VON TORSTEN SCHWANKE
ERSTER TEIL
ERSTER GESANG
Der Deutsche Bauernkrieg war ein Konflikt
zwischen der Unterschicht der germanischen Region
des Heiligen Römischen Reiches und dem Adel
um das feudale System der Leibeigenschaft,
der Religionsfreiheit und der wirtschaftlichen Ungleichheit.
Später wurde es von Karl Marx und Friedrich Engels
als Inbegriff des Kampfes zwischen der Arbeiterklasse
und ihren Oberherren beschrieben.
Über die Ursachen des Bauernaufstands
wird immer noch diskutiert, aber im Wesentlichen
stellte der Aufstieg der humanistischen Philosophie
in Verbindung mit der religiösen Reformbewegung
von Martin Luther den Status quo in Frage
und ließ die Unterschicht auf eine Radikale Veränderung
der sozialen Hierarchie hoffen.
Auch der Ritteraufstand wird als ein Faktor angeführt,
der dazu führte, dass die Ritter unter der Führung
von Franz von Sickingen und ermutigt
durch den Ritterdichter Ulrich von Hutten
weigerte sich, Steuern oder Zehnten zu zahlen
und ermutigte die Bauern, dasselbe zu tun.
Zu dieser Zeit nahm die römisch-katholische Kirche
zehn Prozent des Lohns der Bauern als Zehnten,
und der Adel forderte andere Prozentsätze
auf der Grundlage seiner eigenen Steuersysteme,
was die bäuerliche Bevölkerung dazu zwang,
in Armut zu leben. Nachdem Luther die Autorität
der Kirche herausgefordert und damit
die protestantische Reformation in Gang gesetzt hatte,
folgten andere Mitglieder des Klerus diesem Beispiel,
wie etwa Thomas Müntzer, der zunächst hoffte,
dass Luther sich für die Rechte der Bauern einsetzen würde
und als er dies nicht tat, beschuldigte er ihn,
die Sache verraten zu haben. Der Adlige und Ritter
Florian Geyer, ein weiterer Bewunderer Luthers,
organisierte gemeinsam mit Müntzer,
dem Bauernführer Hans Müller, dem Adligen
Wendel Hipler und anderen einen Aufstand
gegen das, was sie waren als unchristliche
und ungerechte Politik der Kirche
und des Adels angesehen. Die Bauern waren
im Vergleich zu den Armeen des Adels
schlecht bewaffnet, es fehlte ihnen
an erfahrener Führung und sie konnten
keine einheitliche Front bilden, was 1525
zu ihrer Niederlage nach mehreren Gefechten führte,
bei denen es sich oft eher um Massaker
als um Schlachten handelte. Schätzungen zufolge
kamen in dem Konflikt etwa 100.000 deutsche Bauern
ums Leben, weitere verhungerten
nach der Zerstörung von Ackerland.
In mancher Hinsicht spiegelte der Kampf
die früheren Hussitenkriege wider, in denen
eine Bauernklasse gegen Berufsarmeen des Adels antrat,
aber es gab keinen starken Anführer
wie Jan Žižka für die germanischen Bauern,
die den überlegenen Taktiken und Waffen
des Adels nicht gewachsen waren.
Marx und Engels, die deutschen Philosophen,
die das System des Marxismus formulierten
und 1848 das Kommunistische Manifest schrieben,
charakterisierten den Konflikt als den Inbegriff
des Klassenkampfs und die Bauernführer
als protokommunistische Helden. Die europäische
Gesellschaft funktionierte zu dieser Zeit noch
nach der Struktur des Mittelalters, mit dem Adel
an der Spitze der Hierarchie und der Bauernschaft
ganz unten. Dazwischen gab es niedere Adlige,
die über kleinere Lehen herrschten, den Klerus
(von denen einige mächtiger waren als die niederen Adligen)
und die Kaufmannsklasse, von denen viele
wie die Geistlichen einen Steuerbefreiungsstatus
beanspruchten. Die als alleinige geistliche Autorität
anerkannte Kirche verlangte von ihren Anhängern
zusätzlich zu anderen Gebühren für verschiedene Dienste
einen Zehnten. Diese vier Klassen waren alle
auf Gelder der untersten Klasse angewiesen,
die ständig mit Steuern in die Armut gedrängt wurde.
Die Bauernklasse hatte im Mittelalter
größere Autonomie und finanzielle Sicherheit erlangt,
als die Kombination aus Kreuzzügen
und dem Schwarzen Tod einen großen Teil
der Bevölkerung getötet hatte, was es den Bauern
ermöglichte, sich zu behaupten und von den Herren
mehr für ihre Arbeit zu verlangen. Was auch immer
sie herstellten, konnte jedoch mit den von der Oberschicht
erhobenen Steuern und der Nachfrage
nach mehr Arbeitskräften nicht mithalten.
Als Martin Luthers 95 Thesen populär gemacht wurden,
interpretierten viele Bauern sie als Herausforderung
für den Status quo und unterstützten Luther
als Verfechter des einfachen Volkes
gegen die Aristokratie und die Kirche
sowie eine Reihe von Mittel- und Unterschichten.
Der Klerus unterstützte Luther in der Hoffnung
auf eine vollständige religiöse Revolution,
die der kirchlichen Korruption ein Ende setzen würde.
Einer dieser Geistlichen war Thomas Müntzer,
der bereits 1514 begann, die Lehren
und Richtlinien der Kirche in Frage zu stellen.
1517 war er in Wittenberg, als Luther
seine 95 Thesen veröffentlichte, und reiste
1519 nach Leipzig, um Luther bei seiner Disputation
mit der Kirche zu unterstützen, und scheint sich
auch im Jahr 1521, als dieser zum Predigen
nach Prag kam, noch immer als Anhänger
des Reformators betrachtet zu haben.
Zu diesem Zeitpunkt interessierte er sich jedoch
zunehmend für die deutsche Mystik und die Gültigkeit
von Träumen und Visionen als Botschaften Gottes.
Müntzer war auch davon überzeugt, dass er
in den Letzten Tagen lebte und dass die Wiederkunft
Jesu Christi unmittelbar bevorstand. In Übereinstimmung
mit der Heiligen Schrift, die er mit Offenbarungen
in Träumen und Zeichen gleichsetzte, hatte er das Gefühl,
dass er sich auf den Tag des Herrn vorbereiten musste.
Zu diesem Zeitpunkt brach er mit Luthers Lehren
und begann, radikalere Reformen zu fördern.
Er wurde von seiner Stelle in Prag entlassen
und reiste nach Allstedt in Sachsen, wo er wie zuvor
weiter predigte. Zu diesem Zeitpunkt war Luther
auf Müntzers Radikalität aufmerksam geworden
und befahl ihm aus Angst, die Reformbewegung
zu gefährden, nach Wittenberg, um sich zu erklären,
doch Müntzer lehnte ab. So wie der Reformator
Huldrych Zwingli in der Schweiz die radikalere Bewegung
der Täufer inspiriert hatte, förderte Luthers Bewegung
in Deutschland Müntzers Vision einer vollständigen
sozialen und religiösen Reform. Luther hielt
die Heilige Schrift für die letzte Autorität
in religiösen Fragen, die dann die Gesellschaft
informierte, und verurteilte Müntzers Angriff
auf die Gesellschaftsordnung im Einklang
mit Bibelstellen: Diener, gehorcht euren irdischen
Meistern mit Respekt und mit aufrichtigem Herzen,
so wie ihr Christus gehorchen würdet. Müntzer
lehnte diese Kritik ab, da er glaubte, die Bibel sei nur
ein Mittel, mit dem Gott zur Menschheit sprach.
Müntzers Vision gefiel einem breiten Teil
der bäuerlichen Bevölkerung, die der hohen Besteuerung,
dem nahezu fehlenden Eigentumsrecht
und der Nullautonomie überdrüssig war.
Den Bauern war es verboten, auf den von ihnen besetzten
Gebieten zu fischen und zu jagen, da diese Ländereien
technisch gesehen ihren Herren gehörten,
und diese Herren hatten die Freiheit, auf der Jagd
durch ihre Felder zu reiten, wann immer sie wollten.
Wenn ein bäuerlicher Haushaltsvorstand starb,
konnten seine Werkzeuge und alles andere von Wert
vom Herrn beschlagnahmt werden, statt sie
an die Söhne des Mannes weiterzugeben,
und zu diesen Beleidigungen kamen noch exorbitante
Steuern und höhere Arbeitsanforderungen hinzu
und weitere Einschränkungen der persönlichen Freiheiten.
Auch wenn Müntzer nicht als einziger Initiator
des Deutschen Bauernkrieges angesehen werden kann,
weckte seine apokalyptische Vision einer neuen Ordnung
in der Bauernschaft die echte Hoffnung,
dass die Zeit gekommen sei, den Adel zu stürzen
und ihre Rechte als freie, führungsfähige Menschen
durchzusetzen. Bis 1524 hatten sich die Bauern
zu territorialen demokratischen Gruppen
(bekannt als Haufen) zusammengeschlossen,
von denen jede über ein eigenes Leitungsgremium
verfügte, das sich auf Gesetze einigte,
die Ordnung aufrechterhielt und die Aktionen
der übrigen lenkte. Die Größe dieser Gruppen
lag zwischen 2.000 und 8.000 und mehr,
abhängig von der Bevölkerungszahl eines bestimmten
Territoriums. Im Spätsommer 1524 rebellierte
eine Gruppe von Bauern in den südgermanischen Gebieten,
nachdem eine Gräfin sie aufgefordert hatte,
ihre Erntearbeit zu unterbrechen, um Schneckenhäuser
zu sammeln, die sie als Garnspulen verwenden konnte.
Der Aufstand breitete sich schnell aus,
da sich bereits Bauernbanden gebildet
und organisiert hatten. Diese Gruppen konnten
ihre Beschwerden schriftlich beim örtlichen
Magistrat einreichen, und die wichtigsten Beschwerden
wurden schließlich im März 1525
in den Zwölf Artikeln vollständig formuliert.
Dabei handelte es sich um ein Dokument,
in dem die Rechte der Bauern geltend gemacht
und die Wiedergutmachung des der Schwaben-Liga
zugefügten Unrechts gefordert wurde, einem Bündnis
des Adels, das die soziale Struktur aufrechterhielt.
Sebastian Lotzer, ein Kürschner, der Sekretär
eines Kontingents der Bauernarmee wurde,
soll die Zwölf Artikel zusammen mit dem reformierten
Theologen Christoph Schappeler und Wendel Hipler
verfasst haben und Müntzer könnte auch dazu
beigetragen haben. Die Artikel befassten sich
mit einer Reihe von Punkten, darunter größerer
Autonomie, Steuererleichterungen, gerechteren Gesetzen
und der Abschaffung der Erbschaftssteuer.
Die Zwölf Artikel gelten als das erste Dokument
über die Menschenrechte im Europa der Frühen Neuzeit,
wurden jedoch vom Adel abgelehnt,
und diese Entscheidung wurde von Luther unterstützt.
Luther verdankte sein Leben dem Adel,
insbesondere dem Kurfürsten Friedrich III. dem Weisen,
der ihn in Schutzhaft genommen hatte, nachdem er
nach seinem Auftritt auf dem Wormser Reichstag
als Ketzer und Gesetzloser verurteilt worden war.
Luthers Rede auf dem Reichstag zu Worms
hatte seine Verbindung zur Kirche abgebrochen
und seine reformierte Vision begründet,
was seine Popularität bei der Bauernschicht steigerte,
aber er wäre daran gehindert worden,
seine Bemühungen fortzusetzen, wenn nicht
der Schutz durch Friedrich III. gewesen wäre.
Als der Aufstand begann, kam Luther aus seinem Versteck,
um dagegen zu predigen und zitierte Bibelstellen,
um die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung
zu unterstützen. Müntzer hatte das Gefühl,
dass Luther seine ursprüngliche Vision und das Volk
verraten hatte, und begann, eine Reihe von Briefen
zu schreiben, in denen er Luther als „Doktorlügner“ angriff
und ihn als Schachfigur des Adels verurteilte.
Für Müntzer hatten die lutherischen Adligen
bei der Unterstützung von Luthers Bewegung
keine echte religiöse Überzeugung, sie waren nur
daran interessiert, was sie finanziell gewinnen konnten,
wenn sie mit der mächtigen Kirche brachen,
die viele fruchtbare Landstriche besaß,
keine Steuern zahlte und von der sie
einen Zehnten verlangten wie von jeder andere Klasse,
und damit hatte er Recht. Luther verurteilte Müntzer
als einen gefährlichen Radikalen, der Unruhen schürte
und die Reformationsbewegung gefährdete,
doch Müntzer wies diese Anschuldigungen zurück
und appellierte direkt an das Volk, indem er
in seiner Rechtfertigung und Widerlegung schrieb:
Öffne deine Augen! Was ist das böse Gebräu,
aus dem alles Wucher, Diebstahl und Raub entsteht,
anderes als die Annahme unserer Herren und Fürsten,
dass alle Geschöpfe ihr Eigentum seien? Die Fische
im Wasser, die Vögel in der Luft, die Pflanzen auf der Erde,
alles muss ihnen gehören! Und Doktor Lügner antwortet:
Amen. Es sind die Herren selbst, die den armen Mann
zu ihrem Feind machen. Wenn sie sich weigern,
die Ursachen des Aufstands zu beseitigen, wie können
dann auf lange Sicht Probleme vermieden werden?
Wenn mich diese Aussage zu einem Anstifter
zum Aufstand macht, dann sei es so!
Müntzers Argumente fanden natürlich großen Anklang
bei der Bauernschaft, aber auch bei einigen
niederen Adligen, die Ländereien, Ansehen
und Einnahmen an die mächtigeren lutherischen
Fürsten verloren hatten. Zu ihnen gehörte
Florian Geyer, der wie Müntzer ein früher Anhänger
Luthers gewesen war, sich aber 1524 auf die Seite
der radikaleren reformierten Vision stellte,
die Müntzer und seine Revolutionäre vertraten.
Die Aufstände von 1524 weiteten sich
immer weiter aus, bis sich die Bauern
Anfang 1525 völlig auflehnten und sich
zu Armeen formierten, unterstützt und ermutigt
von täuferischen Geistlichen, die zwar Pazifisten waren,
die Sache der Bauern jedoch als gerecht ansahen.
Zwischen Januar und April 1525 kam es
zu einer Reihe kleinerer Konflikte, bei denen
die Bauern Taktiken aus den Hussitenkriegen
anwandten, insbesondere die Wagenfestung,
eine bewegliche Festung mit Bogenschützen,
aber das erste umfassende Gefecht
war die Schlacht von Leipheim am 4. April 1525,
bei dem etwa 5.000 Bauern gegen über 8.000
professionell ausgebildete Truppen
des Schwäbischen Bundes antraten. Die Bauern
wurden auf dem Rückzug niedergemetzelt, wobei
die Verluste auf über 3.000 Tote geschätzt wurden.
Die Bauernarmee unter Jakob Rohrbach revanchierte sich,
indem sie das Dorf Weinsberg einnahm, die Burg eroberte,
die Soldaten abschlachtete und die von ihnen
gefangenen Adligen zu einem Spießrutenlauf
mit Spießen und Knüppeln zwang und sie
auf ihrem Weg die Linie hinunter zu Tode prügelte.
Müntzer führte unterdessen seine eigenen Armeen
gegen die Streitkräfte des Schwäbischen Bundes
mit Unterstützung von Geyer und seiner Schwarzen Kompanie,
einer Ritterformation, die sich auf die Zerstörung
von Burgen und Klöstern konzentrierte,
die als Befestigungen für den Feind dienen könnten.
Obwohl jede Bauernarmee das gleiche Ziel verfolgte,
arbeiteten nur wenige gemeinsam daran,
sich gegenseitig zu unterstützen. Wie bereits erwähnt,
trafen die Bauernführer ihre Entscheidungen
in einer Versammlung von nicht mehr als zwölf Männern
und setzten ihre Pläne dann in die Tat um,
ohne sich mit anderen Gruppen abzusprechen.
Hans Müller scheint ohne Rücksprache mit Müntzer
vorgegangen zu sein, und obwohl Geyer die Truppen
unter Müntzer unterstützt haben soll, ist unklar,
in welcher Form dies geschah und ob es sich
um eine konzertierte, organisierte Aktion handelte
oder ob Geyer ihn möglicherweise unterstützte,
weil er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt
zufällig in der gleichen Gegend wie Müntzer befand.
Die Bauernheere wurden von einer Reihe
mächtiger Adliger bekämpft, vor allem aber
von Georg III., Truchsess von Waldburg,
einem erfahrenen Soldaten und Militärbefehlshaber,
der nach seinem Sieg bei Leipheim konsequent
jedes Gefecht gewann, folterte Gefangene,
bevor er sie hinrichtete, und brannte Dörfer nieder,
während er marschierte. Am 12. Mai 1525
traf Georg III. in der Schlacht bei Böblingen
auf ein großes Bauernheer, durchbrach
mit seiner Kavallerie mühelos deren Linien
und schlachtete sie auf dem Rückzug ab.
Die Bauern verloren mindestens 3.000 Soldaten,
während die Verluste von Georg III.
weniger als 40 betrugen. Die entscheidende Schlacht
des Krieges fand nur wenige Tage später,
am 15. Mai 1525, statt, als die Truppen
des Schwäbischen Bundes von Philipp I. von Hessen,
einem weiteren Anhänger Luthers, und denen
von Georg, Herzog von Sachsen, der sich
der Reformation Luthers widersetzte, traf
in der Nähe der Stadt Frankenhausen
auf das Bauernheer unter Müntzer.
Müntzer hatte kürzlich drei Diener des edlen Grafen Ernst
mit der Behauptung hingerichtet, die göttliche
Gerechtigkeit habe ihren Tod gefordert, und nutzte nun
die gleiche Begründung, um seine Truppen
zur Verteidigung der Stadt zu sammeln. Laut dem Mansfelder
Stadtrat Johan Ruhel, der Luther über das Geschehen schrieb,
ritt Müntzer am Tag der Schlacht, dem 15. Mai 1535,
durch das Lager und rief, die Bauern sollten
auf die Macht Gottes vertrauen, das würden
die Steine tun, sie bereiteten ihnen den Weg,
und die Schüsse würden ihnen nichts anhaben.
Aber die Bauern waren umzingelt und, größtenteils
Fußsoldaten, waren der Kavallerie von Hessen
und Braunschweig sowie den Truppen des Herzogs
Georg von Sachsen nicht gewachsen. Vielleicht
wurden bis zu sechstausend Menschen abgeschlachtet;
600 wurden gefangen genommen. Der größte Teil
der Bevölkerung Frankenhausens starb
oder geriet in Gefangenschaft. Müntzer floh vom Feld
und versteckte sich in einem Zimmer eines Hauses in der Stadt.
Als er entdeckt wurde, behauptete er,
ein armer Invalide zu sein, der nichts
mit dem Krieg zu tun hatte, aber eine Tasche,
die er bei sich trug, enthielt eine Reihe von Briefen
und Dokumenten, die ihn identifizierten.
Er wurde in den nächsten Tagen gefoltert
und dann am 27. Mai 1525 hingerichtet;
das gleiche Schicksal ereilte Rohrbach
als Oberbefehlshaber der Armee bei Weinsberg.
Nachdem Geyer gehört hatte, dass Frankenhausen
ein Bauernsieg war, ritt er zu Müntzer,
geriet jedoch in einen Hinterhalt
und die Schwarze Kompanie wurde
in der Schlacht von Ingolstadt vernichtet.
Geyer könnte vor der Schlacht geflohen sein
oder gar nicht anwesend gewesen sein;
später wurde er von zwei Dienern ermordet,
die behaupteten, ihn in Sicherheit zu bringen.
Der Konflikt dauerte den ganzen Sommer 1525 an,
in dem Hans Müllers Truppen besiegt wurden
und er nach Folter hingerichtet wurde.
Wendel Hipler überlebte den Krieg
und starb im folgenden Jahr. Die Feindseligkeiten
endeten schließlich im September 1525
mit über 100.000 Opfern unter den Bauern
und der Wiederherstellung des Status quo.
Im Mai 1525 veröffentlichte Luther
seine berühmte Verurteilung des Bauernaufstands:
Gegen die plündernden und mörderischen Bauernhorden,
und forderte den Adel auf, den Aufstand niederzuschlagen,
und jeden, der sich für Frieden und Stabilität einsetzte,
dabei zu helfen: Deshalb möge jeder, der es kann,
heimlich oder offen schlagen, töten und erstechen
und dabei bedenken, dass nichts giftiger, verletzender
oder teuflischer sein kann als ein Rebell.
Es ist genauso, als ob man einen tollwütigen Hund töten muss;
wenn du ihn nicht schlägst, wird er dich schlagen
und mit dir ein ganzes Land. - Interessanterweise
vertrat die Kirche dieselbe Haltung gegenüber Luther selbst,
der 1521 durch das Wormser Edikt als geächteter
Rebellenpriester verurteilt worden war und jeden,
der konnte, dazu ermutigte, ihn zu töten,
der nun aber von protestantischen Fürsten anerkannt wurde,
wie von Philipp I. von Hessen als Verfechter
der christlichen Wahrheit. Viele der Bauern und,
wie bereits erwähnt, ihre Anführer hatten erwartet,
dass Luther ihre Sache unterstützen würde,
und fühlten sich betrogen, als er sich auf die Seite
des Adels stellte. Nach dem Krieg verlor Luther
die Unterstützung vieler Bauern und wurde einmal
von einem Bauernhaufen gesteinigt.
Müntzer und Geyer sowie die anderen Anführer
des deutschen Bauernaufstands wurden
von katholischen und protestantischen Schriftstellern
als Bösewichte dargestellt, bis Marx und Engels
sie im 19. Jahrhundert als protokommunistische
Revolutionäre darstellten, die den kapitalistischen
Unterdrückern einen Schlag versetzten.
Die Anführer des Deutschen Bauernkrieges,
insbesondere Müntzer, werden in der Geschichte
einiger Länder immer noch so verstanden
(sicherlich von früheren und gegenwärtigen
kommunistischen Regimen) und von einem Teil
der Gelehrtengemeinschaft, der den Aufstand
als vernünftige Reaktion auf unvernünftige Forderungen
anerkennt, die auf diejenigen gelegt worden waren,
die es sich am wenigsten leisten konnten.
Und damit empfohlen dem Feuer des Heiligen Geistes!
ZWEITER GESANG
Ein Aufstand der Bauern Süd- und Mitteldeutschlands,
dessen Ursachen aufgrund religiöser
und politischer Vorurteile umstritten sind.
Derzeit herrscht die Meinung vor, dass der Aufstand
hauptsächlich durch wirtschaftliche Not verursacht wurde.
Die Bedingungen, die hierbei berücksichtigt werden müssen,
sind die folgenden. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts
genossen die Bauern eine relativ vorteilhafte Stellung,
auch wenn sie ihr Land nicht einfach besaßen,
sondern es entweder erblich oder für bestimmte Zeiträume
pachteten. Die Bedingungen verschlechterten sich jedoch.
Die durch Wohlstand bedingte Bevölkerungszunahme
fiel zeitlich mit der Entwicklung des wirtschaftlichen Umgangs
mit Geld und seinen schädlichen Einflüssen zusammen.
Die Stadt überschattete das Land und übte zeitweise sogar
die Herrschaft über die ländlichen Bezirke aus.
Auch die internationalen wirtschaftlichen Bedingungen
wirkten sich nachteilig auf die Bauernklasse aus.
Aus den Minen Perus, Mexikos und Deutschlands
wurden große Mengen Edelmetalle abgebaut,
so dass der Wert des Geldes um etwa die Hälfte sank,
während die Preise stiegen; so wurde in Thüringen
der Wollpreis verdoppelt und der Warenpreis verfünffacht.
Andererseits wurden die Pachtverträge nicht gekürzt
oder die Löhne erhöht, sondern die Grundherren versuchten,
ihre Verluste durch ungewöhnlich hohe Steuern auszugleichen.
Sie erweiterten ihre Macht, erhöhten die Dienste
und Lasten der Leibeigenen, versuchten,
die Rechte der Marktgenossenschaften aufzuheben
und die Erbpacht der Bauern auf ihren Höfen abzuschaffen
und ihnen nur noch die Nutzung von Wald, Wasser
und Weideland zu gewähren gegen hohe Mieten.
Das römische Recht begünstigte diese Forderungen.
Darüber hinaus führten der militärische Bedarf
und die steigenden Kosten der lokalen Regierungen
zu einer Erhöhung der Steuern. Dies löste vor allem
in Württemberg und Bayern große Bitterkeit aus.
Zu den Belastungen des Grundherrn und des Landesherrn
kamen noch kaiserliche Steuern hinzu, unabhängig
von der wirtschaftlichen Lage der ärmeren Klassen.
Am schlechtesten war die Lage der Bauern
in den sehr kleinen deutschen Staaten, wo der Grundherr
auch der Herrscher war und wie ein Fürst leben wollte.
An dem großen Aufstand, der als Bauernkrieg bekannt ist,
beteiligten sich nicht nur Bauern, sondern auch Städter
und Adlige. Von den Städten waren nur die kleineren
wirtschaftlich mit der Bauernschaft verbunden.
Große Städte wie Frankfurt, Würzburg und Mainz
schlossen sich dem Aufstand an; aber die wirtschaftlichen
Bedingungen erklären ihre Wirkung nicht vollständig.
Es muss daher davon ausgegangen werden,
dass äußere Gründe den Adel und die Städte
dazu veranlassten, sich vorübergehend mit den Bauern
im großen Aufstand zu vereinen, und dass die Ursachen
der Unzufriedenheit, die zahlreich waren,
in den verschiedenen Staaten unterschiedlich waren.
Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts waren zwar
große politische Reformbewegungen im Gange,
doch an der eigennützigen Politik der Territorialfürsten
scheiterten alle Versuche, die Zentralmacht zu stärken,
und der Nürnberger Reichstag von 1524
hatte die Reichsverwaltung völlig lahmgelegt.
Ein Teil der Rebellen wollte das Reich reformieren.
Politische Unruhen wurden durch religiöse verschärft.
Acht Jahre lang hatte Luthers Haltung die Menschen
beunruhigt und ihre religiösen Überzeugungen
in ihren Grundfesten erschüttert. Seine Deklamationen
zur christlichen Freiheit, auch wenn sie in einem anderen Sinne
gemeint waren, steigerten die Gärung. Die Gegner
der neuen Lehre betrachteten Luther zum Teil noch immer
als den eigentlichen Anstifter der Revolte; die Rebellen
selbst appellierten an ihn in der Überzeugung,
dass sie nur seine Lehren in die Tat umsetzten.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Ausbruch
erst am Ende des Jahres 1524 stattfand. Die Hoffnung
auf eine nationale Regelung der Kirchenreform
war gescheitert, und der Kaiser hatte den
nach Speyer einberufenen Nationalrat widerrufen
am 1. September 1524. Zu den Ursachen des Ausbruchs
muss auch das Scheitern der politischen und kirchlichen
Reformbemühungen gerechnet werden. Bevor
ein abschließendes Urteil über die Ursachen
gefällt werden kann, bedarf es einer umfassenderen
und gründlicheren Untersuchung des religiösen
und geistigen Lebens des deutschen Volkes
vor der Reformation. In den Jahren 1492–1500
kam es zu vereinzelten Ausbrüchen im Algäu, im Elsass
und im Bistum Speyer, die jedoch verraten
und unterdrückt wurden. Auch der Aufstand
des „armen Konrad“ gegen die Wucherbesteuerung
des württembergischen Herzogs Ulrich
und des Bundes der wendischen Bauern in Kärnten, Krain
und der Steiermark waren von den Herrschern
und Adligen dieser Staaten niedergeschlagen worden.
Im Südschwarzwald begann der große Bauernaufstand
im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts.
Der Aufstand stand unter der kühnen
und weitsichtigen Führung von Hans Müller
von Bulgenbach und als sich der Aufstand
über Schwaben, Franken und das Elsass ausbreitete,
wuchs die Macht der Aufständischen stetig.
Sie stachelten das Volk durch Versprechen
in den sogenannten „Zwölf Artikeln“ auf,
über deren Autor man sich nicht im Klaren ist.
Sie werden dem Memminger Pfarrer Schappler,
Sebastian Lotzer und dem unter Müntzers Einfluss
stehenden Waldshuter Pfarrer Balthasar Hubmaier
zugeschrieben. Ihre Forderungen waren wirtschaftlicher,
sozialer und religiöser Natur. Sie wünschten
eine Milderung des Zinssatzes, der Pflichtleistung
gegenüber dem Gutsherrn und der gesetzlichen Strafen.
Andere Artikel forderten die Wiederherstellung
der alten deutschen Wirtschaftsverhältnisse,
etwa der Gewerkschaften der alten Marken
und des freien Weide-, Fischerei- und Jagdrechts.
Die soziale Reform sollte in der Abschaffung
der Leibeigenschaft gipfeln, denn Christus
machte alle Menschen frei, aber der Gehorsam
gegenüber den von Gott eingesetzten Autoritäten
sollte aufrechterhalten werden. Was die Religion betrifft,
forderten sie das Recht, ihre Pfarrer zu wählen
und zu garantieren, dass der Klerus das reine
und wahre Evangelium predigen sollte. Daher hatte
das gemäßigte Element, das an der Vorbereitung
dieser Artikel beteiligt war, nicht an einen radikalen Umsturz
aller bestehenden Verhältnisse gedacht.
Aber in dieser Leichtigkeit, wie in allen großen
Volksaufständen, wurde die in der Theorie
ausgedrückte Mäßigung nicht durchgeführt.
Der Pöbel, der vom Wirt Georg Metzler,
von Florian Geyer, Wendel Hipler, Jäcklein Rohrbach
und sogar vom Ritter Götz von Berlichingen angeführt wurde,
frönte oft einer ungezügelten Mord- und Zerstörungslust.
Das bekannteste dieser Verbrechen ist die schreckliche
Ermordung des Grafen von Helfenstein
am 16. April 1525. Anfang Mai 1525 siegten
die Bauern überall über den Adel. Die Bischöfe
von Bamberg und Speyer, die Äbte von Hersfeld und Fulda,
der Kurfürst von der Pfalz und andere machten
auf ihre Forderungen Zugeständnisse aller Art.
Der Aufstand befand sich jedoch auf seinem Höhepunkt
und seine Anführer glaubten, ihre politischen Ziele
verwirklichen zu können. Mehrere Städte
schlossen sich dem Aufstand an, der von einer energischen
und gut organisierten Bauernschaft geleitet werden sollte;
in Heilbronn sollte eine gemeinsame Kanzlei
für alle Rebellengruppen eingerichtet werden;
die große Mehrheit der unter Waffen stehenden
Rebellen sollte nach Hause gehen und nur eine ausgewählte
Gruppe sollte das Feld behalten. Die Bauern versuchten,
ihre eigentlichen politischen Gegner, die Territorialfürsten,
zu stürzen. Sie planten eine Neuordnung
der gesamten Reichsverfassung, ein Vorhaben,
das seit dem 14. Jahrhundert immer wieder diskutiert wurde.
Ziel ihrer Reformpläne war die Stärkung des Reiches
und die Schwächung der Macht der Territorialfürsten.
Das Eigentum der Kirche sollte säkularisiert
und dann zur Entschädigung der Feudalherren
für die Abschaffung der Feudallasten verwendet werden.
Die Reformen sollten dann unter der Autorität
des Reiches durchgeführt werden, wie etwa
Einheitlichkeit der Gewichte und Münzen,
Abschaffung des Zolls, Wiederherstellung
des deutschen Gerichtsrechts. Die Kleinfürsten
schlossen sich nun zusammen und Luther bestärkte sie
in ihrer Absicht, den Aufstand niederzuschlagen.
Im April hatte er sich für den Frieden eingesetzt
und zwischen berechtigten und ungerechtfertigten
Forderungen unterschieden. Er hatte nun eine andere Sicht
auf die Sache. Der fanatische Pöbel unter der Führung
von Thomas Müntzer und Heinrich Pfeifer
verbreitete in Thüringen Zerstörung durch Feuer und Schwert
und zerstörte die Klöster des Harzes und
des Thüringer Waldes. Luther sah nun den Sturz
von Staat und Kirche, Eigentum und Familie voraus.
Dementsprechend forderte er am 6. Mai
die Fürsten heftig und leidenschaftlich auf,
die „mörderische und räuberische Bande der Bauern“
zu zerschlagen. Die von Münster befehligten Horden
wurden am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen
von den verbündeten Fürsten Sachsen, Braunschweig,
Hessen und Mansfeld besiegt. Der Prophet Müntzer
wurde hingerichtet. Etwa zur gleichen Zeit
wurde der Aufstand in Süddeutschland niedergeschlagen.
Im Elsass wurden die Bauern am 17. Mai
von den vereinten Kräften des Herzogs Anton
von Lothringen und des Gouverneurs von Mörsperg
erobert; in Württemberg wurden sie bei Sindelfingen
vom Heerführer des Schwäbischen Bundes gestürzt.
Der Mob aus Odenwald und Rothenburg
wurde am 2. und 4. Juni völlig niedergeschlagen;
und am 7. Juni musste Würzburg kapitulieren.
Der Sturz der Bauern am Ober- und Mittelrhein
erforderte mehr Zeit. In Oberschwaben, im Schwarzwald
und in der Schweiz hatte der Aufstand einen geordneten Verlauf
genommen. Der Nordwesten und der Osten
blieben vom Aufstand völlig verschont, da die Lage
der Bauern dort zu dieser Zeit günstiger war.
Früher glaubte man, dass sich die Lage der Bauern
nach diesem Aufstand verschlechtert habe,
aber diese Ansicht ist falsch. Zunächst herrschte
zwar die Strenge des Kriegsrechts; somit gab es
in Würzburg 60 Hinrichtungen, in ganz Franken 211.
Aber die Zeit des Terrors war auch eine Lehre
für die Sieger gewesen. Die Lage der Bauern
verschlechterte sich nicht wesentlich, verbesserte sich
jedoch nicht wesentlich. Nur in wenigen Ausnahmefällen
wurden Reformen eingeführt, wie in Baden und Tirol.
ZWEITER TEIL
PROLOG I
Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition.
Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte,
die sich den besten Leuten der Revolutionen
anderer Länder an die Seite stellen können,
wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie
entwickelte, die bei einer zentralisierteren Nation
die großartigsten Resultate erzeugt hätte,
wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen
und Plänen schwanger gingen, vor denen
ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern.
Es ist an der Zeit, gegenüber der augenblicklichen
Erschlaffung, die sich nach zwei Jahren des Kampfes
fast überall zeigt, die ungefügen, aber kräftigen
und zähen Gestalten des großen Bauernkriegs
dem deutschen Volke wieder vorzuführen.
Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen,
und manches hat sich geändert; und doch steht
der Bauernkrieg unsern heutigen Kämpfen so fern nicht,
und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils
noch dieselben. Die Klassen und Klassenfraktionen,
die 1848 und 49 überall verraten haben,
werden wir schon 1525, wenn auch auf einer niedrigeren
Entwicklungsstufe, als Verräter vorfinden.
Und wenn der robuste Vandalismus des Bauernkriegs
in der Bewegung der letzten Jahre nur stellenweise,
im Odenwald, im Schwarzwald, in Schlesien,
zu seinem Rechte kam, so ist das jedenfalls
kein Vorzug der modernen Insurrektion.
PROLOG II
Die nachstehende Arbeit wurde noch unter dem
unmittelbaren Eindruck der eben vollendeten
Konterrevolution, in London geschrieben;
sie erschien in der Neuen Rheinischen Zeitung.
Meine politischen Freunde in Deutschland
wünschen ihren Wiederabdruck, und ich komme
ihrem Wunsche nach, da sie, zu meinem Leidwesen,
auch heute noch zeitgemäß ist. Sie macht
keinen Anspruch darauf, selbständig erforschtes Material
zu liefern. Im Gegenteil, der gesamte auf die Bauernaufstände
und auf Thomas Müntzer sich beziehende Stoff
ist aus Büchern genommen. Diese Bücher,
obwohl hie und da lückenhaft, sind immer noch
die beste Zusammenstellung des Tatsächlichen.
Dabei hatten die alten Historiker Freude
an ihrem Gegenstand. Derselbe revolutionäre Instinkt,
der hier überall für die unterdrückte Klasse auftritt,
machte sie später zu den Besten auf der Linken
in Frankfurt. Seitdem sollen sie freilich
etwas gealtert haben, wie es der Lauf der Zeit ist.
Wenn dagegen der Darstellung der innere
Zusammenhang fehlt; wenn es ihr nicht gelingt,
die religiös-politischen Streitfragen jener Epoche
als das Spiegelbild der gleichzeitigen Klassenkämpfe
nachzuweisen; wenn sie in diesen Klassenkämpfen
nur Unterdrücker und Unterdrückte, Böse und Gute
und den endlichen Sieg der Bösen sieht;
wenn ihre Einsicht in die gesellschaftlichen Zustände,
die sowohl den Ausbruch wie den Ausgang
des Kampfes bedingten, höchst mangelhaft ist,
so war dies der Fehler der Zeit, in der
die Bücher entstand. Im Gegenteil,
für ihre Zeit sind sie, eine rühmliche Ausnahme
unter den deutschen idealistischen
Geschichtswerken, noch sehr realistisch gehalten.
Meine Darstellung versuchte, den geschichtlichen Verlauf
des Kampfes nur in seinen Umrissen skizzierend,
den Ursprung des Bauernkriegs, die Stellung
der verschiedenen darin auftretenden Parteien,
die politischen und religiösen Theorien,
in denen diese Parteien über ihre Stellung
sich klarzuwerden suchen, endlich das Resultat
des Kampfes selbst mit Notwendigkeit
aus den historisch vorliegenden gesellschaftlichen
Lebensbedingungen dieser Klassen zu erklären;
also die damalige politische Verfassung Deutschlands,
die Auflehnungen gegen sie, die politischen
und religiösen Theorien der Zeit nachzuweisen,
nicht als Ursachen, sondern als Resultate
der Entwicklungsstufe, auf der sich damals
in Deutschland Ackerbau, Industrie,
Land- und Wasserstraßen, Waren- und Geldhandel
befanden. Diese, die einzig richtige Geschichtsanschauung,
geht nicht von mir aus, sondern von Marx
und findet sich ebenfalls in seinen Arbeiten
über die französische Revolution von 1848.
Die Parallele zwischen der deutschen Revolution
von 1525 und der von 1848 lag zu nahe,
um damals ganz von der Hand gewiesen zu werden.
Neben der Gleichförmigkeit des Verlaufs,
wo immer ein und dasselbe fürstliche Heer
verschiedene Lokalaufstände nacheinander niederschlug,
neben der oft lächerlichen Ähnlichkeit des Auftretens
der Städtebürger in beiden Fällen brach indes
doch auch der Unterschied klar und deutlich hervor:
Wer profitierte von der Revolution von 1525?
Die Fürsten. Wer profitierte von der Revolution
von 1848? Die großen Fürsten, Österreich und Preußen.
Hinter den kleinen Fürsten von 1525 standen,
sie an sich kettend durch die Steuer,
die kleinen Spießbürger, hinter den großen Fürsten
von 1850, hinter Österreich und Preußen,
sie rasch unterjochend durch die Staatsschuld,
stehen die modernen großen Bourgeois.
Und hinter den großen Bourgeois
stehen die Proletarier, um aufzustehen zum Kampf.
Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass in diesem Satz
der deutschen Bourgeoisie viel zuviel Ehre erwiesen wurde.
Die Gelegenheit haben sie gehabt, sowohl in Österreich
wie in Preußen, die Monarchie rasch
durch die Staatsschuld zu unterjochen; nie
und nirgends ist diese Gelegenheit benutzt worden.
Österreich ist durch den Krieg von 1866
der Bourgeoisie als Geschenk in den Schoß gefallen.
Aber sie versteht nicht zu herrschen,
sie ist ohnmächtig und unfähig zu allem.
Nur eins kann sie: gegen die Arbeiter wüten,
sobald diese sich regen. Sie bleibt nur noch
am Ruder, weil die Ungarn sie brauchen.
Und in Preußen? Ja, die Staatsschuld hat sich
allerdings reißend vermehrt, das Defizit
ist in Permanenz erklärt, die Staatsausgaben
wachsen von Jahr zu Jahr, die Bourgeois
haben in der Kammer die Majorität,
ohne sie können weder Steuern erhöht
noch Anleihen aufgenommen werden.
Aber wo ist ihre Macht über den Staat?
Noch vor ein paar Monaten, als wieder
ein Defizit vorlag, hatten sie die beste Position.
Sie konnten bei nur einiger Ausdauer
hübsche Konzessionen erzwingen. Was tun sie?
Sie sehen es als eine genügende Konzession an,
dass die Regierung ihnen erlaubt, ihr
an 9 Millionen, nicht für ein Jahr, nein jährlich
und für alle Folgezeit zu Füßen zu legen.
Ich will die armen Nationalliberalen in der Kammer
nicht mehr tadeln, als sie verdienen. Ich weiß,
sie sind von denen, die hinter ihnen stehen,
von der Masse der Bourgeoisie im Stich gelassen.
Diese Masse will nicht herrschen. Sie hat 1848
noch immer in den Knochen. Im übrigen hat sich
obiger Satz vollständig bestätigt. Seit 1850
immer entschiedeneres Zurücktreten der Kleinstaaten,
die nur noch als Hebel für preußische
oder österreichische Intrigen dienen,
immer heftigere Kämpfe zwischen Österreich und Preußen
um die Alleinherrschaft, endlich die gewaltsame
Auseinandersetzung von 1866, wonach Österreich
seine eignen Provinzen behält, Preußen
den ganzen Norden direkt oder indirekt unterwirft
und die drei Südweststaaten vorläufig
an die Luft gesetzt werden. Für die deutsche
Arbeiterklasse ist bei dieser ganzen Haupt-
und Staatsaktion nur dies von Bedeutung:
Erstens, dass die Arbeiter durch das allgemeine
Stimmrecht die Macht erlangt haben,
in der gesetzgebenden Versammlung sich direkt
vertreten zu lassen. Zweitens, dass Preußen
mit gutem Beispiel vorangegangen ist und drei
andere Kronen von Gottes Gnaden verschluckt hat.
dass es nach dieser Prozedur noch dieselbe
unbefleckte Krone von Gottes Gnaden besitzt,
die es sich vorher zuschrieb, das glauben
selbst die Nationalliberalen nicht.
Drittens, dass es in Deutschland nur noch
einen ernsthaften Gegner der Revolution gibt,
die preußische Regierung. Und viertens,
dass die Deutsch-Österreicher sich jetzt endlich einmal
die Frage vorlegen müssen, was sie sein wollen:
Deutsche oder Österreicher? Wozu sie lieber halten wollen,
zu Deutschland oder zu ihren außerdeutschen
translethäiischen Anhängseln? dass sie eins
oder das andere aufgeben müssen, war schon lange
selbstredend, ist aber immer von der kleinbürgerlichen
Demokratie vertuscht worden. Was die sonstigen
wichtigen Streitfragen von wegen 1866 betrifft,
die seitdem bis zum Überdruss zwischen
den Nationalliberalen einerseits und der Volkspartei andrerseits
verhandelt werden, so dürfte die Geschichte
der nächsten Jahre beweisen, dass diese beiden
Standpunkte sich nur deshalb so heftig befehden, weil sie
die zwei Pole einer und derselben Medaille sind.
An den gesellschaftlichen Verhältnissen Deutschlands
hat das Jahr 1866 fast nichts geändert. Die paar bürgerlichen
Reformen - gleiches Maß und Gewicht, Freizügigkeit,
Gewerbefreiheit, alles in den der Bürokratie
angemessenen Schranken - erreichen noch nicht einmal das,
was die Bourgeoisie andrer westeuropäischer Länder
längst besitzt, und lassen die Hauptschikane,
das bürokratische Konzessionswesen, unberührt.
Für das Proletariat werden ohnehin alle Freizügigkeits-,
Indigenats-, Paßaufhebungs- und andre Gesetze
durch die landläufige Polizeipraxis illusorisch gemacht.
Was viel wichtiger ist als die Haupt- und Staatsaktion
von 1866, das ist die Hebung der Industrie
und des Handels, der Eisenbahnen, Telegraphen
und ozeanischen Dampfschifffahrt in Deutschland
seit 1848. Soweit dieser Fortschritt auch hinter
dem gleichzeitig in England, selbst in Frankreich
gemachten zurücksteht, für Deutschland ist er unerhört
und hat in zwanzig Jahren mehr geleistet,
als sonst ein ganzes Jahrhundert tat. Deutschland
ist erst jetzt ernstlich und unwiderruflich
in den Welthandel hineingezogen worden.
Die Kapitalien der Industriellen haben sich
rasch vermehrt, die gesellschaftliche Stellung
der Bourgeoisie hat sich dementsprechend gehoben.
Das sicherste Kennzeichen industrieller Blüte,
der Schwindel, hat sich in reichem Maße eingestellt
und Grafen und Herzöge an seinen Triumphwagen gekettet.
Deutsches Kapital baut jetzt russische und rumänische
Eisenbahnen - möge ihm die Erde leicht sein! -,
statt dass noch vor fünfzehn Jahren deutsche Bahnen
bei englischen Unternehmern betteln gingen.
Wie ist es da möglich, dass die Bourgeoisie sich nicht
auch politisch die Herrschaft erobert hat, dass sie
sich so feig gegen die Regierung benimmt?
Die deutsche Bourgeoisie hat das Unglück,
dass sie nach beliebter deutscher Manier zu spät kommt.
Ihre Blütezeit fällt in eine Periode, wo die Bourgeoisie
der andern westeuropäischen Länder politisch
schon im Niedergang begriffen ist. In England
hat die Bourgeoisie ihren eigentlichen Repräsentanten,
Bright, nicht anders in die Regierung bringen können
als durch eine Ausdehnung des Stimmrechts,
die in ihren Folgen der ganzen Bourgeoisherrschaft
ein Ende machen muss. In Frankreich, wo die Bourgeoisie
als solche, als Gesamtklasse, nur zwei Jahre,
1849 und 1850, unter der Republik geherrscht hat,
konnte sie ihre soziale Existenz nur fristen,
indem sie ihre politische Herrschaft an Louis
Bonaparte und die Armee abtrat. Und bei der so
unendlich gesteigerten Wechselwirkung
der drei fortgeschrittensten europäischen Länder
ist es heutzutage nicht mehr möglich, dass
in Deutschland die Bourgeoisie sich die politische
Herrschaft gemütlich einrichtet, wenn diese
sich in England und Frankreich überlebt hat.
Es ist eine Eigentümlichkeit gerade der Bourgeoisie
gegenüber allen früheren herrschenden Klassen:
in ihrer Entwicklung gibt es einen Wendepunkt,
von dem an jede weitere Steigerung ihrer Machtmittel,
vorab also ihrer Kapitalien, nur dazu beiträgt,
sie zur politischen Herrschaft mehr und mehr
unfähig zu machen. Hinter den großen Bourgeois
stehen die Prolelarier. In demselben Maß,
wie die Bourgeoisie ihre Industrie, ihren Handel
und ihre Verkehrsmittel entwickelt, in demselben Maß
erzeugt sie Proletariat. Und an einem gewissen Punkt -
der nicht überall gleichzeitig oder auf gleicher
Entwicklungsstufe einzutreten braucht - beginnt sie
zu merken, dass dieser ihr proletarischer Doppelgänger
ihr über den Kopf wächst. Von dem Augenblick an
verliert sie die Kraft zur ausschließlichen politischen
Herrschaft; sie sieht sich um nach Bundesgenossen,
mit denen sie, je nach Umständen, ihre Herrschaft
teilt oder denen sie sie ganz abtritt. In Deutschland
ist dieser Wendepunkt für die Bourgeoisie
bereits 1848 eingetreten. Und zwar erschrak
die deutsche Bourgeoisie damals nicht so sehr
vor dem deutschen wie vor dem französischen
Proletariat. Die Pariser Junischlacht 1848
zeigte ihr, was sie zu erwarten habe; das deutsche
Proletariat war gerade erregt genug, um ihr zu beweisen,
dass auch hier die Saat für dieselbe Ernte
schon im Boden stecke; und von dem Tage an
war der politischen Aktion der Bourgeoisie
die Spitze abgebrochen. Sie suchte Bundesgenossen,
sie verhandelte sich an sie um jeden Preis -
und sie ist auch heute noch keinen Schritt weiter.
Diese Bundesgenossen sind sämtlich reaktionärer Natur.
Da ist das Königtum mit seiner Armee und seiner Bürokratie,
da ist der große Feudaladel, da sind die kleinen Krautjunker,
da sind selbst die Pfaffen, die das Geld lieben.
Mit allen diesen hat die Bourgeoisie paktiert
und vereinbart, nur um ihre liebe Haut zu wahren,
bis ihr endlich nichts mehr zu schachern blieb.
Und je mehr das Proletariat sich entwickelte,
je mehr es anfing sich als Klasse zu fühlen,
als Klasse zu handeln, desto kleinmütiger
wurden die Bourgeois. Als die wunderbar schlechte
Strategie der Preußen bei Sadowa über die,
wunderbarerweise noch schlechtere, der Österreicher siegte,
da war es schwer zu sagen, wer froher aufatmete -
der preußische Bourgeois, der bei Sadowa mit
geschlagen war, oder der österreichische.
Unsre großen Bürger handeln 1870 noch geradeso,
wie die Mittelbürger von 1525 gehandelt haben.
Was die Kleinbürger, Handwerksmeister und Krämer
betrifft, so werden sie sich immer gleich bleiben.
Sie hoffen in das Großbürgertum sich empor zu schwindeln,
sie fürchten ins Proletariat hinabgestoßen zu werden.
Zwischen Furcht und Hoffnung werden sie
während des Kampfes ihre werte Haut retten
und nach dem Kampf sich dem Sieger anschließen.
Das ist ihre Natur. Mit dem Aufschwung der Industrie
seit 1848 hat Schritt gehalten die soziale
und politische Aktion des Proletariats,
die Rolle, die die deutschen Arbeiter heute
in ihren Gewerkvereinen, Genossenschaften,
politischen Vereinen und Versammlungen,
bei den Wahlen und im Reichstag spielen, beweist allein,
welche Umwälzung Deutschland in den letzten
zwanzig Jahren unvermerkt erlitten hat. Es gereicht
den deutschen Arbeitern zur höchsten Ehre,
dass sie allein es durchgesetzt haben, Arbeiter
und Vertreter der Arbeiter ins Parlament zu schicken,
während weder Franzosen noch Engländer
dies bis jetzt fertigbrachten. Aber auch das Proletariat
ist der Parallele mit 1525 noch nicht entwachsen.
Die ausschließlich und lebenslänglich auf den Arbeitslohn
angewiesene Klasse bildet noch immer bei weitem nicht
die Mehrzahl des deutschen Volkes. Sie ist also auch
auf Bundesgenossen angewiesen. Und diese können
nur gesucht werden unter den Kleinbürgern,
unter dem Lumpenproletariat der Städte,
unter den kleinen Bauern und den Knechten.
Von den Kleinbürgern haben wir schon gesprochen.
Sie sind höchst unzuverlässig, ausgenommen,
wenn man gesiegt hat, dann ist ihr Geschrei
in den Bierkneipen unermesslich. Trotzdem gibt es
unter ihnen sehr gute Elemente, die sich den Arbeitern
von selbst anschließen. Das Lumpenproletariat,
dieser Abhub der verkommenen Subjekte aller Klassen,
der sein Hauptquartier in den großen Städten aufschlägt,
ist von allen möglichen Bundesgenossen der schlimmste.
Dies Gesindel ist absolut käuflich und zudringlich.
Wenn die französischen Arbeiter bei jeder Revolution
an die Häuser schrieben: Mort aux voleurs!
Tod den Dieben! und auch manche erschossen,
so geschah das nicht aus Begeisterung für das Eigentum,
sondern in der richtigen Erkenntnis, dass man vor allem
sich diese Bande vom Hals halten müsse.
Jeder Arbeiterführer, der diese Lumpen als Garde
verwendet oder sich auf sie stützt, beweist sich schon
dadurch als Verräter an der Bewegung.
Die kleinen Bauern - denn die größeren
gehören zur Bourgeoisie - sind verschiedener Art.
Entweder sind sie Feudalbauern und haben
dem gnädigen Herrn noch Frondienste zu leisten.
Nachdem die Bourgeoisie versäumt hat,
was ihre Schuldigkeit war, diese Leute
von der Fronknechtschaft zu erlösen, wird es
nicht schwer sein, sie zu überzeugen,
dass sie nur noch von der Arbeiterklasse
Erlösung zu erwarten haben. Oder sie sind Pächter.
In diesem Fall existiert meist dasselbe Verhältnis
wie in Irland. Die Pacht ist so hoch getrieben,
dass der Bauer mit seiner Familie bei Mittelernten
nur eben knapp leben kann, bei schlechten Ernten
fast verhungert, die Pacht nicht zahlen kann
und dadurch ganz von der Gnade des Grundbesitzers
abhängig wird. Für solche Leute tut die Bourgeoisie
nur dann etwas, wenn sie dazu gezwungen wird.
Von wem sollen sie Heil erwarten, als von den Arbeitern?
Bleiben die Bauern, welche ihren eigenen kleinen
Grundbesitz bewirtschaften. Diese sind meistens
so mit Hypotheken belastet, dass sie vom Wucherer
ebenso abhängen wie die Pächter vom Grundherrn.
Auch ihnen bleibt nur ein knapper und noch dazu
wegen der guten und schlechten Jahre
äußerst unsicherer Arbeitslohn. Sie können
am allerwenigsten von der Bourgeoisie etwas erwarten,
denn sie werden ja grade von den Bourgeois,
den wuchernden Kapitalisten ausgesogen.
Aber sie hängen meist sehr an ihrem Eigentum,
obwohl es in Wirklichkeit nicht ihnen gehört,
sondern dem Wucherer. Dennoch wird ihnen
beizubringen sein, dass sie nur dann vom Wucherer
befreit werden können, wenn eine vom Volk
abhängige Regierung die sämtlichen Hypothekenschulden
in eine Schuld an den Staat verwandelt und dadurch
den Zinsfuß erniedrigt. Und dies kann nur
die Arbeiterklasse durchsetzen. Überall, wo mittlerer
und großer Grundbesitz herrscht, machen
die Ackerbautaglöhner die zahlreichste Klasse
auf dem Lande aus. Dies ist in ganz Nord- und Ostdeutschland
der Fall, und hier finden die Industriearbeiter
der Städte ihre zahlreichsten und natürlichsten
Bundesgenossen. Wie der Kapitalist
dem industriellen Arbeiter, so steht der Grundbesitzer
oder Großpächter dem Ackerbautaglöhner gegenüber.
Dieselben Maßregeln, die dem einen helfen,
müssen auch dem andern helfen. Die industriellen Arbeiter
können sich nur befreien, wenn sie das Kapital
der Bourgeois, die Rohprodukte, Maschinen und Werkzeuge
und Lebensmittel, welche zur Produktion erforderlich sind,
in das Eigentum der Gesellschaft, in ihr eigenes,
von ihnen gemeinsam benutztes verwandeln.
Ebenso können die Landarbeiter nur aus ihrem
scheußlichen Elend erlöst werden, wenn vor allem
ihr Hauptarbeitsgegenstand, das Land selbst,
dem Privatbesitz der großen Bauern
und noch größeren Feudalherren entzogen
und in gesellschaftliches Eigentum verwandelt
und von Genossenschaften von Landarbeitern
für ihre gemeinsame Rechnung bebaut wird.
Und hier kommen wir auf den berühmten Beschluss
des Basler internationalen Arbeiterkongresses:
dass die Gesellschaft das Interesse habe,
das Grundeigentum in gemeinsames, nationales
Eigentum zu verwandeln. Dieser Beschluss
ist gefasst worden hauptsächlich für die Länder,
wo großes Grundeigentum und, damit zusammenhängend,
Bewirtschaftung großer Güter besteht
und auf diesen großen Gütern ein Herr
und viele Tagelöhner. Dieser Zustand ist aber
im großen und ganzen in Deutschland noch immer
vorherrschend, und daher war der Beschluss,
nächst England, gerade für Deutschland höchst zeitgemäß.
Das Ackerbauproletariat, die Landtagelöhner -
das ist die Klasse, aus der sich die Armeen der Fürsten
der großen Masse nach rekrutieren; das ist die Klasse,
die jetzt die große Menge der Feudalherren und Junker
kraft des allgemeinen Stimmrechts ins Parlament schickt;
das ist aber auch die Klasse, die den industriellen Arbeitern
der Städte am nächsten steht, die mit ihnen dieselben
Lebensbedingungen teilt, die sogar noch tiefer
im Elend steckt als sie. Diese Klasse, die ohnmächtig ist,
weil sie zersplittert und zerstreut ist, deren verborgene
Macht Regierung und Adel so gut kennen,
dass sie absichtlich die Schulen verkommen lassen,
damit sie nur ja unwissend bleibe, diese Klasse
lebendig zu machen und in die Bewegung hineinzuziehen,
das ist die nächste, dringendste Aufgabe
der deutschen Arbeiterbewegung. Von dem Tage an,
wo die Masse der Landtagelöhner ihre eigenen
Interessen verstehen gelernt hat, von dem Tage an
ist eine reaktionäre, feudale, bürokratische
oder bürgerliche Regierung in Deutschland unmöglich.
Und damit wünschen wir den revolutionären Bauern,
Arbeitern, Handwerkern und Kleinbürgern
Den politischen Sieg im heutigen Kampf!
ERSTER GESANG
Gehen wir zunächst kurz zurück auf die Verhältnisse
Deutschlands zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
Die deutsche Industrie hatte im vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung genommen.
An die Stelle der feudalen, ländlichen Lokalindustrie
war der zünftige Gewerbebetrieb der Städte getreten,
der für weitere Kreise und selbst für entlegenere Märkte
produzierte. Die Weberei von groben Wolltüchern
und Leinwand war jetzt ein stehender, weitverbreiteter
Industriezweig; selbst feinere Woll- und Leinengewebe
sowie Seidenstoffe wurden schon in Augsburg verfertigt.
Neben der Weberei hatte sich besonders jene
an die Kunst streifende Industrie gehoben, die
in dem geistlichen und weltlichen Luxus
des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand:
die der Gold- und Silberarbeiter, der Bildhauer
und Bildschnitzer, Kupferstecher und Holzschneider,
Waffenschmiede, Medaillierer, Drechsler.
Eine Reihe von mehr oder minder bedeutenden Erfindungen,
deren historische Glanzpunkte die des Schießpulvers
und der Buchdruckerei bildeten, hatte zur Hebung
der Gewerbe wesentlich beigetragen. Der Handel
ging mit der Industrie gleichen Schritt. Die Hanse
hatte durch ihr hundertjähriges Seemonopol
die Erhebung von ganz Norddeutschland
aus der mittelalterlichen Barbarei sichergestellt;
und wenn sie auch schon seit Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts der Konkurrenz der Engländer
und Holländer rasch zu erliegen anfing, so ging doch
trotz Vasco da Gamas Entdeckungen
der große Handelsweg von Indien nach dem Norden
immer noch durch Deutschland, war Augsburg
noch immer der große Stapelplatz für italienische
Seidenzeuge, indische Gewürze und alle Produkte
der Levante. Die oberdeutschen Städte, namentlich
Augsburg und Nürnberg, waren die Mittelpunkte
eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums und Luxus.
Die Gewinnung der Rohprodukte hatte sich ebenfalls
bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute
waren im fünfzehnten Jahrhundert die geschicktesten der Welt,
und auch den Ackerbau hatte das Aufblühen der Städte
aus der ersten mittelalterlichen Rohheit herausgerissen.
Nicht nur waren ausgedehnte Strecken urbar
gemacht worden, man baute auch Färbekräuter
und andere eingeführte Pflanzen, deren sorgfältige
Kultur auf den Ackerbau im allgemeinen günstig einwirkte.
Der Aufschwung der nationalen Produktion Deutschlands
hatte indes noch immer nicht Schritt gehalten
mit dem Aufschwung anderer Länder. Der Ackerbau
stand weit hinter dem englischen und niederländischen,
die Industrie hinter der italienischen, flämischen
und englischen zurück, und im Seehandel fingen
die Engländer und besonders die Holländer schon an,
die Deutschen aus dem Felde zu schlagen.
Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn gesät.
Die Zivilisation in Deutschland existierte nur sporadisch,
um einzelne Zentren der Industrie und des Handels gruppiert;
die Interessen dieser einzelnen Zentren selbst
gingen weit auseinander, hatten kaum hie und da
einen Berührungspunkt. Der Süden hatte ganz andere
Handelsverbindungen und Absatzmärkte als der Norden;
der Osten und der Westen standen fast außer allem Verkehr.
Keine einzige Stadt kam in den Fall, der industrielle
und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes
zu werden, wie London dies für England schon war.
Der ganze innere Verkehr beschränkte sich fast ausschließlich
auf die Küsten- und Flussschifffahrt und auf die paar
großen Handelsstraßen, von Augsburg und Nürnberg
über Köln nach den Niederlanden und über Erfurt
nach dem Norden. Weiter ab von den Flüssen
und Handelsstraßen lag eine Anzahl kleinerer Städte,
die, vom großen Verkehr ausgeschlossen, ungestört
in den Lebensbedingungen des späteren Mittelalters
fort vegetierten, wenig auswärtige Waren brauchten,
wenig Ausfuhrprodukte lieferten. Von der Landbevölkerung
kam nur der Adel in Berührung mit ausgedehnteren Kreisen
und neuen Bedürfnissen; die Masse der Bauern
kam nie über die nächsten Lokalbeziehungen
und den damit verbundenen lokalen Horizont hinaus.
Während in England und Frankreich das Emporkommen
des Handels und der Industrie die Verkettung
der Interessen über das ganze Land und damit
die politische Zentralisation zur Folge hatte,
brachte Deutschland es nur zur Gruppierung der Interessen
nach Provinzen, um bloß lokale Zentren,
und damit zur politischen Zersplitterung;
einer Zersplitterung, die bald darauf
durch den Ausschluss Deutschlands vom Welthandel
sich erst recht festsetzte. In demselben Maß,
wie das rein feudale Reich zerfiel, löste sich
der Reichsverband überhaupt auf, verwandelten sich
die großen Reichslehenträger in unabhängige Fürsten,
schlossen einerseits die Reichsstädte, andererseits
die Reichsritter Bündnisse, bald gegeneinander,
bald gegen die Fürsten oder den Kaiser.
Die Reichsgewalt, selbst an ihrer Stellung irre geworden,
schwankte unsicher zwischen den verschiedenen
Elementen, die das Reich ausmachten, und verlor
dabei immer mehr an Autorität; ihr Versuch,
in der Art Ludwigs XI. zu zentralisieren,
kam trotz aller Intrigen und Gewalttätigkeiten
nicht über die Zusammenhaltung der österreichischen
Erblande hinaus. Wer in dieser Verwirrung,
in diesen zahllosen sich durchkreuzenden Konflikten
schließlich gewann und gewinnen musste,
das waren die Vertreter der Zentralisation
innerhalb der Zersplitterung, der lokalen
und provinziellen Zentralisation, die Fürsten,
neben denen der Kaiser selbst immer mehr
ein Fürst wie die andern Fürsten wurde.
Unter diesen Verhältnissen hatte sich die Stellung
der aus dem Mittelalter überlieferten Klassen
wesentlich verändert, und neue Klassen hatten sich
neben den alten gebildet. Aus dem hohen Adel
waren die Fürsten hervorgegangen. Sie waren
schon fast ganz unabhängig vom Kaiser
und im Besitz der meisten Hoheitsrechte.
Sie machten Krieg und Frieden auf eigne Faust,
hielten stehende Heere, riefen Landtage zusammen
und schrieben Steuern aus. Einen großen Teil
des niederen Adels und der Städte hatten sie bereits
unter ihre Herrschaft gebracht; sie wandten
fortwährend jedes Mittel an, um die noch übrigen
reichsunmittelbaren Städte und Barone
ihrem Gebiet einzuverleiben. Diesen gegenüber
zentralisierten sie, wie sie gegenüber der Reichsgewalt
dezentralisierend auftraten. Nach innen war
ihre Regierung schon sehr willkürlich. Sie riefen
die Stände meist nur zusammen, wenn sie sich
nicht anders helfen konnten. Sie schrieben Steuern aus
und nahmen Geld auf, wenn es ihnen gut dünkte;
das Steuerbewilligungsrecht der Stände
wurde selten anerkannt und kam noch seltener zur Ausübung.
Und selbst dann hatte der Fürst gewöhnlich
die Majorität durch die beiden steuerfreien
und am Genuss der Steuern teilnehmenden Stände,
die Ritterschaft und die Prälaten. Das Geldbedürfnis
der Fürsten wuchs mit dem Luxus und der Ausdehnung
der Hofhaltung, mit den stehenden Heeren,
mit den wachsenden Kosten der Regierung.
Die Steuern wurden immer drückender. Die Städte
waren meist dagegen geschützt durch ihre Privilegien;
die ganze Wucht der Steuerlast fiel auf die Bauern,
sowohl auf die Dominialbauern der Fürsten selbst
wie auch auf die Leibeigenen, Hörigen und Zinsbauern
der lehnspflichtigen Ritter. Wo die direkte Besteuerung
nicht ausreichte, trat die indirekte ein; die raffiniertesten
Manöver der Finanzkunst wurden angewandt,
um den löchrigen Fiskus zu füllen. Wenn alles nicht half,
wenn nichts mehr zu versetzen war und keine
freie Reichsstadt mehr Kredit geben wollte,
so schritt man zu Münzoperationen der schmutzigsten Art,
schlug schlechtes Geld, machte hohe oder niedrige
Zwangskurse, je nachdem es dem Fiskus konvenierte.
Der Handel mit städtischen und sonstigen Privilegien,
die man nachher gewaltsam wieder zurücknahm,
um sie abermals für teures Geld zu verkaufen,
die Ausbeutung jedes Oppositionsversuchs
zu Brandschatzungen und Plünderungen aller Art
waren ebenfalls einträgliche und alltägliche Geldquellen
für die Fürsten jener Zeit. Auch die Justiz
war ein stehender und nicht unbedeutender
Handelsartikel für die Fürsten. Kurz,
die damaligen Untertanen, die außerdem
noch der Privathabgier der fürstlichen Vögte
und Amtleute zu genügen hatten, bekamen
alle Segnungen des väterlichen Regierungssystems
im vollsten Maße zu kosten. Aus der feudalen
Hierarchie des Mittelalters war der mittlere Adel
fast ganz verschwunden; er hatte sich entweder
zur Unabhängigkeit kleiner Fürsten emporgeschwungen
oder war in die Reihen des niederen Adels herabgesunken.
Der niedere Adel, die Ritterschaft, ging
ihrem Verfall rasch entgegen. Ein großer Teil
war schon gänzlich verarmt und lebte bloß
von Fürstendienst in militärischen oder bürgerlichen Ämtern;
ein anderer stand in der Lehnspflicht und unter der Herrschaft
der Fürsten; der kleinere war reichsunmittelbar.
Die Entwicklung des Kriegswesens, die steigende
Bedeutung der Infanterie, die Ausbildung
der Feuerwaffe beseitigte die Wichtigkeit
ihrer militärischen Leistungen als schwere Kavallerie
und vernichtete zugleich die Unbesiegbarkeit
ihrer Burgen. Gerade wie die Nürnberger Handwerker
wurden die Ritter durch den Fortschritt der Industrie
überflüssig gemacht. Das Geldbedürfnis der Ritterschaft
trug zu ihrem Ruin bedeutend bei. Der Luxus
auf den Schlössern, der Wetteifer in der Pracht
bei den Turnieren und Festen, der Preis der Waffen
und Pferde stieg mit den Fortschritten
der gesellschaftlichen Entwicklung der Zivilisation,
während die Einkommensquellen der Ritter
und Barone wenig oder gar nicht zunahmen.
Fehden mit obligater Plünderung und Brandschatzung,
Wegelagerern und ähnliche noble Beschäftigungen
wurden mit der Zeit zu gefährlich. Die Abgaben
und Leistungen der herrschaftlichen Untertanen
brachten kaum mehr ein als früher. Um ihre
zunehmenden Bedürfnisse zu decken, mussten
die gnädigen Herren zu denselben Mitteln
ihre Zuflucht nehmen wie die Fürsten.
Die Bauernschinderei durch den Adel wurde
mit jedem Jahre weiter ausgebildet.
Die Leibeigenen wurden bis auf den letzten Blutstropfen
ausgesogen, die Hörigen mit neuen Abgaben
und Leistungen unter allerlei Vorwänden
und Namen belegt. Die Fronden, Zinsen, Gülten,
Laudemien, Sterbefallabgaben, Schutzgelder
wurden allen alten Verträgen zum Trotz willkürlich erhöht.
Die Justiz wurde verweigert und verschachert,
und wo der Ritter dem Gelde des Bauern sonst
nicht beikommen konnte, warf er ihn ohne weiteres
in den Turm und zwang ihn, sich loszukaufen.
Mit den übrigen Ständen lebte der niedere Adel
ebenfalls auf keinem freundschaftlichen Fuß.
Der lehnspflichtige Adel suchte sich
reichsunmittelbar zu machen, der reichsunmittelbare
seine Unabhängigkeit zu wahren; daher
fortwährende Streitigkeiten mit den Fürsten.
Der Geistlichkeit, die dem Ritter in ihrer damaligen
aufgeblähten Gestalt als ein rein überflüssiger
Stand erschien, beneidete er ihre großen Güter,
ihre durch das Zölibat und die Kirchenverfassung
zusammengehaltenen Reichtümer. Mit den Städten
lag er sich fortwährend in den Haaren;
er war ihnen verschuldet, er nährte sich
von der Plünderung ihres Gebiets, von der Beraubung
ihrer Kaufleute, vom Lösegeld der ihnen
in den Fehden abgenommenen Gefangenen.
Und der Kampf der Ritterschaft gegen alle diese Stände
wurde um so heftiger, je mehr die Geldfrage
auch bei ihr eine Lebensfrage wurde.
Die Geistlichkeit, die Repräsentantin der Ideologie
des mittelalterlichen Feudalismus, fühlte
den Einfluß des geschichtlichen Umschwungs
nicht minder. Durch die Buchdruckerei
und die Bedürfnisse des ausgedehnteren Handels
war ihr das Monopol nicht nur des Lesens und Schreibens,
sondern der höheren Bildung genommen.
Die Teilung der Arbeit trat auch auf intellektuellem Gebiet ein.
Der neu aufkommende Stand der Juristen verdrängte sie
aus einer Reihe der einflussreichsten Ämter.
Auch sie fing an, zum großen Teil überflüssig zu werden,
und erkannte dies selbst an durch ihre stets wachsende
Faulheit und Unwissenheit. Aber je überflüssiger sie wurde,
desto zahlreicher wurde sie, dank ihren enormen
Reichtümern, die sie durch Anwendung aller
möglichen Mittel noch fortwährend vermehrte.
In der Geistlichkeit gab es zwei durchaus
verschiedene Klassen. Die geistliche Feudalhierarchie
bildete die aristokratische Klasse: die Bischöfe
und Erzbischöfe, die Äbte, Prioren und sonstigen Prälaten.
Diese hohen Würdenträger der Kirche waren entweder
selbst Reichsfürsten, oder sie beherrschten
als Feudalherren, unter der Oberhoheit andrer Fürsten,
große Strecken Landes mit zahlreichen Leibeigenen
und Hörigen. Sie exploitierten ihre Untergebenen
nicht nur ebenso rücksichtslos wie der Adel
und die Fürsten, sie gingen noch viel schamloser zu Werke.
Neben der brutalen Gewalt wurden alle Schikanen
der Religion, neben den Schrecken der Folter
alle Schrecken des Bannfluchs und der verweigerten
Absolution, alle Intrigen des Beichtstuhl
in Bewegung gesetzt, um den Untertanen
den letzten Pfennig zu entreißen oder das Erbteil
der Kirche zu mehren. Urkundenfälschung
war bei diesen würdigen Männern ein gewöhnliches
und beliebtes Mittel der Prellerei. Aber obgleich sie
außer den gewöhnlichen Feudalleistungen und Zinsen
noch den Zehnten bezogen, reichten alle diese
Einkünfte noch nicht aus. Die Fabrikation
wundertätiger Heiligenbilder und Reliquien,
die Organisation seligmachender Betstationen,
der Ablaßschacher wurden zu Hülfe genommen,
dem Volk vermehrte Abgaben zu entreißen,
und lange Zeit mit bestem Erfolg. Diese Prälaten
und ihre zahllose, mit der Ausbreitung der politischen
und religiösen Hetzereien stets verstärkte
Gendarmerie von Mönchen waren es, auf die
der Pfaffenhass nicht nur des Volks, sondern
auch des Adels sich konzentrierte. Soweit sie
reichsunmittelbar waren, standen sie dem Fürsten im Wege.
Das flotte Wohlleben der beleibten Bischöfe und Äbte
und ihrer Mönchsarmee erregte den Neid des Adels
und empörte das Volk, das die Kosten davon tragen musste,
um so mehr, je schreiender es ihren Predigten
ins Gesicht schlug. Die plebejische Fraktion
der Geistlichkeit bestand aus den Predigern
auf dem Lande und in den Städten. Sie standen
außerhalb der feudalen Hierarchie der Kirche
und hatten keinen Anteil an ihren Reichtümern.
Ihre Arbeit war weniger kontrolliert und, so wichtig sie
der Kirche war, im Augenblick weit weniger
unentbehrlich als die Polizeidienste
der kasernierten Mönche. Sie wurden daher
weit schlechter bezahlt, und ihre Pfründen waren
meist sehr knapp. Bürgerlichen oder plebejischen
Ursprungs, standen sie der Lebenslage der Masse
nahe genug, um trotz ihres Pfaffentums
bürgerliche und plebejische Sympathien zu bewahren.
Die Beteiligung an den Bewegungen der Zeit,
bei den Mönchen nur Ausnahme, war bei ihnen Regel.
Sie lieferten die Theoretiker und Ideologen
der Bewegung, und viele von ihnen, Repräsentanten
der Plebejer und Bauern, starben dafür auf dem Schafott.
Der Volkshass gegen die Pfaffen wendet sich
auch nur in einzelnen Fällen gegen sie.
Wie über den Fürsten und dem Adel der Kaiser,
so stand über den hohen und niederen Pfaffen der Papst.
Wie dem Kaiser der "gemeine Pfennig", die Reichssteuern,
bezahlt wurden, so dem Papst die allgemeinen Kirchensteuern,
aus denen er den Luxus am römischen Hofe bestritt.
In keinem Lande wurden diese Kirchensteuern -
dank der Macht und Zahl der Pfaffen -
mit größerer Gewissenhaftigkeit und Strenge eingetrieben
als in Deutschland. So besonders die Annaten
bei Erledigung der Bistümer. Mit den steigenden
Bedürfnissen wurden dann neue Mittel zur Beschaffung
des Geldes erfunden: Handel mit Reliquien,
Ablass- und Jubelgelder. Große Summen wanderten so
alljährlich aus Deutschland nach Rom,
und der hierdurch vermehrte Druck steigerte
nicht nur den Pfaffenhass, er erregte auch
das Nationalgefühl, besonders des Adels,
des damals nationalbewusstesten Standes.
Aus den ursprünglichen Pfahlbürgern
der mittelalterlichen Städte hatten sich
mit dem Aufblühen des Handels und der Gewerbe
drei scharf gesonderte Fraktionen entwickelt.
An der Spitze der städtischen Gesellschaft standen
die patrizischen Geschlechter, die sogenannte "Ehrbarkeit".
Sie waren die reichsten Familien. Sie allein saßen
im Rat und in allen städtischen Ämtern. Sie verwalteten
daher nicht bloß die Einkünfte der Stadt, sie verzehrten
sie auch. Stark durch ihren Reichtum,
durch ihre althergebrachte, von Kaiser und Reich
anerkannte aristokratische Stellung, exploitierten sie
sowohl die Stadtgemeinde wie die der Stadt
untertänigen Bauern auf jede Weise. Sie trieben Wucher
in Korn und Geld, oktroyierten sich Monopole aller Art,
entzogen der Gemeinde nacheinander alle Anrechte
auf Mitbenutzung der städtischen Wälder und Wiesen
und benutzten diese direkt zu ihrem eigenen Privatvorteil,
legten willkürlich Weg-, Brücken- und Torzölle
und andere Lasten auf und trieben Handel
mit Zunftprivilegien, Meisterschafts- und Bürgerrechten
und mit der Justiz. Mit den Bauern
gingen sie nicht schonender um als der Adel oder die Pfaffen;
im Gegenteil, die städtischen Vögte und Amtleute
auf den Dörfern, lauter Patrizier, brachten
zu der aristokratischen Härte und Habgier
noch eine gewisse bürokratische Genauigkeit
in der Eintreibung mit. Die so zusammengebrachten
städtischen Einkünfte wurden mit der höchsten
Willkür verwaltet; die Verrechnung in den städtischen
Büchern, eine reine Förmlichkeit, war möglichst
nachlässig und verworren; Unterschleife
und Kassendefekte waren an der Tagesordnung.
Wie leicht es damals einer von allen Seiten
mit Privilegien umgebenen, wenig zahlreichen
und durch Verwandtschaft und Interesse
eng zusammengehaltenen Kaste war,
sich aus den städtischen Einkünften enorm zu bereichern,
begreift man, wenn man an die zahlreichen Unterschleife
und Schwindeleien denkt, die das Jahr 1848
in so vielen städtischen Verwaltungen
an den Tag gebracht hat. Die Patrizier hatten
Sorge getragen, die Rechte der Stadtgemeinde
besonders in Finanzsachen überall einschlafen zu lassen.
Erst später, als die Prellereien dieser Herren zu arg wurden,
setzten sich die Gemeinden wieder in Bewegung,
um wenigstens die Kontrolle über die städtische Verwaltung
an sich zu bringen. Sie erlangten in den meisten Städten
ihre Rechte wirklich wieder. Aber bei den ewigen
Streitigkeiten der Zünfte unter sich, bei der Zähigkeit
der Patrizier und dem Schutz, den sie beim Reich
und den Regierungen der ihnen verbündeten Städte
fanden, stellten die patrizischen Ratsherren
sehr bald ihre alte Alleinherrschaft faktisch wieder her,
sei es durch List, sei es durch Gewalt. Im Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts befand sich die Gemeinde
in allen Städten wieder in der Opposition.
Die städtische Opposition gegen das Patriziat
teilte sich in zwei Fraktionen, die im Bauernkrieg
sehr bestimmt hervortreten. Die bürgerliche Opposition,
die Vorgängerin unsrer heutigen Liberalen, umfasste
die reicheren und mittleren Bürger sowie
einen nach den Lokalumständen größeren oder geringeren Teil
der Kleinbürger. Ihre Forderungen hielten sich rein
auf verfassungsmäßigem Boden. Sie verlangten
die Kontrolle über die städtische Verwaltung
und einen Anteil an der gesetzgebenden Gewalt,
sei es durch die Gemeindeversammlung selbst
oder durch eine Gemeindevertretung; ferner
Beschränkung des patrizischen Nepotismus
und der Oligarchie einiger weniger Familien,
die selbst innerhalb des Patriziats immer offener hervortrat.
Höchstens verlangten sie außerdem noch
die Besetzung einiger Ratsstellen durch Bürger
aus ihrer eignen Mitte. Diese Partei, der sich hier und da
die unzufriedene und heruntergekommene Fraktion
des Patriziats anschloss, hatte in allen
ordentlichen Gemeindeversammlungen und auf den Zünften
die große Majorität. Die Anhänger des Rats
und die radikalere Opposition zusammen waren
unter den wirklichen Bürgern bei weitem die Minderzahl.
Wir werden sehen, wie während der Bewegung
des sechzehnten Jahrhunderts diese gemäßigte,
gesetzliche, wohlhabende und intelligente Opposition
genau dieselbe Rolle spielt, und genau
mit demselben Erfolg, wie ihre Erbin,
die konstitutionelle Partei, 1848 und 1849.
Im übrigen eiferte die bürgerliche Opposition
noch sehr ernstlich wider die Pfaffen, deren faules
Wohlleben und lockere Sitten ihr großes Ärgernis gaben.
Sie verlangte Maßregeln gegen den skandalösen
Lebenswandel dieser würdigen Männer. Sie forderte,
dass die eigene Gerichtsbarkeit und die Steuerfreiheit
der Pfaffen abgeschafft und die Zahl der Mönche
überhaupt beschränkt werde. Die plebejische Opposition
bestand aus den heruntergekommenen Bürgern
und der Masse der städtischen Bewohner,
die vom Bürgerrechte ausgeschlossen war:
den Handwerksgesellen, den Tagelöhnern
und den zahlreichen Anfängen des Lumpenproletariats,
die sich selbst auf den untergeordneten Stufen
der städtischen Entwicklung vorfinden. Das Lumpenproletariat
ist überhaupt eine Erscheinung, die, mehr oder weniger
ausgebildet, in fast allen bisherigen Gesellschaftsphasen
vorkommt. Die Menge von Leuten ohne bestimmten
Erwerbszweig oder festen Wohnsitz wurde gerade damals
sehr vermehrt durch das Zerfallen des Feudalismus
in einer Gesellschaft, in der noch jeder Erwerbszweig,
jede Lebenssphäre hinter einer Unzahl
von Privilegien verschanzt war. In allen entwickelten
Ländern war die Zahl der Vagabunden
nie so groß gewesen wie in der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts. Ein Teil dieser Landstreicher
trat in Kriegszeiten in die Armeen, ein anderer
bettelte sich durchs Land, der dritte endlich
suchte in den Städten durch Tagelöhnerarbeit
und was sonst gerade nicht zünftig war,
seine notdürftige Existenz. Alle drei spielen eine Rolle
im Bauernkrieg: der erste in den Fürstenarmeen,
denen die Bauern erlagen, der zweite
in den Bauernverschwörungen und Bauernhaufen,
wo sein demoralisierender Einfluss jeden Augenblick
hervortritt, der dritte in den Kämpfen
der städtischen Parteien. Es ist übrigens nicht zu vergessen,
dass ein großer Teil dieser Klasse, namentlich
der in den Städten lebende, damals noch
einen bedeutenden Kern gesunder Bauernnatur besaß
und noch lange nicht die Käuflichkeit und Verkommenheit
des heutigen zivilisierten Lumpenproletariats
entwickelt hatte. Man sieht, die plebejische Opposition
der damaligen Städte bestand aus sehr gemischten Elementen.
Sie vereinigte die verkommenen Bestandteile
der alten feudalen und zünftigen Gesellschaft
mit dem noch unentwickelten, kaum emportauchenden
proletarischen Element der aufkeimenden,
modernen bürgerlichen Gesellschaft. Verarmte Zunftbürger,
die noch durch das Privileg mit der bestehenden
bürgerlichen Ordnung zusammenhingen,
auf der einen Seite; verstoßene Bauern
und abgedankte Dienstleute, die noch nicht
zu Proletariern werden konnten, auf der andern.
Zwischen beiden die Gesellen, momentan
außerhalb der offiziellen Gesellschaft stehend
und sich in ihrer Lebenslage dem Proletariat
so sehr nähernd, wie dies bei der damaligen Industrie
und unter dem Zunftprivileg möglich; aber,
zu gleicher Zeit, fast lauter zukünftige bürgerliche Meister,
kraft eben dieses Zunftprivilegs. Die Parteistellung
dieses Gemisches von Elementen war daher
notwendig höchst unsicher und je nach der Lokalität
verschieden. Vor dem Bauernkriege tritt
die plebejische Opposition in den politischen Kämpfen
nicht als Partei, sie tritt nur als turbulenter,
plünderungssüchtiger, mit einigen Fässern Wein
käuflicher Schwanz der bürgerlichen Opposition auf.
Erst die Aufstände der Bauern machen sie zur Partei,
und auch da ist sie fast überall in ihren Forderungen
und ihrem Auftreten abhängig von den Bauern -
ein merkwürdiger Beweis, wie sehr damals
die Stadt noch abhängig vom Lande war. Soweit sie
selbständig auftritt, verlangt sie die Herstellung
der städtischen Gewerksmonopole auf dem Lande,
will sie die städtischen Einkünfte nicht
durch Abschaffung der Feudallasten geschmälert wissen;
kurz, so weit ist sie reaktionär, ordnet sie sich
ihren eigenen kleinbürgerlichen Elementen unter
und liefert damit ein charakteristisches Vorspiel
zu der Tragikomödie, die die moderne Kleinbürgerschaft
seit einigen Jahren unter der Firma der Demokratie aufführt.
Nur in Thüringen unter dem direkten Einfluss Müntzers
und an einzelnen andern Orten unter dem seiner Schüler
wurde die plebejische Fraktion der Städte
von dem allgemeinen Sturm so weit fortgerissen,
dass das embryonale proletarische Element
in ihr momentan die Oberhand über alle andern
Fraktionen der Bewegung bekam. Diese Episode,
die den Kulminationspunkt des ganzen Bauernkriegs
bildet und sich um seine großartigste Gestalt,
um Thomas Müntzer, gruppiert, ist zugleich die kürzeste.
Es versteht sich, dass sie am schnellsten zusammenbrechen
und dass sie zu gleicher Zeit ein vorzugsweise
phantastisches Gepräge tragen, dass der Ausdruck
ihrer Forderungen höchst unbestimmt bleiben muss;
gerade sie fand am wenigsten festen Boden
in den damaligen Verhältnissen. Unter allen diesen Klassen,
mit Ausnahme der letzten, stand die große exploitierte Masse
der Nation: die Bauern. Auf dem Bauer lastete
der ganze Schichtenbau der Gesellschaft:
Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger.
Ob er der Angehörige eines Fürsten, eines Reichsfreiherrn,
eines Bischofs, eines Klosters, einer Stadt war,
er wurde überall wie eine Sache, wie ein Lasttier
behandelt, und schlimmer. War er Leibeigener,
so war er seinem Herrn auf Gnade und Ungnade
zur Verfügung gestellt. War er Höriger, so waren
schon die gesetzlichen, vertragsmäßigen Leistungen
hinreichend, ihn zu erdrücken; aber diese Leistungen
wurden täglich vermehrt. Den größten Teil seiner Zeit
musste er auf den Gütern des Herrn arbeiten;
von dem, was er sich in den wenigen freien Stunden
erwarb, mussten Zehnten, Zins, Gült, Bede,
Reisegeld, Kriegssteuer, Landessteuer und Reichssteuer
gezahlt werden. Er konnte nicht heiraten und nicht sterben,
ohne dass dem Herrn gezahlt wurde. Er musste,
außer den regelmäßigen Frondiensten,
für den gnädigen Herrn Streu sammeln,
Erdbeeren sammeln, Heidelbeeren sammeln,
Schneckenhäuser sammeln, das Wild zur Jagd treiben,
Holz hacken. Fischerei und Jagd gehörten dem Herrn,
der Bauer musste ruhig zusehen, wenn das Wild
seine Ernte zerstörte. Die Gemeindeweiden
und Waldungen der Bauern waren fast überall
gewaltsam von den Herren weggenommen worden.
Und wie über das Eigentum, so schaltete der Herr
willkürlich über die Person des Bauern,
über die seiner Frau und seiner Töchter.
Er hatte das Recht der ersten Nacht.
Er warf ihn in den Turm, wenn es ihm beliebte,
wo ihn mit derselben Sicherheit, wie jetzt
der Untersuchungsrichter, damals die Folter erwartete.
Er schlug ihn tot oder ließ ihn köpfen, wenn es ihm beliebte.
Von jenen erbaulichen Kapiteln der Carolina,
die da von Ohrenabschneiden, von Nasenabschneiden,
von Augenausstechen, von Abhacken der Finger
und der Hände, vom Köpfen, vom Rädern,
vom Verbrennen, vom Zwicken mit glühenden Zangen,
vom Vierteilen handeln, ist kein einziges,
das der gnädige Leibherr nicht nach Belieben
gegen seine Bauern angewandt hätte. Wer sollte ihn schützen?
In den Gerichten saßen Barone, Pfaffen, Patrizier
oder Juristen, die wohl wussten, wofür sie bezahlt wurden.
Alle offiziellen Stände des Reichs lebten ja
von der Ausbeutung der Bauern. Die Bauern,
knirschend unter dem furchtbaren Druck,
waren dennoch schwer zum Aufstand zu bringen.
Ihre Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame
Übereinkunft im höchsten Grade. Die lange Gewohnheit
der von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten
Unterwerfung, die Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen
in vielen Gegenden, die je nach der Persönlichkeit
der Herren bald abnehmende, bald zunehmende
Härte der Ausbeutung trug dazu bei, die Bauern
ruhig zu erhalten. Wir finden daher im Mittelalter
Lokalinsurrektionen der Bauern in Menge,
aber - wenigstens in Deutschland - vor dem Bauernkrieg
keinen einzigen allgemeinen, nationalen Bauernaufstand.
Dazu waren die Bauern allein nicht imstande,
eine Revolution zu machen, solange ihnen
die organisierte Macht der Fürsten, des Adels
und der Städte verbündet und geschlossen
entgegenstand. Nur durch eine Allianz
mit andern Ständen konnten sie eine Chance
des Sieges bekommen; aber wie sollten sie sich
mit andern Ständen verbinden, da sie von allen
gleichmäßig ausgebeutet wurden? Wir sehen,
die verschiedenen Stände des Reichs: Fürsten, Adel,
Prälaten, Patrizier, Bürger, Plebejer und Bauern
bildeten im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
eine höchst verworrene Masse
mit den verschiedenartigsten, sich nach allen Richtungen
durchkreuzenden Bedürfnissen. Jeder Stand
war dem andern im Wege, lag mit allen andern
in einem fortgesetzten, bald offenen, bald versteckten Kampf.
Jene Spaltung der ganzen Nation in zwei große Lager,
wie sie beim Ausbruch der ersten Revolution
in Frankreich bestand, wie sie jetzt auf einer höheren
Entwicklungsstufe in den fortgeschrittensten Ländern besteht,
war unter diesen Umständen rein unmöglich;
sie konnte selbst annähernd nur dann zustande kommen,
wenn die unterste, von allen übrigen Ständen
exploitierte Schichte der Nation sich erhob: die Bauern
und die Plebejer. Man wird die Verwirrung
der Interessen, Ansichten und Bestrebungen
jener Zeit leicht begreifen, wenn man sich erinnert,
welche Konfusion in den letzten Jahren die jetzige,
weit weniger komplizierte Zusammensetzung
der deutschen Nation aus Feudaladel, Bourgeoisie,
Kleinbürgerschaft, Bauern und Proletariat
hervorgebracht hat. Und damit vorerst genug.
ZWEITER GESANG
Die Gruppierung der damals so mannigfaltigen Stände
zu größeren Ganzen wurde schon durch die Dezentralisation
und die lokale und provinzielle Selbständigkeit,
durch die industrielle und kommerzielle Entfremdung
der Provinzen voneinander, durch die schlechten
Kommunikationen fast unmöglich gemacht.
Diese Gruppierung bildet sich erst heraus
mit der allgemeinen Verbreitung revolutionärer
religiös-politischer Ideen in der Reformation.
Die verschiedenen Stände, die sich diesen Ideen
anschließen oder entgegenstellen, konzentrieren,
freilich nur sehr mühsam und annähernd, die Nation
in drei große Lager, in das katholische oder reaktionäre,
das lutherische bürgerlich-reformierende
und das revolutionäre. Wenn wir auch in dieser großen
Zerklüftung der Nation wenig Konsequenz entdecken,
wenn wir in den ersten beiden Lagern zum Teil
dieselben Elemente finden, so erklärt sich dies
aus dem Zustand der Auflösung, in dem sich die meisten,
aus dem Mittelalter überlieferten offiziellen Stände befanden,
und aus der Dezentralisation, die denselben Ständen
an verschiedenen Orten momentan entgegengesetzte
Richtungen anwies. Wir haben in den letzten Jahren
so häufig ganz ähnliche Fakten in Deutschland
zu sehen Gelegenheit gehabt, dass uns eine solche
scheinbare Durcheinanderwürfelung der Stände und Klassen
unter den viel verwickelteren Verhältnissen
des 16. Jahrhunderts nicht wundern kann.
Die deutsche Ideologie sieht, trotz der neuesten Erfahrungen,
in den Kämpfen, denen das Mittelalter erlag,
noch immer weiter nichts als heftige theologische
Zänkereien. Hätten die Leute jener Zeit sich nur
über die himmlischen Dinge verständigen können,
so wäre, nach der Ansicht unsrer vaterländischen
Geschichtskenner und Staatsweisen,
gar kein Grund vorhanden gewesen, über die Dinge
dieser Welt zu streiten. Diese Ideologen sind leichtgläubig
genug, alle Illusionen für bare Münze zu nehmen,
die sich eine Epoche über sich selbst macht
oder die die Ideologen einer Zeit sich
über diese Zeit machen. Dieselbe Klasse von Leuten
sieht in der Revolution von 1789 nur eine etwas hitzige
Debatte über die Vorzüge der konstitutionellen
vor der absoluten Monarchie, in der Julirevolution
eine praktische Kontroverse über die Unhaltbarkeit
des Rechts "von Gottes Gnaden", in der Februarrevolution
den Versuch zur Lösung der Frage "Republik
oder Monarchie?" Von den Klassenkämpfen,
die in diesen Erschütterungen ausgefochten werden
und deren bloßer Ausdruck die jedes Mal
auf die Fahne geschriebene politische Phrase ist,
von diesen Klassenkämpfen haben selbst heute noch
unsre Ideologen kaum eine Ahnung, obwohl die Kunde
davon vernehmlich genug nicht nur vorn Ausland herüber,
sondern auch aus dem Murren und Grollen vieler tausend
einheimischen Proletarier herauf erschallt.
Auch in den sogenannten Religionskriegen
des sechzehnten Jahrhunderts handelte es sich vor allem
um sehr positive materielle Klasseninteressen,
und diese Kriege waren Klassenkämpfe, ebenso gut
wie die späteren inneren Kollisionen in England
und Frankreich. Wenn diese Klassenkämpfe damals
religiöse Schibboleths trugen, wenn die Interessen,
Bedürfnisse und Forderungen der einzelnen Klassen
sich unter einer religiösen Decke verbargen,
so ändert dies nichts an der Sache und erklärt sich leicht
aus den Zeitverhältnissen. Das Mittelalter
hatte sich ganz aus dem Rohen entwickelt.
Über die alte Zivilisation, die alte Philosophie,
Politik und Jurisprudenz hatte es reinen Tisch gemacht,
um in allem wieder von vorn anzufangen.
Das einzige, das es aus der untergegangenen alten Welt
übernommen hatte, war das Christentum
und eine Anzahl halb zerstörter, ihrer ganzen Zivilisation
entkleideter Städte. Die Folge davon war, dass,
wie auf allen ursprünglichen Entwicklungsstufen,
die Pfaffen das Monopol der intellektuellen Bildung
erhielten und damit die Bildung selbst
einen wesentlich theologischen Charakter bekam.
Unter den Händen der Pfaffen blieben Politik
und Jurisprudenz, wie alle übrigen Wissenschaften,
bloße Zweige der Theologie und wurden
nach denselben Prinzipien behandelt, die in dieser
Geltung hatten. Die Dogmen der Kirche
waren zu gleicher Zeit politische Axiome,
und Bibelstellen hatten in jedem Gerichtshof
Gesetzeskraft. Selbst als ein eigener Juristenstand
sich bildete, blieb die Jurisprudenz noch lange
unter der Vormundschaft der Theologie.
Und diese Oberherrlichkeit der Theologie
auf dem ganzen Gebiet der intellektuellen Tätigkeit
war zugleich die notwendige Folge von der Stellung
der Kirche als der allgemeinsten Zusammenfassung
und Sanktion der bestehenden Feudalherrschaft.
Es ist klar, dass hiermit alle allgemein ausgesprochenen
Angriffe auf den Feudalismus, vor allem Angriffe
auf die Kirche, alle revolutionären, gesellschaftlichen
und politischen Doktrinen zugleich und vorwiegend
theologische Ketzereien sein mussten. Damit
die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse
angetastet werden konnten, musste ihnen
der Heiligenschein abgestreift werden.
Die revolutionäre Opposition gegen die Feudalität
geht durch das ganze Mittelalter. Sie tritt auf,
je nach den Zeitverhältnissen, als Mystik,
als offene Ketzerei, als bewaffneter Aufstand.
Was die Mystik angeht, so weiß man, wie abhängig
die Reformatoren des 16. Jahrhunderts von ihr waren;
auch Müntzer hat viel aus ihr genommen.
Die Ketzereien waren teils der Ausdruck
der Reaktion der patriarchalischen Alpenhirten
gegen die zu ihnen vordringende Feudalität
(die Waldenser; teils der Opposition der
dem Feudalismus entwachsenen Städte
gegen ihn, die Albigenser, Arnold von Brescia);
teils direkter Insurrektionen der Bauern
(John Ball, der Meister aus Ungarn, in der Pikardie).
Die patriarchalische Ketzerei der Waldenser
können wir hier, ganz wie die Insurrektion
der Schweizer, als einen nach Form und Inhalt
reaktionären Versuch der Absperrung
gegen die geschichtliche Bewegung,
und von nur lokaler Bedeutung, beiseite lassen.
In den beiden übrigen Formen der mittelalterlichen
Ketzerei finden wir schon im zwölften Jahrhundert
die Vorläufer des großen Gegensatzes
zwischen bürgerlicher und bäurisch-plebejischer Opposition,
an dem der Bauernkrieg zugrunde ging.
Dieser Gegensatz zieht sich durchs ganze spätere Mittelalter.
Die Ketzerei der Städte - und sie ist die eigentlich
offizielle Ketzerei des Mittelalters - wandte sich
hauptsächlich gegen die Pfaffen, deren Reichtümer
und politische Stellung sie angriff. Wie jetzt
die Bourgeoisie ein gouvernement à bon marché,
eine wohlfeile Regierung fordert, so verlangten
die mittelalterlichen Bürger zunächst eine
église à bon marché, eine wohlfeile Kirche.
Der Form nach reaktionär, wie jede Ketzerei,
die in der Fortentwicklung der Kirche und der Dogmen
nur eine Entartung sehen kann, forderte
die bürgerliche Ketzerei Herstellung der urchristlichen
einfachen Kirchenverfassung und Aufhebung
des exklusiven Priesterstandes. Diese wohlfeile
Einrichtung beseitigte die Mönche, die Prälaten,
den römischen Hof, kurz alles, was in der Kirche
kostspielig war. Die Städte, selbst Republiken,
wenn auch unter dem Schutz von Monarchen,
sprachen durch ihre Angriffe gegen das Papsttum
zum ersten Male in allgemeiner Form aus,
dass die normale Form der Herrschaft des Bürgertums
die Republik ist. Ihre Feindschaft gegen eine Reihe
von Dogmen und Kirchengesetzen erklärt sich
teils aus dem Gesagten, teils aus ihren sonstigen
Lebensverhältnissen. Warum sie so heftig
gegen das Zölibat auftraten, darüber gibt niemand
besser Aufschluss als Boccaccio.
Arnold von Brescia in Italien und Deutschland,
die Albigenser in Südfrankreich, John Wycliffe
in England, Hus und die Calixtiner in Böhmen
waren die Hauptrepräsentanten dieser Richtung.
dass die Opposition gegen den Feudalismus
hier nur als Opposition gegen die geistliche
Feudalität auftritt, erklärt sich sehr einfach daraus,
dass die Städte überall schon anerkannter Stand waren
und die weltliche Feudalität mit ihren Privilegien,
mit den Waffen oder in den ständischen
Versammlungen hinreichend bekämpfen konnten.
Auch hier sehen wir schon, sowohl in Südfrankreich
wie in England und Böhmen, dass der größte Teil
des niederen Adels sich den Städten im Kampf
gegen die Pfaffen und in der Ketzerei anschließt -
eine Erscheinung, die sich aus der Abhängigkeit
des niederen Adels von den Städten
und aus der Gemeinsamkeit der Interessen beider
gegenüber den Fürsten und Prälaten erklärt
und die wir im Bauernkrieg wiederfinden werden.
Einen ganz verschiedenen Charakter hatte die Ketzerei,
die der direkte Ausdruck der bäurischen
und plebejischen Bedürfnisse war und sich fast immer
an einen Aufstand anschloss. Sie teilte zwar
alle Forderungen der bürgerlichen Ketzerei
in Betreff der Pfaffen, des Papsttums
und der Herstellung der urchristlichen Kirchenverfassung,
aber sie ging zugleich unendlich weiter.
Sie verlangte die Herstellung des urchristlichen
Gleichheitsverhältnisses unter den Mitgliedern der Gemeinde
und seine Anerkennung als Norm auch für
die bürgerliche Welt. Sie zog von der
Gleichheit der Kinder Gottes den Schluss
auf die bürgerliche Gleichheit und selbst teilweise schon
auf die Gleichheit des Vermögens. Gleichstellung
des Adels mit den Bauern, der Patrizier
und bevorrechteten Bürger mit den Plebejern,
Abschaffung der Frondienste, Grundzinsen, Steuern,
Privilegien und wenigstens der schreienden
Vermögensunterschiede waren Forderungen,
die mit mehr oder weniger Bestimmtheit aufgestellt
und als notwendige Konsequenzen der urchristlichen
Doktrin behauptet wurden. Diese bäurisch-plebejische
Ketzerei, in der Blütezeit des Feudalismus,
bei den Albigensern, kaum noch zu trennen
von der bürgerlichen, entwickelt sich
zu einer scharf geschiedenen Parteiansicht
im 14. und 15. Jahrhundert, wo sie gewöhnlich
ganz selbständig neben der bürgerlichen Ketzerei auftritt.
So John Ball, der Prediger des Wat-Tylerschen Aufstandes
in England neben der Wycliffeschen Bewegung,
so die Taboriten neben Calixtinern in Böhmen.
Bei den Taboriten tritt sogar schon die republikanische
Tendenz unter theokratischer Verbrämung hervor,
die am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts
durch die Vertreter der Plebejer in Deutschland
weiter ausgebildet wurde. An diese Form der Ketzerei
schließt sich die Schwärmerei mystizisierender Sekten,
der Geißler, Lollards, die in Zeiten der Unterdrückung
die revolutionäre Tradition fortpflanzen.
Die Plebejer waren damals die einzige Klasse,
die ganz außerhalb der offiziell bestehenden
Gesellschaft stand. Sie befand sich außerhalb
des feudalen und außerhalb des bürgerlichen Verbandes.
Sie hatte weder Privilegien noch Eigentum;
sie hatte nicht einmal, wie die Bauern und Kleinbürger,
einen mit drückenden Lasten beschwerten Besitz.
Sie war in jeder Beziehung besitzlos und rechtlos;
ihre Lebensbedingungen kamen direkt nicht einmal
in Berührung mit den bestehenden Institutionen,
von denen sie vollständig ignoriert wurden.
Sie war das lebendige Symptom der Auflösung
der feudalen und zunftbürgerlichen Gesellschaft
und zugleich der erste Vorläufer der modernen
bürgerlichen Gesellschaft. Aus dieser Stellung
erklärt es sich, warum die plebejische Fraktion
schon damals nicht bei der bloßen Bekämpfung
des Feudalismus und der privilegierten
Pfahlbürgerei stehenbleiben konnte, warum sie,
wenigstens in der Phantasie, selbst über die
kaum empor dämmernde modern-bürgerliche
Gesellschaft hinausgreifen, warum sie,
die vollständig besitzlose Fraktion,
schon Institutionen, Anschauungen und Vorstellungen
in Frage stellen musste, welche allen
auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaftsformen
gemeinsam sind. Die chiliastischen Schwärmereien
des ersten Christentums boten hierzu
einen bequemen Anknüpfungspunkt. Aber zugleich
konnte dies Hinausgehen nicht nur über die Gegenwart,
sondern selbst über die Zukunft,
nur ein gewaltsames, phantastisches sein
und musste beim ersten Versuch der praktischen
Anwendung zurückfallen in die beschränkten Grenzen,
die die damaligen Verhältnisse allein zuließen.
Der Angriff auf das Privateigentum, die Forderung
der Gütergemeinschaft, musste sich auflösen
in eine rohe Organisation der Wohltätigkeit;
die vage christliche Gleichheit konnte höchstens
auf die bürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz hinauslaufen;
die Beseitigung aller Obrigkeit verwandelt sich
schließlich in die Herstellung vom Volke
gewählter republikanischer Regierungen.
Die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie
wurde in der Wirklichkeit eine Antizipation
der modernen bürgerlichen Verhältnisse.
Diese gewaltsame, aber dennoch aus der Lebenslage
der plebejischen Fraktion sehr erklärliche Antizipation
auf die spätere Geschichte finden wir zuerst in Deutschland,
bei Thomas Müntzer und seiner Partei.
Bei den Taboriten hatte allerdings eine Art
chiliastische Gütergemeinschaft bestanden, aber nur
als rein militärische Maßregel. Erst bei Müntzer
sind diese kommunistischen Anklänge Ausdruck
der Bestrebungen einer wirklichen Gesellschaftsfraktion,
erst bei ihm sind sie mit einer gewissen Bestimmtheit
formuliert, und seit ihm finden wir sie
in jeder großen Volkserschütterung wieder,
bis sie allmählich mit der modernen proletarischen
Bewegung zusammenfließen; geradeso wie im Mittelalter
die Kämpfe der freien Bauern gegen die sie
mehr und mehr umstrickende Feudalherrschaft
zusammenfließen mit den Kämpfen der Leibeigenen
und Hörigen um den vollständigen Bruch
der Feudalherrschaft. Während sich in dem ersten
der drei großen Lager, im konservativ-katholischen,
alle Elemente zusammenfanden, die an der Erhaltung
des Bestehenden interessiert waren, also die Reichsgewalt,
die geistlichen und ein Teil der weltlichen Fürsten,
der reichere Adel, die Prälaten und das städtische Patriziat,
sammeln sich um das Banner der bürgerlich-gemäßigten
lutherischen Reform die besitzenden Elemente der Opposition,
die Masse des niederen Adels, die Bürgerschaft
und selbst ein Teil der weltlichen Fürsten,
der sich durch Konfiskation der geistlichen Güter
zu bereichern hoffte und die Gelegenheit
zur Erringung größerer Unabhängigkeit vom Reich
benutzen wollte. Die Bauern und Plebejer endlich
schlossen sich zur revolutionären Partei zusammen,
deren Forderungen und Doktrinen am schärfsten
durch Müntzer ausgesprochen wurden. Luther und Müntzer
repräsentieren nach ihrer Doktrin wie nach ihrem Charakter
und ihrem Auftreten jeder seine Partei vollständig.
Luther hat in den Jahren 1517 bis 1525
ganz dieselben Wandlungen durchgemacht,
die die modernen deutschen Konstitutionellen
von 1846 bis 1849 durchmachten und die jede
bürgerliche Partei durchmacht, welche, einen Moment
an die Spitze der Bewegung gestellt, in dieser Bewegung
selbst von der hinter ihr stehenden plebejischen
oder proletarischen Partei überflügelt wird.
Als Luther 1517 zuerst gegen die Dogmen
und die Verfassung der katholischen Kirche auftrat,
hatte seine Opposition durchaus noch keinen
bestimmten Charakter. Ohne über die Forderungen
der früheren bürgerlichen Ketzerei hinauszugehen,
schloss sie keine einzige weitergehende Richtung aus
und konnte es nicht. Im ersten Moment mussten
alle oppositionellen Elemente vereinigt, musste
die entschiedenste revolutionäre Energie angewandt,
musste die Gesamtmasse der bisherigen Ketzerei
gegenüber der katholischen Rechtgläubigkeit
vertreten werden. Geradeso waren unsere liberalen
Bourgeois noch 1847 revolutionär, nannten sich
Sozialisten und Kommunisten und schwärmten
für die Emanzipation der Arbeiterklasse.
Die kräftige Bauernnatur Luthers machte sich
in dieser ersten Periode seines Auftretens
in ungestümer Weise Luft: Wenn ihr (die römischen Pfaffen)
rasend Wüten einen Fortgang haben sollte,
mich es wäre schier kein besserer Rat und Arznei,
ihm zu steuern, denn dass Könige und Fürsten
mit Gewalt dazutäten, sich rüsteten und diese
schädlichen Leute, so alle Welt vergiften, angriffen
und einmal des Spiels ein Ende machten, mit Waffen,
nicht mit Worten. So wir Diebe mit Schwert,
Mörder mit Strang, Ketzer mit Feuer strafen,
warum greifen wir nicht vielmehr an diese schädlichen
Lehrer des Verderbens, als Päpste, Kardinäle, Bischöfe
und das ganze Geschwärm der römischen Sodoma
mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut?
Aber dieser erste revolutionäre Feuereifer
dauerte nicht lange. Der Blitz schlug ein,
den Luther geschleudert hatte. Das ganze deutsche Volk
geriet in Bewegung. Auf der einen Seite sahen Bauern
und Plebejer in seinen Aufrufen wider die Pfaffen,
in seiner Predigt von der christlichen Freiheit
das Signal zur Erhebung; auf der andern schlossen sich
die gemäßigten Bürger und ein großer Teil
des niederen Adels ihm an, wurden selbst Fürsten
vom Strom mit fortgerissen. Die einen glaubten
den Tag gekommen, wo sie mit allen ihren Unterdrückern
Abrechnung halten könnten, die andern wollten nur
die Macht der Pfaffen, die Abhängigkeit von Rom,
die katholische Hierarchie brechen und sich
aus der Konfiskation des Kirchengutes bereichern.
Die Parteien sonderten sich und fanden
ihre Repräsentanten. Luther musste zwischen ihnen wählen.
Er, der Schützling des Kurfürsten von Sachsen,
der angesehene Professor von Wittenberg,
der über Nacht mächtig und berühmt gewordene,
mit einem Zirkel von abhängigen Kreaturen
und Schmeichlern umgebene große Mann
zauderte keinen Augenblick. Er ließ die populären
Elemente der Bewegung fallen und schloss sich
der bürgerlichen, adligen und fürstlichen Seite an.
Die Aufrufe zum Vernichtungskrieg gegen Rom verstummten;
Luther predigte jetzt die friedliche Entwicklung
und den passiven Widerstand. Auf Ulrich von Huttens
Einladung, zu ihm und Franz von Sickingen
auf die Ebernburg, den Mittelpunkt
der Adelsverschwörung gegen Pfaffen und Fürsten,
zu kommen, antwortete Luther: Ich möchte nicht,
dass man das Evangelium mit Gewalt und Blutvergießen
verfechte. Durch das Wort ist die Welt überwunden worden,
durch das Wort ist die Kirche erhalten, durch das Wort
wird sie auch wieder in den Stand kommen,
und der Antichrist, wie er Seines ohne Gewalt bekommen,
wird ohne Gewalt fallen. Von dieser Wendung,
oder vielmehr von dieser bestimmten Feststellung
der Richtung Luthers, begann jenes Markten und Feilschen
um die beizubehaltenden oder zu reformierenden
Institutionen und Dogmen, jene widerwärtige
Diplomatie, das Konzedieren, Intrigieren
und Vereinbaren, dessen Resultat die Augsburgische
Konfession war, die schließlich erhandelte Verfassung
der reformierten Bürgerkirche. Es ist ganz derselbe
Schacher, der sich neuerdings in deutschen
Nationalversammlungen und Erfurter Parlamenten
in politischer Form bis zum Ekel wiederholt hat.
Der spießbürgerliche Charakter der offiziellen Reformation
trat in diesen Verhandlungen aufs offenste hervor.
dass Luther, als nunmehr erklärter Repräsentant
der bürgerlichen Reform, den gesetzlichen Fortschritt
predigte, hatte seine guten Gründe. Die Masse
der Städte war der gemäßigten Reform zugefallen;
der niedere Adel schloss sich ihr mehr und mehr an,
ein Teil der Fürsten fiel zu, ein anderer schwankte.
Ihr Erfolg war so gut wie gesichert, wenigstens
in einem großen Teil von Deutschland.
Bei fortgesetzter friedlicher Entwicklung
konnten die übrigen Gegenden auf die Dauer
dem Andrang der gemäßigten Opposition nicht widerstehen.
Jede gewaltsame Erschütterung aber musste
die gemäßigte Partei in Konflikt bringen
mit der extremen, plebejischen und Bauernpartei,
musste die Fürsten, den Adel und manche Städte
der Bewegung entfremden und ließ nur die Chance
entweder des Überflügelns der bürgerlichen Partei
durch die Bauern und Plebejer oder der Unterdrückung
sämtlicher Bewegungsparteien durch die katholische
Restauration. Und wie die bürgerlichen Parteien,
sobald sie die geringsten Siege erfochten haben,
vermittelst des gesetzlichen Fortschritts zwischen
der Scylla der Revolution und der Charybdis
der Restauration hindurch zu lavieren suchen, davon
haben wir in der letzten Zeit Exempel genug gehabt.
Wie unter den allgemein gesellschaftlichen
und politischen Verhältnissen der damaligen Zeit
die Resultate jeder Veränderung notwendig
den Fürsten zugute kommen und ihre Macht
vermehren mussten, so musste die bürgerliche Reform,
je schärfer sie sich von den plebejischen
und bäurischen Elementen schied, immer mehr
unter die Kontrolle der reformierten Fürsten geraten.
Luther selbst wurde mehr und mehr ihr Knecht,
und das Volk wusste sehr gut, was es tat, wenn es sagte,
er sei ein Fürstendiener geworden wie die andern,
und wenn es ihn in Orlamünde mit Steinwürfen verfolgte.
Als der Bauernkrieg losbrach, und zwar in Gegenden,
wo Fürsten und Adel größtenteils katholisch waren,
suchte Luther eine vermittelnde Stellung einzunehmen.
Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien
schuld am Aufstand durch ihre Bedrückungen;
nicht die Bauern setzten sich wider sie, sondern Gott selbst.
Der Aufstand sei freilich auch widergöttlich
und wider das Evangelium, hieß es auf der andern Seite.
Schließlich riet er beiden Parteien, nachzugeben
und sich gütlich zu vertragen. Aber der Aufstand,
trotz dieser wohlmeinenden Vermittlungsvorschläge,
dehnte sich rasch aus, ergriff sogar protestantische,
von lutherischen Fürsten, Herren und Städten
beherrschte Gegenden und wuchs der bürgerlichen,
besonnenen Reform rasch über den Kopf.
In Luthers nächster Nähe, in Thüringen, schlug
die entschiedenste Fraktion der Insurgenten
unter Müntzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge,
und ganz Deutschland stand in Flammen,
Luther war umzingelt, vielleicht als Verräter
durch die Spieße gejagt, und die bürgerliche Reform
weggeschwemmt von der Sturmflut der bäurisch-plebejischen
Revolution. Da galt kein Besinnen mehr.
Gegenüber der Revolution wurden alle alten
Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten
der Bauern waren die Diener der römischen Sodoma
unschuldige Lämmer, sanftmütige Kinder Gottes;
und Bürger und Fürsten, Adel und Pfaffen,
Luther und Papst verbanden sich wider die mörderischen
und räuberischen Rotten der irren Bauern.
Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen,
heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man
einen tollen Hund totschlagen muss!, schrie Luther.
Darum, liebe Herren, löst hier, rettet da, steche, schlage,
würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot,
wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmer bekommen.
Man solle nur keine falsche Barmherzigkeit
mit den Bauern haben. Die mengen sich selber
unter die Aufrührerischen, die sich derer erbarmen,
welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern welche er
gestraft und verderbt haben will. Nachher
werden die Bauern selber Gott danken lernen,
wenn sie die eine Kuh hergeben müssen,
auf dass sie die andre in Frieden genießen können;
und die Fürsten werden durch den Aufruhr erkennen,
wes Geistes der Pöbel sei, der nur mit Gewalt zu regieren.
Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino,
Der Esel braucht Futter, Bürde und Stockschläge -
in einen Bauern gehört Haferstroh, sie hören nicht
das Wort und sind unsinnig, so müssen sie die virgam,
die Büchse, hören, und geschieht ihnen recht.
Bitten sollen wir für sie, dass sie gehorchen; wo nicht,
so gilt es hier nicht viel Erbarmens. Lasset nur
die Büchsen unter sie sausen, sie machen es sonst
tausendmal ärger. - Geradeso sprachen
unsere weiland sozialistischen und philanthropischen
Bourgeois, als das Proletariat nach den Märztagen
seinen Anteil an den Früchten des Siegs
zu reklamieren kam. Luther hatte der plebejischen
Bewegung ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben
durch die Übersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er
dem feudalistischen Christentum der Zeit
das bescheidene Christentum der ersten Jahrhunderte,
der zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild
einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts
von der weitschichtigen Feudalhierarchie wusste.
Die Bauern hatten dies Werkzeug gegen Fürsten,
Adel, Pfaffen, nach allen Seiten hin benutzt.
Jetzt kehrte Luther es gegen sie und stellte
aus der Bibel einen wahren Dithyrambus
auf die von Gott eingesetzte Obrigkeit zusammen,
wie ihn kein Tellerlecker der absoluten Monarchie
je zustande gebracht hat. Das Fürstentum
von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam,
selbst die Leibeigenschaft wurde mit der Bibel
sanktioniert. Nicht nur der Bauernaufstand,
auch die ganze Auflehnung Luthers selbst
gegen die geistliche und weltliche Autorität
war hierin verleugnet; nicht nur die populäre Bewegung,
auch die bürgerliche war damit an die Fürsten verraten.
Brauchen wir die Bourgeois zu nennen, die auch
von dieser Verleugnung ihrer eignen Vergangenheit
uns kürzlich wieder Beispiele gegeben haben?
Stellen wir nun dem bürgerlichen Reformator Luther
den plebejischen Revolutionär Müntzer gegenüber.
Thomas Müntzer war geboren zu Stolberg am Harz,
um das Jahr 1498. Sein Vater soll, ein Opfer der Willkür
der Stolbergschen Grafen, am Galgen gestorben sein.
Schon in seinem fünfzehnten Jahre stiftete Müntzer
auf der Schule zu Halle einen geheimen Bund
gegen den Erzbischof von Magdeburg
und die römische Kirche überhaupt. Seine Gelehrsamkeit
in der damaligen Theologie verschaffte ihm früh
den Doktorgrad und eine Stelle als Kaplan
in einem Nonnenkloster zu Halle. Hier behandelte er
schon Dogmen und Ritus der Kirche
mit der größten Verachtung, bei der Messe ließ er
die Worte der Wandlung ganz aus und aß,
wie Luther von ihm erzählt, die Hostien ungeweiht.
Sein Hauptstudium waren die mittelalterlichen Mystiker,
besonders die chiliastischen Schriften
Joachims des Calabresen. Das Tausendjährige Reich,
das Strafgericht über die entartete Kirche
und die verderbte Welt, das dieser verkündete
und ausmalte, schien Müntzer mit der Reformation
und der allgemeinen Aufregung der Zeit
nahe herbeigekommen. Er predigte in der Umgegend
mit großem Beifall. 1520 ging er als erster
evangelischer Prediger nach Zwickau. Hier fand er
eine jener schwärmerischen chiliastischen Sekten vor,
die in vielen Gegenden im stillen fort existierten,
hinter deren momentaner Demut und Zurückgezogenheit
sich die fort wuchernde Opposition der untersten
Gesellschaftsschichten gegen die bestehenden Zustände
verborgen hatte und die jetzt mit der wachsenden Agitation
immer offener und beharrlicher ans Tageslicht hervortraten.
Es war die Sekte der Wiedertäufer, an deren Spitze
Niklas Storch stand. Sie predigten das Nahen
des Jüngsten Gerichts und des Tausendjährigen Reichs;
sie hatten Visionen, Verzückungen und den Geist
der Weissagung. Bald kamen sie in Konflikt
mit dem Zwickauer Rat; Müntzer verteidigte sie,
obwohl er sich ihnen nie unbedingt anschloss,
sondern sie vielmehr unter seinen Einfluss bekam.
Der Rat schritt energisch gegen sie ein; sie mussten
die Stadt verlassen, und Müntzer mit ihnen.
Es war Ende 1521. Er ging nach Prag und suchte,
an die Reste der hussitischen Bewegung anknüpfend,
hier Boden zu gewinnen; aber seine Proklamation
hatte nur den Erfolg, dass er auch aus Böhmen
wieder fliehen musste. 1522 wurde er Prediger
zu Allstedt in Thüringen. Hier begann er damit,
den Kultus zu reformieren. Noch ehe Luther
so weit zu gehen wagte, schaffte er die lateinische Sprache
total ab und ließ die ganze Bibel, nicht bloß
die vorgeschriebenen sonntäglichen Evangelien
und Episteln verlesen. Zu gleicher Zeit organisierte er
die Propaganda in der Umgegend. Von allen Seiten
lief das Volk ihm zu, und bald wurde Allstedt das Zentrum
der populären Antipfaffenbewegung von Thüringen.
Noch war Müntzer vor allem Theologe;
noch richtete er seine Angriffe fast ausschließlich
gegen die Pfaffen. Aber er predigte nicht,
wie Luther damals schon, die ruhige Debatte
und den friedlichen Fortschritt, er setzte die früheren
gewaltsamen Predigten Luthers fort und rief
die sächsischen Fürsten und das Volk auf
zum bewaffneten Einschreiten gegen die römischen
Pfaffen: Sagt doch Christus, ich bin nicht gekommen,
Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Was sollt ihr (die sächsischen Fürsten) aber
mit demselben machen? Nichts anders, denn die Bösen,
die das Evangelium verhindern, wegtun und absondern,
wollt ihr anders Diener Gottes sein. Christus
hat mit großem Ernst befohlen: Nehmt meine Feinde
und erwürgt sie vor meinen Augen. Gebt uns
keine leeren Fratzen, dass die Kraft Gottes es tun soll
ohne euer Zutun des Schwertes, es möchte euch sonst
in der Scheide verrosten. Die, welche Gottes Offenbarung
zuwider sind, soll man wegtun, ohne alle Gnade,
wie Hiskias, Kyrus, Josia, Daniel und Elias
die Baalspfaffen verstört haben, anders mag
die christliche Kirche zu ihrem Ursprung
nicht wieder kommen. Man muss das Unkraut
ausreißen aus dem Weingarten Gottes
in der Zeit der Ernte. Gott hat gesagt, ihr sollt euch
nicht erbarmen über die Abgöttischen,
zerbrecht ihre Altäre, zerschmeißt ihre Bilder
und verbrennt sie, auf dass ich nicht mit euch zürne.
Aber diese Aufforderungen an die Fürsten
blieben ohne Erfolg, während gleichzeitig
unter dem Volk die revolutionäre Aufregung
von Tag zu Tag wuchs. Müntzer, dessen Ideen
immer schärfer ausgebildet, immer kühner wurden,
trennte sich jetzt entschieden von der bürgerlichen Reformation
und trat von nun an zugleich direkt als politischer Agitator auf.
Seine theologisch-philosophische Doktrin
griff alle Hauptpunkte nicht nur des Katholizismus,
sondern des Christentums überhaupt an.
Er lehrte unter christlichen Formen einen Pantheismus,
der mit der modernen spekulativen Anschauungsweise
eine merkwürdige Ähnlichkeit hat und stellenweise
sogar an Atheismus streift. Er verwarf die Bibel
sowohl als ausschließliche wie als unfehlbare Offenbarung.
Die eigentliche, die lebendige Offenbarung
sei die Vernunft, eine Offenbarung, die zu allen Zeiten
und bei allen Völkern existiert habe und noch existiere.
Der Vernunft die Bibel entgegenhalten, heiße
den Geist durch den Buchstaben töten.
Denn der Heilige Geist, von dem die Bibel spreche,
sei nichts außer uns Existierendes; der Heilige Geist
ist sei eben die Vernunft. Der Glaube sei nichts anderes
als das Lebendig-werden der Vernunft im Menschen,
und daher könnten auch die Heiden den Glauben haben.
Durch diesen Glauben, durch die lebendig
gewordene Vernunft werde der Mensch vergöttlicht
und selig. Der Himmel sei daher nichts Jenseitiges,
er sei in diesem Leben zu suchen, und der Beruf
der Gläubigen sei, diesen Himmel, das Reich Gottes,
hier auf der Erde herzustellen. Wie keinen jenseitigen Himmel,
so gebe es auch keine jenseitige Hölle oder Verdammnis.
Ebenso gebe es keinen Teufel als die bösen Lüste
und Begierden der Menschen. Christus sei ein Mensch
gewesen wie wir, ein Prophet und Lehrer,
und sein Abendmahl sei ein einfaches Gedächtnismahl,
worin Brot und Wein ohne weitere mystische Zutat
genossen werde. Diese Lehren predigte Müntzer
meist versteckt unter denselben christlichen Redeweisen,
unter denen sich die neuere Philosophie eine Zeitlang
verstecken musste. Aber der ketzerische Grundgedanke
blickt überall aus seinen Schriften hervor,
und man sieht, dass es ihm mit dem biblischen Deckmantel
weit weniger ernst war als manchem Schüler Hegels
in neuerer Zeit. Und doch liegen drei hundert Jahre
zwischen Müntzer und der modernen Philosophie.
Seine politische Doktrin schloss sich genau
an diese revolutionäre religiöse Anschauungsweise an
und griff ebenso weit über die unmittelbar vorliegenden
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hinaus
wie seine Theologie über die geltenden Vorstellungen
seiner Zeit. Wie Müntzers Religionsphilosophie
an den Atheismus, so streifte sein politisches Programm
an den Kommunismus, und mehr als eine moderne
kommunistische Sekte hatte noch am Vorabend
der Februarrevolution über kein reichhaltigeres
theoretisches Arsenal zu verfügen als die Müntzerschen
des sechzehnten Jahrhunderts. Dies Programm,
weniger die Zusammenfassung der Forderungen
der damaligen Plebejer als die geniale Antizipation
der Emanzipationsbedingungen der kaum
sich entwickelnden proletarischen Elemente
unter diesen Plebejern - dies Programm forderte
die sofortige Herstellung des Reiches Gottes,
des prophezeiten Tausendjährigen Reichs auf Erden,
durch Zurückführung der Kirche auf ihren Ursprung
und Beseitigung aller Institutionen, die mit dieser
angeblich urchristlichen, in Wirklichkeit aber
sehr neuen Kirche in Widerspruch standen.
Unter dem Reich Gottes verstand Müntzer
aber nichts anderes als einen Gesellschaftszustand,
in dem keine Klassenunterschiede, kein Privateigentum
und keine den Gesellschaftsmitgliedern gegenüber
selbständige, fremde Staatsgewalt mehr bestehen.
Sämtliche bestehende Gewalten, sofern sie nicht sich fügen
und der Revolution anschließen wollten, sollten gestürzt,
alle Arbeiten und alle Güter gemeinsam
und die vollständigste Gleichheit durchgeführt werden.
Ein Bund sollte gestiftet werden, um dies durchzusetzen,
nicht nur über ganz Deutschland, sondern
über die ganze Christenheit; Fürsten und Herren
sollten eingeladen werden, sich anzuschließen;
wo nicht, sollte der Bund sie bei der ersten Gelegenheit
mit den Waffen in der Hand stürzen oder töten.
Müntzer setzte sich gleich daran, diesen Bund
zu organisieren. Seine Predigten nahmen einen
noch heftigeren, revolutionäreren Charakter an;
neben den Angriffen auf die Pfaffen donnerte er
mit gleicher Leidenschaft gegen die Fürsten, den Adel,
das Patriziat, schilderte er in glühenden Farben
den bestehenden Druck und hielt dagegen
sein Phantasiebild des Tausendjährigen Reichs
der sozial-republikanischen Gleichheit.
Zugleich veröffentlichte er ein revolutionäres Pamphlet
nach dem andern und sandte Emissäre
nach allen drei Richtungen aus, während er selbst
den Bund in Allstedt und der Umgegend organisierte.
Die erste Frucht dieser Propaganda war die Zerstörung
der Marienkapelle zu Mellerbach bei Allstedt,
nach dem Gebot: Ihre Altäre sollt ihr zerreißen,
ihre Säulen zerbrechen und ihre Götzen
mit Feuer verbrennen, denn ihr seid ein heiliges Volk.
Die sächsischen Fürsten kamen selbst nach Allstedt,
um den Aufruhr zu stillen, und ließen Müntzer
aufs Schloss rufen. Dort hielt er eine Predigt,
wie sie deren von Luther, dem sanft lebenden Fleisch
zu Wittenberg, wie Müntzer ihn nannte, nicht gewohnt waren.
Er bestand darauf, dass die gottlosen Regenten,
besonders Pfaffen und Mönche, die das Evangelium
als Ketzerei behandeln, getötet werden müssten,
und berief sich dafür aufs Neue Testament.
Die Gottlosen hätten kein Recht zu leben,
es sei denn durch die Gnade der Auserwählten.
Wenn die Fürsten die Gottlosen nicht vertilgen,
so werde Gott ihnen das Schwert nehmen,
denn die ganze Gemeinde habe die Gewalt des Schwerts.
Die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei
seien die Fürsten und Herren; sie nehmen alle Kreaturen
zum Eigentum, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft,
das Gewächs auf Erden. Und dann predigen sie gar noch
den Armen das Gebot: Du sollst nicht stehlen,
sie selber aber nehmen, wo sie es finden,
schinden und schaben den Bauer und den Handwerker;
wo aber dieser am Allergeringsten sich vergreife,
so müsse er hängen, und zu dem allen sage dann
der Doktor Lügner: Amen. Die Herren machen das
selber, dass ihnen der arme Mann feind wird.
Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun,
wie kann es in die Länge gut werden? Ach, liebe Herren,
wie hübsch wird der Herr unter die alten Töpfe schmeißen
mit einer eisernen Stange! So ich das sage,
werde ich aufrührerisch sein. Wohlan denn!
Müntzer ließ die Predigt drucken; sein Drucker
in Allstedt wurde zur Strafe vom Herzog Johann
von Sachsen gezwungen, das Land zu verlassen,
und ihm selbst wurde für alle seine Schriften
die Zensur der herzoglichen Regierung
zu Weimar auferlegt. Aber diesen Befehl achtete er nicht.
Er ließ gleich darauf eine höchst aufregende Schrift
in der Reichsstadt Mühlhausen drucken,
worin er das Volk aufforderte, das Loch weit zu machen,
auf dass alle Welt sehen und greifen möge,
wer unsre großen Hansen sind, die Gott
also lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben,
und die er mit den Worten beschloss: Die ganze Welt
muss einen großen Stoß aushalten; es wird
ein solch Spiel angehen, dass die Gottlosen
vom Stuhl gestürzt, die Niedrigen aber erhöht werden.
Als Motto schrieb Thomas Müntzer mit dem Hammer
auf den Titel: Nimm wahr, ich habe meine Worte
in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heute
über die Leute und über die Reiche gesetzt:
auf dass du entwurzelst, zerbrichst, zerstreust und stürzst,
und baust und pflanzest. Eine eiserne Mauer
wider die Könige, Fürsten, Pfaffen und wider das Volk
ist dargestellt. Die mögen streiten, der Sieg ist wunderlich
zum Untergang der starken gottlosen Tyrannen.
Der Bruch Müntzers mit Luther und seiner Partei
war schon lange vorhanden. Luther hatte
manche Kirchenreformen selbst annehmen müssen,
die Müntzer, ohne ihn zu fragen, eingeführt hatte.
Er beobachtete Müntzers Tätigkeit mit dem ärgerlichen
Misstrauen des gemäßigten Reformers
gegen die energischere, weiter treibende Partei.
Schon im Frühjahr 1524 hatte Müntzer an Melanchthon,
dieses Urbild des philiströsen, hektischen Stubenhockers,
geschrieben, er und Luther verständen die Bewegung gar nicht.
Sie suchten sie im biblischen Buchstabenglauben
zu ersticken, ihre ganze Doktrin sei wurmstichig.
Lieben Brüder, lasst euer Warten und Zaudern,
es ist Zeit, der Sommer ist vor der Tür.
Wollt nicht Freundschaft halten mit den Gottlosen,
sie hindern, dass das Wort wirke in voller Kraft.
Schmeichelt nicht euren Fürsten, sonst werdet ihr selbst
mit ihnen verderben. Ihr zarten Schriftgelehrten,
seid nicht unwillig, ich kann es nicht anders machen.
Luther fordert Müntzer mehr als einmal zur Disputation heraus;
aber dieser, bereit, den Kampf jeden Augenblick
vor dem Volk aufzunehmen, hatte nicht die geringste Lust,
sich in eine theologische Zänkerei vor dem parteiischen
Publikum der Wittenberger Universität einzulassen.
Er wollte das Zeugnis des Geistes nicht ausschließlich
auf die hohe Schule bringen. Wenn Luther aufrichtig sei,
so solle er seinen Einfluss dahin verwenden,
dass die Schikanen gegen Müntzers Drucker
und das Gebot der Zensur aufhöre, damit der Kampf
ungehindert in der Presse ausgefochten werden könne.
Jetzt, nach der erwähnten revolutionären Broschüre
Müntzers, trat Luther öffentlich als Denunziant
gegen ihn auf. In seinem gedruckten Brief
an die Fürsten zu Sachsen wider den aufrührerischen Geist
erklärte er Müntzer für ein Werkzeug des Satans
und forderte die Fürsten auf, einzuschreiten
und die Anstifter des Aufruhrs zum Lande hinauszujagen,
da sie sich nicht begnügen, ihre schlimmen Lehren
zu predigen, sondern zum Aufstand und zur gewaltsamen
Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit aufrufen.
Am 1. August musste Müntzer sich vor den Fürsten
auf dem Schloss zu Weimar gegen die Anklage
aufrührerischer Umtriebe verantworten. Es lagen
höchst kompromittierende Tatsachen gegen ihn vor;
man war seinem geheimen Bund auf die Spur gekommen,
man hatte in den Verbindungen der Bergknappen und Bauern
seine Hand entdeckt. Man bedrohte ihn mit Verbannung.
Kaum nach Allstedt zurück, erfuhr er, dass Herzog
Georg von Sachsen seine Auslieferung verlangte;
Bundesbriefe von seiner Handschrift waren
aufgefangen worden, worin er Georgs Untertanen
zu bewaffnetem Widerstand gegen die Feinde
des Evangeliums aufforderte. Der Rat hätte ihn
ausgeliefert, wenn er nicht die Stadt verlassen hätte.
Inzwischen hatte die steigende Agitation unter Bauern
und Plebejern die Müntzersche Propaganda
ungemein erleichtert. Für diese Propaganda hatte er
an den Wiedertäufern unschätzbare Agenten gewonnen.
Diese Sekte, ohne bestimmte positive Dogmen,
zusammengehalten nur durch ihre gemeinsame Opposition
gegen alle herrschenden Klassen und durch das gemeinsame
Symbol der Wiedertaufe, asketisch-streng
im Lebenswandel, unermüdlich, fanatisch
und unerschrocken in der Agitation, hatte sich
mehr und mehr um Müntzer gruppiert.
Durch die Verfolgungen von jedem festen Wohnsitz
ausgeschlossen, streifte sie über ganz Deutschland
und verkündete überall die neue Lehre, in der Müntzer
ihnen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche
klargemacht hatte. Unzählige wurden gefoltert,
verbrannt oder sonst hingerichtet, aber der Mut
und die Ausdauer dieser Emissäre war unerschütterlich,
und der Erfolg ihrer Tätigkeit, bei der schnell
wachsenden Aufregung des Volks, war unermesslich.
Daher fand Müntzer bei seiner Flucht aus Thüringen
den Boden überall vorbereitet, er mochte sich hinwenden,
wohin er wollte. Bei Nürnberg, wohin Müntzer zuerst ging,
war kaum einen Monat vorher ein Bauernaufstand
im Keime erstickt worden. Müntzer agitierte hier
im stillen; bald traten Leute auf, die seine kühnsten
theologischen Sätze von der Unverbindlichkeit der Bibel
und der Nichtigkeit der Sakramente verteidigten,
Christus für einen bloßen Menschen
und die Gewalt der weltlichen Obrigkeit
für unheilig erklärten. Da sieht man den Satan umgehen,
den Geist aus Allstedt!, rief Luther. Hier in Nürnberg
ließ Müntzer seine Antwort an Luther drucken.
Er klagte ihn geradezu an, dass er den Fürsten heuchle
und die reaktionäre Partei mit seiner Halbheit unterstütze.
Aber das Volk werde trotzdem frei werden,
und dem Doktor Luther werde es dann gehen
wie einem gefangenen Fuchs. Die Schrift wurde
von Rats wegen mit Beschlag belegt,
und Müntzer musste Nürnberg verlassen.
Er ging jetzt durch Schwaben nach dem Elsass,
der Schweiz und zurück nach dem oberen Schwarzwald,
wo schon seit einigen Monaten der Aufstand
ausgebrochen war, beschleunigt zum großen Teil
durch seine wiedertäuferischen Emissäre.
Diese Propagandareise Müntzers hat offenbar
zur Organisation der Volkspartei, zur klaren Feststellung
ihrer Forderungen und zum endlichen allgemeinen
Ausbruch des Aufstandes im April 1525
wesentlich beigetragen. Die doppelte Wirksamkeit
Müntzers, einerseits für das Volk, dem er
in der ihm damals allein verständlichen Sprache
des religiösen Prophetismus zuredete,
und andrerseits für die Eingeweihten, gegen die er
sich offen über seine wahre Tendenz aussprechen konnte,
tritt hier besonders deutlich hervor. Hatte er schon früher
in Thüringen einen Kreis der entschiedensten Leute,
nicht nur aus dem Volk, sondern auch
aus der niedrigen Geistlichkeit, um sich versammelt
und an die Spitze der geheimen Verbindung gestellt,
so wird er hier der Mittelpunkt der ganzen
revolutionären Bewegung von Südwestdeutschland,
so organisiert er die Verbindung von Sachsen und Thüringen
über Franken und Schwaben bis nach dem Elsass
und der Schweizer Grenze und zählt
die süddeutschen Agitatoren, wie Hubmaier in Waldshut,
Konrad Grebel von Zürich, Franz Rabmann zu Grießen,
Schappeler zu Memmingen, Jakob Wehe zu Leipheim,
Doktor Mantel in Stuttgart, meist revolutionäre Pfarrer,
unter seine Schüler und unter die Häupter des Bundes.
Er selbst hielt sich meist in Grießen an der Schaffhausener
Grenze auf und durchstreifte von da den Hegau und Klettgau.
Die blutigen Verfolgungen, die die beunruhigten Fürsten
und Herren überall gegen diese neue plebejische Ketzerei
unternahmen, trugen nicht wenig dazu bei,
den rebellischen Geist zu schüren und die Verbindung
fester zusammenzuschließen. So agitierte Müntzer
gegen fünf Monate in Oberdeutschland und ging
um die Zeit, wo der Ausbruch der Verschwörung
herannahte, wieder nach Thüringen zurück,
wo er den Aufstand selbst leiten wollte
und wo wir ihn wiederfinden werden.
Wir werden sehen, wie treu der Charakter
und das Auftreten der beiden Parteichefs
die Haltung ihrer Parteien selbst widerspiegeln;
wie die Unentschiedenheit, die Furcht
vor der ernsthaft werdenden Bewegung selbst,
die feige Fürstendienerei Luthers
ganz der zaudernden, zweideutigen Politik
der Bürgerschaft entsprach und wie die revolutionäre
Energie und Entschlossenheit Müntzers
in der entwickelten Fraktion der Plebejer und Bauern
sich reproduzieren. Der Unterschied ist nur,
dass, während Luther sich begnügte, die Vorstellungen
und Wünsche der Majorität seiner Klasse auszusprechen
und sich damit eine höchst wohlfeile Popularität
bei ihr zu erwerben, Müntzer im Gegenteil
weit über die unmittelbaren Vorstellungen und Ansprüche
der Plebejer und Bauern hinausging und sich
aus der Elite der vorgefundenen revolutionären Elemente
erst eine Partei bildete, die übrigens, soweit sie
auf der Höhe seiner Ideen stand und seine Energie teilte,
immer nur eine kleine Minorität der Masse blieb.
O Muse vom Land, den schwarzen Acker unter der Zunge,
die Zöpfe wie goldner Weizen geflochten,
Singe mir den Aufstand der deutschen Bauern!