VON TORSTEN SCHWANKE
„Christus, Gottes Kraft (Dynamis) und Gottes Weisheit (Sophia).“
(Erster Korintherbrief)
„Wenn Christus die Weisheit ist, warum nennt man ihn dann Sohn und nicht Tochter?“
(Martin de Leon)
GRIECHISCHE PHILOSOPHIE
1
Was ist das Wesen aller Wesen,
Was ist der Schoß von allem Sein,
Mit welches Philosophen Thesen
Erfasst der Mensch das einig Ein?
Woher kommt alles? Wohin geht es?
Wohin verging das, was nicht blieb?
Und wie vergeht es, wie entsteht es?
Was ist des Daseins Urprinzip?
Der Ursprung der geschaffnen Dinge,
Das sei des Wassers Element?
Den Mond und Baum und Tauben singe,
Des Menschen Geist auch, der erkennt.
Das alles soll aus Wasser stammen,
Das Wasser ist der Schoß? Ich bin
Das Wasser, aus mir stammen Flammen?
Verwunderlicher Anbeginn!
Ist denn der weise Thales, ist
Er gleich gemeinen Narren, Spöttern,
Gemeiner Materialist?
Nein! Alles ist erfüllt von Göttern!
Der Dinge Wesen vor den Sinnen,
Der Dinge, die da sind gestaltet,
Ist, daß im Innern ihnen innen
Die ewigliche Gottheit waltet.
Sind alle Dinge sichtbar Zeichen
Des göttlichen Prinzips, trotz Spottes,
Gewordnes in den sichtbarn Reichen
Ja gar Geschaffenheiten Gottes?
Des Thales Wasser aber floß
Als Quell des Werdens und Vergehens
Dem Ur-Strom gleich, Okeanos,
Dem Urquell alles des Entstehens.
Das schöpferische Wasser muß
Gedeutet werden, wie wir hören,
Als dunkler Styx, der Jenseitsfluß,
Bei welchem alle Götter schwören.
Des Thales Wasser, wie ich hoffe,
Daß man nicht Narrheit davon dächte,
Nicht stofflich Urstoff aller Stoffe,
Ist Überwesen aller Mächte.
Das Wasser mythisch ist die Macht,
Als ewiglicher Mutterschoß
Des wirklich Seienden gedacht,
Als Urprung, selber ursprungslos.
Das Zeitliche und das Bezirkliche,
Das gründet in der Göttlichkeit.
Denn in der Gottheit hat das Wirkliche
Die einzig wahre Wirklichkeit.
2
Parmenides schrieb schön Gedichte,
Die Muse war die Philosophie,
Er sah Visionen und Gesichte,
Sah Hagia Sophia, Sie!
Der Weise aus dem Haus der Nacht
Ging abseits von dem Volk der Städtchen,
Hat sich zur Reise aufgemacht,
Den Wagen zogen Sonnenmädchen.
Geöffnet hat sich ihm die Pforte
Der Wege all von Tag und Nacht.
Ein Mädchen dort, mit einem Worte:
Gerechtigkeit hat dort gewacht.
Er sah die Göttliche in Klarheit,
Sie gab ihm hohe Weisheit ein
Und offenbarte ihm die Wahrheit
Und unterschied sie von dem Schein.
Die Göttin Weisheit kündet Wahrheit,
Sind ihre Lippen gleich zwei Bibeln.
Denn Weisheit ist in Offenbarheit,
Nicht in der Menschenhirne Grübeln.
Sophia kommt im eignen Licht
Zum Menschen, der ihr nachgegangen.
Er wird sie schauen im Gesicht,
Wird Wahrheit in dem Geist empfangen.
Die Menschen schauen viele Dinge
In Vielheit an und Allgemeinheit.
Doch der Erleuchtete durchdringe
Zum Großen-Ganzen, zu der Einheit.
Die Menschen schauen Streit um Streit,
Wer aber kennt der Einheit Macht?
Grundwiderspruch ist so entzweit:
Der Frauen Licht, der Männer Nacht.
Vergänglich Dasein sei das Seiende?
Ach Torheit törichten Gedichts!
Die Wahrheit ist allein Befreiende!
Das Dasein ist aus Sein und Nichts.
Wer aber kennt das Nichts, den Trug,
Die Illusion, den leeren Schein?
Man rede nur mit Recht und Fug
Vom einzig wahren Sein allein.
Parmenides verkündet: Wißt,
Das ewigliche einig Ein,
Das einzig wahre Wesen – ist,
Das ist allein das wahre Sein.
Wenn alles Seiende-Vergängliche
Vergangen ist, was sichtbar leibt,
Vergangen ist das Todes-Bängliche,
Das Sein ist es allein, das bleibt.
Das Sein ist gleich nicht buntem Scheine
Im Treiben wilder Allgemeinheit.
Das Sein ist rein das ewig Eine,
Die Ruhe absoluter Einheit.
3
Sieh, Heraklit, von dem ich munkle
Und sprech von seinem hohen Ruhme,
Er ward genannt der mystisch Dunkle
Schon in dem dunklen Altertume.
Tiefsinnig aber Heraklit
Vollendet Anfang war der Alten.
Noch tausend Jahre tönt sein Lied,
Sein Weisheitsruhm wird nicht veralten.
Sie haben Ohren, hören nicht,
Und Lippen, können doch nicht sprechen,
Verschmähn das weisere Gedicht
Und halten sich für klug, die Frechen.
Doch über dem gemeinen Weltbild
Erhebt Frau Weisheit sich in Klarheit.
Ach Welt der Narren, wo das Geld gilt,
Die Allvernunft allein ist Wahrheit.
Vielwisserei wird dir nicht nützen,
Die Weisheit ist nicht bei Gelehrten,
Die nicht die Wissenden besitzen,
Umsonst die Weisen sie verehrten.
Unsterbliche Vernunft nur lebt
Verschüttet tief in den Gemeinen.
Das Volk der Wahrheit widerstrebt
Und widerspricht dem Einzig-Einen.
Die Narrenmenschen sind wie Schlafende,
Der Philosoph darf da nicht schweigen,
Er rede als der zärtlich Strafende:
Der Seele ist der Gott zu eigen!
Ja, meiner Seele ist zu eigen
Die Allvernunft der Weisheit und
Im philosophischen, im Schweigen
Betrete ich den Seelengrund.
Erst wenn sich tief das Selbst des Geistes
Fromm an das Wort der Weisheit bindet,
Des Herzens Herz (der Weise preist es)
Die Wirklichkeit der Weisheit findet.
Der Seele Grenzen unbekannt,
Wie Traumland, da die Seele schlief,
Ist weit und fern das Seelenland,
Das Wort ist unermeßlich tief.
Das in dem Dasein wirklich waltende
Allwesen ist die Allnatur,
Die Gottnatur, die nie veraltende
Natur in aller Kreatur.
Die Gottnatur hält sich verborgen,
Verbirgt sich gern in Wirklichkeit.
Das Licht verbirgt sich so im Morgen,
Das Eine in der Schöpfung Kleid.
Zweideutig ist die Wirklichkeit,
Das Dasein ist ein Doppelreich,
Verbirgt Natur der Ewigkeit
Und offenbart Natur zugleich.
Der Mensch ist aber, ist auch nicht,
Zwei Kräfte kämpfen im Theater
Zerrissner Welt aus Nacht und Licht,
Der Widersprüche Krieg ist Vater.
Da aber gilts, die Widersprüche
Zu deuten weise tiefer. Wißt,
In allem Dasein lebt die Psyche,
Die Herrscherin des Innern ist.
Die Widersprüche sich vereinen
So wie ein holdes Liebespaar
Und machen so den Sinn des Einen
In allem Werden offenbar.
In liebender Bezogenheit
Der Widersprüche Sympathie
Sich offenbart die Einigkeit
Unendlich schöner Harmonie.
Das Seiende des Daseins da
Des widersprüchlichen Vereins
Ist göttliche Harmonia,
In ihr ist wahrlich alles eins.
Das Werden wird so von den Frommen
Und Weisen ins vollkommne Sein
Zur Harmonie mit aufgenommen,
In Vielheit lebt das einig Ein.
Das eine Wesen doch, was tut es
In Wandlungen der Allgemeinheit?
Sich selber ewig wandelnd ruht es,
Im Allgemeinen reine Einheit.
4
Auf rechte Einsicht doch allein
Kommt es vor allem andern an.
Die wahre Wissenschaft soll sein,
Dann spricht ein wahres Wort der Mann.
Man soll verstehen, was man sagt
Und lege von den eignen Worten
Gott Rechenschaft ab. Gott geklagt
Sei das Geschwätz an allen Orten.
Willst du die Weisheit rein benennen
Und schönes Wort der Wahrheit finden,
So mußt du dich erst selbst erkennen,
Des eignen Herzens Herz ergründen.
Wir haben das nicht zu bedenken,
Was spricht von uns der Menge Narrheit,
Der Richter über unser Denken,
Der Eine ist es und die Wahrheit.
Was heißt, ein wahrer Mensch zu sein,
Mensch in Wahrhaftigkeit zu wandeln?
Die wahre Einsicht führt allein
Zu der Wahrhaftigkeit im Handeln.
Gibt Sokrates die Antwort nicht
Auf all die Wißbegier der Fragen.
Denn kaum begonnen erst, schon bricht
Er das Gespräch ab, nichts zu sagen.
Er ist wahrhaftig ja und echt,
Kennt eigene Unwissenheit
Darüber, was da gut und recht
In Augen der Wahrhaftigkeit.
Fragwürdig wird nur das Bestehende,
Die Weisheit sich erweist als Narrheit,
Das Seiende als das Vergehende,
Es bleibt nur Sehnsucht nach der Wahrheit.
Ist Eines aber das Gewisse:
Das Gute, das allein soll sein!
Woher denn Sokrates das wisse?
Das gab der Genius ihm ein.
Bedarf das nicht mehr des Beweises,
Trotz allen Spottens, allen Scherzens,
Denn er, Unwissender, er weiß es
Mit der Gewißheit seines Herzens.
Was sein soll, ist allein das Gute,
Allein das Gute ist das Glück,
Das Gute ist das Absolute.
Die Weisheit geht auf Gott zurück!
5
Es war voll Liebe Sokrates
Mit einer weisen Sympathie
Zum Knaben Alkibiades
Und zu der hohen Philosophie.
Platonisch liebte Sokrates
Als seines Lebens schönstes Glück
Den Knaben Alkibiades
Und hielt sich vornehm doch zurück.
Das ist die Lust des Philosophen,
Die Liebe zu der Philosophie,
Der anders liebt als niedre Zofen,
Liebt die Idee der Schönheit, Sie!
Des Philosophen holder Eros
Ist nicht gemeine Sinnlichkeit,
Ist nicht in Hurenhäusern Heros,
Ist frommer Liebe nur geweiht.
Dies, das erotische Verhältnis,
Dem schönen Knaben zugeneigt,
Ist wie ein mystisches Behältnis,
Dem Weisheit als ein Geist entsteigt,
Die Liebe zu der reinen Seele
Und zu der Seele Ideal,
Urania, der Weltallseele,
Der Göttin im Ideensaal!
Des weiblichen Geschlechtes Ehre
Bewahrt hat heilig Diotima,
Sie pries die Charis höchster Sphäre,
Nicht Cypria von Paphos-Ktima.
Die Seherin sprach voll der Weisheit
Von Eros‘ Kraft in Mantinea,
Pries schweigend in des Wissens Leisheit
Urania Sophia, Thea!
Sie sprach: Der Eros ist Verlangen,
In Schönheit als ein Geist zu zeugen.
Wer will zum Ideal gelangen,
Muß sich zu allem Schönen neigen.
Der liebt die reine Schönheit immer,
Der will die Schönheit ganz zu eigen.
Der weise Geist muß in dem Schimmer
Der Schönheit ewge Kinder zeugen.
Denn alles das vergänglich Schöne
Ist Reiz nur, flüchtig bunter Schimmer.
Doch die Idee der Schönheit, jene,
Sie ist des Weisen Liebe immer!
Wes Seele zeugungsfähig ist,
Der sucht die Schönheit überall,
Der nimmer Häßlichkeiten küsst,
Nur Schönheit mit des Eros Schwall.
Wenn in der Schönheit er des Leibes
Die Seele findet rein, erhaben,
Ehrt er den Genius des Weibes,
Liebt er die Seligkeit des Knaben.
Die Schönheit liebt er dann der Tugend
Und wird ein weiser Pädagoge,
Der schönen holden Knabenjugend
Zu sein der Weisheit Mystagoge.
Der wahrhaft Liebende liebt Leiber,
Der Leib ist heilig und erhaben,
Er liebt die Schönheit aller Weiber
Und aller wunderschönen Knaben.
Nicht einen Leib liebt er allein,
Er liebt die holden Seelen alle.
Der Seele Schönheit ist ihm rein,
Idee in der Ideenhalle.
Der Liebende als Pädagoge
Der schönen Knaben sinnt auf Tugend,
Er preist, der Liebe Mystagoge,
Der Jungfrau Tugend ewge Jugend.
Dann wird er lieben die Erkenntnis,
Die Schönheit schaut er wahrer Gnosis,
Er schaut die Gottheit im Bekenntnis,
Die Seelen heiligt durch Theosis.
Des Einen Diener er allein,
Das Eine ist ein Meer des Schönen!
Er wird ein Seher-Sänger sein
Und von der Gottheit Schönheit tönen!
Er wird das reine Wort gebären
In schöner Liebe zu der Weisheit.
Als Immerseiende in Sphären
Die schöne Liebe spricht in Leisheit.
Die Ewige, die Schönheit Gottes,
Die schöne Liebe ist ihr Wesen,
Der Weise hat trotz Narrenspottes
Sie zur Geliebten sich erlesen!
6
Besinnen wir die Entelechie,
Kennt jedes Lebende das Ziel
Des eignen Seins, Vollendung, die
Vollendet sich im Lebensspiel.
Die Welt drängt zur Vollkommenheit,
Das ist die Schönheit der Natur,
Die heilige Lebendigkeit
Der Strebenden, der Kreatur.
Die Welt ist von dem heißen Drang
Nach der Vollkommenheit durchwaltet,
Dies ist der Sehnsucht Allgesang,
In Selbstverwirklichung gestaltet.
Dem Menschen wie dem Lebewesen
Ist inne, ah, ein heißes Streben
Allein nach Gutem auserlesen
Und nach dem wahren Glück im Leben.
Der große universale Drang
Ist innre Teleologie,
Es ist der Sehnsucht Allgesang,
Gesungen von der Entelechie.
Was ist des Menschen wahres Gute?
Ist, daß er werde, der er ist,
Ein Mensch nicht nur von Fleisch und Blute,
Ein Mensch, von Gottes Geist geküsst!
Der Mensch in seines Wesens Grund
Ist gut geschaffen im Gemüte,
Doch soll er sich vollenden und
Verwirklichen die eigne Güte.
Was nun den Menschen allermeist
Von Kreaturen unterscheidet,
Ist die Vernunft, das ist der Geist,
Um welchen ihn die Welt beneidet.
So ist des Menschendaseins Sinn,
Das eigentümliche Vermögen
Zu bilden, bis er spricht: Ich bin
Vernunft, vom Geist ward mir der Segen.
Vernunft, sie ist das wahre Wesen
Des Menschen. Wer ist dieser Geist?
Vernunft, der Sinn antiker Thesen,
Ist die Erkenntnis allermeist.
Erkenntnis seines eignen Herzens,
Erkenntnis aller Kreatur,
Erkenntnis ist trotz Narrenscherzens
Der geistigen Vernunft Natur.
Erkennen wir den Anbeginn
Und Ursprung aller Kreatur?
Sprach je ein Anbeginn: Ich bin
Von ursprungsloser Gottnatur?
O allumfassende Bewegung
Der Welt! Was ist ihr Anbeginn
Und Ziel? Und was in der Erregung
Der Wesen ist ihr innrer Sinn?
Bewegungen, sie alle müssen
Im schaffenden Beweger gründen.
Und wie ins Meer der Lauf von Flüssen,
Wird alles in den Urschoß münden.
Die ursachlose Erstursache
Ist Quelle des bedingten Strebens.
Der Erstbeweger (Narr, nicht lache!)
Ist Ziel und Schlußpunkt alles Lebens,
Wie auch die Leidenschaft der Liebe
Von der Geliebten wird erregt,
So ruhen alle Sehnsuchtstriebe,
Wenn Freier sich zur Fraue legt.
So alles Streben in der Welt
Ist Selbstvollendung alles Lebens.
Drum man die eine Gottheit hält
Für das vollkommne Ziel des Strebens.
In einer Gottheit alles gründet,
Die Entelechie der Evidenz,
Dies Liebesstreben schließlich mündet
Ein in der Gottheit Immanenz.
Wenn schon der Mensch Vernunft besitzt,
Zu eigen ist der Gottheit Geist.
Geist in der Gottheit Busen sitzt,
Erkenntnis der Erkenntnis heißt.
Eins ist die Gottheit mit dem Geist,
Doch Gottheit ist noch mehr, noch mehr.
Der Geist erkennt die Gottheit, reißt
Sie an sich, liebt sie sehr, so sehr!
Der Geist glückselig ist versunken
Im Anschaun der geliebten Gottheit!
Der Geist ist der Erkenntnis Funken
Im Weltenmutterschoß der Gottheit!
7
Sah Zenon in der Philosophie
Die Kunst der Lebensführung, Kunst
Des Seelenfriedens. Aber die
Begierde Epikurs ist Dunst.
Des Menschen Sitte, Menschen Pflicht,
Die seiner Seele nur genügt,
Ist allgemeine Tugend nicht,
Ist Bild, das in dem Innern liegt.
Wer stimmt denn mit sich überein?
Wie findet man der Tugend Spur?
Du sei vereinigt mit dem Sein
Der wahrhaft wirklichen Natur.
Wer sich in seiner Seelenreinheit
In eins mit der Idee wird setzen,
Der lebt geborgen auch in Einheit
Mit ewig kosmischen Gesetzen.
Was ist das Wesen der Natur?
Was ist ihr Anfang, Sinn und Ziel?
Sie ist nicht blindes Chaos nur
Und Zufall, der Atome Spiel.
Ein mächtiges Naturprinzip
Ist, Feuer oder Lebenshauch,
Die Eine Gottheit habe lieb,
Die Griechen sagen Theos auch.
Der Gott der Götter aber ist
Das reine Pneuma, reiner Geist,
Die Allvernunft, der Logos ist
Weltseele, die Sophia heißt.
Die Gottheit, aller Wesen Wesen,
Unsterblich ist, begabt mit Geist,
Ein ewigliches Lebewesen,
Das Geist heißt und glückselig heißt.
Das ewiggöttliche Prinzip
Lebendig lebt in Wirklichkeit.
Weltseele Gottes habe lieb,
Die Gottheit allzeit trägt ein Kleid.
Die Weltvernunft durchdringt lebendig
Abwasser, Würmer und Verbrecher.
Die Welt ist geisterfüllt, verständig.
Gott ist der Wein, die Welt der Becher.
Die Welt der Menschen doch zumeist
Vor aller andern Kreatur
Stammt ab von Gott. Gott gibt den Geist,
Dem Menschen seine Gottnatur.
Die Menschen sind von Gottes Art,
Dies schäumte aus des Dichters Maul.
Die Weisheit wurde offenbart
Im Euangelion Sankt Paul.
KABBALISTISCHE THEOSOPHIE I
1
Preis der unsichtbaren Welt der Engel,
Lobpreis den erhabnen Intelligenzen,
Die die Ströme ewigen Lichts empfangen,
Das wird zugeordnet Gott dem Vater.
Preis den Engeln, die die Welt bewohnen,
Diesen sichtbarn Kosmos der Gestirne,
Welcher Gott dem Sohn wird zugeordnet,
Welcher ist die göttliche Sophia,
Die in Unermeßlichkeit des Raumes
Schuf die Himmelskörper Kreis um Kreise.
Preis der niedern Welt der Elemente,
Welche gut und schön ist, wohlgefallend,
Von den Philosophen zugeordnet
Gott dem Geiste, der das innerliche
Sein der Kreaturen ist, Gott-Seele.
2
In dem Urprinzip schuf Gott die Himmel
Und die Erde. Und die Gottheit Ruach
Hat gebrütet auf dem Meere Majim.
Wie hat Gott, das höchste reinste Wesen,
Diese niedre grobe Welt geschaffen?
Diese gegensätzlichen Wesenheiten
Dieser Welt und der erhabnen Gottheit
Brauchen sicherlich ein Mittlerwesen.
Als die Gottheit hat ihr Wort gesprochen,
Ward die Welt geschaffen in dem Worte.
Gottheit schuf im Urprinzip die Welten.
Was ist dieses Urprinzip? Die Ruach,
Geist planmäßiger Schöpferweisheit Gottes,
Geist der Schöpferkraft, im Worte wirkend.
Also spricht die göttliche Sophia:
Gott besaß mich, ehe Gott die Werke
Seiner Schöpfungen begann, als Anfang
Und als Urprinzip der Schöpfungswege.
Als der Herr den Himmel schuf, die Erde,
War ich mit ihm, Weltenarchitektin,
Seine Lieblingin und Throngenossin.
Darum preisen Weise so den Schöpfer
Und beginnen so die Bibel Gottes:
In der Weisheit schuf der Herr die Welten.
Nämlich sie, die göttliche Sophia,
Sie ist mehr als eine Hypostase
In der Gottheit, mehr als nur ein Weltplan,
Personifiziert von frommen Dichtern,
Sie ist göttliche Person, ist Gottheit.
Nämlich die verborgne eine Gottheit
Schöpferin wird offenbare Gottheit
In dem Worte Gottes, seiner Weisheit.
Was dem Einen ist der Logos Gottes,
Ist dem Andern Hagia Sophia.
Salomonisch heißt die Weisheit Gottes
Heilig Geist und Hauch der Allmacht Gottes
Und ein reiner Ausfluß aus der Gottheit,
Aus der Herrlichkeit der Allmacht Gottes,
Und ein Glanz vom Glanz und Licht vom Lichte
Und ein makelloser Jungfraunspiegel
Schöpferischer Kraft und Allmacht Gottes
Und Beisitzerin des Thrones Gottes.
3
Von der höchsten, ganz verborgnen Gottheit
Ist allein zu sagen, was sie nicht ist.
Sie, unwandelbare Eine, zeitlos,
Ist das absolute Sein, das reine.
Ich war, bin und werde sein die Gottheit!
Ja, ihr Wesen ist nicht zu erkennen,
Sie ist nicht das höchste Gut, All-Einheit.
Nimmer reicht an sie heran das Denken.
Nur wer mit dem Spekulieren aufhört
Und im reinen Glauben reinen Herzens
Über alle Widersprüche aufschaut
Zu der Einheit mystischer Versenkung,
Kann im innern Grunde seiner Seele
Einen Augenblick im Ozeane,
In dem Meer des Absoluten baden.
Mystische Vereinigung ist möglich,
Weil die unergründlich absolute
Eine Gottheit Urgrund alles Daseins
Ist und alles Einzelseins der Seele.
Ur-Idee der ewigen Ideen,
Ur-Idee ist Gottheit der Idee der Psyche,
Ist der Ort der Seele, ihre Heimat.
4
Hat die Gottheit selbst sich unterschieden,
Ist sie Geist, Sophia sie und Logos.
Ja, die göttliche Vernunft des Geistes
Ist die Krone aller Offenbarung,
Reiner Abglanz absoluten Wesens.
Nur im Geist erkennbar ist die Gottheit,
Vater aller Offenbarung, Urgrund
Der geschaffnen Dinge, Gott des Weltalls,
Allerhöchster Gott von Wort und Denken.
Dieser Geist als göttliche Sophia
Offenbart sich als die Gottheit Mutter,
Schöpferische Königin der Dinge
Und die Quelle aller Offenbarung,
A und O und Meisterin und Göttin,
Haus des Herrschers, Braut des Allerhöchsten.
Diese göttliche Sophia ist nun
Durch Sophias Offenbarung einzig
Vom begnadeten Geschöpf erkennbar.
Siehe, Vater Geist und Mutter Weisheit
Zeugen das geliebte Kind, den Logos,
Der Idee und Wort erschafft als Schöpfer,
Demiurg der ewigen Ideen,
Der Ideen alle unterscheidet
Durch die Setzung und die Gegensetzung
Und vereinigt alle die Ideen
In der Harmonie des Geistesreiches.
Nach dem Vorbild der Ideen aber
Schuf das schöpferische Wort die Dinge,
Christus, alle Körperwelt im Kosmos.
5
Immer mehr erkennen sie, die Weisen,
Doch das mütterliche Wesen Gottes,
Nämlich sie, die göttliche Sophia.
Sagen alle doch die Schriftgelehrten,
Daß der Bräutigam im Hohen Liede
Ist der Herr, und seine Braut und Freundin
Ist auf Erden seine Heilsgemeinde.
Aber diese Freundin Braut-Gemeinde
Ist im Himmelreich die Makellose,
Die Idee der unbefleckten Freundin.
Diese himmlische Geliebte aber
Ist die Braut des Herrn, des Lammes Nymphe.
Also wird in Ewigkeit im Himmel
Festlich zelebriert die Gottes-Ehe
Gottes mit der himmlischen Matrone,
Wo der Herr, der Herr der Heeresscharen,
Seiner Herrlichkeit ist ganz vereinigt.
6
Ihre Form besitzen alle Dinge
In der Ur-Ideen Geisteswelten,
Ihre Form besitzen die Ideen
In der Gottheit, Quelle aller Wesen.
Drei Personen sind im Geistesreiche,
Sind die höchste Macht, das Wort, die Weisheit.
Denn die höchste Macht ist die Erkenntnis,
Die Erkennende ist Herrin Weisheit,
Das Erkannte ist das Wort des Lebens.
Denn die höchste Macht, das ist die Liebe,
Doch die Liebende ist Freundin Weisheit,
Der Geliebte ist der Logos Christus.
In der einen absoluten Gottheit
Ist Vereinigung der zwei Personen
In vereinender Person der Liebe.
Doch die Liebende und der Geliebte
Und die Liebe selbst sind eins und einig
In der einen absoluten Gottheit,
Welche ist die Quelle allen Liebens.
Die Ideen nun der Liebesgeister
In der Gottheit sind vollkommen, heilig.
Aber in der Welt die Lebewesen
Sind vollendet nur in solchem Maße,
Wie sie Anteil haben an der Liebe.
Dieses ist der Spalt in der Granatfrucht,
Dieses ist der Saft in der Granatfrucht,
Dieses ist der Lusthain der Granatfrucht.
7
Also nähern Juden sich und Heiden
Menschlich sprechend Gott, der unaussprechlich,
Nennen Gott sie einen Greis, den Ur-Ahn,
Nennen Gott sie Schechinah und Ruach
Oder Hauch, die schöpferische Mutter,
Nennen Gott den Sohn und den Messias,
Der ist Demiurg der Körperwelten.
8
Ewig ruht die eine dunkle Gottheit.
Sie, die Ewige, die Absolute,
Sie erhebt sich zu dem Selbstbewußtsein
In Sophia, Urquell der Ideen,
Die den Schöpfungsplan in sich begriffen.
Die Unendliche, die Grenzenlose
Faßt sich selbst als universale Einheit,
Die All-Einheit, Wesen aller Wesen,
Wenn auch noch nicht Wirklichkeit geworden
Sind die Ur-Ideen aller Wesen.
Der Ideen Ur-Idee, Sophia,
Faß das reine Sein als Bild von Wesen,
Als Imago Gottes in den Dingen.
Da ergeht die Ur-Kraft, Kraft der Kräfte,
Reine schöpferische Kraft des Geistes,
Und verwirklicht alle die Ideen.
Diese Kraft ist Gottes Schöpferwille,
Hauchend, brütend schafft sie Wirklichkeiten
Nach den Bild-Ideen in Sophia,
Die Inkarnationen der Sophia
Als des unbefleckten Bildes Gottes.
9
Gottes erste Offenbarungssphäre
Ist das ebenbildliche Vernunftreich.
Die Vernunft hat ihre höchste Krone
In unmittelbarer Schau der Gottheit.
Aus der Schau des Angesichtes Gottes
Geht hervor die Weisheit als Erkenntnis,
Die Vision der Intelligenzen oder
Theorie der menschlichen Erkenntnis.
Der Verstand steht aber ihr zur Seite,
Der Verstand verwirklicht alle Weisheit
Als ein schöpferischer Wirkungswille,
Göttlich wirkend in den Wirklichkeiten,
Als die Prägung Gottes in den Welten.
10
Auch andeutend reden weise Seher
Von dem allerersten Tun der Gottheit,
Von der Zeugung göttlicher Sophia
Als der göttlichweiblichen Genossin
Gottes. Ihrem Schoß entnahm Gott Welten,
Alle Seelen, Lebewesen, Dinge.
Gott schrieb auch im Geiste der Sophia
Seiner Weisung Weisheit von der Liebe!
11
Wer ist aber voll von Gottes Segen?
Segen ist der Anfang aller Wege,
Anfang aller Wege ist die Weisheit,
Anfang aller Weisheit ist die Ehrfurcht
Gottes. Weisheit also ist der Segen.
Gott gab Salomo den Segen Gottes,
Gott gab Salomo die Weisheit Gottes.
Solcherlei ist ähnlich einem König,
Der die eigne königliche Tochter
Seinem Freunde gibt zur Brautgenossin,
Zu ihm sprechend: Tu mit ihr nach Wunsche!
12
O Sophia, Rose unter Dornen,
O Sophia, Rose ohne Dornen,
O Sophia, rote, weiße Rose,
O Sophia, Richterin der Seelen,
O Sophia, ewig schöne Liebe,
O Sophia, Mutter voll Erbarmen,
O Sophia, deines Schützlings Schutzfrau,
O Sophia, schöner Kelch der Rose,
O Sophia, Becher voll der Gnade,
O Sophia, benedeiter Becher,
O Sophia, Becher zwischen Fingern,
O Sophia, rosengleicher Becher,
O Sophia, bechergleiches Becken,
O Sophia, Schoß voll Rauschtrank Jahwes!
KABBALISTISCHE THEOSOPHIE II
1
Jahwe segnet Abraham mit Allem.
Gab der Herr dem Frommen eine Tochter?
Sprach der eine Rabbi aus den Juden:
Jahwe segnet Abraham mit Allem,
Dieses heißt, er gab ihm keine Tochter.
Sprach der andre Rabbi aus den Juden:
Jahwe segnet Abraham mit Allem,
Segnete den Freund mit Bakol: Allem,
Siehe, Bakol, das ist seine Tochter.
Bakol ist die Schechinah der Gottheit,
Tiefste Kraft der Offenbarung Gottes.
Dieser Schechinah wird nun zum Vater
Abraham, Gesegneter Jehowahs.
Jahwe segnet Abraham mit Allem,
Jahwe sprach: Es wird genannt das Alles
Nach dem makellosen Namen Gottes.
War die Segnung also seine Tochter
Oder war die Segnung seine Mutter?
Siehe, dieses gleich ich einem König,
Welcher hatte einen treuen Sklaven.
Sprach der König: Was soll ich dem treuen
Und gerechten Sklaven Gutes geben?
Ich empfehl ihn meinem lieben Bruder,
Daß er ihn berate und beschütze,
Daß der Sklave lern des Bruders Weise.
Ging der Sklave also mit dem Bruder
Und erlernte seine Art und Weise.
Da gewann der Bruder lieb den Sklaven
Und er nannte ihn: Mein Freund und Bruder!
Was soll ich dir Gutes tun und geben?
Sieh, da hab ich einen schönen Becher,
Sind im Becher schöne Gnadenströme,
Sind des großen Königs Gnadenströme.
Siehe, diesen Kelch der Ganzhingabe
Will ich dir vertrauen, diesen Becher,
Daß du trinkst daraus den Trank der Gnaden.
Das ist, was geschrieben in den Schriften:
Jahwe segnet Abraham mit Allem!
2
Gott der Herr hat Abraham gesegnet
Mit der Bakol, seinem Ein-und-Alles.
Aber wer ist Bakol, diese Tochter
Abrahams, der Segen seines Gottes?
Spricht sie: Wer mich sucht, der wird mich finden,
Ist sie dann denn nicht die Chochmah Gottes?
Wer mich liebt, den werd ich wieder lieben.,
Sagt die Chochmah Gottes ihren Minnern.
Gott der Herr gebot dem Engelfürsten
Metatron, des Angesichtes Engel,
Diesen Schatz, die Segensgabe Gottes,
Hin zum Freunde Abraham zu tragen.
Da erkannte Abraham: Dies Alles
Ist die Gegenwart der Gottheit Jahwe,
Ist die Schechinah, allgegenwärtig
Ist die Schechinah an allen Orten,
Gegenwärtig Jahwe ist in Allem,
Gegenwärtig Schechinah in Bakol,
Abrahams gebenedeiter Tochter.
3
Voll der Glorie Gottes ist die Erde,
Erde, die am ersten Tag geschaffen,
Die Idee des Landes der Verheißung,
Welche voll ist von der Glorie Gottes.
Wer ist sie, die Glorie jener Erde?
Ist Sophia, denn es steht geschrieben:
Glorie ist das Eigentum der Weisen.
Darum heißt es auch: Gegrüßet seist du,
Glorie Gottes an dem ewigen Orte!
Wer ist Gottes Glorie? Hört ein Gleichnis:
War ein König einst, in dessen Kammern
War die Königin, an deren Schönheit
Aller Engel Scharen sich entzückten.
Königin und König hatten Söhne,
Jene Söhne aber kamen täglich,
Um den großen König anzuschauen,
Ihn zu grüßen und zu benedeien.
Sprachen sie zu ihm: Wo ist die Mutter?
Sprach der König: Ihr könnt sie nicht sehen.
Sprachen daraufhin der Mutter Söhne:
Mutter, Königin, gegrüßet seist du,
Wo du immer bist, geliebte Mutter!
Ist doch keiner da, der deinen Ort kennt.
Du bist so wie eine Königstochter,
Wie ein schönes Mädchen aus der Fremde,
Wußte keiner, wo sie hergekommen,
Doch sie sahen, daß das schöne Mädchen
War voll Anmut, Einsicht, Kraft und Sanftmut.
Sprachen drum die Menschen: Wahrlich, wahrlich,
Diese ist gekommen von dem Lichte,
Ist gekommen aus des Lichtes Seite,
Denn durch sie wird diese Welt erleuchtet.
Sprachen drum die Menschen: Woher bist du?
Sprach die Frau: Ich bin aus meinem Orte.
Sprachen da die Menschen: Ganz gewißlich
Selig sind die Leute deines Ortes,
Sei gegrüßt an deinem schönen Orte.
4
Wer kennt sie, die doppelte Sophia?
Zwei Äone der Sophia gibt es.
Steht die obere Sophia droben
In dem Himmel über allen Himmeln,
Geht die untere Sophia drunten
Als die lichte Jungfrau auf der Erde.
Denn Sophia ist die höchste Krone,
Offenbarung der verborgnen Gottheit,
Und Sophia ist das Reich der Himmel,
Heute schon auf Erden angebrochen.
Also ist Sophia schlichthin Weisheit,
Weisheit, Anbeginn der Wege Gottes.
Als der Herr dem Salomo die Weisheit
Gab ins Herz gemäß dem Traumgebete,
Machte Gott die obere Sophia
Wie die untere Sophia, also
Daß sie Salomo erfassen konnte.
Diese untere Sophia ist die
Königstochter, Salomos Vermählte.
Ist die obere Sophia Weisheit
Gottes, Anbeginn der Wege Gottes,
Ist die untere Sophia Weisheit
Salomos, Geschenk des Herrn, Vermählte.
Doch die mystische Sophia bräutlich
Nicht allein Vermählte Salomonis
Ist sie, ist auch Elohims Vermählte.
Elohim sprach also zu Sophia:
Komm, Geliebte, du sollst Salomonis
Freundin werden, Schwester, Braut, Vermählte.
Das ist die Sophia, welche droben
Ist im Brautgemach, der Himmel Himmel,
Elohim vertraut als Brautgenossin.
Sie wird Salomo mit Weisheit helfen,
Recht zu sprechen unter seinem Volke.
Denn sie liebt Gerechtigkeit und Rechtsspruch,
Die Gerechten liebt sie, flieht die Frevler.
5
Wer ist sie, des Lichtes Königstochter?
Ganz verborgen ist die Königstochter,
Doch erscheint sie in der Offenbarung.
Diese Königstochter ist wie Vollmond,
Ist die offenbare lichte Tochter.
Doch sie ist zugleich wie dunkler Neumond,
Die verborgne und geheime Tochter.
So die offenbare Königstochter
Ist die untere Sophia, welche
Ist die Königin, ist Matronitha,
Die die Königssöhne alle suchen.
Sie kam in die Welt, die Welt zur Wohnung
Nahm sie sich, die Welt zur dunklen Wohnung,
Sie stammt aber aus der Form des Lichtes.
Göttliche Bestimmung dieser Tochter
Ist es, in der dunklen Welt zu wirken
Und auf jene Stätte hinzuweisen,
Jenen Lichtort, welcher ihre Heimat.
Die genommen aus des Guten Seite,
Vom verborgnen guten Lichte Gottes,
Wird der untern Welt gezeigt als Midda,
Jungfrau Midda, Hypostase Gottes.
Diese Tochter, diese Jungfrau Midda,
Ist Sophia, Abglanz von dem Urlicht,
Wie es heißt im Brautlied der Sophia:
In ihr glänzt der lichte Strahl des Königs!
6
O die Herrscherin im Reich der Himmel
Ist die Weiblichkeit der Wohnung Gottes,
Die Einwohnung Gottes in dem Kosmos,
In Ecclesia, der auserwählten,
In den Freunden und Propheten Gottes.
Diese göttlichweibliche Erscheinung
Ist die Midda Gottes, Urzeit-Göttin,
Die Sophia mystischer Erkenntnis,
Ist die Mondin, Spiegelbild der Sonne,
Ist die Tochter Gottes, ist die Jungfrau,
Ist im Hieros Gamos Brautgenossin,
Ist die Lebensfrucht des Lebensbaumes.
Sie, Einwohnung Gottes, sie ist göttlich,
Göttliche Person, Präsenz der Gottheit.
Wer ihr beiwohnt, ist ein Liebling Gottes!
7
Da wo zwei und drei in Gottes Namen
In der Bibelschule sich versammeln,
Schechinah ist mitten unter ihnen.
Wie ist nun die Zahl der Schechinatha?
Ist es eine, sind es drei, sinds sieben?
Sinds Zehntausende, sinds Myriaden?
Eine ist die Schechinah, die Einheit
Gottes in der Schöpfungswelt bezeugend.
(Manichäer irrten im Gewimmel
Der Äonen und der Gnosis Ketzer
Irrten unter tausend Hypostasen.)
Eine ist die Schechinah, die Gottheit
Gegenwärtig in geschaffnen Welten.
Aber schauend ward ich und ich schaute
Schechinah im Körper in dem Himmel,
In dem Pneumakörper eines Menschen,
Und sie sprach ihr Wort zu Menschensöhnen:
Voller Fleiß im Studium der Weisheit,
Wird der Herr dich Fürsten zugesellen.
8
Der Ecclesia Idee, die Jungfrau
Gottes, ist die Königstochter Zion.
Aber sie ist nicht die Hure Babel.
Sie ist Gottes ehelich Vertraute,
Gott vertraut im ewigen Ehebunde,
Tochter, Braut und heilige Matrone.
Ihre Weiblichkeit ist unanstößig
In der Theologen reinen Augen,
Denn sie ist das Ideal der Menschheit.
Sie ist Mirjam, Gottes erster Liebling.
9
Du sollst überhaupt nicht Gott erschauen,
Wenn du ihm nicht nahst mit der Matrone.
Wenn du der Matrone Antlitz schautest,
Sahst sie an des Feiertages Ruhe,
Dann bring Gott dem Herrn ein Lobpreisopfer.
Sie, die schöne Braut des Hohen Liedes,
Ist das Feld, in welches Gott gesät hat,
Und ist das Gefäß, gefüllt mit Ur-Kraft.
Ja, die Glorie Gottes gleicht dem Felde,
Welches liegt an einem schönen Garten,
Wird aus einem hohen Ort befruchtet,
Wenn auch alles eins ist, eins und alles.
Diese Braut ist Kelch der Ganzhingabe,
Aber auch das Mutterherz der Gottheit.
Er, der König, ist in den Gemächern,
Heimlich in den inneren Gemächern.
War ein Weg zu jedem der Gemächer.
Ziemt es nun sich für den reinen König,
Jedermann auf diesen seinen Wegen
In das innerste Gemach zu führen?
Aber ziemt es sich für solchen König,
Perlen, Edelsteine und Juwelen,
Seine Schätze allen zu verbergen?
Darum nahm nun Gott der Herr die Tochter,
Und in ihrem Leib und ihren Kleidern
Faßte er die Wege all zusammen
Zu dem einen wahren Weg der Wege.
Wer das Innerste betreten möchte,
Der anschaue nur die Tochter Gottes.
Gott der Herr nennt sie in seiner Liebe
Meine Tochter oder meine Schwester,
Meine Mutter (wahrlich, Gottes Mutter)!
10
Sieh, der König hatte eine Tochter,
Gut und schön, anmutig und vollkommen,
Die vertraute er dem Sohn des Königs.
Und er gab ihr Kleider, Schmuck und Krone,
Gab die reiche Braut dem Königssohne.
Kann der König ohne seine Tochter
Leben, kann er fern der Tochter leben?
Kann er bei ihr sein zu jeder Stunde?
Zwischen sich und ihr macht er ein Fenster,
Immer wenn die Tochter braucht den König
Oder wenn der König braucht die Tochter,
Kamen sie zusammen an dem Fenster.
Ja, der König baute seiner Tochter
Einen heiligen Palast und Tempel
Und er sprach: Wer beiwohnt meiner Tochter,
Ist im Inneren des großen Königs.
Diese Tochter gleicht der schönen Aue
Außerhalb des innern Liebesgartens,
Doch mit aller Schönheit in dem Garten
Ist die Aue innerlich verbunden.
So vom Jenseits wandelte die Tochter
In das Diesseits. Droben heißt sie Glorie
Gottes, aber drunten Herz des Himmels.
Sie ist Schutzfrau aller Auserwählten.
Stammend aus der reinen Form des Urlichts,
Läßt sie sich auf den Gerechten nieder.
Welcher König trägt den Namen Gottes,
Diesem wird vermählt die Königstochter.
So vermählt der König seine Tochter,
Sprechend zu dem Brautgemahl der Tochter:
Tu mit ihr nach deinem Herzverlangen!
Die Geliebte ist die Paradiesfrucht,
Die gespaltne Dattel an dem Palmstamm.
Wer sie je erkennt, der ist im Himmel,
Der taucht droben in das Meer Sophias.
Die von Israel verworfne Perle,
Die Geliebte gibt sich dort dem Gatten.
ABENDLÄNDISCHE MYSTIK
1
Gepriesen die Jungfräulichkeit,
Jungfräuliche Enthaltsamkeit,
Die höher als die Ehe steht.
Die Jungfrau lebt allein für Gott.
Die neuplatonische Sophie
Und der Asketen Geistigkeit
Vereinen sich zum mystischen
Urchristentum in Gottes Geist.
Die reine Bibelfrömmigkeit
Und neuplatonische Sophie
Vereinen zur asketischen
Hingabe an den Christus sich.
Der Mensch wird dann ermächtigt erst,
Zu schauen göttliche Natur
Im eignen tiefsten Seelenkern,
Wenn er purgiert, geläutert ist.
Im Menschen lebt ja die Begier,
Zu schaun das Höchste Gute an.
Erreichbar ist das Höchste Gut.
Im Menschen selber liegt die Norm,
Die Göttliches erfassen läßt.
Als Gott den Menschen nämlich schuf,
Prägt er der menschlichen Natur
Das Ebenbildnis Gottes ein.
Wie Mose stieg, der Gottesmann,
Hinan zum Gipfel Sinai,
So steigt der Mensch zu Gott hinan.
Jenseitig ist der Gottheit Sein.
Die Gottheit in der Wolke wohnt,
Ist über der Erkenntnis fern,
Ist unbegreiflich. Niemand sah
Die Gottheit, nie sah sie ein Mensch.
Verhüllt in dunkler Wolke Gott,
Verborgne Gottheit, offenbar
Ward sie in Christus, Gottes Bild,
Der Christusmystik Urbegriff.
Verzehrt die Seele sich nach Gott,
Verzehrt vor Liebe sich die Braut,
Ist Christus Freund und Bräutigam,
Ein leidenschaftlich Liebender!
Der Seher in der Wolke bleibt,
Nichtwissens Wolke. Aber Gott
Im Seelenspiegel wird geschaut,
Ist nur die Seele erst purgiert.
Teilhabe an der Gottheit ist
Der Seele Leidenschaftsbegehr.
Die Sehnsucht bleibt, denn Gott ist groß,
Unendlich, unfaßbar ist Gott.
Die Schau im innern Seelenkern,
Verborgner Gottheit dunkle Schau,
Teilhabe an der Gottheit ists.
Die Weisheit wohnt der Seele ein.
2
Geist, steige auf den Gottesberg!
Bekehre dich und gib dich hin,
Du wirst gewürdigt werden der
Einsprache durch den Heiligen Geist.
Erlange erst die Apathie,
Frau Weisheit rein von Leidenschaft,
Dann strebe nach der geistigen
Erkenntnis der Dreieinigkeit.
Erkennen wird allein den Herrn,
Wer lebt das göttliche Gebot
Der Ganzhingabe an den Herrn
Und wer die Nächstenliebe übt.
Erfahrung seiner Sinne wird
Von Gottesliebe überhöht
Zu der Erkenntnis in dem Geist
Durch intuitive Gottesschau.
Der Seele Spiegelbild sei licht,
Gereinigt sei zur Gottesschau,
Dann betet Gott in dir als Geist
Gebete reiner Kontemplation.
Wer aber wahrlich sagen kann:
Ich habe Gott den Herrn geschmeckt!
Der spreche als ein Mystagog
Zu Seelen seiner Weisheit Wort.
Doch Wachen, Fasten, Demut, Psalm
Und gute Werke nutzlos sind,
Wenn du nicht Gott den Herrn geschmeckt,
Die Milch aus seiner Mutterbrust...
Hygiene sei gebendeit:
Sei immer dein Gedanke still,
Laß ab vom Heidenplappern, sprich
Allein den Namen Jesus aus!
3
Wenn wir zu Jesus Christus schaun,
Urgöttlich seliglichem Licht,
Und steigen wir dann möglichst hoch
Die Stufen zu der Gottesschau,
Dann werden wir erleuchtet sein
Von geistiger Erkenntnis Licht.
Wir treten nicht nur selber ein,
Wir führen Andre auch zum Licht.
Wir werden dann zur Lichtgestalt
Und lösen in den Andern los
Die eigne innre Lichtgestalt
Und sind gesalbt von Gottes Geist.
So steige du zu Gott hinan,
Der Gipfel aber ist nicht Licht,
Der Gipfel ist die Dunkelheit
Und tief vertraute Schweigsamkeit.
Dreifaltigkeit, o einig Ein,
Du Über-Gottheit, mehr als gut,
Du Wächterin der Theosophie,
Führ uns zum mystisch dunklen Wort,
Wo heilige Mysterien
Der Gottesweisheit offenbar
Und wo des Schweigens Dunkelheit
Erleuchtet tief der Wahrheit Reich.
Im Schweigen werden offenbar
Geheimnisse der dunklen Nacht.
O dunkle Nacht der Schweigsamkeit,
Du schöner als die Schönheit selbst!
So kehre in dein Innres ein
Und werd dein selber inne, Herz,
Und steige über die Idee
Der Schönheit noch hinan zu Gott!
Wem Gottes Liebe gnädig ist,
Der wird gelangen in der Nacht
Bis an die Schwelle des Gemachs,
Gottmenschlicher Verschmelzung Schoß.
Erst wenn du nackt von allem bist
Und zogst auch aus dein eignes Ich,
Hingebungsvoll ekstatisch wirst
Du eingehn in die Dunkelheit,
Gehst ein der Dunkelheit des Lichts,
Urgottheit einst ergoß das Licht,
Wirst in der Gottheit du ein Nichts,
Von allem Wesen nackt, in Gott.
Urgottheit in der Finsternis,
Der Weise ist vor dir ein Narr,
Und schaut er Gottes Angesicht,
Bleibt Gott doch ewig unerkannt.
Der Weise aber wahrlich weiß
Kraft seiner Torheit dies von Gott,
Daß Gottheit unerkennbar ist
Und alle Weisheit wahrlich nichts!
Und doch die geistige Natur,
Der Mensch, hat an der Gottheit teil
Durch Weisheit, Sein und Gnadenhuld,
Denn Gottheit schenkt sich frei aus Huld.
Agape wird dich leiten, Mensch,
Agape sei dir Führerin!
Zur wahren Gnosis du gelangst,
Gehst du auf der Agape Weg!
Agape singt ihr Hohes Lied,
Agape wählt sich zum Symbol
Den Eros Gottes offenbar,
Ist Gott der Herr dein Bräutigam!
4
Die Mutter in der Agonie
Nun bei dem Sohn und Christen war.
Der Mutter allerletztes Wort
Wird nun gesprochen zu dem Sohn.
Wir sprachen also schön allein,
Vergaßen alles, innig süß,
Da fragten wir im Angesicht
Der Wahrheit nach der Ewigkeit.
Wir fragten, wie das Leben sei
Der Geister in Glückseligkeit.
Voll heißer Inbrunst flogen wir
Zum einen wesenhaften Sein,
Ja, stufenweise durch die Welt,
Die Körperwelt, das Himmelreich.
Zurück die Erde blieb, der Mensch.
Vorm innern Auge aber stand
Sophia, Eine, Ewige,
Unwandelbare, Göttliche!
Die Mutter und der Sohn und Christ,
Sie wurden angerührt vom Geist,
Von einer holden Geistperson,
Bisher aus Schriften nur bekannt,
Doch nie in ihrer Existenz
Ergriffen sie von ihr bisher.
Dieweil wir sprachen so vom Tod
Und von Sophia bei dem Herrn,
Voll Sehnsucht nach Sophia, da
Liebkoste Sie die Seelen uns!
5
Wer naht sich der Vollkommenheit,
Dem wird erscheinen Gott der Herr
Nicht mehr gestaltlos, einig Ein,
Ein Überwesen, absolut,
Gott kommen wird dann in Gestalt,
In einer göttlichen Gestalt,
Erscheint nicht nur in einem Bild,
Nicht nur in Abglanz, Schatten, Spur,
Vielmehr in seiner Einfachheit,
Gebildet durch das reine Licht,
Das unaussprechlich lieblich ist,
Davor versagen Wort und Lied.
Er bietet sich den Blicken dar,
Erkennbar ist er, deutlich, klar,
Er spricht in einem stillen Hauch
Und hört das innere Gebet.
Er ist die Gottheit von Natur,
Der er zu Gnadengöttern spricht
Und spricht zu Gnadengöttinnen,
Gottheiten, welche Gott gemacht.
Er spricht mit ihnen wie ein Freund
Und ein verliebter Bräutigam,
Von Angesicht zu Angesicht
Mit seiner Freundin, die er liebt.
Der Geist wird seinen Freunden dann
Die wahre Heimat, Himmelsruh,
Wird Purpurperle, Samenkeim,
Wird Wasser und wird Feuer sein,
Wird Speise und wird Lebensquell
Und Ruheort und Brautgemach.
Gott ist der Bräutigam, der Freund,
Der liebe väterliche Freund.
Unsagbares, wer spricht es aus?
Wer aber Gott den Herrn geschaut
Von Angesicht zu Angesicht,
Der singt nur noch der Liebe Lied.
6
Der Dichter wird zum Seher auch,
Begleitet ihn der Philosoph,
Den göttliche Sophia schickt
Zum steilen Weg hinan zu Gott.
Wohl muß er durch die Hölle selbst,
Durchs Fegefeuer muß er auch.
Da scheidet er, der Philosoph,
Die göttliche Sophia kommt.
Am Ort der Buße Tränen sind,
Die göttliche Sophia mahnt,
Der Narrenweisheit dieser Welt
Ging allzulang der Dichter nach.
Die göttliche Sophia strahlt
In ihrer Himmelsschönheit auf
Und trägt den Dichter Arm in Arm
Süß lächelnd durch das Paradies.
Der Doctor Marianus preist,
Der Doctor Caritatis preist
Maria, Rosa Mystica,
Da schaut der Geist die Schau von Gott:
Wie Licht von Licht in Licht sich schlingt
Und in dem Licht ein Angesicht,
Der Gottmensch strahlend stand vorm Geist,
Der preist die Liebe: Sie ist Gott!
7
Mein Herz, das Herz der Freundes, schwang
Sich auf zu des Geliebten Höh,
Damit sein Lieben nicht beengt
Vom Pfuhle dieser Erde sei.
Des Freundes Herz zum Liebling kam
Und schaute ihn in süßem Glück.
Doch der Geliebte schickte mich
Zur Welt zurück, zum Sehnsuchtsleid.
Der Freund sprach zum Geliebten so:
Du bist mein Ein-und-Alles, Sein,
In allem du, mit allen du,
Ich will dich ganz und dich allein.
Sprach der Geliebte zu dem Freund:
Ich werde ganz dein eigen sein,
Wenn du dich ganz allein mir schenkst.
Der Freund sprach: Ich bin dein allein.
Und der Geliebte sprach: Was bleibt
Für deine Freundinnen, mein Freund,
Und für die lieben Kinderlein?
Der Freund sprach: Sei in allen du!
8
Ich forschte in der Heiligen Schrift
Und hab gefunden und erkannt,
Daß Gottesliebe dreifach ist:
Ist Glut, ist Liebeslied, ist Lust!
Das ist der Gottesliebe Glut,
Wenn von der Liebe ist ein Geist
Entflammt und liebevoll das Herz
Der Gottesliebe Glut erfährt.
Ein Herz, das Feuerflamme wird,
Das fühlt der Liebe weiße Glut.
Der Liebe rotes Feuer wird
Der Gottesliebe weiße Glut.
Das Liebeslied ist aber das,
Wenn eine Seele voll Gesang
Des Geistes der Lobpreisungen
Und all sein Glaube Harmonie.
Die Liebe, überströmende
All-Liebe Gottes ist Gesang,
Der rauschend in die Seele strömt,
Weltharmonie in Gottes Geist.
Doch Liebesglut und Liebeslied
Erfährst du nicht im Müßiggang,
In Ganzhingabe nur an Gott,
Dann wird das Höchste dir: die Lust!
9
Ist in der Gottheit Trinität:
Ist Vaterschaft im einig Ein,
Ist im Messias Mutterschaft,
Ist Herrschaft in dem Heiligen Geist.
Allmächtiger ist Gott der Herr,
Der Vater gab uns das Gesetz,
Der Richter aller Toten er
Und Richter aller Lebenden.
In Jesus ist die Mutterschaft
Des neugebornen Gläubigen,
In Jesus neugeboren ist
Der Mensch ein Kind der Mutter Gott.
Der Geist, der Heilige, ist Herr.
In Treue und Gehorsam sei
Und Liebe ganz ergeben sei
Dem gnadenvollen Herrn der Mensch.
Ja, wahrlich, wie die Mutter ist
Zu einer Tochter, einem Sohn,
Wie eine Mutter ist zum Kind,
So ist zu mir in Jesus Gott.
10
Es geht die Allerliebste nun
Zum Allerschönsten ins Gemach,
Die Kammer seiner Göttlichkeit,
Und findet dort der Liebe Bett
Bereit der Seele und dem Gott.
Der Herr spricht: Komm, geliebte Frau,
O Seele, und erhebe dich.
Spricht Psyche: Was gebietest du?
Spricht er: Du sollst vollendet sein.
Spricht sie: Wie soll mir das geschehn?
Frau Seele, du bist also schon
Von meiner heiligen Natur,
Nichts zwischen dir und mir hat Raum,
War nie ein Engel je so schön,
Daß ihm ward einen Augenblick,
Was dir wird eine Ewigkeit.
Drum leg die Tugend von dir ab
Und lege ab die Furcht und Scham.
Nur die der innersten Natur,
Die Reinheit sei allein dein Kleid.
Dies Kleid der innersten Natur
Ist nichts als Sehnsucht und Begehr,
Die ich dir auch befriedigen
In meiner Ganzhingabe will.
Die Seele spricht: Nun bin ich nackt
Und du ein Gott in Herrlichkeit
Und unsere Vereinigung
Ist ewig schöner Liebe Lust!
Und da erfüllt sich beider Wunsch.
Da ist es um sie beide still.
Er gibt sich ihr, sie gibt sich ihm.
Sie weiß, wie ihr geschehen ist.
11
Es spricht der Herr: Erkennst du nicht
Dies dein verborgnes Himmelreich?
Umfing dich liebevoll das Reich
Und hat dir oft den Weg verstellt,
Wenn du zu fremder Minne gingst,
Bis dich die wahre Minne nun
Gewonnen für sich selber hat,
Zu der du auch berufen bist.
Nun tu die innern Augen auf
Und siehe, wer ich bin, spricht Gott.
Ich bin Sophia, göttliche
Sophia, ewig eine Frau
Sophia, die in Ewigkeit
Ich in der Providentia
Dich auserwählt für mich allein,
Bin Frau dir, du mein Ehemann!
12
Nicht durch den Scharfsinn der Vernunft
Und Streben unsrer Forschungen
Erlangen wir den wahren Grund
Der Gnosis, der pneumatischen.
Die Forschung fängt im Hunger an,
Der Seele Hunger nach dem Licht.
Vernunft erkennt astralische
Weltkörper voll der Weltvernunft.
Die Seele forscht in ihrem Stern,
In ihrem geistgehauchten Reich,
Studiert die innerliche Welt,
In der sie ruht mit ihrem Grund.
Dort ist die theosophische
Pfingstschule, wo die Seele lernt,
Was Gott ihr alles beigebracht
Von Weisheit aus dem Lebensbuch.
Die Bibel in dem Seelengrund
Muß jeder Geist studieren selbst.
Kein Andrer lehrt die Weisheit ihn,
Der Rabbi ist der Herr allein.
13
Die Mystik ist geheimnisvoll
Verborgene Erkenntnis, die
In dem verborgnen reinen Sinn
Ereignet sich geheimnisvoll.
Die Seele heimlich Umgang hat
Mit dem geheimen Bräutigam.
Das weiß kein Weiser dieser Welt,
Wie sie, die Gott-Sophia, wirkt.
Die Ischa Chochmah ist die Braut,
Die sich erwählte Salomo,
Sie ist die Minnedame, ist
Der Christus, welcher auferstand.
Eh nun ein Mensch zur Neugeburt
Im Mutterschoß von Heilig Geist
Gelangt ist, wird er kennen nicht
Der Gottesliebe Brünstigkeit.
Der Schöpfer durch den Menschensohn
Im Geist der Liebe brennt vor Glut,
Das spürt nur ein bekehrtes Herz,
Gereinigt durch die Kreuzigung...
Wenn aber diese Neugeburt
Geschehen ist in Heilig Geist,
Der Feuerstrom der Liebeskraft
Aus Gott strömt in den Menschengeist.
Den engelgleichen Brüdern sagt
Der Geist der Weisheit dies Gesetz:
Laß von der Erden-Eva ab
Und nimm die Himmels-Frau Sophie!
TEUTONISCHE PROPHETIE
1
Ich sah Sophie, ich sah ihr schönes Handeln
Im Kosmos und ihr in der Menschheit Wandeln.
Sie trug die schönste goldne Tunika,
Sie trug der Schönheit Krone, die war da
Wie Sternenhimmel vor verliebten Seelen,
Die Stola war durchwoben mit Juwelen,
Juwelen ihrer königlichen Würde.
Das Fundament des Kosmos trug als Bürde
Die sieben Säulen ihres Hauses. Nur
Erstaunen vor der göttlichen Natur
Kann ich, vor ihr, die schrecklich ist und mild
Zu jeder Kreatur. Ich sah ihr Bild,
Das Auge des Verstandes floh davon,
Als ich Sophie erschaut in der Vision,
Erblindet bin ich vor der Herrin Schoß,
Der liegt allein vor Gott dem Schöpfer bloß,
Der alle die Geheimnisse der Braut
Wie eine offenbare Klarheit schaut.
Sophie, sie ist die Schöpferin der Welt,
Die Herrin, die das All in Händen hält.
Sie faltet ihre Hände vor der Brust,
Sie ist sich ihrer Schönheit Macht bewußt,
Sie fesselt die Geschöpfe, die sie lenkt,
Indem sie Liebe, Schönheit, Klugheit schenkt.
Kann niemand widerstehen solcher Frau,
Ich schaute ihre Brust in frommer Schau.
Als königliche Ehefrau genießt
Sie Gottes Brautgemach, wo er sie grüßt.
Sie selbst erstrahlt als Schmuckstück, Morgenstern,
Am hohen Busen Gottes, meines Herrn.
Mit Gott in liebender Umarmung sie
Ist in des Liebestanzes Harmonie
In göttlicher Erotik, wie im Thron
Personen in der mystischen Union.
2
Befreundet sind die Weisheit und die Liebe,
Sind beide gleichsam Gottes Seelentriebe.
Sophie, die schönste Freundin Gottes, Charme
Entzückt ihn, legt er um sie seinen Arm
Und sie umarmt in heißer Wollust Wallen,
Sophie hat Gott dem Ewigen gefallen.
Sophie ist immer bei dem Herrn, der Hirt
Stets sie mit Lammesaugen anschaun wird.
Die Karitas spricht nun in der Vision:
Ich bin die liebe Freundin an dem Thron
Des Ewigen und seine Augenweide.
Er sagt mir immer, wie er sich entscheide.
Das königliche Brautgemach ist mein,
Mein Eigentum ist alles, was ist sein.
Die Karitas voll göttlichem Genuß
Dem Herrn und König gibt den Friedenskuß.
So küsst euch alle auf der Erde lieb,
Wie Gott und Karitas im Archetyp.
3
Ich sah die reine klare Lebensquelle,
Den Lebensbrunnen, draus des Wassers Welle
Geflossen ist hinab auf Weltenhügel
Und war so rein wie ewiger Vorsicht Spiegel.
Die Quelle war die göttliche Vernunft,
Aus ihr erquoll voll Inbrunst, voller Brunft,
Die Seele aller Welt. Der Seher preist
Sie als die große Mutter, Heilig Geist.
Nun sah ich eine südliche Region.
Drei Frauen waren da. Und zwei davon
Am Lebensbrunnen standen, reich an Leben,
Von Felsen und von Steinen rings umgeben.
Der einen Frau Gewand war nachtschwarz ganz,
Der andern Frau Gewand von weißem Glanz.
Die dritte Frau war oberhalb der Quelle,
Wie aufgetaucht aus reinen Wassers Welle,
Ihr süßes Kleid war rot wie Purpurrosen.
Das Angesicht der reinen makellosen
Geliebten war wie Milch und junger Schnee.
Noch bin ich blind, wenn ich sie strahlen seh,
Wie Karitas geschaut so lustvoll schicklich,
Geworden ist durch sie die Seele glücklich!
4
Ich wahrlich sah in reiner Geistesschau
Im wachen Körper eine Gottheit-Frau,
Ein unaussprechlich schönes Mädchen, Licht
Von Gloria umgab ihr Angesicht.
Vor solcher Herrlichkeit der Gottheit-Frau
Ich wagte kaum zu schauen meine Schau.
Sie trug ein Kleid wie Licht und junger Schnee.
Ich Myriaden Sonnen strahlen seh.
Die bloßen Füße waren lieblich, hold,
Die himmlischen Sandalen ganz wie Gold.
In ihren Armen hielt sie voller Wonne
Die Luna-Mondin und die Phöbus-Sonne.
Vor ihrem Busen – oh der Wonne mein –
Trug eine Tafel sie von Elfenbein,
Drauf sah den Neuen Adam ich, sah Ihn,
Der wie ein Lapislazuli erschien.
Die Schöpfung dieser Welt, die arme Närrin,
Die Gottheit Karitas lobpries als Herrin.
Und Karitas sprach voller Leidenschaft
Zum Neuen Adam: Dein ist Reich und Kraft
Und Herrlichkeit in Ewigkeit des Herrn,
Denn ich gebar dich vor dem Morgenstern!
5
Sophie ist unbewegt nicht, der Bewegung
Bewegende, in innerster Erregung
Erschafft den Kosmos sie, den Weltenlenz,
Durch ihre Gegenwart und Existenz.
Allgegenwart erotischer Erregung
Erregt Maßlosigkeit der Allbewegung.
O Kraft der Frau Sophie, die du umfaßt
Den Kosmos, den du heiß umfangen hast,
Umschlangest ihn mit deiner Flügel Schwere
In einer freien liebevollen Sphäre.
Ein Flügel der Sophie fliegt in die Höhe,
Ein Flügel zelebriert die Erden-Ehe
Mit Blut und Schweiß und Tränen reichen Schwalles,
Ihr dritter Flügel ist das Ein-und-Alles.
6
Sophie ist eine Manifestation
Der Gegenwart der Gottheit in dem Thron
Des Kosmos, denn Sophie ist Ich-bin-da.
In Israel heißt sie die Schechinah.
Sie ist der Heilige Geist so muttermild,
Die Ruach, die das ganze All erfüllt,
Den Heiden ist sie Göttin der Natur.
So wie der Dichter-Weise sie erfuhr,
Ist sie die Lebenskraft, die Geisteskraft,
Die neues Leben in der Seele schafft.
Sophie spricht leis, die Worte süß wie Duft:
Ich bin der reine Äther, bin die Luft,
Die alles wachsend grüne Leben nährt,
Aus Blüten zu den Früchten hin begehrt.
Die Atemzüge Gottes sind vertraut
Der hingehauchten äthergleichen Braut.
Ich aber gieße reiche Ströme aus,
Aus Seufzern mache ich der Tränen Braus,
Aus Seufzertränen mach ich süßen Duft.
Ich bin ein Hauch, bin Liebe in der Luft.
7
Ich bin die höchste feuervolle Kraft,
Die Funken zündet voller Leidenschaft,
Und niemals ausgehaucht hab ich den Tod.
Das Sein erzeugte ich im Morgenrot.
Ich habe einen hohen Himmelskreis
Umkreist in der Vernunft, mit der ich weiß.
Ich habe unterschieden Tag und Nacht
Und reine Ordnung in die Welt gebracht.
Ich bin die feuerreiche Lebenskraft
Von Gottnatur und voller Leidenschaft
Und flamme übers Schönsein grüner Felder
Und strahle auf im Dom der dunklen Wälder,
Ich schimmere im Wald im stillen Teiche,
Ich glühe in dem Licht im Himmelreiche
Und leuchte hell in Ferne über Ferne,
Bin Glut von Mond und Sonne, Glanz der Sterne.
Mit Winden treib ich alles lebensvoll
Als unsichtbare Kraft, von Leben schwoll
Der Busen mir, der alles Sein der Welt
Am Feuer meiner Mutterbrust erhält.
Die Luft lebt nämlich in dem frischen Grün
Und in den Frühlingsblüten, welche blühn,
Gewässer fluten, lebensvoll ihr Schwall,
Es lebt in seinem Licht der Sonnenball,
Wenn man Diana schlank als Sichel findet,
Wird sie vom Sonnenlichte neu entzündet,
Daß gleichsam sie von neuem leuchtend lebt,
Das Sternreich auch an meinem Busen bebt.
8
Ich sah Sophie in feiner weißer Seide,
Der Leib von Jade eine Augenweide,
Der Umhang grün, bestickt mit goldnen Sternen,
Wie goldne Glocken, gleich Granatfruchtkernen.
Sie war verschwenderisch in Prunk und Pracht,
Der Goldschmuck schön an ihren Brüsten lacht.
Das Grün, das ist Sophie in ihrer Kraft
Der Allvernunft, die alles Leben schafft.
Das Weiß der feinen Seide, wie sie fließe,
Das Fleisch Sophiens zeigt, das mannasüße.
Die goldnen Sterne, Galaxienspur,
Sie zeigen, wie der Herrin folgt Natur.
Das Sein der Wesen ist in Frau Sophie
Ein einzigartig schöner Schmuck, den sie
Als Herrlichkeit der eignen Seele trägt.
Der Fromme, den sie an die Brüste legt,
Der Weise, der Sophie allein sich weiht,
Der ist wie das gehauchte Ätherkleid.
Er ist ein grüner Sternenmantel, Tugend
Erwirkt Sophie im Weisen, zweite Jugend.
Sie ist die Weberin der Lebensfäden,
Ihr Teppich ist der grüne Garten Eden.
9
Das Angesicht der Gottheit-Weiblichkeit
Ist der verborgnen Gottheit Strahlenkleid.
Weib Weisheit im natürlichen Gewand
Verborgen in Natur gehüllt ich fand.
Der transparente Hauch, der Schleier Tanz,
Ein Lichtkleid um des lichten Leibes Glanz.