der Ritter dem Gelde des Bauern sonst
nicht beikommen konnte, warf er ihn ohne weiteres
in den Turm und zwang ihn, sich loszukaufen.
Mit den übrigen Ständen lebte der niedere Adel
ebenfalls auf keinem freundschaftlichen Fuß.
Der lehnspflichtige Adel suchte sich
reichsunmittelbar zu machen, der reichsunmittelbare
seine Unabhängigkeit zu wahren; daher
fortwährende Streitigkeiten mit den Fürsten.
Der Geistlichkeit, die dem Ritter in ihrer damaligen
aufgeblähten Gestalt als ein rein überflüssiger
Stand erschien, beneidete er ihre großen Güter,
ihre durch das Zölibat und die Kirchenverfassung
zusammengehaltenen Reichtümer. Mit den Städten
lag er sich fortwährend in den Haaren;
er war ihnen verschuldet, er nährte sich
von der Plünderung ihres Gebiets, von der Beraubung
ihrer Kaufleute, vom Lösegeld der ihnen
in den Fehden abgenommenen Gefangenen.
Und der Kampf der Ritterschaft gegen alle diese Stände
wurde um so heftiger, je mehr die Geldfrage
auch bei ihr eine Lebensfrage wurde.
Die Geistlichkeit, die Repräsentantin der Ideologie
des mittelalterlichen Feudalismus, fühlte
den Einfluß des geschichtlichen Umschwungs
nicht minder. Durch die Buchdruckerei
und die Bedürfnisse des ausgedehnteren Handels
war ihr das Monopol nicht nur des Lesens und Schreibens,
sondern der höheren Bildung genommen.
Die Teilung der Arbeit trat auch auf intellektuellem Gebiet ein.
Der neu aufkommende Stand der Juristen verdrängte sie
aus einer Reihe der einflussreichsten Ämter.
Auch sie fing an, zum großen Teil überflüssig zu werden,
und erkannte dies selbst an durch ihre stets wachsende
Faulheit und Unwissenheit. Aber je überflüssiger sie wurde,
desto zahlreicher wurde sie, dank ihren enormen
Reichtümern, die sie durch Anwendung aller
möglichen Mittel noch fortwährend vermehrte.
In der Geistlichkeit gab es zwei durchaus
verschiedene Klassen. Die geistliche Feudalhierarchie
bildete die aristokratische Klasse: die Bischöfe
und Erzbischöfe, die Äbte, Prioren und sonstigen Prälaten.
Diese hohen Würdenträger der Kirche waren entweder
selbst Reichsfürsten, oder sie beherrschten
als Feudalherren, unter der Oberhoheit andrer Fürsten,
große Strecken Landes mit zahlreichen Leibeigenen
und Hörigen. Sie exploitierten ihre Untergebenen
nicht nur ebenso rücksichtslos wie der Adel
und die Fürsten, sie gingen noch viel schamloser zu Werke.
Neben der brutalen Gewalt wurden alle Schikanen
der Religion, neben den Schrecken der Folter
alle Schrecken des Bannfluchs und der verweigerten
Absolution, alle Intrigen des Beichtstuhl
in Bewegung gesetzt, um den Untertanen
den letzten Pfennig zu entreißen oder das Erbteil
der Kirche zu mehren. Urkundenfälschung
war bei diesen würdigen Männern ein gewöhnliches
und beliebtes Mittel der Prellerei. Aber obgleich sie
außer den gewöhnlichen Feudalleistungen und Zinsen
noch den Zehnten bezogen, reichten alle diese
Einkünfte noch nicht aus. Die Fabrikation
wundertätiger Heiligenbilder und Reliquien,
die Organisation seligmachender Betstationen,
der Ablaßschacher wurden zu Hülfe genommen,
dem Volk vermehrte Abgaben zu entreißen,
und lange Zeit mit bestem Erfolg. Diese Prälaten
und ihre zahllose, mit der Ausbreitung der politischen
und religiösen Hetzereien stets verstärkte
Gendarmerie von Mönchen waren es, auf die
der Pfaffenhass nicht nur des Volks, sondern
auch des Adels sich konzentrierte. Soweit sie
reichsunmittelbar waren, standen sie dem Fürsten im Wege.
Das flotte Wohlleben der beleibten Bischöfe und Äbte
und ihrer Mönchsarmee erregte den Neid des Adels
und empörte das Volk, das die Kosten davon tragen musste,
um so mehr, je schreiender es ihren Predigten
ins Gesicht schlug. Die plebejische Fraktion
der Geistlichkeit bestand aus den Predigern
auf dem Lande und in den Städten. Sie standen
außerhalb der feudalen Hierarchie der Kirche
und hatten keinen Anteil an ihren Reichtümern.
Ihre Arbeit war weniger kontrolliert und, so wichtig sie
der Kirche war, im Augenblick weit weniger
unentbehrlich als die Polizeidienste
der kasernierten Mönche. Sie wurden daher
weit schlechter bezahlt, und ihre Pfründen waren
meist sehr knapp. Bürgerlichen oder plebejischen
Ursprungs, standen sie der Lebenslage der Masse
nahe genug, um trotz ihres Pfaffentums
bürgerliche und plebejische Sympathien zu bewahren.
Die Beteiligung an den Bewegungen der Zeit,
bei den Mönchen nur Ausnahme, war bei ihnen Regel.
Sie lieferten die Theoretiker und Ideologen
der Bewegung, und viele von ihnen, Repräsentanten
der Plebejer und Bauern, starben dafür auf dem Schafott.
Der Volkshass gegen die Pfaffen wendet sich
auch nur in einzelnen Fällen gegen sie.
Wie über den Fürsten und dem Adel der Kaiser,
so stand über den hohen und niederen Pfaffen der Papst.
Wie dem Kaiser der "gemeine Pfennig", die Reichssteuern,
bezahlt wurden, so dem Papst die allgemeinen Kirchensteuern,
aus denen er den Luxus am römischen Hofe bestritt.
In keinem Lande wurden diese Kirchensteuern -
dank der Macht und Zahl der Pfaffen -
mit größerer Gewissenhaftigkeit und Strenge eingetrieben
als in Deutschland. So besonders die Annaten
bei Erledigung der Bistümer. Mit den steigenden
Bedürfnissen wurden dann neue Mittel zur Beschaffung
des Geldes erfunden: Handel mit Reliquien,
Ablass- und Jubelgelder. Große Summen wanderten so
alljährlich aus Deutschland nach Rom,
und der hierdurch vermehrte Druck steigerte
nicht nur den Pfaffenhass, er erregte auch
das Nationalgefühl, besonders des Adels,
des damals nationalbewusstesten Standes.
Aus den ursprünglichen Pfahlbürgern
der mittelalterlichen Städte hatten sich
mit dem Aufblühen des Handels und der Gewerbe
drei scharf gesonderte Fraktionen entwickelt.
An der Spitze der städtischen Gesellschaft standen
die patrizischen Geschlechter, die sogenannte "Ehrbarkeit".
Sie waren die reichsten Familien. Sie allein saßen
im Rat und in allen städtischen Ämtern. Sie verwalteten
daher nicht bloß die Einkünfte der Stadt, sie verzehrten
sie auch. Stark durch ihren Reichtum,
durch ihre althergebrachte, von Kaiser und Reich
anerkannte aristokratische Stellung, exploitierten sie
sowohl die Stadtgemeinde wie die der Stadt
untertänigen Bauern auf jede Weise. Sie trieben Wucher
in Korn und Geld, oktroyierten sich Monopole aller Art,
entzogen der Gemeinde nacheinander alle Anrechte
auf Mitbenutzung der städtischen Wälder und Wiesen
und benutzten diese direkt zu ihrem eigenen Privatvorteil,
legten willkürlich Weg-, Brücken- und Torzölle
und andere Lasten auf und trieben Handel
mit Zunftprivilegien, Meisterschafts- und Bürgerrechten
und mit der Justiz. Mit den Bauern
gingen sie nicht schonender um als der Adel oder die Pfaffen;
im Gegenteil, die städtischen Vögte und Amtleute
auf den Dörfern, lauter Patrizier, brachten
zu der aristokratischen Härte und Habgier
noch eine gewisse bürokratische Genauigkeit
in der Eintreibung mit. Die so zusammengebrachten
städtischen Einkünfte wurden mit der höchsten
Willkür verwaltet; die Verrechnung in den städtischen
Büchern, eine reine Förmlichkeit, war möglichst
nachlässig und verworren; Unterschleife
und Kassendefekte waren an der Tagesordnung.
Wie leicht es damals einer von allen Seiten
mit Privilegien umgebenen, wenig zahlreichen
und durch Verwandtschaft und Interesse
eng zusammengehaltenen Kaste war,
sich aus den städtischen Einkünften enorm zu bereichern,
begreift man, wenn man an die zahlreichen Unterschleife
und Schwindeleien denkt, die das Jahr 1848
in so vielen städtischen Verwaltungen
an den Tag gebracht hat. Die Patrizier hatten
Sorge getragen, die Rechte der Stadtgemeinde
besonders in Finanzsachen überall einschlafen zu lassen.
Erst später, als die Prellereien dieser Herren zu arg wurden,
setzten sich die Gemeinden wieder in Bewegung,
um wenigstens die Kontrolle über die städtische Verwaltung
an sich zu bringen. Sie erlangten in den meisten Städten
ihre Rechte wirklich wieder. Aber bei den ewigen
Streitigkeiten der Zünfte unter sich, bei der Zähigkeit
der Patrizier und dem Schutz, den sie beim Reich
und den Regierungen der ihnen verbündeten Städte
fanden, stellten die patrizischen Ratsherren
sehr bald ihre alte Alleinherrschaft faktisch wieder her,
sei es durch List, sei es durch Gewalt. Im Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts befand sich die Gemeinde
in allen Städten wieder in der Opposition.
Die städtische Opposition gegen das Patriziat
teilte sich in zwei Fraktionen, die im Bauernkrieg
sehr bestimmt hervortreten. Die bürgerliche Opposition,
die Vorgängerin unsrer heutigen Liberalen, umfasste
die reicheren und mittleren Bürger sowie
einen nach den Lokalumständen größeren oder geringeren Teil
der Kleinbürger. Ihre Forderungen hielten sich rein
auf verfassungsmäßigem Boden. Sie verlangten
die Kontrolle über die städtische Verwaltung
und einen Anteil an der gesetzgebenden Gewalt,
sei es durch die Gemeindeversammlung selbst
oder durch eine Gemeindevertretung; ferner
Beschränkung des patrizischen Nepotismus
und der Oligarchie einiger weniger Familien,
die selbst innerhalb des Patriziats immer offener hervortrat.
Höchstens verlangten sie außerdem noch
die Besetzung einiger Ratsstellen durch Bürger
aus ihrer eignen Mitte. Diese Partei, der sich hier und da
die unzufriedene und heruntergekommene Fraktion
des Patriziats anschloss, hatte in allen
ordentlichen Gemeindeversammlungen und auf den Zünften
die große Majorität. Die Anhänger des Rats
und die radikalere Opposition zusammen waren
unter den wirklichen Bürgern bei weitem die Minderzahl.
Wir werden sehen, wie während der Bewegung
des sechzehnten Jahrhunderts diese gemäßigte,
gesetzliche, wohlhabende und intelligente Opposition
genau dieselbe Rolle spielt, und genau
mit demselben Erfolg, wie ihre Erbin,
die konstitutionelle Partei, 1848 und 1849.
Im übrigen eiferte die bürgerliche Opposition
noch sehr ernstlich wider die Pfaffen, deren faules
Wohlleben und lockere Sitten ihr großes Ärgernis gaben.
Sie verlangte Maßregeln gegen den skandalösen
Lebenswandel dieser würdigen Männer. Sie forderte,
dass die eigene Gerichtsbarkeit und die Steuerfreiheit
der Pfaffen abgeschafft und die Zahl der Mönche
überhaupt beschränkt werde. Die plebejische Opposition
bestand aus den heruntergekommenen Bürgern
und der Masse der städtischen Bewohner,
die vom Bürgerrechte ausgeschlossen war:
den Handwerksgesellen, den Tagelöhnern
und den zahlreichen Anfängen des Lumpenproletariats,
die sich selbst auf den untergeordneten Stufen
der städtischen Entwicklung vorfinden. Das Lumpenproletariat
ist überhaupt eine Erscheinung, die, mehr oder weniger
ausgebildet, in fast allen bisherigen Gesellschaftsphasen
vorkommt. Die Menge von Leuten ohne bestimmten
Erwerbszweig oder festen Wohnsitz wurde gerade damals
sehr vermehrt durch das Zerfallen des Feudalismus
in einer Gesellschaft, in der noch jeder Erwerbszweig,
jede Lebenssphäre hinter einer Unzahl
von Privilegien verschanzt war. In allen entwickelten
Ländern war die Zahl der Vagabunden
nie so groß gewesen wie in der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts. Ein Teil dieser Landstreicher
trat in Kriegszeiten in die Armeen, ein anderer
bettelte sich durchs Land, der dritte endlich
suchte in den Städten durch Tagelöhnerarbeit
und was sonst gerade nicht zünftig war,
seine notdürftige Existenz. Alle drei spielen eine Rolle
im Bauernkrieg: der erste in den Fürstenarmeen,
denen die Bauern erlagen, der zweite
in den Bauernverschwörungen und Bauernhaufen,
wo sein demoralisierender Einfluss jeden Augenblick
hervortritt, der dritte in den Kämpfen
der städtischen Parteien. Es ist übrigens nicht zu vergessen,
dass ein großer Teil dieser Klasse, namentlich
der in den Städten lebende, damals noch
einen bedeutenden Kern gesunder Bauernnatur besaß
und noch lange nicht die Käuflichkeit und Verkommenheit
des heutigen zivilisierten Lumpenproletariats
entwickelt hatte. Man sieht, die plebejische Opposition
der damaligen Städte bestand aus sehr gemischten Elementen.
Sie vereinigte die verkommenen Bestandteile
der alten feudalen und zünftigen Gesellschaft
mit dem noch unentwickelten, kaum emportauchenden
proletarischen Element der aufkeimenden,
modernen bürgerlichen Gesellschaft. Verarmte Zunftbürger,
die noch durch das Privileg mit der bestehenden
bürgerlichen Ordnung zusammenhingen,
auf der einen Seite; verstoßene Bauern
und abgedankte Dienstleute, die noch nicht
zu Proletariern werden konnten, auf der andern.
Zwischen beiden die Gesellen, momentan
außerhalb der offiziellen Gesellschaft stehend
und sich in ihrer Lebenslage dem Proletariat
so sehr nähernd, wie dies bei der damaligen Industrie
und unter dem Zunftprivileg möglich; aber,
zu gleicher Zeit, fast lauter zukünftige bürgerliche Meister,
kraft eben dieses Zunftprivilegs. Die Parteistellung
dieses Gemisches von Elementen war daher
notwendig höchst unsicher und je nach der Lokalität
verschieden. Vor dem Bauernkriege tritt
die plebejische Opposition in den politischen Kämpfen
nicht als Partei, sie tritt nur als turbulenter,
plünderungssüchtiger, mit einigen Fässern Wein
käuflicher Schwanz der bürgerlichen Opposition auf.
Erst die Aufstände der Bauern machen sie zur Partei,
und auch da ist sie fast überall in ihren Forderungen
und ihrem Auftreten abhängig von den Bauern -
ein merkwürdiger Beweis, wie sehr damals
die Stadt noch abhängig vom Lande war. Soweit sie
selbständig auftritt, verlangt sie die Herstellung
der städtischen Gewerksmonopole auf dem Lande,
will sie die städtischen Einkünfte nicht
durch Abschaffung der Feudallasten geschmälert wissen;
kurz, so weit ist sie reaktionär, ordnet sie sich
ihren eigenen kleinbürgerlichen Elementen unter
und liefert damit ein charakteristisches Vorspiel
zu der Tragikomödie, die die moderne Kleinbürgerschaft
seit einigen Jahren unter der Firma der Demokratie aufführt.
Nur in Thüringen unter dem direkten Einfluss Müntzers
und an einzelnen andern Orten unter dem seiner Schüler
wurde die plebejische Fraktion der Städte
von dem allgemeinen Sturm so weit fortgerissen,
dass das embryonale proletarische Element
in ihr momentan die Oberhand über alle andern
Fraktionen der Bewegung bekam. Diese Episode,
die den Kulminationspunkt des ganzen Bauernkriegs
bildet und sich um seine großartigste Gestalt,
um Thomas Müntzer, gruppiert, ist zugleich die kürzeste.
Es versteht sich, dass sie am schnellsten zusammenbrechen
und dass sie zu gleicher Zeit ein vorzugsweise
phantastisches Gepräge tragen, dass der Ausdruck
ihrer Forderungen höchst unbestimmt bleiben muss;
gerade sie fand am wenigsten festen Boden
in den damaligen Verhältnissen. Unter allen diesen Klassen,
mit Ausnahme der letzten, stand die große exploitierte Masse
der Nation: die Bauern. Auf dem Bauer lastete
der ganze Schichtenbau der Gesellschaft:
Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger.
Ob er der Angehörige eines Fürsten, eines Reichsfreiherrn,
eines Bischofs, eines Klosters, einer Stadt war,
er wurde überall wie eine Sache, wie ein Lasttier
behandelt, und schlimmer. War er Leibeigener,
so war er seinem Herrn auf Gnade und Ungnade
zur Verfügung gestellt. War er Höriger, so waren
schon die gesetzlichen, vertragsmäßigen Leistungen
hinreichend, ihn zu erdrücken; aber diese Leistungen
wurden täglich vermehrt. Den größten Teil seiner Zeit
musste er auf den Gütern des Herrn arbeiten;
von dem, was er sich in den wenigen freien Stunden
erwarb, mussten Zehnten, Zins, Gült, Bede,
Reisegeld, Kriegssteuer, Landessteuer und Reichssteuer
gezahlt werden. Er konnte nicht heiraten und nicht sterben,
ohne dass dem Herrn gezahlt wurde. Er musste,
außer den regelmäßigen Frondiensten,
für den gnädigen Herrn Streu sammeln,
Erdbeeren sammeln, Heidelbeeren sammeln,
Schneckenhäuser sammeln, das Wild zur Jagd treiben,
Holz hacken. Fischerei und Jagd gehörten dem Herrn,
der Bauer musste ruhig zusehen, wenn das Wild
seine Ernte zerstörte. Die Gemeindeweiden
und Waldungen der Bauern waren fast überall
gewaltsam von den Herren weggenommen worden.
Und wie über das Eigentum, so schaltete der Herr
willkürlich über die Person des Bauern,
über die seiner Frau und seiner Töchter.
Er hatte das Recht der ersten Nacht.
Er warf ihn in den Turm, wenn es ihm beliebte,
wo ihn mit derselben Sicherheit, wie jetzt
der Untersuchungsrichter, damals die Folter erwartete.
Er schlug ihn tot oder ließ ihn köpfen, wenn es ihm beliebte.
Von jenen erbaulichen Kapiteln der Carolina,
die da von Ohrenabschneiden, von Nasenabschneiden,
von Augenausstechen, von Abhacken der Finger
und der Hände, vom Köpfen, vom Rädern,
vom Verbrennen, vom Zwicken mit glühenden Zangen,
vom Vierteilen handeln, ist kein einziges,
das der gnädige Leibherr nicht nach Belieben
gegen seine Bauern angewandt hätte. Wer sollte ihn schützen?
In den Gerichten saßen Barone, Pfaffen, Patrizier
oder Juristen, die wohl wussten, wofür sie bezahlt wurden.
Alle offiziellen Stände des Reichs lebten ja
von der Ausbeutung der Bauern. Die Bauern,
knirschend unter dem furchtbaren Druck,
waren dennoch schwer zum Aufstand zu bringen.
Ihre Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame
Übereinkunft im höchsten Grade. Die lange Gewohnheit
der von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten
Unterwerfung, die Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen
in vielen Gegenden, die je nach der Persönlichkeit
der Herren bald abnehmende, bald zunehmende
Härte der Ausbeutung trug dazu bei, die Bauern
ruhig zu erhalten. Wir finden daher im Mittelalter
Lokalinsurrektionen der Bauern in Menge,
aber - wenigstens in Deutschland - vor dem Bauernkrieg
keinen einzigen allgemeinen, nationalen Bauernaufstand.
Dazu waren die Bauern allein nicht imstande,
eine Revolution zu machen, solange ihnen
die organisierte Macht der Fürsten, des Adels
und der Städte verbündet und geschlossen
entgegenstand. Nur durch eine Allianz
mit andern Ständen konnten sie eine Chance
des Sieges bekommen; aber wie sollten sie sich
mit andern Ständen verbinden, da sie von allen
gleichmäßig ausgebeutet wurden? Wir sehen,
die verschiedenen Stände des Reichs: Fürsten, Adel,
Prälaten, Patrizier, Bürger, Plebejer und Bauern
bildeten im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
eine höchst verworrene Masse
mit den verschiedenartigsten, sich nach allen Richtungen
durchkreuzenden Bedürfnissen. Jeder Stand
war dem andern im Wege, lag mit allen andern
in einem fortgesetzten, bald offenen, bald versteckten Kampf.
Jene Spaltung der ganzen Nation in zwei große Lager,
wie sie beim Ausbruch der ersten Revolution
in Frankreich bestand, wie sie jetzt auf einer höheren
Entwicklungsstufe in den fortgeschrittensten Ländern besteht,
war unter diesen Umständen rein unmöglich;
sie konnte selbst annähernd nur dann zustande kommen,
wenn die unterste, von allen übrigen Ständen
exploitierte Schichte der Nation sich erhob: die Bauern
und die Plebejer. Man wird die Verwirrung
der Interessen, Ansichten und Bestrebungen
jener Zeit leicht begreifen, wenn man sich erinnert,
welche Konfusion in den letzten Jahren die jetzige,
weit weniger komplizierte Zusammensetzung
der deutschen Nation aus Feudaladel, Bourgeoisie,
Kleinbürgerschaft, Bauern und Proletariat
hervorgebracht hat. Und damit vorerst genug.
VIERTER GESANG
Die Gruppierung der damals so mannigfaltigen Stände
zu größeren Ganzen wurde schon durch die Dezentralisation
und die lokale und provinzielle Selbständigkeit,
durch die industrielle und kommerzielle Entfremdung
der Provinzen voneinander, durch die schlechten
Kommunikationen fast unmöglich gemacht.
Diese Gruppierung bildet sich erst heraus
mit der allgemeinen Verbreitung revolutionärer
religiös-politischer Ideen in der Reformation.
Die verschiedenen Stände, die sich diesen Ideen
anschließen oder entgegenstellen, konzentrieren,
freilich nur sehr mühsam und annähernd, die Nation
in drei große Lager, in das katholische oder reaktionäre,
das lutherische bürgerlich-reformierende
und das revolutionäre. Wenn wir auch in dieser großen
Zerklüftung der Nation wenig Konsequenz entdecken,
wenn wir in den ersten beiden Lagern zum Teil
dieselben Elemente finden, so erklärt sich dies
aus dem Zustand der Auflösung, in dem sich die meisten,
aus dem Mittelalter überlieferten offiziellen Stände befanden,
und aus der Dezentralisation, die denselben Ständen
an verschiedenen Orten momentan entgegengesetzte
Richtungen anwies. Wir haben in den letzten Jahren
so häufig ganz ähnliche Fakten in Deutschland
zu sehen Gelegenheit gehabt, dass uns eine solche
scheinbare Durcheinanderwürfelung der Stände und Klassen
unter den viel verwickelteren Verhältnissen
des 16. Jahrhunderts nicht wundern kann.
Die deutsche Ideologie sieht, trotz der neuesten Erfahrungen,
in den Kämpfen, denen das Mittelalter erlag,
noch immer weiter nichts als heftige theologische
Zänkereien. Hätten die Leute jener Zeit sich nur
über die himmlischen Dinge verständigen können,
so wäre, nach der Ansicht unsrer vaterländischen
Geschichtskenner und Staatsweisen,
gar kein Grund vorhanden gewesen, über die Dinge
dieser Welt zu streiten. Diese Ideologen sind leichtgläubig
genug, alle Illusionen für bare Münze zu nehmen,
die sich eine Epoche über sich selbst macht
oder die die Ideologen einer Zeit sich
über diese Zeit machen. Dieselbe Klasse von Leuten
sieht in der Revolution von 1789 nur eine etwas hitzige
Debatte über die Vorzüge der konstitutionellen
vor der absoluten Monarchie, in der Julirevolution
eine praktische Kontroverse über die Unhaltbarkeit
des Rechts "von Gottes Gnaden", in der Februarrevolution
den Versuch zur Lösung der Frage "Republik
oder Monarchie?" Von den Klassenkämpfen,
die in diesen Erschütterungen ausgefochten werden
und deren bloßer Ausdruck die jedes Mal
auf die Fahne geschriebene politische Phrase ist,
von diesen Klassenkämpfen haben selbst heute noch
unsre Ideologen kaum eine Ahnung, obwohl die Kunde
davon vernehmlich genug nicht nur vorn Ausland herüber,
sondern auch aus dem Murren und Grollen vieler tausend
einheimischen Proletarier herauf erschallt.
Auch in den sogenannten Religionskriegen
des sechzehnten Jahrhunderts handelte es sich vor allem
um sehr positive materielle Klasseninteressen,
und diese Kriege waren Klassenkämpfe, ebenso gut
wie die späteren inneren Kollisionen in England
und Frankreich. Wenn diese Klassenkämpfe damals
religiöse Schibboleths trugen, wenn die Interessen,
Bedürfnisse und Forderungen der einzelnen Klassen
sich unter einer religiösen Decke verbargen,
so ändert dies nichts an der Sache und erklärt sich leicht
aus den Zeitverhältnissen. Das Mittelalter
hatte sich ganz aus dem Rohen entwickelt.
Über die alte Zivilisation, die alte Philosophie,
Politik und Jurisprudenz hatte es reinen Tisch gemacht,
um in allem wieder von vorn anzufangen.
Das einzige, das es aus der untergegangenen alten Welt
übernommen hatte, war das Christentum
und eine Anzahl halb zerstörter, ihrer ganzen Zivilisation
entkleideter Städte. Die Folge davon war, dass,
wie auf allen ursprünglichen Entwicklungsstufen,
die Pfaffen das Monopol der intellektuellen Bildung
erhielten und damit die Bildung selbst
einen wesentlich theologischen Charakter bekam.
Unter den Händen der Pfaffen blieben Politik
und Jurisprudenz, wie alle übrigen Wissenschaften,
bloße Zweige der Theologie und wurden
nach denselben Prinzipien behandelt, die in dieser
Geltung hatten. Die Dogmen der Kirche
waren zu gleicher Zeit politische Axiome,
und Bibelstellen hatten in jedem Gerichtshof
Gesetzeskraft. Selbst als ein eigener Juristenstand
sich bildete, blieb die Jurisprudenz noch lange
unter der Vormundschaft der Theologie.
Und diese Oberherrlichkeit der Theologie
auf dem ganzen Gebiet der intellektuellen Tätigkeit
war zugleich die notwendige Folge von der Stellung
der Kirche als der allgemeinsten Zusammenfassung
und Sanktion der bestehenden Feudalherrschaft.
Es ist klar, dass hiermit alle allgemein ausgesprochenen
Angriffe auf den Feudalismus, vor allem Angriffe
auf die Kirche, alle revolutionären, gesellschaftlichen
und politischen Doktrinen zugleich und vorwiegend
theologische Ketzereien sein mussten. Damit
die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse
angetastet werden konnten, musste ihnen
der Heiligenschein abgestreift werden.
Die revolutionäre Opposition gegen die Feudalität
geht durch das ganze Mittelalter. Sie tritt auf,
je nach den Zeitverhältnissen, als Mystik,
als offene Ketzerei, als bewaffneter Aufstand.
Was die Mystik angeht, so weiß man, wie abhängig
die Reformatoren des 16. Jahrhunderts von ihr waren;
auch Müntzer hat viel aus ihr genommen.
Die Ketzereien waren teils der Ausdruck
der Reaktion der patriarchalischen Alpenhirten
gegen die zu ihnen vordringende Feudalität
(die Waldenser; teils der Opposition der
dem Feudalismus entwachsenen Städte
gegen ihn, die Albigenser, Arnold von Brescia);
teils direkter Insurrektionen der Bauern
(John Ball, der Meister aus Ungarn, in der Pikardie).
Die patriarchalische Ketzerei der Waldenser
können wir hier, ganz wie die Insurrektion
der Schweizer, als einen nach Form und Inhalt
reaktionären Versuch der Absperrung
gegen die geschichtliche Bewegung,
und von nur lokaler Bedeutung, beiseite lassen.
In den beiden übrigen Formen der mittelalterlichen
Ketzerei finden wir schon im zwölften Jahrhundert
die Vorläufer des großen Gegensatzes
zwischen bürgerlicher und bäurisch-plebejischer Opposition,
an dem der Bauernkrieg zugrunde ging.
Dieser Gegensatz zieht sich durchs ganze spätere Mittelalter.
Die Ketzerei der Städte - und sie ist die eigentlich
offizielle Ketzerei des Mittelalters - wandte sich
hauptsächlich gegen die Pfaffen, deren Reichtümer
und politische Stellung sie angriff. Wie jetzt
die Bourgeoisie ein gouvernement à bon marché,
eine wohlfeile Regierung fordert, so verlangten
die mittelalterlichen Bürger zunächst eine
église à bon marché, eine wohlfeile Kirche.
Der Form nach reaktionär, wie jede Ketzerei,
die in der Fortentwicklung der Kirche und der Dogmen
nur eine Entartung sehen kann, forderte
die bürgerliche Ketzerei Herstellung der urchristlichen
einfachen Kirchenverfassung und Aufhebung
des exklusiven Priesterstandes. Diese wohlfeile
Einrichtung beseitigte die Mönche, die Prälaten,
den römischen Hof, kurz alles, was in der Kirche
kostspielig war. Die Städte, selbst Republiken,
wenn auch unter dem Schutz von Monarchen,
sprachen durch ihre Angriffe gegen das Papsttum
zum ersten Male in allgemeiner Form aus,
dass die normale Form der Herrschaft des Bürgertums
die Republik ist. Ihre Feindschaft gegen eine Reihe
von Dogmen und Kirchengesetzen erklärt sich
teils aus dem Gesagten, teils aus ihren sonstigen
Lebensverhältnissen. Warum sie so heftig
gegen das Zölibat auftraten, darüber gibt niemand
besser Aufschluss als Boccaccio.
Arnold von Brescia in Italien und Deutschland,
die Albigenser in Südfrankreich, John Wycliffe
in England, Hus und die Calixtiner in Böhmen
waren die Hauptrepräsentanten dieser Richtung.
dass die Opposition gegen den Feudalismus
hier nur als Opposition gegen die geistliche
Feudalität auftritt, erklärt sich sehr einfach daraus,
dass die Städte überall schon anerkannter Stand waren
und die weltliche Feudalität mit ihren Privilegien,
mit den Waffen oder in den ständischen
Versammlungen hinreichend bekämpfen konnten.
Auch hier sehen wir schon, sowohl in Südfrankreich
wie in England und Böhmen, dass der größte Teil
des niederen Adels sich den Städten im Kampf
gegen die Pfaffen und in der Ketzerei anschließt -
eine Erscheinung, die sich aus der Abhängigkeit
des niederen Adels von den Städten
und aus der Gemeinsamkeit der Interessen beider
gegenüber den Fürsten und Prälaten erklärt
und die wir im Bauernkrieg wiederfinden werden.
Einen ganz verschiedenen Charakter hatte die Ketzerei,
die der direkte Ausdruck der bäurischen
und plebejischen Bedürfnisse war und sich fast immer
an einen Aufstand anschloss. Sie teilte zwar
alle Forderungen der bürgerlichen Ketzerei
in Betreff der Pfaffen, des Papsttums
und der Herstellung der urchristlichen Kirchenverfassung,
aber sie ging zugleich unendlich weiter.
Sie verlangte die Herstellung des urchristlichen
Gleichheitsverhältnisses unter den Mitgliedern der Gemeinde
und seine Anerkennung als Norm auch für
die bürgerliche Welt. Sie zog von der
Gleichheit der Kinder Gottes den Schluss
auf die bürgerliche Gleichheit und selbst teilweise schon
auf die Gleichheit des Vermögens. Gleichstellung
des Adels mit den Bauern, der Patrizier
und bevorrechteten Bürger mit den Plebejern,
Abschaffung der Frondienste, Grundzinsen, Steuern,
Privilegien und wenigstens der schreienden
Vermögensunterschiede waren Forderungen,
die mit mehr oder weniger Bestimmtheit aufgestellt
und als notwendige Konsequenzen der urchristlichen
Doktrin behauptet wurden. Diese bäurisch-plebejische
Ketzerei, in der Blütezeit des Feudalismus,
bei den Albigensern, kaum noch zu trennen
von der bürgerlichen, entwickelt sich
zu einer scharf geschiedenen Parteiansicht
im 14. und 15. Jahrhundert, wo sie gewöhnlich
ganz selbständig neben der bürgerlichen Ketzerei auftritt.
So John Ball, der Prediger des Wat-Tylerschen Aufstandes
in England neben der Wycliffeschen Bewegung,
so die Taboriten neben Calixtinern in Böhmen.
Bei den Taboriten tritt sogar schon die republikanische
Tendenz unter theokratischer Verbrämung hervor,
die am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts
durch die Vertreter der Plebejer in Deutschland
weiter ausgebildet wurde. An diese Form der Ketzerei
schließt sich die Schwärmerei mystizisierender Sekten,
der Geißler, Lollards, die in Zeiten der Unterdrückung
die revolutionäre Tradition fortpflanzen.
Die Plebejer waren damals die einzige Klasse,
die ganz außerhalb der offiziell bestehenden
Gesellschaft stand. Sie befand sich außerhalb
des feudalen und außerhalb des bürgerlichen Verbandes.
Sie hatte weder Privilegien noch Eigentum;
sie hatte nicht einmal, wie die Bauern und Kleinbürger,
einen mit drückenden Lasten beschwerten Besitz.
Sie war in jeder Beziehung besitzlos und rechtlos;
ihre Lebensbedingungen kamen direkt nicht einmal
in Berührung mit den bestehenden Institutionen,
von denen sie vollständig ignoriert wurden.
Sie war das lebendige Symptom der Auflösung
der feudalen und zunftbürgerlichen Gesellschaft
und zugleich der erste Vorläufer der modernen
bürgerlichen Gesellschaft. Aus dieser Stellung
erklärt es sich, warum die plebejische Fraktion
schon damals nicht bei der bloßen Bekämpfung
des Feudalismus und der privilegierten
Pfahlbürgerei stehenbleiben konnte, warum sie,
wenigstens in der Phantasie, selbst über die
kaum empor dämmernde modern-bürgerliche
Gesellschaft hinausgreifen, warum sie,
die vollständig besitzlose Fraktion,
schon Institutionen, Anschauungen und Vorstellungen
in Frage stellen musste, welche allen
auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaftsformen
gemeinsam sind. Die chiliastischen Schwärmereien
des ersten Christentums boten hierzu
einen bequemen Anknüpfungspunkt. Aber zugleich
konnte dies Hinausgehen nicht nur über die Gegenwart,
sondern selbst über die Zukunft,
nur ein gewaltsames, phantastisches sein
und musste beim ersten Versuch der praktischen
Anwendung zurückfallen in die beschränkten Grenzen,
die die damaligen Verhältnisse allein zuließen.
Der Angriff auf das Privateigentum, die Forderung
der Gütergemeinschaft, musste sich auflösen
in eine rohe Organisation der Wohltätigkeit;
die vage christliche Gleichheit konnte höchstens
auf die bürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz hinauslaufen;
die Beseitigung aller Obrigkeit verwandelt sich
schließlich in die Herstellung vom Volke
gewählter republikanischer Regierungen.
Die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie
wurde in der Wirklichkeit eine Antizipation
der modernen bürgerlichen Verhältnisse.
Diese gewaltsame, aber dennoch aus der Lebenslage
der plebejischen Fraktion sehr erklärliche Antizipation
auf die spätere Geschichte finden wir zuerst in Deutschland,
bei Thomas Müntzer und seiner Partei.
Bei den Taboriten hatte allerdings eine Art
chiliastische Gütergemeinschaft bestanden, aber nur
als rein militärische Maßregel. Erst bei Müntzer
sind diese kommunistischen Anklänge Ausdruck
der Bestrebungen einer wirklichen Gesellschaftsfraktion,
erst bei ihm sind sie mit einer gewissen Bestimmtheit
formuliert, und seit ihm finden wir sie
in jeder großen Volkserschütterung wieder,
bis sie allmählich mit der modernen proletarischen
Bewegung zusammenfließen; geradeso wie im Mittelalter
die Kämpfe der freien Bauern gegen die sie
mehr und mehr umstrickende Feudalherrschaft
zusammenfließen mit den Kämpfen der Leibeigenen
und Hörigen um den vollständigen Bruch
der Feudalherrschaft. Während sich in dem ersten
der drei großen Lager, im konservativ-katholischen,
alle Elemente zusammenfanden, die an der Erhaltung
des Bestehenden interessiert waren, also die Reichsgewalt,
die geistlichen und ein Teil der weltlichen Fürsten,
der reichere Adel, die Prälaten und das städtische Patriziat,
sammeln sich um das Banner der bürgerlich-gemäßigten
lutherischen Reform die besitzenden Elemente der Opposition,
die Masse des niederen Adels, die Bürgerschaft
und selbst ein Teil der weltlichen Fürsten,
der sich durch Konfiskation der geistlichen Güter
zu bereichern hoffte und die Gelegenheit
zur Erringung größerer Unabhängigkeit vom Reich
benutzen wollte. Die Bauern und Plebejer endlich
schlossen sich zur revolutionären Partei zusammen,
deren Forderungen und Doktrinen am schärfsten
durch Müntzer ausgesprochen wurden. Luther und Müntzer
repräsentieren nach ihrer Doktrin wie nach ihrem Charakter
und ihrem Auftreten jeder seine Partei vollständig.
Luther hat in den Jahren 1517 bis 1525
ganz dieselben Wandlungen durchgemacht,
die die modernen deutschen Konstitutionellen
von 1846 bis 1849 durchmachten und die jede
bürgerliche Partei durchmacht, welche, einen Moment
an die Spitze der Bewegung gestellt, in dieser Bewegung
selbst von der hinter ihr stehenden plebejischen
oder proletarischen Partei überflügelt wird.
Als Luther 1517 zuerst gegen die Dogmen
und die Verfassung der katholischen Kirche auftrat,
hatte seine Opposition durchaus noch keinen
bestimmten Charakter. Ohne über die Forderungen
der früheren bürgerlichen Ketzerei hinauszugehen,
schloss sie keine einzige weitergehende Richtung aus
und konnte es nicht. Im ersten Moment mussten
alle oppositionellen Elemente vereinigt, musste
die entschiedenste revolutionäre Energie angewandt,
musste die Gesamtmasse der bisherigen Ketzerei
gegenüber der katholischen Rechtgläubigkeit
vertreten werden. Geradeso waren unsere liberalen
Bourgeois noch 1847 revolutionär, nannten sich
Sozialisten und Kommunisten und schwärmten
für die Emanzipation der Arbeiterklasse.
Die kräftige Bauernnatur Luthers machte sich
in dieser ersten Periode seines Auftretens
in ungestümer Weise Luft: Wenn ihr (die römischen Pfaffen)
rasend Wüten einen Fortgang haben sollte,
mich es wäre schier kein besserer Rat und Arznei,
ihm zu steuern, denn dass Könige und Fürsten
mit Gewalt dazutäten, sich rüsteten und diese
schädlichen Leute, so alle Welt vergiften, angriffen
und einmal des Spiels ein Ende machten, mit Waffen,
nicht mit Worten. So wir Diebe mit Schwert,
Mörder mit Strang, Ketzer mit Feuer strafen,
warum greifen wir nicht vielmehr an diese schädlichen
Lehrer des Verderbens, als Päpste, Kardinäle, Bischöfe
und das ganze Geschwärm der römischen Sodoma
mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut?
Aber dieser erste revolutionäre Feuereifer
dauerte nicht lange. Der Blitz schlug ein,
den Luther geschleudert hatte. Das ganze deutsche Volk
geriet in Bewegung. Auf der einen Seite sahen Bauern
und Plebejer in seinen Aufrufen wider die Pfaffen,
in seiner Predigt von der christlichen Freiheit
das Signal zur Erhebung; auf der andern schlossen sich
die gemäßigten Bürger und ein großer Teil
des niederen Adels ihm an, wurden selbst Fürsten
vom Strom mit fortgerissen. Die einen glaubten
den Tag gekommen, wo sie mit allen ihren Unterdrückern
Abrechnung halten könnten, die andern wollten nur
die Macht der Pfaffen, die Abhängigkeit von Rom,
die katholische Hierarchie brechen und sich
aus der Konfiskation des Kirchengutes bereichern.
Die Parteien sonderten sich und fanden
ihre Repräsentanten. Luther musste zwischen ihnen wählen.
Er, der Schützling des Kurfürsten von Sachsen,
der angesehene Professor von Wittenberg,
der über Nacht mächtig und berühmt gewordene,
mit einem Zirkel von abhängigen Kreaturen
und Schmeichlern umgebene große Mann
zauderte keinen Augenblick. Er ließ die populären
Elemente der Bewegung fallen und schloss sich
der bürgerlichen, adligen und fürstlichen Seite an.
Die Aufrufe zum Vernichtungskrieg gegen Rom verstummten;
Luther predigte jetzt die friedliche Entwicklung
und den passiven Widerstand. Auf Ulrich von Huttens
Einladung, zu ihm und Franz von Sickingen
auf die Ebernburg, den Mittelpunkt
der Adelsverschwörung gegen Pfaffen und Fürsten,
zu kommen, antwortete Luther: Ich möchte nicht,
dass man das Evangelium mit Gewalt und Blutvergießen
verfechte. Durch das Wort ist die Welt überwunden worden,
durch das Wort ist die Kirche erhalten, durch das Wort
wird sie auch wieder in den Stand kommen,
und der Antichrist, wie er Seines ohne Gewalt bekommen,
wird ohne Gewalt fallen. Von dieser Wendung,
oder vielmehr von dieser bestimmten Feststellung
der Richtung Luthers, begann jenes Markten und Feilschen
um die beizubehaltenden oder zu reformierenden
Institutionen und Dogmen, jene widerwärtige
Diplomatie, das Konzedieren, Intrigieren
und Vereinbaren, dessen Resultat die Augsburgische
Konfession war, die schließlich erhandelte Verfassung
der reformierten Bürgerkirche. Es ist ganz derselbe
Schacher, der sich neuerdings in deutschen
Nationalversammlungen und Erfurter Parlamenten
in politischer Form bis zum Ekel wiederholt hat.
Der spießbürgerliche Charakter der offiziellen Reformation
trat in diesen Verhandlungen aufs offenste hervor.
dass Luther, als nunmehr erklärter Repräsentant
der bürgerlichen Reform, den gesetzlichen Fortschritt
predigte, hatte seine guten Gründe. Die Masse
der Städte war der gemäßigten Reform zugefallen;
der niedere Adel schloss sich ihr mehr und mehr an,
ein Teil der Fürsten fiel zu, ein anderer schwankte.
Ihr Erfolg war so gut wie gesichert, wenigstens
in einem großen Teil von Deutschland.
Bei fortgesetzter friedlicher Entwicklung
konnten die übrigen Gegenden auf die Dauer
dem Andrang der gemäßigten Opposition nicht widerstehen.
Jede gewaltsame Erschütterung aber musste
die gemäßigte Partei in Konflikt bringen
mit der extremen, plebejischen und Bauernpartei,
musste die Fürsten, den Adel und manche Städte
der Bewegung entfremden und ließ nur die Chance
entweder des Überflügelns der bürgerlichen Partei
durch die Bauern und Plebejer oder der Unterdrückung
sämtlicher Bewegungsparteien durch die katholische
Restauration. Und wie die bürgerlichen Parteien,
sobald sie die geringsten Siege erfochten haben,
vermittelst des gesetzlichen Fortschritts zwischen
der Scylla der Revolution und der Charybdis
der Restauration hindurch zu lavieren suchen, davon
haben wir in der letzten Zeit Exempel genug gehabt.
Wie unter den allgemein gesellschaftlichen
und politischen Verhältnissen der damaligen Zeit
die Resultate jeder Veränderung notwendig
den Fürsten zugute kommen und ihre Macht
vermehren mussten, so musste die bürgerliche Reform,
je schärfer sie sich von den plebejischen
und bäurischen Elementen schied, immer mehr
unter die Kontrolle der reformierten Fürsten geraten.
Luther selbst wurde mehr und mehr ihr Knecht,
und das Volk wusste sehr gut, was es tat, wenn es sagte,
er sei ein Fürstendiener geworden wie die andern,
und wenn es ihn in Orlamünde mit Steinwürfen verfolgte.
Als der Bauernkrieg losbrach, und zwar in Gegenden,
wo Fürsten und Adel größtenteils katholisch waren,
suchte Luther eine vermittelnde Stellung einzunehmen.
Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien
schuld am Aufstand durch ihre Bedrückungen;
nicht die Bauern setzten sich wider sie, sondern Gott selbst.
Der Aufstand sei freilich auch widergöttlich
und wider das Evangelium, hieß es auf der andern Seite.
Schließlich riet er beiden Parteien, nachzugeben
und sich gütlich zu vertragen. Aber der Aufstand,
trotz dieser wohlmeinenden Vermittlungsvorschläge,
dehnte sich rasch aus, ergriff sogar protestantische,
von lutherischen Fürsten, Herren und Städten
beherrschte Gegenden und wuchs der bürgerlichen,
besonnenen Reform rasch über den Kopf.
In Luthers nächster Nähe, in Thüringen, schlug
die entschiedenste Fraktion der Insurgenten
unter Müntzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge,
und ganz Deutschland stand in Flammen,
Luther war umzingelt, vielleicht als Verräter
durch die Spieße gejagt, und die bürgerliche Reform
weggeschwemmt von der Sturmflut der bäurisch-plebejischen
Revolution. Da galt kein Besinnen mehr.
Gegenüber der Revolution wurden alle alten
Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten
der Bauern waren die Diener der römischen Sodoma
unschuldige Lämmer, sanftmütige Kinder Gottes;
und Bürger und Fürsten, Adel und Pfaffen,
Luther und Papst verbanden sich wider die mörderischen
und räuberischen Rotten der irren Bauern.
Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen,
heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man
einen tollen Hund totschlagen muss!, schrie Luther.
Darum, liebe Herren, löst hier, rettet da, steche, schlage,
würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot,
wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmer bekommen.
Man solle nur keine falsche Barmherzigkeit
mit den Bauern haben. Die mengen sich selber
unter die Aufrührerischen, die sich derer erbarmen,
welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern welche er
gestraft und verderbt haben will. Nachher
werden die Bauern selber Gott danken lernen,
wenn sie die eine Kuh hergeben müssen,
auf dass sie die andre in Frieden genießen können;
und die Fürsten werden durch den Aufruhr erkennen,
wes Geistes der Pöbel sei, der nur mit Gewalt zu regieren.
Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino,
Der Esel braucht Futter, Bürde und Stockschläge -
in einen Bauern gehört Haferstroh, sie hören nicht
das Wort und sind unsinnig, so müssen sie die virgam,
die Büchse, hören, und geschieht ihnen recht.
Bitten sollen wir für sie, dass sie gehorchen; wo nicht,
so gilt es hier nicht viel Erbarmens. Lasset nur
die Büchsen unter sie sausen, sie machen es sonst
tausendmal ärger. - Geradeso sprachen
unsere weiland sozialistischen und philanthropischen
Bourgeois, als das Proletariat nach den Märztagen
seinen Anteil an den Früchten des Siegs
zu reklamieren kam. Luther hatte der plebejischen
Bewegung ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben
durch die Übersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er
dem feudalistischen Christentum der Zeit
das bescheidene Christentum der ersten Jahrhunderte,
der zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild
einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts
von der weitschichtigen Feudalhierarchie wusste.
Die Bauern hatten dies Werkzeug gegen Fürsten,
Adel, Pfaffen, nach allen Seiten hin benutzt.
Jetzt kehrte Luther es gegen sie und stellte
aus der Bibel einen wahren Dithyrambus
auf die von Gott eingesetzte Obrigkeit zusammen,
wie ihn kein Tellerlecker der absoluten Monarchie
je zustande gebracht hat. Das Fürstentum
von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam,
selbst die Leibeigenschaft wurde mit der Bibel
sanktioniert. Nicht nur der Bauernaufstand,
auch die ganze Auflehnung Luthers selbst
gegen die geistliche und weltliche Autorität
war hierin verleugnet; nicht nur die populäre Bewegung,
auch die bürgerliche war damit an die Fürsten verraten.
Brauchen wir die Bourgeois zu nennen, die auch
von dieser Verleugnung ihrer eignen Vergangenheit
uns kürzlich wieder Beispiele gegeben haben?
Stellen wir nun dem bürgerlichen Reformator Luther
den plebejischen Revolutionär Müntzer gegenüber.
Thomas Müntzer war geboren zu Stolberg am Harz,
um das Jahr 1498. Sein Vater soll, ein Opfer der Willkür
der Stolbergschen Grafen, am Galgen gestorben sein.
Schon in seinem fünfzehnten Jahre stiftete Müntzer
auf der Schule zu Halle einen geheimen Bund
gegen den Erzbischof von Magdeburg
und die römische Kirche überhaupt. Seine Gelehrsamkeit
in der damaligen Theologie verschaffte ihm früh
den Doktorgrad und eine Stelle als Kaplan
in einem Nonnenkloster zu Halle. Hier behandelte er
schon Dogmen und Ritus der Kirche
mit der größten Verachtung, bei der Messe ließ er
die Worte der Wandlung ganz aus und aß,
wie Luther von ihm erzählt, die Hostien ungeweiht.
Sein Hauptstudium waren die mittelalterlichen Mystiker,
besonders die chiliastischen Schriften
Joachims des Calabresen. Das Tausendjährige Reich,
das Strafgericht über die entartete Kirche
und die verderbte Welt, das dieser verkündete
und ausmalte, schien Müntzer mit der Reformation
und der allgemeinen Aufregung der Zeit
nahe herbeigekommen. Er predigte in der Umgegend
mit großem Beifall. 1520 ging er als erster
evangelischer Prediger nach Zwickau. Hier fand er
eine jener schwärmerischen chiliastischen Sekten vor,
die in vielen Gegenden im stillen fort existierten,
hinter deren momentaner Demut und Zurückgezogenheit
sich die fort wuchernde Opposition der untersten
Gesellschaftsschichten gegen die bestehenden Zustände
verborgen hatte und die jetzt mit der wachsenden Agitation
immer offener und beharrlicher ans Tageslicht hervortraten.
Es war die Sekte der Wiedertäufer, an deren Spitze
Niklas Storch stand. Sie predigten das Nahen
des Jüngsten Gerichts und des Tausendjährigen Reichs;
sie hatten Visionen, Verzückungen und den Geist
der Weissagung. Bald kamen sie in Konflikt
mit dem Zwickauer Rat; Müntzer verteidigte sie,
obwohl er sich ihnen nie unbedingt anschloss,
sondern sie vielmehr unter seinen Einfluss bekam.
Der Rat schritt energisch gegen sie ein; sie mussten
die Stadt verlassen, und Müntzer mit ihnen.
Es war Ende 1521. Er ging nach Prag und suchte,
an die Reste der hussitischen Bewegung anknüpfend,
hier Boden zu gewinnen; aber seine Proklamation
hatte nur den Erfolg, dass er auch aus Böhmen
wieder fliehen musste. 1522 wurde er Prediger
zu Allstedt in Thüringen. Hier begann er damit,
den Kultus zu reformieren. Noch ehe Luther
so weit zu gehen wagte, schaffte er die lateinische Sprache
total ab und ließ die ganze Bibel, nicht bloß
die vorgeschriebenen sonntäglichen Evangelien
und Episteln verlesen. Zu gleicher Zeit organisierte er
die Propaganda in der Umgegend. Von allen Seiten
lief das Volk ihm zu, und bald wurde Allstedt das Zentrum
der populären Antipfaffenbewegung von Thüringen.
Noch war Müntzer vor allem Theologe;
noch richtete er seine Angriffe fast ausschließlich
gegen die Pfaffen. Aber er predigte nicht,
wie Luther damals schon, die ruhige Debatte
und den friedlichen Fortschritt, er setzte die früheren
gewaltsamen Predigten Luthers fort und rief
die sächsischen Fürsten und das Volk auf
zum bewaffneten Einschreiten gegen die römischen
Pfaffen: Sagt doch Christus, ich bin nicht gekommen,
Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Was sollt ihr (die sächsischen Fürsten) aber
mit demselben machen? Nichts anders, denn die Bösen,
die das Evangelium verhindern, wegtun und absondern,
wollt ihr anders Diener Gottes sein. Christus
hat mit großem Ernst befohlen: Nehmt meine Feinde
und erwürgt sie vor meinen Augen. Gebt uns
keine leeren Fratzen, dass die Kraft Gottes es tun soll
ohne euer Zutun des Schwertes, es möchte euch sonst
in der Scheide verrosten. Die, welche Gottes Offenbarung
zuwider sind, soll man wegtun, ohne alle Gnade,
wie Hiskias, Kyrus, Josia, Daniel und Elias
die Baalspfaffen verstört haben, anders mag
die christliche Kirche zu ihrem Ursprung
nicht wieder kommen. Man muss das Unkraut
ausreißen aus dem Weingarten Gottes
in der Zeit der Ernte. Gott hat gesagt, ihr sollt euch
nicht erbarmen über die Abgöttischen,
zerbrecht ihre Altäre, zerschmeißt ihre Bilder
und verbrennt sie, auf dass ich nicht mit euch zürne.
Aber diese Aufforderungen an die Fürsten
blieben ohne Erfolg, während gleichzeitig
unter dem Volk die revolutionäre Aufregung
von Tag zu Tag wuchs. Müntzer, dessen Ideen
immer schärfer ausgebildet, immer kühner wurden,
trennte sich jetzt entschieden von der bürgerlichen Reformation
und trat von nun an zugleich direkt als politischer Agitator auf.
Seine theologisch-philosophische Doktrin
griff alle Hauptpunkte nicht nur des Katholizismus,
sondern des Christentums überhaupt an.
Er lehrte unter christlichen Formen einen Pantheismus,
der mit der modernen spekulativen Anschauungsweise
eine merkwürdige Ähnlichkeit hat und stellenweise
sogar an Atheismus streift. Er verwarf die Bibel
sowohl als ausschließliche wie als unfehlbare Offenbarung.
Die eigentliche, die lebendige Offenbarung
sei die Vernunft, eine Offenbarung, die zu allen Zeiten
und bei allen Völkern existiert habe und noch existiere.
Der Vernunft die Bibel entgegenhalten, heiße
den Geist durch den Buchstaben töten.
Denn der Heilige Geist, von dem die Bibel spreche,
sei nichts außer uns Existierendes; der Heilige Geist
ist sei eben die Vernunft. Der Glaube sei nichts anderes
als das Lebendig-werden der Vernunft im Menschen,
und daher könnten auch die Heiden den Glauben haben.
Durch diesen Glauben, durch die lebendig
gewordene Vernunft werde der Mensch vergöttlicht
und selig. Der Himmel sei daher nichts Jenseitiges,
er sei in diesem Leben zu suchen, und der Beruf
der Gläubigen sei, diesen Himmel, das Reich Gottes,
hier auf der Erde herzustellen. Wie keinen jenseitigen Himmel,
so gebe es auch keine jenseitige Hölle oder Verdammnis.
Ebenso gebe es keinen Teufel als die bösen Lüste
und Begierden der Menschen. Christus sei ein Mensch
gewesen wie wir, ein Prophet und Lehrer,
und sein Abendmahl sei ein einfaches Gedächtnismahl,
worin Brot und Wein ohne weitere mystische Zutat
genossen werde. Diese Lehren predigte Müntzer
meist versteckt unter denselben christlichen Redeweisen,
unter denen sich die neuere Philosophie eine Zeitlang
verstecken musste. Aber der ketzerische Grundgedanke
blickt überall aus seinen Schriften hervor,
und man sieht, dass es ihm mit dem biblischen Deckmantel
weit weniger ernst war als manchem Schüler Hegels
in neuerer Zeit. Und doch liegen drei hundert Jahre
zwischen Müntzer und der modernen Philosophie.
Seine politische Doktrin schloss sich genau
an diese revolutionäre religiöse Anschauungsweise an
und griff ebenso weit über die unmittelbar vorliegenden
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hinaus
wie seine Theologie über die geltenden Vorstellungen
seiner Zeit. Wie Müntzers Religionsphilosophie
an den Atheismus, so streifte sein politisches Programm
an den Kommunismus, und mehr als eine moderne
kommunistische Sekte hatte noch am Vorabend
der Februarrevolution über kein reichhaltigeres
theoretisches Arsenal zu verfügen als die Müntzerschen
des sechzehnten Jahrhunderts. Dies Programm,
weniger die Zusammenfassung der Forderungen
der damaligen Plebejer als die geniale Antizipation
der Emanzipationsbedingungen der kaum
sich entwickelnden proletarischen Elemente
unter diesen Plebejern - dies Programm forderte
die sofortige Herstellung des Reiches Gottes,
des prophezeiten Tausendjährigen Reichs auf Erden,
durch Zurückführung der Kirche auf ihren Ursprung
und Beseitigung aller Institutionen, die mit dieser
angeblich urchristlichen, in Wirklichkeit aber
sehr neuen Kirche in Widerspruch standen.
Unter dem Reich Gottes verstand Müntzer
aber nichts anderes als einen Gesellschaftszustand,
in dem keine Klassenunterschiede, kein Privateigentum
und keine den Gesellschaftsmitgliedern gegenüber
selbständige, fremde Staatsgewalt mehr bestehen.
Sämtliche bestehende Gewalten, sofern sie nicht sich fügen
und der Revolution anschließen wollten, sollten gestürzt,
alle Arbeiten und alle Güter gemeinsam
und die vollständigste Gleichheit durchgeführt werden.
Ein Bund sollte gestiftet werden, um dies durchzusetzen,
nicht nur über ganz Deutschland, sondern
über die ganze Christenheit; Fürsten und Herren
sollten eingeladen werden, sich anzuschließen;
wo nicht, sollte der Bund sie bei der ersten Gelegenheit
mit den Waffen in der Hand stürzen oder töten.
Müntzer setzte sich gleich daran, diesen Bund
zu organisieren. Seine Predigten nahmen einen
noch heftigeren, revolutionäreren Charakter an;
neben den Angriffen auf die Pfaffen donnerte er
mit gleicher Leidenschaft gegen die Fürsten, den Adel,
das Patriziat, schilderte er in glühenden Farben
den bestehenden Druck und hielt dagegen
sein Phantasiebild des Tausendjährigen Reichs
der sozial-republikanischen Gleichheit.
Zugleich veröffentlichte er ein revolutionäres Pamphlet
nach dem andern und sandte Emissäre
nach allen drei Richtungen aus, während er selbst
den Bund in Allstedt und der Umgegend organisierte.
Die erste Frucht dieser Propaganda war die Zerstörung
der Marienkapelle zu Mellerbach bei Allstedt,
nach dem Gebot: Ihre Altäre sollt ihr zerreißen,
ihre Säulen zerbrechen und ihre Götzen
mit Feuer verbrennen, denn ihr seid ein heiliges Volk.
Die sächsischen Fürsten kamen selbst nach Allstedt,
um den Aufruhr zu stillen, und ließen Müntzer
aufs Schloss rufen. Dort hielt er eine Predigt,
wie sie deren von Luther, dem sanft lebenden Fleisch
zu Wittenberg, wie Müntzer ihn nannte, nicht gewohnt waren.
Er bestand darauf, dass die gottlosen Regenten,
besonders Pfaffen und Mönche, die das Evangelium
als Ketzerei behandeln, getötet werden müssten,
und berief sich dafür aufs Neue Testament.
Die Gottlosen hätten kein Recht zu leben,
es sei denn durch die Gnade der Auserwählten.
Wenn die Fürsten die Gottlosen nicht vertilgen,
so werde Gott ihnen das Schwert nehmen,
denn die ganze Gemeinde habe die Gewalt des Schwerts.
Die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei
seien die Fürsten und Herren; sie nehmen alle Kreaturen
zum Eigentum, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft,
das Gewächs auf Erden. Und dann predigen sie gar noch
den Armen das Gebot: Du sollst nicht stehlen,
sie selber aber nehmen, wo sie es finden,
schinden und schaben den Bauer und den Handwerker;
wo aber dieser am Allergeringsten sich vergreife,
so müsse er hängen, und zu dem allen sage dann
der Doktor Lügner: Amen. Die Herren machen das
selber, dass ihnen der arme Mann feind wird.
Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun,
wie kann es in die Länge gut werden? Ach, liebe Herren,
wie hübsch wird der Herr unter die alten Töpfe schmeißen
mit einer eisernen Stange! So ich das sage,
werde ich aufrührerisch sein. Wohlan denn!
Müntzer ließ die Predigt drucken; sein Drucker
in Allstedt wurde zur Strafe vom Herzog Johann
von Sachsen gezwungen, das Land zu verlassen,
und ihm selbst wurde für alle seine Schriften
die Zensur der herzoglichen Regierung
zu Weimar auferlegt. Aber diesen Befehl achtete er nicht.
Er ließ gleich darauf eine höchst aufregende Schrift
in der Reichsstadt Mühlhausen drucken,
worin er das Volk aufforderte, das Loch weit zu machen,
auf dass alle Welt sehen und greifen möge,
wer unsre großen Hansen sind, die Gott
also lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben,
und die er mit den Worten beschloss: Die ganze Welt
muss einen großen Stoß aushalten; es wird
ein solch Spiel angehen, dass die Gottlosen
vom Stuhl gestürzt, die Niedrigen aber erhöht werden.
Als Motto schrieb Thomas Müntzer mit dem Hammer
auf den Titel: Nimm wahr, ich habe meine Worte
in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heute
über die Leute und über die Reiche gesetzt:
auf dass du entwurzelst, zerbrichst, zerstreust und stürzst,
und baust und pflanzest. Eine eiserne Mauer
wider die Könige, Fürsten, Pfaffen und wider das Volk
ist dargestellt. Die mögen streiten, der Sieg ist wunderlich
zum Untergang der starken gottlosen Tyrannen.
Der Bruch Müntzers mit Luther und seiner Partei
war schon lange vorhanden. Luther hatte
manche Kirchenreformen selbst annehmen müssen,
die Müntzer, ohne ihn zu fragen, eingeführt hatte.
Er beobachtete Müntzers Tätigkeit mit dem ärgerlichen
Misstrauen des gemäßigten Reformers
gegen die energischere, weiter treibende Partei.
Schon im Frühjahr 1524 hatte Müntzer an Melanchthon,
dieses Urbild des philiströsen, hektischen Stubenhockers,
geschrieben, er und Luther verständen die Bewegung gar nicht.
Sie suchten sie im biblischen Buchstabenglauben
zu ersticken, ihre ganze Doktrin sei wurmstichig.
Lieben Brüder, lasst euer Warten und Zaudern,
es ist Zeit, der Sommer ist vor der Tür.
Wollt nicht Freundschaft halten mit den Gottlosen,
sie hindern, dass das Wort wirke in voller Kraft.
Schmeichelt nicht euren Fürsten, sonst werdet ihr selbst
mit ihnen verderben. Ihr zarten Schriftgelehrten,
seid nicht unwillig, ich kann es nicht anders machen.
Luther fordert Müntzer mehr als einmal zur Disputation heraus;
aber dieser, bereit, den Kampf jeden Augenblick
vor dem Volk aufzunehmen, hatte nicht die geringste Lust,
sich in eine theologische Zänkerei vor dem parteiischen
Publikum der Wittenberger Universität einzulassen.
Er wollte das Zeugnis des Geistes nicht ausschließlich
auf die hohe Schule bringen. Wenn Luther aufrichtig sei,
so solle er seinen Einfluss dahin verwenden,
dass die Schikanen gegen Müntzers Drucker
und das Gebot der Zensur aufhöre, damit der Kampf
ungehindert in der Presse ausgefochten werden könne.
Jetzt, nach der erwähnten revolutionären Broschüre
Müntzers, trat Luther öffentlich als Denunziant
gegen ihn auf. In seinem gedruckten Brief
an die Fürsten zu Sachsen wider den aufrührerischen Geist
erklärte er Müntzer für ein Werkzeug des Satans
und forderte die Fürsten auf, einzuschreiten
und die Anstifter des Aufruhrs zum Lande hinauszujagen,
da sie sich nicht begnügen, ihre schlimmen Lehren
zu predigen, sondern zum Aufstand und zur gewaltsamen
Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit aufrufen.
Am 1. August musste Müntzer sich vor den Fürsten
auf dem Schloss zu Weimar gegen die Anklage
aufrührerischer Umtriebe verantworten. Es lagen
höchst kompromittierende Tatsachen gegen ihn vor;
man war seinem geheimen Bund auf die Spur gekommen,
man hatte in den Verbindungen der Bergknappen und Bauern
seine Hand entdeckt. Man bedrohte ihn mit Verbannung.
Kaum nach Allstedt zurück, erfuhr er, dass Herzog
Georg von Sachsen seine Auslieferung verlangte;
Bundesbriefe von seiner Handschrift waren
aufgefangen worden, worin er Georgs Untertanen
zu bewaffnetem Widerstand gegen die Feinde
des Evangeliums aufforderte. Der Rat hätte ihn
ausgeliefert, wenn er nicht die Stadt verlassen hätte.
Inzwischen hatte die steigende Agitation unter Bauern
und Plebejern die Müntzersche Propaganda
ungemein erleichtert. Für diese Propaganda hatte er
an den Wiedertäufern unschätzbare Agenten gewonnen.
Diese Sekte, ohne bestimmte positive Dogmen,
zusammengehalten nur durch ihre gemeinsame Opposition
gegen alle herrschenden Klassen und durch das gemeinsame
Symbol der Wiedertaufe, asketisch-streng
im Lebenswandel, unermüdlich, fanatisch
und unerschrocken in der Agitation, hatte sich
mehr und mehr um Müntzer gruppiert.
Durch die Verfolgungen von jedem festen Wohnsitz
ausgeschlossen, streifte sie über ganz Deutschland
und verkündete überall die neue Lehre, in der Müntzer
ihnen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche
klargemacht hatte. Unzählige wurden gefoltert,
verbrannt oder sonst hingerichtet, aber der Mut
und die Ausdauer dieser Emissäre war unerschütterlich,
und der Erfolg ihrer Tätigkeit, bei der schnell
wachsenden Aufregung des Volks, war unermesslich.
Daher fand Müntzer bei seiner Flucht aus Thüringen
den Boden überall vorbereitet, er mochte sich hinwenden,
wohin er wollte. Bei Nürnberg, wohin Müntzer zuerst ging,
war kaum einen Monat vorher ein Bauernaufstand
im Keime erstickt worden. Müntzer agitierte hier
im stillen; bald traten Leute auf, die seine kühnsten
theologischen Sätze von der Unverbindlichkeit der Bibel
und der Nichtigkeit der Sakramente verteidigten,
Christus für einen bloßen Menschen
und die Gewalt der weltlichen Obrigkeit
für unheilig erklärten. Da sieht man den Satan umgehen,
den Geist aus Allstedt!, rief Luther. Hier in Nürnberg
ließ Müntzer seine Antwort an Luther drucken.
Er klagte ihn geradezu an, dass er den Fürsten heuchle
und die reaktionäre Partei mit seiner Halbheit unterstütze.
Aber das Volk werde trotzdem frei werden,
und dem Doktor Luther werde es dann gehen
wie einem gefangenen Fuchs. Die Schrift wurde
von Rats wegen mit Beschlag belegt,
und Müntzer musste Nürnberg verlassen.
Er ging jetzt durch Schwaben nach dem Elsass,
der Schweiz und zurück nach dem oberen Schwarzwald,
wo schon seit einigen Monaten der Aufstand
ausgebrochen war, beschleunigt zum großen Teil
durch seine wiedertäuferischen Emissäre.
Diese Propagandareise Müntzers hat offenbar
zur Organisation der Volkspartei, zur klaren Feststellung
ihrer Forderungen und zum endlichen allgemeinen
Ausbruch des Aufstandes im April 1525
wesentlich beigetragen. Die doppelte Wirksamkeit
Müntzers, einerseits für das Volk, dem er
in der ihm damals allein verständlichen Sprache
des religiösen Prophetismus zuredete,
und andrerseits für die Eingeweihten, gegen die er
sich offen über seine wahre Tendenz aussprechen konnte,
tritt hier besonders deutlich hervor. Hatte er schon früher
in Thüringen einen Kreis der entschiedensten Leute,
nicht nur aus dem Volk, sondern auch
aus der niedrigen Geistlichkeit, um sich versammelt
und an die Spitze der geheimen Verbindung gestellt,
so wird er hier der Mittelpunkt der ganzen
revolutionären Bewegung von Südwestdeutschland,
so organisiert er die Verbindung von Sachsen und Thüringen
über Franken und Schwaben bis nach dem Elsass
und der Schweizer Grenze und zählt
die süddeutschen Agitatoren, wie Hubmaier in Waldshut,
Konrad Grebel von Zürich, Franz Rabmann zu Grießen,
Schappeler zu Memmingen, Jakob Wehe zu Leipheim,
Doktor Mantel in Stuttgart, meist revolutionäre Pfarrer,
unter seine Schüler und unter die Häupter des Bundes.
Er selbst hielt sich meist in Grießen an der Schaffhausener
Grenze auf und durchstreifte von da den Hegau und Klettgau.
Die blutigen Verfolgungen, die die beunruhigten Fürsten
und Herren überall gegen diese neue plebejische Ketzerei
unternahmen, trugen nicht wenig dazu bei,
den rebellischen Geist zu schüren und die Verbindung
fester zusammenzuschließen. So agitierte Müntzer
gegen fünf Monate in Oberdeutschland und ging
um die Zeit, wo der Ausbruch der Verschwörung
herannahte, wieder nach Thüringen zurück,
wo er den Aufstand selbst leiten wollte
und wo wir ihn wiederfinden werden.
Wir werden sehen, wie treu der Charakter
und das Auftreten der beiden Parteichefs
die Haltung ihrer Parteien selbst widerspiegeln;
wie die Unentschiedenheit, die Furcht
vor der ernsthaft werdenden Bewegung selbst,
die feige Fürstendienerei Luthers
ganz der zaudernden, zweideutigen Politik
der Bürgerschaft entsprach und wie die revolutionäre
Energie und Entschlossenheit Müntzers
in der entwickelten Fraktion der Plebejer und Bauern
sich reproduzieren. Der Unterschied ist nur,
dass, während Luther sich begnügte, die Vorstellungen
und Wünsche der Majorität seiner Klasse auszusprechen
und sich damit eine höchst wohlfeile Popularität
bei ihr zu erwerben, Müntzer im Gegenteil
weit über die unmittelbaren Vorstellungen und Ansprüche
der Plebejer und Bauern hinausging und sich
aus der Elite der vorgefundenen revolutionären Elemente
erst eine Partei bildete, die übrigens, soweit sie
auf der Höhe seiner Ideen stand und seine Energie teilte,
immer nur eine kleine Minorität der Masse blieb.
O Muse vom Land, den schwarzen Acker unter der Zunge,
die Zöpfe wie goldner Weizen geflochten,
Singe mir den Aufstand der deutschen Bauern!
VIERTER TEIL
KATHARINA VON BORA
ERSTER GESANG
Es war der Abend eines klaren, warmen Märztages.
Die Sonne, die hinter den fernen Hügeln versank,
sandte ihre Scheitelstrahlen über die Erde
und färbte Hügel und Täler, Wälder und Wiesen
in goldenes Licht. Der Abendnebel stieg auf
und verdeckte mit einem hauchdünnen Schleier
die zarten Frühlingsblumen – die Schneeglöckchen
und Veilchen – vor der kühlen Nachtluft.
Die Fenster im Westflügel des Klosters Nimptschen
leuchteten in rötlichem Glanz; und das Gesicht
der jungen Nonne, die an einem offenen Fensterflügel stand,
schien durch das seltsame Licht verwandelt zu sein,
während die Tränen in ihren Augen wie Tropfen
flüssigen Goldes zitterten. Mit sehnsüchtiger Traurigkeit
ruhte ihr Blick auf der Landschaft; über die Bauern,
die nach getaner Arbeit in ihre Häuser zurückkehrten;
und auf die Kinder, die auf dem Dorfplatz
ihre lustigen Spiele spielten. Die junge Nonne
hatte eine angenehme, anmutige Figur.
Ihre Gesichtszüge waren zu unregelmäßig,
um wirklich schön zu sein, und die Blässe ihrer Haut
ließ sie älter erscheinen, als sie war. Aber ihr Gesicht
besaß den seltenen Charme des Mitgefühls.
Klare, nachdenkliche Augen und zart geschwungene Lippen
verrieten ein tiefes, reiches Innenleben und ein sensibles Herz;
während das fest gerundete Kinn Selbstachtung
und Charakterstärke verriet. Auf der gewölbten Stirn
lag ein Ausdruck sanfter Würde. In ihrem Auftreten
lag eine gewisse vornehme Vornehmheit, der Stempel
wahrer Weiblichkeit, und ihre Bewegungen waren anmutig.
Ihre Zelle war eng und düster; doch die geschickten Hände
ihrer Bewohnerin hatten die spärlichen Möbel
und die Heiligenbilder an den Wänden so angeordnet
und hier und da kleine Farbtupfer hinzugefügt,
dass der Raum sein karges Aussehen verloren hatte.
Die Äbtissin selbst besuchte diese Zelle gern und sagte oft:
Ich kann nicht verstehen, Schwester Katharina,
warum deine Zelle so heimelig ist. Man spürt hier,
dass es viel angenehmer ist, zu kommen als zu gehen.
Als die Nonne am Fenster stand, ruhten
ihre tränenreichen Augen auf der ruhigen Schönheit
des frühen Frühlings, während ihr Geist in düsteren
Träumereien versunken war. Zu ihren Füßen
lag ein Stück kostbarer purpurner Samt,
das ihr aus den Händen gefallen war,
und auf dem Fenstersims lagen wirre Massen
weißer und gelber Seide. Sie schreckte aus ihren Träumen auf,
sammelte hastig den Samt ein, setzte sich auf einen Schemel
und begann wieder zu sticken. Es war ein Altartuch
für die Klosterkirche. Das Motiv bestand
aus zwei gekreuzten Palmzweigen und darüber
der Aufschrift „Ave Maria“.
Die Worte waren bereits fertig; aber die Äste
waren lediglich mit groben Stichen umrissen.
Ihre schlanken Finger bewegten sich müde über den Samt,
und ihr Kopf beugte sich tief über ihre Arbeit,
denn die letzten spärlichen Tageslichtstrahlen
fielen in die Zelle. Plötzlich wurde die schwere,
eisenbeschlagene Tür geöffnet und eine jüngere
Nonne erschien. Was ist das, Schwester Katharina?
rief sie überrascht aus. Bist du immer noch bei der Arbeit?
Bitte schone deine Augen! Aber, fuhr sie fort
und kam näher, warum bist du so weit zurückgeblieben?
Was wird die Äbtissin sagen? Morgen, bei der Hochmesse,
sollte der Altar seine neuen Vorhänge tragen.
Katharina blickte mit einem trüben Lächeln auf.
Ich bin wütend auf mein eigenes Herz,
weil es so widerstrebend ist, den Befehlen
unserer Oberin zu gehorchen. Meine Nadel
bewegt sich langsam; und was einst ein Vergnügen war,
ist zu einer Last geworden. O Schwester Elisabeth,
eine Veränderung ist in meiner Seele vorgekommen,
seit die Stimme des Mönchs von Wittenberg
diese Mauern durchdrang! Elisabeth warf
einen besorgten Blick zur Tür. Sprich leise,
Schwester Katharina, diese Wände haben Ohren.
Sie drückte den Riegel, stellte einen Hocker
neben Katharina, setzte sich und sagte sanft:
Zünde die Lampe an, Schwester, ich werde dir helfen. -
Wie nett du bist, liebe Elisabeth, rief Katharina
mit einem dankbaren Lächeln. Aber lasst uns warten,
es ist Zeit für die Vesper. - Während sie sprach,
war das Glöckchen zu hören, das die Nonnen
zum Abendgebet aufrief. Dann folgte das karge
Abendessen im Refektorium. Beide Nonnen
waren adliger Abstammung, denn das Zisterzienserinnenkloster
Marienthron in Nimptschen nahm keine anderen Nonnen auf.
Die Jüngere war Elisabeth von Kanitz,
die erst vor anderthalb Jahren den Schleier genommen hatte.
Ihre frische, rosafarbene Haut war noch nicht
durch die kellerartige Atmosphäre des Klosters
blass geworden, noch war ihr fröhlicher Geist
durch die bedrückende Disziplin des Ordens
nicht erdrückt worden. Ihre naive, kindliche Art
hatte die Liebe der Schwestern gewonnen,
und selbst die ehrwürdige Äbtissin hatte
über ihre fröhlichen Ausfälle gelächelt. Ihre Freundin
war ein Nachkomme der angesehenen Familie von Bora,
die reicher an edlen Vorfahren als an weltlichen Gütern war.
Sie war Waise und wusste, dass nur noch ein Mitglied
ihrer Familie lebte: ihr Bruder Hans von Bora.
Sie hatte ihr vierundzwanzigstes Lebensjahr erreicht
und war seit ihrer Kindheit im Kloster, nachdem sie
im Alter von fünfzehn Jahren die ewigen Gelübde
abgelegt hatte. Eine Stunde später finden wir sie
in Katharinas Zelle wieder. Die Kupferlampe
wurde angezündet und sie setzten sich zusammen,
um die Stickerei fertigzustellen, die morgen
bei der Feier verwendet werden sollte.
Wie schnell dein Finger fliegt, liebe Elisabeth,
sagte Katharina, und wie zufrieden ruht dein Blick
auf deiner Arbeit. Du glückliches Kind!
Das Leben ist für dich ein schöner Tag!
Zweifel und Versuchungen sind dir unbekannt.
Du bist zufrieden innerhalb dieser düsteren Mauern,
und zu deinem kindlichen Glauben scheinen sie
geradewegs in den Himmel zu führen. Auch ich
war einst glücklich und zufrieden hier, obwohl
ich sehr trauerte, das Haus meines Vaters zu verlassen.
Ach, es ist schwer, sich für immer von allem zu trennen,
das uns am Herzen liegt, und zu hören, wie sich
die Klostertore hinter uns schließen wie der Deckel
eines Sarges; für die Außenwelt tot zu sein;
nie wieder den Kuss der Liebe oder den Gruß der Freundschaft
zu empfangen. Aber das ist es, da meine Eltern
mit ihren geringen Mitteln ihrer Tochter
keinen geeigneten Zufluchtsort bieten konnten,
da überwand ich meinen Kummer und klopfte
mit zuversichtlicher Hoffnung an diese Türen,
von denen mir gesagt wurde, dass sie die Türen
des Himmels seien. Und tatsächlich war es,
als würde mich ein Hauch vom Himmel begrüßen,
als ich die Schwelle überschritt. Vor den Versuchungen
einer bösen Welt und vor den Sorgen dieses Lebens
geschützt sein; vom Duft des Weihrauchs
und dem Klang heiliger Musik umgeben sein;
sich bei jedem Schritt von spirituellem Rat leiten zu lassen;
in der Lage zu sein, unaufhörlich für das Wohlergehen
meiner Seele zu arbeiten und meine Gedanken
auf das zukünftige Leben zu richten,
all das überzeugte mich davon, dass ich die Höfe
des Himmels betreten hatte, und ich dachte täglich
an meine Eltern und dankte herzlich für ihre Güte,
mich hierher zu bringen. Jetzt sehe ich alles
mit anderen Augen. Dieses düstere Haus,
das ich als Wohnstätte des wahren Lebens betrachtete,
ist ein Grab, in dem ich lebendig begraben bin.
Der Mönch von Wittenberg hat mir die Augen geöffnet,
und ich sehe, dass alle meine frommen Übungen
nur ein nutzloses, fruchtloses Unterfangen sind.
Luthers Worte haben mich aus meinen Träumen gerissen.
Aber er hat Recht, es war nur ein Traum,
eine eingebildete Heiligkeit. Mein Herz gibt mir Zeugnis
für die Wahrheit seiner Lehre; für Gottes Frieden,
den ich durch meine Hingabe und gute Werke
zu gewinnen hoffte, den ich nie gefunden habe.
Mir wurde beigebracht, dass wahre Frömmigkeit
nur im Kloster ihren festen Platz habe. Ich habe gelernt,
dass dies falsch ist, und ich bin sicher, dass diejenigen,
die in der Welt leben, genauso wie wir Gott dienen
und gerettet werden können. Ja, wenn wir,
die wir hier eintreten, unser sündiges Herz
hinter uns lassen könnten! Aber das geht mit uns
und bereitet uns auf Prüfungen vor, von denen
die Welt nicht zu träumen wagt. Es scheint,
als wäre hier alles darauf ausgelegt, die Seele
über die irdischen Dinge zu erheben und sie
mit der Kraft des himmlischen Lebens zu erfüllen,
aber in Wirklichkeit betäubt die triste Eintönigkeit
den Geist nur. Jenseits dieser Mauern erstrahlt
das Leben in hellen und fröhlichen Farben, doch hier
ist alles grau. Dort freuen sich die Menschen
über den schönen Frühling; Sie warten auf den Sommer,
der die aufkeimenden Keime zum Blühen bringt.
Sie begrüßen den Herbst mit seinen reifenden Früchten;
und wieder, wenn der Winter kommt, jubelt
der müde Körper über die Ruhe, die er bringt.
Hier wissen wir kaum, wann die Veilchen blühen,
oder wenn die Trauben geerntet werden
oder wenn der Schnee fällt. Alle Jahreszeiten,
alle Tage sind in diesem langweiligen Leben gleich,
wenn man es überhaupt ein Leben nennen kann.
Dort gehen die Männer jeden Morgen zur Tagesarbeit,
und es ist ihnen eine Freude, eine Wohltat für Leib und Seele.
Ihre Nahrung gibt ihnen Kraft und ihr Schlaf erfrischt sie.
Aber unsere Seele und unser Körper werden
durch diesen frommen Müßiggang geschwächt.
Wenn unser Kloster in einer Stadt wäre, in der wir
die Kranken pflegen, die Nackten kleiden
und die Trauernden trösten könnten, würde das
die Lücke in unserem Leben füllen und seine Monotonie
verändern. Ach, Schwester Elisabeth, ich fürchte,
ich kann den Konflikt nicht länger ertragen.
Meine Kräfte lassen nach und ich spüre, wie das Blut
immer träger durch meine Adern fließt.
Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.
Es folgte ein tiefes Schweigen, das Elisabeth
nicht zu brechen wagte. Ihr zartes Herz war voller Mitleid
beim Anblick von Katharinas Elend. Sie hatte
mit tiefem Interesse zugehört und ihre leuchtenden Augen
auf die Lippen ihrer Freundin gerichtet. Seltsame Gefühle
wurden in ihr geweckt. Jetzt erhob sie sich
in großer Aufregung und ergriff Katharinas Hand.
Schwester, hat Gott dir geboten, so zu mir zu sprechen?
Deine Worte haben den Schleier von meinen Augen gerissen
und Gedanken geweckt, die bisher in meiner Seele
schlummerten. Du hältst mich für glücklich, Katharina,
und du hast recht, denn Gott hat mir ein fröhliches Herz
gegeben. Aber dennoch bin ich nicht das vertrauensvolle Kind,
das die Verordnungen der Kirche und die Regeln
unseres Ordens mit bedingungslosem Vertrauen akzeptiert.
Glaubst du, dass Luthers Worte mich nicht berührt haben?
Seit ich sein Buch über „Monastisches Lebedn“
gelesen habe „Gelübde“ und über die
„Babylonische Gefangenschaft“, ist mir ein Dorn im Auge,
der mich quält und in Angst und Schrecken versetzt.
Mein Verstand ist nicht klar wie der deine,
um die Bedürfnisse meiner Seele zu erkennen;
mein Kummer war undefinierbar. Aber du hast es gesagt,
es in Worte gefasst. Jetzt weiß ich, was ich will,
und ich bin tatsächlich unglücklich.
Sie warf sich Katharina um den Hals und weinte laut.
Katharina löste die Arme, die sie umklammerten,
und rang verzweifelt die Hände und rief: Wehe mir!
Was habe ich getan! Oh, dass ich geschwiegen
und meinen Kummer allein ertragen hätte!
Elisabeth trocknete ihre Tränen und sagte
mit einer sanften Liebkosung: Trauere nicht,
liebe Katharina. Es ist in der Tat schmerzhaft,
wenn einem gewaltsam die Augen geöffnet werden.
Aber ist es nicht besser, die Wahrheit zu kennen,
als im Irrtum weiterzumachen? - Nach einem langen
und prüfenden Blick in das Gesicht ihrer Freundin
beugte sich Katharina plötzlich vor, sodass
ihre Lippen Elisabeths Ohr berührten. Elisabeth,
du kennst nicht alle meine Probleme.
Die Augen der jungen Nonne blickten sie besorgt an.
Sie fuhr fort: Du wirst mich nicht verraten, Elisabeth?
Ich habe ein Geheimnis, ich und sieben andere. -
Vertrau mir, sagte Elisabeth. Katharina kam noch näher
und flüsterte: Weißt du, was in Grimma passiert ist?
Elisabeth nickte. Woher sollte ich das nicht wissen?
Das Evangelium wird dort öffentlich gepredigt,
seit Luther von der Kanzel der Stadtkirche aus
die Wahrheit verkündete. - Das meine ich nicht,
Katharina schüttelte den Kopf. Wir haben
die Nachricht erhalten, dass das Kloster
des Heiligen Kreuzes in der vergangenen Woche
von seinen Mönchen verlassen wurde.
Elisabeth begann: Was sagst du? Das ist nicht möglich!
Katharina fuhr ruhig fort: Dies sind wundervolle Zeiten.
Alle Zeichen deuten auf den Beginn eines neuen Lebens hin.
Nicht nur in Grimma, sondern auch anderswo
haben die Klöster ihre Tore geöffnet, nachdem Luther
seine Hephatha ausgesprochen hatte. Schwester Elisabeth,
wenn unsere Tore wurden geöffnet. Würdest du gehen
oder bleiben? Ein tiefes Purpurrot färbte Elisabeths Gesicht
und ein Schauer lief durch ihren Körper. Schwester,
ich glaube, ich sollte gehen. Aber, fügte sie traurig hinzu,
wer wird sie öffnen? Du weißt, wie bitter die Äbtissin
Luther hasst und wie sie gegen ihn schimpft.
Ein Schatten fiel auf Katharinas Gesicht
und ein schwerer Seufzer stieg aus ihrer Brust.
Das ist auch mein Kummer. Aber vielleicht
wird die Äbtissin gezwungen, nachzugeben,
ob sie will oder nicht. - Ich verstehe dich nicht,
sagte Elisabeth alarmiert. Wieder beugte sich Katharina vor
und flüsterte: Acht der Schwestern haben
einen geheimen Vertrag geschlossen. Sie haben Briefe
an ihre Eltern und Verwandten geschrieben
und sie um Gottes willen gebeten, Mitleid
mit ihrem Zustand zu haben und sie
aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Sie sagen,
dass sie, da sie gelernt haben, die klösterlichen Gelübde
im Widerspruch zu den Lehren der Heiligen Schrift
zu halten, ihre Seelen gefährden würden,
wenn sie weiterhin nach einer imaginären Heiligkeit
streben. Elisabeths Augen waren weit geöffnet.
Sie umklammerte Katharinas Arm und fragte eifrig:
Wer sind sie, diese acht? - Katharina antwortete:
Das sind Magdalena von Staupitz, Veronika
und Margarete von Zeschau, Laneta von Gohlis,
Eva von Gross, Eva und Margarete von Schönfeld,
ich bin die Achte. - Lass mich die Neunte sein,
flehte Elisabeth. Wenn du gehst, kann ich nicht bleiben.
Für einen Moment wanderten Katharinas Augen
über das Gesicht der jungen Nonne, dann sagte sie ernst:
Liebe Elisabeth, wir lassen dich gerne
an unserem Geheimnis teilhaben; aber sei vorsichtig,
damit du keinen Verdacht erregst. Deine Zunge ist schnell
und deine Augen erzählen Geschichten.
Eine plötzliche Röte überzog Elisabeths Gesicht.
Fürchte dich nicht, liebe Katharina. Du wirst lernen,
dass ich schweigen kann. Bis tief in die Nacht saßen
die Nonnen da, häkelten und redeten über ihre Pläne,
bis um Mitternacht die kleine Glocke sie erneut
zu ihren Andachten rief. Und dann sangen sie:
Hoch preiset meine Seele den Namen des Herrn!
Nun lässest du, Herr, deine Dienerin scheiden,
denn meine Augen haben die Herrlichkeit gesehen!
ZWEITER GESANG
Wieder war es Abend, einige Wochen später
saßen sieben Nonnen zusammen in der Zelle von Magdalena
von Staupitz. Sie waren sehr traurig, denn die Hoffnungen,
die sie auf die Güte und Barmherzigkeit ihrer Eltern
und Verwandten gesetzt hatten, waren kläglich
enttäuscht worden. Magdalena von Staupitz
hatte tatsächlich von ihrem Bruder, dem Generalvikar
des Augustinerordens, einen herzlichen
und mitfühlenden Brief erhalten; und Katharina
hatte gerade noch einen von ihrem Bruder Hans vorgelesen,
voller zärtlicher, brüderlicher Liebe; aber beide
forderten ihre Schwestern auf, das Kloster nicht zu verlassen.
Mönche, so argumentierten sie, könnten einen solchen Schritt
gefahrlos wagen, da sie in der Lage wären,
mit ihren Händen für ihr Brot zu arbeiten. Aber
wie würde es ihnen, den armen, hilflosen Nonnen,
in der Welt ergehen? Ihr zweiter Zustand wäre schlimmer
als ihr erster. Die anderen Nonnen waren
noch niedergeschlagener. Ihre Eltern hatten
mit Drohungen und Vorwürfen geantwortet,
und sie waren so niedergeschlagen, dass es schwierig war,
sie zu trösten. Bald darauf gesellte sich Laneta
von Gohlis zu ihnen, mit gesenktem Kopf
und traurigen Augen. Schweigend setzte sie sich nieder,
und die Augen aller suchten das Gesicht der Magdalena
von Staupitz, die älter war als alle anderen
und deren Meinung mit größtem Vertrauen
angenommen wurde. Sie hatte die Schwestern
in ihre Zelle gebeten, um sich mit ihnen
über ihr weiteres Vorgehen zu beraten.
Magdalena erhob sich. Sie war eine große,
würdevolle Frau mit einem nachdenklichen Gesicht
und einem ruhigen Auftreten. Unsere erste Hoffnung
wurde zunichte gemacht, liebe Schwestern,
begann sie mit ihrer reichen, vollen Stimme,
und es ist ein bitteres Los, von denen im Stich
gelassen zu werden, die die Natur zu unseren Helfern
ernannt hat. Sie fordern uns auf, zu bleiben.
Aber sollen wir eher den Menschen gehorchen als Gott,
dessen Ruf uns durch das Wort seines Propheten erreicht hat?
Unser erwachtes Gewissen wird es nicht zulassen,
dass wir an einem Ort bleiben, an dem unser Herz
fremd geworden ist; trotz all unseres Gehorsams
gegenüber den Regeln und Übungen des Ordens,
die sind nur Heuchelei. Katharina von Bora
antwortete mit zitternden Lippen: Mein Geist schmerzt
bei dem Gedanken, meine Tage an diesem trostlosen Ort
zu beenden, tot, während ich noch lebe.
Aber was können wir tun? - Hört mir zu, Schwestern,
ich werde euch meinen Plan erzählen, fuhr sie fort,
da es Luther war, der uns Gottes Wort brachte,
ist er der Mann, an den wir unseren Hilferuf richten müssen,
damit er ihn richten kann vor dem Thron Gottes. -
Magdalena, rief Katharina, wie können wir es wagen?
Sollten solche wie wir den großen Mann
mit unseren Sorgen belasten? Liegen auf ihm
nicht viel größere und gewichtigere Sorgen?
Magdalena schüttelte den Kopf. Widerstehe
mir nicht, Katharina. Durch meinen Bruder
habe ich genauere Kenntnisse über den Mönch
von Wittenberg erlangt; und nach dem, was ich gehört habe,
werden wir nicht verkehrt sein, wenn wir uns an ihn wenden.
Sein riesiger Geist fragt nicht, ob Personen vor ihm sind
hohen oder niedrigen Grades; seine Ohren und sein Herz
sind offen für die Bedürfnisse der Geringsten.
Viele der Mönche, die ihre Klöster verlassen haben,
wurden unter seinen Schutz genommen,
und seine tatkräftige Fürsprache hat ihnen
einen Lebensunterhalt gesichert. Sollte er nicht
Mitleid mit uns, wehrlosen Nonnen, haben?
Eva von Schönfeld ergriff eifrig Magdalenas Hand.
Schwester, dein Rat ist gut und neue Hoffnung
ist in mein Herz gekommen. Ich bin sicher, dass Luther
uns helfen wird. Ich habe absolutes Vertrauen in ihn.
Ein Hauch von Aufregung schien diese besorgten Frauen
aufzurütteln. Luthers Name belebte und stärkte
ihren schwindenden Mut, und sie drängten sich
um Schwester Magdalena und dankten ihr
für ihren glücklichen, rettenden Gedanken.
Aber wie soll Luther von uns hören? fragte Eva
von Schönfeld, als die plötzliche Begeisterung
einer ruhigen Besinnung gewichen war.
Das ist unsere geringste Schwierigkeit,
antwortete Magdalena. Klaus, der Gärtner,
wird die Besorgung gerne für mich erledigen.
Er wartete schon lange auf eine Gelegenheit,
sich für die Hilfe, die ich ihm geleistet habe, zu bedanken,
als das giftige Insekt seine Hand stach.
Dann wurde die Tür hastig aufgerissen, und bleich
wie der Tod stürzte Elisabeth von Kanitz ins Zimmer.
Alles ist verloren!, rief sie und rang die Hände.
Mein Vater ist gekommen und hat mir im Beisein
der Äbtissin unter vielen Vorwürfen seine Antwort
auf meinen Brief gegeben. Unser Geheimnis ist verraten,
und ich, unglückliches Mädchen, war die Ursache!
Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen
und ließ sich auf einen Hocker sinken. Die anderen
umringten sie sprachlos und vor Angst gelähmt.
Magdalena von Staupitz war die erste, die sich erholte.
Schwestern, flehte sie, verliert nicht den Mut!
Sie werden sich beeilen, uns zu trennen und zu bestrafen!
Wir werden daher die wenigen Momente,
die uns noch bleiben, nutzen und einander versprechen,
an unserem Ziel festzuhalten. Jetzt mehr denn je
Luther ist unsere einzige Hoffnung. Überlasst es mir,
ich werde einen Boten zu ihm schicken!
Kaum hatten die Nonnen ihre Zustimmung
zum Ausdruck gebracht, als man einen schlurfenden Schritt
näherkommen hörte, und bald stand die Äbtissin
vor den zitternden Schwestern. Das sonst aschgraue
Gesicht der alten Frau hatte einen grünlichen
Farbton angenommen, der auf tiefste Wut schließen ließ.
Sie zitterte vor Wut und bemühte sich, ihre Aufregung
so weit zu überwinden, dass sie ihren Gefühlen
Ausdruck verleihen konnte. Einige Augenblicke lang
waren ihre Lippen nicht in der Lage, die Worte zu fassen,
und in besorgtem Schweigen standen die Nonnen
mit verschränkten Händen und gesenkten Köpfen
wie Kriminelle da und warteten auf ihr Schicksal.
Schließlich fielen gebrochene Sätze
von den geheiligten Lippen: Oh, dass meine alten Augen
solch eine Schande sehen sollten! Was habt ihr getan,
ihr Kinder Satans? Wenn ihr vor mir stehen würdet,
als gefallene Magdalenen, als Mörderinnen,
könnte ich von ganzem Herzen Mitleid mit euch haben.
Aber meine Seele rebelliert vor eurem Verbrechen,
und die schärfste Geißel ist zu sanft für euch.
Erst vorgestern habe ich in stolzer Freude
dem General des Ordens berichtet, das Kloster
Marienthron ist ein unbeflecktes Heiligtum
und immun gegen Ketzerei. Jetzt, ich bin
zur Lügnerin gemacht, mein Stolz wird gedemütigt,
meine Herrlichkeit wird beschämt! Heilige Mutter Gottes,
verbirg dein Angesicht vor dieser Missetat,
und bestrafe nicht wegen der Sünde dieser neun
das ganze geweihte Haus. Ihr Verbrechen
wird mit schwerer Strafe heimgesucht werden,
damit der Fleck weggewischt werde! Aber ihr,
warum steht ihr? Auf die Knie mit euch! In den Staub!
Die Nonnen fielen auf die Knie und küssten schweigend
die verdorrte Hand der Äbtissin, als Dank
für die versprochene Strafe, denn die Klosterdisziplin
hatte sie gelehrt, Strafe als Wohltat zu empfangen.
Beim Abendessen und am darauffolgenden Tag
waren im Refektorium neun Plätze frei.
Die Büßerinnen wurden in ihren Zellen eingesperrt
und erhielten nur Brot und Wasser; und im Eifer
ihres heiligen Eifers übernahm die Äbtissin
die Aufgabe, an den Türen zu lauschen,
um sicherzustellen, dass die Gefangenen
die vorgeschriebene Anzahl an Gebeten rezitierten.
Am vierten Tag wurden die unglücklichen Nonnen
freigelassen, mussten jedoch die tiefste Demütigung
erleiden. Während der Feier der Messe saßen sie
getrennt von den anderen auf der Büßerbank,
und während der Priester die Bußlitanei anstimmte,
mussten sie auf den Knien zu den Stufen des Altars
kriechen und sich mit den Händen auf die Brust schlagen,
bis die reinigende Wirkung von Weihwasser
und Weihrauch den Geruch der Ketzerei vertrieb.
Nachdem sie ihr die Füße geküsst hatten, verkündete
die Äbtissin die Absolution, durch die sie wieder
in die Gemeinschaft der Kinder Gottes
aufgenommen wurden. Aber es waren nur ihre Lippen,
die die Worte sprachen, ihre Augen drückten
ungestillten Hass aus, der sich auf die anderen Nonnen
auswirkte und das Kloster für die unglücklichen
Ketzerinnen mehr denn je zur Hölle auf Erden machte.
Sie gingen ohne einen Blick oder ein Wort
an ihnen vorbei und wurden behandelt,
als hätten sie das Recht, an diesem heiligen Ort
zu wohnen, verwirkt. Sie wurden geächtet,
und die bittere Not ihrer Herzen, die ihnen
die Unzulänglichkeit auswendig erlernter Gebete lehrte,
zwang sie, sich persönlich vor den Thron der Gnade
zu stellen und wie Jakob in alter Zeit
mit dem Herrn in inbrünstigem Gebet zu ringen.
Wo ist Klaus?, fragte die Äbtissin den Laienbruder,
der mit seinem Spaten zwischen den Gemüsebeeten
des Klostergartens beschäftigt war. Der Bruder
hob langsam den Kopf und antwortete: Er ging weg,
um Samen zu kaufen. - Wohin? - Er hat es mir
nicht gesagt, wahrscheinlich nach Erfurt.
O Muse, singe mir die Katharina von Bora!
DRITTER GESANG
In einem Eckhaus am Torgauer Marktplatz
saß der Kaufmann Leonhard Koppe am Fenster
seiner gemütlichen Stube. Er war ein Mann über fünfzig,
mit einem klugen, freundlichen Gesicht. Sein Kopf
ruhte auf seiner Hand und sein Blick wanderte vage
in die Ferne. Von Zeit zu Zeit bewegte er sich unruhig
auf seinem Stuhl und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
Er schien über etwas Wichtiges nachzudenken.
Seine Frau Susanna hatte ihn wiederholt
wegen seiner schlechten Laune befragt; aber
entweder antwortete er ihr kurz oder überhaupt nicht;
bis sie wegging, höchst unzufrieden.
Plötzlich klopfte der Kaufmann ans Fenster
und winkte jemandem unten eifrig zu.
Wenige Augenblicke später betrat ein dünner, älterer Mann
den Raum. Es war der Ausrüster Meister Wolfgang
Tommitzsch, den Leonhard herzlich begrüßte.
Es war ein Glücksmoment für mich, mein guter Nachbar,
als du an meinem Haus vorbeikamst. Du bist ein Mann
mit weisen Ratschlägen, die ich dringend brauche;
deshalb habe ich dich gebeten, zu mir zu kommen. -
Sprich weiter, antwortete Meister Wolfgang,
ohne einen Muskel seines Gesichts zu bewegen.
Leonhard löste sein Wams und bereitete sich darauf vor,
sein Unglück zu erzählen. Gestern bin ich
aus Wittenberg zurückgekehrt, wohin ich
aus geschäftlichen Gründen gefahren war.
Ich habe auch unseren lieben Doktor Luther
in der Marienkirche predigen hören, seine Worte
klingen noch immer in meinen Ohren. Danach
traf ich Luther, wie er war. Als ich aus der Kirche
zurückkam, packte er mich plötzlich am Ärmel und sagte:
Ach, bist du es, mein lieber Koppe? Meine Gedanken
waren in diesem Augenblick bei dir, und hier
sehe ich dich tatsächlich vor mir, als ob du gefallen wärest
vom Himmel. Das ist, wie mir scheint, ein Befehl Gottes
und ein Zeichen für mich, dass du der Mann bist,
der das Geschäft ausführt, das mir auf dem Herzen liegt.
Du kennst dich im Kloster Nimptschen aus?
Als ich ihm erzählte, dass ich den Orden
mit Stoff und Wachs versorgte, fuhr er fort:
Hör mir zu. Im Kloster leben neun edle Jungfrauen,
die ihres Nonnenklosters überdrüssig sind,
aber nicht wissen, wie sie ihre Freiheit erlangen können.
In ihrer Not, nachdem sie ihre Verwandten vergeblich
gebeten hatten, wandten sie sich an mich
und baten mich um Hilfe, die ich gerne geben würde,
aber mein Arm ist zu kurz, um von Wittenberg
nach Nimptschen zu reichen. Ich konnte auch nicht
selbst dorthin gehen und die armen Gefangenen befreien,
auch nicht heimlich oder mit Gewalt. Deshalb
brauche ich einen Mann, der mir seinen Arm leiht,
und ich bitte dich, Meister Koppe, dies zu tun,
aus Liebe zu Gott. Du kennst den Weg
und hast einen klaren Kopf, um Wege zu finden und Mittel
und ein gutes christliches Herz, das Mitleid
mit dem Elend anderer haben kann. Wirst du
diese Angelegenheit übernehmen? - Und ich sagte ja,
denn wer kann der Magie von Luthers
wundervollen Blitzaugen und dem Flehen
seiner Stimme widerstehen? Ich war wirklich stolz,
dass er so öffentlich mit mir sprach, der große Mann,
der weder Papst noch Türke noch Teufel fürchtet.
Aber als er gegangen war, wurde mir heiß und kalt,
denn ich merkte, dass ich einen Turm gebaut hatte,
ohne die Kosten zu bedenken. Ich dachte
auf der Heimreise darüber nach, und hier sitze ich
immer noch und quäle mich. Je genauer ich hinsehe,
erscheint es umso kitzliger. Wie soll ich meinen Plan
den Nonnen offenbaren, ohne den Verdacht der Äbtissin
zu erregen? Trotz ihrer siebzig Jahre hat sie die Augen
eines Luchses und den Geruch eines Fuchses.
Selbst wenn es einem gelingt, sich ihnen unbemerkt
zu nähern, wie wird es möglich sein, sie wegzubringen?
Wenn es eine oder sogar zwei wären, wäre es möglich,
aber ein ganzer Wagen voll! Und wenn sie sicher
aus dem Kloster heraus sind, müssen wir trotzdem
passieren durch das Gebiet des Herzogs Georg;
und das ist eine gefährliche Reise, da der Herzog
Luther mehr hasst als den Teufel selbst. Lieber Freund,
was sagst du? - Tommitzsch schloss die Augen halb
und nickte nachdenklich. Nach kurzem Nachdenken
blickte er auf und sagte: Die Not dieser Nonnen
berührt mein Herz. Erst kürzlich wurde ich Zeuge
der Freude über das Kind meiner Schwester,
das aus dem Kloster in Wurzen geflohen war.
So kann die Freude eines Menschen sein, der aufsteht
aus seinem Grab; und ich denke, dass es ein gutes Werk ist
und Gott wohlgefällig ist, einem Menschen vom Tod
zum Leben zu helfen. Ich habe Mitleid mit den Nonnen
in Nimptschen, obwohl sie mir fremd sind;
und wenn Doktor Martin es wünscht, wie können wir
zögern? Darum, Nachbar, wage es, und ich werde dir
meine Hilfe gewähren. - Dafür gebührt dir
mein herzlicher Dank, rief der Kaufmann und rang
seinem Freund die Hand. Wenn du den Plan ausarbeitest,
wird er sicherlich gelingen. - Der Krämer antwortete ruhig:
Es ist eine gute Arbeit, und Gott wird uns helfen.
Wann trägst du die nächste Ladung Waren zum Kloster? -
Der Befehl kann jederzeit kommen, denn Ostern
steht vor der Tür, antwortete Meister Leonhard.
Wie meinst du das? Tommitzsch entgegnete:
Es muss ein Leichtes sein, einer der Nonnen
heimlich einen Brief zu überbringen.
Der Kaufmann hörte aufmerksam zu
und nach einer weiteren Unterhaltung verließ
der Krämer das Haus. Am nächsten Morgen
rumpelte ein schwerer, mit Planen bespannter Wagen
die Straße von Torgau nach Grimma entlang
und hielt am Abend desselben Tages etwa zu der Zeit,
als die Nonnen unterwegs waren, vor den Toren
des Klosters Marienthron in Nimptschen im Garten,
nach dem Abendessen. Eine solche Ankunft
aus der geschäftigen Welt war ein wichtiges Ereignis
inmitten der Monotonie des Klosterlebens, besonders
wenn es sich um Meister Leonhard Koppe aus Torgau
handelte, den angenehmen, gesprächigen Mann,
der eine Fülle von Neuigkeiten brachte und solche
lustigen Geschichten erzählte. Seltsamerweise
hatten diese Bräute des Himmels großen Spaß
an einem irdischen Scherz. Wie üblich war er bald
von den Nonnen umgeben und packte
unter fröhlichem Gespräch seine Waren aus.
Aber seine Augen schienen jemanden zu suchen;
er war geistesabwesend und konnte ihre Fragen
nicht beantworten. Als schließlich Magdalena von Staupitz,
die aus dem Garten kam, sich der Gruppe näherte,
wurde er schweigsam und gab ihnen zu verstehen,
dass er nicht in der Stimmung für ein Gespräch sei.
Als Magdalena näher kam, begegnete ihr ein kurzer Blick
aus den Augen des Kaufmanns. Sie wandte sich ab,
um die Röte zu verbergen, die ihr ins Gesicht stieg;
und als sie in den Garten zurückkehrte, versteckte sie sich
hinter einem Erlenbusch in der Nähe des Eingangs,
von wo aus sie den Hof überblicken konnte.
Nachdem sich die Nonnen zerstreut hatten, näherte
sie sich wieder und suchte im Gesicht des Kaufmanns
eine Erklärung für seinen Ausdruck zu finden.
Mit seinem großen Wagen vor dem Kloster versteckt,
gab er ihr hastig einen Brief mit den Worten:
Lies ihn. Zur festgesetzten Zeit werde ich da sein.
Dann kletterte er in den Wagen, um sich einen Ruheplatz
für die Nacht zu bereiten, die Nonne verschwand im Schatten.
Was fehlt dir, Schwester Magdalena?, befragte die Äbtissin
später am Abend. Bist du krank? Dein Gesicht ist blass
und der Rosenkranz in deinen Händen zittert.
Magdalena schlug die Augen nieder und antwortete leise:
Mir ist, als würde mich ein Fieber erschüttern.
Meine Gebete ermüden mich, und mein Kopf ist stumpf
und verwirrt. - Dann sorge dafür, dass dir
etwas Tee zubereitet wird, sagte die Äbtissin.
Gehorsam verließ die Nonne die Gegenwart
der gefürchteten Vorgesetzten, schluckte hastig
das Übelkeit erregende Getränk hinunter und suchte
ihre Zelle auf, um der Folter weiterer Befragungen
zu entgehen. Sie fand Katharina von Bora vor,
die sie erwartete. Sag mir, Schwester, rief Katharina,
was passiert ist? Mein Herz schlägt vor Angst, aber
ich habe es nicht gewagt, dich in Gegenwart der andern zu fragen.
Mit einem erleichterten Seufzer verriegelte Magdalena
ihre Tür und sank dann zitternd in Katharinas Arme.
Katharina, liebe Katharina, der Tag dämmert,
der Tag der Freiheit! Luther, Luther, O du Prophet
des Allerhöchsten, du Befreier des deutschen Volkes,
du wirst dich auch als unser guter Engel erweisen!
Katharina zitterte in Magdalenas Armen.
Sprich nicht in Rätseln, Schwester, rief sie.
Befreie mich von dieser Spannung. - Magdalena
zog einen Zettel aus ihrer Brust. Siehe hier;
die Antwort auf unsere Bitte an Doktor Martin.
Leonhard Koppe, der Kaufmann, hat sie mir heimlich
gegeben. Sie ist schwer zu entziffern, denn Meister
Koppes Hand ist nicht geschickt im Schreiben.
Höre, was er sagt: Doktor Martin grüßt die neun Schwestern,
und durch mich wird ihnen Leonhard Koppe,
der Kaufmann von Torgau, die Freiheit zurückgeben.
Haltet euch daher bereit. In der Nacht vor Ostern,
am vierten April, um zehn Uhr, werde ich
unter Katharina von Boras Fenster sein,
von wo aus die Flucht am einfachsten ist. Tut, was nötig ist,
um das Geheimnis zu bewahren, und möge
der Allmächtige euch gnädig sein! - Katharina
hätte vor Freude geschrien, aber Magdalenas Hand
versiegelte ihre Lippen. Halte dich zurück, Schwester.
Wenn Gott uns einen Fluchtweg bereitet,
darf unsere eigene Unvorsichtigkeit keine Hindernisse
in den Weg legen. Bedenke: Unsere Erlösung
oder unser Untergang liegt in unseren eigenen Händen.
Wehe uns, wenn wir uns selbst verraten und unsere Erlöser. -
Was hast du gesagt?, unterbrach Katharina aufgeregt.
In der Nacht vor Ostern? Gott habe Mitleid mit uns!
Ist das nicht von allen Zeiten das Unpassendste? -
Du meinst wegen der Mahnwache?, fragte Magdalena
nachdenklich. Dann, nach einem weiteren Blick
auf den Brief, strahlten ihre Augen erneut. Nein,
diese Nacht wird für unsere Pläne am günstigsten sein.
Die Nachtwache beginnt um Mitternacht,
und an diesem Abend ziehen wir uns früher
als gewöhnlich zurück, um ein paar Stunden
Schlaf zu bekommen. Hier habe ich gelesen,
dass der Kaufmann aus Torgau warten wird auf uns
zur zehnten Stunde. Ist das nicht klug geplant?
O mein Geist erhebt sich mit neuem Mut,
entfacht von Hoffnung, und meine letzten Zweifel
sind verstummt. - Von ihren Gefühlen überwältigt,
fiel Magdalena auf die Knie, und aus tiefstem Herzen
kam ihr Dank: Du Herr meines Lebens, Du Gott
meines Heils, ich danke Dir, dass Du ein Herz geführt hast,
um unsere Befreiung zu erreichen. Ich vertraue auf Dich,
Du wirst das Werk, das Du begonnen hast, gewiss
zu Ende bringen, um Deines Namens willen. Amen.
VIERTER GESANG
Es war Osternacht im Jahr 1523.
Nach der feierlichen Stille des Karfreitags
herrschte reges Treiben in der kleinen Gemeinde.
Die Arbeit geschah zwar in Stille, denn der Tag,
an dem der Leichnam unseres Herrn im Grab lag,
erforderte Ruhe und Ehrfurcht; aber alle Hände
waren mit Vorbereitungen beschäftigt, die dem höchsten
Fest der christlichen Kirche würdig waren.
Gruppen von Nonnen banden Kränze aus Moos
und Zedern-Zweigen, um damit die Heiligenbilder
und die lebensgroße Statue der Heiligen Jungfrau
zu schmücken, die den prominentesten Platz
in der Kapelle einnahm. Andere beschäftigten sich
mit dem Altar, der am Karfreitag aller Verzierungen
beraubt worden war. Sie bedeckten es mit einem
mit Gold bestickten Tuch aus weißer Seide
und versorgten die Leuchter mit frischen Kerzen,
die Leonhard Koppe kürzlich besorgt hatte. Andere
errichteten in der Altarnische eine Darstellung
der Auferstehung: das Grab, umgeben
von den niedergestreckten Wächtern, und der Erretter,
der aus seinem Portal hervortrat und das Siegesbanner
emporhielt. Der Vormittag verging inmitten
dieser Vorbereitungen. Das Mittagessen wurde
schweigend eingenommen, da das strenge Fasten
nur spärliche Erfrischungen erlaubte. Am Nachmittag
herrschte im Kloster Grabesstille. Die Nonnen,
körperlich und geistig erschöpft von den Strapazen
der Karwoche, ruhten in ihren Zellen. Seit Palmsonntag
hatten sie nur wenige Stunden in ihren Betten verbracht
und waren Tag und Nacht damit beschäftigt, zu beten,
zu fasten, zu singen, zu beichten und der Messe zuzuhören.
Viele haben sich daher vielleicht über den gesegneten
Ostertag gefreut, nicht nur, weil unser Herr
von den Toten auferstanden ist, um die Welt zu retten,
sondern auch, weil der müde und geschwächte Körper
wieder seine Rechte geltend machte und die Seele
aus ihren Rechten erwachte der spirituellen Müdigkeit
gegenüber einem neuen Leben. Langsam senkte sich
die Dämmerung über die Erde. Noch einmal rief die Glocke
zum Gebet, und die Dienerin rief die Nonnen zur dünnen,
grauen Fasten-Suppe. Dann verstummte der letzte Ton
im Kloster. Die müden Gläubigen streckten
ihre schmerzenden Glieder auf ihren Betten aus,
um im Schlaf ein wenig Kraft für die letzte Anstrengung
zu finden, die Osternacht, jenen Nachtgottesdienst,
der die Seele mit geheimnisvoller Vorahnung
Schritt für Schritt hinauf zum höchsten Augenblick führt,
wenn der erste Strahl der aufgehenden Sonne
das leise Gemurmel zu jubelndem Lob erweckt
und der volle Chor, begleitet von Trompeten und Zimbeln,
die Stirn runzelt, ertönt der Oster-Hymnus:
Christus, der Herr, ist aus seinem Gefängnis auferstanden.
Lasst uns alle darüber freuen. Christus ist unsere Freude
und unser Trost. Kyrie eleison. Freue dich,
du Himmelskönigin, er ist auferstanden, Halleluja!
Die Nacht war feucht und kalt. Ein bitterer Wind
trieb die zerfetzten Wolken über das Gesicht des Mondes,
dessen blasse Strahlen gespenstische Schatten
auf die Erde warfen. Im Wald ächzten und knarrten
die Bäume, ihre Äste wurden vom Sturm hin und her geworfen.
Ein großer Wagen, beladen mit Fässern, bewegte sich
langsam die Straße entlang, die von Torgau herführte.
Als die Wolken den Mond nicht verdeckten,
wurden drei vermummte Gestalten sichtbar,
die unbeweglich auf dem Wagen saßen.
In der Nähe des Klosters verließen sie die Straße.
Einer der Männer sprang herunter und packte
die Pferde am Zügel. Kennst du die Straße, Nachbar?
kam ein Flüstern von innen. Hab keine Angst,
war die Antwort. Ich kenne jeden Weg. Folge mir,
bis wir das Wasser erreichen. Dort lassen wir
den Wagen zwischen den Erlen stehen. Du, Caspar,
bleib bei den Pferden und kümmere dich um sie.
Caspar war Leonhards Neffe. Als sie den Teich erreichten,
blieben sie stehen. Caspar fütterte und tränkte die Pferde,
während die anderen vorsichtig durch die Büsche tasteten,
wobei Koppe die Hand seines Freundes ergriff,
um ihm wegen seiner unsicheren Sehkraft zu helfen,
und weil die blassen Strahlen des Mondes,
die durch die Bäume flackerten, warfen kaum Licht
auf ihren Weg. Siehst du die Gartenmauer dort?
flüsterte Koppe. Ich werde darauf kriechen
bis zu der Stelle, wo sie auf das Gebäude trifft.
Dort, wo das Licht scheint, ist Katharina von Boras Zelle.
Ich bin froh zu sehen, dass alle anderen Fenster
dunkel sind. Meine Vermutung war richtig,
die Nonnen schlafen bis Mitternacht.
Aber es ist noch nicht zehn Uhr. Mal sehen,
ob alles in Ordnung ist. Die Äbtissin ist noch wach,
grummelte er, als sie die Ostfront des Klosters
erreicht hatten. Der ehrwürdige Geist hat keine Ruhe
und erschreckt die Nonnen oft durch ihr plötzliches
Erscheinen. Sie ist eine seltsame Frau,
und im Umgang mit mir hat sie mir durch ihr Misstrauen
und ihre Gier viel Ärger bereitet. In ihren eigenen Augen
ist sie eine Heilige, deren gute Werke so zahlreich sind,
dass sie bis in den Himmel reichen, wie der Turm
von Babel. Deshalb hat sie viel Zuversicht und Mut
und fürchtet nichts, außer der Kreisch-Eule,
deren Schrei ihr im Frühling so auf die Nerven geht.
Für jedes Eulenei, das ihr gebracht wird, zahlt sie
einen goldenen Gulden. Tommitzsch murmelte etwas,
das wie eine Reihe von Verwünschungen klang.
Plötzlich blieb er stehen und packte seinen Freund am Arm.
Ich gehe mit dir nicht weiter. - Warum nicht?
fragte Koppe bestürzt. Tommitzsch antwortete
in seiner unerschütterlichen Art: Du kannst
auf meine Hilfe bei deiner Entführungssache verzichten.
Ich kann den Schrei der Kreisch-Eule nachahmen,
erklärte er, sowie den des Habichts und der Katze.
Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich der Vogel sein,
der ihren Mut in Angst verwandelt. In der Zwischenzeit
erledigst du deine Arbeit. - Du bist wirklich
ein kluger Ratgeber, sagte Koppe und tippte
seinem Freund auf die Schulter. Ich bin froh,
dass ich deine Hilfe in Anspruch genommen habe.
Es dauert nur noch ein paar Minuten bis zehn.
Die Männer fassten einander bei der Hand
und wünschten dem anderen von Herzen alles Gute.
Mit erhöhter Vorsicht schlich Koppe an der Mauer entlang,
bis er eine Stelle erreichte, an der ihm ein paar
bröckelnde Steine Halt gaben. Hier kletterte er hinauf
und kroch sanft an der Spitze entlang. Plötzlich
drang ein scharfer Schrei, der die Stille durchdrang,
an sein Ohr. Er zuckte erschrocken zusammen,
lächelte aber bald über seine Ängste. Die Kreisch-Eule,
sagte er zu sich selbst. Der Schrei wiederholte sich
von Zeit zu Zeit, und Koppe hatte inzwischen
das erleuchtete Fenster erreicht. Er stand auf, aber leider!
es war außerhalb der Reichweite seiner ausgestreckten Hand.
Er war in der Höhe getäuscht worden. Wie sollte er
sich Gehör verschaffen? An einen Anruf war nicht zu denken.
Und wie würden sie absteigen? Er schlug mit der Faust
gegen die Wand, aber das Geräusch seiner Schläge
verhallte auf dem massiven Mauerwerk.
Dann fiel ihm ein Schlüssel ein, den er
in seiner Tasche trug. Damit klopfte er,
und es klang deutlich im Hintergrund der Steine.
Horch! Sie bewegen sich über ihnen. Das Fenster
wird sanft geöffnet und ein Kopf wird herausgeschoben.
Euer Retter ist da!, flüsterte er und die Antwort kam zurück:
Gott sei gepriesen! Der Kopf wurde zurückgezogen,
um bald wieder zum Vorschein zu kommen,
und Koppe hörte die Worte: Warte,
bis wir das Seil am Fensterrahmen befestigen.
Die Beschwerde, die er gerade äußern wollte,
erstarb auf seinen Lippen. Der Witz der Frau
hatte mit besserer Voraussicht geplant
als die Weisheit des Mannes. In weniger als einer Minute
traf das Ende des Seils seinen Kopf, noch eine Minute,
und die erste Nonne stand neben ihm.
Kriech vorsichtig vorwärts, wies er das zitternde Mädchen an,
ich werde die anderen empfangen. Wieder schrie
die Kreisch-Eule. Außer dem Knarren der Äste im Wind
war kein anderes Geräusch zu hören. In wilder Eile
glitten die Nonnen hinunter und krochen
an der Mauer entlang. Koppe folgte. Als sie
die Bresche erreichten, sprang er herunter
und half ihnen beim Aufstieg. Ein unterdrückter
Freudenschrei war zu hören, doch Koppe
hielt die Schuldige wütend zurück. Die Zeit des Jubelns
ist noch nicht gekommen! Beeilt euch und folgt!
Bald war der Wagen erreicht, und der Kaufmann
versteckte die Nonnen zwischen den Fässern
und bedeckte sie mit Stroh, bis kein Zeichen mehr
von ihnen zu sehen war. Dann beeilte er sich,
seinen Begleiter von seinem Posten zu entbinden.
Sie stiegen in den Wagen und die Pferde
wurden vorwärtsgetrieben. Dunkel und schattig,
wie ein riesiger Sarkophag, lag das Kloster hinter ihnen.
Aus den Fenstern schien kein Licht, nicht einmal
das der Äbtissin, da es dunkel war. Die Wirkung
der Stimme der Kreisch-Eule war nicht falsch
eingeschätzt worden, und die alte Frau hatte zweifellos
unter ihrer Decke Zuflucht vor den grausamen
Schreien des Todesvogels gesucht. Die Nonnen
kauerten regungslos in ihrem Versteck, aus Angst,
einen Laut von sich zu geben. Wie ein Mühlstein
lasteten die Reaktionen der vergangenen Gefahren
und die Angst vor neuen auf ihrem Gemüt.
So waren sie mehr als eine Stunde unterwegs.
Plötzlich hielt der Wagen an und eine raue Stimme
rief dem Fahrer zu: Was hast du hier? -
Heringsfässer, war Koppes kurze und entschiedene Antwort.
Halte mich nicht unnötig auf, Freund, meine Glieder
sind steif vor Kälte. Der Mann kletterte an die Seite
des Wagens und untersuchte tastend dessen Inhalt.
Geh weiter!, rief er, und die Pferde eilten schneller voran.
Plötzlich regte sich und flüsterte es im Stroh,
und ab und zu fügten Koppe und Tommitzsch
ein warnendes Wort hinzu. Am liebsten wären
die Nonnen aus ihrem stickigen Schutzraum aufgestanden
und hätten den Männern, die so viel gewagt hatten,
für ihre Befreiung gedankt, aber sie verboten es.
Nach ein paar Stunden, als der Himmel im Osten
rosig wurde und der erste feurige Strahl der Ostersonne
auf die Erde fiel, erregte neues Leben die Nonnen
mit unwiderstehlicher Kraft, und wie mit einer Stimme
brach der jubelnde Klang aus ihren Lippen hervor:
Christus, der Herr, ist aus seinem Gefängnis auferstanden.
Lasst uns alle darüber jubeln. Christus ist unsere Freude
Und unser Trost, Kyrie eleison. - Leonhard hatte
seine Hand warnend gehoben, doch sie sank
neben ihm herab. Seine Augen füllten sich mit Tränen,
als er zuhörte; die reinen Stimmen hatten
einen himmlischen Klang. Er leistete auch
keinen Widerstand, als die Nonnen sich um ihn
drängten, seine Hände nahmen und ihn
und seine Gefährten mit ihrer Dankbarkeit überwältigten.
In der heiligen Inbrunst ihrer Begeisterung
streckte Katharina von Bora ihre Hände aus und rief:
Ostern! Ostern! Du Name voller Freude und Leben!
Höre unser Auferstehungslied, du Erlöser,
der du dich unserer erbarmt hast. Wir waren tot,
und siehe, wir leben! Das Grab hat seine Beute
hergegeben, und mit der goldenen Ostersonne
grüßt uns das Leben! Halleluja! O du Welt,
vor der ich geflohen bin, nimm mich noch einmal auf;
denn Eitelkeit und Wahn ist die Heiligkeit
des Klosterlebens. Nimm mich auf, o Welt,
beschienen von Gottes Sonne und bevölkert
mit lebendigen Wesen! In dir werde ich würdiger
Gott dienen! Herr, dein Reich ist weit, Du wird darin
zweifellos einen Platz für die arme Katharina haben!
FÜNFTER GESANG
Der Monat Mai war gekommen, der Mond der Minne.
In der Bürgermeisterstraße in Wittenberg
stand ein hohes Giebelhaus, geschmückt
mit zwei wilden Drachenköpfen. Dort saßen
der Syndikus, Meister Philipp Reichenbach,
und seine Frau an einem Fenster und genossen
die Dämmerung, für den Hausherrn die süßeste Stunde
der vierundzwanzig, in der er nach der Arbeit des Tages
die friedliche Stille seines Hauses genießen konnte.
Meister Reichenbach war ein kleiner, untersetzter Mann
von fast fünfzig Jahren, der in Wittenberg
wegen seines ruhigen Urteilsvermögens
und seines ehrenhaften Geistes hoch geschätzt wurde.
Seine Frau Elsa, eine gebildete, energische kleine Frau,
war in ihrer Jugend zweifellos eine große Schönheit gewesen;
und selbst jetzt war es ein Vergnügen, in ihr frisches,
freundliches Gesicht zu blicken, dessen zarte Züge
die innere Schönheit der Seele ihren letzten Zauber
verliehen hatte. Die Einrichtung des Hauses
zeugte von großem Reichtum; aber in den geräumigen Hallen
herrschte Stille; keine fröhlichen Kinderstimmen
störten die Stille. Umso mehr fühlten sich Mann
und Frau zueinander hingezogen. Endlich hat der Doktor
einen Unterschlupf für die beiden verbliebenen
entflohenen Nonnen gefunden, berichtete der Syndikus.
Die Zeschau-Schwestern?, fragte Frau Elsa
mit lebhaftem Interesse. Ich danke Gott für den lieben Doktor.
Ich habe ihn von ganzem Herzen bemitleidet.
Es ist mir ein Rätsel, wie er all die Geschäfte,
die auf ihm lasten, bewältigen wird. Ein anderer
wäre vor langer Zeit unter der Last zusammengebrochen.
Das Kloster ist wie ein Taubenschlag,
in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Wer kann die Briefe zählen, die er schreibt?
Und muss er nicht wie von einem hohen Wachturm aus
alles überblicken, wie ein König der geistigen Welt?
die kleinsten, aber auch die wichtigsten Angelegenheiten
zur Kenntnis nehmen? Ich ärgere mich über die Leute,
die ihn mit ihren kleinen Angelegenheiten belästigen
und seine kostbare Zeit verschwenden. Ich war wütend
auf die Nonnen in Nimptschen, als ich hörte,
dass sie eine Petition eingereicht hatten beim Doktor;
und als sie, nicht zufrieden damit, aus ihrem Gefängnis
entlassen worden zu sein, hierher kamen,
um ihn noch mehr zu belästigen. Ich bin getröstet,
jetzt, da seine unaufhörlichen Bemühungen
ihnen allen ein Obdach verschafft haben,
nicht nur getröstet, sondern auch froh und dankbar,
insofern unsere liebe Käthe auf diese Weise
ein Mitglied unseres Haushalts geworden ist.
Der Syndikus, der über diese Wendung in der Rede
seiner Frau sehr erfreut war, rieb sich zufrieden
die Knie und sagte: Das freut mich, liebe Elsa.
Ich fürchtete, der Gast, den wir um Luthers willen
empfingen, könnte dir zur Last fallen und die Ruhe
unseres Hauses stören. Ich befürchtete auch,
dass ihr nicht zueinander passen könntet, denn Katharina
von Bora ist von einem anderen Temperament als du.
Ein glückliches Lächeln umspielte Frau Elsas Lippen.
Alle meine Sorgen haben sich in Vergnügen verwandelt.
Du hast Recht, Katharinas Temperament
und innere Veranlagung sind anders als meine.
In ihrem Charakter liegt etwas so Edles und Großherziges,
dass ich mich im Vergleich dazu oft klein fühle.
Manchmal wirkt sie stolz und hochmütig,
wie sogar Luther kürzlich bemerkte. Aber ihr Stolz
ist nur mädchenhafte Würde, der Ausdruck ihres hohen
und edlen Geistes. Und dabei begegnen ihre Augen
der Welt mit einem so klaren und offenen Blick,
ihre Worte sind so direkt und ihr Urteil so wahr,
dass ich sie oft um Rat fragen möchte. Sie ist wie ein Kind
in ihrem unschuldigen Glück; und oft fällt sie mir
um den Hals, küsst mich und ruft: Ah, wie glücklich.
Das bin ich; und das alles verdanke ich dir
und dem großen Doktor. Sie nennt Luther immer
den großen Doktor, und wenn wir von ihm sprechen,
hört sie ehrfürchtig mit gefalteten Händen zu.
Wie sie früher die Heiligen des römischen Kalenders
verehrte, so verehrt sie jetzt Doktor Martin
und hält ihn für größer und glorreicher als viele
von denen, die die Kirche heiliggesprochen hat.
Du solltest sie sehen, lieber Philipp, wenn sie
mit Hausarbeiten beschäftigt ist. Zuerst fürchtete ich,
dass sie mir viel ungewohnte Arbeit bereiten würde;
aber jetzt bleiben meine Hände oft untätig,
weil ich meine Arbeit bereits erledigt vorfinde.
Sie liest meine Wünsche in meinen Augen,
und ihre Hand ist geschickt und schnell im Erlernen
der ungewohnten Pflichten. Ich denke oft,
wenn ich sie beobachte: Glücklich ist der Mann,
dem diese Martha dienen wird! und ein Gefühl
von Neid schleicht sich in mein Herz,
denn ich möchte sie lieber immer bei mir behalten
und fürchte mich vor dem Tag, an dem die Freier
auftauchen werden. - Denkst du an Hieronymus
Baumgärtner, den jungen Patrizier aus Nürnberg?,
fragte ihr Mann. Ich glaube, du bist unnötig beunruhigt.
Ich habe tatsächlich gesehen, wie seine Augen
Katharina folgten, als er an deinem Namenstag
mit uns am Tisch saß, und ich merke, dass er
seitdem unnötig häufig zu Besuch kommt.
Aber Katharina ist schüchtern im Verkehr mit Männern.
Du weißt, dass sie, obwohl sie schon seit vier Wochen
in unserem Haus ist, kaum dazu zu bewegen ist,
es zu verlassen, außer um in die Kirche zu gehen.
Elsa schüttelte den Kopf und betrachtete ihren Mann
mit einem mitfühlenden Lächeln: Ich verstehe das Herz
einer Frau besser als du. Bescheidenheit und Zurückhaltung
sind der schönste Schmuck einer Jungfrau, und in den Augen
eines Mannes sind sie ein zusätzlicher Reiz, der ihn dazu drängt,
die Blumen zu pflücken, die scheinen außerhalb seiner Reichweite
zu sein. Der junge Mann scheint Katharina nicht zu missfallen;
und sie fürchtet sich davor, den Schutz unseres Hauses
zu verlassen, nicht wegen derer, die sie lieben,
sondern wegen ihrer Feinde und Kritiker.
Sie hat die bösen Dinge gehört, die gesagt wurden
über die Nonnen von Nimptschen, obwohl ich versucht habe,
sie vor ihr zu verbergen. Sie weiß auch,
dass der Kaufmann Leonhard Koppe aus Torgau
durch den Zorn der Papisten in großer Gefahr ist
und dass Luther einen öffentlichen Brief an ihn gerichtet hat
als Dank für seine mutige Tat. Das ist ihr Grund,
den Verkehr mit Fremden zu meiden. Aber das
wird nicht immer so sein. Durch die runden Scheiben
schimmerte der rosige Schein des Sonnenuntergangs
und die von Meister Lukas Cranach gemalten Bilder
an der Wand waren in goldenes Licht getaucht.
Wie klar der Sonnenuntergang und wie schön der Abend!
sagte der Syndikus. Lass uns im Garten spazieren gehen,
bis das Abendessen serviert wird. Sind die Erbsen gepflanzt?
Das hätte gestern geschehen sollen, aber ich habe
keine Zeit gefunden. Frau Elsa wusste es nicht.
Sie durchquerten die geräumige Halle und den Hof
und betraten den Garten, der ein großes Stück Land
bedeckte. Rechts war ein Obstgarten mit Obstbäumen
angelegt, und links waren bereits Beete für Gemüse
und Blumen angelegt. Vor einem der frisch gegrabenen Beete
war eine kniende Gestalt eifrig beschäftigt.
Ist das Katharina?, rief Reichenbach überrascht,
als die Gestalt hastig aufstand. Meine liebe Katharina,
was machst du hier?, fragte er. Mit einem Lächeln
antwortete das Mädchen: Die Erbsen schauten mich
so fragend an, ob ich ihnen nicht ihr Bettchen
in der Erde bereiten würde; und die Blätter
der Kohlpflanzen hingen schlaff herab, so dass es
höchste Zeit war, sie zu pflanzen. Die Augen
des Syndikus ruhten einen Moment lang auf ihrer Arbeit.
Aber wer hat dir das beigebracht? Und sind diese schlanken
Finger, die man von Kindheit an zum Gebet
oder zum Perlenlesen gefaltet hat, für so grobe Arbeit
geeignet? Katharina warf ihm einen Blick zu und sagte:
Liebe ist eine gute Lehrerin. Man lernt schnell,
was man gerne tut. - Aber du solltest dich schonen,
damit du deine Kräfte nicht überforderst, warnte
der Syndikus. Katharina schüttelte den Kopf.
Hast du dich geschont, als du zugelassen hast,
dass die seltsame, entlaufene Nonne die Stille
deines Hauses stört? Ach, ich wünschte, ich könnte
viel mehr tun, um deine christliche Barmherzigkeit
zu vergelten! Es ist mein tägliches Gebet, dass Gott
die arme Katharina bezahlen lassen möge einige Schulden.
Ein Ausdruck tiefer Dankbarkeit belebte ihr Gesicht
und machte es schön. Frau Elsa schloss das Mädchen
schweigend in ihre Arme, während ihr Mann
einen anderen Weg einschlug, um seine Gefühle zu verbergen.
Als er durch den Garten ging, sah er überall Spuren
einer fleißigen Hand, die die Wege geräumt,
das Unkraut gepflückt und die Blumen gepflegt hatte.
Er brauchte nicht zu fragen, wessen Hand es war;
und mit herzlicher Freude folgten seine Augen Katharina,
die mit dem Arm seiner Frau vor ihm ging.
Bald kam Sybille, die alte Dienerin, um Luther anzukündigen,
der bald darauf erschien, gekleidet in sein Mönchsgewand.
Gottes Gruß sei dir, mein lieber Freund, rief er aus.
Wie geht es dir? Wie geht es unserer kleinen Nonne?
Der Syndikus hob ehrfurchtsvoll seinen Hut
und reichte seinem Gast seine Hand, um ihn willkommen
zu heißen. Hab keine Angst um sie, Doktor, es geht ihr gut. -
Aber du, mein Freund, wird sie dir nicht zur Last fallen?
Du bringst ein großes Opfer für mich, und ich bin beunruhigt,
wenn ich daran denke, dass es dir noch mehr Unannehmlichkeiten
bereiten könnte. Ich wünschte, jemand würde kommen
und eine Frau machen aus dem Mädchens,
das ist eher die Berufung einer schönen Frau.
Mit ernstem Gesicht antwortete der Syndikus:
Ehrwürdigster Doktor, du hast so viel für uns getan.
Willst du noch etwas tun? Lass dich nicht beunruhigen.
Es ist kein Opfer, Katharina zu behalten; aber
es wäre traurig, wenn wir uns von ihr trennen müssten,
denn sie ist uns ans Herz gewachsen wie ein eigenes Kind.
Luthers abgenutztes Gesicht strahlte vor Freude.
Er ergriff die Hand seines Freundes und sagte:
Ein wahrer Freund ist ein kostbarer Schatz
und nicht mit Gold zu erkaufen. Bleib immer mein Freund.
Was mich betrifft, ich werde dich von diesem Tag an
lieber haben als je zuvor. Mittlerweile waren
die Frauen herangekommen. Als Katharina den Mönch sah,
versuchte sie schüchtern, Frau Elsa wegzuziehen
und flüsterte: Der große Doktor! Doch die kleine Dame
ließ sich nicht davon abhalten, den geliebten Gast
willkommen zu heißen. Luthers Augen ruhten
voll freudiger Überraschung auf der anmutigen Gestalt
der ehemaligen Nonne, in deren blassen Wangen der Hauch
der Freiheit die ersten Frühlingsrosen zum Blühen
gebracht hatte. Mit einem Lächeln bemerkte er
die Spuren ihrer Arbeit, die noch immer an ihrem Kleid klebten.
Ah, Herrin Katharina, scherzte er, du bist tatsächlich
ein Kind der Welt geworden. Und wie gefällt es dir?
Ziehe deine Gedanken in den Staub, denn sowohl
dein Kleid als auch deine Hände sind beschmutzt.
Würdest du nicht lieber ins Kloster zurückkehren,
wo du weit entfernt von einer bösen Welt wärst,
während deine Gedanken auf Wolken aus Weihrauch
himmelwärts schwebten? Katharinas Wangen
wurden noch rosiger, als sie sanft und mit gesenktem Blick
antwortete: Lass mich in der Welt, es ist wunderschön hier.
Solange ich nicht von der Welt bin, kann ich Gott
gewiss in annehmbarer Weise dienen und ihm
mein Leben widmen. Aus deinem eigenen Mund
habe ich gelernt, dass dem lieben Herrn sowohl
im Kleinen als auch im Großen gedient ist.
Der Doktor wollte gerade antworten, als Frau Elsa ihm
mit der Bitte, er möge zum Abendessen bleiben, zuvorkam.
Luther begegnete ihrem Blick mit einem fröhlichen Blick.
Wie geschickt du meine Gedanken erraten hast.
Hättest du mich nicht gebeten zu bleiben, hätte ich mich
als dein Gast angeboten, sonst wäre ich ohne Abendessen
zu Bett gegangen; denn mein Diener Wolfgang
kam erst vor einer Stunde mit einem Dreck in meine Zelle.
Mit sehr langem Gesicht sagte er: Herr Doktor,
was wirst du heute Abend essen? In der Speisekammer
befand sich ein Rest von gebackenem Fisch,
der für dein Abendessen gereicht hätte; aber eine Katze
muss ihn gefressen haben, denn es sind nur noch
ein paar Knochen davon übrig. - Mit tiefem Mitgefühl
blickte Katharina zu dem Mann auf, der der ganzen
Welt in so großem Maße das Brot des Lebens brach
und dem es dennoch an täglichem Brot
für seine eigenen Bedürfnisse mangelte. Ihre Bewunderung
wuchs angesichts der Größe seines Geistes,
der seine Armut in einen Scherz verwandeln konnte.
Sie flüsterte Frau Elsa ihre Gedanken zu,
die im gleichen Ton antwortete: Er hat kaum genug
für das Nötigste zum Leben. Das Gehalt eines Professors
beträgt nur zweiundzwanzig Taler und zwölf Groschen,
und er vergisst seine eigenen Bedürfnisse,
die er den Armen geben muss, die täglich
sein großzügiges Herz bedrängen. - Sein Leben
muss trist genug sein, fuhr Katharina fort,
in seinem düsteren Kloster, wo keine Frauenhand
ihm Trost spenden kann. Wolfgang mag treu sein,
aber er ist keine Frau. Sie betraten den Saal,
wo Sybille das Abendessen serviert hatte.
Möchtet ihr Neuigkeiten hören, meine Freunde?
sagte Luther, als sie saßen. Leonhard Koppe,
der Nonnenräuber, dem die Papisten am liebsten
den Ketzertod bereiten würden, verdient eher
die Märtyrerkrone; denn siehe, der Tat, die er
im Namen Gottes wagte, folgte großer Segen.
Sie war nutzlos, um zu verbergen, was in Nimptschen
geschehen war. Die Nachricht drang in andere Klöster ein,
und unsere liebe Käthe hat viele Nachahmer gefunden.
Heute erfuhr ich, dass neun Nonnen zusammen
mit ihrer Äbtissin aus dem Benediktinerkloster
in Zeitz geflohen sind, sechs Nonnen geflohen sind
aus der Abtei zu Sarmitz, acht aus dem Zisterzienserkloster
Bentlitz und sechzehn aus dem Dominikanerhaus
Widerstedt. Herrin Katharina wird sich zweifellos freuen,
zu hören, dass drei weitere Nonnen Nimptschen
verlassen haben, nicht heimlich, sondern geordnet
abgeführt von ihren Verwandten. Darüber freue ich mich
von ganzem Herzen. Aber damit die Klostertore
noch freier geöffnet werden können, schreibe ich
die Geschichte der Florentina von Oberweimar,
die aus dem Nonnenkloster Neuhelfta bei Eisleben
geflohen ist. Dieses kleine Buch wird gedruckt
und im Ausland verbreitet, damit die ganze Welt
erfahren kann, wie das Leben einer Nonne aussieht;
damit die Machenschaften des Teufels aufgedeckt werden
und Leonhard Koppe künftig in Ruhe gelassen wird.
Frau Elsa reichte dem Doktor eine Schüssel
und drängte ihn zu essen. Das sind gute Nachrichten,
hochwürdiger Herr, und unsere liebe Käthe
scheint sehr zufrieden zu sein. Ich werde dich bitten,
mir die Geschichte von Florentina zu leihen,
sobald sie gedruckt ist. Aber vergiss nicht,
dass dies die Zeit zum Essen ist. Du brauchst
etwas Nahrung, denn die Schatten unter deinen Augen
erzählen von schlaflosen Nächten und zu viel Lernen.
Luther legte mechanisch etwas von dem Essen
auf seinen Teller und sagte: Daran sind die gottlosen
Propheten von Zwickau schuld, die, während ich
als Junker Jörg im Gefängnis saß, den Weinberg
des Herrn verwüsteten; und es ist mühsamer
aufbauen statt zerstören. An manchen Morgen,
wenn ich auf mein unberührtes Bett schaue,
denke ich an Karlstadt und sage: Siehe,
für diesen freundlichen Dienst muss ich dir danken! -
Aber sag mir, Doktor, sagte Frau Elsa, wie bewerkstelligst
du all diese Arbeit, die die Kraft von zehn Männern
beanspruchen würde? Du predigst, hältst Vorträge,
schreibst Bücher, übersetzt die Bibel, empfängst
und beantwortest Briefe, und doch wirst du
niemals müde und hast immer ein fröhliches Herz.
Du findest Zeit, Wolfgang an seiner Drehbank zu helfen,
die Blumen in deinem Garten zu pflegen
und dich mit deinen Freunden zu unterhalten.
Luther blickte mit einem angenehmen Lächeln auf.
Liebe Freundin, um solche Arbeiten zu vollbringen,
sind zwei Dinge notwendig: Ordnung und Gebet.
Hat nicht jede Stunde sechzig Minuten? In sechzig Minuten
kann viel getan werden, wenn wir es der Reihe nach tun
und so die Zeit gewinnen. Und das Gebet
ist ein frischer Brunnen, aus dem Körper und Seele
immer neue Kraft schöpfen. Dieser Psalter
(und er zog ein kleines Buch aus seiner Brusttasche)
ist mein ständiger Begleiter und Tröster,
von dem ich alles lerne und empfange, was ich brauche.
Halte meine Gebete für weitaus stärker als alle Macht
und List des Teufels; und wenn ich auch nur
einen Tag vergesse zu beten, würde mein Glaube erkalten.
Arbeite und bete immer weiter, und Gott wird dir helfen!
Katharina hörte mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit zu.
Dann senkte sie den Kopf und flüsterte: Der große Doktor!
Der wunderbare Mann! Oh, ihn immer vor Augen zu haben
und seinem Beispiel zu folgen! Wenn ich nur
seine Magd sein dürfte. Ein warmer Blick
von Frau Elsa und ein sanfter Handdruck
waren ihre Antwort. Anschließend
begann Doktor Martin ein Gespräch mit dem Syndikus
über den Ritter Franz von Sickingen, dessen
tragisches Ende viele Herzen traurig gemacht hatte.
Der starke Mann war von einem Stärkeren besiegt worden.
Die Fürsten von Hessen, der Pfalz und Trier
hatten seine Festung Landstuhl belagert und überwältigt.
Ich war fast verärgert über dich, Doktor,
sagte der Syndikus, als du Sickingens
ausgestreckte Hand ablehntest. Ich vertraute darauf,
dass sein gutes Schwert sich als starke Verteidigung
erweisen und dem Evangelium trotz des Papstes
und des Kaisers den Weg ebnen würde;
denn Sickingens Macht wuchs immer mehr.
Jetzt ist es mir klar, dass du auch in dieser Sache
im Recht warst. Luther schüttelte traurig den Kopf.
Ich trauere um dich, mein Bruder Sickingen!
Er hat es gut mit mir gemeint. Und doch war er
ein Versucher, zu dem ich unbedingt sagen muss:
Stell dich hinter mich, der du mit fleischlichen Waffen
Gottes heilige Sache fördern würdest! Das wird
dem Herrn missfallen und gefährden die Wahrheit,
die keiner irdischen Stütze oder Krücken bedarf
und die Macht in sich trägt, die Welt zu erobern.
Es ist das Wort, das den Sieg erringen muss,
nicht das Schwert! Hätte ich anvertraut das Evangelium
Sickingens Hand, es wäre mit dem sterbenden Helden
untergegangen. Aber es ist Zeit, dass ich gehe,
denn Wolfgang und die Nonne Florentina erwarten mich
zu Hause. Willst du mir nicht etwas für den armen Kerl
geben? Er ist so treu, und würde seinen letzten Bissen
mit mir teilen! Bevor Frau Elsa aufstehen konnte,
hatte Katharina ein Stück geräuchertes Fleisch
in eine Serviette gewickelt und es Doktor Martin
gegeben. Er dankte ihnen und wünschte ihnen
eine gute Nacht. Katharina, schlaf recht süß
und träume was Schönes vom Paradies!
SECHSTER GESANG
Es war im August desselben Jahres, 1523,
als Frau Elsa eines Morgens in großer Eile das Zimmer
ihres Mannes betrat. Ihre Wangen glühten, ihr Atem
ging schnell und für einige Momente war sie
nicht in der Lage zu sprechen. Ich habe herausgefunden,
wer es ist, der jeden Morgen einen Blumenstrauß
am Fenster hinterlässt. Es ist, wie ich vermutet habe.
Der Syndikus rieb sich die Augen und starrte seine Frau an.
Du meinst den Jüngling aus Nürnberg? - Kein anderer!
Er war in letzter Zeit sehr kühn. In der Kirche
stellt er sich in ihre Nähe und stört ihre Andachten
mit seinen Aufmerksamkeiten. Das ist eine Sünde!
Und Käthe scheint nicht abgeneigt zu sein, seinen Antrag
zu befürworten. Erst neulich, als wir zu Abend aßen
mit Lukas Cranach, unterhielt sie sich viel
mit dem jungen Baumgärtner, der unter den Gästen war.
Auf dem Heimweg fragte sie mich, ob es von hier aus
weit nach Nürnberg sei und ob alle Schwaben so herzlich
in ihrer Rede seien wie dieser junge Hieronymus? -
Welche Antwort hast du gegeben? - Ich erzählte ihr,
dass der Weg von hier nach Nürnberg sehr lang sei
und dass ich nicht wüsste, dass die Sprache
der Schwaben herzhafter sei als die der Sachsen;
aber eines wusste ich: die freundlichen Worte
eines Mannes seien kein Beweis dafür, dass sein Herz
stimmte. Sie antwortete nicht mit einem Wort,
warf mir aber einen verlegenen, fragenden Blick zu. -
Ich gehe davon aus, dass sie verstanden hat,
was du meinst. Es würde mich betrüben,
sie Hieronymus zu geben. Wenn wir uns unbedingt
von ihr trennen müssen, hoffe ich, dass es
ein würdiger Mann ist, zu dem wir Vertrauen haben.
Dieser junge Herr scheint von einer leichtfertigen Art. -
Das denke ich auch, antwortete Elsa
mit einer lebhaften Geste. Aber ich glaube,
dass Doktor Luther den Jüngling liebt.
Er hat ihn wiederholt für seinen Fleiß
und für das reichhaltige Wissen gelobt, das er sich
an der Universität angeeignet hat. Ich fürchte,
dass er in Luther einen großen Fürsprecher finden wird. -
Liebste Elsa, sagte der Syndikus und legte seiner Frau
die Hand auf die Schulter, hier muss unsere Erfahrung
der jugendlichen Unwissenheit zu Hilfe kommen.
Katharina ist für uns wie unser eigenes Kind,
und wir würden sündigen, wenn wir uns nicht bemühen
würden, sie zu bewahren vor Unglück und Kummer.
Ich kann leicht glauben, dass ihr Herz sich
dem Jugendlichen zuneigt, er ist von hübscher Figur,
hat gute Manieren und ist darüber hinaus der erste Mann,
der sich ihr mit Liebeserklärungen genähert hat.
Wenn sie mehr über Männer wüsste, wäre sie vorsichtiger.
Frau Elsa beendete das Gespräch und forderte ihren Mann auf,
für das Morgengebet bereit zu sein. Als Sybille
das Frühstück hereinbrachte, hörte man dreimal
lautes Klopfen an der Tür, und bald darauf erschien
ein hübscher, reich gekleideter junger Mann.
Mit höfischer Anmut verbeugte er sich, stand
auf der Schwelle und wartete auf die Erlaubnis
des Herrn, einzutreten. Du beehrst uns zu früher Stunde,
Meister Baumgärtner, sagte der Syndikus etwas verlegen,
erhob sich und reichte dem Besucher die Hand,
während Frau Elsa in verwirrter Eile
sich mit dem Tisch beschäftigte. Der junge Mann
antwortete: Verzeih, wenn ich störe, aber
wegen meiner plötzlichen Abreise fand ich
keinen passenderen Zeitpunkt, um mich von euch
zu verabschieden. Reichenbach blickte überrascht
zu dem großen Jüngling auf, und Frau Elsa kam näher.
Was sagst du? Du wirst Wittenberg verlassen?
Der Student nickte zustimmend und erklärte:
Es fällt mir schwer, den Ort zu verlassen,
an dem ich so viel Freude und Nutzen erlebt habe,
dennoch schulde ich meinem Vater Gehorsam,
der meine baldige Rückkehr verlangt.
Mit heuchlerischer Wärme und kaum verhohlener Freude
drängte Frau Elsa den jungen Mann, an der Mahlzeit
teilzunehmen; erkundigte sich mit viel Gefühl
nach den Gründen für den väterlichen Befehl
und war insgesamt so freundlich und umgänglich,
dass er überrascht war, plötzlich auf diese Weise
in der Gunst von jemandem aufgenommen zu werden,
der ihn immer mit eiskalter Zurückhaltung behandelt hatte.
Sein Blick wanderte oft zur Tür, als erwarte er jemanden,
und je länger er wartete, desto unruhiger wurden
seine Blicke und desto verwirrter seine Antworten.
Schließlich stand er auf, um zu gehen. Es war offensichtlich,
dass etwas auf seinem Geist lastete, dem seine Zunge
keinen Ausdruck verleihen wollte, bis er
mit heldenhafter Anstrengung den Mut aufbrachte,
nach Katharina zu fragen. Ich möchte ihr
Lebewohl sagen, wenn ich… Sein Satz blieb unvollendet;
die dadurch hervorgerufene Verlegenheit verstärkte
seine eigene Schüchternheit. Nach einem schmerzlichen
Schweigen stammelte Frau Elsa: Zweifellos
hat sie nicht gut geschlafen, sonst wäre sie
beim Morgengebet erschienen. Wenn du ihr
eine Botschaft zukommen lassen möchtest,
überbringe ich sie gern. Ein Schatten fiel
auf das hübsche Gesicht des jungen Mannes.
Seine Lippen öffneten sich, so dass die weißen Zähne
unter seinem braunen Bart sichtbar wurden,
und mit ängstlicher Frage ruhte sein Blick
auf dem Gesicht der Dame, der unter seinem Blick
heiß und kalt wurde. Die Stimme ihres Mannes
klang fast wie ein Vorwurf, als er sagte:
Geh und siehe, warum Katharina so lange zögert.
Mit innerem Widerwillen drehte sich Frau Elsa um,
um zu gehorchen, als die Tür geöffnet wurde
und Katharina erschien. Beim Anblick des jungen Mannes
zuckte sie zusammen und errötete. Der Syndikus
kam ihr zu Hilfe. Er nahm väterlich ihre Hand und sagte:
Komm her, Katharina, und grüße Meister Baumgärtner,
der gekommen ist, um sich von uns zu verabschieden,
bevor er in sein Haus zurückkehrt. Katharinas Gesicht
wurde blass, und ihre Augen suchten schüchtern
die des jungen Mannes, der näher kam
und ihre Hand ergriffen hätte. Ich bitte dich, liebe Dame,
gedenke meiner freundlich, denn auch ich werde dich
treu in Erinnerung behalten, bis Gott es so befiehlt,
damit ich dein Angesicht wiedersehen kann. -
Du kehrst dann nach Wittenberg zurück? fragten beide Frauen
in einem Atemzug, die eine mit freudiger Überraschung,
die andere mit sichtbarer Bestürzung.
Voller Begeisterung rief der junge Mann aus:
Wie könnte ich Wittenberg vergessen! Hier wurde mein Geist
genährt und mein Herz erwacht. Ich vertraue darauf,
dass pflichtbewusster Gehorsam mich nicht lange
in Nürnberg festhalten wird; dann werde ich mich beeilen,
hierher zurückzukehren. In der Zwischenzeit übergebe ich
dich der Obhut Gottes. Er hielt inne, um die Emotionen
zu verbergen, die ihn überwältigten, und eilte
nach einem sehr hastigen Abschied davon.
An diesem und dem folgenden Tag herrschte tiefe Stille
im Haus des Syndikus. Mann und Frau hatten einander
wenig zu sagen, und über ihnen, in ihrem kleinen Gemach,
saß Katharina, einsam und traurig. Ihr Herz schien leer.
Nachdem Hieronymus nun fort war, wurde ihr die Wärme
ihrer Gefühle für ihn bewusst. Sie beschloss,
Trost in der Zuneigung ihrer Freunde zu finden,
aber dies schien kein ausreichender Ersatz zu sein;
und sie hatte eine starke Vorahnung, dass Hieronymus
nicht zurückkehren würde. Doch als die heißen Tränen
aus ihren Augen strömten, kämpfte sie mit aller Kraft
gegen ihren Kummer, damit der Syndikus und seine Frau
nicht bemerken könnten, dass ihre Liebe
von einem anderen geteilt wurde, dessen Antrag
sie missbilligten. Sie empfand es als Sünde,
dass ihre Wohltäter einem Fremden nachgeben sollten,
weil er sich ihr tatsächlich mit freundlichen Worten
und Blicken genähert hatte. Sei still, du törichtes Herz,
sagte sie, und sorge dafür, dass du mit verdoppelter Liebe
dein Unrecht an diesen freundlichen Freunden büßen kannst.
Kurz darauf empfing Frau Elsa eines Abends ihren Mann
mit einem lebhaften Empfang: Philipp,
unsere Käthe ist ein mutiges Mädchen! Sie hat
ihr eigenes Herz erobert und gehört wieder ganz uns!
SIEBENTER GESANG
Mehr als ein Jahr war vergangen. Der Herbst 1524
war gekommen und zerstörte eifrig alles,
was der Sommer angerichtet hatte. Auf den Straßen
spielte der Wind seine Streiche mit den gefallenen Blättern.
Auf den Dächern berieten sich die Schwalben lautstark
über ihre Flucht in das sonnige Südland, wohin
die Störche ihnen bereits vorausgegangen waren.
Es war Sonntagmorgen. Aus der Wittenberger Stadtkirche,
wo Luther gepredigt hatte, strömten Menschenmengen.
In eifrigen Gruppen standen sie auf dem Marktplatz;
und unter ihnen war auffällig der Syndikus
Philipp Reichenbach, der sich lebhaft
mit einem höfisch aussehenden Mann in prächtiger Kleidung
unterhielt, dessen hübsches, intelligentes Gesicht
von einem seltenen, künstlerischen Typus war.
Ein langer Bart fiel ihm auf die Brust. Es handelte sich
um den Hofmaler und Senator Lukas Cranach.
Ich traute meinen Augen kaum, rief der Syndikus
und gestikulierte eifrig, als ich Bruder Martin
im Priesterrock statt in seiner Mönchskutte erscheinen sah.
Mein Herz jubelt, denn die hässliche Kutte
passte ihm nicht mehr. Nachdem er es innerlich getan hat
und legte das Leben des Mönchs weg, warum sollte er
weiterhin sein äußeres Zeichen tragen? Das alte Gewand,
so abgenutzt und zerrissen es auch ist, hat seine Ruhe
verdient. Aber es gefällt mir wenig, dass er
im Kloster bleibt, wenn alle Mönche gerettet sind.
Der Prior Eberhard Brisger ist weggegangen.
Es wäre besser, er würde mit allen Mönchsgewohnheiten
brechen. - Es ist bekannt, lieber Freund, sagte Cranach,
dass Doktor Martin wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt.
Er mag gute Gründe haben, im Kloster zu bleiben.
Es heißt, der Kurfürst habe die Absicht, es ihm zu schenken.
Der Syndikus öffnete die Augen. Was! Und würde er
so ein Geschenk bekommen? - Warum nicht?
fragte der andere. Es ist ein Beweis der Gunst des Kurfürsten. -
Hm, sagte Reichenbach, wie du es verstehst. Da sitzt er
allein in dem großen, trostlosen, halb zerstörten Haus,
ohne die Hand einer Frau, die sich um seine Bedürfnisse
kümmert. Alles, was er über das gesegnete Evangelium lehrt,
ist klar und deutlich. Mir ist das klar; so wie er lehrt,
so lebt er; und wenn irgendetwas in seinen Worten
schwer zu verstehen schien, wird es durch sein Leben
deutlich. Aber das übersteigt mein Verständnis,
dass er zwar Priester und Mönche ermutigt,
in den Zustand der Ehe einzutreten, er lobt die Ehe
und lobt sie als etwas, das heilig und Gott wohlgefällig ist,
doch er selbst will nichts davon haben. Sogar
Albert von Brandenburg, der Großmeister
des Deutschen Ordens, gab er den Rat:
Gib die Gewohnheit deines Ordens ab, nimm eine Frau
und setze dir die Krone eines Herzogs auf,
was der große Herr zur Freude aller Gläubigen
und besonders Luthers befolgt hat. Es ist bekannt,
dass er den Erzbischof von Mainz dazu drängte,
dem Beispiel seines Cousins von Preußen zu folgen.
Und gibt er seinen Freunden nicht Anlass,
an der Ernsthaftigkeit seiner Lehre zu zweifeln
oder zu befürchten, dass es ihm an Mut mangelt, selbst
in den Stand einzutreten, den er anderen empfiehlt?
Lukas Cranach nickte zustimmend. Ich denke mit dir
und wünsche mir von ganzem Herzen, dass Luther
in dieser Angelegenheit anderer Meinung wäre,
nicht nur um seiner Freunde und der guten Sache willen,
sondern auch für seine eigene. Wahrlich,
wenn die Dinge so weitergehen, werden wir bald
hinter seiner Bahre weinen; und dann weiß nur der Herr,
was aus der Welt werden wird. Er bereitet sich täglich
auf den Tod vor, da er der Meinung ist, dass das Werk
ohne ihn gelingen wird, da es Gottes Werk ist,
der schnitzen kann selbst einen Doktor Martin
aus einem Weidenzweig. Aber ich sehe es anders,
nämlich dass Gott seine erwählten Werkzeuge
nicht beiseite werfen wird, bis sein Ziel erreicht ist,
und die Welt noch nicht auf Luthers Dienste
verzichten kann. Sondern dass er was tun kann,
hat er begonnen, er darf nicht alleine weitermachen,
ohne Fürsorge oder Dienst. Auch wenn seine Knochen
aus Eisen und seine Nerven aus Stahl wären,
wird ihn die Aufgabe des Riesen, die auf seinen Schultern ruht,
ohne eine treue Hausfrau niederdrücken. Sein Geist
ist oft so sehr in himmlische Angelegenheiten versunken,
dass er vergisst, dass der Körper nach Ruhe und Nahrung
verlangt. Erst neulich fand ich ihn schwach und blass
in seinem Stuhl sitzend, und auf meine Befragung
gestand er, dass er während der Übersetzung
der Psalmen zwei Tage und zwei Nächte ohne Essen
und Trinken zugebracht hatte. Wenn er sich nachts,
müde von der Arbeit des Tages, auf sein Bett legt,
ist es hart und keine sanfte Hand hat sein Kissen geglättet.
Oh, dass Gott sein Herz leiten würde, eine Frau zu wählen,
die ihm eine Gehilfin sein würde! Er würde bald wieder
zu Kräften kommen und guten Mutes sein.
Aber wo eigentlich, fuhr Cranach mit einem Seufzer fort,
wo ist die Frau, eines solchen Mannes würdig?
Er hielt inne und sein Blick wanderte über den überfüllten Platz.
Siehe, rief er, dort geht deine liebe Frau mit der Herrin
Katharina! Stimmt es, wie mir gesagt wurde,
dass der Pfarrer Kaspar Glatz um ihre Hand geworben hat? -
Reichenbachs Gesicht war vor Verärgerung getrübt,
als er antwortete: Du berührst eine Angelegenheit,
die mich sehr beunruhigt. Du hast zweifellos gehört,
dass der junge Baumgärtner, der sie einst
mit seinen liebevollen Blicken verfolgte,
unsere Käthe bald vergaß und eine Frau zu sich nahm,
der Vater hatte für ihn entschieden! Ich bin fast froh darüber,
denn Käthe sieht jetzt, dass ich im Recht war
und dass der Junge aufgrund seines leichten Geistes
und seines wankelmütigen Herzens ihrer unwürdig war.
Aber darüber bin ich betrübt, um die Werbung
von Doktor Glatz, die Luther befürwortet,
da er Katharina als ehemalige Nonne für am geeignetsten hält,
die Frau eines gottesfürchtigen Priesters zu werden.
Er ist ein guter Mann, und wenn das Opfer nötig sein muss,
würde ich sie lieber ihm geben als manch einem anderen.
Aber siehe, seit Meister Nikolaus von Amsdorf
auf Luthers Bitte hin kam, um die Bitte des Doktors
durchzusetzen, ist sie völlig verändert. Sie hörte
ihn schweigend an, brach dann in Tränen aus und sagte:
Ehrwürdiger Herr, meine Liebe kann nicht erzwungen
oder befohlen werden; sie muss von Gott gegeben werden.
Mein Herz ist kalt gegenüber dem, den du mir
zum Heiraten befiehlst, und ich könnte für ihn
niemals das sein, was eine christliche Frau sein sollte,
gemäß Gottes Wort und Gebot. Dränge mich nicht,
denn ich würde lieber mein Leben lang
in meinem jetzigen Zustand bleiben,
als Doktor Glatz meine Hand zu reichen.
Als Amsdorf ihr erklärte, dass Luther
über ihre Weigerung unzufrieden sein würde,
flossen ihr erneut Tränen und sie bat darum,
es ihm nicht zu sagen; aber dass sie ihn selbst
über ihre Entscheidung informieren würde.
Als Luther am selben Tag zu uns kam, gab es
eine Szene, die uns Tränen in die Augen trieb.
Katharina fiel ihm zu Füßen und sprach, wie ich sie
noch nie gehört hatte. Der Doktor behandelte sie
wie ein Vater sein Kind, tröstete sie mit sanften,
freundlichen Worten und versprach,
sie nicht weiter zu quälen, sondern die Angelegenheit
in Gottes Hände zu legen. Nachdem sie gegangen war,
saß er noch eine Stunde bei uns, sah sehr ernst aus
und sprach mit so bewegenden Worten zu uns,
dass man deutlich erkennen konnte, wie sehr ihn Katharinas
Kummer beunruhigte. Nachdem er eine Weile
nachgedacht hatte, sagte er: Jetzt verstehe ich,
mein Freund, warum du Angst hast, Katharina zu verlieren.
Sie ist in der Tat ein Schatz und eine Jungfrau
nach Gottes Herzen. Ich bin über mich selbst verärgert,
dass ich sie bisher so wenig geachtet habe,
obwohl ich in Wirklichkeit ihr Vormund
und ihr geistiger Vater bin. Seit diesem Tag
steht Katharina dem Doktor nicht mehr ängstlich fern,
sondern ist jederzeit bereit, mit ihm zu sprechen;
und wenn er ihre hausfraulichen Tugenden
und mädchenhaften Zurückhaltung lobt,
strahlt ihr Gesicht vor mädchenhafter Freude.
Lukas Cranach, der aufmerksam zugehört hatte,
antwortete: Ja, Katharina ist von ausgezeichneter Natur
und wird mir immer mehr ans Herz gewachsen.
Ich habe mich um ihretwillen von ganzem Herzen gefreut,
als der verbannte König von Dänemark bei seinem
letzten Besuch in Wittenberg zu Gast war,
schenkte ihr einen goldenen Ring als Anerkennung
ihrer weiblichen Tugenden. Aber Gott bewahre,
dass diese Auszeichnung sie eitel machen sollte! -
Fürchte dich nicht, antwortete Reichenbach;
ihr Geist ist nicht auf hohe Dinge fixiert.
Inzwischen hatten sie das Augustinerkloster erreicht,
in dem Luther lebte. Zwei Wanderer, die zweifellos
den Doktor um Hilfe gebeten hatten, kamen aus der Tür;
denn niemand in Wittenberg wurde so häufig
von Armen und Bedürftigen aufgesucht wie der Professor
mit seinem Gehalt von 22 Talern und 12 Groschen.
Er gab seine letzte Münze, und als diese ausgegeben war,
verschonte er nicht den silbernen Becher,
der ein Geschenk des Kurfürsten gewesen war.
Komm, wir wünschen dem Doktor einen schönen Tag,
sagte Cranach. Ich möchte ihm für seine Predigt danken.
Sie durchquerten den Hof und gelangten
durch einen langen, dunklen Gang zu Luthers Zelle.
Sie fanden ihn an seinem Tisch sitzend, vor ihm lag
ein großer Stapel Briefe. Er empfing seine Freunde
mit sichtlicher Freude. Willkommen, liebe Freunde!
Seht hier, meine Sonntagsgäste, die dafür sorgen,
dass Doktor Martin auch an diesem gesegneten Tag
keine Ruhe haben wird. Sie scheinen alle Hochzeitsgäste
zu sein. Ja, ihr dürft wohl starren, heute
möchten alle Freunde würden mich heiraten lassen.
Hier ist ein Brief meiner guten Freundin, Herrin
Argula von Grumbach, die mich mit vielen Worten
dazu drängt, durch meine eigene Tat meine Lehre
von der Priesterehe zu begründen und durch mein Beispiel
andere zu ermutigen. Hier ist ein anderer von Pfarrer Link
in Altenburg. Er verkündet die Geburt einer Tochter.
Auch hier nimmt mein Vater seine alte Litanei wieder auf
und spricht mit so bewegenden Worten, dass ich denke,
ich muss nach der ersten Jungfrau greifen, die ich finden kann.
Jetzt sagr es mir, sind das nicht fröhliche Sonntagsgäste?
Lukas Cranach antwortete ernst: Vielleicht sind sie
Gottes Boten für dich, Martin. Deine Freunde
laufen Gefahr, den Glauben an deine Lehren
zu verlieren, wenn du so weitermachst.
Luther schüttelte den Kopf, die Tonsur war
unter seinem lockigen Haar fast verschwunden.
Verstehen mich meine Freunde so wenig?
Siehe, liebster Lukas, nach dem, was ich über die Heiligkeit
und die Notwendigkeit der Priesterehe gesagt habe,
werde ich für immer bleiben. Denn nach Gottes Wort
gibt es keinen gesegneteren Zustand auf Erden als diesen
der Ehe, die Gott selbst für Menschen jeder Stufe eingeführt
und geheiligt hat und in der nicht nur Könige, Fürsten
und Heilige, sondern, wenn auch auf andere Weise,
sogar der ewige Sohn Gottes geboren wurde.
Doch für mich selbst, ich denke nicht daran,
eine Frau zu nehmen. Meine Feinde sind beschäftigt genug;
denn zu den Verleumdungen der Papisten kommen noch
die Schmähungen der himmlischen Propheten hinzu,
in deren Namen der schlecht konditionierte Thomas Münzer
eine Broschüre gegen die Gottlosen veröffentlicht hat,
weich lebendes Fleisch in Wittenberg. Würde ich heiraten,
würden sie schnell ausrufen: Aha, jetzt sehen wir,
was sein Evangelium bedeutet: dem Fleisch zu dienen
und in Ruhe zu leben! Diese Angst lässt sogar
meine Freunde zögern, und Doktor Schurf sagte kürzlich:
Wenn dieser Mönch eine Frau nehmen würde,
würden die Teufel lachen und die Engel weinen.
Und mein lieber Philipp Melanchthon, der dabei stand,
fügte hinzu: Ja, die Papisten warten darauf;
und wenn er das täte, würde er seiner Doktrin
größeren Schaden zufügen, als die ExkommuniKätheon
des Papstes oder das Interdikt des Kaisers
anrichten könnten. Und wer würde in diesen unruhigen
Zeiten, in denen die Bauern verrückt geworden sind,
in denen Burgen und Klöster von allen Seiten brennen
und Ströme unschuldigen Blutes fließen, daran denken,
zu heiraten? Ich verspüre auch nicht die geringste
Neigung dazu. Das lege ich tatsächlich in die Hand
des Herrn, der mein Herz und meinen Sinn wenden kann,
wann immer es Ihm gefällt. Aber so wie ich jetzt
eingestellt bin, werde ich keine Frau nehmen.
Nicht, dass ich aus Holz oder Stein wäre,
aber mein Sinn ist der Ehe abgeneigt,
und täglich erwarte ich das Schicksal eines Ketzers.
Auch würde ich mein Herz nicht verhärten
oder mit dem Herrn argumentieren, aber ich vertraue darauf,
dass Er mich nicht noch lange in dieser Welt lassen wird.
Als ich schließlich die Ehe von Priestern befürwortete,
tat ich das nicht weil ich beabsichtige, eine neue Art
von Knechtschaft aufzuerlegen oder den Menschen
ein neues Joch auf den Hals zu legen, wie der unglückliche
Karlstadt, der jeden Priester zwangsweise
zur Heirat zwingen möchte. In dieser Angelegenheit
soll völlige Freiheit herrschen, es zu tun oder zu unterlassen.
Luther sprach in einem Ton von so entschiedener Überzeugung,
dass Cranach nicht wagte, darauf zu antworten.
Er ergriff die Hand des Doktors und bat seinen Freund
mit seinen Augen um Verzeihung. Auch Reichenbach
stand auf und sagte sanft: Gott wird dafür sorgen!
Die beiden Männer verabschiedeten sich, und Luther
war sehr müde, rief Wolfgang und forderte ihn auf,
ihm die restlichen Briefe vorzulesen,
denn seine Augen waren vom vielen Lesen schwach.
ACHTER GESANG
Der Neujahrstag 1525 war düster
und voller Vorahnungen kommenden Unheils.
Noch dunkler und schwerer stiegen die Gewitterwolken auf,
die sich seit Oktober zusammenzogen. In Thüringen,
in Franken und Schwaben kam es zu Unruhen
unter der unterdrückten Bauernschaft,
als Luthers Predigt über die christliche Freiheit
wie ein Funke in das explosive Material fiel
und eine Flamme entfachte, die die Welt erschreckte.
Luther, auf den die elenden Bauern ihr Vertrauen setzten,
hatte sich ernsthaft für ihre Sache eingesetzt
und mit prophetischer Stimme an das Gewissen
der Adligen appelliert; er forderte sie auf,
den gerechten Forderungen der Bauern nachzukommen,
wie sie in ihren zwölf Artikeln dargelegt sind.
Der Frieden wäre zweifellos schnell eingetreten,
wenn die Ritter der Vernunft oder der Gnade
zugestimmt hätten. Doch als sie Luthers Warnung
nicht beachteten und hartnäckig an ihren grausamen
Forderungen festhielten, brach der Sturm los.
Wie eine Lawine, die mit jedem Schritt an Kraft gewann,
breitete sich der Aufstand, der im Schwarzwald begann,
über Schwaben, Thüringen und Franken aus.
Überall standen Burgen und Klöster in Flammen,
und das Blut der Ermordeten schrie laut zum Himmel.
Angeregt durch die Propheten von Zwickau
wurden die Bauern von einer wilden Raserei erfasst,
und ein tödlicher Schrecken lähmte die Hände
von Fürsten und Adligen. Luther war zutiefst betrübt.
Mit seinem furchtlosen Heldentum wagte er sich
zweimal unter die wütende Menge und versuchte,
sie zur Besinnung zu bringen. Aber dieses eine Mal
war seine Stimme machtlos. Schweren Herzens
kehrte er nach Wittenberg zurück, noch schwereren Herzens
schrieb er seine Broschüre gegen die plündernden
und mörderischen Bauern, in der er die Fürsten aufforderte,
das Schwert zu ziehen, um sich zu verteidigen.
Nach und nach sammelten sie ihre Streitkräfte
und begegneten den ungeordneten Banden
mit erfahrenen und disziplinierten Truppen.
Die Aufständischen unterlagen; aber zu seinem Bedauern
sah Luther, wie die Sieger unwürdige Rache
an allen ausübten, die den Bauernkittel trugen.
Die Kirchenglocken im ganzen Land verkündeten
die Rückkehr des Friedens, und alle beteiligten sich
an der allgemeinen Danksagung. Aber Luther
saß in seiner Zelle und trauerte. Er senkte den Kopf
und verweigerte Essen und Trinken, denn jedermanns Hand
war gegen ihn. Die Papisten überschütteten ihn
mit Flüchen und Verwünschungen: Du bist der Mann,
dessen blasphemische Worte über die christliche Freiheit
die Fesseln der Bauern gebrochen und dieses Blutvergießen
verursacht haben. Die Bauern wiederum riefen:
Du hast unsere Hoffnungen getäuscht, hast uns verraten
und im Stich gelassen! Seine Freunde wagten es kaum,
sich zu zeigen. Und das Evangelium? Ah! es schien,
als wäre alles zu Ende! Um das Ausmaß seines Elends
zu vollenden, kam die niederschmetternde Nachricht
aus Torgau, dass der Fürst, dessen Weisheit
und Festigkeit eine starke Verteidigung und Stütze
des Evangeliums gewesen waren, am 5. Mai
diese böse Welt verlassen hatte. Sollte wieder Nacht
die Erde bedecken, nachdem der Morgenstern
des Evangeliums so hell am Himmel aufgegangen war?
Würde Gott seinen Diener verwerfen, seinen treuen Diener,
der wie ein siegreicher Held seinen Weg
so herrlich begonnen hatte? In Wittenberg gab es
viele ängstliche Fragen. Wo war Luther? Auf seiner Kanzel
war es still. Sein Lehrstuhl an der Universität war leer.
Er saß allein in seiner Zelle, den äußeren Angelegenheiten
gegenüber verloren und völlig in die innere Welt
der Gedanken und Gebete vertieft. Es war immer
am Vorabend eines großen Vorsatzes. So hatte er
gesessen und nachgedacht, als er mit dem Entschluss rang,
dem Papst und der ganzen Welt zum Trotz
die Wahrheit zu sagen und den Kampf mit dem Aberglauben
Roms zu beginnen. Äußert er Elias Klage: Es ist genug;
nun, o Herr, nimm mein Leben! Verzweifelt er an sich selbst
und an seiner Mission? Nein, aber in seiner Seele
tobt ein erbitterter, heldenhafter Kampf. Endlich
kann er beten; und der verletzte Geist findet
die offene Tür, aus der seine Hilfe kommt.
Die schweren Augen blitzen mit neuem Feuer;
die gerunzelte Stirn wird klar; sein nach oben
gerichtetes Gesicht atmet einen heiligen Trotz.
Plötzlich verlässt er seine Zelle und begibt sich
zum Haus von Lukas Cranach, seinem besten Freund.
Der Künstler stand an seiner Staffelei und beschäftigte sich
mit einem Porträt von Bugenhagen, dem Pfarrer
der Stadtkirche. Als Luther eintrat, ließ er den Pinsel fallen
und empfing seinen Freund mit offenen Armen.
Mein Martin! Gott sei Dank, dass ich dich wiedersehe!
Wir waren für dich in großen Schwierigkeiten.
Aber was ist denn Großartiges geschehen, Martin?
Dein Gesicht strahlt, wie wenn ein großer Gedanke
von dir Besitz ergriffen hat. - Luther blickte
seinem Freund mit feierlichem Blick in die Augen:
Schicke Doktor Bugenhagen und den Anwalt Doktor Apel,
ich möchte euch drei um einen freundlichen Dienst bitten.
Cranach schickte einen Boten zu den beiden Männern,
die bald eintrafen und sich beim Anblick ihres Freundes
nicht weniger freuten als der Maler. Luther begann:
Meine lieben Freunde, bei mir ist eine Veränderung
eingetreten, die euch in großes Staunen versetzen wird.
Um euch nicht in Ungewissheit zu halten, sage ich
euch gleich: Bruder Martin hat den Befehl des Herrn
erhalten, sich eine Frau zu nehmen. - In stummer
Überraschung waren alle Augen auf Luther gerichtet,
der ruhig fortfuhr: Es ist die Tat des Herrn
und in meinen eigenen Augen kaum ein Wunder.
Deshalb stimmt mein Herz bereitwillig zu. -
Der Name des Herrn sei gepriesen, rief Lukas Cranach,
der sich als erster von seinem Erstaunen erholte.
Bruder Martin, dies ist tatsächlich von Gott
und eine Antwort auf meine geheimen Gebete.
Aber sag uns, wen von den Töchtern des Landes
hast du ausgewählt? - Ihr Name ist Katharina von Bora,
antwortete Luther. Wieder herrschte Stille;
dann eilten die drei Männer einmütig zu ihrem Freund
und drückten ihm herzlich die Hände. Das ist von Gott,
rief Cranach aus, denn unter allen Mädchen, die ich kenne,
ist sie die würdigste. Bugenhagen brachte in herzlichen
Worten seine Freude über Luthers Wahl zum Ausdruck,
während Cranach aus dem Zimmer eilte und bald
mit seiner Frau zurückkehrte. In den Augen von Herrin Barbara
glitzerten zwei große Tränen, als sie Luther ihre Hand reichte.
Segen mit dir, ehrwürdiger Doktor, sagte sie mit zitternder
Stimme, gesegnet ist die Jungfrau deiner Wahl.
Ich danke dem lieben Herrn, der dir nach den Nöten
dieser Zeit seine Barmherzigkeit erwiesen hat.
Ah, Doktor, du hast bisher mit hohen und edlen Worten
den heiligen Stand der Ehe gepriesen, aber du wirst
in diesem gesegneten Zustand mehr finden, als Worte
sagen können. Ein Diener brachte einen Krug Wein
und vier silberne Becher auf einem goldenen Tablett.
Setzt euch, liebe Freunde, drängte Cranach, während
Herrin Barbara die Tassen mit spanischem Sekt füllte.
Jetzt sag uns, Bruder Martin, sagte Cranach
und rieb sich vor Freude die Hände, wie kam es
zu dieser Veränderung? Denn auf einen solchen Entschluss
von dir habe ich nicht mehr zu hoffen gewagt.
Luther nahm einen Schluck Wein und antwortete:
Der Mensch schlägt vor, und Gott verfügt;
und wenn er das menschliche Herz treibt, ist es schwer,
gegen die Stacheln zu treten. Ich habe
über drei Dinge nachgedacht: erstens meine Feinde,
die immer dreister werden und noch bösartiger,
und beschuldigen mich, dass ich andere dahin treibe,
wohin ich selbst zu folgen fürchte. Deshalb werde ich
dem Teufel, den Fürsten und Bischöfen zum Trotz
eine Frau nehmen und so die Heiligkeit der Ehe bezeugen,
die sie verachten und ablehnen. Ich werde nicht zögern,
damit ich noch Zeit habe, meine Lehre
durch meine eigene Tat durchzusetzen. Die Zeiten
sind schlecht, und meine letzte Stunde könnte nahe sein,
und ich wünschte, dass der Tod mich verheiratet finden würde.
Dann dachte ich über meinen alten Vater nach.
Ich erinnerte mich an meinen Kummer, als ich
als ungehorsamer Sohn das Kloster betrat.
Ich würde gerne mein Unrecht wiedergutmachen
und eines Tages zu ihm als Antwort auf seine Bitten sagen:
Siehe, lieber Vater, Martin hat eine Frau. Sei ruhig
und freue dich mit ihm!' Drittens dachte ich
an meine Freunde, deren Mut schwach ist
und die Angst haben zu heiraten, während Luther ledig bleibt.
So würde ich durch mein eigenes Beispiel
die Lehre bekräftigen, die ich gepredigt habe. -
Liebe Käthe, rief Herrin Barbara begeistert,
gesegnet bist du unter den Frauen; die Lose
sind dir an angenehmen Orten zugefallen! -
Weiß sie, was auf sie zukommt?, fragte Apel.
Luther antwortete: Ich habe sie in letzter Zeit
häufiger gesehen und mit Vergnügen beobachtet,
wie sich mir ihr innerer Wert, ihre Hausfrauentugenden
und ihr edler Geist immer deutlicher offenbarten.
Dennoch bin ich kein leidenschaftlicher Liebhaber.
Ich bin über vierzig und mein Herz schlägt ruhig,
obwohl ich sie sehr liebe. Daher hat sie zweifellos
keine Ahnung von meinem Vorhaben; aber ich
vertraue darauf, dass sie mir ihre Hand nicht verweigern wird.
Ich möchte euch, meine Freunde, bitten,
mich zu begleiten, dass meine vor Zeugen
geschlossene Verlobung in den Augen der Welt
Kraft und Gültigkeit haben möge. -
Das ist ein freudiger Auftrag; mir sind nur wenige
davon zugefallen, sagte Cranach. Aber sag mir, Martin,
warum willst du deinen Vorsatz so heimlich ausführen?
Melanchthon… - Sprich mir nicht von ihm,
unterbrach Luther, er ist von schüchterner Natur,
er und andere meiner Freunde, die befürchten,
dass meine Arbeit scheitern würde, wenn ich
eine Frau nehme, insbesondere eine,
die einmal Nonne war. Was getan werden muss,
muss schnell getan werden, damit der Teufel
nicht Verwirrung stiftet, indem er Böses
über Freunde und Feinde redet. - Doktor Apel
schien in Gedanken versunken zu sein.
Plötzlich hob er den Kopf und wandte sich
mit einem verlegenen Lächeln an Luther:
Ich freue mich von ganzem Herzen darüber.
Aber ich habe einige Bedenken, ob Katharina
mit all der Vorzüglichkeit ihres Herzens
und ihrer Gesinnung zu dir passt
und wird dich weiterhin zufriedenstellen.
Denn ich fürchte, sie hat aus dem Kloster
nur wenig Wissen oder Gelehrsamkeit mitgebracht.
Verzeih mir, dass ich meine Gedanken
so zum Ausdruck gebracht habe. - Luthers Augen
leuchteten. Mein lieber Apel, sag mir, was macht
Melanchthons Frau so lieb und sein Haus
zum Wohnort des Glücks? Er suchte nicht
nach einer gelehrten Frau, sondern blickte auf das Herz.
Eine gelehrte Frau ist nicht besser als eine Bremse,
die glänzt und doch sticht. Die Frau, die ihrem Mann gefällt
und die Ehe zu einem Paradies auf Erden macht,
ist eine Frau mit einem sanften, gottesfürchtigen Herzen,
liebevoll und treu, mit einer festen und geschickten Hand,
um ihren Haushalt zu regieren. - Ein dankbarer Blick
aus Barbaras Augen dankte ihm für seine Worte.
Jetzt lasst uns gehen, in Gottes Namen, sagte Cranach
und griff nach seinem Umhang und Hut.
Sie verließen das Haus und Barbara machte
hinter ihnen schweigend das Zeichen des Kreuzes.
Clio, meine Muse, jetzt bin ich völlig erschöpft.
Herrin Riechenbach und Katharina von Bora
saßen zusammen im großen Saal und bereiteten
Gemüse für das Familienessen zu.
Ist es wahr, fragte diese, dass der neue Kurfürst
versprochen hat, das Evangelium zu unterstützen?
Elsa stimmte zu. Während der Lebzeiten seines Bruders
brachte er in seliger Erinnerung häufig seine Hingabe
an das Evangelium zum Ausdruck und zeigte
Doktor Martin stets großen Respekt. Katharinas Augen
blitzten. Ehre, wem Ehre gebührt. Der Doktor
ist größer als alle anderen – der Kaiser,
Könige und Fürsten müssen ihm huldigen.
Herrin Elsa lächelte über die Begeisterung,
die jede Erwähnung von Luthers Namen
in Katharina hervorrief, und änderte das Gespräch.
Plötzlich war ein lautes Klopfen zu hören.
Katharina beeilte sich, die Tür zu öffnen,
und Luther, Cranach, Bugenhagen und Apel traten ein.
Ihre Begrüßung war so förmlich und feierlich,
dass Katharina überrascht zur Seite trat.
Sie näherten sich Herrin Elsa, die die seltsame
Feierlichkeit ihres Aussehens in Verlegenheit
gebracht hatte. Erlaube mir, sagte Luther,
in deiner Gegenwart und in Gegenwart
dieser drei ehrenwerten Männer mit Katharina
von Bora über eine Angelegenheit von großer
Bedeutung zu sprechen. - Nachdem sie zuerst
Luther und dann die anderen, die im Hintergrund
geblieben waren, mit ihren Augen befragte,
rief Frau Elsa nach kurzem Zögern Katharina zu,
die mit einem Gefühl von Besorgnis näher kam.
Liebe Herrin Käthe, begann Luther, du weißt,
wie groß mein Interesse an deinem Wohlergehen ist
und wie ich mich bemüht habe, einen würdigen
Ehemann für dich zu finden, damit du als Ehefrau
deine wahre Berufung erfüllen kannst. Aber
bis zum heutigen Tag waren meine Bemühungen
erfolglos, worüber ich sehr beunruhigt war.
Aber das Sprichwort sagt: Von allen guten Dingen
gibt es drei – deshalb komme ich in einer Angelegenheit
dieser Art noch einmal zu dir und flehe dich an...
Mit einer Geste der Bestürzung hob sie die Hände.
Fürchte dich nicht, liebe Katharina, fuhr Luther
in sanftem Ton fort. Heute erscheine ich nicht
für einen anderen, sondern weil Gott es mir
ins Herz gelegt hat, nicht länger zu zögern,
meine Lehre durch mein Beispiel durchzusetzen,
und er hat mir ohne zu fragen gesagt, wer seine Wahl war,
deshalb frage ich dich, in der Gegenwart Gottes
und dieser menschlichen Zeugen, ob du Doktor
Martin Luther deine Treueschwur schwören
und seine angetraute Frau sein wirst?
Es folgte tiefes Schweigen. Die drei Männer
standen unbeweglich da. Herrin Elsa starrte
den Doktor mit weit geöffneten Augen an.
Und Katharina? Ihr Körper zitterte;
sie stützte sich an der Armlehne eines Stuhls ab.
Ihr Gesicht war blass, ihr Herz schien aufgehört
haben zu schlagen. Plötzlich hob sie
ihre gefalteten Hände und flüsterte in glücklicher
Vergessenheit ihrer Umgebung: Herr, mein Gott,
Du weißt, dass ich es für ein Glück gehalten hätte,
seine Dienerin zu sein! Und jetzt werde ich
für würdig gehalten, seine Frau zu sein!
Herr, Deine Barmherzigkeit ist sehr groß!
Von Herrin Elsas Seite des Zimmers war lautes
Schluchzen zu hören. Tief bewegt nahm Luther
Katharinas Hand. Dann gehörst du mir bis zum Tod? -
Ja, kam die glückliche, zitternde Antwort,
und ihr Herz schickte die rosige Farbe
auf ihre Wangen zurück. Noch nie in ihrem Leben
schien sie so schön zu sein wie in diesem Moment
ihres höchsten Glücks. Dann besiegelte der große Doktor
seine Verlobung mit einem Kuss. Oh was ist ein Kuss!
Am Abend dieses ereignisreichen Tages
strömte Licht aus den oberen Fenstern
von Meister Reichenbachs Haus. In den prächtigen
Gemächern versammelte sich eine festliche Gesellschaft.
Vor einem mit Blumen und Lichtern erhellten Altar
knieten Martin Luther und Katharina von Bora,
umgeben von ihren Freunden, die andächtig
mit gefalteten Händen zuhörten, als Luther betete:
Lieber himmlischer Vater, der du mir deinen
väterlichen Namen verliehen hast und dein Amt,
gib mir Gnade und Segen, um meine Frau
und meinen Haushalt in Deiner Furcht zu regieren
und zu verwalten. Gib mir Weisheit und Kraft
und ihnen ein williges Herz und einen willigen Verstand,
damit sie Deinen Geboten folgen und gehorchen können,
durch Jesus Christus. Amen. - Amen, antworteten
die anderen, und Bugenhagen legte den Verlobten
die Ringe an die Hände und segnete ihre Verbindung
im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.