VON TORSTEN SCHWANKE
DIE MEERJUNGFRAU
Geschrieben als eine Seelenmesse zum fünfzehnten Jahrestag der Geburt im Himmel meiner seligen Großmutter Paula Margarethe Meyer und meiner Bekehrung zum lebendigen Gott der Liebe durch Christus. 25. Januar 2008.
„Sie ist bei mir, sie ist glücklich! Sie ist dein Schutzengel im Himmel! Gehorche der Großmutter!“
(Maria von Medjugorje)
„Das Meer ist la mamma, als la mer la mère, als Meer die Mutter, die Frau.“
(E. D.)
ERSTER GESANG
Liebe Margarethe Schwanke,
Du Großmutter eines Dichters,
Komm, erzähle uns dein Märchen
Von der Meerjungfrau der Nordsee!
Margarethe Schwanke also
Hob das dünne Zitterstimmchen.
Ihre Lesebrille ruhte
Auf der Bibel deutscher Sprache.
Sieh, es war einmal in Norddeich,
Lebte da ein armer Fischer,
Der zwölf schöne Töchter hatte,
Drunter auch zwei Dioskuren.
Diese wunderschönen Mädchen
Waren all gesund und zierlich.
Bei der lieben Eltern Armut
Unbegreiflich war die Reinheit.
Immer hatten sie zu essen,
Ja, selbst Butter auf dem Brote,
Trugen allzeit saubre Kleider,
Sonntags ihre schönsten Kleider,
Weil sie sonntags immer gingen
In der Gotteskirche Arche,
Gott zu singen und zu hören
Ihren Pfarrer Weisheit lehren.
Aber böses Volk in Norddeich
Sprach: Der arme Fischer sicher
Ist ein alter Hexenmeister,
Murmelt immer Zauber-Runen.
Aber nein! Die Frau des Fischers
Hatte heimlich eine Freundin,
Die ihr diesen Segen schenkte,
Die die lieben Kinder pflegte,
Wickelte die kleinen Kinder,
Putzte ihre Rotzenasen,
Sang den Kindern Wiegenlieder,
Las auch aus der Kinderbibel.
Als die Frau des Fischers nämlich
War ein junges schönes Mädchen,
Träumte sie zu Sankt Johannis,
Sah im Traume eine Dame,
Sprach die Dame in dem Traume,
Daß das Mädchen zu Johannis
An die Nordsee treten solle.
Dann vergaß den Traum das Mädchen.
In der Sommernacht die Menschen
Am Johannisfeuer saßen,
Hört das Mädchen leis ein Stimmchen
Etwa wie ein Bienensummen:
Geh zur Nordsee, liebes Mädchen,
Von der Nordsee kommt dir Segen!
Zwar erschrak das junge Mädchen,
Aber trat doch an die Nordsee.
Auf dem Deiche vor der Nordsee
Sah sie sitzen jene Dame,
Königlich, in weißen Kleidern,
Um den Hals ein Perlenkettchen.
Sah die Dame, wie das Mädchen
Sich entsetzte, sprach die Dame:
Habe keine Angst, mein Mädchen,
Denn ich bring dir Gottes Segen!
Schau, im Märzen wirst du freien,
Wird dein Freier sein ein armer
Fischer, nimm ihn doch zum Manne,
Stör dich nicht an seinem Branntwein.
Weil du gut bist, liebes Mädchen,
Bringe ich dir Gottes Segen.
Sei nur fleißig, sie nur sittsam,
Ohne Tugend keine Freude.
Hast du dann ein Kind geboren,
Brings zur Taufe in die Kirche.
Wirf ein Steinchen in die Nordsee,
Dann erscheine ich dir wieder.
Und ich komme in die Kirche
Gottes zu des Kindes Taufe,
Werde deines Kindes Patin,
Deines Kindes Patenmutter.
Damit schwand die schöne Dame.
Und das Mädchen hätt gezweifelt
An der Dame, hielte sie nicht
In der Hand ein weißes Steinchen.
Doch im Märzen kam der Freier,
Wie die Dame prophezeite,
Hochzeit wurde bald gefeiert
Unterm Orgelspiel der Sturmflut.
Siehe da, neun Monde später
Hat ein Kind geborn die Gattin,
Eine Tochter, und sie dachte
An die Dame von Johannis.
Und sie eilte an die Nordsee,
Warf ins Meer das weiße Steinchen,
Da erschien die schöne Dame,
Weißverschleiert, weißgekleidet.
Dank, dass du mich nicht vergessen,
Sprach zur Frau die schöne Dame,
Bring die Tochter nur zur Taufe,
Ich komm dann als Patenmutter.
An dem Tag der Taufe nahte
Nun fürwahr die schöne Dame,
Nahm die Tochter in die Arme,
Gab ein Küsschen auf die Stirne,
Legte in das weiße Taufkleid,
In die weiße Linnenwindel
Einen Taler mit dem Bilde
Der Meerjungfrau ganz aus Silber.
Also wars bei jeder Taufe,
Bis zwölf Töchter sind geboren.
Bei Geburt des letzten Kindes
Sprach zur Frau die schöne Dame:
Fortan wirst du mich nicht sehen,
Aber ungesehen will ich
Deine Kinder stets begleiten
Und mit Gottes Gnade segnen.
Feiern deine Töchter Hochzeit,
Gib als Brautgeschenk den Taler
Ihnen, den ich bei der Taufe
Legte in die Linnenwindel.
Sorge, dass die Töchter allzeit
Schöne saubre Kleider tragen,
Schönste Kleider tragen sonntags,
Gehen zu dem Gottesdienste.
O die Kinder waren herrlich,
Eine wahre Lust und Wonne!
Lebten zwar in großer Armut,
Aber stets in Gottes Gnade.
Nun die erste Tochter freite
Einen schönen reichen Wirtssohn
Und als Brautgeschenk das Mädchen
Brachte mit der Taufe Taler.
Als die Männer nun den Koffer
Mit des Mädchens Sachen hoben,
War er schwer vom vielen Golde,
Hunderttausend goldnen Talern.
Alle andern Töchter fanden
Eilends ebenfalls Gemahle,
Da ihr Reichtum weitberühmt war,
Nannte man sie goldne Schätzchen.
Einer dieser Schwiegersöhne
Aber war ein Mammonsklave,
Gierig nach dem gelben Gelde,
Nicht zufrieden mit der Liebe.
Ging der Schwiegersohn zum Vater,
Sprach: Gib mir noch mehr vom Golde,
Unersättlich bin ich, durstig
Nach dem Segensstrom des Geldes.
Sprach der Vater: Ach ich armer
Fischer, habe nichts zu geben,
Alles war ja reine Gnade
Nur der lieben Patenmutter.
Doch der Schwiegersohn voll Geldgier
Glaubte nicht dem armen Vater,
Sprach vorm Pöbel, dieser Fischer
Sei ein alter Hexenmeister,
Habe durch den Pakt mit Satan
Große Truhen voll des Goldes.
Doch der Fischer, fromm und gläubig,
Bangte nicht vor Satans Listen.
Doch die Obrigkeit von Norddeich,
Staat und Kirche, hörten beide
Von dem alten Hexenmeister,
Untersuchten diese Sache.
Und der Schwiegersohn und alle
Schwiegersöhne aller Töchter
Und die Obrigkeit von Norddeich
Kamen zu dem Haus des Fischers.
Plötzlich war da großer Lichtglanz,
Über Bäumen goldne Wolken,
Sichtbar ward ein Schloß von Golde,
Buntglas, Spiegeln, Perlen, Kerzen.
Vor dem Tor zwei Helden standen,
Hohe blonde Friesenhünen,
Goldne Schwerter in den Händen,
In den Händen Feuerschwerter.
Trat ein Jüngling vor im Samtkleid,
Sprach: Die Königin gebietet,
Daß der Richter zu ihr trete.
Und der Richter folgt dem Jüngling.
Wer beschreibt die Herrlichkeiten
In der Königin Palaste?
Der Palast schien eine Kirche,
Schien ein großer Tempel Gottes.
In der Mitte auf dem Throne
Saß in Gold die schöne Dame
Und dabei auf goldnen Thronen
Zwölf Jungfrauen hochentzückend!
Da der Richter sich verneigte,
Sprach die Königin, die Dame:
Warum kommt ihr wie die Räuber,
Den Gerechten zu ermorden?
Antwort wollt der Richter geben,
Aber Angst lähmt ihm die Zunge.
Sprach die Königin: Ich kenne
Eure Listen, Trügereien!
Und der schönen Dame Diener
Nun den Schwiegersohn in Fesseln
Und die Schwiegersöhne alle
Sie in Eisenketten brachten.
Sprach die Königin, die Dame:
Meerjungfrau von Gottes Gnade
Bin ich, Königin der Meere,
Nymphe Gottes, Stern der Meere!
Meine lieben Patenkinder
Stehen unter meinem Schutze,
Meine liebe Frau, das Mädchen,
Und der treue arme Vater,
Alle meine Kinder, alle
Töchter und die Dioskuren,
Die ich in der Taufe annahm,
Daß sie meine Kinder seien!
Ihnen soll kein Unglück, Unheil
Widerfahren, sondern freudig
Sollen sie in Licht und Schatten
Meiner Liebe sich erfreuen!
Aber ihr, der Geldgier Sklaven,
Ihr, die lästerlichen Zungen,
Ihr sollt siebenhundert Jahre
In dem Fegefeuer schmoren!
Da verschwand die schöne Dame,
Die Taufkinder dieser Dame
Aber gingen in das Kloster,
Das Marienkloster Nordens.
Also die Großmutter sagte,
Lächelnd Margarethe Schwanke
Sagte zu dem Enkelsohne,
Welcher die Großmutter liebte:
Komm, trink mit mir vom Liköre,
Nasche von dem Salzgebäcke,
Schon dein Nachthemd auf dem Ofen
Angewärmt ist für die Nachtruh,
Daß in Frieslands Federbetten
Du gemütlich schlafen mögest
Und in deinen Träumen schauen
Gottes Gnade, Gottes Mutter!
ZWEITER GESANG
Liebe Margarethe Schwanke,
Du Großmutter eines Dichters,
Tröste deinem Enkelsohne
Alle Leiden seiner Seele!
Und entrücke in die Reiche
Schöner Märchen seine Seele,
Komm, du große Mutter Muse,
Singe uns dein Lied zum Troste!
Lieber Enkelsohn, mein Dichter,
Hör prophetisch nun mein Märchen:
War einmal ein frommer Jüngling,
Suchte Gott von ganzem Herzen.
Liebte er ein junges Mädchen,
Siebzehn Jahre jung das Mädchen,
Trug das Mädchen auch den Namen
Unsrer Lieben Frau Maria.
Und der Jüngling liebt das Mädchen,
So als sei sie selbst Maria,
Unsre Liebe Frau Maria,
Doch sie war ja nur ein Mädchen.
Sah der Jüngling nun das Mädchen
An dem Strand der Insel Baltrum
In der Nordsee, wo das Mädchen
Muscheln sammelte am Strande.
Weht der Wind in ihre Locken,
Lange, dunkelbraune Locken,
Ging sie in dem weißen Kleide,
Seide, weiß wie Schaum des Meeres.
Sah der Jüngling an sein Mädchen,
Sah er von des Strandes Ende
An dem Strand am andern Ende
Stehn sein vielgeliebtes Mädchen.
Winkte gar das schöne Mädchen,
Lächelnd lieblich voll Verheißung,
Schien ihm eine Himmelsjungfrau,
Eine himmlische Erscheinung.
Plötzlich sah der Jüngling aber
Mitten in der Mordsee Nordsee
Vor dem Strand der Insel Baltrum
In dem Meere seine Amme.
Sah der Jüngling seine Amme
Kämpfen mit der Mordsee Nordsee,
Mit dem blanken Hans, dem Tode,
Sah er seine Amme ringen.
Und die liebe Kinderamme
Ward verschlungen von den Fluten!
Doch der Jüngling, blind vor Liebe,
Eilte zu dem jungen Mädchen.
Zwar vernahm er noch die Stimme
Seiner lieben Kinderamme
Hilfe rufen: O mein Liebling,
Mich verschlingt die Mordsee Nordsee!
Doch der Jüngling wie ein Tauber
Hörte nicht der Amme Stimme,
Hörte nur in seinen Ohren
Seines Blutes Liebe rauschen.
So versank die liebe Amme
In der Flut der Mordsee Nordsee,
Aber nur drei Augenblicke,
Tauchte wieder auf die Amme,
War nicht mehr die alte Amme,
War Meerjungfrau jetzt der Nordsee,
Meeres Mädchen schönster Jugend,
Eine Göttin, Baltrums Venus!
War die allerschönste Jungfrau,
Schlank und weiß wie eine Birke,
Nur in einem Schaumgewande
Und geschmückt mit Perlenketten,
Nur im Lichtkleid weißen Schaumes
Sie spazierte auf dem Wasser,
Wie dereinst der Christus Jesus
Auf dem Meer von Galiläa!
Schöner war des Meeres Jungfrau
Wandelnd auf dem Wasserspiegel
Als das schlichte deutsche Mädchen
Stehend an dem Strand von Baltrum.
Da ergriff den frommen Jüngling
Solche Sehnsucht nach der Jungfrau,
Nach des Meeres Göttermädchen,
Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,
Daß er ganz das deutsche Mädchen
An dem Meeresstrand von Baltrum
Und die Minnelust vergessen
Und die sterbliche Geliebte,
Daß der fromme Jüngling einzig
Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,
Nachsah voller heißer Sehnsucht
Und Verlangen nach der Jungfrau,
Nur Verlangen nach der Jungfrau,
Nur Verlangen nach der Göttin
In der frommen Seele, alle
Seine Minne galt der Meermaid!
Sankt Meerjungfrau, schönstes Mädchen,
Wie der Schöpfer sie gebildet,
Schwamm sie stolz wie eine Schwanin,
Weiße Schwanin, auf dem Schaume,
Badete den Schwanenbusen
In dem weißen Meeresschaume,
Mit dem langen Schwanenhalse
Taucht sie in den Wasserspiegel.
Immer weiter schwamm die Schwanin,
Immer weiter in die Ferne,
Bis dahin, wo sich die Nordsee
Mit dem Horizont vereinigt.
Nur von Zeit zu Zeit die Schwanin
Wendete zum frommen Jüngling
Liebevoll ihr Jungfraun-Antlitz,
Voller Zauber, Charme und Schönheit!
Und der Jüngling voller Sehnsucht,
Ins Unendliche ihr folgend,
Schwand dahin in Meer und Himmel,
Schwand in den Unendlichkeiten.
Aber du, mein lieber Junge,
Sagte Margarethe Schwanke,
Sei nun länger nicht mehr traurig.
Aber bist du einmal traurig,
Denke an Großmutters Märchen,
An Großmutters Mutterliebe,
In der Mitternacht der Trauer
Schreib als Dichter auf das Märchen,
Und du merkst, die Trauer schwindet
Mit dem Singen dieses Märchens.
Aber nun, mein lieber Junge,
Segne dich die Mutter Gottes!
DRITTER GESANG
Muse, Margarethe Schwanke,
Leg die Brille auf die Bibel,
Auf die Bibel deutscher Sprache
Des Poeten Martin Luther.
Wende dich zu mir, dem Dichter,
Der schon längst im Himmelreiche
Zu der Seraphinen-Harfe
Gott Jehowah preisen möchte!
Ach, mein lieber Junge, lächelt
Meine Muse, Margarethe
Schwanke, bleibe noch auf Erden,
Ruhm zu schaffen der Madonna!
In den guten alten Zeiten,
Ach, da lebten bessre Menschen,
Denen auch der Herr des Himmels
Manches Wunder offenbarte,
Die verborgen heutzutage
Oder nur von Sonntagskindern
Noch erfahren werden, Wunder,
Die der Herr des Himmels wirkte.
Vögel singen zwar noch heute,
Tauben gurren auch noch heute,
Doch die Menschenkinder leider
Nicht verstehen mehr die Sprache,
Wie sie weiland Salomonis
Weisheit oder auch Franziskus’
Armut sie verstanden, all das
Gotteslob der Nachtigallen.
Bei der Herrlichkeit von Dornum
An dem grauen Meer der Nordsee
Lebte einst des Meeres Mädchen,
Die sich oft den Menschen zeigte.
Wahrlich, noch mein Urgroßvater
Sah als Seemann diese Meermaid,
Seine Base, das Mariechen,
Oftmals sah des Meeres Jungfrau.
Manchmal kam die Jungfrau Kindern
Nah als kleines schwarzes Lämmchen
Oder auch als kleines Pony
Oder auch als Turteltaube.
Oftmals ließ sie sich’s gefallen,
Daß die Kinder mit ihr spielten,
Denn die Jungfrau liebte Kinder
Fast so wie die Engel Gottes.
Wie mein Urgroßvater sagte
Und Mariechen dies bestätigt,
Saß die Jungfrau sonntagsmorgens
An dem Meer besonders strahlend,
Wehte in dem Wind ihr Schleier,
In der Hand die Perlenkette,
Sah sie auf das Meer als auf den
Ozean der Gnaden Gottes!
Sang die Jungfrau solche Lieder
Von der güldnen Sonne Gottes,
Daß die Menschenherzen schmolzen
Von dem süßen Stil der Jungfrau.
Aber scheu und schüchtern war sie,
Duldet nur noch kleine Kinder,
Die erwachsnen Menschen floh sie,
Deren Herzen waren steinern.
Nur die lieben Kinderherzen
Sind so rein wie Engelherzen
Und allein die reinen Herzen
Werden Gottes Schönheit schauen!
In der Herrlichkeit von Dornum
Lebte einst ein Schornsteinfeger,
Seine Ehefrau war fleißig,
Die zwei Söhne ihm geboren,
Einer war, der Erstgeborne,
Wie der Vater und die Mutter
Fleißig, er wird einst auch werden
Wie der Vater Schornsteinfeger.
Doch der Jüngere der Söhne
War ein Taugenichts und Träumer,
Ein Poet und Grillenfänger,
Haschte immer nach dem Winde,
Haschte nur nach Luftgespinsten,
Nach der Träume Seifenblasen,
Nach dem Wolkenkuckucksheime,
Wandelte im Schlaf mondsüchtig,
Sprach im Wald mit Turteltauben,
Küsste Frösche, haschte Falter,
Sammelte am Strand die Muscheln,
Lebte wie im Arm der Götter!
War er aber unter Menschen,
War er schweigsam. Die Erwachsnen
Nannten ihn den Träumer, nannten
Ihn den Taugenichts, den Toren.
Aber wenn im Herbst die Stürme
Wühlten auf die Meeresbrandung,
Lief er nackend an die Nordsee
Wie ein Barfußmönch des Meeres,
Und er warf sich in den Nachen,
Lachte laut wie eine Möwe,
Fuhr dahin wie eine Wildgans,
Schaukelnd auf dem Schaum des Meeres,
Jauchzte in der Meeresbrandung,
Sprach zum Wind: O Gott, wie herrlich,
Wie gewaltig deine Sprache,
Gott, dein Wort ist Windes Brausen!
Aber faul war dieser Knabe,
Jede Arbeit ließ er liegen,
Ob der Vater mit der Rute
Ihn auch oftmals drum gezüchtigt.
Gab der Vater ihn als Diener
Einem alten Seemann, aber
Lange hielts nicht aus der Jüngling
In der Sklaverei der Arbeit.
Zählte eben siebzehn Jahre,
Als er von dem Schiffe kehrte
In die Herrlichkeit von Dornum,
Doch das Haus des Vaters meidend.
War fürwahr ein schöner Jüngling,
War so schlank wie eine Birke,
Pfirsichweich die glatte Wange,
Goldblond seine wilden Haare.
Zwar zuhause bei dem Vater
Und der Mutter war er schweigsam,
Doch er wusste schön zu reden
Von der Schönheit junger Mädchen.
Seine Märchen von der Nordsee,
Seine süßen Liebeslieder
Manch ein Mädchen wohl betörten,
Er war Magier des Wortes.
Aber doch zum Ehemanne
Wollt ihn keins der schönen Mädchen:
Taugenichts, du bist ein Träumer,
Du liebst ja nur eine Traumfrau,
Liebst nicht mich, das arme Mädchen,
Staub vom Staub, des Lehmes Rippe,
Liebst ja nur die schöne Traumfrau,
Liebst ja nur der Nordsee Venus!
Also sprachen alle Mädchen,
Eine nach der andern, immer
Sagten alle sie das gleiche.
Trat der Träumer an die Nordsee,
War ein schöner Sommerabend,
Schon versunken war die Sonne,
Einsam schien der Stern der Venus
Auf dem Ozean des Himmels.
An dem Strande ging der Träumer,
Hörte die Meerjungfrau singen,
Dachte er: Sie ist ein Mädchen,
Wird sie mir ja niemals schaden.
Nach ging er dem Lied der Jungfrau,
Schaute an die schöne Möwe,
Stieg er auf den Deich und schaute
Die Meerjungfrau in der Nordsee
Mit dem Schleier auf dem Haupte,
Quollen draus die langen Haare,
Sang ein wunderschönes Lied sie,
Sang das Lied der Schmerzensmutter:
Ach, dahin ist meine Ruhe,
Wehe, wehe, wehe, wehe,
Du allein kennst meine Schmerzen,
O du Mater Dolorosa!
Wünschte sich der Jüngling tausend
Ohren, dieses Lied zu hören,
Wünschte sich der Jüngling tausend
Augen, diese Frau zu schauen!
Sah die Jungfrau zwar den Träumer,
Doch sie floh nicht vor dem Träumer,
Kam sie lächelnd ihm entgegen,
Reichte ihm das schlanke Händchen,
Sagte: Lang hab ich gewartet,
Daß du kommst, geliebter Träumer,
Weil der Herrgott mir in Träumen
Deine Ankunft prophezeite.
Keiner liebt dich von den Menschen,
Keine liebt dich von den Frauen,
Fremd bist du im Elternhause,
Fremd auch unter allen Leuten.
Aber ich war immer mit dir,
Ungesehen deine Schutzfrau,
Komm mit mir, mein kleiner König,
Sei der Königin Geliebter!
Jeden Wunsch will ich erfüllen
Deiner Seele, will dich hüten
Wie den Apfel meiner Augen,
Sollst der Mann sein der Meerjungfrau!
Dieses Wort der schönen Jungfrau
Traf als Feuerpfeil im Herzen,
Sprach der Träumer zu der Jungfrau:
Jungfrau, wo ist deine Wohnung?
Sprach die Jungfrau: Komm, mein Träumer,
Eilen wir mit Sturmes Eile,
Habe du nur fest Vertrauen,
Kommst so bald in meine Wohnung.
Da bedachte sich der Träumer,
Zweifel bang ihn überfielen,
Dachte er, was Menschen reden
Von der Meerjungfrau der Nordsee.
Sprach er: Laß mich nur bedenken,
Mich bedenken nur drei Tage.
Gab sie ihm von reinem Golde
Einen Ring an seinen Finger.
Mögest du mich nie vergessen,
Sprach sie, kommst du aber wieder,
Wird aus diesem Freundschaftsringe
Gar ein Ringlein der Verlobung.
Dann zerfloß sie in den Lüften,
Stand der Träumer wie im Traume,
Glaubte seinem Traume nimmer,
Wär da nicht der Ring gewesen.
Aber mit dem Ring der Jungfrau
War der Geist in ihn gefahren,
Ließ ihn ruhen nicht noch rasten,
Saß er bald am Meere wieder.
Saß er hungrig da und durstig,
Klebt die Zunge ihm am Gaumen,
Harrt er träumend auf den Abend,
Daß die Jungfrau ihm erscheine.
Sank die Sonne an dem Abend,
Wer nicht kam, das war die Jungfrau.
Möwen bargen ihre Schnäbel
Müde in dem Federkleide.
Weinen musste da der Träumer.
Ach, er wollte gerne sterben,
Hätt sich selber fast ermordet
Gar aus Sehnsucht nach der Jungfrau!
Trübsal war die Nacht der Seele,
Öde war der Tag, der folgte,
Abends saß er voller Trauer
Auf dem Deich am Rand der Nordsee.
Kommt sie heute nicht, die Jungfrau,
Ach dann will ich nicht mehr leben!
Sei willkommen, Tod, mein Heiland,
Zeige sich das Jenseits freundlich!
Lang saß er in Gram versunken,
In den Ängsten seiner Seele,
Tief beschattet von den Schatten,
Trunken von dem dunklen Kummer.
Plötzlich fühlt er eine weiche
Hand auf seiner Träumerstirne,
Schlug er auf die feuchten Augen,
Sah er hochentzückt die Jungfrau.
Ach ich kenne deinen Kummer,
Sprach sie, hörte deine Seufzer!
Lang die roten Lockenfluten
Um den nackten weißen Körper,
Ihre langen roten Locken
Deckten keusch die nackten Brüste,
Trug sie auch ein kurzes Röckchen
Mit den Mustern von Mäandern.
O Madonna Aphrodite,
Ach verzeih und hab Erbarmen,
Daß ich lang gezögert habe,
Bin nun dein in Ganzhingabe!
Lachte die Meerjungfrau heiter,
Girrte wie ein junges Mädchen:
Taugenichts, du sollst nicht sterben,
Ich will dich zum Ehemanne!
Nahm den Jüngling bei den Händen,
Führte ihn zum Meere, plötzlich
Stürzten sie und er ins Wasser,
Da verlor er sein Bewusstsein,
War entrückt, ich aber weiß nicht,
War die Seele noch im Leibe,
War sie außerhalb des Leibes,
Schwamm er in dem Meer der Liebe!
Fand er sich in weichen Kissen,
Sich auf einem seidnen Bette,
Das Gemach von Glas und Spiegeln,
Roter Samtstoff an den Wänden.
Lebte er noch, war er tot schon?
Ah, er reckte seine Glieder,
Fasst die Nase mit den Fingern,
Rieb die Nase: Ja, er lebte!
Angetan mit weißem Hemde,
Angetan mit blauer Hose,
Dehnte er sich in dem Bette,
Ja fürwahr, er war lebendig!
Traten ein zwei schöne Mädchen:
Herr, was möchtet Ihr zum Frühstück?
Gab es Lachssalat und Schwarzbrot,
Eine große Kanne Kaffee.
Und der Taugenichts im Bette
So ekstatisch faul sich reckte
Und sich streckte, und die Mädchen
Kamen wieder zu dem Träumer.
Herr, nun wandelt in den Garten,
Bis die Frau sich angekleidet,
Sich gekämmt die langen Haare
Und das Frühstück eingenommen.
Fand der Taugenichts im Garten
Lauter Schönheit, Tannenzapfen,
Silberbirnen, goldne Äpfel,
Vögel auch mit goldnen Flügeln.
Die zwei Mädchen zu dem Träumer
Traten in dem Wundergarten,
Ihn herumzuführen, alle
Zier und Schönheit ihm zu zeigen.
Kam er an den Rand des Teiches,
Spielten dort verliebte Enten
Und als Ehemann und Gattin
Höckerschwan und Höckerschwanin.
Schimmerglanz der Morgenröte!
Rosenarmige Aurora
Streute mit den Rosenfingern
Rote Rosen auf die Erde.
Große goldne Honigbienen
Flogen um die Lindenblüten.
Und die beiden Mädchen sprachen,
Daß die Frau ihn nun erwarte.
In der Halle großen Kirche
Thronten wunderschön zwölf Jungfraun,
Auch zwei Throne da von Golde
Strahlten, königliche Throne.
In dem einen saß die Herrin,
Saß die Königin des Meeres,
Doch der andre Thron, der leere,
War der Königsthron des Träumers.
Sprach die Königin des Meeres:
Dieser Träumer ist mein Gatte!
Meine Mädchen, ehrt den Träumer,
Ehrt den Taugenichts, ihr Mädchen!
Nahm die Königin des Meeres
An die schlanke Hand den Träumer,
Führte ihn durch alle Kammern,
In die siebte Kammer schließlich.
Hier erkannte er die Jungfrau,
Die Meerjungfrau seiner Seele,
Nacktes Weib mit roten Locken,
Weib mit rötlichblonder Haarflut.
O Madonna Aphrodite,
Rief der Taugenichts ekstatisch.
Sprach die Herrin: Lieber Träumer,
Nenn mich nicht mehr Aphrodite,
Nenne mich den Meerestropfen
Oder auch den Stern des Meeres,
Nenne Meer mich der Erleuchtung,
Ozean der Gnaden Gottes!
Ich blieb immer reine Jungfrau,
Unverletzt am Mädchentume,
Bin die Königin des Meeres,
Königin der Schönen Liebe!
Stumm vor Seligkeit der Träumer,
Bis das Bier die Zunge löste,
Speiste er auch gut und lecker,
Hering, Brot und Rote Beete.
Konnte er sich unterhalten
Mit der Königin der Liebe
Und begann auch übermütig
Einen Witz ihr zu erzählen.
Abends sprach zu ihm die Jungfrau:
Morgen, lieber Mann, am Freitag
Muß ich beten, muß ich fasten,
Christus such ich am Karfreitag!
Du darfst mich beim Freitagsfasten
Nicht beschaun, laß mich alleine,
Meine beiden Dienerinnen,
Meine Mädchen, solln dich trösten.
Also an dem Freitagmorgen
Sah der Taugenichts die Jungfrau
Nirgends. Zwar die Mädchen scherzten,
Herzten, aber er blieb traurig.
Und so ging es jeden Freitag.
Zweifel wuchs im Herz des Träumers,
Speise wurde ihm zum Ekel
Und der Schlummer ihm zum Alptraum.
An dem Freitag im Aprile
Trat er vor der Jungfrau Kammer,
Wo sie einsam hielt ihr Fasten,
Einsam betete zu Christus.
Spionierte nun der Träumer
Durch das Schlüsselloch der Pforte.
O Mysterium des Schreckens,
Faszinierendes Geheimnis!
Sah er doch des Meeres Jungfrau
Nackt mit schönen bloßen Brüsten,
Aber statt des Unterleibes
Sah er eine goldne Schlange!
Dreimal hörte er das Krähen
Eines Hahnes auf dem Miste.
Traurig war er, voller Schwermut,
Tief verwirrt an seinem Geiste.
Abends kam des Meeres Jungfrau,
Doch in schwarzen Trauerkleidern,
Vor dem kummervollen Antlitz
Trug sie einen schwarzen Schleier.
Sprach sie voller Schmerz und Jammer:
Weh dir, Tor! Wir müssen scheiden,
Siehst mich heut zum letzten Male,
Mußt zurück du auf die Erde.
Riß der Himmel auf mit Blitzen,
Sprach der Himmel Donnerworte,
Bebte Meer und Mutter Erde,
Wie ins Nichts versank der Träumer!
Fand sich wieder an dem Strande
Bei der Herrlichkeit von Dornum
An dem grünen Deich der Nordsee,
Saß er da in Bettlerlumpen.
In der Herrlichkeit von Dornum
Sucht bei der Allee der Birken
Er das Haus des Schornsteinfegers,
Aber leer war diese Wohnung.
In der Herrlichkeit von Dornum
Bei dem Schloß und bei der Kirche,
Nirgendwo war ein Bekannter,
Er war fremd auf dieser Erde.
Frug er einen Rinderhirten
Nach dem Schornsteinfeger, aber
Staunend sprach der Rinderhirte:
Was fragst du nach diesem Manne,
Der seit dreißig Jahren tot ist?
Und wer bist du selber, Alter?
Auch des Schornsteinfegers Kinder
Alle sind schon längst begraben!
Was fragst du nach längst vergangnen
Zeiten, Greis in Bettlerlumpen,
Alter mit dem grauen Barte?
Laß doch das Vergangne ruhen!
Schaute nun der arme Träumer
Sein Gesicht in einem Spiegel:
Lebensmüde seine Augen,
Rot von Rotwein seine Nase,
Schwarz im Maul die Stummelzähne,
Braun von Tabak seine Lippen,
Sorgenfurchen auf der Stirne,
Grau der Bart und grau das Haupthaar.
In derselben Nacht verschwand er,
Ward nicht mehr gesehen, aber
Doch die graue Mordsee Nordsee
An den Strand warf seinen Leichnam.
Die Meerjungfrau aber meidet
Fortan die erwachsnen Menschen.
Nur die Kinder reinen Herzens
Manchmal die Meerjungfrau schauen.
Oma Margarethe Schwanke,
Muse eines deutschen Dichters,
Schwieg und faltete die Hände
Auf der Bibel Martin Luthers.
Oma Margarethe Schwanke,
Sprach der Enkelsohn, der Dichter,
Ach, mich schaudert vor der Schwermut
Und mich ekelt an das Leben!
Ach mein Junge, Lieblingsenkel,
Auf dem Ofen liegt dein Schlafrock,
Geh im warmen Rock zu Bette,
Schlaf den Schlummer des Gerechten.
VIERTER GESANG
Meine Gottheit, große Mutter,
Trösterin mit Mutterliebe,
Schließ mir auf das Haus der Weisheit,
Alte Weisheit schöner Märchen.
O mein wilder lieber Junge,
Sagte Margarethe Schwanke,
Höre noch ein Friesenmärchen
Von der Liebe eines Schwanes.
War es einst im Städtchen Norden
Bei dem Hügel der Druiden
Neben der Ludgeri-Kirche
Und beim Haine der Druiden,
Da, wo heut der Teich der Schwäne
Schlummert unter Trauerweiden,
Stand ein Wasserschloß, ein goldnes,
Lebten Gatte dort und Gattin,
Stolze weiße Höckerschwäne,
Höckerschwan und Höckerschwanin,
Strahlend weiße Eheleute,
Stolze Schwanenmajestäten.
Königin und König hatten
Sieben schöne Schwanenkinder,
Die drei weißen Schwanensöhne,
Die drei weißen Schwanentöchter,
Waren all der Stolz des Königs
Und der Königin, sie stammten
Von der Schwanengöttin Leda,
Lohengrin, der Schwanenritter,
War ihr Schutzpatron im Himmel.
Doch das siebte ihrer Kinder
War ihr Sorgenkind, ihr Kummer,
Eine schwarze Trauerschwanin!
Warben viele stolze Prinzen
Um die schwarze Trauerschwanin,
Weil sie schön war, schwarze Schönheit,
Wie dereinst die Sulamithin
Und die Königin von Saba.
Aber Königin und König
Waren stolz wie weiße Schwäne,
Wiesen ab die Freier alle.
Rief die Königin, die stolze:
Ehe so ein Prinz vermählt sich
Unsrer Trauerschwanin, werden
Alle wir zu wilden Schwänen!
Ach mein lieber wilder Junge,
Das war in den alten Zeiten,
Da der Herrgott die Gebete
Kaum gesprochen schon erhörte.
Königin und König wurden,
Schwanensöhne, Schwanentöchter,
Alle wurden wilde Schwäne,
Ungezähmte freie Schwäne.
Und das Wasserschloß, das goldne,
Stürzte ein und sank in Trümmer
Und an seiner Stelle schlummert
Still der Schwanenteich von Norden.
Schwamm die schwarze Trauerschwanin
In dem stillen Schwanenteiche
Unter grünen Trauerweiden,
Grüner, grüner Weiden Schleier,
Kam ein Trauerschwan von Osten
Aus dem fernen Morgenlande,
Minneritter, Minnesänger,
Warb er um die schwarze Schwanin.
Waren sie ja vor der Schöpfung
In dem Ozean der Gnaden
Gottes schon vorherbestimmte
Ewigliche Eheleute.
Da sie sich im Teich erkannten,
Gleich erkannten sie sich wieder,
Liebten sich wie vor der Schöpfung
In dem Schwanenteich zu Norden.
Flog der Trauerschwan im Maien,
Im Marienmond, spazieren,
Flog zum Teuteburger Walde,
Zu dem Teich der Externsteine.
Ging am Schwanenteich zu Norden
Unbeweibt ein armer Fischer,
In dem Schwanenpfad sein Hüttchen,
Schmutzig war es ohne Hausfrau.
Von dem Schwanenpfad der Fischer
Ging allein am Schwanenteiche,
Sah die schwarze Trauerschwanin,
Fing er sie mit einem Netze,
Nahm sie mit sich in sein Häuschen,
Lebte dort mit ihr verborgen,
Sprach nur mit der Trauerschwanin,
Denn er sprach die Schwanensprache.
Seine Wohnung wurde sauber,
Wurde das Geschirr gewaschen,
Fortgebracht die leeren Flaschen,
Staub gewischt auch unterm Sofa.
Sah der Fischer nämlich einmal,
Daß um Mitternacht die Schwanin
Sich in eine Frau verwandelt,
Schwarze Schönheit, Sulamithin,
Zierlich schlank die schwarze Schönheit,
Braun die Haut von Hals und Busen,
Schwarzer Onyxstein die Augen,
Schwarz die Lockenkunst ägyptisch,
Eine schwarze Weisheitsgöttin
Der Mysterien Ägyptens.
Von der Gegenwart alleine
War des Fischers Haus so reinlich.
Da der Fischer dieses schaute,
Diese schlanke schwarze Jungfrau,
Nahm er fort das Kleid der Schwanin,
Fort das Federkleid der Schwanin
Und verbarg es in der Truhe
Seines alten Urgroßvaters,
Eines Seemanns Schiffertruhe,
Einer Bundeslade Frieslands.
Also blieb die schwarze Jungfrau
Bei dem hochbeglückten Fischer
In dem Schwanenpfad beim Teiche
Und vergaß, dass sie ein Schwan war.
Ja, sie lebte mit dem Manne
Wie ein liebevolles Mädchen,
Eine vielgeschickte Hausfrau,
Eine Dame voller Weisheit.
Ganz vergessen war für Jahre,
Daß in Wirklichkeit die Jungfrau
Eine schwarze Trauerschwanin
War von Wesen und Bestimmung.
Doch in einem Herbste schaute
Sie die wilden Schwäne fliegen
An dem winddurchbrausten Himmel,
Diese waren ihre Brüder.
Hörte sie die Schwanenbrüder
Rufen: Komm, o Trauerschwanin,
Wilde Schwanin, in die Freiheit,
Diesen Sterblichen verlasse,
Laß den sterblichen Geliebten,
Der zur Hausfrau dich erniedrigt,
Tochter du der Göttin Leda,
Wilde Schwanin, Himmelstochter!
Zwar die schwarze Jungfrau hörte
Diesen Ruf der Schwanenbrüder,
Doch alleine mit den Ohren,
Hörte nicht mit ihrem Herzen.
In dem nächsten Herbste schaute
Sie am winddurchbrausten Himmel
Fliegen ihre Schwanenschwestern,
Die sie riefen in die Freiheit:
Bist du eines Mannes Hausfrau,
Sollst du ihm die Wohnung putzen?
Deine Mutter in dem Himmel
Ist die Große Schwanen-Göttin!
Doch die schwarze Jungfrau hörte
Mit den Ohren nur die Worte,
Nicht mit ihrem Herzen, aber
Es erwachte süße Sehnsucht.
In dem dritten Jahre schaute
Durch den Sturm die schwarze Jungfrau
Ihre Schwaneneltern segeln,
Königin und König adlig.
Schwarze Jungfrau, schwarze Jungfrau,
Bist du Sklavin eines Narren?
Du bist Königin von Adel,
Denk an deine Schwanenwürde!
Doch die schwarze Jungfrau hörte
Mit den Ohren nur die Worte,
Hörte nicht mit ihrem Herzen,
Was ihr sang die Schwanenmutter.
O du große Mutter Weisheit!
Wahrlich, in dem Herbst am Himmel
Durch den Wettersturm in Friesland
Flog ein wilder Schwan alleine,
War der Trauerschwan, der schwarze,
Trauerschwan vom Morgenlande,
Der vorherbestimmte Gatte
Er der schwarzen Trauerschwanin.
Rief er in dem Wettersturme:
O bei Jesus und Maria!
Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
Wo der Geist weht ist die Freiheit!
Jesus schenkt den Geist der Freiheit!
Sei nicht Sklavin eines Sünders!
Unsre Liebe Frau Maria
Ist der Dichter Göttin Freiheit!
Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
Ewigkeiten Ewigkeiten
Sind vor Gott wir Eheleute,
Trauerschwan und Trauerschwanin!
Diese Worte aber hörte
Unsre schöne schwarze Jungfrau
Mit dem Herzen in dem Busen,
Es erwachte in ihr Liebe.
Und sie schleicht sich zu der Truhe,
Zu der Bundeslade Frieslands,
Nimmt das Federkleid der Schwanin,
Und sie fliegt zu dem Geliebten!
Trauerschwan und Trauerschwanin
Über Friesland in der Freiheit
Fliegen selig wie die Götter
Zu dem Meer im Morgenlande.
Aber einsam blieb der Fischer
In dem Schwanenpfad im Häuschen,
Aber oftmals sah am Himmel
Er die wilde Schwanin fliegen.
Sie besuchte ihn noch manchmal
Und erinnerte den Fischer,
Daß die schönste Schwanenjungfrau
Einst in seinem Hüttchen lebte.
Und der Fischer denkt voll Wehmut
An die selig schönen Zeiten,
Da die Jungfrau bei ihm wohnte,
Bei ihm war die schwarze Jungfrau.
Oma Margarethe Schwanke
Schwieg und lächelte so zärtlich,
Ihre blauen Augen Himmel,
Ihre Silberhaare Wolken,
Und sie sprach zum Enkelsohne:
Speise ein gebratnes Hähnchen,
Iß dazu die Bratkartoffeln,
Geh dann, spiele mit den Kindern!
FÜNFTER GESANG
Meeresperle, Margarethe
Schwanke, o Großmutter-Schwanin,
Sing dem Schwanensänger Schwanke
Noch ein Märchen von der Schwanfrau!
Schwanensänger, deutscher Dichter,
Sagte Margarethe Schwanke,
Heut muß ich ans Sterben denken,
Will dich weihn der Mutter Gottes.
Ach, mein Enkelsohn, mein Junge,
Was wird aus dem wilden Jungen,
Wenn Großmutter stirbt? Maria
Möge dich behüten, Liebling!
Will zu Ehren der Madonna
Und des Rosenkranzes heute
Und der Sankt-Marien-Kirche
Dieses Märchen dir erzählen.
Oldenburg im Oldenburger
Land hat eine weisheitsfromme
Universität, studierte
Ein Student dort Platons Schriften.
Der Student ging nachts spazieren,
Zu erholen sich vom Denken,
Kam er zu dem Flötenteiche,
Silbern schimmernd in dem Mondlicht.
War führwahr ein runder Vollmond,
Prall und drall, ganz weiß und marmorn,
Die jungfräuliche Diana
Schien ein wahres Weib der Wonne!
Klar und rein und licht, kristallen
Schien der Vollmond wie ein Spiegel
Gottes, wie des Urlichts Spiegel,
Also Hagia Sophia.
Und die Mondin weiß sich badet
Nackt und schön im dunklen Wasser,
In dem dunklen Flötenteiche,
Diesem Teiche holder Schwermut.
In dem Schilfrohr an dem Rande
Dieses Teiches ruhen Vögel,
Erpel, Enten, Entenküken,
Auch im Schilf die Möwen ruhten.
Aber auf dem Flötenteiche
Schwamm ein Paar von Trauerschwänen,
Trauerschwan und Trauerschwanin,
Leib an Leib und engumschlungen.
Auf dem Paar der Trauerschwäne
Saß das weiße Weib des Wassers,
Lang das Seidenkleid von Lichtglanz,
Silberseide, Wassergaze.
Überm Haupt der Jungfraunschleier,
Schleier einer Nymphe Gottes,
Quoll hervor das Haar, das schwarze,
Doch mit hennaroten Strähnen.
Auf dem Haupte mit dem Schleier
Trug sie einen Kranz von Blumen,
Mohn und Malven, rote Rosen,
Blaue Iris goldnen Kelches.
Schwamm die Dame auf den Schwänen
An den Rand des Flötenteiches,
Hielt in ihrer Hand ein Zepter,
Einen Eichenzweig mit Eicheln.
Und des Flötenteiches Nymphe
Reichte dem Studenten Platons
Nun den Eichenzweig mit Eicheln,
Lächelt keusch, zugleich erotisch,
Schwamm dann auf den Trauerschwänen
Wieder in die Nacht, die dunkle.
Der Student, er ging nach Hause
Mit dem Eichenzweig der Nymphe,
Doch zuhause sah der Jüngling,
Daß der Eichenzweig der Nymphe
Eicheln trug von reinstem Golde,
Hochkarätig goldne Eicheln.
Und er ging zum Juweliere
In der Innenstadt und tauschte
Diese goldnen Eicheln gegen
Schmuck für seine Vielgeliebte.
Denn beim Flötenteiche wohnte
Seine Freundin im romantisch
Wilden Garten in dem alten
Bauernhäuschen hoch romantisch.
Dieser schenkte er nun Schmuckstück
Über Schmuckstück, goldne Spangen
Für die langen schwarzen Haare,
Silberreifen für die Arme,
Schlangenringe für die Finger
Ihrer schlanken weißen Händchen,
Einen Mondstein an dem Ohrring
Für das Muschelohr der Schönen,
Lapislazuli am Kettchen
In der Art des Jugendstiles
Für die hochgebenedeiten
Brüste seiner Vielgeliebten,
Einen liebreizreichen Gürtel
Für die Hüfte der Geliebten,
Silberkettchen leise klingelnd
Für der Freundin schlanke Fesseln.
Also schön geschmückt die Schönheit
Saß als Meisterwerk des Schöpfers,
Als ein Kunstwerk des Erzkünstlers,
Gottes Tochter, vor dem Minner.
Saßen sie allein im Zimmer,
Fiel er nieder auf die Kniee,
Betet an der Herrin Schönheit,
Spricht von Liebe in Äonen,
Von dem Anbeginn der Schöpfung
Liebt er sie im Geiste Gottes
Und auch in der Weltvollendung
Ewigkeit wird er sie lieben!
Sieh, da trat herein die Nymphe
Von dem Flötenteich, die Jungfrau,
In dem Arm ein nackter Knabe,
Lieblich wie ein Page Gottes.
Trat des Flötenteiches Nymphe
Still zu des Studenten Freundin,
Trat die Jungfrau zu der Freundin,
Gab ihr eine Schnur von Perlen.
Ja, die lichte weiße Jungfrau,
Dame von dem Flötenteiche,
Trug die fromme Schnur von Perlen
Oft in benedeiten Händen,
Aber nun das Weib des Wassers
Legte diese Schnur von Perlen
In die schlanke Hand der Freundin
Des Studenten, Platons Jünger.
Dann verschwand die weiße Dame
Mit dem Kind, dem Pagen Gottes.
Eine feuchte Spur am Boden
Blieb zurück nach dem Besuche.
Aber des Studenten Freundin
Lebte in dem Aberglauben,
Diese Perlen seien Tränen,
Einer Liebesgöttin Tränen.
Daß die Tränen aber keinen
Schaden stiften, Unglück bringen,
Wünschte sich die schöne Freundin
Von dem Engel, dem sie glaubte.
Sagte der Student, der fromme
Jünger Platons, Jünger Christi:
Bringen wir die Schnur der Perlen
Gottes Mutter dar als Opfer!
Weihen wir die Schnur der Perlen
Unsrer Lieben Frau Maria
In der Sankt-Marien-Kirche,
Die dort steht am Flötenteiche.
Traten der Student, die Freundin,
In die Sankt-Marien-Kirche.
Warf sich der Student aufs Antlitz
Nieder vor der großen Mutter!
Weihte des Studenten Freundin
Ihre Perlenschnur Maria.
Gottes Mutter segnet liebreich
Den Verliebten und die Schöne!
Lob und Ruhm sei Gottes Mutter,
Große Mutter der Großmütter
Ist Maria, wahre Mutter!
Sagte Margarethe Schwanke.
SECHSTER GESANG
Ach Großmutter meiner Seele,
Ach wie traurig ist der Alltag,
Ach wie böse sind die Träume,
Komm und singe mir ein Märchen!
Sagte Margarethe Schwanke:
Wenn die Frau ihr Kind nicht lieb hat,
Gott liebt dich mit Liebe ewig,
O mein Enkelsohn. Nun höre!
War es auf der Insel Baltrum,
Die Großmutter eines Dummchens
Lebte mit dem Idioten
Still in einem Haus im Ostdorf.
Leider war das Dummchen hässlich,
Schielte seltsam mit den Augen,
Flohn ihn alle schönen Mädchen,
Sprach man auch vom bösen Blicke.
Gut der Idiot von Herzen
War, zu gut für diese Erde,
Gab er noch sein letztes Brötchen
All den armen kleinen Kindern.
Nannten ihn die Leute Dummchen,
Einen armen Idioten,
Weil er mehr noch als sich selber
Seinen Nächsten tätig liebte.
Vor der Hässlichkeit die schönen
Jungen Mädchen alle flohen
Und die alten frommen Leute
Sprachen von dem bösen Blicke.
Eines Tages die Großmutter
Sagte zu dem Idioten:
Balde wird vom Lebensbaume
Abgetrennt die Frucht des Lebens
Und der Apfel meines Lebens
Fällt der Großen Mutter Erde
In den Schoß zur Auferstehung,
Wird ein Baum im Paradiese!
Aber du, mein süßer Liebling,
Kleines Närrchen, holdes Dummchen,
Sei nicht bange, sei nur mutig,
Gottes Mutter wird dich schützen!
Nur in meinem Testamente
Will ich dich beschwören, Liebling,
Nimm dir keine Frau zur Ehe,
Denn die Ehe ist die Hölle!
Fürchte Gott und lies die Bibel,
Bete morgens, bete abends,
Nie Großmütterchen vergesse,
Will ich dir dein Engel werden!
Also starb die weise Alte.
Traurig ging das arme Dummchen
In den großen grünen Garten
Der Natur der Insel Baltrum.
Schaute an die Heckenrosen,
Immer schöner all die Blüten,
Immer schöner ward der Garten,
Hagebutten immer röter.
Also kam er an die Nordsee,
Saß am Strande eine Jungfrau,
Strahlend wie die Frau der Sonne,
Nackig wie sie Gott geschaffen.
Sprach die Jungfrau zu dem Dummchen:
Bade du nur in der Nordsee,
Denn ich hab das blaue Wasser
Hier in lauter Licht verwandelt!
Wenn du badest in dem Wasser,
Das von meinem Lichtglanz Licht ist,
Wirst du schön wie König David,
König Salomo und Samson!
Tauchte ein das liebe Dummchen
In das lichte Bad der Nordsee,
War er weiß und rot, erlesen,
Schönster unter Myriaden!
Sprach der wunderschöne Jüngling
Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau:
O du Schönste aller Schönen!
Willst du mich zum Manne nehmen?
Sprach das Sonnenweib, die Jungfrau,
Nackend in der Nordsee badend:
Ich, die Meerjungfrau, ich nehme
Mir zum Mann nur einen Weisen,
Willst du also mein Gemahl sein,
Suche du der Weisheit Quelle,
Trinke von der Weisheit Quelle,
Werde weise, mein Geliebter!
Aber, sprach der schöne Jüngling,
Wo ist diese Weisheitsquelle?
Sprach die Meerjungfrau, die nackte:
Kennst du nicht dies Wort von Jesus:
Suche, also wirst du finden,
Klopfe an, dir wird geöffnet,
Bitte und dir wird gegeben!
Also mach dich auf die Wallfahrt.
Und die Jungfrau ward unsichtbar,
Blieb zurück nur Schaum des Meeres
Und die Muscheln an dem Strande.
Fing der Jüngling an zu pilgern.
Kam der Jüngling zu den Deutschen,
Zu den Deutschen auf dem Festland,
Sah er eine schöne Dame
Dort in goldenen Gewändern.
Sprach die Dame: Ich, die Goldfrau,
Bringe Segen dir des Reichtums,
Bade nur in meinem Blute,
Kriegst du goldene Paläste.
Also sprach die goldne Dame,
Biß sich in den eignen Busen
Und verschlang den eignen Busen,
Schlang das eigne Fleisch hinunter.
Wie entsetzt entfloh der Jüngling!
Floh ins Land der leichten Liebe,
In das sinnlich-süße Frankreich,
In das Reich der Troubadoure.
Dort in der Provinz der Minne
Irrte in des Lebens Mitte
Er in einem dunklen Walde
Und verirrte sich im Dickicht.
Da erschien ein Hirsch dem Jüngling,
Im Geweih das Kreuzeszeichen,
Floh der Hirsch mit großen Sprüngen,
Folgt der Jüngling nach dem Kreuze.
Kam zum Fuß der Pyrenäen,
Dort in das berühmte Heilbad,
In den Wallfahrtsort der Jungfrau,
Lourdes der Unbefleckt Empfangnen!
Sah er dort die Quelle sprudeln,
Saß daran der Heil’ge Vater,
Saß daran der Papst der Kirche,
Der so sehr Maria liebte!
Sprach der Diener aller Diener
Gottes: Trink von dieser Quelle!
Wer der Lieben Frau geweiht ist,
Der wird alsbald weise werden!
Trank der Jüngling von der Quelle,
Keusche Küsse der Madonna
Sind vergleichbar dieser Quelle
Mit dem Labetrunk der Weisheit.
Also weise ward der Jüngling.
Kam er wieder heim nach Baltrum,
Auf der Insel zu verkünden
Gottes Weisheit allen Menschen.
Trat er an den Strand der Nordsee,
Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau,
Zu der Meerjungfrau, der nackten,
Zu der Schönsten aller Schönen!
Hatte ihr in einem Fläschchen
Etwas Wasser von der Quelle
Mitgebracht, das sie getrunken
Und ein Weib der Ehe wurde
Für drei wunderschöne Tage...
Die drei wunderschönen Tage
Lebten glücklich in der Ehe
Die Meerjungfrau und der Jüngling!
SIEBENTER GESANG
Aber du, o Herr!... sprach leise
Oma Margarethe Schwanke,
Lehre meinen Lieblingsenkel
Deine Weisheit durch ein Märchen.
Lebte einst im Oldenburger
Land in Oldenburg ein frommer
Mann, der jeden Sonntagmorgen
In die Kirche ging zur Messe.
Zwischen seiner stillen Wohnung
Und der heiligen Kapelle
War ein kleines grünes Wäldchen,
Da er gerne ging spazieren.
Im Advent am vierten Sonntag
Ging er durch das grüne Wäldchen,
Wollte zu dem Gottesdienste,
Ging zur Kirche trotz des Regens.
Aber in dem grünen Wäldchen
Strömten nieder Regenströme
Und im Regen ist erschienen
Eine Jungfrau, rein wie Wasser.
Sprach die Jungfrau in dem Regen:
Danke, dass du trotz des Regens
In die Kirche gehst, Geliebter,
Ich belohne deinen Glauben.
Sieh, ich will dich heut erwählen
Zum Gemahle meiner Liebe!
Wollen wir uns heut verloben
Und die Ehe uns versprechen!
Aber solcher Gnadengabe
Ist kein andrer jemals würdig,
Als wer gläubig jede Prüfung
Treu besteht und wahrt die Liebe.
Willst du dich mit mir verloben,
Mußt du aber sieben Jahre
In der Fremde dienen, siehe,
Sei ein Diener aller Menschen.
In den Krieg muß ich dich schicken,
Aber nicht des Teufels Kriege,
Sondern kämpfen um die Seelen
Sollst du mit der Liebe Waffen.
Karitas! sei deine Losung,
Karitas! sei deine Fahne!
Ich vertraue deiner Liebe
An die kleinen Waisenkinder.
Sei du Kindern wie ein Vater,
Sei dem Heil’gen Vater ähnlich,
Dann wird Gott der Herr dich lieben
Mehr als deiner Mutter Mutter! –
So verschwand die Regen-Jungfrau.
Und der Mann ging in die Kirche
Und verfolgte die Gebete
Aufmerksam mit wachem Geiste,
Sprach die Liturgie der Kirche:
Josef, du Gerechter, Frommer,
Nimm Maria, die Verlobte,
In dein Haus als Ehegattin!
Ging der Fromme an die Nordsee,
Auf die Insel Sylt, die schöne,
Dort im Waisenkinderheime
Nährte, pflegte er die Kleinen.
Ward zu einem Pelikane,
Einem Mutterpelikane,
Mit dem Blut des eignen Herzens
Nährte er die kleinen Küken.
Wurde eine Vogelmutter,
Breitete die Vogelschwingen,
Barg die Küken im Gefieder
An dem Pochen seines Busens.
Wurde eine Mutterglucke,
Wie die Große Glucke Jesus,
Sammelte die kleinen Küken,
Barg sie unter seinem Fittich.
War wie Jesus zu den Kindern,
Lud sie ein in seinen Himmel,
Herzte, streichelte, liebkoste,
Legte segnend auf die Hände.
Ward zu einem lieben Papa,
Den die Kleinsten Mama nannten,
Den die frommen kleinen Kinder
Für den lieben Gott gehalten.
Doch verwundet in dem Kriege,
Blutend an dem offnen Herzen,
Schrie der Fromme zu der Jungfrau,
Taucht sie lächelnd aus der Nordsee,
Schaumgeborne, Meergeborne,
Mutter sie der schönen Liebe,
Schlich sie sich in seine Kammer,
Schenkte Wein ein in den Becher.
Dieser Wein, der Jungfrau Tränen,
Wirkte wunderbare Heilung.
Und so rasch genas der Fromme,
Daß die Christenbrüder staunten.
Saß er bei den Christenbrüdern
In dem Oldenburger Lande
Und im Herzogtum Rastede,
Trank er mit den Christenbrüdern.
Sprachen seine Christenbrüder:
Sprich dich aus von dem Geheimnis
Deiner großen Kinderliebe
Und der Weisheit deiner Liebe!
Sprachen seine Christenbrüder:
Eben offen deine Wunde,
Blutete wie Wein im Becher,
Nun schon lachst du wie ein Engel!
Sprach der Fromme, der Verlobte
Jener wundervollen Jungfrau:
Der Geheimnisse Geheimnis
Ehrt man nur durch tiefe Stille
Und durch Schweigen, das ist Mystik,
Augen schließen, Lippen schließen,
Sagt ich doch von dem Geheimnis
Nicht der Mutter meines Leibes,
Nicht den Menschen dieser Erde,
Aber auch den Christenbrüdern
Sag ich nichts von dem Geheimnis,
Dem Geheimnis meiner Liebe.
Machten ihn die Christenbrüder
Trunken mit dem Wein der Franken,
Trank er allzu viel vom Weine,
Ward er wie ein Narr betrunken.
Aber Wein und wilde Weiber,
Sie betören auch die Weisen,
Leidenschaft in ihm erwachte
Und wollüstige Begierde.
Zwar des Frommen Geist ist willig,
Aber schwach das Fleisch des Menschen.
Sah er an ein Weib der Wollust,
War ein Weib wie eine Venus.
Lud der Vater dieses Weibes
Und die Mutter dieses Weibes
Ein den Frommen zur Verlobung
Mit der schaumgebornen Venus.
Und sie feierten auf Rügen,
Standen an dem Kap Arkona.
Sprach die wunderschöne Venus:
Frommer, willst du mich zum Weibe?
Sprach der Fromme: Aber, Venus,
Ich bin doch ein Gottverlobter!
Venus schüttelte die Brüste,
Ihren großen Wonnebusen!
Venus, wildes Weib voll Wollust,
Wollustvolles Weib der Wonne,
Sie entblößte ihren Busen,
Rührt den Frommen an der Lende!
Schwankend eben ward der Fromme,
Schwankend, wankend, voller Zweifel.
War es in dem siebten Jahre
Der Verlobung mit der Jungfrau.
Saß der Fromme nachts im Zelte,
Hörte er die Ostsee rauschen,
Meeresrauschen, Gottes Stimme,
Donnerte voll Macht der Himmel!
Öffnete mit lichten Blitzen
Sich der Himmel, lichte Blitze
Strahlten bis zum Throne Gottes,
Meeresrauschen, Donnerschläge!
Kam herab des Himmels Jungfrau
In dem Regen überm Zelte,
Trat die Jungfrau zu dem Frommen,
Schloß mit ihm den Bund der Ehe:
Ich will dich zum Manne nehmen,
Ist vor Gott die Ehe gültig,
Nenn mich HAGIA SOPHIA,
Gottes Frau sollst du erkennen!
Und die Jungfrau stieg gen Himmel,
Und der Fromme wie ein Singschwan
Flog zur Jungfrau in den Himmel,
Dort vollzogen sie die Ehe. –
Schau, das war mein Schwanenmärchen,
War die Mär von der Meerjungfrau,
Sagte Margarethe Schwanke,
Gottes Mutter sei dir gnädig.
REINHARD FUCHS
„Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse!“
(Die Bibel)
„Pfingsten war gekommen...“
(Goethe, Reinecke Fuchs)
ERSTER GESANG
Singe, meine liebe Muse,
Mir von Reinhard Fuchs, dem schlauen!
Widmen will ich meine Verse
Benedikt, dem deutschen Papste.
Sagen will ich von dem Landmann,
Welcher Hof und Felder hatte,
Mais und Weizen, grüne Wiesen,
Runzela hieß seine Gattin.
Um den Bauernhof gezogen
War ein Zaun zum Schutz der Hühner.
Nämlich Reinhard Fuchs, der schlaue,
Liebte sich zur Mahlzeit Hühnchen.
Runzela, die Bauersgattin,
Sprach zu Lanzelin, dem Bauern:
Bauer! Reinhard Fuchs, der schlaue,
Fraß mir auf ein Dutzend Hühner!
Bauer Lanzelot gehorchte
Seiner Bäuerin und Herrin,
Zog den Zaun um das Gelände,
Um den Hühnerhof zu schützen.
Und der Hahn hieß Schantekleros,
Starker Hahn mit rotem Kamme,
Schantekleros aber liebte
Von den Hennen meistens Pinte.
Ja, der Hahn aus seinem Harem
Fetter Hennen-Konkubinen
Liebte oft und lang und heftig
Pinte meist, die fette Henne.
Eines Tages aber nahte
Reinhard Fuchs, der schlaue, wollte
Schantekleros Arbeit machen
Und ihm dann das Leben rauben.
Reinhard sah den dicken Zaun an,
Schien zu dicht und hoch der Zaun ihm,
Doch ein Loch im Zaun entdeckte
Reinhard, durch das Loch sich zwängend.
Reinhard schlich sich durch den Garten.
Da spazierte Schantekleros
Müßig. Doch die fette Henne
Pinte schon gewahrte Reinhard.
Reinhard kommt! schrie laut die Henne,
Alle fetten Hennen schrieen,
Flüchteten mit lautem Schreien
In des Hühnerstalls Behausung.
Schantekleros seinen Hennen
Sprach beruhigend zu Gemüte:
Kommt kein Tier in diesen Garten,
Füchse nicht, nicht andre Räuber.
Aber meine lieben Weiber
Und mein Lieblingsweibchen Pinte,
Betet zu dem lieben Gotte
Für das Leben eures Hahnes!
Denn mir träumte nachts prophetisch,
Daß ich lag im roten Blute!
Komme, was da kommen möge,
Doch ich fürchte großes Unheil.
Möge mich der Engel Gottes
Schützen vor dem bösen Feinde!
Ach, mir ist so schwer zumute,
Meine Seele bangt und zittert!
Herrin Pinte sprach, die Herrin
Seines Harems fetter Hennen:
Schleicht was in den grünen Gräsern,
Ist der Feind wohl schon im Garten.
Möge Gott der Herr uns schützen,
Dich vor allem, Herr und Gatte!
Ach, ich bin verzagt und ängstlich,
Fürchte große Todesnöte!
Schantekleros sprach, der starke
Hahn mit feuerrotem Kamme:
Banger ist ein Weib doch immer
Als wir Männer jemals bangen.
Aber ich hab schon vernommen,
Was geschehen wird, im Traume
Sah ich’s schon vor sieben Jahren,
Heute muß es sich erfüllen.
Herrin Pinte aber sagte:
Mein Gebieter und mein Gatte,
Rette dich auf diesen Dornbusch,
Denk an unsre kleinen Küken!
Wenn du sterben solltest, Gatte,
Wär ich eine arme Witwe,
Müßt den Rest des Lebens weinen,
Würd mich in der Welt verlaufen.
Ach, ich bin verzagt und bange,
Fürchte um dein Leben, Liebster,
Darum bin ich so voll Kummer!
Soll der Zaun dich doch beschützen!
Reinhard Fuchs den Draht des Zaunes
Bog zur Seite, durchzuschlüpfen,
Eindrang in den grünen Garten.
Schantekleros saß im Dornbusch.
Reinhard Fuchs sprach vor dem Dornbusch
Zu dem Hahn und sagte listig:
Wer denn bist du? Bist du Sengel?
Hahn, bist du der stolze Sengel?
Schantekleros sprach zu Reinhard:
Sengel war mein lieber Vater,
Aber ich bin Sengels Erbe,
Schantekleros ist mein Name.
Reinhard Fuchs, der schlaue, sagte:
Tot ist Sengel, tot ist Sengel?
Ich beklag den Tod des Sengel!
Ehrenwert war wahrhaft Sengel.
Denn dein edler Vater Sengel
War Genosse meines Vaters.
Und dein Vater Sengel hockte
Nicht so hoch auf einem Dornbusch.
Schantekleros darauf töricht
Flatterte mit seinen Flügeln
Von dem Dornbusch auf den Rasen,
Hieß den schlauen Fuchs willkommen.
Flatternd fröhlich mit den Flügeln
Hüpfte freudig er im Garten,
War erregt und voller Wonne
Wie begattend eine Henne.
Sprach: So lehrte mich mein Vater,
Freunde seien stets willkommen.
Schantekleros war voll Freude,
Später sollte er’s bereuen.
Schantekleros krähte lautstark,
Reinhard Fuchs des Hahnes Kopf nahm
Zwischen seine scharfen Zähne,
Henne Pinte schrie voll Jammer!
Lanzelin der Landmann hörte
Seiner Henne Pinte Jammer,
Drohend trat er in den Garten,
Voller Zorn den Fuchs verjagend!
Reinhard Fuchs lief fort zum Walde.
Schantekleros aber flatternd
Hüpfte wieder auf den Dornbusch,
Seine Wunde dort zu pflegen.
Aber oben von dem Dornbusch
Höhnisch spottend Schantekleros
Rief dem Fuchs nach böse Worte.
Reinhard Fuchs rief zu dem Hahne:
Narren reißen so das Maul auf,
Nichts Vernünftiges zu sagen,
Besser wärs, du würdest schweigen,
Könnt ich dich für weise halten.
Aber Schantekleros krähte:
Bei dem lieben Gott im Himmel!
Hat mich Gott doch heut behütet,
Das kann ich wohl lauthals künden.
Aber Reinhard zog vondannen,
Nahezu vor Hunger sterbend.
Aber heimlich sann er Rache,
Reinhard Fuchs, der Schelm, der schlaue.
ZWEITER GESANG
Reinhard aber einmal schaute
Eine wunderschöne Meise
Hüpfen oben auf dem Zweige
Eines frühlingsgrünen Baumes.
Also sagte aber Reinhard:
Schönste aller Vögelinnen,
Süße Meise, ich begehre
Einen Kuß von deinem Schnabel!
Sieh mich Dürsten und Gelüsten,
Ich will küssen, sag ich, küssen!
Sei Feinsliebchen mir, treuherzig,
Gib aus Treue mir ein Küsschen!
Einen Schmatz, mein Schatz und Schätzchen!
Gib mir doch ein süßes Mäulchen!
Laß uns schnäbeln, laß uns picken!
Küssen, küssen! Picken, picken!
Denke doch daran, mein Schätzchen,
Vögelin mit goldnem Busen,
Daß ich bin der Patenonkel
Deiner kleinen Meisenkinder.
Hab ich doch dem Herrn versprochen,
Jesus Christus nachzufolgen
Und dem Teufel abzuschwören
Bei der Taufe meiner Paten.
Sprach die Vögelin, die Meise:
Reinhard Fuchs, du Schelm und Schalksknecht,
Ganz genau kenn ich dein Wesen
Und ich kann dir nicht vertrauen.
Viele böse Zungen lästern
Böse Worte über Reinhard,
Alles das hab ich vernommen,
Das ist mir ins Herz gedrungen.
Und ich fürchte deine Augen,
Zittere vor deinen Blicken,
Deine Blicke sind wie Dolche,
Mir des Busens Herz durchbohrend.
Aber weil du süchtig bittest
Um ein Küsschen, um ein Schmätzchen,
Nennst mich Schätzchen, nennst mich Liebchen
Und beschwörst mich bei der Treue,
Darum werde ich dich küssen,
Will drei Stunden lang dich küssen,
Schließe du nur deine Augen,
Wenn ich küsse deine Schnauze.
Sprach die Meise, saß im Baume,
Dreck geknetet mit den Krallen,
Ließ den Dreck geknetet fallen
Auf das rote Mündchen Reinhards
Und beschmierte seine Zähne:
Schöne Zähne, grade Reihe,
Nun befleckt mit Dreck die Zähne,
Schwarze Zähne, schmutzig, stinkend!
Reinhard merkte so, wie listig
Ist nicht nur der Fuchs alleine,
Auch die Meise ist sehr listig,
Listigste der Vögelinnen!
Während Reinhard seine Zähne
Putzte, reinigte vom Drecke,
Ist entwischt die süße Meise
Mit dem goldnen Vogelbusen.
Reinhard aber klagte Jesus:
Ach mein Jesus, ach mein Jesus,
Wie bin ich betrogen worden
Von der Vögelinnen Schönsten!
DRITTER GESANG
Reinhard hatte großes Wissen
Und beherrschte viele Künste.
Aber heute war sein Tag nicht,
Sollte ihm geschehn ein Unglück.
Sah er hoch auf einem Baume
Einen schwarzen Raben stehen,
Dizzelin des Raben Name,
Dieser Rabe war sein Neffe.
Und der Rabe hielt im Schnabel
Einen Käse, der war lecker,
Reinhard leckte sich die Schnauze
Vor Verlangen nach dem Käse.
Reinhard gönnte diesen Käse
Nicht dem Neffen, nicht dem Raben,
Voller Neid begehrte Reinhard
Für sich selber diesen Käse.
Wollte Reinhard Fuchs betrügen
Seinen Neffen um den Käse.
Er gebrauchte eine Lüge,
Um den Käse zu gewinnen.
Reinhard sprach zum Raben-Neffen:
Bist du Dizzelin der Rabe?
O wie freu ich mich, mein Neffe,
Daß dich meine Augen schauen!
Gerne hörte ich dich singen,
Singt doch herrlich deine Mutter,
Deine Mutter sperrt den Schnabel
Auf, singt Oden an die Freude!
Dizzelin der Rabe sagte:
Nie will ich die Mutter schmähen,
Denn so schön singt meine Mutter,
Süßer selbst als Nachtigallen!
Nachtigallen lieblich schmelzen
Süß verliebte Liebeslieder,
Aber meine Rabenmutter
Singt Prophetenworte Gottes!
Also riß der Raben-Neffe
Seinen Schnabel auf und krächzte.
Fiel der Käse aus dem Schnabel,
Fiel zu Grund vor Reinhards Pfoten.
Aber Reinhard selbstvergessen
Ganz vergaß den gelben Käse,
Lauschte nur dem Rabenkrächzen
Und der Ode an die Freude.
Aber Reinhard Fuchs besann sich,
Wollt er doch den Raben fressen,
Reinhard hatte seinen Neffen
Ganz genau zum Fressen gerne!
Reinhard sprach zum Raben-Neffen:
Ach mein Neffe, ich hab Herzweh!
Ich hab großen Liebeskummer!
Liebe hat mein Herz verwundet!
Und nun lieg ich krank, ermattet,
Und ich kann mich nicht bewegen,
Liegt der Käse mir vorm Maule,
Könnte mich der Käse trösten,
Doch ich komm nicht an den Käse,
Denn mein Körper ist zerschlagen!
Komm herab vom Baum, mein Neffe,
Schieb den Käse mir ins Mäulchen.
Flog der schwarze Raben-Neffe
Von dem Baum herab zu Reinhard,
Wollt er ihm aus Treue helfen,
Das gereichte ihm zu Schaden.
Schnappte Reinhard mit den Zähnen
Nach dem schwarzen Raben-Neffen,
Lachend: Meine Tante sagte,
Blut ist dicker doch als Wasser,
Du bist doch von meiner Sippe,
Uns verbindet die Familie.
Darum hab du nur Vertrauen,
Ich will doch ja nur dein Bestes.
Riß ihm aus die schwarzen Federn!
Doch entkam ihm noch der Rabe,
Setzte hoch sich auf die Zweige!
Reinhard schlich enttäuscht vondannen.
VIERTER GESANG
Gegen Reinhard ist geschritten
Diebrecht, eine wilde Katze.
Reinhard sprach: O meine Nichte,
Gut, dass ich gesund dich sehe.
Ich hab ein Gerücht vernommen,
Wie du schnell vermagst zu laufen.
Laß mich deine Künste sehen,
Laß uns in den Wettstreit treten.
Diebrecht sprach, die wilde Katze:
Reinhard, das ist meine Freude,
Daß du Kamerad mir sein willst,
Darum möchte ich dir dienen.
Reinhard aber war sehr treulos,
Treu nur seinem eignen Sterne,
Liebte nicht gemeine Treue,
Treu war er allein der Schönheit.
Und er schaute eine Falle
Auf dem Wege, sprach zur Katze:
Laß uns eilen nun des Weges!
So sehr liebte er die Nichte.
Reinhard sprach zur wilden Katze:
Laß mich deine Kräfte schauen!
Schau, da ist ein Weg, ein schmaler,
Eile nun, geliebte Nichte.
Diebrecht doch, die wilde Katze,
Wußte selber von der Falle,
Sagte: Schütze mich Sankt Georg
Vor den bösen Listen Reinhards!
Diebrecht sprach, die wilde Katze,
Über die versteckte Falle,
Kehrte wieder um zu Reinhard,
Grüßte Reinhard, leise schnurrend:
Reinhard, ist kein Tier auf Erden,
Das so schnell wie Reinhard Fuchs ist!
Reinhard sprach zur wilden Katze
Diebrecht: Aber du bist schneller!
Mach doch einmal große Sprünge
Wie als ob dir Hunde folgen,
Springe hoch, als ob umgehend
Du verlierst die sieben Leben.
Diebrecht sprach, die wilde Katze:
Große Sprünge will ich machen,
Aber Reinhard soll mir folgen,
Selber große Sprünge machen.
Diebrecht sprach, die wilde Katze:
Wer kann wohl am höchsten springen?
Reinhard lachte: Du, mein Kätzchen!
So sie wollten sich betrügen.
Diebrecht übersprang die Falle,
Reinhard folgte dann der Katze.
Katze Diebrecht stürzte Reinhard
Und so fiel er in die Falle.
Katze Diebrecht schnurrend spottet:
Reinhard Fuchs, mein Kamerade,
Schau, nun sitzt du in der Falle,
Sei dem Teufel anbefohlen!
Also schlich die wilde Katze
Sich mit diesem Fluch vondannen.
Reinhard Fuchs saß in der Falle
Und er war in Todesnöten.
Meinte er, er müsse sterben,
Er befahl die Seele Jesus!
Siehe, da kam an der Jäger,
Der die Falle ausgelegt hat.
Reinhard Fuchs versprach dem Jäger
Dreißig Münzen für die Rettung.
Schlug der Jäger auf die Falle,
Ward gerettet also Reinhard.
Reinhard sprach zu seiner Seele:
Dreißig Silbermünzen kostet
Meine Rettung vor dem Tode?
O wie teuer ist das Leben!
FÜNFTER GESANG
Reinhard war der Not entkommen,
Nun kam Isegrimm, der Wolf, an.
Als er Isegrimm, den Wolf, fand,
Reinhard Fuchs sprach zu dem Wolfe:
Edler Herr, Gott sei dir gnädig!
Gerne möchte ich dir dienen,
Dir und deinem Eheweibe
Gieremund, dem schönsten Weibchen!
Unsre Herrin Gieremunde
Wähle ich zu meiner Dame,
Will ihr sein geringster Sklave
In der Religion der Liebe!
Ich hab in der Welt vernommen,
Starker Wolf, dass du gehasst bist.
Aber nimm zum besten Freunde
Mich, zum Hausfreund deines Weibes!
Ich bin schlau und du bist kräftig,
Laß uns beide unsre Gaben
Gieremund zum Wohl verbinden,
Deine Kraft und meine Schlauheit.
Bei der Heiligkeit der Ehe!
Ich will euch ein Helfer werden.
Listig bin ich wie Odysseus
Und mit List besiegt man Burgen.
Isegrimm, der Wolf, besprach sich
Über diesen Vorschlag Reinhards
Treuer Freundschaft mit dem Weibchen
Und den beiden wilden Söhnen.
Und das Weibchen und die Söhne
Stimmten zu, dass Reinhard werde
Treuer Hausfreund der Familie.
Das ward Isegrimm zum Schaden.
Reinhard wandte seine Liebe
An die Herrin Gieremunde,
Diente ihr als Liebesdiener,
Höflich ihr den Hof zu machen.
Isegrimm, der Wolf, hat töricht
Reinhard Fuchs geschenkt Vertrauen,
Das gereichte ihm zum Schaden.
Isegrimm ward oftmals unfroh.
Isegrimm ging eines Tages
Mit den beiden wilden Söhnen
Durch das Land auf Raub und Beute,
Fleisch für Gieremund zu rauben.
Als der Wolf bei seiner Arbeit
Um das täglich Brot der Erde,
Reinhard Fuchs verliebter Liebe
Warb um Herrin Gieremunde.
Isegrimm erlangte wirklich
Einen schlechten Kameraden.
Untreu seines Freundes Name,
Hinterlist sein ganzes Wesen.
Reinhard sprach zu seiner Dame:
O du Schönste aller Frauen!
Wolltest du doch gnädig schauen
Hier auf meine Liebesschmerzen!
Unsagbarer Jammer fasst mich
Und durchbohrt mein Herz mit Schwertern!
Liebe raubt mir meinen Atem!
Ich versterbe noch vor Liebe!
Aber Gieremund, die Herrin,
Sagte ohne alle Gnade:
Sprich mir nicht von deiner Liebe,
Ich bin meines Wolfes Wölfin!
Isegrimm, mein Ehegatte,
Hat so einen schönen Körper,
Daß ich gern auf andre Männer
Ohne jeden Schmerz verzichte.
Aber selbst den Fall genommen,
Daß ich einen lieben wollte,
Einen andern Mann als meinen,
Dann doch nicht so einen Schwächling!
Reinhard aber seufzte traurig:
Ach, du sehr gestrenge Herrin!
Glaube mir, ich bin ein Kaiser,
Der dir schenkt die halbe Erde!
Wäre ich der Papst der Kirche,
Schenkt ich dir den höchsten Himmel,
Wo im Paradies Frau Liebe
Herrscht im Himmelreiche Gottes!
Ohne Ende meine Liebe!
Ja, mit Herzblut unterschreib ich
Einen Bund mit meiner Herrin,
Müßte ich auch in die Hölle!
Was wär mir der höchste Himmel
Ohne meine Gieremunde?
Aber in der Hölle bin ich
Jammernd, weil du mich nicht lieb hast!
Aber Isegrimm kam wieder
Von der Raubes schwerer Arbeit:
Ach mein Weib! Wie schwer die Armut!
Ach wir müssen Hunger leiden!
Schaute Isegrimm zu Reinhard,
Dachte er voll Stolz im Stillen:
Jeder Walfisch seine Laus hat,
Jeder Hirte hat sein Hündchen.
SECHSTER GESANG
Reinhard schaute einen Bauern,
Der trug einen großen Schinken.
Reinhard da begann zu lachen,
Leckte lustvoll sich die Lippen.
Sagte Reinhard zu dem Wolfe:
Isegrimm, du magst doch Schinken?
Isegrimm und seine Söhne
Riefen: Gerne essen Fleisch wir!
Reinhard also auf der Straße
Ging vorm Bauern auf und nieder,
Tat als wär gekrümmt sein Rücken,
Tat als müsst er humpeln, hinken.
Schrie der Bauer böse Worte,
Wollt den Fuchs er eilig fangen,
Ließ er fallen seinen Schinken,
Eilend Reinhard nachzujagen.
Aber Reinhard lief zum Walde
Und entkam dem wilden Bauern.
Aber Isegrimm indessen
Stillte sich am fetten Schinken.
Isegrimm den ganzen Schinken
Fraß alleine voll Begierde
Und vergaß den Kameraden
Reinhard, der so treu geholfen.
Kam der Bauer an die Stelle,
Wo er ließ den Schinken fallen,
Sah er Isegrimm gesättigt,
Hörte er des Wolfes Lachen.
War vom Schinken nichts geblieben,
Nichts vom roten, nichts vom weißen,
Isegrimm war gut gesättigt,
Und der Bauer ward verspottet.
Isegrimm sprach zu dem Bauern:
Glück sei meinem Kameraden,
Dem ich diesen Schinken danke!
Und vom Wald erklang das Echo.
Reinhard nahte voll Verlangen,
Voll Begierde nach dem Fleische,
Nach dem roten, nach dem weißen,
Sagte: Wo ist nun mein Fleischstück?
Isegrimm sprach so zu Reinhard:
Frage deine schöne Freundin,
Ob sie dir was aufgehoben
Von dem Fleische appetitlich!
Aber Gieremunde lächelnd
Sprach zu Reinhard, der sie liebte:
Tu für Gottes Dank die Arbeit!
Gern sollst du auf Fleisch verzichten!
Sagte Isegrimm, der starke:
Ach, mich dürstet! Hast du Rotwein?
Reinhard sagte: Euer Diener!
Ich will Rotwein dir verschaffen.
Isegrimm sprach so zu Reinhard:
Lebenslang bin ich dein Diener,
Wenn du mir genügend Rotwein
Für den Durst besorgst der Kehle!
SIEBENTER GESANG
Reinhard führte Wolf und Wölfin
Und des Wolfes wilde Söhne
In das Kloster, da die Regel
Benedikts den Orden regelt.
Und er führte in den Keller
Alle zu den Rotweinfässern.
Isegrimm war bald betrunken
Von dem edlen Blute Christi!
Isegrimm, als er betrunken,
Hob er an ein Wolfsgeheule,
Wie sein Vater früher heulte
An die keusche Mondengöttin.
Doch die Mönche aus dem Orden
Benedikts mitsamt dem Pater
Wachten auf vom Wolfsgeheule,
Alles starke Waldarbeiter!
Hören wir doch Wolfsgeheule
An die keusche Schwester Vollmond,
Auf ihr Brüder Waldarbeiter,
Waffnet euch mit Axt und Spaten!
Reinhard hörte Mönche kommen,
Eilte er sogleich vondannen.
Aber Isegrimm bezahlte
Seinen Durst nach Rotwein teuer!
Und nicht Isegrimm alleine,
Sondern ernst und streng die Mönche
Prügelten auch Gieremunde
Und die wilden jungen Wölfe.
Ganz unfreundlich so belohnten
Gieremund die starken Mönche
Für die Sünde ihres Saufens,
Die doch nur ein wenig nippte,
Wenig nippte an dem Rotwein,
Von dem Tröpfchen schon betrunken,
Isegrimm voll Glut betrachtend,
Trunken glühte Gieremunde!
Aber nun kam ihre Reue!
Niemals will ich Wein mehr trinken,
Sondern wie die Fastenbrüder
Trink ich nur noch reines Wasser.
So zerdroschen und verprügelt
Isegrimm und Gieremunde
Und die beiden wilden Söhne
Eilten jammernd aus dem Kloster.
Und die beiden Söhne sprachen
Zu dem Wolfe: Vater unser!
Dieses Liedchen an den Vollmond
Sangst du nicht zur rechten Stunde.
Vater unser! Wie ein Affe
Hast du, wie ein Narr gehandelt!
Was weißt du denn schon vom Leben?
Hör doch einmal auf die Söhne!
Aber Reinhard kam gegangen,
Hörte dieser Söhne Worte,
Sprach er zu dem Erstgebornen:
Wie sprichst du mit deinem Vater!
Gott sprach: Ehre deinen Vater!
Gott sprach: Ehre deine Mutter!
Ach, du ungezogner Flegel,
Ach du ungezogner Bastard!
Jesus ist allein allwissend,
Seufzte Herrin Gieremunde.
Ach wie teuer war der Rotwein
Und wie trocken ist die Reue!
Aber was hab ich gesündigt,
Daß mein Sohn so böse redet?
Alle Künste der Erziehung
Werden an dem Kerl zunichte!
Aber Reinhard sprach zum Troste
Der Geliebten, seiner Dame:
Sei getrost, o Vielgeliebte!
Laß kein graues Haar dir wachsen!
ACHTER GESANG
Isegrimm sprach ganz zerschlagen:
Wehe, wehe, o mein Weibchen,
Mußt du eine Witwe werden,
Wenn ich hier vor Schmerzen sterbe!
Meine Liebe, meine Liebe,
Meine Sanfte, meine Milde,
Meine Treue, meine Reine,
Anvertraut mir bis zum Tode!
Wehe, wehe, meine Söhne,
Meine beiden wilden Jungen,
Müßt ihr Waisenkinder werden?
Gott ist doch der Waisen Vater!
Aber eure süße Mutter
Bleibt bei euch, geliebte Söhne,
Führt euch durch das Land des Lebens!
Folgt gehorsam nur der Mutter!
Meine liebe Gieremunde
Wird nach meinem frühen Tode
Keinen andern Mann sich nehmen,
Wird mir Seelenmessen singen!
Diese Klage hörte Konrad.
Sprach zu Isegrimm Herr Konrad:
Isegrimm, mein Wolf, mein Lieber,
Was bedeutet deine Rede?
Isegrimm zu Konrad sagte:
Bin zerschlagen ganz am Körper
Und verwundet an dem Herzen,
Hör die Todesstunde nahen!
Trauernd über mein Versterben
Wird mein Weibchen Gieremunde
Mir zum Totenreiche folgen,
Kann nicht leben ohne Liebe!
Konrad sagte, leise lächelnd:
Nicht versterben wird dein Weibchen,
Wenn du stirbst, aus lauter Kummer,
Da sie dir nicht treu gewesen!
Sah ich zwischen ihren Beinen
Doch, dass Reinhard sie geliebt hat!
Feucht dein Weibchen, deine Wölfin,
Von der Liebe deines Freundes!
Isegrimm vernahm die Rede,
Ward sein Herz von Schmerzen bitter,
Und vor Leiden fiel in Ohnmacht
Isegrimm, der schwer enttäuschte.
Wusste Isegrimm im Kopfe
Nicht, ob Tag sei oder Nacht sei,
Ob er noch versterbend lebe
Oder ob er lebend tot sei!
Konrad aber lachte leise.
Isegrimm besann sich wieder,
Isegrimm zu Konrad sagte:
Leid und Lüge ist das Leben!
Wenn ich meines Weibes Fehltritt
Sehn will zwischen ihren Beinen,
Mußt du mir die Augen leihen,
Du mir deine Augen leihen.
Isegrimm zu seinem Weibe
Gieremunde aber sagte:
Konrad sprach, du warst mir untreu
Mit dem Kameraden Reinhard!
Gieremunde aber sagte:
Reinhard war schon lang nicht da mehr!
Gestern war er da, doch heute
Ist er nicht bei mir gewesen,
Morgen wird er wieder kommen,
Aber was dir Konrad sagte,
Höre nicht auf Konrads Rede,
Glaube du an meine Unschuld!
NEUNTER GESANG
Reinhard zog in eine Hütte,
Die befand sich in dem Walde,
Wie ein Eremit zu leben,
Um zu beten, beten, beten.
In die Hütte in dem Walde
Trug er eine leckre Speise.
Isegrimm kam zu der Hütte,
Leiden schuf ihm großer Hunger.
Als er nahte nun dem Wäldchen,
War die Seele ihm voll Kummer.
Reinhard aber lud den Bruder
Ein zur Speise eines Fisches.
Isegrimm die Zähne leckte:
Ach das duftet in dem Waldhaus
Nach gebratnem Aal so lecker,
Will ich mich zu Tische laden.
Reinhard sprach zum Wolfe lächelnd:
Eremiten immer schweigen,
Wenn sie bei der Mahlzeit sitzen
Und den Aal zu Munde führen.
Immer in der Bibel lesen
Wir bei einer guten Mahlzeit,
Laden unsern Herrn zu Gaste,
Bitten Gott um seinen Segen.
Nach dem Essen unsrer Mahlzeit
Bitten wir den Herrn im Himmel,
Uns dereinst zum Mahl zu laden,
Zu dem Hochzeitsmahl des Himmels!
Isegrimm zu Bruder Reinhard
Sprach: O Reinhard, willst du Mönch sein,
Gottgeweiht dein Leben leben
Bis zur Stunde deines Todes?
Bruder Reinhard sagte leise:
Ja, zur Buße meiner Sünden
Und zur Buße aller Sünden
Und zum Troste Unsrer Frauen!
Dich auch bitt ich um Vergebung
Und so bitt ich dich um Gnade,
Raube mir nur nicht das Leben,
Denn ich muß noch Sünden büßen!
Isegrimm zu Bruder Reinhard
Sagte: Gott hat dir vergeben
Und ich will dir auch vergeben,
Nimm mich an als deinen Bruder!
Wenn du betend in der Bibel
Psalmen singst und Gott anbetest,
Denk an Isegrimm, den Bruder,
Und an Gieremund, die Schwester!
Denk auch an die armen Söhne,
An die kleinen wilden Wölfchen,
Schließ uns ein in deine Bitten,
Daß der Himmel sei uns gnädig!
Reinhard lächelnd sprach zum Wolfe:
Komm, ich lade dich zu Tische,
Übrig blieb ein Aal, ein langer,
Führ den Aal dir in dein Mäulchen.
Isegrimm aufsperrte gierig
Seinen Rachen scharfer Zähne,
Bruder Reinhard schob den Aal ein,
Schob den Aal ein in das Mündchen.
Isegrimm sprach närrisch lachend:
Bruder Reinhard, nimm mich gnädig
Auf als Koch in deiner Hütte,
Will dir leckren Braten braten!
Bruder Reinhard sagte lächelnd:
Bruder sollst du sein im Orden,
Bruder von dem Freien Geiste,
Bratenmeister sollst du werden!
Bruder Reinhard sprach zum Wolfe:
Nun empfange auch die Taufe,
Nun die Taufe mit dem Wasser!
Nun die Taufe mit dem Feuer!
Neigte Isegrimm den Schädel
Selig übers Wasserbecken,
Bruder Reinhard übergoß ihm
Nun sein Haupot mit heißem Wasser!
Da verbrannte ihm das Haupthaar!
Schrie der Wolf: Ah weh mir, weh mir!
Bruder Reinhard sprach: Mit Schmerzen
Du verdienst das Paradies dir!
Oder meinst du, in den Himmel
Führen sanfte Rosenwege?
Bette dich ins Bett aus Dornen,
Dies nur führt zum Paradiese!
Große Dummheit lehrt die Narren,
Nur die Freuden zu genießen,
Gottes Weisheit lehrt die Frommen,
Daß den Kreuzweg sie beschreiten!
So du nun getauft, mein Bruder,
Einmal mit der Wassertaufe,
Einmal mit der Feuertaufe,
Bruder bist vom Freien Geiste,
Möge Unsre Liebe Fraue
Führen dich zum Garten Eden,
Öffnen dir die enge Pforte
Zu dem Paradies der Liebe!
ZEHNTER GESANG
Isegrimm zu Reinhard sagte:
Da wir nun sind Gottes Kinder,
Wird Gott-Vater uns ernähren
Gleich der liebevollsten Mutter?
Doch zuende sind die Aale
Und wir müssen Hunger leiden,
Ach ich muß mein Elend klagen
Gott dem Herrn im Himmelreiche!
Reinhard sprach zum armen Wolfe:
Lieber Bruder mein in Christus,
Da wir keine Fische haben,
Laß uns von der Liebe leben!
Doch bist du noch nicht so heilig,
Von der Liebe nur zu leben,
Will ich Fische dir besorgen.
Speise Fische, bis dir schlecht wird.
Nahe meinem Waldeskloster
Ist ein Teich mit klarem Spiegel,
Sind darin so viele Fische,
Man vermag sie nicht zu zählen.
Also gingen sie zum Teiche,
Liebevoll wie Brüder friedlich,
Sahn sich in die offnen Augen,
Brüder in dem Freien Geiste.
Doch der Teich war zugefroren,
Drüber starr von Eis die Decke.
Also kalt ists auf der Erde
In dem lieblos kalten Winter!
Und sie gruben in dem Eise
Sich ein Loch hinab zum Wasser.
Isegrimm ward das zum Schaden,
Denn er war ein Narr und Dummkopf.
Reinhard war erfüllt vom Zorne,
Hatte bei sich einen Eimer,
Den er nicht vergessen hatte,
Isegrimm im Zorn zu ärgern.
Reinhard band den Wassereimer
Isegrimm ans arme Schwänzchen.
Sagte Isegrimm: Im Namen
Gottes, was soll das bedeuten?
Reinhard sprach zum dummen Wolfe:
Halte deinen Schwanz, den langen,
Mit dem leeren Wassereimer
Durch das Eisloch in die Tiefe!
Schau ich durch die Eiskristalle
Doch die vielen leckern Fische.
Stehe du, dich nicht bewegend,
Angle Fische mit dem Eimer.
Isegrimm zu Reinhard sagte:
Lieber Bruder in der Liebe,
Sind auch Fische in dem Teiche?
Reinhard sagte: Viele tausend.
Isegrimm, dem dummen Wolfe,
Fror der Schwanz im kalten Wasser,
Fror das Schwänzchen fest am Eise.
Denn so frostig ist Unliebe!
In der Nacht wars kalt und frostig,
Reinhard warnte nicht den Narren,
Isegrimm erfror das Schwänzchen.
So hielts Reinhard mit der Freundschaft.
Isegrimm zu Reinhard sagte:
O der leere Wassereimer
Zieht so sehr an meinem Schwanze,
Fühle ich sehr große Schmerzen!
Aber Reinhard sprach zum Wolfe:
Aber in dem Wassereimer
Sich bewegen dreißig Fische,
Hundert sollen es noch werden.
Aber in der Morgenstunde
Ward der Wolf vom Fuchs verspottet:
Sind nun hundert Fische drinnen,
Zieh hinauf den Schwanz, den langen!
Aber Isegrimm, verspottet,
Zwar begann vor Wut zu kochen,
Doch die Hitze seines Zornes
Nicht vermocht das Eis zu schmelzen.
Also, wollte er entkommen,
Mußte er das Schwänzchen lassen.
So verlor der Wolf sein Schwänzchen,
Ließ zurück den Schwanz im Eisloch!
ELFTER GESANG
Reinhard kam zu einem Kloster,
Darin waren Barfuß-Mönche,
Da im Hofe Hühner lebten,
Leckere gebratne Hühnchen!
Reinhard leis trat in den Hof ein,
In der Mitte war ein Brunnen,
Reinhard schaute in den Brunnen,
Schaute er sein Bild im Spiegel.
Als er sah sein Bild im Spiegel,
Reinhard sprach zu seiner Seele:
Bist du das, o Geisterfüchsin,
Du Geliebte meiner Seele?
Und vor Liebe ein Verrückter
Sprang er in den tiefen Brunnen.
Schwamm er in dem finstern Wasser,
Saß auf einem harten Steine.
Isegrimm kam schwanzlos wandelnd
Aus dem Walde zu dem Kloster,
Trat er an den runden Brunnen
Und erstaunte sehr, der Dummkopf.
Isegrimm sah in den Brunnen
Und er sah sein Bild im Spiegel,
Dachte, das sei Gieremunde,
Seines Lebens Ehegattin.
Und er ward verrückt vor Liebe
Und erzählte seinem Weibchen,
Wie er seinen Schwanz verloren
Und wie übel sei die Welt doch!
Heulend Isegrimm hinabrief
In den tiefen finstern Brunnen
Und das Echo gab ihm Antwort,
So als heulte Gieremunde.
Reinhard Fuchs sprach aber flüsternd
Aus dem Abgrund dieses Brunnens,
Da sprach Isegrimm, der Dummkopf:
Sag bist du das, Bruder Reinhard?
Reinhard sagte: Meine Seele
Hörst du, tot ist schon mein Körper,
Ich bin schon im Himmelreiche,
Siebten Himmels Paradiese!
Aber dich muß ich bedauern,
Du lebst noch auf dunkler Erde.
Ich bin schon im Paradiese,
In dem Liebesparadiese!
Hier bin ich ein weiser Lehrer,
Und die ungebornen Kindlein
Sind die Schüler meiner Schule,
Lernen hier die Weisheit Gottes!
Hier ist solche süße Freude,
Solche süßen Paradiesfraun!
Dichter können das nicht sagen,
Wie glückselig ist die Liebe!
Da sprach Isegrimm, der Dummkopf:
Bruder Reinhard, Gieremunde
Seh ich auch im Paradiese
Bei dir, deine süße Freundin!
Wie kommt meine Gieremunde
Zu dir in den Garten Eden?
Gieremund im Liebeshimmel
Lebt mit dir im Paradiese?
Aber warum ist ihr Haupthaar
So verbrannt und so geschoren
Wie von Güssen heißen Wassers,
Wie von nassen Feuerfluten?
Reinhard sagte zu dem Dummkopf:
Das tat nur das Fegefeuer,
Das kannst du bei mir auch sehen,
Hat doch Feuer uns gereinigt.
Weißt du nicht, mein frommer Bruder,
Daß die Gläubigen als Tote
Müssen durch das Fegefeuer?
Christus reinigt ihre Seelen!
Gieremund und Bruder Reinhard
Brannten in dem selben Feuer,
Droben in dem siebten Kreise,
Dort wird Sinnlichkeit gereinigt.
Reinhard sprachs, doch wollt er wieder
Aufwärts aus dem finstern Brunnen,
Sprach zu Isegrimm, dem Narren,
Solche Worte seiner Klugheit:
Hier sind lauter Edelsteine,
Gold und gläserne Kristalle,
Transparenter Jaspis, Jade,
Allerreinste Muschelperlen!
Und im Himmel warten Lämmer
Auf das Hochzeitsmahl des Lammes
Und die Trauben von dem Weinstock
Auf des Himmels Trinkgelage!
Wölfinnen sind in dem Himmel,
Schöner noch als Gieremunde!
Wölfinnen, die voller Liebe
Warten auf des Wolfes Liebe!
Isegrimm sogleich verlangte,
In das Paradies zu kommen.
Reinhard sprach zum Wolf, dem Narren:
Setz dich oben in den Eimer.
Bruder Reinhard aber unten
Setzte auch sich in den Eimer.
Isegrimm fuhr rasch hinunter,
Reinhard Fuchs fuhr eilends aufwärts.
Die sich in der Mitte trafen,
Wechselten die Worte also:
Wohin fahr ich? sprach der Dummkopf.
Sprach der Schlaue: In die Hölle!
So kam Reinhard Fuchs nach oben,
Wandelte zurück zum Walde.
Isegrimm im Höllenschlunde
Litt sehr große Seelenqualen!
Aber als die Barfuß-Mönche
Singend kamen zu dem Brunnen,
Sahen sie den Wolf, den Narren,
Zogen ihn die Mönche aufwärts.
Zogen ihn die Mönche aufwärts,
Um ihn tüchtig durchzuprügeln,
Ihn wie Straßenköter tretend,
Jagend ihn aus ihrem Kloster.
Isegrimm zu seinem Weibchen
Gieremunde kam voll Jammer:
Gieremunde, Gieremunde,
Wem denn schenkst du deinen Körper?
Gieremunde, Gieremunde,
Reinhard Fuchs hat mich betrogen!
Gieremunde, Gieremunde,
Reinhard Fuchs ist mein Rivale!
ZWÖLFTER GESANG
Isegrimm zu Gieremunde
Sagte: Warum weinst du, Weibchen?
Schenke deinen lieben Körper
Nur nicht mehr dem Bruder Reinhard!
Gieremunde aber klagte:
Ach wie leb ich ohne Liebe!
Mir verleidet ist das Leben
Ohne den Genuß der Liebe!
Wehe, wehe mir, mein Männchen,
Ist mein Männchen ohne Schwanz nun!
Was soll schwanzlos mir mein Männchen?
Ach wie krank bin ich vor Liebe!
Also klagte Gieremunde.
Isegrimm verzweifelt eilte
Zu dem faulen Lager Reinhards,
Wo er lag in süßer Faulheit.
Aber von dem Liebeswettstreit
Hörte nun ein Luchs, ein junger.
Ihn betrübte dieser Wettkampf,
Hatte doch der Luchs zwei Väter,
Pries den Wolf als seinen Vater,
Pries den Fuchs als seinen Vater.
Traurig sprach der Luchs, der junge,
So zu Isegrimm, dem Wolfe:
Isegrimm, mein Wolf und Vater,
Was verklagst du meinen Vater
Reinhard Fuchs, den Patenonkel,
Meinen frommen Patenonkel?
Ich bin doch vom Wolfsgeschlechte
Und bin auch vom Fuchsgeschlechte.
Sag, worüber ihr euch streitet,
Und ich werde euch versöhnen.
Isegrimm dem Luchs gab Antwort:
Vieles wäre da zu sagen.
Höre meiner Klagen Rede,
Was mir Reinhard Fuchs getan hat.
Heute muß ich schwanzlos schleichen,
Wolf bin ich, doch fehlt der Schwanz mir.
Auch mein Weibchen Gieremunde
Nahm sich lustvoll Bruder Reinhard.
Wäre schuldig Reinhard Fuchs auch
Am Verluste meines Schwanzes,
Könnte ich ihm noch verzeihen,
War ich schon des Schwanzes müde,
Aber daß der Bruder Reinhard
Meinem Weibchen Gieremunde
Sich genaht auf ihrem Lager,
Das kann ich ihm nicht verzeihen!
DREIZEHNTER GESANG
Isegrimm kam mit der Menge
Seiner wilden Weggefährten.
Einen Teil will ich besingen,
Wenn auch ohne Wappenschilde.
Dort der Elefant, der dicke,
Dort der Elch mit dem Geweihe,
Beide schienen Reinhard Riesen,
Größer noch als selbst die Berge.
Dort die Hirschkuh mit dem Hirsche,
Randolf war des Hirsches Name,
Beide Isegrimm befreundet,
Königlich im Walde lebend.
Braun der Bär und auch das Wildschwein,
Die mit Isegrimm befreundet,
Alle großen starken Tiere
Waren Isegrimm befreundet.
Aber Reinhard nahm zum Freunde
Grimmbart, der ein kleiner Dachs war,
Keiner wich je von dem andern,
Freunde bis zu ihrem Tode.
Dort der Hase auch, der sanfte,
Dort beredsam Vater Konrad
Und viel andre kleine Tiere,
Ich kann sie nicht alle nennen.
Isegrimm, der sich bedachte,
Brachte nahe einen Köter,
Reize war des Köters Name,
Den der Wolf herbeigebracht hat.
Bei den Zähnen dieses Köters
Sollte Reinhard Fuchs beschwören,
Daß er schuldig nicht der Untreu
Mit des Wolfes Ehegattin.
Kam der Rat von Braun, dem Bären,
Das vernahm mit Ohren Reinhard,
Der da kannte viele Listen
Wie der listige Odysseus.
Grimmbart sprach, der Dachs, zu Reinhard:
O mein liebster Patenonkel,
Reinhard, hüte dich vor Reize,
Hüte du dich vor dem Köter!
Denn dort liegt er, tut als schlief er,
Aber wenn du vor ihm wandelst,
Beißt er doch mit scharfen Zähnen.
Ungesund wär diese Lehre.
Aber nun der junge Luchs sprach:
O mein Patenonkel Reinhard,
Schwöre bei des Köters Zähnen,
Reize soll es uns bezeugen,
Daß du meinem lieben Vater
Isegrimm nicht nahmst das Weibchen,
Seine Gattin Gieremunde
Nicht umworben hast in Liebe!
Reinhard sprach zum Dachs, zum Luchse:
Wär die Welt so voller Treue,
Wie ich treu doch stets gewandelt
Vor dem Gotte meiner Liebe!
Aber wisst ihr, was ich schaute?
Reize ist nicht tot, er lebt noch,
Lieber will ich rasch enteilen,
Reize soll mich nicht zerbeißen.
Reinhard also floh zum Walde.
Und die großen Tiere sprachen:
Seht, geflohn ist Bruder Reinhard,
Brach mit Gieremund die Ehe!
VIERZEHNTER GESANG
Isegrimm lief eine Strecke
Fort, ihm folgte Gieremunde,
Gieremunde wollte strafen
Ihren Freund und Bruder Reinhard,
Wollte ihren Freund und Bruder
Von dem Köter beißen lassen,
Isegrimm, dem Wolf, zur Freude,
Ihrem anvertrauten Männchen.
Reinhard wusste wohl, was lecker
War und was dem Fuchse mundet
Und er schlug den Schwanz des Fuchses
Durch den Mund der Gieremunde.
Bien-aimée, o Vielgeliebte!
Rief er lachend, eilte eilends
In die Burg, wo er zuhause,
Dieses war ein schönes Dachsloch.
Da erfrischte Bruder Reinhard
Seinen Körper durch die Ruhe.
Herrin Gieremunde aber
Eilte gleichfalls zu dem Dachsloch.
Herrin Gieremunde aber
War inzwischen dick geworden,
Stecken blieb sie in dem Eingang,
Blieb im engen Eingang stecken.
Reinhard durch den Hinterausgang
Eilte lachend aus dem Dachsloch,
Nahte aber seiner Herrin
Gieremund von hinten wieder.
Gieremunde bot den Hintern
Seinen Augen dar, er lachte:
Hochgebenedeiter Hintern!
Und so hat er sie besprungen.
Gieremunde biß im Eifer
In die Steine auf der Erde!
Da kam Isegrimm, das Männchen,
Isegrimm war voll des Zornes!
Rasch entwich der rote Reinhard!
Isegrimm mit seinen Söhnen
Griff nach Gieremunde, zog sie
Eilends aus dem engen Loche.
Herrin Gieremunde sagte:
Reinhard Fuchs hat mich betrogen!
Aber Reinhard nahte wieder,
Sagte: Ich bin ohne Sünde!
Meine allerliebste Freundin
Wollte selbst in meine Höhle,
Blieb ihr Bauch im Eingang stecken,
Hieß ich herzlich sie willkommen!
Aber Isegrimm, das Männchen,
Sprach zum Weibchen Gieremunde:
Sind wir schon im zehnten Jahre
Unsres treuen Ehebundes.
Nun hat Reinhard uns verspottet!
Ach dass er uns Freund geworden!
Wahrlich, was für eine Freundschaft,
Ist der eine ein Betrüger!
Gattin Gieremunde weinte,
Isegrimm, der Gatte, weinte,
Auch die beiden wilden Jungen
Weinten jammernd: Wehe, wehe!
Reinhard Fuchs sprach zu dem Wolfe:
Willst du weggehn, Freund und Bruder,
Dann laß bei mir Gieremunde,
Mög sie immer mich bedienen.
FÜNFZEHNTER GESANG
In dem Lande herrschte Frieden,
Da der König Frevel herrschte,
König Frevel, Löwen-König,
König aller wilden Tiere.
König Frevel war der Richter
Aller Tiere im Gerichte,
Aber selbst ein Ungerechter,
Darum hieß er König Frevel.
Aber krank ward König Frevel,
Krank ward er an seinem Geiste.
Wie das kam, das will ich sagen,
Will die Wahrheit nur berichten.
Kam er einst zum Ameis-Volke,
Sprach er zu dem Ameis-Volke:
Nicht die Ameis-Königinne,
Sondern Ich bin euer Herrscher!
Doch das Ameis-Völkchen fleißig
Treu blieb seiner Königinne,
Folgte nicht dem König Frevel,
Diesem ungerechten Herrscher.
König Frevel führte Krieg nun
Gegen das verhasste Völkchen,
Er zerstörte ihre Burgen
Und erwürgte ihre Krieger.
Dann vondannen zog der Herrscher.
Lag die Ameis-Burg in Trümmern.
Sah die Ameis-Königinne
An die Trümmer voller Jammer!
Wehe, wehe dir, mein Völkchen!
Aber Gottes ist die Rache!
Ich will deine Not vergelten
An dem ungerechten Herrscher.
Und die Ameis-Königinne
Schlich sich zu dem König Frevel,
Welcher schlummerte im Dickicht.
Sann die Königin auf Rache:
Wenn ich König Frevel beiße,
Wenn ich beiße ihn zu Tode,
Kann ich diese große Beute
Nicht in meine Burgen schleppen.
Kroch die Ameis-Königinne
In das Ohr des Königs Frevel,
In das Ohr des Löwenkönigs,
Quälte ihn als kleiner Quälgeist.
Fortan quälte König Frevel
Schrecklich allerschlimmstes Kopfweh,
Rief er immer: Wehe, wehe!
Weh den Ungerechtigkeiten!
Denn zur Strafe meiner Sünden
Quält mich diese böse Krankheit!
Aber heute tu ich Buße,
Werde ein gerechter Richter,
Werde ein Gericht berufen,
Werde richten über Reinhard,
Reinhard Fuchs will ich bestrafen,
Reinhard an den Galgen hängen!
SECHZEHNTER GESANG
König Frevel zum Gerichte
Lud die wilden Tiere alle.
Braun der Bär kam angelaufen,
Isegrimm mit Gieremunde,
Aus den Wäldern kam das Wildschwein,
Kam der Hirsch mit seiner Hirschkuh,
Kam der Gepard und der Panther,
Antilope und Gazelle,
Kam das Hermelin, das Wiesel,
Kam die Katze und das Mäuschen,
Das Kamel und die Giraffe
Und der Elefant, der dicke,
Und noch viele andre Tiere.
Und als letzter nahte Grimmbart,
Grimmbart Dachs, der kleine treue
Patensohn des Onkels Reinhard.
Braun der Bär hob seine Stimme:
Reinhard Fuchs will ich verklagen!
Isegrimm, dem Wolf und Gatten,
Riß er ab den Schwanz, den langen,
Und entheiligte die Ehe,
Lag im ehelichen Lager
Bei der Gattin Gieremunde,
Schlimme Sünde zu verüben!
Isegrimm hob seine Stimme:
Ach ich ärmster aller Wölfe!
Habe meinen Schwanz verloren
Und die Unschuld meines Weibchens!
Auf den Schwanz kann ich verzichten,
Aber wer stellt her die Unschuld
Und die Reinheit meines Weibchens,
Unschuld meiner keuschen Wölfin?
Da hob Grimmbart seine Stimme:
Hört mich an! Mein Patenonkel
Reinhard Fuchs ist ohne Sünde
An des Ehebruches Frevel!
Denn die Wölfin Gieremunde
Ist viel stärker doch als Reinhard,
Wenn er ihr nun beigelegen,
So nur weil sie selbst es wollte.
Aber selbst wenn er gesündigt,
Mein geliebter Patenonkel,
Ich, sein Patensohn, ich nehme
Auf mich des Gerichtes Strafe.
Ich will alle Strafen tragen,
Weil ich meinem Patenonkel
Das Geschenk der Taufe danke,
Sagte Grimmbart Dachs, der kleine.
Ranholt Hirsch hob seine Stimme:
Reinhard Fuchs sei hergerufen,
Komme er in sieben Tagen,
Wird das Urteil dann gesprochen.
Aber hört auch meine Meinung:
Reinhard Fuchs verdient das Urteil,
Das zu Tode ihn verurteilt,
Hängt ihn auf, den Übeltäter!
SIEBZEHNTER GESANG
Vorm Gericht des Königs Frevel
Trat der Hahn auf, Schantekleros,
Mit der fetten Henne Pinte
Und mit einem toten Küken!
König Frevel, Löwenkönig!
Schantekleros hob die Stimme:
Diese meine süße Tochter,
Reinhard hat sie totgebissen!
Und der Vater Schantekleros
Klagte: Meine süße Tochter!
Und die Mutter Henne Pinte
Klagte: Meine liebste Tochter!
Braun der Bär war aber Priester,
Trug zu Grabe nun das Küken:
Staub zu Staube werde wieder,
Asche werde wieder Asche!
Und sie senkten in der Erde
Grab hinab das tote Küken.
Braun der Bär, der Priester, sagte:
Gott, schenk ihr die Auferstehung,
Auferstehung von den Toten
Und Glückseligkeit des Himmels!
Laß sie schauen, Gott, dein Antlitz,
Leben in dem Paradiese!
Und so trugen sie zu Grabe
Dieses arme tote Küken,
Legten auf den Sarg, den kleinen,
Eine feuerrote Nelke.
Auf dem Grab der sanfte Hase
Aber süß war eingeschlafen,
Bis das laute Glockenläuten
Auferweckte ihn vom Schlafe.
Hob der Hase seine Stimme:
Ich sah in dem Traum prophetisch
Dieses kleinen Kükens Seele
Aus dem toten Körper steigen
Und zum Himmelsmonde fliegen
Und am Meer der Ruhe ruhen,
Seinen Seelenfrieden finden,
Eine Selige des Himmels!
Und die wilden Tiere alle
Knieten nieder an dem Grabe
Vor des Kükens Knochenresten
Und vereinten zum Gebet sich:
Vielgeliebtes Küken, heilig
Bist du in dem Himmelreiche,
Bitte du für unsre Seelen
Und verzeihe Bruder Reinhard!
ACHTZEHNTER GESANG
Grimmbart Dachs ward ausgesendet,
Reinhard zum Gericht zu laden.
Grimmbart sollte sein der Bote,
Obs ihn auch das Leben kostet.
König Frevel sprach zu Grimmbart:
Botenlohn soll Reinhard geben
Dir, dein lieber Patenonkel,
Wenn du rufst ihn zum Gerichte.
Alle wilden Tiere lachten
Über Grimmbarts Seelenängste,
Aber Grimmbart war voll Kummer,
Denn er zitterte um Reinhard.
Grimmbart Dachs ging durch die Wälder,
Kam zu seinem Patenonkel.
Nun vernehmt das fromme Märchen
Von des Fuchses Reinhards Rache!
Reinhards Burgtor nahte Grimmbart.
Reinhard freute sich von Herzen,
Als er sah das Patensöhnchen,
Lachte: Grimmbart ist gekommen!
Grimmbart ist zu mir gekommen!
Sei willkommen, Patensöhnchen!
Sag mir, was sie an dem Hofe
Frevels lästern über Reinhard.
Grimmbart Dachs sprach so zu Reinhard:
König Frevel voll des Hasses
Droht dir, liebster Patenonkel,
Will dich hängen an den Galgen!
König Frevel dir gebietet,
Daß du wegziehst in Verbannung
Und vereinsamst im Exile,
Oder du kommst an den Galgen!
Kommst du aber zum Gerichte,
Wird dich Isegrimm verklagen
Und die wilden Tiere alle
Sprechen dir das Todesurteil!
Reinhard Fuchs zu Grimmbart sagte:
Ich verlasse nicht die Heimat,
Nein, ich laß mich nicht verbannen
Aus dem Vaterlande Deutschland.
Und sie setzten sich und aßen,
Aßen gut und aßen lecker,
Reinhard auch genoß die Trauben
Mit dem roten Traubenblute.
Nach der Mahlzeit an dem Tische
Hat sich Reinhard Fuchs erhoben,
Ging in seine Kleiderkammer,
Setzte auf die Pilgerkappe
Mit der Muschel an der Kappe,
Zog sich an den Purpurmantel,
Nahm den Beutel eines Arztes,
Kräutermedizin und Pillen.
Und er ging als Geisterheiler,
Klug durch Überlieferungen
Der Chinesen alten Zeiten,
Die die Meister sind der Heilkunst.
Trug die Pillen in dem Beutel
Und den Stab in seiner Rechten,
Sich zwei Schlangen wanden feurig
Um den Stab, der Heilkunst Zeichen.
Reinhard mit dem Patensohne
Zog nun durch die dunklen Wälder.
Reinhard schlug das Kreuzeszeichen:
Gott bewahre uns vorm Bösen!
NEUNZEHNTER GESANG
Reinhard kam zu König Frevel,
Sagte: Majestät der Krankheit!
Ich, der Heiler, bin gekommen,
Dich vom Übel zu erlösen!
König Frevel zornig brüllte:
Ah die Schmerzen sind so grausam!
Wie willst du den König heilen
Von dem Übel seiner Krankheit?
Reinhard Fuchs hob seine Stimme:
Weise Männer der Chinesen
Lehrten mich geheime Heilkunst,
Die ist nur für Eingeweihte.
Iß nur ein gebratnes Hühnchen!
Weißes Brot dazu und Sauce.
Nimm du als gebratnes Hühnchen
Henne Pinte dir als Mahlzeit!
Dann bereite Medizin ich,
Brauch dazu den Meisenschnabel!
Den zerreibe ich zu Pulver,
Das wird aufgelöst in Wasser.
Weiter brauch ich Rabenfedern!
Denn mit schwarzen Rabenfedern
Und den spitzen Federkielen
Stech ich Nervenknotenpunkte.
Dann brauch ich das Fell der Katze!
Mit dem Fell dich einzureiben,
So elektrisch und magnetisch
Deine Energie zu stärken.
Dann brauch ich das Glied des Wolfes!
Denn aus seinen Mannessamen
Ziehe ich die Lebenskräfte,
Deine Kraft in dir zu stärken.
Dann musst du den Kopf rasieren
Braun dem Bären, dass der Priester
Mit der Mönchsfrisur nach Russland
Pilgere, dort für dich bete!
Also lehrte Bruder Reinhard
Altertums Chinesenweisheit
Eingeweihter Heilungskünste.
König Frevel glaubte alles.
Aber all die wilden Tiere
Flohen eiligst von dem Hofe!
Hatten alle Todesängste,
Hatten Angst vor Gottes Strafen!
ZWANZIGSTER GESANG
Reinhard flüsterte zu Grimmbart:
Ich weiß nicht, ob König Frevel
Je gesund wird von der Heilkunst,
Doch vollbracht ist meine Rache!
Fliehen wir, mein Patensöhnchen,
Vor dem Zorn des Königs Frevel!
Also zog der Patenonkel
Mit dem Patensohn vondannen.
Einsam wandernd auf dem Wege
Patensohn und Patenonkel,
Priesen Gottes Größe, priesen
Unsre Liebe Frau Maria.
So zuende geht das Märchen,
Das ich still für mich gesungen,
Um in großen Liebesleiden
Mir ein Lächeln zu bereiten.
Ja, ich glaube auch wie Dante:
Komm ich in den Himmel Gottes,
Grüßen mich die schönen Engel
Liebevoll mit meinen Versen!
Ich begehr von meinem Gotte
Jesus Christus nur das Eine:
Daß ich einst im Paradiese
Singen dürfe für Maria!
Unsre Liebe Frau Maria
Wartet auf dem Morgensterne,
Leb ich auf dem Morgensterne,
Trage ich der Schönheit Krone,
Singe ich als Liebessänger
Unsre Liebe Frau Maria!
Gott verzeih mir alle Sünden,
Jesus meiner sich erbarme!
MEIN MÄRCHEN
ERSTER TEIL
TORSTEN
„Kann man Eisen zerbrechen, Eisen und Kupfer aus dem Norden?“
(Jeremia, 16, 12)
„In der Welt sollten nur Torstens sein!“
(Wort Milans)
ERSTER GESANG
Muse, Torsten sollst du singen,
Torsten, Enkelsohn der Edda,
Singe Torstens Abenteuer
Zu dem Ruhme Jesu Christi!
War ein Mann mit Namen Helge,
Seine Frau hieß Ran mit Namen,
Helge lebte mit der Gattin
In der kalten Bucht der Sonne.
Jene von der Bucht der Sonne
Lagen früher oft im Streite
Mit den Leuten von der Kreuzbucht,
Doch inzwischen herrschte Frieden.
Lebte in der Bucht des Kreuzes
Edda mit der Tochter Dagmar,
Dagmar mit dem Ehemanne
Torarin, dem Vater Torstens.
Torarin war alt und seine
Augen waren fast erblindet.
Wikinger in seiner Jugend,
War er grob in seinem Alter.
Torsten war sehr groß und kräftig,
Dabei auch von sanftem Wesen,
Er half auf dem Hof des Vaters,
Fleißig wie der Männer sieben.
Torarin war arm, doch Waffen
Hatte viele er im Hause,
Hatte starke schnelle Pferde,
Die zum Pferdekampfe taugten.
Und bei Helge auf dem Hofe
Lebte Tord, der war der Großknecht,
Pferde-Tord ward er gerufen,
Grober Mann von großem Grimme.
Auch bei Helge auf dem Hofe
Waren noch zwei üble Kerle,
Torhall hieß der eine Maulheld,
Torwald hieß der andre Maulheld.
Pferde-Tord und Torsten aber
Kämpften in dem Pferdekampfe,
Ließen ihre Pferde kämpfen,
Kämpften selbst als gute Reiter.
Pferde-Tord schlug Torstens Renner
Mit der Peitsche auf die Augen,
Torsten schlug des andern Renner
Drauf zurück mit starkem Hiebe.
Pferde-Tord schlug mit der Lanze
Nach der Augenbraue Torstens,
Torstens Auge hing herunter,
Torsten nähte fest das Auge.
Torsten sprach zu allen Leuten,
Nichts zu sagen seinem Vater.
Torhall doch und Torwald nannten
Torsten fortan Lanzennarbe.
Winter war es vor der Weihnacht,
Der Geburt des Christus Jesus,
Frauen gingen an die Arbeit,
Torsten schlief noch in der Stube.
Torarin, der Vater Torstens,
Sagte: Tut dir weh dein Schädel?
Bist du nicht geschlagen worden?
Torsten, räche deine Ehre!
Torsten nahm sich seine Waffen,
Ritt zu Pferde-Tord, dem Großknecht,
Sagte: War es ein Versehen
Oder war es böse Absicht?
Pferde-Tord zu Torsten sagte:
Blase du nur heiße Worte!
Ob Versehen oder Absicht,
Tu ich dennoch keine Buße.
Torsten sagte: Deine Buße
Fordr’ ich nicht zum zweiten Male.
Und mit einem Todeshiebe
Schlug er Pferde-Tord zu Boden.
Da kam eine Frau gegangen,
Torsten sprach zu jenem Weibe:
Sage Helge, Tord ist tot nun,
Totgeschlagen von dem Stiere.
Sprach das Weib zu Torsten also:
Ich sags ihm, wenn ich dran denke,
Aber du geh nur nach Hause.
Torsten also ging nach Hause.
Helge aber sprach zum Weibe:
Wo ist Pferde-Tord, mein Großknecht?
Sprach das Weib: Wir armen Weiber,
Wie sind wir doch so vergesslich,
Ist kein Denken in den Weibern,
Nur ein Plappern und ein Schwätzen,
Wir vergessen unsern Hintern,
Wenn wir drauf nicht eben sitzen!
Sprach doch Torsten Lanzennarbe
Vor dem Stall, dass Tord nun tot sei,
Totgestoßen von dem Stiere,
Und ich sollte dir es sagen.
Helge ließ den Tord begraben,
Torsten vor Gericht verklagen.
Torsten saß zu Hause ruhig
Bei dem Bier und bei der Grütze.
Herbst kam mit dem Erntedankfest,
Torhall saß und Torwald bei ihm
An dem Feuer mit dem Braten,
Helge hörte beide reden.
Torhall sprach zu Torwald also:
Wir hier speisen kleine Lämmer,
Torsten aber einen Hammel,
Wann wird ihm zuteil die Strafe?
Hat er Pferde-Tord erschlagen,
Dafür ward ihm keine Strafe.
Wie will er des Mordes Flecken
Waschen ab von seiner Ehre?
Aber Torwald sprach zu Torhall:
Wird doch Helge sich nicht rächen
Und nicht Torarin, dem Vater,
Nehmen seines Alters Stütze.
Helge hörte diese Rede,
Sprach zu Torhall, sprach zu Torwald:
Reitet in die Bucht des Kreuzes,
Bringt herbei den Schädel Torstens!
Bringt vom Rumpf getrennt den Schädel
An die Tafel mir zum Frühstück,
Dann will ich aus Torstens Schädel
Mich mit Honigmet besaufen!
Torhall ritt mit Torwald also
Eilends in die Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Spielte dort mit seinem Messer.
Torhall sprach und Torwald sagte:
Torsten, wo sind deine Pferde?
Zeig uns deine starken Rosse,
Zeig uns deine schnellen Renner.
Auf dem Weg zur Pferdeweide
Torhall rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torhall fiel und ward erstochen.
Auf dem Weg zur Pferdeweide
Torwald rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torwald fiel und ward erstochen.
Torsten nahm die Toten beide,
Band sie an den Pferdesattel,
Schickte dann das Pferd nach Hause,
Lief das Pferd zum Hofe Helges.
Helge gleich begrub die Toten
Unter der gefrornen Erde.
Still vorüber ging die Weihnacht,
Helge lag bei seinem Weibe.
Ran sprach, Helges Ehegattin:
Wovon reden so die Leute?
Was glaubst du, wovon man redet?
Hörst du nicht die Leute reden?
Alle sagen: Dieser Torsten!
Erst schlug er den Pferde-Tord tot,
Dann erstach er unsern Torhall,
Dann erstach er unsern Torwald!
Alles Volk in der Gemeinde
Will vor Torsten Lanzennarbe
Schutz durch ihren Herren Helge,
Du sollst dich an Torsten rächen!
Helge aber sprach zum Weibe:
Unverdient ward nie getötet
Einer von den Opfern Torstens,
Dennoch werde ich dir folgen.
Und so schlief der Mann beim Weibe.
Aber in der Morgenstunde
Nahm sich seine Waffen Helge,
Schwert und Schild, zu nehmen Rache.
Als das sah die Ehegattin,
Sprach sie zu dem Ehegatten:
Wo sind deine Heeresscharen,
Die du führst zum Krieg der Rache?
Helge sprach zu seinem Weibe:
Ich alleine will mich rächen!
Sprach das Weib zu ihrem Manne:
Du alleine gegen Torsten?
Helge sprach zu seinem Weibe:
Närrin, gestern Abend sprachst du,
Ich soll mich an Torsten rächen,
Heute morgen sprichst du anders.
Aber so seid ja ihr Weiber,
Abends weinen, morgens lachen,
Einmal rückwärts, einmal vorwärts,
Schwankend wie ein Schilf im Sturme.
Auch will ich davon nichts hören,
Daß ich wär zu schwach zum Kampfe,
Du sollst mich nicht länger schmälern
Und absprechen mir die Ehre!
Helge also ritt zu Torsten,
Der war in der Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Fragte, warum Helge komme.
Helge sprach: Die Leute sagen,
Ich soll mich an Torsten rächen.
Also fordr’ ich dich zum Zweikampf,
Mög der Bessere gewinnen.
Torsten sprach: O Herre Helge,
Ich soll mich mit Helge schlagen?
Wurm bin ich und nicht ein Mensch mehr,
Fort will ich von dieser Erde!
Helge sprach: Nun komm zum Zweikampf.
Torsten sprach: Doch vor dem Zweikampf
Laß mich bitte Abschied nehmen
Noch von Torarin, dem Vater.
Torsten trat zu seinem Vater:
Helge fordert mich zum Zweikampf.
Sprach der Vater zu dem Sohne:
Lieber tot sein als ein Feigling!
Lieber will ich dich verlieren,
Als zum Sohne einen Feigling
Mir zur bittern Schmach zu haben,
Aber Helge ist der Stärkre.
Torsten kämpfte nun mit Helge,
Aber in der Abendröte
Helge sprach ermattet, dürstend:
Durstig macht mich dieser Zweikampf.
Torsten sprach zu Helge freundlich:
Trink doch Wasser aus dem Brunnen.
Helge Wasser trank vom Brunnen,
Torsten spielte mit dem Schwerte.
Wieder kämpften sie mit Schwertern,
Aber Helge sprach zu Torsten:
Halt, die Senkel meiner Schuhe
Lösten sich, ich muß sie binden.
Torsten sprach: Die Senkel binde.
Helge band die Senkel wieder,
Torsten spielte dabei friedlich
Mit dem Schwert in seinen Händen.
Und die beiden kämpften weiter.
Helges Schneide seines Schwertes
Wurde stumpf vom vielen Schlagen
Auf den Schild des starken Torsten.
Torsten sagte: Eine Pause!
Torsten holte aus dem Hause
Nun ein neues Schwert für Helge,
Neues Schwert mit scharfer Schneide.
Torsten sprach dabei zu Helge:
Über mir mein Unstern waltet,
Darum werde ich nicht siegen,
Über dir dein Glücksstern waltet.
Hätte ich dich töten können,
Ich bewies dir meine Treue,
Will dir meine Jugend weihen,
Treu dir dienen als dein Kämpfer.
Helge sprach: Erlaube aber,
Daß ich red mit deinem Vater.
Und zu Torarin, dem Vater,
Helge trat in seine Kammer.
Torarin, der Vater, fragte,
Wer in sein Gemach gekommen.
Helge sagte, Helge käme,
Torstens Tod dem Vater melden.
Hat mein Sohn sich gut geschlagen?
Also frug der Vater Helge.
Helge sprach: Ein starker Krieger
War in seinem Leben Torsten.
Aber du, o alter Vater,
Sollst an meinem Hofe leben,
Ich will wie ein Sohn dir werden
Und dich lieber Vater nennen.
Torarin, der Vater, sagte:
Von der Gunst des Herrn zu leben
Ist wohl gut im ersten Jahre,
Aber dann wird man zum Bettler.
Aber willst du mich zum Vater,
Dann tritt näher an mein Bette.
Helge trat heran ans Lager,
Torarin griff nach dem Messer.
Helge rief: Du alter Glatzkopf!
Torsten lebt, der starke Krieger,
Torsten will mir fortan dienen,
Dich will immer ich versorgen.
Torsten diente also Helge
In den stolzen Jugendtagen,
Bis er später diente besser
Seinem heilgen König Olaf.
ZWEITER GESANG
Torsten war ein Mensch voll Güte,
Allen gab er viele Gaben,
Gerne schenkte er Geschenke,
Gerne gab er all sein Geld hin.
In der Lust zu schenken maßlos,
Mahnte immer ihn sein Vater,
Seines Vaters schärfsten Vorwurf
Mußte Torsten stets ertragen.
Alles unternahm sein Vater
Zur Absicherung für Torsten,
Stets der Tadel seiner Klugheit
War: Du bist verschwendungssüchtig!
Als nun Torarin verstorben
Und vor Christus trat der Vater,
Da war Torsten überglücklich:
Muß ich ihn nun nicht mehr hören!
Vaters Rat muß ich nicht hören,
Ich kann mich nun selbst beraten.
Torsten dachte, seine Mutter
Dagmar denke auch wie Torsten.
Seine Mutter Dagmar hatte
Stets geschwiegen voller Demut,
Aber auch die Mutter Dagmar
Immer tadelte nun Torsten.
Torsten, ich bin deine Mutter,
Und als deine Mutter sag ich:
Die Verschwendungssucht macht arm dich,
So wirst du zu einem Bettler!
Aber da half keine Mahnung,
Torsten gab noch immer gerne,
Alles gab er, was er hatte,
Und er sang vom Glück des Schenkens.
Nun starb bald auch seine Mutter,
Auch die Mutter trat vor Christus,
Da war Torsten überglücklich,
Daß die Mutter nicht mehr tadelt.
Nun bin ich allein auf Erden,
Kann nun leben wie mein Herz will.
Jedem gab er Geld und Silber
Und verschenkte all sein Erbe.
Das muß ich nicht breit erzählen,
Kurz, zum Armen wurde Torsten.
Nur sein Pferd besaß noch Torsten
Und ein Beutelchen voll Silber.
Seine Freunde ihn verließen,
Arme haben keine Freunde.
Torsten ließ die falschen Freunde,
Fort ritt er auf seinem Pferde.
Torsten ritt nun öde Wege,
Seine Seele war voll Trauer,
Sicher muß er hier verlassen
Dieses Leben auf der Erde.
Wandern, wandern, weiter wandern,
Das ist alles, was er tun muß.
Auf dem Hofe eines Bauern
Bat um Unterkunft der Wandrer.
Schlief er in der Nacht sehr ruhig,
Aber morgens war der Hof leer,
Sah er vor dem Hof den Bauern
Grimmig auf dem Friedhof graben.
Warum gräbst du auf dem Friedhof?
Fragte Torsten nun den Bauern.
Sprach der Bauer: Diese Tote
Ist mir noch ihr Silber schuldig.
Unten in dem Grab des Sarges
Ist ihr Ring mit Amethysten,
Ruhen soll sie nicht im Grabe,
Soll im Jenseits Ruh nicht finden.
Torsten sprach: Darf ich bezahlen
Dir die Schulden dieser Toten?
War der Bauer einverstanden,
Ruhte weiter still die Tote.
Torsten gab sein letztes Silber,
Frug den Bauern dann des Weges
Zu den Siedlungen der Menschen,
War zu einsam seine Seele.
Wies der Bauer ihm die Straße
Zu den Siedlungen der Menschen:
Kommst du aber an den Kreuzweg,
Reite südwärts und nicht nordwärts.
Torsten kam bald an den Kreuzweg,
Ritt ein wenig Richtung Süden,
Dachte, wie es lustig wäre,
In den Norden doch zu reiten.
Ritt er also in den Norden,
Kam zu einem leeren Schlosse,
Sieben Betten in dem Schlosse
Und ein Tisch mit sieben Tellern.
Torsten deckte alle Teller
Mit der Speise aus der Küche
Und bereitete die Betten
Auch mit frischgewaschnen Laken.
Schließlich ruhte er im Winkel,
Wartend auf die Schlossbewohner.
Schließlich knarrte laut die Pforte
Und die Schlossbewohner kamen.
Riesen kamen in die Schlossburg
Und der erste Riese sagte:
Hier ist einer, dem ich werde
Wohl mitspielen müssen übel!
Doch der andre Riese sagte,
Der da war der größte Riese:
Nein, der machte uns das Essen
Und bereitete die Betten,
Der steht unter meinem Schutze,
Und ich bin der stärkste Riese.
Und der Riese sprach zu Torsten:
Bleibe bei uns eine Woche!
Bleib nicht nur an diesem Tage,
Sondern bleibe eine Woche,
Mach du uns ein leckres Essen
Und bereite unsre Betten.
Torsten sagte zu dem Riesen:
Gut, ich bleibe eine Woche.
Aber Torsten blieb drei Jahre
In der Schlossburg bei den Riesen,
Machte ihnen leckres Essen
Und bereitete die Betten.
Überfiel ihn Langeweile,
Trank er eine Flasche Rotwein.
Alle Räume anzuschauen
In der Schlossburg war erlaubt ihm,
Bis auf das verbotne Zimmer,
Das er nicht betreten durfte.
Nur der größte aller Riesen
Konnte diesen Raum betreten,
Denn um seinen Hals am Kettchen
Trug zum Raume er den Schlüssel.
Torsten sprach zum großen Riesen:
Treu war ich in kleinen Dingen,
Laß nun auch in großen Dingen
Meine Treue dir beweisen,
Laß mich ins verbotne Zimmer!
Doch der große Riese sagte:
Treu warst du in großen Dingen,
Doch das Zimmer ist verboten.
Was in dem verbotnen Zimmer
Sich befindet, das ist nichtig,
Nichts sind alle Kreaturen,
Sein alleine hat die Gottheit.
Torsten aber listig, heimlich
Machte vom geheimen Schlüssel
Einen Abdruck sich im Brotteig
Und er feilte einen Schlüssel.
Und er trat ins dunkle Zimmer
Und entzündete die Kerze,
Sah ein Mädchen angebunden
An kastanienbraunen Haaren,
Dürr das Mädchen, abgemagert,
Dem Skelett gleich eines Toten.
O wer bist du, liebes Mädchen?
Fragte Torsten dieses Mädchen.
Ich bin May-Britt, bin die Tochter
Eines Königs und mein Vater
Ist in Dänemark der König,
Aber ich bin hier gefangen,
Weil der Riese mich zur Frau will,
Aber ich will ihn zum Mann nicht.
Torsten liebte jenes Mädchen,
Dänemarks Prinzessin May-Britt.
Und er schlich sich alle Tage
Heimlich ins verbotne Zimmer
Und gab May-Britt Wabenhonig,
Bis sie wieder kräftig wurde.
Torsten sprach zum großen Riesen:
Ich war treu in großen Dingen,
Gib als Lohn mir, mein Gebieter,
Was da im verbotnen Zimmer.
Zwar das wollte nicht der Riese,
Torsten aber konnte betteln,
Konnte bitten, konnte flehen,
Also sagte Ja der Riese.
Und nach einem schönen Sommer
Tat der Riese auf das Zimmer,
Staunte, wie so schön sei May-Britt,
Welche Wohlgestalt der Körper!
Torsten aber nahm sich May-Britt
Und entfloh der düstern Schlossburg.
May-Britt, dieses schöne Mädchen,
Schien die Seele seiner Seele.
May-Britt aber, die Prinzessin
Dänemarks, sprach so zu Torsten:
Riesen werden dich verfolgen,
Nimm die Rüstung, nimm die Waffen.
Wahrlich, sieben Riesen eilten,
Zu bekämpfen Torsten grimmig.
Torsten rang mit allen Riesen,
Sechs der Riesen schon bezwingend,
Lag er unterm siebten Riesen!
May-Britt nahm das Schwert des Helden
Torsten, schlug dem siebten Riesen
Seinen Schädel ab vom Rumpfe!
Torsten nahm Prinzessin May-Britt,
Eilte zu dem Strand des Meeres,
Sahen sie ein Schiff sich nahen,
Gingen sie an Bord des Schiffes.
Auf dem Schiff war der Minister,
Der dem Vater May-Britts diente,
Ihm versprach der Vater May-Britts
Ehelich die Hand der Tochter.
Der Minister aber Torsten
Setzte aus im kleinen Boote
Und erklärte sich zum Retter
Seiner dänischen Prinzessin.
Torsten in dem kleinen Boote
Trieb in aufgewühlter Ostsee
Und die Macht des Elementes
Drohte ihm mit frühem Tode!
Da erschien der Toten Seele,
Der einst Torsten in dem Grabe
Ihre Grabesruhe wahrte
Und bezahlte ihre Schulden,
Dankbar war der Toten Seele
Und sie führte in dem Boote
Torsten bis hinauf nach Norweg
Zu dem heilgen König Olaf!
DRITTER GESANG
Einst der heilge König Olaf
War bei einem Festgelage
Auf der Blumeninsel Öland,
Torsten war bei ihm, sein Krieger.
Abends an dem Tisch beim Trinken
Sprach der heilge König Olaf:
Will im Freien einer pissen,
Soll er nicht alleine gehen,
Sonst geschehen wird ein Unglück,
Sprach der heilge König Olaf.
Alle tranken fleißig weiter
Von dem besten roten Weine.
Die Germanen trinken wenig,
Aber oft Germanen trinken,
Wenn Germanen aber trinken,
Trinken reichlich die Germanen.
Dann ging jedermann zu Bette.
In der Nacht in seinem Bette
Torsten wach ward vom Bedürfnis,
Torsten wollte draußen pissen.
Aber alle andern schliefen,
Torsten wollte keinen wecken,
Also ging er in das Freie
Einsam, ohne sich zu fürchten.
Sah er aber in dem Freien
Stehen einen runden Steintisch,
Um den Tisch zwölf Stühle standen,
Torsten setzte sich auf einen.
Plötzlich kam herbei ein Toter,
Der sich setzte an den Steintisch.
Torsten sprach zum Totengeiste:
Toter, sag mir deinen Namen!
Ich bin Torkel, auch geheißen
Werde ich der dünne Torkel.
Einst mit König Harald Kriegszahn
Fiel ich auf dem Schlachtgefilde.
Woher kommst du, fragte Torsten.
Aus der Hölle, sprach der Tote.
Torsten sprach: Wie ist die Hölle?
Und wem geht es dort am besten?
Siegfried geht es dort am besten,
Denn er heizt dort einen Ofen.
Torsten sprach: Das ist nichts schlimmes.
Sprach der Geist: Er ist das Feuer!
Torsten sprach: Wie ist die Hölle,
Wem geht’s dort am meisten übel?
Sprach der Geist: Dem alten Starkard
Geht es übel in der Hölle,
Sein Gebrüll ist selbst für Teufel
Sehr unangenehm zu hören,
Alle Toten, alle Teufel
Finden darum keine Ruhe.
Warum schreit er so, sprach Torsten,
Was denn leidet er für Qualen?
Sprach der Geist: Der alte Starkard
Zu den Knöcheln steht im Feuer.
Das ist nicht so schlimm, sprach Torsten,
Für so einen großen Helden.
Sprach der Geist: Sein ganzer Leib brennt,
Ragen nur heraus die Füße!
Ja, sprach Torsten, das ist schrecklich,
Schrei doch einmal seine Schreie.
Sprach der Tote: Nun, so schrei ich.
Und er schrie ein lautes Schreien.
Torsten hielt sich zu die Ohren,
Ward ihm übel von dem Schreien.
Also schreit der alte Starkard,
So am lautesten schreit Starkard?
Nein, so schreien kleine Teufel,
Sprach der Geist, die Schreie Starkards
Sind noch schrecklicher und stärker.
Und der Tote schrie entsetzlich!
Torsten staunte, dass der Tote
Solche Schreie schreien konnte.
Torsten beinah fiel in Ohnmacht
Vor dem widerlichen Schreien.
So am lautesten schreit Starkard?
Frug den Geist des Toten Torsten.
Nein, sprach der, das ist sein Flüstern,
Seine Schreie sind noch lauter.
Torsten sprach zum Geist des Toten:
Also schrei die Schreie Starkards,
Wie am lautesten schreit Starkards,
Also sollst du einmal schreien.
Torsten hielt sich zu die Ohren,
Atem holte nun der Tote
Und er brüllte so entsetzlich –
Da erklang die Kirchenglocke.
Da verschwand der Geist des Toten.
Torsten aber ging zu Bette.
Morgens sprach der heilge Olaf:
War alleine jemand draußen?
Schlechte Laune hatte Olaf.
Torsten sprach: Ja, ich war draußen,
Aber es ist nichts geschehen,
Jedenfalls nichts allzu Schlimmes.
Sprach der heilge König Olaf:
Eigensinnig sind Germanen,
Übertreten die Gebote.
Aber was hast du gesehen?
Torsten alles nun erzählte.
Sprach der heilge König Olaf:
Warum ließest du ihn schreien
In der Nacht, den Geist des Toten?
Torsten sprach zum heilgen Olaf:
Hattest du uns doch geboten,
Nicht allein heraus zu gehen,
In der dunklen Nacht zu pissen.
Draußen war ich nun alleine,
Aber als ich schaute Torkel,
Ließ ich diesen Geist so schreien,
Daß du davon wach wirst, König.
Denn ich dachte: Wird mein König
Wach, der heilge König Olaf,
Dann ist mir auch gleich geholfen.
König Olaf sprach: So wars auch,
Denn ich wurde wach vom Schreien,
Ließ die Kirchenglocke läuten,
Nichts vermochte sonst zu helfen
Als Geläut der Kirchenglocke.
VIERTER GESANG
Torsten war beim König Olaf,
Bei dem heilgen König Olaf,
In Thor-Hammerstadt in Norweg
Residierte König Olaf.
Torsten ward Gefolgsmann Olafs,
Der hielt ihn für einen Helden.
An dem Hof die andern Leute
Meinten, Torsten sei barbarisch.
Olaf gab ihm manchen Auftrag,
Schickte ihn auf manche Seefahrt,
Oft auch Schätze zu erwerben,
Manches Kleinod für den König.
Einmal Torsten war in Finnland,
Irgendwo im Land der Lappen.
Als die Sonne stand im Osten,
Torsten stand an einem Hügel.
Sah er einen kleinen Knaben,
Sprach der Knabe: Liebe Mutter,
Gib mir meinen Zauber-Krummstab,
Will ins Land der Toten fliegen.
Und da kamen aus dem Hügel
Hände, einen Krummstab reichend.
Ritt der Knabe auf dem Krummstab,
Flog er in das Land der Toten.
Torsten drauf sprach auf dem Hügel:
Mutter, gib mir meinen Krummstab!
Sprach die Mutter: Wer denn bist du?
Torsten sprach: Dein zweites Söhnchen.
Torsten ritt dem kleinen Knaben
Auf dem Krummstab nach, im Fluge
Kamen sie zur Welt der Toten,
Kamen zu dem Fluss aus Feuer,
Kamen zu der Lebensquelle,
Kamen zu dem goldnen Schlosse,
Da der Toten-König lebte
Mit der Königin der Toten.
Alle saßen an der Tafel,
Tranken aus den goldnen Bechern
Alten allerbesten Rotwein
Und berauschten sich am Rotwein.
Torsten aber und der Knabe
Waren unsichtbar den Toten.
Und der Knabe, Speise sammelnd,
Lief von einem Tisch zum andern.
Eben kam ein neuer Toter,
War aus Indien ein König,
Brachte er dem Totenkönig
Einen Ring von Gold und Silber.
Torsten sah auch auf dem Tische
Schön das seidenweiße Tischtuch,
Rings besetzt mit Edelsteinen.
Torsten wollte Ring und Tischtuch.
Torsten betend mit dem Herzen
Betete zum heilgen Olaf,
Nahm den Ring von Gold und Silber
Und das seidenweiße Tischtuch.
Torsten floh, die Toten folgten,
Torsten kam zum Feuerflusse,
Alle Toten ihn umringten,
Torsten tötete viel Tote.
Da kam auch der kleine Knabe,
Reichte Torsten seinen Krummstab,
Kamen sie zur Welt des Lichtes,
Stand dort schon des Knaben Mutter.
Sprach die Mutter: O mein Knabe,
Wer ist der an deiner Seite?
Sprach der Knabe: Das ist Torsten,
Und ein großer Held ist Torsten.
Torsten ging zu König Olaf,
In Thor-Hammerstadt in Norweg
Torsten überreichte Olaf
Ring und Tischtuch als Geschenke.
Torsten wollte noch nach Öland,
Dieser blauen Blumeninsel
Schwedens, aber über Winter
Blieb beim König er in Norweg.
Aber als der Frühling nahte,
Da fuhr Torstens Schiff nach Oslo.
Da sah einen Zwerg er sitzen,
Bis zum Boden ging der Bart ihm.
Doch der Zwerg mit langem Barte
Weinte: Weh mir! Gottes Adler
Hat entführt mein kleines Söhnchen,
Der soll Mundschenk Gottes werden!
Torsten gleich mit Pfeil und Bogen
Schoß den Adler ab vom Himmel,
Trug das goldne Zwergensöhnchen
Wieder zu dem Zwergenvater.
Torsten sprach zum Zwergenvater:
Tröste nun dein Zwergensöhnchen!
Sprach der Zwerg: Was willst du haben
Für die große Tat der Rettung?
Torsten sprach zum Zwergenvater:
Gutes tut man, weil es gut ist.
Das braucht keiner zu belohnen.
Lohn ist in sich selbst das Gute.
Sprach der Zwerg: Nimm meinen Mantel,
Der ist aus dem Fell des Lammes,
Trägst du ihn, wird dir nichts schaden,
Trag du nur den Lammfellmantel.
Nimm auch meinen Ring von Silber,
Stets hast du genug des Geldes,
Immer reichlich Öre-Münzen,
Dich wird nicht das Elend plagen.
Nimm du auch dies schwarze Steinchen,
Reibst du es mit deinen Händen,
Bist du unsichtbar den Menschen,
Bist du unsichtbar den Riesen.
Nimm auch dieses bunte Dreieck,
Weißer, goldner, roter Farbe.
Das sei deine Macht und Stärke
Und in großen Nöten Rettung.
Schlägst du auf die weiße Stelle,
Kommen harte Hagelkörner.
Schlägst du auf die goldne Stelle,
Kommt die große Sonnenhitze.
Schlägst du auf die rote Stelle,
Blitze kommen dann und Donner.
Und des Zwergenvaters Gaben
Torsten nahm entgegen dankbar.
Torsten fuhr mit seinen Leuten
Übers Meer in seinem Schiffe,
Bis in einem Fjord geankert
Sie und frische Lachse aßen.
Torsten ließ dort seine Männer
Bei dem Schiffe, ging alleine,
Ging allein durch finstre Wälder,
Sah er hohe Riesen reiten.
Sah er in der Morgenröte
Drei sehr große Männer reiten,
Zwei in scharlachroten Kleidern,
Ritten schnell auf grauen Hengsten.
Einer ritt in goldnen Kleidern
Schnell auf einem weißen Pferde.
Sprach der eine zu den beiden:
Was denn lebt dort bei der Eiche?
Wer denn bist du? Torsten sagte:
Ich bin Torsten, Olafs Krieger.
Sprach der Mann: Ein Krieger bist du?
Ich nenn lieber dich ein Kindlein!
Torsten sprach: Wie ist dein Name?
Sprach der Mann: Ich heiße Godmund,
Bin der Sohn von einem König
Und mir dient das Land der Riesen.
Ich will in das Land der Heiden,
Denn dort herrscht der König Gerhard,
Er soll mich an Vaters Stelle
Nun zu einem König machen.
Zwischen unserm Lande aber
Und dem kalten Land der Heiden
Fließt ein Fluß, der breit und kalt ist,
Eiskalt ist des Flusses Wasser.
Diese zwei an meiner Seite,
Das sind meine besten Helden,
Ist des einen Name Vollkraft,
Ist des andern Name Allkraft.
Torsten sprach: Ich möchte gerne
Mit euch reiten in den Norden.
Godmund sprach: Du aber, Torsten,
Bist doch einer von den Christen,
Die an Jesus Christus glauben!
Aber gut ist es und sicher,
Wenn uns schützt der heilge Olaf,
Darum reite mit uns, Torsten.
Also kamen sie zum Flusse,
Dessen Wasser kalt wie Eis war.
Godmund ritt auf seinem Schimmel
Durch die eisigkalten Fluten.
Torsten auch saß auf dem Schimmel,
Doch berührte mit dem Fuße
Torsten jenes kalte Wasser,
War als ob ein Blitz ihn träfe.
Als sie also drüben waren,
Schlug sich Torsten eine Zehe
Von dem Fuße. Godmund staunte,
Er hielt Torsten für sehr mutig.
Torsten sprach zu Godmund aber:
Ich will unsichtbar begleiten
Euch zum Königreich der Heiden.
Da war einverstanden Godmund.
So sie kamen zu der Halle
In der Burg des Heidenkönigs,
Aßen Fleisch und tranken Rotwein
Und dann gingen sie zu Bette.
Aber an dem nächsten Morgen
Godmund trat zum Heidenkönig.
Gab der Heidenkönig Gerhard
Godmund einen Königsmantel.
Godmund aber hob das Kuhhorn
Voll mit Honigmet und trank es
Aus in Einem Zug und sagte:
Treue schwöre ich dem König!
Unter Gerhards Leuten aber
Waren zwei verstockte Sünder.
Jörkul hieß der eine Sünder,
Frosti hieß der andre Sünder.
Jörkul nun und Frosti fingen
An zu zanken und zu streiten
Und sie stritten sich mit Vollkraft
Und sie stritten sich mit Allkraft.
Sie bewarfen sich mit Knochen,
Sie bewarfen sich mit Schädeln,
Warfen Feuereisenkugeln
Und begannen dann zu ringen.
Groß und stark war wahrlich Vollkraft,
Aber Jörkul war noch stärker,
Groß und stark war wahrlich Allkraft,
Aber Frosti war noch stärker.
Ihre Bosheit ihre Stärke
Und sie hätten auch gewonnen,
Wenn nicht unsichtbar noch Torsten
Seinen Freunden beigestanden.
Torsten siegte mit den Knochen,
Torsten siegte mit den Schädeln,
Mit den Feuereisenkugeln
Und im Ringkampf siegte Torsten.
Aber da kam König Gerhard
An mit einem Menschenschädel,
Der war voll mit schwerem Rotwein,
Gerhard forderte nun Godmund:
Kannst du diesen Menschenschädel
Mit dem schweren roten Weine
Trinken leer in Einem Zuge,
Dann will ich dich gehen lassen.
Aber unsichtbar stand Torsten
Bei dem jungen König Godmund.
Und den Wein des Menschenschädels
Trank er leer in Einem Zuge.
Torsten war ein Held im Kämpfen,
Mehr noch als ein Held im Kämpfen
War ein Held im Trinken Torsten,
Keiner trank so viel wie Torsten!
Godmund, Torsten, Vollkraft, Allkraft,
Gingen nun zu ihren Pferden.
Doch der Heidenkönig Gerhard
Wollte sie nicht gehen lassen.
Torsten aber machte Hagel,
Harte Hagelkörner schlugen
Nun in Stücke Gerhards Halle
Und verletzten auch den König.
Torsten machte Sonnenhitze,
Sonnenhitze schmolz den Hagel,
Überflutete das Wasser
Nun die Burg des Heidenkönigs.
Torsten aber machte Donner,
Torsten aber machte Blitze,
Funken, Flammen, Feuerpfeile,
Und so starb der Heidenkönig.
Aber da erblickte Torsten
Einen großen Apfelgarten.
Godmund Abschied nahm von Torsten,
Sagte: Lob sei Jesus Christus
Und dem heilgen König Olaf!
Wenn du kommst zum heilgen Olaf,
Gib ihm diesen goldnen Becher
Und dies seidenweiße Tischtuch.
Aber in dem Apfelgarten
Torsten schaute eine Jungfrau,
Siv war dieser Jungfrau Name,
Torsten liebte Siv von Herzen
Gleich vom ersten Augenblicke.
Siv und Torsten nun gemeinsam
Nach Thor-Hammerstadt sie zogen
Zu dem heilgen König Olaf.
Heilger Olaf, sagte Torsten,
Lehre Siv den Christenglauben,
Nimm sie auf in Christi Kirche
Durch das Sakrament der Taufe.
Und dann segne unsre Ehe.
Siv ward Torstens Ehegattin
Und sie lebten auf der Insel
Öland in vertrauter Liebe.
Siv ward schwanger dann von Torsten
Und gebar ein süßes Mädchen,
Diese ward genannt mit Namen
Tordis in der Taufe Gottes.
Und dass nicht Gespenster, böse
Geister seine Tordis plagten,
Brachte Torsten an am Hause
Segensreich die Kreuze Christi.
FÜNFTER GESANG
Torsten lebte mit der Gattin
Siv in Thorhallstadt im Seetal.
Ihre kleine Tochter Tordis
War entwöhnt schon von den Brüsten.
Torsten hatte viele Tiere,
Eine große Herde Schafe,
Auf der Weide aber schaurig
Lebte ein Gespenst und Spukgeist.
Keiner wollte Schafe hüten,
Hirte sein bei Torstens Herde.
Torsten ging zum alten Manne
Torodson, sich zu beraten.
Torodson der Alte sagte:
Ich kenn aber einen Hirten,
Der ist grob und ohne Bange
Vor den spukenden Gespenstern,
Gram sein Name, er ist grausam,
Darum fürchten ihn die Leute.
Gram ist leider auch voll Streitsucht,
Stiftet Zank oft unter Leuten.
Aber den nimm dir zum Hirten,
Der nicht bangt vor den Gespenstern.
Torsten ging vom alten Manne
Fort und wollte Gram zum Hirten.
Doch zwei Eselshengste waren
Fortgelaufen, Torsten suchte
Seine beiden Eselshengste,
Da traf er auf Gram, den groben.
Gram war groß und dick wie Ochsen.
Doch sein Haar war wie vom Grauwolf,
Seine Augen kalt und eisern,
Torsten war es fast zum Gruseln.
Was ist deine Lieblingsarbeit?
Fragte Torsten. Gram gab Antwort:
In dem Winter in dem Froste
Andrer Leute Herden hüten.
Torsten sprach: Mich hat beraten
Torodson, ich soll dich nehmen.
Gram der Grobe aber sagte:
Ich behalte meine Freiheit..
Wenn mich überfällt der Ärger,
Werde grimmig ich und zornig.
Torsten sagte: Doch ich nehm dich.
Doch bei meiner Herde spukt es.
Gram der Grobe aber sagte:
Spukgespenster sind mir lieber
Als die Menschen dieser Erde,
Ja, ich mag die Spukgespenster.
Torsten fand die Eselshengste,
Dankte Torodson dem Alten,
Ging dann heim zu Frau und Tochter
Und da kam die schöne Weihnacht.
Gram gekommen war zur Herde,
Weidete im Winter Schafe,
Brüllte donnernd wie der Nordsturm,
Niemand hatte lieb sein Wesen.
Siv auch liebte nicht den Groben,
Siv vor allen, ihn verachtend,
Sagte: Nie traut sich der Unhold
In die liebe Kirche Gottes!
Ohne Glauben, eigensinnig,
Ohne Freundlichkeit des Herzens,
Ohne Lächeln, ohne Liebe,
Stets war grimmig Gram der Grobe.
An dem Tage vor der Weihnacht
Gram verlangte nach dem Essen.
Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:
Morgen ist das Fest der Weihnacht,
Und daß Gottes Sohn geboren
Wird in seiner Frommen Herzen,
Wollen wir vorm Feste fasten,
Fasten Gott zum Wohlgefallen.
Grimmig sagte Gram der Grobe:
Besser waren noch die Menschen,
Als sie wilde Heiden waren,
Konnten fressen, konnten saufen!
Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:
Dir wird es noch schlecht ergehen!
Gram fraß aber Fleisch in Menge
Und es roch sein Atem übel.
Draußen aber war ein Schneesturm
Und es heulte in den Lüften
Und die Nacht war undurchdringlich,
Gram war ganz alleine draußen.
Torsten, Siv und Tordis gingen
In den Gottesdienst der Weihnacht,
Unsre Liebe Frau zu grüßen,
Die den Gottessohn geboren.
Gram der Grobe blieb verschwunden,
An dem Tage nach der Weihnacht
Suchten alle aus dem Dorfe
Draußen nach dem wilden Heiden.
Und sie fanden nicht die Herde,
Fanden nur noch auf den Bergen
Knochen von den toten Schafen,
Schenkelknochen, Widderschädel.
Sahen eine rote Blutspur,
Gram der Grobe blieb verschwunden.
Wohl das Spukgespenst des Ortes
Hat getötet Gram den Groben.
Später fanden sie die Leiche
Grams, sie wollten seine Leiche
Tragen in die Kirche Gottes,
Konnten doch sie nicht bewegen,
War so schwer des Toten Leiche,
Denn selbst seine Leiche wollte
Christlich nicht begraben werden
In der lieben Kirche Gottes.
Wollten sie die Heidenleiche
Draußen auf dem Feld begraben,
Sollt ein Kreuz auf seinem Grabe
Stehen durch die Hand des Priesters,
Kam der Priester zwar gegangen,
Fand doch nicht des Heiden Leiche,
Sich verbarg die Heidenleiche
Vor dem gottgeweihten Priester.
Nur die Bauern ihn begruben
Unter einem Haufen Steine,
Wandten schauernd sich vom Grabe
Und entflohen mit Entsetzen.
Seit dem Tage seines Todes
Aber spukte Gram der Grobe,
Ritt sein Totengeist im Winter
Immer auf den Häuserdächern,
Ging sein Totengeist im Winter
Durch die Dörfer, durch die Felder
Und zerstörte viele Häuser
Und erschreckte viele Seelen.
Aber in der Zeit des Frühlings
Kam ein großes Schiff gefahren,
Torgaut war darauf der Seemann,
Unbeweibt, allein war Torgaut.
Torsten trat herauf zum Schiffe
Und er sprach zum Schiffer Torgaut:
Willst du meine Herde hüten?
Aber Vorsicht, es gespenstert!
Torgaut aber sprach zu Torsten:
Ich will deine Herde hüten,
Hab nicht Angst vor den Gespenstern,
Was man auch am Abend munkelt.
Also auf der Sommerweide
Torgaut hütete die Schafe,
Aber als die Herbstzeit nahte
Gram der Grobe wieder spukte.
Gram ritt auf den Häuserdächern,
Aber Torgaut sprach zum Toten:
Komm mir einmal nahe, Spukgeist,
Dann will ich dich Saures lehren.
Wieder kam heran die Weihnacht.
Torsten ging mit Siv, der Hausfrau,
Und der jungen Tochter Tordis
In der Weihnacht in die Kirche.
Torgaut aber bei der Herde
Hütete die Schafe draußen,
Schneesturm brüllte an dem Himmel,
Frostigklar die Sterne glänzten.
Siv, die Hausfrau, sprach zu Torsten
Leise in der Kirche Gottes:
Daß nur Torgaut nicht auch sterbe
Und ermordet wird vom Spukgeist.
An dem schönen Weihnachtsfeste
Speisten die gebratne Ente
Siv und Torsten und die Tochter,
Torsten trank vom roten Weine.
An dem Tage nach der Weihnacht
Torsten sprach zur Dorfgemeinschaft:
Laßt uns jetzt nach Torgaut schauen,
Ob er lebt noch bei den Schafen.
Torsten und die Dorfbewohner
Suchten auf der Weide Torgaut,
Fanden nur noch Menschenknochen,
Nur zerbrochne Knochenreste.
Trauernd trugen sie die Knochen
In die liebe Kirche Gottes
Und beerdigten die Knochen
Unter einem Kreuze Christi
Und der Priester weihte Torgaut
Gott dem Herrn und seinem Sohne
Und empfahl die Seele Torgauts
Unsrer Lieben Frau Maria!
Torgaut fand im Himmel Frieden,
Ruhte in dem Schoße Gottes,
Ging nicht um auf dieser Erde
Als Gespenst und böser Spukgeist.
Alle Bauern aus dem Dorfe
Nun verließen ihre Hütten.
Torsten, Siv und Tordis blieben
Ganz allein in ihrem Hause.
Nur ein alter Rinderhirte
Blieb im treuen Dienst bei Torsten.
Eines Tages in dem Winter
Siv ging hin, die Kuh zu melken.
Da sah sie den Rinderhirten,
Tot lag er, entzweigebrochen
Seines Leichnams Menschenknochen
Von dem Spukgeist, Gram dem Groben.
Pferde, Esel, Kühe, Schafe,
Alle mordete der Spukgeist,
Torsten ging mit der Familie
Traurig fort aus seinem Dorfe.
Torsten blieb bei seinen Freunden,
Bis der Winter war vorüber.
Als der Frühling wiederkehrte,
Ist zurückgekommen Torsten.
Frühling kam und Sommersonne,
Aber als die Herbstzeit nahte,
Nahte wiederum der Spukgeist,
Krank ward Tordis, Torstens Tochter!
Tordis starb, die Tochter Torstens,
Durch das Wirken des Gespenstes!
Da kam aus dem fernen Finnland
Hilfe, kam der heilge Torfinn!
Torfinn blieb bei Siv und Torsten,
Die um ihre Tochter klagten.
Torfinn kämpfte mit dem Geiste
Und er siegte in der Weihnacht!
Frostigklar die Sterne strahlten,
Torfinn mit dem Geiste kämpfend
Sah dem Geiste in die Augen
Und entsetzte sich vor Schrecken!
Als des Geistes Sterben nahte,
Sprach der Geist zum heilgen Torfinn:
Du hast mich besiegt durch Stärke,
Durch die Stärke deines Glaubens.
Doch bevor ich ganz vergehe,
Will ich dich verfluchen, Torfinn:
Völlig einsam sollst du leben,
Außenseiter, allen fremd sein,
Immer deine Seele schaue
Meine Augen voll Verachtung,
Immer sollst du leiden, trauern,
Deine Seele bleibt voll Schwermut!
So besiegte diesen Spukgeist
Torfinn durch die Macht des Glaubens.
Torsten und der heilge Torfinn
Brannten das Gespenst zu Asche.
Nie mehr spukte dieser Spukgeist.
Doch der heilge Torfinn wurde
Außenseiter der Gemeinschaft,
Stets war traurig seine Seele.
Aber Torsten und die Hausfrau
Siv beklagten ihre Tochter:
Gott hat Tordis uns gegeben!
Gott hat Tordis uns genommen!
Gottes Name sei gepriesen!
Nackt sind wir zur Welt gekommen!
Nackt wir gehen zu den Toten!
Halleluja! Halleluja!
ZWEITER TEIL
PETER
„Und es kommt vor, dass es einen vollen Tag anhält und die Seele umhergeht wie jemand, der viel getrunken hat, aber doch nicht soviel, dass er von Sinnen ist, oder wie ein Melancholiker, der zwar den Verstand nicht völlig verloren hat, aber stets an Einer Sache haftet, die sich in seiner Vorstellung festgesetzt hat und von der ihn auch niemand abbringen kann.“
(Teresia von Avila, die innere Burg)
„Und wenn ihr eine Rose seht, sagt ihr, ich laß sie grüßen!“
(Else Lasker-Schüler)
ERSTER GESANG
Singe, märchenhafte Muse,
Singe meinen Helden Peter,
Seine Hochzeit mit Maria
Zu dem Ruhme Jesu Christi.
An der Grenze Frieslands lebte
Einst ein Mann mit Namen Bernhard,
Der nahm sich zum Eheweibe
Seine schöne Dorothea.
Dorothea, arm geboren,
War zwar arm, doch auch gebildet,
War voll Tugend und voll Sitte
Und sie liebte ihren Gatten.
Beide hätten gerne Kinder
Von dem lieben Gott empfangen,
Aber Gott gewährte leider
Nicht die Gnade eines Kindes.
Schließlich sie beschlossen beide,
Einen armen Waisenknaben
Als ihr Kind zu adoptieren,
Peter war im vierten Jahre.
Peter, lieblicher und schöner
Als die andern Waisenkinder,
Ward von ihnen großgezogen
Wie die eigne Frucht des Leibes.
Bald geschah es aber dennoch,
Daß die Mutter Dorothea
Schwanger ward vom Gatten Bernhard
Und gebar ein eignes Söhnchen.
Beide Eltern voller Freude
Nannten Valentin das Söhnchen
Nach dem Schutzpatron der Liebe,
Waren sie vor Liebe närrisch.
Doch die Zwietracht (die die Griechen
Eris nannten), sie, die Feindin
Aller Harmonie und Liebe,
Streit sie stiftet unter Brüdern.
Valentin im Kinderspiele
Konnte Peter gar nicht leiden,
Neidisch war er sehr, weil Peter
Schöner war und vielmals klüger.
Valentin im Zorne einmal
Nannte Peter einen Bastard,
Immer wieder rief er Peter
Bastard, immer wieder Bastard!
Peter sprach: Ich bin ein Bastard?
Meine Mutter Dorothea,
Bist du wirklich meine Mutter,
Bernard, bist du auch mein Vater?
Mutter Dorothea sagte:
Nein, ich hab dich nicht geboren.
Diese Worte seiner Mutter
Stachen Peter in die Seele!
Peter war so voll des Jammers,
Hätt sich beinah selbst ermordet!
Dann beschloß er fortzuwandern,
Seine Eltern zu verlassen.
Als das Dorothea hörte,
Da verfluchte sie den Bastard:
Möge eine Meeresnixe
Ihn hinab ziehn in den Abgrund!
Peter aber zog des Weges,
Wanderte hinab gen Süden,
Kam er in den Wald der Fichten,
In die Teuteburger Waldnacht.
Sah er einen Wolf im Walde,
Einen Adler bei dem Wolfe,
Die Ameise war die dritte,
Stritten um den Hirsch, den toten.
Peter aber voller Weisheit
Teilte nun des Hirsches Körper,
Wolf, Ameise, Adler waren
Ganz zufrieden mit dem Urteil.
Da der Undank ist der Welt Lohn,
Doch die Tiere waren dankbar,
Gaben Peter sie die Gabe,
Je nach Wunsch sich zu verwandeln.
Wollte er ein Adler werden,
Spricht er: Wär ich doch ein Adler,
Also gleich wird er zum Adler,
Gleich drauf wird er wieder menschlich.
Also auch mit Wolf, Ameise.
So die Tiere sich bedankten.
Peter wanderte durch Deutschland,
Kam ins Ammerland, das grüne,
Kam nach Oldenburg. Dort sah er
Die Prinzessin voll der Weisheit,
Unsre Liebe Frau Maria,
Die er wollt zur Ehegattin.
Aber auch ein schwarzer Moslem
Wollte freien Sankt Maria.
Sankt Maria wollte lieber
Einen Christen zum Gemahle.
Zum Turnier geladen waren
Graf und Herzog und die Ritter,
Auch der schwarze Moslem kämpfte
Um die Hand der reinen Jungfrau.
Peter aber sah Maria
Droben stehn auf dem Balkone
Mit den andern Edelfrauen,
Vollmond sie im Kreis der Sterne.
Sagte Peter: Wär ich Adler!
Also Adler wurde Peter,
Flog als Adler in die Kammer
Unsrer Lieben Frau Maria.
Hörte Unsre Frau das Rauschen
Seiner Flügel in der Kammer,
Rief sie: Vater in den Himmeln,
Suchst du heim die Tochter Gottes?
Peter sprach: Wär ich Ameise!
Und Ameise wurde Peter,
Krabbelte im langen schwarzen
Haare Unsrer Frau Maria.
Dann stand Peter da als Peter,
Sprach zur Lieben Frau Maria:
Jungfrau, ich will sein dein Sklave,
Mehr dein eigen als ein Sklave!
Wie soll ich bei dem Turniere
Um die Hand der reinen Jungfrau
Als dein Held vor dir erscheinen,
Welche Kleider soll ich tragen?
Sprach Maria: Weißes Linnen
Sollst du tragen, Weiß des Glaubens.
Und Maria schenkte Peter
Edelsteine, Gold und Silber.
An dem Tage des Turnieres
Peter kam im weißen Linnen,
Peter kam im Weiß des Glaubens,
Ritt auf einem weißen Pferde.
Peter kämpfte mit dem Moslem
Um den Ruhmeskranz des Sieges.
Peter siegte. Alle staunten:
Wer ist dieser Unbekannte?
Unsre Liebe Frau Maria
War sehr froh, dass Peter siegte
Und sie dankte Gott im Himmel:
Vater, Danke dir für Peter!
Als die Nacht herbeigekommen,
Setzte Unsre Frau Maria
Sich allein an ihre Tafel,
Speiste Rinderfleisch und Rotkohl,
Hatte vor sich auf dem Tische
Einen roten Wein aus Frankreich.
Stand die Tür zu dem Balkone
Offen, kam herein der Adler,
Setzte Peter sich zu Tische,
Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.
Sagte Peter zu Maria:
Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im grünen Kleid der Hoffnung!
Peter kam im grünen Kleide,
Wieder im Turniere siegte
Peter in dem Kleid der Hoffnung
Über jenen schwarzen Moslem.
Und am Abend wieder Peter
Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.
Sagte Peter zu Maria:
Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im roten Kleid der Liebe!
Peter sagte: Meine Herrin,
Wenn ich morgen nicht erscheine,
So darfst du doch nicht verzweifeln,
Sondern weiter an mich glaube.
Und am dritten Tag des Kampfspiels
Nicht erschien im roten Kleide
Seiner Liebe Ritter Peter,
Sondern Peter war verschwunden.
Unsre Liebe Frau Maria
Aber ging im roten Kleide,
Aber ging im roten Rocke,
Unsre Frau der Schönen Liebe!
Peter wanderte zur Nordsee
Und bestieg ein Schiff im Hafen
Norddeich, fuhr zur Insel Baltrum,
Weiter fuhr er auf die Nordsee,
Denn der Fluch der Mutter Peters
Mußte sich zuerst erfüllen.
Aus dem grauen Meer der Nordsee
Tauchte auf die nackte Nixe,
Lang die rötlichblonden Locken,
Klein und straff die Mädchenbrüste,
Vor die Scham hielt sie das Händchen,
Und sie stand auf einer Muschel.
Halb sie zog ihn, halb versank er
In der nackten Nixe Armen.
Doch der Seemann Ulrich Ulrichs
Sah es, sagte es Maria.
Und Maria voller Kummer
Mit dem kleinen Jesuskinde,
Der vier Jahre zählte eben,
Fuhr im Schiffe auf die Nordsee.
Unsre Liebe Frau Maria
Hatte einen Bronze-Apfel,
Hatte einen Silber-Apfel,
Hatte einen goldnen Apfel.
Und Maria kam zur Stelle,
Wo die schöne nackte Nixe
Peter in das Meer gezogen,
Jesulein begann zu weinen.
Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Gab ihm ihren Bronze-Apfel.
Tauchte auf die nackte Nixe,
Sprach die Nixe zu Maria:
Gib mir deinen Bronze-Apfel,
Gib ihn mir zum Preis der Schönheit,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeige dir das Haupt des Mannes.
Unsre Frau gab Jesu Spielzeug
Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf,
Voll sein Bart und dicht sein Haupthaar.
Jesulein begann zu weinen,
Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Reichte ihm den Silber-Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:
Gib mir deinen Silber-Apfel,
Bin die Schönste doch der Frauen,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeig dir seinen Oberkörper.
Unsre Frau gab Jesu Spielzeug
Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf
Mit dem runden Oberkörper.
Jesulein begann zu weinen,
Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Gab ihm ihren goldnen Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:
Gib mir deinen goldnen Apfel,
Sollst den ganzen Peter sehen.
Unsre Frau gab ihr die Goldfrucht,
Und so ward gerettet Peter.
Unsre Frau Maria sagte:
Freund, zur Strafe deiner Sünden
Will ich eine Zeit verschwinden,
Aber suche mich von Herzen!
ZWEITER GESANG
Peter lebte nun in Friesland
In der Burg des Grafen Frieslands,
Bei dem frommen Grafen Ulrich
In der festen Burg von Berum.
Ulrich hatte schöne Töchter,
Drei der Gräfinnen voll Hochmut,
Elsa, Frauke, Kunigunde
Waren voller Stolz und Hoffart,
Aber Annchen war die Jüngste,
Die war hübsch und nett und niedlich,
Die war freundlich, herzlich, lieblich,
War wie eine Schwester Peters.
Aber Unsre Frau Maria
Lebte in dem Ammerlande
Ganz verborgen ihre Kindheit
Träumend unter den Zigeunern.
Ja, sie lebte unter Blumen
Vor der ganzen Welt verschlossen
Und sie sprach nur mit den Pferden,
Spielte mit Zigeunerkindern.
Nichts von dieser Welt gesehen
Hat Maria in der Kindheit,
Blumen, Pferde, Kinder, Engel
Waren ihre Spielgefährten.
So behütet in dem Garten
Der Natur des lieben Gottes
Wuchs sie auf in aller Unschuld,
Rein wie Kinder, schön wie Engel!
Als sie siebzehn Jahre zählte,
Ging im Garten sie spazieren,
War geschmückt mit Gold und Perlen,
Einer Krone auf dem Haupte,
Denn als Fürstin der Zigeuner
Trug sie Schmuck von Perlenketten
Und als Königin der Armen
Eine goldne Himmelskrone.
Doch da kam herab ein Adler
Und aus Gottes stillem Garten
Er die Königin Maria
Riß hinan zum Vater Äther
Und entführte durch den Himmel
Sie, die Fürstin der Zigeuner,
Bis er sich hernieder senkte
Über einem Baum in Berum.
Dieser Baum war eine Eiche,
Die stand vor der Burg von Berum,
Auf der Eiche grünem Wipfel
Stand die Königin Maria.
Und des Grafen Ulrich Gattin
War die fromme Gräfin Folka,
Folka eben stand mit Peter
In dem grünen Park von Berum.
Sprach die Königin Maria:
Himmelskrone, Perlenkette,
Alles möchte ich euch schenken,
Will als schlichte Magd euch dienen.
Zwar ich bin die Himmelsfürstin
Der Zigeuner und der Armen,
Doch vor allem Magd des Höchsten,
Menschendienerin voll Demut.
Also nahm die Gräfin Folka
Unsre Liebe Frau Maria
Auf in ihrer Burg von Berum
Als geringe Magd voll Demut.
Leise sprach die Magd voll Demut:
Ich bin sehr geschickt in Künsten
Und im Handwerk, gib mir Arbeit,
Laß mich weben, spinnen, sticken.
Und die schlichte Magd voll Demut
So geschickt war in den Künsten,
Machte aus den schönen Perlen
Solche schönen Perlenketten,
Daß von Lütetsburg die Fürstin
Zu der Gräfin sprach von Berum:
Diese schlichte Magd voll Demut
Ist wohl eine Himmelsfürstin!
Aber Peter, unerleuchtet,
Nicht erkannte die Geliebte,
Doch dann gingen ihm die Augen
Auf vor Unsrer Frau Maria,
Als er eines Nachts alleine
Trat in ihre stille Kammer,
Sah er Unsre Frau Maria
Stehn in reinem weißen Linnen
Und das Linnen ihres Kleides
Straffte über ihren Brüsten
Sich wie eine weiße Rose!
Schaute er der Jungfrau Antlitz
Von so femininer Anmut,
Aber auch zugleich voll Trauer,
Und er schaute ihre Augen
An wie Doppel-Abendsterne,
Und aus ihren Augenquellen
Strömten Menschentränen, tropften
Auf die straffen vollen Brüste,
Rannen in den Schoß der Jungfrau!
Eben in dem Augenblicke,
Da die Tränentropfen rannen
Strömend in den Schoß der Jungfrau,
Sah er einen Pfeil aus Feuer,
Schaute Peter einen Seraph,
Der den spitzen Pfeil aus Feuer
Peter schleuderte entgegen
Und durchbohrte so das Herz ihm,
Daß gestorben ist aus Liebe
Peter von dem Pfeil des Engels,
Von dem Feuerpfeil des Seraphs,
Von der Schönheit der Madonna!
Nun kam Gottes Magd Maria
Vors Gericht des Grafen Ulrich,
Richterinnen seine Töchter
Elsa, Kunigunde, Frauke.
Elsa sprach, Maria solle
Büßen siebzig lange Jahre,
Kunigunde grimmig sagte,
Büßen soll sie vierzig Jahre,
Frauke sprach von sieben Jahren.
Aber Annchen war voll Güte:
Büßt Maria sieben Jahre
In dem Turm der Burg von Berum,
Soll des toten Peter Leiche
Bei ihr liegen in dem Kerker.
So saß nun die Magd gefangen,
Bei ihr lag der tote Peter.
Weinte Gottes Magd drei Jahre
Um des toten Peter Leiche,
Kam vom Himmel her der Adler
Und erschien vorm Kerkerfenster,
Fallen ließ er sieben kleine
Adlerjungen, tote Vögel,
Ließ ein Kraut hernieder fallen,
Das die Toten auferweckte.
Gottes Magd verstand die Botschaft
Und sie nahm das Kraut vom Boden
Und erweckte Peters Leiche,
Er erwachte, sah Maria!
Da kam Ulrichs Tochter Annchen,
Brachte Trank und brachte Speise,
Brachte Peter die Gitarre,
Die sonst Gräfin Folka spielte.
Peter in dem Arm Mariens
Spielte jede Nacht Gitarre
Und die blauen Töne schluchzten
Aus der Einsamkeit des Kerkers.
Als vergangen sieben Jahre
In der Einsamkeit des Kerkers,
Kam von Lütetsburg der Häuptling
Und er hörte die Gitarre.
Sprach er: Wer lässt die Gitarre
Solche blauen Tönen weinen?
Herzenstrauer ist kein Übel,
Sondern Bitternis und Härte,
Aber die Gitarrentöne
Sind voll Zärtlichkeit der Seele
Und die blauen Töne weinen
Weiche Wehmut sanfter Liebe!
So Maria kam mit Peter
Hand in Hand aus dem Gefängnis.
Elsa, Kunigunde, Frauke
Aber mochten nicht Maria.
Sprach Maria: Was begehrt ihr?
Elsa sagte: Milch und Honig!
Kunigunde sagte: Käse!
Frauke sagte: Brot und Knoblauch!
Und Maria schenkte Elsa
Einen Krug von Rosenquarze
Mit geschmolznem Gold als Honig
Und die Milch war weiße Jade.
Gottes Magd gab Kunigunde
Einen Brocken Gold als Käse,
Als Gewürz, statt Petersilie,
Dienten Splitter von Smaragden.
Und Maria schenkte Frauke
Statt des Brotes eine Truhe
Ganz aus Silber und statt Knoblauch
Schenkte sie ihr einen Jaspis.
Aber Unsre Frau Maria
Schenkte Annchen diese Gnade:
Jesus kam, berührte Annchen,
Heilte sie an Leib und Seele!
Doch zu Peter sprach Maria:
Nie vergiß die Todesstunde
Und wer dich erweckt vom Tode!
Suche mich von ganzem Herzen!
DRITTER GESANG
Peter lebte nun in Norddeich
Mit der Lieben Frau Maria
In der allerbesten Freundschaft,
Auch war Jesulein bei ihnen.
Peter und Maria oftmals
Gingen Hand in Hand spazieren.
Sahen sie drei Rosen stehen,
Eine weiße, rote, goldne.
Peter pflückte eine rote
Rose für die reine Jungfrau
Und Maria tat die Rose
Im Gemach in eine Vase.
In der Mitternacht im Dunkel
Hörte Peter eine Stimme:
Peter, öffne meine Blüte,
Schließe auf den Kelch der Rose!
Peter sprach zur reinen Jungfrau:
Jungfrau, hast du mich gerufen?
Sprach die Liebe Frau zu Peter:
Nein, ich hab dich nicht gerufen.
Da trat Peter zu der Vase,
Zu der roten Rosenblüte.
Aus der Rose stieg ein Mädchen,
Sprach: Ich bin die Herrin Rosa!
Ich will deine Liebste werden,
Aber Unsre Frau Maria
Sollst du töten, o mein Peter,
Mich zum Eheweibe nehmen!
Peter aber wollte niemals
Unsre Frau Maria töten!
Doch er warf sie in den Kerker
Und vergnügte sich mit Rosa!
Aber an dem Morgen nahte
Jesulein, da sah er Rosa,
Sprach er: Wo ist meine Mutter?
Rosa ist nicht meine Mutter!
Herrin Rosa sprach zu Jesus:
Ich bin aber Herrin Rosa,
Ich bin wahrlich deine Mutter,
Ich bin wahrlich deine Herrin!
Ich, die schönste Herrin Rosa,
Bin die Herrin aller Leute,
Ich bin auch die Herrin Peters,
Alle Menschen meine Sklaven!
Gab ihr einer Widerworte,
Ward sie wild wie eine Wölfin.
Jesus aber hörte weinen
Seine Mutter in dem Keller.
Und Maria weinte bitter:
Gib mir nur ein Stück des Brotes!
Jesus reichte durch das Gitter
Ihr ein kleines Stück des Brotes.
Aber krank ward Herrin Rosa,
Tod bedrohte Herrin Rosa,
Also sagte sie zu Jesus:
Jesus, reise du nach Frankreich
Und in Lourdes geh zu der Quelle
Und vom Wasser schöpf ein Fläschchen,
Daß der Quell von Lourdes mich heile,
Geh du fort und komm bald wieder!
Jesus nahm zuerst noch Abschied
Von Maria, seiner Mutter,
Dann nahm er ein Schiff nach Frankreich,
Fuhr zum Golfe von Gascogne.
An dem Fuß der Pyrenäen
Sah er seinen Pflegevater,
Josef mit den grauen Haaren,
Josef mit dem grauen Barte.
Josef stand mit einer Flasche
Rotwein von Bordeaux am Fuße
Des Gebirges melancholisch
Und er sprach zum Pflegesohne:
O mein Liebling! O mein Liebling!
Schöpfe nur in Lourdes das Wasser,
Aber kehrst du heim nach Friesland,
Geh zuerst in jene Kammer,
Die verschlossen ist mit Siegeln,
Die bewacht wird von den Schwestern
Rosas. Diese Schwestern heißen
Schwester Blanka, Schwester Aura.
Kommst du aber in die Kammer,
Tu was du nur immer möchtest,
Liebe Gott und alle Seelen
Und dann du was du nur möchtest.
Jesus mit dem Fläschchen Wasser
Von der Quelle kehrte wieder,
Kam zur Burg der Schwestern Rosas,
Grüßte er die beiden Schwestern.
Schwester Blanka, weißgekleidet,
Sie glich einer weißen Rose.
Schwester Aura, goldgekleidet,
Sie glich einer goldnen Rose.
Dann trat Jesus in die Kammer,
Die verschlossen war mit Siegeln,
Dort sah er drei Kerzen brennen,
Eine weiße, rote, goldne.
Und er wusste, wenn er ausbläst
Diese Kerzen, werden sterben
Rosa und die beiden Schwestern,
Waren ihre Lebenslichter.
Ausblies er die weiße Kerze,
Schwester Blanka ist gestorben,
Ausblies er die goldne Kerze,
Schwester Aura ist gestorben!
Dann nahm er die rote Kerze
Mit der Lebensflamme Rosas,
Jesus eilte so zu Peter
Und zu Peter sagte Jesus:
Welches Leben ist dir lieber,
Welche Liebe ist dein Leben,
Hier die stolze Herrin Rosa
Oder dort die Muttergottes?
Peter sprach: Die Muttergottes
Ist die Liebe meines Lebens!
Jesus sagte drauf zu Peter:
Also lösch die rote Kerze!
So verlosch die Herrin Rosa.
Schwarzer Qualm stieg in die Lüfte.
Kam Maria aus dem Keller,
Jesus reichte ihr das Fläschchen,
Und Maria gab das Fläschchen
Peter und sie sprach zu Peter:
Trink du stets aus diesem Fläschchen,
Jeden Abend leer das Fläschchen,
Nie wird leer sein dieses Fläschchen,
Immer wieder will ich’s füllen!
Hüte dich vor fremden Frauen!
Wandre fort von diesem Orte,
Später will ich dir begegnen,
Sollst in Oldenburg mich suchen,
Bleib mir treu und treu bleib Jesus,
Zieh nach Oldenburg, Geliebter!
VIERTER GESANG
Anna und Joachim waren
Alte Leute, unfruchtbare,
Hatten leider keine Kinder,
Gott versagte ihnen Kinder.
Eines Tages aber Anna
Schaute Gabriel, den Engel,
Gabriel zu Anna sagte:
Anna, du wirst schwanger werden.
Anna aber sprach zum Engel:
Ich, die unfruchtbare Alte?
Und der Engel sprach zu Anna:
Wirst gebären einen Apfel!
Wahrlich, Anna wurde schwanger,
Schwanger Anna war neun Monde,
Dann gebar sie einen Apfel,
Allerschönste Paradiesfrucht.
Und Joachim tat den Apfel
Fromm auf eine Silberschale,
Die lag auf dem Gartentische
In dem Oldenburger Garten.
Gegenüber diesem Garten
Lebte Peter mit dem Freunde
Mark, sie lasen in der Bibel,
Sangen früh und spät den Lobpreis.
Eines Abends hörte Peter
Mark ihn von der Dachterrasse
Rufen: Peter, komm, ein Wunder!
Schau, ein Mädchen wie ein Wunder!
Peter von der Dachterrasse
Sah hinüber in den Garten.
Auf der Schale lag der Apfel,
Aus dem Apfel stieg ein Mädchen!
Wusch das Mädchen sich mit Wasser,
Kämmte sich die langen Haare!
Also schaute König David
Aphrodisisch die Bathseba!
Die geboren aus dem Apfel,
Nannte Peter theologisch
Neue Eva, dritten Himmels
Königin des Paradieses!
Dann verschwand die Neue Eva
Wieder in der Paradiesfrucht.
Peter aber voller Liebe
War fortan zur Neuen Eva.
In der ersten Morgenröte
Peter ging zur alten Anna:
Anna, höre meine Bitte,
Bitte gib du mir den Apfel!
Aber Anna sprach erschrocken:
Bei den Schmerzen meiner Wehen,
Wer ist würdig zu empfangen
Diese süße Paradiesfrucht?
Aber Peter bat mit Flehen
Und er bettelte so lange,
Bis ihm Anna gab den Apfel.
Peter brachte ihn nach Hause.
Peter schloß in seiner Zelle
Ein sich mit der Paradiesfrucht,
Schaute allezeit das Mädchen
Waschen sich, die Haare kämmen,
Ihre langen schwarzen Haare
Kämmen, die noch feucht vom Bade,
Legen an die Hauchgewande
Und den Muschel-Liebreizgürtel!
Wie ein Mystiker verschwiegen
Peter lebte in der Zelle
Nur mit seiner Paradiesfrau,
Mit des Apfels Neuer Eva.
Zu der Zeit sprach Dorothea,
Die sich Peters Mutter nannte,
Zu dem Freunde Mark: Mein Söhnchen
Will mich gar nicht mehr besuchen
Und nicht speisen mehr den Rotkohl
Und nicht mehr den Rinderbraten
Mit Kartoffeln, sondern einsam
Bleibt er nur in seiner Zelle.
Peter aber ward gerufen
In den schönen Süden Deutschlands
Und in Heidelberg im Schlosse
Er studiert die Minnehandschrift
Und studierte Ich und Nicht-Ich
Und die absolute Freiheit
Bei dem roten Wein des Südens
Aus dem Heidelberger Fasse.
Da kam aber Dorothea
Aus dem Norden zu der Wohnung
Peters, sprach zu Mark: Mein Söhnchen
Will, dass ich die Kammer putze.
Mark gab also ihr den Schlüssel.
Dorothea in der Zelle
Sah den Apfel auf der Schale.
Eifersüchtig auf den Apfel
Nahm den Dolch sie aus der Scheide
Und erstach die Paradiesfrucht!
Da verblutete der Apfel
Und voll Blut war Peters Kammer!
Dann zog Dorothea wieder
In den hohen Norden. Aber
Mark sah in der Kammer Peters
Nun die Frucht in ihrem Blute!
Mark rief: Wehe, weh dir, Lilith,
Du Dämonenbraut des Teufels!
Mark verließ die Wohnung eilig
Und er wanderte nach Hamburg.
Aber auf dem Wege schaute
Mark Sankt Gabriel, den Engel,
Sprach zu Mark der Engel Gottes:
Kehre um zu deinem Freunde,
Nimm mit dir den Balsam Gottes,
Mit dem Balsam heil den Apfel,
Wecke auf die Paradiesfrau,
Die der Herr bestimmt für Peter.
Mark kam wieder in die Wohnung,
Wo er sonst mit Peter lebte,
Er belebte nun den Apfel,
Gab der Neuen Eva Wasser.
Da kam aber Peter wieder
Von der Heidelberger Brücke
Und dem Neckar und er grüßte
Liebevoll die Neue Eva.
Sprach die Neue Eva lächelnd:
Dorothea wollt mich töten,
Mark gab mir das neue Leben,
Und nun bin ich reif zur Hochzeit!
Peter gingen auf die Augen:
Diese schöne Neue Eva
In der Frucht des Paradieses
War die Liebe Frau Maria!
FÜNFTER GESANG
Als in Oldenburg war Peter,
Liebte er drei schöne Frauen,
Freundinnen der Seele Peters,
Seine lieben Seelenschwestern.
Marianne war die erste,
War die älteste von dreien,
Katharina war die zweite,
Eva aber war die Jüngste.
Kamen in der Mittagsstunde
Drei gemeine grobe Kerle,
Nahmen sich die Seelenschwestern
Peters rasch zu Ehefrauen.
Kam ein Schweinehirte, stinkend,
Der nahm sich die Marianne,
Kam ein Jäger, mordbegierig,
Der nahm sich die Katharina,
Kam zuletzt ein Totengräber,
Der nahm sich die junge Eva.
Peters Seelenschwestern haben
Alle ihn sogleich verlassen.
Peter war allein in seiner
Oldenburger Zelle, betend
Schlief er ein und träumte: Selig,
Wen küsst die geheime Rose!
Rosa Mystica, dein Küssen
Ist berauschender als Rotwein!
Peter wachte auf und wollte
Küssen die geheime Rose.
Peter suchte allerorten
Der geheimen Rose Lippen,
Wanderte von Land zu Lande,
Kam nach Lourdes im schönen Frankreich.
Und in Lourdes an seiner Quelle
Sah er einen kleinen Knaben,
Sah ihn weinen, tat ihn trösten,
Rief der Knabe seine Mutter.
Seine Mutter Marianne
War, die Seelenschwester Peters,
Die begrüßte ihren Bruder
Froh mit großen Mondenaugen.
Auch ihr Schweinehirt inzwischen
War veredelt von der Liebe
Und der Schweinehirte schenkte
Peter goldne Schweineborsten.
Peter wanderte nach Russland
Und dort traf er Katharina,
Die ihn drückte an den Busen,
Weinte große Kullertränen.
Und ihr Jäger war inzwischen
Auch veredelt von der Liebe
Und der wilde Jäger schenkte
Peter goldne Vogelfedern.
Peter wanderte nach China
Und er traf die junge Eva,
Er war ganz entzückt von Eva,
Seiner Seelenschwestern Schönsten.
War dieweil der Totengräber
Auch veredelt von der Liebe
Und er schenkte Peter Knochen,
Goldenes Gebein von Toten.
Eva aber sprach zu Peter:
Rosa Mystica? Ich hörte
Schon von der geheimen Rose,
In Jerusalem ihr Schloß steht!
Willst du die geheime Rose
Einmal sehen, einmal küssen,
Wende dich an ihre Amme,
Santa Paula Margarethe!
Peter wallte Psalmen singend
Nach Jerusalem, begrüßte
Santa Paula Margarethe,
Der geheimen Rose Amme.
Peter fand der Amme Wohnung,
Santa Paula Margarethe
Nahm ihn auf wie einen eignen
Sohn, geborn auf ihrem Schoße.
Und der lieben Amme Wohnung
Gegenüber lag dem Schlosse,
Wo nun die geheime Rose
Früh auf dem Balkon erschienen.
O der transparente Körper
In kristallner Zauberseide!
O die süßen Rosenlippen!
Küssen will ich, küssen, küssen!
Peter wäre fast vor Wonne
Hingestürzt zur Mutter Erde,
Doch die liebe alte Amme
Hielt ihn fest mit Mutterarmen.
Die geheimnisvolle Rose
Will ich freien, sagte Peter.
Sprach die Amme: Du musst wissen,
Wer die Rose freien möchte,
Wird geprüft vom Vater König.
Oder scheints dir ein geringes,
Röschens Ehemann zu werden
Und ein Schwiegersohn des Königs?
Peter sprach: Ich möchte sterben,
Um die Rose zu gewinnen,
Für den Ehebund mit Röschen
Geb ich hin mein ganzes Leben!
Und die Amme sprach zu Peter:
Röschen liebt Musik, vor allem
Die Klaviermusik von Schubert,
Das romantische Piano.
Peter kaufte ein Piano,
Schenkte das Klavier dem König,
Peter aber sich versteckte
In dem Schoße des Piano.
Und der König Vater schenkte
Seiner Tochter das Piano,
In dem Schlafgemach der Rose
Tönte das Klavier im Mondschein.
Peter stieg aus dem Piano:
O geheimnisvolle Rose,
Rosa Mystica Maria,
Ich will küssen, sag ich, küssen!
Mit dem roten Mund Maria
Küsste Peter auf die Lippen!
Scharlachrote Schnur der Lippen,
Wie benetzt mit rotem Weine!
O die Wonne dieses Kusses!
Die Ekstase dieses Kusses!
Unaussprechlich weiß zu küssen
Unsre Liebe Frau Maria!
Sprach Maria leise lächelnd:
Freund, der Vater wird dich prüfen,
Er wird mich verbergen heimlich,
Du musst mich alleine finden.
In der siebenten, geheimen
Wohnung in dem Königsschlosse
Wird der Vater mich verbergen,
Doch ich helf dir, mich zu finden.
Trag dies Medaillon am Halse,
Dann wirst du mich sicher finden.
In der siebten Kammer aber
Wartet deine letzte Prüfung.
Sind dreihundert Königinnen,
Siebenhundert Konkubinen,
Schön wie Göttinnen des Himmels,
Lustvoll in dem Brautgemache!
Königinnen, Konkubinen
Sollst du schaun, doch widerstehen!
Und erwählen dir die Eine,
Deine Feine, deine Reine!
Wirst du unter all den Frauen
Auch die Liebe Frau erkennen?
Küss das Medaillon am Halse,
Dann will ich mich offenbaren.
Sprach die Liebe Frau Maria,
So geschah es, wie sie sagte,
Peter die geheime Rose
Fand, erwählte und erkannte!
Nun der Vater König prüfte
Peter: War gefüllt ein Zimmer
Bis zum obern Rand mit Früchten:
Iß sie auf an Einem Tage!
Peter nahm die Schweineborsten
Von dem Manne Mariannes,
Warf sie in das volle Zimmer,
Schweine fraßen auf die Früchte.
Nun der Vater König prüfte
Peter: Schläfre die Verlobte
Ein mit einem süßen Singsang,
Daß sie früh am Abend einschläft!
Peter nahm die Vogelfedern
Von dem Manne Katharinas,
Warf sie in die Lüfte, Vögel
Sangen süß ein Wiegenliedchen!
Nun der Vater König prüfte
Peter: Soll ein kleiner Knabe
Über Nacht fünf Jahre alt sein,
Peters und Mariens Kindlein!
Peter nahm den Totenknochen
Von dem Mann der schönen Eva,
Wurde draus ein kleiner Knabe,
War fünf Jahre alt der Knabe.
Sprach der Knabe zu Maria:
Meine liebe Himmelsmutter!
Sprach das liebe Kind zu Peter:
O mein vielgeliebter Pate!
Peter legte zu Maria
Zärtlich sich aufs Ehelager,
Zärtlich streichelnd ihren Rücken,
Zärtlich streichelnd ihre Hüfte.
AVE MARIA!
TALMUD
„Jesus spricht zu ihr: Maria!
Wandte sie sich um zu Jesus
Und spricht zu ihm auf Hebräisch:
O Rabbuni!, das heißt: Meister!“
(Johannes-Evangelium 20,16)
ERSTER GESANG
Die Zerstörung, ach, von Zion,
Durch Verwechslung eines Namens
Ward herbeigeführt. In Zion
Nämlich lebte ein Gerechter,
Einen Freund besaß der Edle,
Einen Feind besaß der Edle,
Deren Namen waren ähnlich,
Kamza und Barkamza nämlich.
Lud der Edle ein zum Gastmahl
Kamza, lud durch seinen Diener,
Doch der Diener aus Versehen
Lud Barkamza ein zum Gastmahl.
Kam Barkamza zu dem Gastmahl,
Wies der Wirt ihn vor die Türe,
Ganz vergeblich bat Barkamza,
Ihn doch nicht so zu beschämen
Vor den andern edlen Gästen,
Doch der Wirt verwies Barkamza,
Soll er doch sein Haus verlassen,
Und er ward hinausgewiesen.
Um zu rächen die Beschämung,
Aus Empörung ging Barkamza
Nun nach Roma und verklagte
Alle Juden bei dem Kaiser.
Alle Juden und Hebräer
Seien feindlicher Gesinnung
Gegen Romas großen Cäsar,
Also will er das beweisen.
Schicke doch der Cäsar Romas
Rasch ein Opfertier nach Zion,
Ob die Juden dieses opfern
Oder nicht auf dem Altare.
Gab ein Opfertier der Kaiser,
Gab ein fehlerloses Opfer.
Römer auch und auch die Juden
Opfern nur das Fehlerfreie.
Aber Juden und Hebräer
Sehen das als einen Fehler,
Ist verletzt die Oberlippe
Oder eins der Augenlider.
Römer aber sehen solche
Tiere an als fehlerlose.
Auf dem Weg zur Tochter Zion
Brachte listig nun Barkamza
Cäsars Opfertier von Roma
Wunden an der Oberlippe
An und an dem Augenlide,
Das es sei ein fehlerhaftes.
Kam er zu der Tochter Zion,
Rieten die Rabbinen friedlich,
Zur Versöhnung mit dem Kaiser
Dennoch dieses Tier zu opfern.
Aber Rabbi Sekaria
Von der strengen Richtung meinte,
Dieses dürfe man nicht opfern,
Sonst erzürne man den Höchsten.
Also sprachen die Rabbinen:
Töten also wir Barkamza,
Daß er nicht dem Cäsar Romas
Von der Weigerung berichte!
Aber Rabbi Sekaria
Sagte: Tötet nicht Barkamza,
Denn auf fehlerhaftes Opfern
Steht doch nicht die Todesstrafe.
Abgewiesen ward das Opfer.
Cäsar aber sandte Neron,
Seinen Feldherrn, mit dem Heere
Zu dem Tor der Tochter Zion.
Neron vor dem Tor von Zion
Schoß die Pfeile seines Bogens
Ostwärts, südwärts, westwärts, nordwärts,
Alle flogen sie nach Zion.
Neron sprach zu seinem Knaben:
Deute mir den Vers der Bibel:
Ich will mich an Edom rächen
Durch das Gottesvolk der Juden!
Denn die Juden sagten Edom
Zu der großen Wölfin Roma.
Und der Feldherr Neron dachte
Bei dem Vers und bei den Pfeilen:
Gott will seinen Gottestempel
Nun zerstören durch die Römer,
Dann durchs Gottesvolk der Juden
Rache nehmen an den Römern.
Neron also sagte: Gott will
Seinen Tempel nun zerstören
Und die eigne Hand abwischen
Am Gewande eines andern.
Und der Feldherr konvertierte
Zu dem Einen Gott der Juden,
Eilte fort vom Heere Romas.
Von ihm stammte Rabbi Meier.
ZWEITER GESANG
Damals in der Tochter Zion
Waren ehrenhafte Männer,
Reiche Leute, reich an Gnade,
In Jerusalem gepriesen:
Nikodemon hieß der eine,
Kalba Ben Sabua zweitens,
Zizit Ben Ha-Keset drittens,
Ihre Namen Ehrennamen.
Denn man sagt von Nikodemon:
Pilger kamen einst nach Zion,
Gab es aber keinen Regen,
Lieh er sich zwölf Wassergruben
Und versprach, die Wassermenge
Bald zurückzugeben oder
Sie entsprechend ihrem Werte
Sonst mit Gelde zu bezahlen.
Doch die Frist, zurückzuzahlen,
War gekommen, Nikodemon
Wars nicht möglich, das geliehne
Wassermaß zurückzugeben.
Also sollte er mit Silber
Dieses Wassers Wert erstatten.
Nikodemon flehte Gott an,
Bat den ganzen Tag um Regen.
Siehe, in der Abendstunde
Der erflehte Regen strömte.
Nikodemon also konnte
Seine Wasserschuld erstatten.
Der Verleiher aber sagte:
Ist doch schon die Abendstunde
Und der Tag vorbeigegangen,
Also zahle mir mit Silber.
Wieder flehte Nikodemon
Gott an, dass der Allerhöchste
Gebe den Befehl der Sonne,
Abends nochmals aufzugehen.
Wirklich wirkte Gott das Wunder!
Darum heißt er Nikodemon.
Nikod nämlich heißt: Der Aufgang,
Emon nämlich heißt: Die Sonne.
Und der zweite Mann der Ehre
War freigebig über Maßen.
Wer zu ihm kam voller Hunger,
Fortging wie ein sattes Hündchen.
Kalba Ben Sabua darum
Hieß der Mann mit Ehrennamen,
Das bedeutet: Sattes Hündchen,
Heißt: Das Hündchen ward gesättigt.
Und des dritten Mannes Namen
Heißt: Die religiösen Schnüre
Hängen an dem Saum des Kleides
Und sie streifen stets den Teppich.
Zizit heißen diese Schnüre,
Keset aber heißt der Teppich.
Immer ging er auf dem Teppich,
Denn er lebte reich im Luxus.
Andre Weise aber sagen,
Dieses Mannes wahrer Name
Sei Ben Zizit, denn er trug die
Religiösen Schnüre immer,
Aber Keset sei ein Titel,
Keset auch bedeutet Sessel,
Denn es stand des Mannes Sessel
Bei der Römerfürsten Sesseln.
DRITTER GESANG
Martha war des Boethos Tochter,
Reichste Frau der Tochter Zion.
In der Zeit der Not des Hungers
Schickte sie zum Markt den Diener:
Kaufe mir vom feinsten Mehle!
Kam der Diener aber wieder:
Feinstes Mehl ist aber alle,
Grobes Mehl ist noch zu haben.
Kaufe mir vom groben Mehle!
Kam der Diener aber wieder:
Grobes Mehl ist aber alle,
Gerstenmehl ist noch zu haben.
Kaufe mir vom Gerstenmehle!
Kam der Diener aber wieder:
Gerstenmehl ist aber alle,
Ausverkauft das Mehl von Gerste!
Martha, so verwöhnt, verzärtelt,
Sie ging nie sonst auf der Straße,
Zog sich an nun ihre Schuhe,
Selbst die Nahrung sich zu suchen.
Auf der Straße aber Martha
Trat in einen Haufen Unrat
Und sie starb an diesem Unrat.
So erfüllte Gottes Wort sich:
Wenn das Gottesvolk der Juden
Nicht beachtet Gottes Weisung,
Wird es sein gleich einem Weibe,
Einem Weib, verwöhnt, verzärtelt,
Das in Üppigkeit gelebt hat,
Setzte nicht die sanften Sohlen
Ihrer Füße auf die Erde
Vor Verzärtelung und Luxus!
Andre Weise aber sagen,
Daß bei ihrer Nahrungssuche
Martha Boethos fand die Feige
Des berühmten Rabbi Zadok,
Aß die Feige von der Straße,
Weil sie solchen Hunger hatte,
Aber starb an dieser Feige
Des berühmten Rabbi Zadok.
Rabbi Zadok hat gefastet,
Vierzig Jahre lang gefastet,
Daß der Tempel Salomonis
Nicht zerstört wird von den Römern.
Rabbi Zadok ward so mager
Und durchsichtig, jeder Bissen,
Den er speiste, war zu sehen
In dem transparenten Körper.
Wenn er aber nach dem Fasttag
Leiblich sich erquicken wollte,
Nahm er abends eine Feige
In den Mund, den Saft zu saugen.
War gesaugt der Saft der Feige,
Spie er aus die alte Feige.
Solche Feige Rabbi Zadoks
Martha aß und ist gestorben.
Aber kurz vor ihrem Tode
Warf sie all ihr Gold und Silber
Auf die Straße, da sie ausrief:
Was nützt mir noch Gold und Silber!
So erfüllte Gottes Wort sich:
Und sie werden all ihr Silber
In den Kot der Gossen werfen
Und ihr Gold als Dreck erachten!
VIERTER GESANG
Hauptmann der Barjonen-Räuber
War Sikara, Räuberhauptmann,
Schwestersohn des weisen Rabbi,
Rabbi Joachanan Ben Sakkai.
Rief der Rabbi seinen Neffen
Heimlich, sprach zu seinem Neffen:
Ach wie lang wollt ihrs noch treiben,
Daß die Stadt am Hunger naget?
Sprach der Neffe, sprach Sikara:
Was denn soll ich tun, mein Onkel?
Sag ich etwas zu den Räubern,
Werden mich die Räuber töten.
Sprach der Onkel, sprach der Rabbi:
Bring du mich aus diesem Hause,
Denn wenn ich erst bin in Freiheit,
Kann ich etwas tun für Zion.
Sprach der Neffe Räuberhauptmann:
Stell dich krank, leg dich aufs Lager,
Lege auf dein Lager etwas
Faules, dass man dich für tot hält.
Also tat der weise Rabbi.
Traten an sein Sterbelager
Rabbi Elieser unten,
Rabbi Jehoschua oben.
Trugen sie des Rabbi Leichnam
An die Pforte seines Hauses,
Wollten die Barjonen-Räuber
Ihn mit einem Dolch durchbohren.
Sprach der Schwestersohn, der Hauptmann:
Nicht so, meine Brüder Räuber,
Sonst wird man in Roma sagen:
Juden töten ihre Lehrer!
Wollten die Barjonen-Räuber
Schlagen den verschiednen Rabbi,
Seinen schweren Leichnam schlagen
Mit den Fäusten und den Füßen.
Sprach der Schwestersohn, der Hauptmann:
Nicht so, meine Brüder Räuber,
Sonst wird man in Roma sagen:
Juden schlagen ihre Lehrer!
Also kam der weise Rabbi
Wohlbehalten in die Freiheit.
Zu Vespasianus sprach er:
Heil, o König, Heil, o König!
Sprach Vespasianus aber:
Du verdienst den Tod gleich zweimal!
Denn du nennst mich einen König,
Doch ich bin ja gar kein König.
Und zum andern musst du sterben,
Denn wenn ich ein König wäre,
Warum kommst du dann erst heute
In mein Königtum von Roma?
Also sprach der weise Rabbi:
König bist du. Wärst du nämlich
Nicht ein König, könntest niemals
Du Jerusalem erobern.
Denn es steht geschrieben also:
Libanon wird durch den Addir
Fallen! Addir, das heißt König,
Denn es steht geschrieben also:
Einst aus Bethlehem in Juda
Soll der Addir kommen, wahrlich,
Kommen wird der wahre Herrscher
Einst aus Bethlehem in Juda!
Libanon, das ist der Tempel,
Denn es steht geschrieben also:
Laß mich sehen doch die gute
Landschaft jenseits von dem Jordan
Und das Libanon-Gebirge.
Dieses Libanon-Gebirge
Ist das Heiligtum, der Tempel,
Ist das Haus des Allerhöchsten.
Aber da du so gesprochen:
Wenn ich aber König wäre,
Was bist du erst jetzt gekommen
In mein Königtum von Roma?
So, Vespasianus, sag ich:
Die Barjonen-Räuber haben
Mich gehindert, diese Räuber,
Die gefangen mich gehalten.
So Vespasianus sagte:
Zünde an die Stadt, befreie
Dich von den Barjonen-Räubern
Durch die Reinigung des Feuers!
Schau dir an ein Faß voll Honig,
Windet sich darum ein Drache,
Mußt du dieses Faß zerbrechen,
Ums vom Drachen zu befreien.
Stille schwieg der weise Rabbi.
Seine Weisheit war am Ende.
Rabbi Josef aber sagte:
Darum steht geschrieben also:
Gott die Weisheit macht der Weisen
Und die Zeichen all zunichte
Und verblödet ihr Verständnis,
Kinder preisen dann den Schöpfer!
Rabbi Sakkai sollte sagen
Zu Vespasian, dem Römer:
Ist ein volles Faß mit Honig,
Windet sich darum ein Drache,
Siehe, nimmt man eine Zange
Und entfernt den bösen Drachen,
Tötet dann den bösen Drachen,
Bleibt so heil das Faß voll Honig!
FÜNFTER GESANG
Ein Gesandter kam aus Roma
Zu Vespasianus, sagend:
O der Kaiser ist gestorben,
Tot ist Cäsar, tot ist Cäsar!
Doch die Edlen Romas haben
Dich, Vespasian, berufen,
Neuer Kaiser Roms zu werden.
Heil dir, Cäsar, Heil dir, Cäsar!
Und Vespasianus wollte
Eben seinen Schuh anziehen,
Zog sich an den Schuh, den einen,
Konnte nicht den andern anziehn.
Wollte er den Schuh, den ersten,
Ausziehn wieder, doch es ging nicht,
Wollte er den andern anziehn,
Das auch ist ihm nicht gelungen.
Fragte er den weisen Rabbi
Jochanan, was das bedeute.
Sagte Jochanan, der Rabbi:
Habe keine Angst, mein Kaiser,
Gute Nachricht ist gekommen,
Denn es steht geschrieben also:
Schau, es wird die gute Nachricht
Wahrlich fett das Bein dir machen.
Was soll ich nur tun? sprach aber
Zu dem Rabbi Romas Kaiser.
Laß du einen Menschen kommen,
Dem du abgeneigt von Herzen,
Sagte Jochanan, der Rabbi,
Denn es steht geschrieben also:
Ein getrübter Mut im Herzen
Wahrlich lässt das Bein vertrocknen.
Und Vespasian befolgte
Diesen Rat des weisen Rabbi,
Es gelang ihm und er konnte
Nun den zweiten Schuh anziehen.
Rabbi, wenn Ihr also klug seid,
Warum kamt Ihr dann nicht früher?
Sagte Jochanan, der Rabbi:
Hab die Antwort schon gegeben.
Sprach Vespasian, der Römer:
Ich gab auch dir schon die Antwort.
Aber nun geht fort der Kaiser,
Sendet einen andern Römer.
Bitte, was soll ich dir geben?
Sprach der Rabbi: Herr, verschone
Du die Akademie von Jabne
Und die Weisen ihrer Halle.
Setze wieder ein die Söhne
Rabbi Gamliels, des Weisen,
In das Nasiratsgelübde
Und das gottgeweihte Leben.
Sende Rabbi Zadok Ärzte!
So bat Jochanan, der Rabbi.
Aber Rabbi Josef sagte:
Das sind keine klugen Bitten.
Hätte Jochanan doch lieber
Für Jerusalem gebeten,
Frieden für die Tochter Zion,
Frieden für den Tempel Gottes.
Aber Jochanan, der Rabbi,
So zu Rabbi Josef sagte:
Hätt so Großes ich erbeten,
Wärs mir nicht gegeben worden.
Und es wäre auch das Kleine
So mir nicht gegeben worden.
Also wurden meine Bitten
Doch erhört von meinem Kaiser.
Und es heilten weise Ärzte
Rabbi Zadok solcherweise:
Gaben ihm am ersten Tage
Suppe nur von feiner Kleie,
Gaben ihm am zweiten Tage
Suppe nur von grober Kleie,
Gaben ihm am dritten Tage
Suppe nur von Gerstenmehle.
SECHSTER GESANG
Titus kam zur Tochter Zion,
Vor dem Tor der Tochter Zion
Rief er: Wo sind ihre Götter,
Wo der Fels, auf den sie trauen?
Also lästerte und fluchte
Titus gegen Gott den Höchsten:
Voller Grausamkeit der Höchste
Ein Verderber ist der Menschen!
Titus griff sich eine Hure,
Ging mit ihr ins Tabernakel,
Nahm sich eine Tora-Rolle,
Legte flach sie auf den Boden
Und beging mit seiner Hure
Hurerei und wüste Unzucht
Auf der Tora-Rolle, wehe!
In dem Tabernakel, wehe!
Titus nahm ein Schwert und bohrte
Durch des Tabernakels Schleier,
Spritzte Blut hervor, ein Wunder,
Blutete des Tempels Schleier!
Sagte Titus: Hat doch Titus
Gar getötet eine Gottheit!
Herr Gott, deine Widersacher
Brüllen laut in deinem Tempel!
Wer ist so wie du geduldig,
Herr Gott, wer ist so geduldig,
Hörst du diese Lästerungen
Eines wüsten Frevlers schweigend!
Herr, wer ist dir gleich, o Gottheit,
Ähnlich unter allen Göttern?
Herr, wer ist dir gleich, o Gottheit,
Ähnlich unter allen Stummen?
Und was tat der Frevler Titus?
Titus nahm des Tempels Schleier,
Formte ihn zu einem Sacke,
Tat hinein Gerät des Tempels,
Stieg aufs Schiff und fuhr nach Roma,
Dort in Rom zu triumphieren.
Ich sah Menschen, gottlos frevelnd,
Sich vom Heiligtum entfernend
Und vergessen wurden diese
In der Stadt, die Frevler gottlos,
Die zusammenrafften alles,
Diese triumphierten gottlos.
Doch auf seiner Fahrt nach Roma
Hob vor Titus sich die Welle,
Drohte Titus zu ertränken,
Gleich dem Mühlstein zu ersäufen!
Sagte Titus: Scheint der Juden
Gott sich voller Kraft und Stärke
Auf dem Meer zu offenbaren,
Will ich ihm an Land begegnen.
Klang vom Himmel eine Stimme:
Frevler, Sohn von einem Frevler,
Sohn von Esau, den ich hasse,
Siehe die geringe Mücke,
Tritt aufs feste Land und kämpfe
Dort mit der geringen Mücke!
Eindrang die geringe Mücke
Ins Gehirn durch Titus’ Nase,
Stach dort Titus sieben Jahre.
Titus stand vor einer Schmiede,
Hörte dort des Hammers Schläge,
Hörten auf die Mückenstiche.
Titus stellte einen Schmied an,
Stets zu schlagen mit dem Hammer.
Gab dem Römer-Schmied vier Taler,
Nichts gab er dem Judenschmiede.
Und die Mücke? Sie gewöhnte
Bald sich an die Hammerschläge,
Wieder stach mit Mückenstichen
Sie im Hirn den Frevler Titus.
Als gestorben war der Frevler,
Schnitt man auf des Frevlers Schädel,
Fand in Titus Hirn die Mücke,
Sie war groß wie eine Taube.
Sagte Abbaji: Wir wissen
Von der Taube des Gerichtes!
Ganz aus Kupfer ist ihr Schnabel,
Ganz aus Eisen ihre Zähne.
SIEBENTER GESANG
Noch vor seinem Tode Titus
Setzte fest, dass seine Leiche
Man verbrennen solle und die
Asche in die Meere streuen,
In die sieben Meere streuen
Solle man des Leichnams Asche,
Daß der Zorn des Juden-Gottes
Ihn nicht zu Gerichte fordre!
Onkelos Bar Kalonikos
War der Schwestersohn des Titus.
Dieser wollte konvertieren
Zum Gesetz des Judentumes.
Er beschwor den Geist des Titus
Vorher aber von den Toten:
Wer ist angesehn im Jenseits?
Israel, Geliebter Gottes,
Sagte Titus. Sprach der Neffe:
Soll ich also konvertieren?
Titus sagte: Die Gesetze
Sind zu zahlreich bei den Juden
Und man kann sie nicht befolgen.
Schwestersohn, bedräng sie lieber,
Werde Oberhaupt der Juden,
Ihre Widersacher steigen!
Sprach der Schwestersohn, der Neffe:
Wie wird denn gerichtet droben?
Sprach der Onkel: Nach den Werken,
Wie du lebst, so wirst du leben.
Täglich sammle man die Asche
Seiner Leiche, sagte Titus,
Setze sie erneut zusammen
Und verbrennt sie immer wieder
Und zerstreut sie immer wieder
In den sieben Weltenmeeren.
Also sprach der Geist des Titus,
Der Verfluchte von dem Höchsten.
Onkelos ließ nun erscheinen
Bileam, den Geist des Sehers.
Wer ist droben angesehen?
Israel, der Gottgeliebte,
Sagte Bileam, der Seher.
Soll ich also konvertieren?
Fragte Onkelos den Seher
Und der Geist des Sehers sagte:
Suche nicht den Frieden Zions,
Suche nicht das Beste Zions,
Suche du dein ganzes Leben
Nicht das Heil der Tochter Zion!
Sagte Bileam. Der Neffe
Frug: Wie wird gerichtet droben?
Sagte Bileam: Mit Sperma,
Ja, mit feuerheißem Sperma!
Bileam wars nicht gelungen,
Jakob grimmig zu verfluchen,
Töchter Midians berief er
Darauf, Jakob zu verführen.
Onkelos ließ nun erscheinen
Rabbi Jesus Nazarenus,
Haupt des Neuen Wegs, der Sekte,
Der sich Der Messias nannte!
Wer ist angesehn im Jenseits?
Fragte Onkelos, der Römer.
Israel, der Gottgeliebte,
Sagte Jesus Nazarenus.
Soll ich also konvertieren?
Fragte Onkelos, der Römer.
Jesus Nazarenus sagte:
Such das Heil der Tochter Zion,
Für Jerusalem den Frieden!
Wer die Tochter Zion angreift,
Angreift Gottes Stern des Auges,
Den Augapfel Meines Vaters!
Wonach wird gerichtet drüben?
Fragte Onkelos, der Römer.
Jesus Nazarenus sagte:
Einzig nach dem Maß der Liebe!
ACHTER GESANG
Wegen eines stolzen Hahnes
Und der anvertrauten Henne
Ist der Königsberg Moria
In der Nacht vernichtet worden.
Denn es war der Brauch in Zion,
Daß bei einem Hochzeitszuge
Bräutigam und Braut vereinigt
Hahn und Henne mit sich trugen.
Dieses um so anzudeuten:
Fruchtbar sollt ihr sein, euch mehren
Wie der Hahn tut mit der Henne,
Und bekommen viele Küken!
Aber einem Hochzeitszuge
Sind begegnet Roms Soldaten,
Diese nahmen weg die Henne
Und den Hahn den Hochzeitsleuten.
Aber alle Hochzeitsgäste
Überfielen Roms Soldaten,
Schlugen nieder Roms Soldaten,
Die sich Hahn und Henne raubten.
Da erzählte man dem Kaiser,
Daß die Juden sich empörten.
Zog der Kaiser mit Soldaten
Gegen die Rebellen Zions.
Aber unter den Rebellen
War ein starker Mann mit Namen
Bardaroma. Mit nur einem
Sprunge sprang er eine Meile.
Dieser metzelte die Römer.
Tat der Kaiser seine Krone
Auf die Mutter Erde, betend:
Jovis, Herr des ganzen Weltalls,
Wenn es dir gefällt, o Vater
Aller Götter, aller Menschen,
Gib mein Reich nicht in die Hände
Eines einzigen Rebellen.
Bardaroma ist gestrauchelt
Durch die Sünde seiner Zunge:
Herr Gott, du hast uns verstoßen!
Ziehst nicht aus mit unserm Heere!
David sprach dieselben Worte,
Aber trauernd, nur als Frage:
Herr Gott, hast du uns verstoßen?
Ziehst nicht aus mit unserm Heere?
Sprach der Kaiser: Da ein Wunder
Sich ereignet, will ich lassen
In der Tochter Zion walten
Ruh und Frieden diese Tage.
Voller Freude alle Juden
Trafen sich zu einer Feier,
Nachts zu einem Festgelage,
Tranken reichlich Wein von Kana,
Aßen Brot und Fleisch von Lämmern,
Spielten mit den Saitenspielen,
Schlugen Zymbeln, schlugen Pauken
Und die jungen Mädchen tanzten!
Und es brannten Freudenfeuer
In der Nacht so hell erleuchtend,
Daß man Siegelringe sehen
Konnte noch in weiter Ferne.
Und dreihunderttausend Krieger
Zogen zu dem Königsberge,
Mordeten zur linken Seite
Sieben Tage, sieben Nächte,
Während man zur rechten Seite
Feierte ein Festgelage,
Fleisch aß, Wein trank, Mädchen tanzten
Sieben Tage, sieben Nächte.
NEUNTER GESANG
Rab Manjome Bar Chalkija,
Rab Chilkija Bar Tobija
Und der Rabbi Huna Chija
Saßen einst beim Wein zusammen.
Wer weiß etwas von der Ortschaft,
Von Sekanja in Ägypten?
Wer was weiß, der solls erzählen
Bei dem Rotwein seinen Freunden.
Einer von den Freunden sagte:
War ein Brautpaar in Sekanja
Einst gefangennommen worden
Und verkauft als arme Sklaven.
Der Besitzer nun vermählte
Seinen Sklaven mit der Sklavin.
Sprach die Braut zum Bräutigame:
O mein Bräutigam, Geliebter,
Ohne Dokument der Ehe,
Offizieller Eheschließung,
Bitt ich dich, mein Vielgeliebter,
Mich nicht lüstern zu berühren!
Er berührte sie sein Leben
Lang nicht lüstern und erotisch.
Als er dann gestorben, sagte
Seine Braut von seiner Keuschheit.
Also in der Trauerrede
Pries der Rabbi seine Keuschheit,
In Bezwingung der Begierde
War er größer noch als Josef.
Denn der junge Träumer Josef
Aus dem Alten Testamente,
Alten Testamentes Josef
War nur Einmal in Versuchung,
Jener aber Tag um Tage,
Jener aber Nacht um Nächte.
Alten Testamentes Josef
Teilte mit dem geilen Weibe
Potiphera nicht das Lager,
Während jener, den wir preisen,
Mit der eigenen Gemahlin
Schlief zusammen in dem Bette.
Alten Testamentes Josef
Ward versucht vom fremden Weibsstück,
Aber jener, den wir preisen,
Stand hielt er bei seiner Gattin!
Und ein andrer Rabbi sagte:
In Sekanja einst geschah es,
Alles Essen wurde teuer,
Allzu teuer auf dem Markte.
Als man suchte nach dem Grunde,
Fand als Grund man diese Sünde,
Daß ein Sohn mit seinem Vater
Einmal am Versöhnungstage
Sich vergangen haben beide
Voller Lust an einer Jungfrau,
Die verlobt war einem Manne,
Sie erkannten sie am Festtag.
Also brachte man die beiden,
Brachte Sohn und Vater beide
Vor Gericht, sie wurden beide
Dann nach dem Gesetz gesteinigt.
Drauf erreichten auf dem Markte
Wiederum die Preise ihren
Frühern Stand, man konnte essen
Und das Essen auch bezahlen.
Und der dritte Rabbi sagte:
Es geschah einst in Sekanja,
Wollt ein Mann sich scheiden lassen,
Doch die Scheidung ist verboten.
Rabbi Jesus Nazarenus
Sagte: Scheidung ist verboten,
Scheidung ist verboten, außer
In dem Fall der Unzuchtsklausel.
Lud der Gatte also Gäste
Ein und machte sie betrunken,
Legte sie aufs Bett und legte
Eiweiß zwischen seine Gäste.
Also sollten alle denken,
Daß die Ehefrau des Hauses
Lüstern Hurerei getrieben
Mit den Gästen ihres Gatten.
Rief herbei der Gatte Zeugen,
Zu bezeugen im Gerichte.
War ein weiser Greis der Richter,
War sein Name Babben Buta.
Sprach der Richter Babben Buta:
Also lehrten mich die Weisen:
Es gerinnt durch Feuer Eiweiß,
Sperma weicht zurück vorm Feuer.
Untersuchte nun der Richter
Diese Sache, fand die Unschuld
Der Gemahlin, ward der Gatte
Zu der Geißelung verurteilt.
Abbaji zu Rabbi Josef
Also sprach: Wenn in Sekanja
Die Bewohner edel waren,
Warum ward zerstört die Ortschaft?
Darauf sagte Rabbi Josef:
Weil sie über die Zerstörung
Von Jerusalem nicht weinten,
Nicht geklagt um Tochter Zion.
Freut euch mit der Tochter Zion,
Freut euch über Tochter Zion,
Alle, die ihr über Tochter
Zion traurig seid gewesen!
Freut euch an der Tochter Zion,
Denn nun dürft ihr saugen, Kinder,
An den Brüsten ihres Trostes
Wie an Gottes Mutterbrüsten!
ZEHNTER GESANG
Rabbi Chija Abbin sagte
In des Rabbi Jehoschua
Namen: Sprach ein alter Weiser
Aus Jerusalem die Worte:
Babels Fürst Nebukadnezar
Sandte einst Nebusaradan,
Seinen Feldherrn, gegen Zion,
Krieg zu führen gegen Zion.
Und Nebusaradan nannte
Man mit einem zweiten Namen
Rab Tebachim, das bedeutet:
Dieser große Menschenschlächter!
Dieser hat zweihundertdreizehn
Myriaden Menschenkinder
Hingeschlachtet und in Zion
Vierundneunzig Myriaden
Menschenkinder hingeschlachtet,
Mordend sie auf einem Steine,
Daß ihr Blut zum Blut geflossen
Des Propheten Sekaria,
Der im Tempel ward ermordet.
Also sich das Wort erfüllte
In dem Buche des Hosea:
Und das Blut das Blut berührte.
Er, Nebusaradan, merkte
Wie das Blut des Sekaria
Kochend aufstieg, und er fragte:
Was hat das nun zu bedeuten?
Er erhielt zur Antwort dieses:
Dieses ist das Blut der Opfer,
Opfer, die geschlachtet wurden,
Blut, das hier vergossen wurde!
Und Nebusaradan schaute
Und verglich das Blut des Sehers
Mit dem Opferblut der Opfer
Und er sah, es war nicht ähnlich.
Darauf sprach er zu den Leuten:
Sagt ihr nichts mir als die Wahrheit,
Ist es gut, doch sprecht ihr Lügen,
Will ich euch das Fleisch abziehen.
Was denn sollen wir dir sagen,
Sagten jene, ein Prophet war
Unter uns, der uns mit Gottes
Worten oft zurechtgewiesen.
Doch wir haben den Propheten
Angefallen und getötet!
Viele Jahre sind vergangen,
Doch sein Blut ward nimmer ruhig.
Sprach Nebusaradan: Aber
Ich mach dieses Blut nun ruhig.
Und er nahm vom Hohen Rate
Priester, tötete die Priester.
Doch das Blut ward noch nicht ruhig,
Des Propheten Blut, es kochte.
Nahm der Feldherr Knaben, Mädchen,
Kinder, tötete die Kinder.
Doch das Blut ward noch nicht ruhig,
Des Propheten Blut, es kochte.
Nahm der Feldherr kleine Kinder,
Kindlein, tötete die Kindlein.
Doch das Blut ward noch nicht ruhig,
Des Propheten Blut, es kochte.
O Sekaria, Prophete,
Rief er, soll ich Alle schlachten?
Da beruhigte sich der Seher
Und sein Blut, es kochte nimmer.
Schlug dem Feldherrn das Gewissen,
Peinigte den Menschenschlächter,
Sagte er zu seiner Seele:
Wenn man wegen der Ermordung
Eines heiligen Propheten
So viel muß zur Sühne opfern,
Was wird mit dem Mann geschehen,
Der da alle diese Seelen
Umgebracht und hingeschlachtet,
Priester, Knaben, kleine Kindlein?
Und er lief davon und sandte
Rasch sein Testament nach Hause,
Trat zum Judentume über,
Konvertierte zum Messias!
ELFTER GESANG
Jakobs Stimme, diese Stimme!
Esaus Hände, diese Hände!
Jakobs Stimme ist der Kaiser
Hadrian, ist Romas Cäsar.
Alexandrien in Ägypten
Schaute Hadrian, den Kaiser,
Wie der Kaiser zweimal sechzig
Myriaden Menschen mordet,
Zweimal sechzig, also doppelt
So viel als die sechzig Seelen
Juden, die dereinst verlassen
Das Ägyptenland Mizraim.
Jakobs Stimme ist der Kaiser
Hadrian, ist Romas Cäsar,
Der in Bettur-Stadt vierhundert
Myriaden Menschen mordet.
Esaus Hände, diese Hände!
Diese sind das Reich von Roma,
Das verbrannt den Tempel Gottes,
Uns aus unserm Land vertrieben.
Siehe, eine andre Deutung:
Jakobs Stimme, diese Stimme!
Kein Gebet ist jemals wirksam,
Stammts nicht von den Kindern Jakobs.
Diese Hände, Esaus Hände!
Keiner ist im Kriege siegreich,
Keiner wird im Kampfe siegen,
Stammt er nicht von Esaus Söhnen.
Rabbi Elieser sagte:
Du wirst nur geborgen werden
Durch die Kraft der Zunge, also
Durchs Gebet wirst du gerettet.
Sprach Jehuda in dem Namen
Seines Rabbis: Was bedeutet:
Saßen an den Wassern Babels,
Weinend dachten wir an Zion?
Damit ist gesagt, der Höchste
Prophezeite dem Psalmisten
König David die Zerstörung
Dieses Tempels Salomonis.
Der Ruin des Ersten Tempels
Steht geschrieben in den Worten:
An den Wasserflüssen Babels
Saßen wir und weinten bitter!
Der Ruin des Zweiten Tempels
Steht geschrieben in den Worten:
Denke an die Söhne Edoms,
Die zerstören, die vernichten!
Rab Jehuda sprach im Namen
Samuels und manche sagen
In dem Namen Rabbi Ammis
Diese Worte der Legende:
Einst vierhundert junge Knaben
Und vierhundert junge Mädchen
Sind gefangennommen worden
Und bestimmt zu einer Schändung.
Als die Kinder aber merkten,
Was die bösen Frevler planten,
Sprachen sie: Wenn wir uns alle
Stürzen in die Meereswogen,
Kommen wir dann in den Himmel,
In das Leben in dem Jenseits?
Sprach der Klügste unter ihnen:
Sprach der Herr doch diese Worte:
Holen will ich euch aus Baschan,
Holen aus der Meerestiefe!
Baschan, das heißt Löwenzähne,
Rettung aus dem Löwenrachen.
Rettung aus der Meerestiefe
Gott verheißt den Menschen, welche
Sich in Meerestiefen stürzen,
Rufen an den Namen Gottes!
Als die Mädchen dieses hörten,
Sind sie in das Meer gesprungen.
Daraufhin die Knaben sprachen:
Wenn sogar die Mädchen springen,
Dann erst recht die Knaben springen.
Also sprangen auch die Knaben
Alle in die Meereswogen
Und ertranken in der Tiefe.
Spricht die Schrift: Wir sind geachtet
Wie die Schafe, die man schlachtet,
Opfert sie auf den Altären,
Alle Tage Opferlämmer!
Rab Jehuda sagte: Diese
Lämmer, die geschlachtet werden,
Sind der Mutter sieben Söhne,
Die man brachte vor den Kaiser.
Sprach der Kaiser zu dem Ersten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der Sohn: Es steht geschrieben:
Ich bin Jahwe, deine Gottheit!
Ward der erste Sohn ermordet.
Sprach der Kaiser zu dem Zweiten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der zweite Sohn zum Kaiser:
Aber also steht geschrieben:
Du sollst keine andern Götter
Oder Göttinnen anbeten
Neben Jahwe, deiner Gottheit!
Ward der zweite Sohn ermordet,
Sprach der Kaiser zu dem Dritten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der dritte Sohn zum Kaiser:
Wer den Heidengötzen opfert,
Fremden Göttinnen und Göttern,
Und nicht einzig Gottheit Jahwe,
Sei verbannt aus Gottes Lande!
Ward der dritte Sohn ermordet.
Sprach der Kaiser zu dem Vierten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der vierte Sohn zum Kaiser:
Aber also steht geschrieben:
Heute hab ich dir geboten,
Anzubeten keine andre
Gottheit als die Gottheit Jahwe!
Ward der vierte Sohn ermordet.
Sprach der Kaiser zu dem fünften:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der fünfte Sohn zum Kaiser:
Höre, Israel, Geliebter,
Jahwe, unsre Gottheit, Jahwe,
Ist allein die wahre Gottheit,
Einig Eins und die All-Einheit!
Ward der fünfte Sohn ermordet.
Sprach der Kaiser zu dem Sechsten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der sechste Sohn zum Kaiser:
Heute aber sollst du wissen,
Jahwe Gottheit ist im Himmel,
Jahwe Gottheit ist auf Erden,
Keine Gottheit ist als Jahwe!
Ward der sechste Sohn ermordet.
Sprach der Kaiser zu dem Letzten:
Bete an den Heidengötzen!
Sprach der letzte Sohn zum Kaiser:
Jahwe hast du heut geschworen,
Jahwe hat dir heute geschworen!
Jahwe ist mein Gott, ich schwöre,
Jahwe schwört: Du bist mein Liebling!
Sprach der Kaiser zu dem Sohne:
Meinen Siegelring mit meinem
Bilde werf ich auf die Erde,
Bücke dich und heb den Ring auf!
Sprach der letzte Sohn zum Kaiser:
Weh dir, Kaiser, weh dir, Kaiser,
Deine eigne Ehre suchst du,
Sollst nur suchen Gottes Ehre!
Ward der letzte Sohn ermordet.
Sprach der sieben Söhne Mutter:
Laß mich einmal nur noch küssen
Meinen siebten Sohn, den Liebling!
Sprach die Mutter zu dem Liebling:
Liebling! Geh nach deinem Tode
Rasch zu Abraham, dem Vater,
Sprich dann zu dem Patriarchen:
Du hast einen Sohn geopfert,
Aber ich die sieben Söhne!
Klang vom Himmel eine Stimme:
Fröhlich ist der Kinder Mutter!
ZWÖLFTER GESANG
Rabbi Simon sagte einmal:
Tora-Worte bleiben dem nur,
Der bereit ist, für die Tora
All sein Leben hinzugeben.
Darum heißt es auch bei Mose:
Das ist Tora, Jungfrau Tora,
Wenn ein Weiser in dem Zelte
Stirbt, ja stirbt in seinem Lehrhaus.
Rab Jehuda sagte: Aber
Was bedeutet dieser Schriftvers:
Meiner Seele Augen weinen
Um die Töchter meiner Ortschaft?
Wohl vierhundert Schulen waren
Einst in Bettur und vierhundert
Lehrer und vierhundert Schüler,
Fromme Schüler, kleine Kinder.
Als der Feind drang in die Schulen,
Stachen die vierhundert Lehrer
Mit den langen Zeigestöcken
Auf den Feind ein, doch er siegte,
Nahm gefangen alle Lehrer,
Nahm gefangen alle Schüler,
Band sie ein in Pergamente
Und verbrannte sie im Feuer!
Jehoschua Ben Chananja
Einst, der Rabbi, kam nach Roma,
Sagte man zu ihm, in Roma
Sei ein wundervoller Knabe,
Schön die Augen dieses Knaben,
Schön das Angesicht des Knaben,
Goldne Locken seine Haare,
Lange Locken, feine Haare,
Dieser Knabe sei gefangen.
Rabbi Jehoschua stellte
Sich vor das Gefängnis, rufend
Dieses Schriftwort von Jesaja:
Wer hat Jakob übergeben,
Um den Jakob auszurauben,
Wer gab Israel den Räubern,
Israel, den Gottgeliebten?
Rief der wunderschöne Knabe
Laut durch das Gefängnisgitter,
Was Jesaja weiter sagte,
Denn er kannte die Propheten:
Jahwe tats, weil wir gesündigt,
Denn sie wollten nicht auf seinen
Wegen wandeln und gehorchten
Nicht den göttlichen Gesetzen.
Rabbi Jehoschua sagte:
Ich bin sicher, dieser Knabe
Wird in Israel ein Lehrer,
Wird ein Meister einer Schule.
Bei dem Gottesdienste schwör ich,
Eher nicht zu weichen, bis ich
Diesen wundervollen Knaben
Freigekauft aus dem Gefängnis.
Rabbi Jehoschua wirklich
Kaufte frei ihn aus dem Kerker
Und der Knabe ward ein Meister,
Rabbi Jischmael Elischa.
DREIZEHNTER GESANG
Siehe, Rabbi Levi sagte:
Es gab eine Frau mit Namen
Zofnat Peniel. Der Name
Zofnat heißt: Die Angeschaute,
Weil die alten Männer alle
Sich umschauten nach der Schönen,
Tochter sie des Hohenpriesters,
Der am Tabernakel diente.
Einmal wurde sie gefangen
Und der Räuber sie missbrauchte,
Sie die ganze Nacht missbrauchte
Nach der bösen Lust der Sünder.
Aber in der Morgenröte
Hüllte er in sieben Schleier
Zofnat, führte sie zum Markte,
Auf dem Markt sie zu verkaufen.
Kam ein Mann, der war sehr hässlich,
Sagte: Zeig mir ihre Schönheit!
Laß mich ihre Schönheit schauen,
Ob ich sie erlangen möchte.
Sprach der Räuber: Übeltäter,
Wenn du sie doch nehmen möchtest,
Nimm sie, auf der ganzen Erde
Ist kein zweites Weib so reizend!
Doch der Kerl sprach: Dennoch will ich
Schaun die offenbare Schönheit!
Zofnat zog sich aus, sechs Kleider,
Und das siebte Kleid zerriß sie,
Wälzte sich im Staub und sagte:
Gottheit, Schöpfer aller Schöpfung,
Willst du Zofnat auch nicht schonen,
Aber schone deinen Namen!
Zofnat Peniel beklagte
Einst der Seher Jeremia
In der Klagelieder Versen
Rhytmisch schön und alphabetisch:
O du Tochter meines Volkes,
Tochter, kleide dich in Sacktuch,
Tochter, leg dich in die Asche,
Trage Leid in deiner Seele,
Leid wie um den Erstgebornen,
Klag wie Eine voller Kummer,
Denn der Räuber ist gekommen,
Er ist über dich gekommen!
Rab Jehuda sprach im Namen
Seines Rabbi diese Worte:
Was bedeutet dieses Schriftwort
Wohl bei dem Propheten Micha:
Also treiben sie Gewalttat
Mit dem Mann, dem Haus, dem Erbe?
Zu der Deutung dieses Wortes
Hör die folgende Geschichte:
War ein Zimmermannsgeselle,
Sah die Gattin seines Meisters,
Warf ein Auge voll Begierde
Auf die Frau des Zimmermannes!
Einmal musste sich der Meister
Schekel leihen beim Gesellen.
Sprach zum Meister der Geselle:
Zimmermann, schick deine Gattin,
Denn der Gattin will ich leihen.
Und der Zimmermann und Meister
Zu dem Zimmermann-Gesellen
Schickte seine Ehegattin.
Und der Zimmermann-Geselle
Mit des Zimmermannes Gattin
War zusammen für drei Tage,
War zusammen für drei Nächte.
Nach drei Tagen kam der Meister
Zu dem Zimmermann-Gesellen,
Sagte: Wo ist meine Gattin,
Wo die Herrin meines Hauses?
Sprach der Zimmermann-Geselle:
Gleich als sie zu mir gekommen,
Hab ich ihr das Geld gegeben,
Darauf ist sie fortgezogen.
Ich hab ein Gerücht vernommen,
Daß ein Kerl sie auf dem Wege
Voller Lustbegier erkannte
Und ihr lag am nackten Busen!
Sprach der Zimmermann und Meister:
Was nur soll ich tun, Geselle?
Sprach der Zimmermann-Geselle:
Meister, lasse du dich scheiden!
Sprach der Meister: Nein, das geht nicht,
Geb ich ihr den Brief der Scheidung,
Muß ich sie mit Geld entlassen
Und das kann ich nicht bezahlen.
Sprach der Zimmermann-Geselle:
Ich will leihen dir die Schekel,
So kannst du die Frau entlassen,
Der ein andrer lag am Busen!
Und der Zimmermann und Meister
Schied sich von der Ehegattin
Und der Zimmermann-Geselle
Nahm sie sich zum Eheweibe.
Als der Zimmermann und Meister
Nun zurückzuzahlen hatte
Den Kredit, den er genommen,
Konnte er es nicht bezahlen.
Sprach der Zimmermann-Geselle:
Meister, du kannst abarbeiten
Den Kredit, den ich verliehen,
Fleißig sei in meiner Werkstatt.
Kam der Meister nun zur Arbeit,
Saß das Ehepaar zusammen,
Aß Oliven, Nüsse, Käse,
Brot und trank vom Wein aus Kana.
Doch der Meister musste dienen,
Ihnen dienen an der Tafel.
Aus den Augen flossen Tränen,
Tränen tropften in den Becher.
VIERZEHNTER GESANG
Rabbi Ischmael Ben Rabbi
Josef, dieser stark Beleibte,
Rabbi Eleasar Schimon,
Ebenfalls ein stark Beleibter,
Diese standen beieinander.
Und berührten sich die Bäuche,
Unter ihren dicken Bäuchen
Ging hindurch ein Rinderwagen.
Eine füllige Matrone
Einmal sprach zu diesen Meistern:
Eure Kinder sind nicht eure,
Meister, denn mit solchen Bäuchen
Kommt ihr doch an eure Weiber
Nicht heran, im Schoß zu zeugen.
Doch da sprachen diese Meister
Zu der fülligen Matrone:
Unsre Weiber sind noch dicker!
Unsrer Weiber schöne Leiber
Sind noch dicker als die unsern,
Aber sie sind unsre Weiber!
Sprach die füllige Matrone:
Umsomehr gilt diese Wahrheit:
Eure Kinder sind nicht eure,
Ihr erreicht des Weibes Schoß nicht!
Sprachen daraufhin die Meister
Und zitierten aus der Bibel:
Wie der Mann, so seine Stärke!
Und dann sprachen diese Meister:
Liebe, sie verdrängt den Körper!
Warum gaben denn die Meister
Antwort der Matrone? Siehe,
Steht geschrieben in den Sprüchen:
Gib der Närrin keine Antwort
Nach der Weise ihrer Torheit,
Sonst erlangen deine Kinder
Schlechten Ruf und üblen Nachruhm.
FÜNFZEHNTER GESANG
Rabbi Jochanan behauptet:
Ja, es war das Glied des Rabbi
Ischmael so groß und prächtig
Wie ein Schlauch, der fasst neun Liter!
Rabbi Papa aber sagte:
Ja, es war das Glied des Rabbi
Jochanan so groß und prächtig
Wie ein Schlauch, der fasst fünf Liter!
Manche Rabbis aber sagten:
Ja, es war das Glied des Rabbi
Jochanan so groß und prächtig
Wie ein Schlauch, der fasst drei Liter!
Rabbi Jochanan behauptet:
Ich bin Einer von den Schönsten
In der Tochter Zion Toren,
Ich bin Einer von den Schönsten!
Wer die Schönheit schauen möchte
Rabbi Jochanans, der nehme
Einen neuen Silberbecher,
Eben erst poliert und glänzend,
Fülle diesen Silberbecher
Mit Granatfruchtsamen, roten,
Kränze ihn mit roten Rosen,
Hebe ihn dann in die Sonne.
Dann erhält man solch ein Glänzen,
Das ein Abglanz ist des Glanzes,
Der vom Angesicht des Rabbi
Jochanan als Lichtglanz ausstrahlt!
Aber das ist nicht die Wahrheit,
Denn mein Meister hat gesprochen:
Also schön ist Rab Kakama
Wie der schöne Rab Abahu,
Rab Abahus Schönheit ähnlich
Ist der Schönheit Vater Jakobs,
Unsres Vaters Jakobs Schönheit
Schön ist wie die Schönheit Adams!
Rabbi Jochanan wird aber
Nicht erwähnt von meinem Meister.
Fehlt des Angesichtes Zierde
Ihm doch, als da ist der Vollbart.
SECHZEHNTER GESANG
Rabbi Jochanan saß oftmals
Vor dem Tor des Badehauses.
Wenn die schönen Töchter Zions
Kommen aus dem Badehause,
Rein von ihrer Monatsblutung,
Frisch gebadet und vom Salböl
Duftend, sollen sie mich sehen,
Schöne Söhne dann gebären!
Ja, sie sollen sich vergucken
In den schönsten Rabbi Zions,
Schöne Söhne dann gebären,
Schön wie ich, wie ich so weise!
Zu ihm sprachen die Gelehrten:
Fürchtest du dich gar nicht, Meister,
Vor dem bösen Blick der Hexen?
Lächelnd aber sprach der Rabbi:
Ich bin doch vom Volk des Josef,
Den der böse Blick des Weibes
Potiphars nicht schaden konnte,
Denn er war der Gottgeweihte,
Steht doch also auch geschrieben:
Wie ein Baum wird Josef wachsen,
Wie ein Baum an einer Quelle,
Weil er Worte Gottes murmelt.
Aber lies den Text verändert:
Wachsen wird der Träumer Josef,
Übers Auge hocherhaben!
Rabbi Jochanan zitierte
Moses über Josefs Söhne:
Wie die Fische in dem Meere
Sind bedeckt von Wasserwogen
Und nicht ausgesetzt dem Auge,
So sind auch die Söhne Josefs
Nicht den Augen ausgeliefert.
Josefs Kinder haben Schönheit,
Die allein der Gottheit sichtbar!
SIEBZEHNTER GESANG
Eines schönen Tages Rabbi
Jochanan im Jordan badet.
Sah er Lakisch, der war vormals
Noch ein wilder Räuberhauptmann.
Rabbi Jochanan zu Lakisch:
Deine Kraft gehört der Tora.
Lakisch darauf zu dem Rabbi:
Deine Schönheit eignet Frauen.
Rabbi Jochanan zu Lakisch:
Wenn du Buße tust und umkehrst,
Gebe ich dir meine Schwester,
Die noch schöner als ich selber.
Rabbi Jochanan den Lakisch
Lehrte nun das Wort der Tora
Und die Deutungen der Weisen,
Machte ihn zum großen Manne.
Eines Tages stritten beide
Über Fragen des Gesetzes.
Rabbi Jochanan zu Lakisch
Sagte: Du warst Räuberhauptmann,
Also bist du unterrichtet
In des Räuberhandwerks Künsten.
Lakisch sagte: Was denn nützt das,
Was nutzt mir das Räuberhandwerk?
Nannte man mich bei den Räubern
Rabbi, nämlich Räuberhauptmann,
Nennen mich nun weise Männer
Rabbi, nämlich Schriftgelehrten.
Rabbi Jochanan zu Lakisch:
Nun hast du das Heil gefunden,
Weil ich dich gebracht, mein Bruder,
Durch die Umkehr zu dem Worte
Gottes unter Gottes Fittich,
Zu der Majestät der Gottheit,
Zu der Schechina-Matrone,
Zu der Mutterliebe Gottes!
Rabbi Jochanan beleidigt
Und gekränkt war von dem Undank
Seines Bruders, der die Weisheit
Unterschied nicht von dem Diebstahl.
Und zur Strafe für die Kränkung
Seines Lehrers in der Weisheit
Wurde Lakisch krank und müde
Lag er auf dem Krankenlager.
Kam die wunderschöne Schwester
Jochanans zu ihrem Bruder:
Gottesmann, verzeihe Lakisch
Doch um meiner Söhne willen!
Jochanan der Rabbi sagte:
Laß nur deine Waisenkinder,
Ich, ich werde sie ernähren,
Denn ich bin der Waisen Vater!
Also sprach die schöne Schwester:
Gottesmann, verzeihe Lakisch,
Wenn nicht um der Söhne willen,
Also doch um meinetwillen.
Jochanan der Rabbi sagte:
Siehe, deine Witwen mögen
Allezeit auf mich vertrauen,
Bin den Witwen wie ein Gatte!
Lakisch starb. Jetzt aber grämte
Sich voll schwarzen Grams der Rabbi
Jochanan. Die Schriftgelehrten
Wollten den Genossen trösten,
Sandten Rabbi Eleasar,
Klugen Lehrer, scharfen Denker,
Wortgewandt war Eleasar,
Im Besitz der ganzen Wahrheit.
Was auch immerdar voll Trauer
Rabbi Jochanan behauptet,
Rabbi Eleasar sagte:
Für dich gibt’s ein Wort als Stütze.
Jochanan der Rabbi sagte:
Rabbi Eleasar, also
Willst du sein wie Rabbi Lakisch:
Für dich gibt’s ein Wort als Stütze?
Wenn ich aber Rabbi Lakisch
Sagte nur ein Wort der Weisheit,
Hatte vierundzwanzig Fragen
Voller Klugheit Rabbi Lakisch,
Auf die vierundzwanzig Fragen
Gab mit vierundzwanzig Sätzen
Ich die Antwort meiner Weisheit,
So vermehrten wir die Lehre.
Jochanan der Rabbi klagte:
Ach mein lieber Freund und Bruder!
Tot der Rabbi, tot der Rabbi!
Wehe mir – Ich leb noch immer!
Beteten die Schriftgelehrten
Und die alten weisen Männer
Für den kummervollen Rabbi:
Gott, erlös ihn, laß ihn sterben!
Gott, erlös ihn von den Leiden
Dieses Jammertals der Erde,
Laß ihn eingehn in die Freude
Ewiglich im Paradiese!
ACHTZEHNTER GESANG
Rabbi Eleasar konnte
Wegen eines Mannes, welchen
Er den Häschern ausgeliefert,
Keine Seelenruhe finden.
Er begann sich zu kasteien.
Lag er in den dunklen Nächten,
Legte man ihm sechzig Decken
Auf sein hartes Büßerlager,
Morgens schöpfte man vom Rabbi
Sechzig Eimer Blut und Eiter.
Seine Frau zum Frühstück machte
Sechzig Arten leckre Speise.
So genas der fromme Büßer.
Seine Frau ließ aber Rabbi
Eleasar nicht mehr gehen
In das Lehrhaus zu den Weisen.
Aber er lud ohne Wissen
Seiner Frau die Schriftgelehrten
In sein Haus, er sagte abends:
Brüder, kommt zum Wortgefechte!
Und die ganze Nacht studierten
Die Gelehrten Gottes Weisheit.
Morgens aber sprach der Rabbi:
Geht, damit ihr nicht die Predigt
Morgens in dem Gotteshause
Frevelhaft versäumt, o Brüder.
Doch in Wahrheit schickte Rabbi
Eleasar fort die Brüder,
Daß nicht seine Gattin merkte,
Daß er all die Nacht studierte,
Seine Gattin war vor allem
Tief besorgt um die Gesundheit
Ihres Mannes. Eines Tages
Aber sie erfuhr die Wahrheit
Und sie sagte zu dem Gatten,
Sprach zu Rabbi Eleasar:
Du bringst nun das ganze Geld durch,
All die Schekel meines Vaters,
Nur durch die verdorbne Wäsche
Und die teuren Pflegemittel.
So empörte sich die Gattin
Gegen ihren Eheherren
Und begab sich in die Wohnung
Ihrer Mutter, ihres Vaters.
Aber sechzig Schiffer kamen,
Die auf See in Not gewesen,
Riefen Rabbi Eleasar
An zu ihrem Schutzpatrone.
Diese sechzig Schiffer schenkten
Sechzig Sklaven dem Patrone,
Jeder Sklave einen Geldsack
Trug und machte leckres Essen.
Eines Tages aber Rabbi
Eleasars Ehegattin
Sandte ihrer beider Tochter,
Nach dem Väterchen zu schauen.
Sprach der Rabbi zu der Tochter
Dieses Sprichwort aus den Sprüchen:
Der Besitz der Meinen größer
Ist als der Besitz der Ihren.
Dann zitierte er die Sprüche:
Sie ist wie das Schiff des Kaufmanns,
Die die nahrhaft leckre Speise
Zu ihm bringt aus weiter Ferne!
Dachte nun der Tochter Einfalt,
Sie, das sei die Ehegattin,
Aber Rabbi Eleasar
Meinte nur die Weisheit Gottes!
Rabbi Eleasar speiste,
Trank von einem guten Weine,
Ward gesund und ging ins Lehrhaus
Zu den Freunden, zu den Brüdern.
Und da brachten ihm die Brüder
Sechzig Arten roten Blutes:
Ist es Blut der Frauenblutung
Oder ist es Blut, das rein ist?
Rabbi Eleasar sagte:
Das ist alles Blut, das rein ist.
Sprachen aber die Gelehrten:
Aber ist da gar kein Zweifel?
Sagte Rabbi Eleasar:
Ist es nicht so, wie ich sage,
Sollen alle eure Weiber
Euch gebären kleine Mädchen,
Aber wenn ich sprach die Wahrheit,
Sollen sie gebären Knaben,
Eure Weiber euch gebären
Knaben, weise wie der Vater!
Wahrlich, also auch geschah es:
Alle Weiber aller Rabbis
Ihren Gatten nur gebaren
Knaben ihren stolzen Vätern!
Dann starb Rabbi Eleasar.
Aber bald nach seinem Tode
Warb Jehuda um die Witwe,
Rabbi Patriarch Jehuda.
Doch da sprach die Witwe also:
Sollte ein Gefäß der Ehre,
Das für Heiliges benutzt ward,
Nun profanem Nutzen dienen?
An der Stelle, wo der Hausherr
Aufgehängt hat seine Waffen,
Sollte nun ein Hund und Sauhirt
Hängen auf den Wassereimer?
Rabbi Patriarch Jehuda
Aber sagte zu der Witwe:
War er reicher auch an Weisheit,
Reicher auch an der Erkenntnis,
Aber war er denn auch reicher
An der Liebe guten Werken,
War er reich an guten Taten,
Der Gerechte voll Erbarmen?
So erwiderte die Witwe:
Ob er reicher war an Weisheit
Und Erkenntnis seiner Gottheit,
Kann ich armes Weib nicht wissen,
Wahrlich, aber er war reicher
An der Liebe guten Werken,
Denn er nahm für Gott freiwillig
Auf sich Sühneopferleiden!
NEUNZEHNTER GESANG
Warum gab der gute Rabbi
Sich so viele Not und Mühe
Mit den Kindern fremder Leute?
Rab Jehuda nämlich sagte
In dem Namen seines Rabbi
Und es sagte Rabbi Abba
Auch im Namen seines Rabbi
Jochanan und manche sagen,
Rabbi Samuel Nachmeni
Sprach dasselbe in dem Namen
Rabbi Jonatans, es sprachen
Allesamt die weisen Rabbis:
Wer den Sprössling seines Nächsten
Unterweist im Gottesglauben,
Wird belohnt von Gott dem Höchsten,
Sitzen darf er in dem Himmel,
An der himmlischen Versammlung
Teilzunehmen, wird gewürdigt,
Wer die Söhne seiner Nächsten
Unterrichtet in der Bibel.
Denn so sagte Jeremia:
Darum spricht der Herr Gott also:
Hältst du dich zu mir, so will ich
Ziehen dich zu mir, denn siehe,
Lehrt ein Mann den Sohn des Nächsten
Gottes Wort, die Jungfrau Tora,
Hebt der Herr um seinetwillen
Ein Verhängnis auf, ein Unheil,
Ein Gericht, das schon beschlossen
War, ein Strafgericht der Menschheit!
Denn es heißt bei dem Propheten
Jeremia weiter also:
Und wo du die Frommen lehrest,
Sich zu scheiden von den Frevlern,
Sollst du weiterhin mein Mund sein
Und mein Prediger der Weisheit.
Aber nimm dir keine Gattin,
Aber zeuge keine Söhne,
Rede Edles, nicht Gemeines,
So wirst weiter du mein Mund sein!
Rabbi Chija mit dem Rabbi
Chanin ist in Streit geraten
Und da sagte Rabbi Chija:
Du willst also mit mir streiten?
Wenn die kluge Jungfrau Tora
Würd in Israel vergessen,
Hätt ich sie durch meine Deutung
Wiederum dem Volk gegeben.
Aber Rabbi Chanin sagte:
Du willst also mit mir streiten?
Ich bewirkte, dass die Tora
Nicht vergessen wird in Zion.
Weißt du aber, was ich tue?
Schau, ich säe Flachs und flechte
Netze, mit den Netzen fang ich
Hirsche, speis mit Fleisch die Waisen,
Aus dem Fell der Hirsche mach ich
Pergamente und ich schreibe
Auf die Pergamente alle
Mose-Bücher, jedes Jota.
Und ich gehe auf den Marktplatz
Und ich gehe in die Schulen,
Unterrichte dort die Knaben
In der Mose-Bücher Weisheit
Und erzähle allen Knaben
Die Legenden unsrer Weisen
Und die Fabeln unsrer Dichter
Und die Märchen unsrer Mütter
Und ich sage zu den Knaben:
Bis ich wiederkomme, Kinder,
Lernt die zehn Gebote, Kinder,
Lernt auswendig Davids Psalmen.
So bewirk ich, dass die Tora
Nicht vergessen wird in Zion.
Darauf sprach der andre Rabbi:
Groß ist deine Weisheit, Rabbi,
Groß sind deine Werke, Rabbi.
Als der Rabbi dies gesprochen,
Sagte Ischmael Ben Josef:
Sind denn dieses Rabbi Werke
Größer noch als deine eignen?
Sprach der Rabbi: Ja, das sind sie.
Größer auch als Josefs Werke?
Nein, das gibt es nicht in Zion!
ZWANZIGSTER GESANG
Rabbi Sara einmal sagte:
Gestern sah ich Rabbi Jose,
Sah den toten Rabbi Jose
Und ich sprach zu Rabbi Jose:
Wer ist in dem Paradiese
Dir zu Seiten, Rabbi Jose?
Sagte Rabbi Jose lächelnd:
Rabbi Jochanan, der Schöne!
Sprach ich: Wer ist denn zu Seiten
Jochanans, des schönen Rabbi?
Sprach er: Das ist Rabbi Jannai.
Sprach ich: Wer ist denn zu Seiten
Rabbi Jannais? Sagte Rabbi
Jose : Chanina, der Rabbi.
Sprach ich : Wer ist denn zu Seiten
Chaninas, des weisen Rabbi?
Sprach er: Das ist Rabbi Chija.
Sprach ich zu dem Rabbi Jose:
Aber Jochanan, der Schöne,
Sitzt er nicht bei Rabbi Chija?
Sagte Rabbi Jose aber:
Sollte einer an der Stelle,
Wo die Feuerstrahlen blitzen,
Sein, der eines Schmiedes Sohn war?
Und ich schaute einen Rabbi,
Der verkehrte mit Elias.
Seine Augen heil am Morgen,
Doch versengt von Glut am Abend.
Was hat das nur zu bedeuten?
Sprach er: Ich hab den Propheten
Einst gebeten, mir die Rabbis
In dem Paradies zu zeigen.
Sagte zu mir so Elias:
Alles kannst du droben schauen,
Aber Rabbi Chijas Thron nicht,
Dieser Thron ist ein besondrer.
Denn der andren Rabbis Throne
Zu der himmlischen Versammlung
Von den Himmlischen getragen
Werden, von den schönen Engeln,
Aber Rabbi Chijas Thronstuhl
Kommt von selber, geht von selber.
Schau! Da schaute ich den Thronstuhl,
Ward geblendet wie von Lichtglanz!
Und ich weilte an dem Grabe
Rabbi Chijas im Gebete:
Deine Weisheit will ich lernen!
Und da ward ich wieder sehend.
EINUNDZWANZIGSTER GESANG
So die weisen Männer lehrten:
Warum ward der Mensch geschaffen
Einst am allerersten Freitag?
An dem Freitag ward geschaffen
Adam, dass nicht Ketzer sagen,
Bei der Schöpfung Gottes hätten
Mitgeholfen ihm die Menschen,
Menschen so sich überheben.
Wenn sich Menschen überheben,
Sagt zum Menschen Gott der Schöpfer:
Mensch, geschaffen erst am Freitag,
Mücken sind vor dir erschaffen!
Und am Freitag ward erschaffen
Adam, damit der Erschaffne
Gleich am Samstag Sabbatruhe
Feiern kann zu Gottes Ehre.
Schau ein Gleichnis: War ein König,
Baute den Palast als erstes,
Schmückt ihn aus und macht die Mahlzeit,
Dann erst lädt er ein die Gäste.
Baute ja ihr Haus Frau Weisheit,
Hieb Frau Weisheit sieben Säulen,
Schlachtete ihr Vieh zur Speise,
Trug den Wein auf zum Berauschen,
Sandte aus die Dienerinnen,
Diese riefen von den Hügeln:
Alle, die da unverständig,
Kommen sollen sie zur Weisheit!
Baute ja ihr Haus Frau Weisheit,
Dies bedeutet Gottes Planung,
Denn nach Gottes Plan geschaffen
Ist das ganze Universum.
Hieb Frau Weisheit sieben Säulen,
Sieben Tage sinds der Schöpfung,
Sieben große Zeitabschnitte,
Da der Kosmos ist geworden.
Schlachtete ihr Vieh zur Speise,
Trug den Wein auf zur Berauschung,
Deckte ihren Tisch zur Mahlzeit,
Lud zur Kommunion der Weisheit,
Dieses sind die Meere, Flüsse,
Sind die Lämmer und die Hühner,
Malz und Hopfen und der Weinstock
Und das Brot der Mutter Erde.
Schickt Frau Weisheit ihre Diener,
Sendet ihre Dienerinnen,
Siehe, dieser Knecht ist Adam,
Siehe, diese Magd ist Eva.
Kommt doch, die ihr unverständig,
Kommt herein zum Mahl der Weisheit!
O du Tor, so sprach Frau Weisheit,
Eile rasch zur Herrin Weisheit!
Wer ist dieser Tor? Betörte
Nicht die erste Frau den Menschen?
Sprach die Frau doch: Iß vom Apfel!
Tor ist der vom Weib Verführte!
ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG
Rabbi Paulus Meyer sagte:
Schau, der Staub des ersten Menschen
Ward geholt vom ganzen Erdkreis,
Denn es steht geschrieben also:
Gottheit, deine Augen sahen
Meinen Klumpen von der Erde!
Gottheit, deine Augen schauen
Ja die ganze Mutter Erde!
Rab Oschaja aber sagte
In dem Namen seines Rabbis:
Schau, der Rumpf des Körpers Adams
Ward herbeigebracht aus Babel,
Aber Adams Schädel holte
Gott der Herr aus Palästina,
Und die andern Glieder alle
Aus den andern Ländern allen.
Rabbi Acha aber meinte,
Adams schöne Hinterbacken
Stammten aus der Burg von Agma,
Diese waren Evas Wonne!
Rabbi Jochanan Chanina
Aber sagte über Adam
Und den Tag des ersten Menschen
Und des ersten Menschen Leben:
In der ersten Tagesstunde
Ward gesammelt all die Erde,
Die zu Adams Schöpfung nötig,
Von der großen Mutter Erde.
In der zweiten Tagesstunde
Adam ward geformt zum Klumpen.
In der dritten Tagesstunde
Formte Gott die Glieder Adams.
In der vierten Tagesstunde
Hauchte Gott die Seele Adams.
In der fünften Tagesstunde
Adam sich erhob vom Boden.
In der sechsten Tagesstunde
Adam gab den Tieren Namen.
In der siebten Tagesstunde
Führte Gott zu Adam Eva!
In der achten Tagesstunde
Adam lag im Bett mit Eva!
Die zu zweit das Bett bestiegen,
Sie verließen es mit Kindern.
In der neunten Tagestunde
Gott verbot dem ersten Menschen,
Von dem Baume der Erkenntnis
Sich zu pflücken seine Feige.
In der zehnten Tagesstunde
Adam übertrat die Weisung.
In der elften Tagestunde
Adam ward von Gott gerichtet.
In der zwölften Tagestunde
Adam ward verjagt vom Engel
Aus dem Garten Eden, Adam
Durfte nicht im Garten bleiben,
Denn es steht geschrieben also:
Adam soll nicht übernachten
Himmlisch in dem Garten Eden,
Wird verjagt wie Straßenköter!
DREIUNDZWANZIGSTER GESANG
Sprach ein Ketzer zu dem Rabbi
Gamliel: Ein Dieb dein Gott ist,
Denn es steht geschrieben also:
Gott ließ tiefen Schlummer fallen
Auf den ersten Menschen Adam,
Adam sank in tiefen Schlummer,
Gott nahm seiner Rippen eine
Und verschloß mit Fleisch die Stelle.
Doch des weisen Rabbi Tochter
Wollte selbst die Antwort geben
Und sie sagte zu dem Ketzer:
Ich, ich brauche einen Richter!
Wozu brauchst du einen Richter?
Sprach sie, nachts gekommen wären
Diebe, klauten Silberbecher,
Hinterließen goldne Becher.
Sprach der Ketzer zu der Tochter:
Solche Diebe sollten allzeit
Kommen in mein Haus und rauben
Silber, hinterlassen Feingold.
Sprach die Tochter zu dem Ketzer:
Und geschah dies nicht auch Adam?
Gott ihm raubte eine Rippe,
Aber schenkt ihm ein Weibchen!
Zugegeben, sprach der Ketzer,
Aber warum ließ der Schöpfer
Adam schlafen, warum nahm er
Nicht die Rippe ihm im Wachen?
Sprach die Tochter: Komm zum Essen,
Hier für dich ein rohen Fleischstück.
Nein, sprach da entsetzt der Ketzer,
Rohes Fleisch ist mir ein Ekel.
Sprach des Rabbis weise Tochter:
So wärs Adam auch ergangen,
Hätte er gesehn, wie Eva
Ward geschnitzt aus seiner Rippe.
Und der Ketzer sprach zu Rabbi
Gamliel: Ich weiß, was Gott tut,
Wo sich euer Gott befindet,
Weiß ich auch, so sprach der Ketzer.
Und der weise Rabbi seufzte.
Sprach der Ketzer: Warum seufzt du?
Sprach der Rabbi: Hab ein Söhnchen,
Süßes Kindchen, kleines Knäblein.
Er ist irgendwo in einer
Jener Städte an dem Meere.
Sehnsucht hab ich nach dem Kindchen!
Bringe du mir doch mein Kindchen!
Sprach der Ketzer zu dem Rabbi:
Narr, woher soll ich denn wissen,
Wo in welcher Stadt am Meere
Sich dein lieber Sohn befindet.
Sprach der weise Rabbi lächelnd:
O du hochgelehrter Ketzer,
Weißt nicht, was da ist auf Erden,
Weißt du denn, was ist im Himmel?
VIERUNDZWANZIGSTER GESANG
Rabbi Akiba sprach einmal:
Lies du nicht die Apokryphen!
Rabbi Josef sagte aber:
Lies auch nicht in Jesus Sirach!
Abbaji sprach darauf dieses:
Also schrieb doch Jesus Sirach:
Ziehe du die Haut des Fisches
Bloß nicht ab von seinen Kiefern,
Daß die Fischhaut nicht verderbe,
Sondern brate du das Fischlein
Wie es ist und dann verspeise
Du es mit zwei leckern Brötchen.
Also spricht doch auch die Tora:
Wenn vor einer Stadt du lange
Liegen musst im Widerstreiten,
Sollst verderben nicht die Bäume!
Das ist ja die Lebensregel,
Daß man soll mit einem Weibe
Unnatürlich nicht verkehren,
Sondern wie es Gott gefalle.
Jesus Sirach spricht auch also:
Eine Tochter für den Vater
Ist ein Schatz, der voller Kummer,
Ist ein kummervolles Schätzchen.
Denn aus Sorge um die Tochter
Kann er in der Nacht nicht schlafen.
Ist die Tochter jung, ein Mädchen,
Bangt der Vater vorm Verführer.
Ist die Jungfrau dann geschlechtsreif,
Bangt der Vater vor der Unzucht.
Ist sie reif geworden, fürchtet
Er, dass sie nicht Kinder werfe.
Ist sie aber alt geworden,
Bangt der Vater um die Tochter,
Daß sie Zauberei betreibe,
Daß sie die Magie studiere.
Also aber sprachen Rabbis:
Ohne Mann und Frau kein Leben.
Wohl dem, dem Gott Söhne schenkte!
Weh dem, dem Gott Töchter schenkte!
Lies im Buche Jesus Sirach
All die guten Weisheitslehren:
Eine gute Frau ist eine
Gabe Gottes an den Frommen,
Eine böse Frau ist aber
Wie der Aussatz für den Frevler.
Eine schöne Frau voll Anmut:
Heil dem Manne, der sie lieb hat!
Eine schöne Frau voll Anmut:
Heil dem Manne, der sie lieb hat!
Heilung bringt sie seinen Gliedern
Und verlängert ihm das Leben.
Aber wende ab die Augen
Von der Gattin deines Nächsten,
Und ist sie auch voller Liebreiz,
Schau nicht nach verbotnen Reizen,
Denn wie leicht kann man geraten
In die Netze solcher Reize!
Sitze auch nicht nachts zusammen
Mit des Nächsten Weib beim Weine!
Denn am wunderschönen Körper
Eines wunderschönen Weibes
Gingen viele schon zugrunde,
Groß die Anzahl ist der Toten.
Viele Wunden hat empfangen
Jener, der des Nächsten Gattin
Schmuck geschenkt, um sie zu schmücken,
Wenn der Gatte dies entdeckte.
Wer sich aber mit der Unzucht
Geil befasst, ist gleich dem Funken,
Der entfacht ein großes Feuer,
Keiner kann den Waldbrand löschen.
Also sprachen weise Männer:
Wer da einen Vers des Hohen
Liebesliedes Salomonis
Vorträgt als profanes Buhllied
Oder einen Vers der Bibel
Vorträgt in der falschen Stunde
In der Schenke vor den Trinkern,
Der bringt in die Welt das Unheil.
Denn in diesem Fall die keusche
Jungfrau Tora sich bekleidet
Mit dem Sack der Buße, betend:
Jahwe! Schöpfer aller Schöpfung,
Höchster Herr des Universums,
Deine Kinder haben meine
Weisheit wie ein Lied gepfiffen,
Sitzend bei dem Wein beim Gastmahl.
Spricht der Vater in dem Himmel:
Meine erstgeborne Tochter,
Was soll sonst ein Zecher singen,
Liegt er nachts beim Wein des Gastmahls?
Spricht die keusche Jungfrau Tora:
Majestät des Universums,
Sind die Männer bibelkundig
Und gelehrt im Worte Gottes,
Sollen sie Gesetz, Propheten,
Psalter, Weisheit, alles lesen.
Wenn sie den Talmud studieren,
Sprechen sie von Talmudisten.
Wenn sie Kabbala studieren,
Sprechen sie von Kabbalisten.
Wenn sie Rabbi Jesus Weisheit
Lernen, künden – Heil den Weisen!
JUDITH
„...wusch sich und salbte sich mit kostbarem Balsam, flocht ihr Haar und setzte sich einen Kopfputz auf, zog ihre schönen Kleider an und tat Schuhe an ihre Füße, schmückte sich mit Armbändern und Spangen, Ohrringen und Fingerringen und legte all ihren Schmuck an. Dazu gab ihr der Herr noch besondere Anmut; denn sie schmückte sich nicht aus böser Lust, sondern aus Gottesfurcht. Und der Herr machte ihre Schönheit so groß, dass sie allen unsagbar lieblich erschien.“
(Buch Judith 10,3-5)
ERSTER TEIL
ERSTER GESANG
O gewaltiger Eloah,
Adonai, du König Salems!
Dich bekennen, Gott und Herrscher,
Alle ewigen Äone!
Höhe, Tiefe, Länge, Breite,
Morgensterne, Abendsterne
Preisen all das Wesen Gottes:
Einig Gott in drei Personen!
Komm zu mir, gelinder Herrscher,
Komm nach deiner Liebe Willen,
Lehre du mich deine Liebe,
Laß uns ewig eins sein, Gottheit!
Mein Bekenntnis ist das selbe
Wie einst Abraham bekannte,
Der vor drei Personen einen
Gott und Herrn hat angebetet.
Also bete ich zu einem
Gott und Herrn in drei Personen,
Lade dich, mein Gott, mein König,
Ein zu mir in drei Personen.
Komm, o Vater voller Liebe,
Gottheit aller reinen Minne,
Komm, o Vater, und bewahre
Mich vor allem Trug und Irrtum!
Dich auch lad ich ein, o Jesus,
Gottes eingebornen Liebling,
Gottes eingeborne Weisheit,
Dich auch lad ich ein, Frau Weisheit,
Daß die Gnade ich erfahre,
Daß du selbst, o Weisheit Gottes,
Inspirierst des Dichters Dichten
Zu dem Ruhm der Weisheit Gottes!
Dich auch lad ich ein, o Heilig
Geist, gib du mir siebenfältig
Alle deine Tugendgaben,
Daß ich werde voll der Tugend,
Gib mir Gottesfurcht und Künste,
Milde, Rat und Kraft und Weisheit,
Gib Vernunft, dass ich vollbringe
Dieses Werk im Geist der Tugend!
Heilig Geist und Sohn und Vater!
Wo dein Lobpreis nicht gesungen
Dir zu Ruhm und Ehre, Gottheit,
Da sind fehlerhaft die Künste.
Doch mit deiner Gnade, Gottheit,
Will ich dieses Werk vollbringen,
Singen auf dem Berg der Tugend
Einen Stein von reinstem Wesen.
Unter deinen Schwingen, Jahwe,
Unter deinen Adlerschwingen
Berg ich mich als Adlerjunges
Wie einst tat der Dichter David.
Unterm Schatten deiner Schwingen
Ich beginne meine Dichtkunst,
Ich vollbringe meine Dichtkunst,
Ich vollende meine Dichtkunst.
Weise mir den Weg, Frau Weisheit,
O mein Friedefürst, o Jesus,
Führ im Geist der Gottesminne
Mich in Ewigkeit. Hosanna!
Was so süß ist deinem Herzen,
O mein Freund und wahrer Bruder,
Der du grüßest Sankt Maria,
Das will ich im Lied dich lehren.
Denn ich hörte deine Klage,
Hab vernommen über Maßen
Deine Klage, du begehrtest
Gottes Weisheit zu erkennen!
Du begehrtest voll des Durstes
Und du batest mich als Schenken,
Einzuschenken dir der Weisheit
Edlen Wein, der in der Schrift strömt.
Ach, ich bin ein armer Sünder!
Kann ich denn das Licht erkennen,
Das da leuchtet in der Bibel,
Den geheimen Kern des Wortes?
Also reich kann ich nicht schöpfen,
Daß ich deinen Durst dir stille,
Deiner Liebe voll Begierde
Stille völlig das Verlangen.
Aber einen Teil der Quelle
Komm ich, über deinem Haupte
Auszugießen, von der Weisheit
Ursprung möchte ich berichten,
Daß du schöpfest aus der Quelle,
Welche ist der Weisheit Ursprung,
Schöpfe mit kristallnem Kelche
Und benetze deine Lippen.
Wer da aber sucht die Weisheit,
Suche Weisheit in der Bibel,
Dann wird ihn die Weisheit führen
In das Land von Milch und Honig.
Stille also die Begierde
Nach dem edlen Wein der Weisheit,
Lies du nur in diesem Liede,
Das ich deutscher Dichter dichte,
Der ich kann so gut nur dichten,
Wie die Liebe mich gelehrt hat,
Singe nach dem Wort der Bibel
Dieses Lied der schönen Judith.
Dichter will ich sein der Judith
Und mit Gottes Hilfe singen
Achior und Holofernes,
Will die schöne Judith singen,
Will in diesem Buche wandern
In dem fernen Morgenlande
Und will kehren heim am Abend
Zu dir in dem Abendlande
Und dir kurz und bündig sagen,
Welchen Honig ich gefunden,
Will den Honigseim dir schenken,
Dir den süßen Seim der Judith.
Alles ruht in Gottes Händen!
Möge sich der Bibel Samen
Strömen aus in Gottes Namen:
Allmacht, Weisheit, Liebe! Amen.
ZWEITER GESANG
Arfaxat war Mediens König,
War ein König vieler Länder,
Weithin war berühmt sein Name
Unter vielen Länderfürsten.
Arfaxat war voll des Durstes
Nach dem Ruhm und nach der Ehre
Und er baute eine Stadt nach
Höhe, Tiefe, Länge, Breite.
Darin wollt vor Feinden sicher
Sein der König und in Frieden
Leben alle Lebenstage,
Und die Stadt hieß Ekbatana.
Diese Stadt von Edelsteinen
Und von himmelblauen Ziegeln
War sehr schön und hohe Türme
Dort von Elfenbein zu schauen.
Arfaxat in Ekbatana
Lebte, Stolz in dem Gemüte,
Und er tat was er nur wollte
In dem Eigentum des Königs.
Und er hatte viele Helden,
Große Ritter, starke Krieger,
Untertanen voller Demut,
Stets sich fürchtend vor dem König.
Nahe war das Reich des Königs
Von Assyrien gelegen,
Dessen König hatte mächtig
Manchen Edelmann bezwungen.
Seinem Machtgebote waren
Untertan viel Ländereien.
Dieser König tat gewaltig
Nur nach seinem eignen Willen.
Und Assyriens Gebieter
Hatte Krieger, hatte Knechte,
Die da fochten, die da stritten
Zu der Ehre ihres Königs.
Weil sie seine Knechte waren
Und zu ihm in Treue hielten,
Trug er hoch die stolze Nase,
War hochmütigen Gemütes.
Nebukadnezar hieß der König.
In dem zwölften Jahr der Herrschaft
Wollt er Arfaxat besiegen
Und sein Königreich erobern.
Aufeinander stießen beide
In dem offnen Schlachtgefilde
Und da gab es viele Tote,
Gehend ein zum Totenreiche.
Dieses Feld genannt war Ragan,
Bei dem breiten Strome Euphrat,
Da ward Arfaxad bezwungen,
Nebukadnezar triumphierte.
Nebukadnezar triumphierte,
Wollte König sein der Erde
Und die Königskrone tragen
Als der ganzen Welt Beherrscher.
Niemand sollte widerstehen,
Alle einen Gott ihn nennen,
Dieses Machtgebot des Königs
Ward gesandt in alle Länder,
Nach Zilizien und Damaskus,
Zu dem Libanon und Karmel,
Galiläa, Samaria,
Nach Jerusalem, zum Jordan,
In das schwarze Land der Neger,
Diesen allen ward geboten,
Nebukadnezar anzubeten
Nach dem Machtgebot des Königs.
Doch die Leute in den Ländern
Hörten nicht auf die Gebote.
Nebukadnezar wurde zornig
Im hochmütigen Gemüte.
Ihm entschwand die letzte Güte
Und er schwor bei seiner Krone
Und er schwore bei seinem Throne,
Daß er sie besiegen wollte.
Rief er alle seine Räte,
Sprach zu allen seinen Räten:
Ich will sein der Weltenherrscher
Und der Gott der ganzen Erde!
Dieses Wort gefiel den Räten
Und sie huldigten dem König,
Ihrem Herrn und ihrem Abgott,
Fielen vor dem König nieder.
Einer von den Königsräten
War der Herzog Holofernes.
Nebukadnezar sprach als König
Zu dem Herzog Holofernes:
Fahre in das Land des Westens,
Unterwirf das Land des Westens,
Wer mir nicht wird untertänig,
Den bestrafe mit dem Schwerte!
Schone Burgen nicht noch Städte,
Alle Seelen sollst du würgen,
Bis auch noch die letzte Seele
Mich bekennt als ihren Gottherrn!
DRITTER GESANG
Als der König so gesprochen
Zu dem Herzog Holofernes,
Tat der Herzog Holofernes,
Was der König ihm geboten.
In Assyrien gesammelt
Wurden ritterliche Heere,
Starke Ritter, junge Knappen,
Und sie zogen in dem Heerzug.
Als der Herzog Holofernes
Sah den ritterlichen Heerzug,
Zählte Ritter er und Knappen,
Wie der König ihm geboten.
Krieger gingen da zu Fuße,
Hundertzwanzigtausend Krieger,
Ritter ritten hoch zu Rosse,
Wohl zwölftausend stolze Reiter.
Holofernes rief die Ritter
Auf zur ritterlichen Treue
Und beschwor sie, in dem Kriege
Selbst ihr Leben einzusetzen.
Als der Heerzug war gesammelt
Und bereit war für den Kriegszug,
Holofernes erst besorgte
Eine Mahlzeit für die Krieger.
Mit den Rittern zogen nämlich
Viele Schafe, viele Kühe,
Viele Esel und Kamele,
Alles leckres Fleisch zur Speise.
Und die Ritter und die Knappen
Und die Krieger und die Knechte
Zogen nun im Heereszuge
Mit dem Herzog in die Schlachten.
Von Assyriens Gefilden
Zu Ziliziens Gefilden
Zogen sie und zum Gebirge
Ange kam das Heer der Ritter.
Dort der Herzog Holofernes
Überwand die Burgen alle
Und die Leute sich ergaben
Sklavisch Herzog Holofernes.
Und die Hauptstadt hieß Melothi,
Herzog Holofernes nahm sie,
Raubte alles Gut der Hauptstadt,
Nahm sich alles ohne Umschweif.
Weiter zog der Herzogs Truppe,
Mesopotamien erobernd
An dem breiten Strome Euphrat,
Da er mehrte die Gewinne.
Nach Zilizien und Japhet
Ritt er und nach Mediens Auen.
Alle Leute mussten dulden
Ihren Tod von seinen Händen.
Nach Damaskus ritt der Herzog,
Wo er ließ die goldnen Felder
In der Erntezeit verbrennen,
Hieb die Früchte von den Bäumen.
Dann gebot er seinen Kriegern,
Alle Reben abzuschneiden,
Jeden Weinberg zu verderben
Und in rotem Blut zu waten.
Als die Völker alles dieses
Sahen, die Gewalt und Machttat,
Wurden sie verzagt und ängstlich,
Keinen Widerstand mehr leistend.
Da vereinten sich die Fürsten
Zur Beratung mit den Räten,
Mesopotamiens, Syriens Fürsten,
Die von Libanon und Sobal.
Und die Fürsten und die Räte
Sandten Holofernes Botschaft:
Laß uns werden untertänig,
Komme du zu uns in Frieden!
Sklaven wollen wir dir werden,
Willst du nur uns nicht verderben,
Gnädig sei den Untertanen
Und bring Frieden deinen Sklaven.
Lieber dienen wir der Gottheit
Nebukadnezar untertänig,
Als das deiner Gottheit Sklaven
Nur den Tod von ihm empfangen.
Nimm uns an als deine Sklaven,
Aber komm zu uns mit Frieden,
Unsre Burgen, unsre Städte
Legen wir in deine Hände.
Unsre Pferde und Kamele,
Unsre Kinder, Kindeskinder,
Unsre Weiber, unsre Sklaven
Legen wir in deine Hände.
Sei dein Herrscher unser Herrscher,
Wir sind deines Herrschers Sklaven,
Du komm zu uns nur mit Frieden,
Wir tun ganz nach deinen Wünschen.
Herzog Holofernes hörte
Diese Rede und so nahm er
Alle Burgen, alle Städte,
Herrschte mit Gewalt und Stärke.
Von den Sklavenvölkern nahm er
Viele Krieger, junge Knaben,
Nahm sie an als seine Krieger,
Dienten Sklaven ihm als Ritter.
Und die Sklavenvölker, singend
Sklavenlieder, sie empfingen
Ihren Herzog Holofernes
Als der Herrn in ihren Burgen.
Doch die Demut nicht vermochte
Ihm das Herze zu erweichen,
Trotz der Sklaven Hundedemut
Blieb des Herzogs Herz versteinert.
Er zerstörte ihre Burgen,
Er zerstörte ihre Türme,
Er zerstörte ihre Ähren,
Er zerstörte ihre Reben.
So gebot ihm ja der König
Nebukadnezar grausam grimmig,
Daß die ganze Welt erkenne,
Nebukadnezar sei der Gottherr.
Mit Gewalt zog Holofernes
Durch die Länder, die Gebirge,
Zog durch Syrien, zog durch Sobal,
Mesopotamien, Appamia,
Bis er kam zum Lande Gaba,
Wo er unterwarf die Städte,
Dreißig Tage seine Krieger
Ließ er ruhen dann vom Kriege.
VIERTER GESANG
Da war aber eine Landschaft
Mit dem Namen Tochter Juda,
Israels Bewohner wohnten
In dem Land der Tochter Juda.
Die entsetzten sich, vernehmend
Wie der Herzog Holofernes
Alle Burgen, alle Städte
Schändete und alle Leute.
Da begannen sie zu fürchten,
Daß Jerusalem erobert
Werde und der Tempel Gottes
Werde ruiniert zu Trümmern.
Also sandten sie Gesandte
Gegen Jericho, Samarien,
Daß in Jericho, Samarien
Man sich schütze vor dem Feinde.
Sie begannen, hohe Mauern
Zu errichten um die Städte
Und die Burgen zu versorgen
Drinnen reich mit Korn und Wasser.
Unter ihnen war ein Pfaffe,
Groß sein Name und gewaltig,
Eliachim war sein Name,
Der war Oberster der Pfaffen.
Esdralon gebot der Pfaffe
Und Dotaim riet der Pfaffe,
Daß die Berge sie besetzten,
Daß sie sicherten die Wege.
Nun hob sich ein großes Weinen
Von der ganzen Volksgemeinde,
In Jerusalem und andern
Orten alle Leute weinten.
Jammernd klagten sie Jehowah,
Daß man gegen Gottes Ehre
Wollt Jerusalem erobern
Und vernichten Gottes Tempel.
Und sie trugen Sack und Asche
Und beweinten ihre Sünden,
Ihre Frauen klagten leise,
Ihre Kinder schrieen jammernd.
Und sie schrieen zu dem Höchsten,
Daß er ihnen in der Schwermut
Ihrer Trübsal Beistand sende,
Hilfe von dem Heiligtume.
Gott, beschütz uns vor dem Feinde,
Der uns will vertreiben alle,
Alle Männer, alle Frauen,
Alle Großen, alle Kleinen.
Und der Pfaffe Eliachim
Wallte durch die Tochter Juda,
Sagte Israels Bewohnern:
Betet allzeit, fastet, opfert!
Dann wird Gott euch bald erhören,
Wenn ihr betet, betet, betet,
Gott wird seinen Beistand senden,
Gott wird euern Feind vernichten.
Gott stand so dereinst bei Mose,
Der nur durch die Bittgebete
Seiner Reue, seiner Buße
Amalek den Feind besiegte.
Amalek war groß und zahlreich,
Zahlreich war des Feindes Mannschaft,
Mose überwand den Gegner
Durch die Macht der Bittgebete.
Also werden alle siegen,
Die geduldig leiden, opfern,
Buße tun und fasten, beten,
Das ist die gewisse Wahrheit.
Nach dem Trostwort dieses Pfaffen
Mann und Weib und kleine Kinder
Schrieen laut zu Gott dem Höchsten,
Daß er seinen Beistand sende.
Allzeit beten, fasten, opfern,
Buße tun und sich bekehren
War ihr Werk und ihre Arbeit
In der Innigkeit der Demut.
FÜNFTER GESANG
Bruder mein in Jesus Christus,
Kannst du dich wohl noch erinnern,
Daß ich sprach zu Anbeginn von
Achior und Holofernes?
Nun ist es soweit gekommen,
Daß ich Achior besinge.
O mein Freund, du bist ein Garten,
Drin ich mich zum Trost ergötze.
Ich gelobte bei der Freundschaft,
Daß ich Judith will besingen,
Dies soll meinem Bruder nützen,
Der da sucht die Weisheit Gottes.
Ja, schon sehe ich die Straße,
Die ich laufen will zum Ziele.
Gott behüte meine Seele,
Daß ich guten Lobpreis singe.
Gott behüte meine Seele,
Gott erquicke meinen Körper,
Daß mich nicht der Bär verjage,
Braun der Bär, den ich besungen.
Denn an diesem Donnerstage
Höre ich die Klage Davids:
Meinen Weinberg hat vernichtet
Braun der Bär aus finsterm Walde!
Braun der Bär, das ist der Teufel,
Ist Herr Uriel mit seinen
Weggenossen, den Satanen
Und mit dem Konvent der Hexen.
Solche irren auf dem Wege,
Die den wahren Gott vergessen,
Die den wahren Gott verlästern,
Unsern Schöpfer, Retter, Tröster!
Und ich fleh zu Gottes Gnade,
Daß die Gnade mich bewahre
Vor dem Löwen, König Frevel,
Der da umgeht, zu verschlingen.
Wäre ich doch stark wie Simson,
König Frevel zu erschlagen!
Speise kommt vom starken Fresser,
Was ist süßer als der Honig?
Siehe, süßer als der Honig,
Das ist die Idee des Honigs,
Das ist die Idee des Süßen,
Ist die Süßigkeit der Weisheit!
Freund, ich sage dir die Wahrheit:
An die Straße will ich treten,
An den Kreuzweg, an die Pforte,
Mit Frau Weisheit dort zu reden.
Führen will als guter Hirte
Ich mein Volk auf grüne Auen,
Weiden will ich meine Lämmer
Auf dem grünen Feld der Bibel.
Willst du in der Spur der Weisheit
Wandeln, jagen nach der Weisheit,
Höre mich getreu dir sagen,
Wer da Ohren hat, der höre:
Denkst du, dass ich Fabeln dichte,
Dichte nur Altweibermärchen?
Wehe, wehe, meine Schwermut
Muß das klagen und beweinen,
Das gereichte mir zum Zorne,
Wenn ich Eitelkeiten dichte,
Nein, mein Wort soll vorm Gerichte
Gottes nichts als Weisheit singen!
Nicht vergebens meine Arbeit
Als Poet der Weisheit Gottes,
Sondern der posthumen Sendung
Würdig will ich Weisheit künden.
Ich bin jung, bin wie ein Kindlein,
Stammle wie ein Kindlein Lobpreis,
Singe immer Jesus, Jesus!
Auf, zum frischen Quell der Weisheit!
SECHSTER GESANG
Achior war Ammons Herzog
Und er sprach zu Holofernes:
Herr, ich weiß von diesem Volke
Israel und wills dir sagen.
Dieses Volk stammt aus Chaldäa,
Stammt aus Ur in Mesopotamien,
Lehnte ab die falschen Götter,
Ehrten nur die Eine Gottheit,
Dienten nur dem Gott des Himmels,
Der ließ sie vondannen ziehen.
Aber als sie hungern mussten,
Zogen sie ins Land Ägypten.
Viermal hundert Jahre waren
Sklaven sie im Land Ägypten.
Israel ward aber zahlreich,
Zahllos wurden Jakobs Kinder.
Aber Pharao, der König
Von Ägypten, ließ die Sklaven
Stampfen Lehm und Ziegel brennen
In der Knechtschaft hartem Frondienst.
Doch das Volk schrie zu Jehowah
Und Jehowah hörte seine
Kinder zu dem Vater schreien
Und er sandte die Befreiung.
Übers Land Ägypten schickte
Gott gewaltig schlimme Plagen,
Bis der Pharao Ägyptens
Ließ die Kinder in die Freiheit.
Aber als die schlimmen Plagen
An ihr Ende kamen, jagte
Pharao den Kindern Jakobs
Nach bis an Ägyptens Schilfmeer.
Gott die Wellen aber trennte,
Wellen standen hoch wie Mauern,
Und die Kinder Jakobs zogen
Durch das Schilfmeer trocknen Fußes.
Die Ägypter aber jagten
Grimmig nach den Kindern Jakobs,
Aber Jakobs Gott ersäufte
Die Ägypter in dem Schilfmeer.
Israel zog durch die Wüste
Zu dem Sinai-Gebirge,
Niemand lebte in der Wüste,
Dort die Kinder Jakobs lebten.
Aus den bittern Quellen aber
Flossen süße Wasserströme
Und der Gott im Himmel nährte
Seine Schar mit Brot vom Himmel.
Ohne Pfeil und Bogen zogen,
Ohne Schilde, ohne Schwerter
Zogen Jakobs fromme Söhne
Durch die Wüste, Gott vertrauend.
Gott vertrieb die Feinde alle,
Alle gegnerischen Völker
Gott vertrieb vor seinen Kindern,
Gott selbst stritt für seine Söhne.
Keiner konnte sie besiegen,
Wenn sie treu Jehowah blieben.
Als sie aber abgefallen,
Da gerieten sie in Schande.
Als sie wieder sich bekehrten,
Gott besiegte alle Feinde,
Jebusiter, Perisiter,
Amoriter und Heviter,
Alle wurden überwunden
Und die Länder dieser Heiden
Waren nun in Jakobs Händen,
Jakobs Söhnen voller Stärke.
Und so lang sie nicht gesündigt,
Stand es gut mit Jakobs Söhnen
Und Jehowah strafte alle
Feinde Jakobs mit der Rute.
Aber wenn sie abgekommen
Von dem Wege Gottes waren,
Kamen sie in die Verbannung,
Die Zerstreuung in der Fremde.
Aber dann in der Zerstreuung
Sie bekehrten sich zur Gottheit
Und Jehowah ließ sie wohnen
Hier auf diesen festen Bergen.
Darum, Herzog Holofernes,
Sollst du zu erfahren suchen,
Ob sie gegen Gott gesündigt,
Dann besiegen wir sie sicher.
Wenn sie Gott in deine Hände
Gibt, dann werden untertänig
Sie dir dienen als die Sklaven
Nebukadnezars, deines Herrschers.
Aber haben Jakobs Söhne
Nicht den Bund mit Gott gebrochen,
Können wir sie nicht besiegen,
Denn Jehowah streitet für sie!
Dann wird Gott dein Heer besiegen
Und dein Heer wird unterliegen,
Jakobs Söhne in den Kriegen
Werden sicher triumphieren!
SIEBENTER GESANG
Als so Achior gesprochen,
Herzog Holofernes’ Knechte
Wollten Achior ermorden
Und sie sprachen miteinander:
Wer ist der, der hier gesprochen
Gegen Nebukadnezars Heere,
Die geleitet ohne Weisheit
Seien, ohne Kraft und Stärke?
Daß nun Achior bekenne,
Wie er sich in uns getäuscht hat,
Wollen wir gewaltig kommen
Aufs Gebirg der Tochter Juda.
Wenn wir dann das Volk von Juda
Eingefangen und erschlagen,
Soll auch Achior erschlagen
Werden mit des Schwertes Schärfe.
Dann soll jedes Volk auf Erden
Dies bekennen, dass der Herrscher
Nebukadnezar wahrer Gott sei,
Außer Gott kein andrer Gott sei!
Also sprachen sie. Die Rede
Achiors erregte zornig
Holofernes. Holofernes
Sprach zu Achior die Worte:
Da du uns nun prophezeitest,
Daß der Juden Volk beschützt wird
Von Jehowah, ihrem Gotte,
Darum sollst du nun bekennen,
Daß kein Gott vor unserm Gotte
Nebukadnezar war auf Erden.
Wenn wir alle Juden töten
Und erschlagen Mann und Weiber,
Kinder morden, Kindeskinder,
Sollst du mit ermordet werden
Und von der Assyrer Schwertern
Mit den Juden in den Tod gehn.
Dann sollst du im Tod erkennen,
Daß nur Nebukadnezar Gott ist,
Herrscher über Tod und Leben
Und der Gott der ganzen Erde.
Von dem Schwerte der Assyrer
Wird durchbohrt dann deine Seite
Und erliegen deinen Wunden
Wirst du, sterben mit den Juden.
Denkst du aber, deine Rede
Sei prophetisch und wahrhaftig,
Hebe ohne Furcht dein Antlitz
Und bleib treu dem Gott der Juden.
Geh du nur zum Volk der Juden
Und gesell dich zu den Juden,
Wird ergehen meine Rache,
Wird dich meine Rache treffen.
Also Herzog Holofernes
Seinen Knechten hat geboten,
Daß sie Achior gefangen
Führen in das Land von Juda.
In dem jüdischen Gebirge
Lag Bethulia, das Städtchen,
Achior ward ausgeliefert
In Bethulia den Juden.
Herzog Holofernes’ Knechte
Brachten Achior gefesselt
Auf das jüdische Gebirge,
Banden ihn an einen Baum an.
Achior stand da gefesselt
An den Baumstamm angebunden.
Und die Knechte Holofernes’
Ihn verhöhnend ihn verließen.
ACHTER GESANG
Und es kamen nun die Juden
Rasch zu Achior am Baume
Und sie führten den Befreiten
Nach Bethulia, dem Städtchen,
Nahmen ihn in ihre Mitte
Und befragten ihn neugierig,
Wie es sei ihm so ergangen,
Daß er dort gefesselt wurde.
Osias war Fürst der Juden
Und mit Osias war Karim,
Der war auch ein Fürst der Juden,
Die nun Achior vernahmen.
Achior bekannte offen,
Was ihn Holofernes fragte,
Was er Holofernes sagte,
Wie ihn Knechte schlagen wollten,
Wie ihn Holofernes schließlich
Übergab dem Volk von Juda,
Daß er mit den Juden sterbe,
Wenn der Herzog kommt zur Rache.
Dieses alles ist geschehen,
Sagte Achior zu Karim
Und Osias, weil ich sagte:
Gott Jehowah hilft den Juden.
Als dies Achior geredet,
Fiel die jüdische Gemeinde
Auf ihr Antlitz vor Jehowah,
Betend: Heilig, heilig, heilig!
Und die jüdische Gemeinde
Mit der Auserwählten Eintracht
Betete in tiefer Demut
Gott den Schöpfer an, den Vater.
Gott des Himmels und der Erde,
Schau uns an, in Demut betend,
Wie die Feinde uns verfolgen,
Sei dein Antlitz unsre Hilfe!
Laß uns sehen, unser Heiland,
Wie die Stolzen du erniedrigst
Und wie du erhöhst die Kleinen.
Wer sich Gott dünkt, mach dem Vieh gleich!
Da die jüdische Gemeinde
Alle Tage, alle Nächte
Betete in großer Trübsal
Und in Drangsal ihrer Leiden,
Sprachen Achior sie Trost zu:
Unser Gott, den du bekannt hast,
Wird dich schützen wie ein Adler
Und der Feind sein deiner Feinde!
Wenn uns unser Heiland rettet
Nur aus Gnade seiner Liebe,
Mögest du auch gläubig werden
Ans Gesetz des großen Gottes.
So sprach die Gemeinde. Abends
Osias nahm ihn ins Haus auf,
Lud ihn ein zum Abendmahle,
Nach dem Fasten aßen Fleisch sie.
Und die gläubige Gemeinde,
Sich versammelnd in der Kirche,
Betete die ganze Nacht durch
Vor der Gegenwart des Höchsten.
Und sie flehten in der Kirche
Vor dem Schrein des Wortes Gottes:
Gott des Himmels und der Erde,
Uns erlös aus allen Qualen!
NEUNTER GESANG
Holofernes seine Krieger
Ließ Bethulien bekriegen,
Hundertzwanzigtausend Läufer,
Zweiundzwanzigtausend Reiter.
Nach Bethulien sie zogen
Und gen Belnia sie kamen
Und bis an die Ortschaft Celmo,
Die bei Esdralon gelegen.
Und die jüdische Gemeinde,
Da sie Holofernes sahen,
Fielen nieder vor Jehowah,
Vor dem Gotte, der sie liebte!
Asche auf das Haupt sich streuend,
Reuevoll die Buße übend,
Beteten sie an in Eintracht
Ihren Gottherrn, der sie liebte!
Und sie baten ihre Gottheit
Um das herzliche Erbarmen
Und dann nahmen sie die Waffen
Zur Verteidigung des Landes.
Holofernes durchs Gebirge
Wandernd, fand dort eine Quelle,
Da die Juden Wasser schöpften,
Nah den Mauern ihrer Ortschaft.
Heimlich schöpften Juden Wasser,
Sich zu laben an dem Wasser
Und sie tranken zur Erquickung
Von der keuschen Schwester Wasser.
Diese Quelle nun gewahrten
Die von Moab und von Ammon,
Denn die Moabiter stritten
Mit dem Herzog gegen Juda.
Und die Moabiter sprachen,
Moab sprach zu Holofernes:
Du besetze diese Quelle,
Daß sie nicht mehr fließt den Juden.
Wenn die Juden nicht mehr trinken
Von der keuschen Schwester Wasser,
Werden sie ermattet, müde,
Und wir können sie besiegen.
Holofernes glaubte Moab
Und dem Ratschlag Moabs folgend
Er besetzte jene Quelle
Mit Soldaten, vielen hundert.
Es vergingen vierzig Tage,
In Bethulia das Wasser
In dem großen Wasserbecken
Wurde knapp, die Menschen durstig.
Und sie hatten nichts zu trinken
Und sie dürstete nach Wasser:
Ach mich dürstet, ach mich dürstet,
Schmachtend schrie die Tochter Juda!
ZEHNTER GESANG
In der Zeit zusammenkamen
Alle Juden der Gemeinde
Und zu Osias dem Fürsten
Sprachen Männer, Weiber, Kinder:
Gott sei unser aller Richter!
Übel haben wir gehandelt,
Übel ist an uns ergangen
Zu der Strafe unsrer Sünden.
Osias, du Fürst der Juden,
Warum hast du deine Juden
Nicht Assyrien ergeben,
Uns ergeben Holofernes?
Gott hat uns in seine Hände
Doch in dieser Frist gegeben,
Die wir ganz vergehn vor Dürsten
Und verschmachten in der Dürre!
Sammle nun das Volk der Juden
Und ergib die Tochter Juda
In die Hand des Holofernes,
In die Hände der Assyrer.
Lieber leben und Gott loben
In der Hand des Holofernes
Als ein freies Volk der Juden
Und doch alle hingeschlachtet!
Wir und unsre Väter alle
Sind die Zeugen unsres Gottes,
Unsres einen, einzig wahren
Gottes Zebaoth Jehowah!
Wir beschwören dich mit Tränen,
Gib uns Männer, Weiber, Kinder
In des Holofernes Hände,
Eilig, noch bevor wir sterben!
Lieber sterben kurz und schmerzlos
Durch das Schwert des Holofernes
Als in langem Elendschmachten
Hinzusiechen und verdursten!
Da sie also alle sprachen,
Klang ein Heulen in der Kirche,
Männer weinten, Weiber heulten,
Alle Kinder schrien vor Jammer!
In der Kirche alle Juden
Flehten an den Allerhöchsten:
Gott, wir sind nur arme Sünder,
Hab Erbarmen, hab Erbarmen,
Sei barmherzig, Vater unser,
Die wir deine Kinder heißen,
Sei uns gnädig, unser Vater,
Und erlöse uns vom Bösen!
O Gerechtigkeit und Gnade,
Gottes Zorn und Gottes Milde,
Mögst du deine Zucht und Rute
Gnädig mild an uns erweisen.
Gib uns nicht den wilden Heiden
In die Hände, wüsten Sündern,
Gottesleugnern, Ehebrechern,
Daß sie nicht den Herrn verlästern
Und von deinem Namen sprechen:
Wo ist denn der Juden König,
Wo ist denn ihr Herr und Heiland,
Konnte sie ihr Gott nicht retten?
So sie beteten in Jammer,
Da erhob sich voller Trauer
Osias, der Fürst der Juden,
Und er sagte in der Kirche:
Bei den heißen Tränenströmen,
Die sich vor dem Herrn ergossen,
Bei dem reichen Schwall der Tränen,
Die ich weinte vor dem Vater,
Noch fünf Tage will ich warten,
Ob uns Gott der Tröster tröste
Und uns Gott der Retter rette,
Sonst ergeben sich die Juden.
Noch fünf Tage beten, fasten,
Buße tun und Opfer bringen,
Noch fünf Tage sich bekehren,
Bis uns rettet unser Vater!
ZWEITER TEIL
ERSTER GESANG
Unsre Liebe Frau von Sion,
Meine Muse, meine Dame,
Singe mir das Lied von Judith,
Der Erlöserin der Juden!
In Bethulien, der Ortschaft,
Hörte alle diese Worte
Osias’ und aller Juden
Eine Witwe namens Judith.
Einem Ehemann vermählt war
Judith, der da hieß Manasse,
Der stand in dem Erntemonat
Auf dem Feld und band die Garben,
Da kam eine solche Hitze,
Von der Hitze starb Manasse,
In Bethulien begraben
Ward Manasse von der Witwe.
Und drei Jahre und sechs Monde
Lebte Judith schon als Witwe.
In der Kammer ihres Hauses
Sie bewohnte eine Klause,
Eine heimelige Klause,
Eine Zelle des Gebetes,
Die bewohnte sie mit ihren
Mädchen, ihren Dienerinnen.
Und sie trug die Bußgewänder
Und sie fastete zur Buße
Alle Tage, nur am Sabbath
Und am Festtag aß sie festlich.
Schön und strahlend war das Antlitz
Judiths, eine Antlitz-Schönheit
War sie, Liebreiz voller Leuchtglanz
War auf ihrem Angesichte!
Ihr Gemahl ließ ihr als Erbe
Großes Gut und dies ihr Erbteil
War sehr reich und ihre Herde
Zählte überreichlich Kleinvieh.
Einen guten Namen Judith
Hatte bei dem Volk von Juda,
Ihre Gottesfurcht berühmt war
Bei den Kindern Gottes allen.
Von den frommen Juden keiner
Jemals sagte böse Worte
Oder Lästerungen über
Judith, diese keusche Witwe.
Als nun Judtih hat vernommen,
Daß es Osias gefallen,
In fünf Tagen alle Juden
Holofernes zu ergeben,
Schickte Judith zu den Priestern.
Priester Karmim, Priester Kabri
Kamen zu der Witwe Judith
Und sie sagte zu den Priestern:
Was ist das, was ich vernommen,
Osias, der Fürst der Juden,
Will die Juden übergeben
Holofernes in fünf Tagen,
Wenn uns Gott der Herr nicht rettet
Nach fünf Tagen Bittgebeten?
Wollt ihr Gott den Herrn versuchen,
Gott befehlen, dass er helfe?
Solche Worte helfen nimmer,
Sondern sind allein geeignet,
Statt Barmherzigkeit die Rage
Unsres Gottes zu empfangen.
Wollt ihr Gott den Tag bestimmen,
Da uns rettet sein Erbarmen,
Wollt Jehowah Fristen setzen,
Da uns Gott erretten müsse?
Gott ist voll Geduld und Sanftmut,
Voll Barmherzigkeit und Langmut,
Drum mit Tränen unsrer Reue
Lasst uns suchen Sünden-Ablaß!
Gott ist nicht erzürnt wie Väter,
Die sich nicht versöhnen lassen.
Darum lasst uns voller Demut
Uns erniedrigen im Geiste
Und uns neigen vor Jehowah
Voller Demut als die Diener
Und anflehen Gott mit Tränen
Und ihn bitten um Erbarmen.
Lasst uns preisen unsre Trübsal,
Denn entmachtet wird der Hochmut
Und erhoben wird die Demut
Von dem Gott, der liebt die Kleinen!
Wir sind nicht wie unsre Väter,
Die den wahren Gott verlassen
Und in ihrer Sünde gottlos
Beteten zu goldnen Götzen.
Und weil unsre Väter Sünder
Waren, folgten goldnen Götzen,
Wurden sie vom wahren Gotte
Auch gestraft mit Zornes Rage.
Wir jedoch, wir lieben einzig
Gott, den Vater in dem Himmel,
Unsern Heiland, unsern Retter,
Dessen Geist ist unsre Tröstung.
Wir erflehen unter Tränen
Stets den Trost des Geistes Gottes,
Darum wird er uns erretten
Und erlösen von dem Bösen.
Wird sich gegen uns erheben
Einer von den Feinden Gottes,
Wird der Herr ihn niederschmettern
In der Allmacht seiner Rettung.
O ihr gottgeweihten Priester,
Ihr sollt unser Volk erinnern,
Wie auch selbst die Patriarchen
Mussten leiden manche Trübsal,
Gott erprobte durch die Trübsal
Auch die großen Patriarchen,
Vater Abraham, der fromme,
Ward geprüft in schwerer Drangsal,
Der die Prüfung treu bestanden,
Wurde gar zum Freund Jehowahs!
Isaak geschah das selbe
Und auch Jakob, unserm Vater
Israel, dem Kämpfer Gottes,
Der ward auch versucht durch Trübsal
Und ist treu erfunden worden
Und von Gott gesegnet reichlich.
In der heiligen Geschichte
Wissen wir doch auch von Leuten,
Die die Prüfungen der Trübsal
Nicht mit Gottesfurcht ertragen,
Sondern widerspenstig murrend
Gingen sie zugrunde, wehe,
Durch der Feuerschlangen Giftbiß
Sind zugrunde sie gegangen!
ZWEITER GESANG
Also sprach die Witwe Judith:
Wenn uns nun betroffen Trübsal,
Sollen wir in Demut denken,
Dies ist Strafe unsrer Sünden
Und doch milde ist die Rute
Gottes in den Züchtigungen,
Nicht zum Schaden ist die Trübsal,
Nein, zum ewigen Gewinne.
Osias, der Fürst der Juden,
Und die beiden Priester sprachen:
Voller Wahrheit deine Worte,
Nichts an deinem Wort ist sträflich.
Du bist heilig, Witwe Judith,
Weil du heilig, fromme Witwe,
Bitt für uns in diesen Stunden
In der Frist der großen Trübsal.
Darauf sprach die Witwe Judith:
Haltet ihr für wahr mein Reden,
So betrachtet, ob auch wahrhaft
Meine Handlungen vor Gott sind.
Bittet doch, dass Gott aus Gnade
Meiner Handlung Ratschlag beisteh
Und mir hilft mit seiner Hilfe,
Kraft mit gibt mit seinem Geiste.
Nachts sollt stehn ihr an der Pforte,
Wenn mit meinem Mädchen Abra
Ich heraustret aus dem Tore,
Sollt fünf Tage lang ihr beten.
Betet allzeit zu Jehowah,
Daß er Tochter Juda rette.
Aber was ich tu und wirke,
Soll euch bleiben ein Geheimnis.
Gebt mir nichts als euer Beten.
Also sprach die Witwe Judith.
Osias sprach zu der Witwe:
Geh mit Gott, in Gottes Frieden!
Küsse du die Liebe Gottes,
Küsse du den Frieden Gottes,
Geh mit Gott in Gottes Frieden,
Räche uns an unsern Feinden!
Da ging Judith in ihr Bethaus,
Zog sich an die Bußgewänder,
Streute auf das Haupt die Asche,
Schrie zum Tröster in dem Himmel.
Herr, du Gottheit meines Vaters
Simeon, der ihm ein Schwert gab
Gegen die empörten Heiden,
Die geschändet eine Jungfrau,
Der du gabst der Heiden Weiber,
Der du gabst der Heiden Söhne
In Gefängnis und in Schande,
Gabst ihr Gut den Kindern Gottes,
Dich anflehe ich, Jehowah,
Hilf du einer armen Witwe,
Der du bist von Anbeginne,
Der du bist in Ewigkeiten,
O du Schöpfer aller Dinge,
Der du uns den Weg bereitest,
O du Richter des Gerichtes,
Weiser Gott in deiner Vorsicht!
Schau herab auf die Assyrer,
Die uns heute schwer bedrängen,
Wie einst taten die Ägypter,
Die du siegreich überwunden,
Pharao und die Ägypter
Waren stolz auf ihre Wagen,
Waren stolz auf ihre Pferde,
Waren stolz auf ihre Krieger,
Du bedecktest doch Ägypten
Mit der Finsternis der Plage
Und ertränktest sie im Meere,
Schicktest sie in den Abyssus.
Dieses auch geschehe heute
An den Scharen der Assyrer,
Die so stolz auf ihre Menge,
Die so stolz auf ihre Stärke,
Aber dies weiß nicht Assyrien,
Daß du bist der Ewig-Eine,
Du bist Schöpfer, Retter, Tröster,
Gott in allen Ewigkeiten!
Hebe deines Armes Rechte
Über alle Macht des Feindes,
Stürz den Feind durch deine Rage,
Stürz des stolzen Feindes Hochmut,
Der da deines Namens Tempel
Niederreißen will im Zorne,
Deines heiligen Altares
Hörner will zu Boden werfen.
Darum bitt ich dich, Jehowah,
Laß den Feind gefangen werden
Durchs Verlangen seiner Augen
Vor der Schönheit meines Leibes.
Meines Mundes Minne schlage
Nieder unsern Widersacher,
Die Begierde seiner Augen
Fange ihn in meinen Fesseln.
Gib mir, Zebaoth Jehowah,
Kraft, zu zeigen keinen Ekel,
Keinen Ekel vor dem Feinde,
Vor dem widerlichen Feinde!
Gib mir Kraft in meine Seele,
Daß ich meinen Feind verschmähe,
Werde er zum Ruhme Gottes
Überwunden durch ein Weibchen!
Nicht die Stolzen und die Starken,
Nicht die Hohen und die Reichen
Finden dein Gefallen, Gottheit,
Sondern die in Demut klein sind.
Lob der Demut, Lob der Sanftmut,
Lob des Betens, Lob des Fastens!
Das gefällt die, Gott des Himmels,
O du Schöpfer aller Meere,
König aller Kreaturen,
Höre eine arme Witwe,
Die vertraut auf dein Erbarmen,
Mütterliches Allerbarmen!
Dein Wort sei auf meinen Lippen,
Deine Kraft in meinen Händen,
Daß die ganze Welt erkenne,
Gott ist Gott und sonst ists keiner!
DRITTER GESANG
Judith hatte so gebetet,
So geschrieen zu dem Vater,
Dann erhob sie sich vom Boden,
Rief zu sich ihr Mädchen Abra.
Sie tat ab die Bußgewänder,
Legte ab die Witwenkleider,
Badete den Leib und salbte
Ihren schönen Leib mit Myrrhe,
Sie frisierte ihre Haare,
Zog sich an die Duftgewänder,
Sie verschönerte ihr Aussehn
Sehr geschickt mit Schmuck und Schminke,
Tat an ihren Arm ein Armband,
An die Ohren Mondsteinringe,
Eine weiße Perlenkette
Hing im Tale ihrer Brüste.
O wie schön war die geschmückte
Judith, nicht geschmückt aus Wollust,
Sondern zu der Ehre Gottes;
Schön geschmückte Braut Jehowahs!
Nicht aus Eitelkeit und Weltsinn
Sie verschönte sich mit Schminke
Und mit Schmuck, vielmehr aus Tugend
Zu dem Ruhm der Schönheit Gottes!
Nicht wie liederliche Dirnen
War der große Liebreiz Judiths,
Diente nicht der Lust der Augen,
Diente nicht der Lust des Fleisches.
Dann nahm Judith einen Weinschlauch,
Füllte ihn mit dunklem Rotwein,
Öl und Brot und Käse Abra
Trug für ihre Dame Judith.
Und sie traten an die Pforte
Vor den Fürsten und die Priester
Und die staunten voll Erstaunen
Und voll Wundern an die Schönheit!
Und die frommen Männer sprachen:
Geh du in der Gnade Gottes,
Deines Herzens weisen Ratschlag
Stärke Gott durch seine Tugend.
Sei Jerusalem gepriesen,
Weil du lebst im Volke Gottes.
Alle frommen Leute sprachen:
Fiat, Fiat! Amen, Amen!
Betend ging nun ihres Weges
Judith mit dem Mädchen Abra.
In der Morgenröte sahen
Sie die Wächter der Assyrer.
Und die Wächter der Assyrer
Sprachen so: Woher, wer bist du?
Judith sprach: Ich bin hebräisch,
Eine Tochter der Hebräer.
Die Hebräer werden aber
Bald vernichtet von Assyrern,
Weil sie sich euch nicht ergeben,
Ihr seid ihnen nicht barmherzig.
Darum dachte ich, ich gehe
Zu dem Herzog Holofernes
Und ich sag dem Herzog heimlich,
Wie er Juda überwindet.
Da die Wächter dies vernahmen,
Rauschten ihnen ihre Ohren,
Denn das Blut stieg in die Ohren
Vor der Schönheit dieser Judith!
Großes Wunder ihre Schönheit
Und ihr makelloses Antlitz!
Und sie sprachen: Das ist weise,
Daß du aufsuchst Holofernes.
Und die Wächter der Assyrer
Brachten sie zu Holofernes.
Holofernes, Judith sehend,
Ward gefesselt von dem Liebreiz!
Holofernes und die Fürsten
Sprachen alle: Wer verschmähte
Die Hebräer, da sie solche
Wunderschönen Weiber haben?
Gegen die Hebräer sollten
Wir allein um ihre Weiber
Streiten in den Männerkriegen,
Ihre Weiber zu erobern!
Solcher Weiberschönheit Wonne
Sollte nicht vorüberwandeln,
Ohne dass wir sie genießen
In der Lust der Frauenliebe!
VIERTER GESANG
Herzog Holofernes ruhte
Schlummernd unterm Mückennetze,
Goldgesticktem Seidenschleier,
Eingewobner Perlenschnüre.
Judith sah ihn auf dem Bette
Ruhen auf dem samtnen Kissen,
Kniete sie zu seinen Füßen
An dem Ende seines Bettes.
Holofernes schaute Judith
Knieen da zu seinen Füßen,
Holofernes sprach zu Judith:
Frau, erhebe dich, du Schöne!
Fürcht dich nicht vor Holofernes,
Keinen Mann hab ich getötet,
Der sich völlig unterworfen
Nebukadnezar, meinem Herrscher.
Hätte nicht das Volk der Juden
Meinen Herrn verschmäht so trotzig,
Hätt ich nimmer meine Hände
Gegen dieses Volk erhoben.
Warum nun bist du gekommen,
Sage mir das an, du Schöne,
Was ist dein Begehr, du Schöne,
Daß du heut zu mir gekommen?
Judith sprach zu Holofernes:
Höre deine Magd an, Herzog,
Gott will große Tat verrichten
Und sein Werk durch dich vollbringen.
Nebukadnezar ist der König
Aller Erden, seiner Herrschaft
Dienen nicht nur Menschenkinder,
Sondern alle Kreaturen.
In dem Reiche Nebukadnezars
Bist du Herzog machtgewaltig,
Deine Zucht erzieht die Menschen
Durch die Rute deiner Krieger.
Achior hat dir berichtet,
Daß verloren Tochter Juda,
Wenn die Juden gottvergessen
Widerstehen ihrem Heiland.
Achior hat recht gesprochen
Und so will ich dir verkünden,
Wie auch künden die Propheten:
Juda widersteht dem Heiland.
Durch die Sünde unsres Zweifels
An des Ewigen Gesalbten
Sind dem Feind wir übergeben
Zur Bestrafung unsrer Sünde.
Darum plagt uns auch der Hunger
Und der Durst in großer Dürre,
Auch wir schlachteten die Tiere,
Tranken auch das Blut des Fleisches.
Auch wir rührten an im Frevel
Die geweihten Brote Gottes
Und dem Wein des Heilands gaben
Wir nicht gottesfürchtig Ehre.
Durch der Sünden Missetaten
Wird die Tochter Juda heute
Ihrem Feinde übergeben
Und Verluste leiden schrecklich.
Darum bin ich auch entflohen,
Daß ich dieses dir verkünde,
Gott den Herrn will ich anbeten,
Gottes Sklavin, deine Sklavin!
Ist das ganze Volk der Juden
Doch wie eine große Herde
Widder, Mutterschafe, Lämmer,
Welche keinen Hirten haben.
Sie sind alle nun so stille,
Werden sie nicht meckern, brüllen,
Das hat Gott mir kund gegeben,
Daß ich dieses dir verkünde.
Als der Herzog Holofernes
Und die Großen seines Tisches
Dieser Rede Wort vernommen,
Sprachen sie zu Judith also:
Ist kein Weib auf dieser Erde
Dir vergleichbar in der Schönheit
Deines schönsten Angesichtes
Und der Weisheit deines Wortes!
Holofernes sprach zu Judith:
Gott hat gut getan, zu senden
Seine Magd zu mir, dem Herzog,
Um die Juden auszuliefern.
Wird mir Gott die Macht verleihen,
Daß ich Juda überwinde,
Wirst du groß sein, schöne Judith,
In dem Hause Nebukadnezars.
Dann wird hochgerühmt dein Name,
Deine Schönheit, deine Weisheit,
Du wirst benedeit von Kindern,
Benedeit von Kindeskindern!
Sprachs und ließ die schöne Judith
Wohnen in geschmückter Kammer,
Ließ ihr geben gute Gaben
Aus des Herzogs reicher Wirtschaft.
Aber Judith sprach zum Herzog:
Deine Speisen nicht begehr ich,
Meine Speise ist die Speise,
Die uns unser Gott geboten.
Sprach der Herzog Holofernes:
Was, wenn alles aufgegessen,
Was du von der Speise Gottes
Bei dir hast in dem Gefäße?
Judith sprach zu Holofernes:
Eh ich Gottes Brot verzehrt hab,
Wird der Herr in seiner Allmacht
Sicherlich sein Werk vollenden.
Dann begab sie sich in ihre
Schöngeschmückte saubre Kammer.
Sprach sie: In der Nacht, der finstern,
Will ich zu Jehowah beten.
Laß mich in der Nacht, der finstern,
Treten einsam in das Freie
Und den Herrn anbeten einsam,
Meinen Schöpfer, meinen Gatten!
Holofernes seinen Knechten
Sagte: Will die schöne Judith
In des Dunkels Finsternissen
Gott anbeten, lasst sie beten.
Also in der Nacht, der finstern,
Judith sich erhob vom Bette,
Ging ins Dunkle, ging ins Freie,
Betete zu ihrem Schöpfer.
Badete im Wasserbade,
Taufte sich mit Gottes Gnade
Und empfing von Gott den Segen
Seiner Allmacht, Weisheit, Liebe!
Judith betete zum Heiland:
Gott, erlöse deine Kinder!
Dann begab sie sich zu Bette,
Reinlich blieb sie vor dem Schöpfer.
FÜNFTER GESANG
An des dritten Tages Abend
Machte Herzog Holofernes
Seinen Knechten an dem Tische
Guter Kost ein Abendessen.
Einer von den Knechten aber,
Vagio mit Namen heißend,
Hörte den Befehl des Herzogs:
Ruf du mir die schöne Judith,
Die Hebräerin, die Schöne,
Wohne sie dem Abendmahl bei.
Also Vagio, der Diener,
Ging und rief die schöne Judith:
Soll ein gutes Weib sich schämen
Etwa vor des Fürsten Augen?
Sollt sie nicht mit ihrem Fürsten
Speisen Weißbrot, trinken Schaumwein?
Judith sprach zum Knechte also:
Wer bin ich, dass ich mich weigre?
Ich will ganz ihm sein zu Diensten
Und ihm ganz ein Wohlgefallen.
Judith nahm die schönsten Kleider
Und die schönsten Perlenschnüre
Und erneuerte die Schminke,
So kam sie zu Holofernes.
Als der Herzog Holofernes
Judith treten sah zum Tische,
War er ganz verzückt vor Wonne
Und Begier nach ihrem Leibe.
Iß vom Weißbrot, trink vom Schaumwein,
Sprach zu Judith Holofernes,
Weil du Gnade hast gefunden
In den Augen deines Fürsten.
Judith sprach zu Holofernes:
Edler Herzog, deine Sklavin
Trinkt nur Gottes Blut der Traube,
Ißt nur Gottes Fleisch des Brotes.
Holofernes aber zechte
So viel von dem süßen Weine,
Wie er noch sein ganzes Leben
Nicht gesoffen von dem Schaumwein.
Aber in der Nacht, der späten,
Gingen heimwärts alle Knechte
Und auch Vagio der Diener
Schloß die Pforte seines Herzogs.
Holofernes schlief im Bette,
Lag im Tiefschlaf voll betrunken.
Judith aber sprach zu Abra:
Mädchen, hüte du die Pforte!
Judith aber trat ans Lager
Und sie betete vorm Bette:
Herr, lass heute wohlgelingen
Und vollbringe deine Werke!
Heiland Israels und König,
Heut vollbringe deine Rettung,
Und Jerusalem, die Jungfrau,
Rette vor dem Widersacher!
Judith nahm des Holofernes
Scharfes Schwert von seinem Pfosten,
Griff den Herzog bei den Haaren,
Schlug dem Herzog ab den Schädel!
Dann rief sie das Mädchen Abra.
Judith und das Mädchen Abra
Wickelten des Herzogs Schädel
In das Mückennetz von Seide.
Judith und das Mädchen Abra
Gingen eilends aus dem Lager.
Alle Knechte lagen schlafend,
Keiner hielt sie auf, die Frauen.
Und sie wandten sich vom Lager
Der Assyrer durch die Berge
Zu Bethuliens Talgefilde
Und sie kamen zu den Ihren.
SECHSTER GESANG
Judith und das Mädchen Abra
Kamen nach Bethuliens Pforte:
Tut die Pforten auf, die alten,
Siehe, Zebaoth ist mit uns!
Zebaoth in diesen Zeiten
Jungfrau Israel erlöste
Durch den Ratschlag seiner Allmacht
Und die Hände eines Weibes!
Alle hörten ihre Stimme,
Alle kamen da zusammen
Mit den Priestern und den Vätern
Und den Müttern und den Kindern.
Alle die verzweifelt waren,
Alle schöpften wieder Hoffnung.
Kerzen brannten auf den Leuchtern,
Kerzen des Gebetes rauchten.
Unter die Gemeinde Judith
Trat und bat um fromme Stille,
Alle Kleinen, alle Großen
Schwiegen voller frommer Ehrfurcht.
Judith sprach: Jehowah Lobpreis,
Zebaoth Anbetung! Sela.
Gott verlässt nicht seine Kinder,
Gott erlöst uns aus dem Elend!
Gott ist voller Allerbarmen!
Durch die Hände seiner Tochter,
Seiner Magd und seiner Sklavin,
Hat er unser Heil vollendet.
Durch die Hände seiner Sklavin
Hat er unsern Feind erschlagen!
Seht den Schädel Holofernes’,
Seht den König der Assyrer,
Seht den Hauptmann der Assyrer,
Seht sein Haupt im Mückennetze,
Darin er betrunken schlummernd
Lag besoffen in dem Vollrausch!
Schlug das Haupt von seinem Rumpfe
Gottes Magd mit einem Schwerte,
Lobpreis Zebaoth Jehowah,
Angebetet sei Eloah!
Gottes Engel als mein Schutzgeist
Mich beschützte vor dem Bösen,
Gottes Engel Mahanajim
Ging umher mit goldnem Schwerte!
Gottes Name, Gottes Engel
Hat begleitet Gottes Sklavin,
Daß ich Gottes Allerbarmen
Euch beweise zur Erlösung.
Also nun bekenne Juda,
Tochter Juda, Gottes Güte,
Gott ist gut, Gott ist die Liebe,
Voll des herzlichen Erbarmens.
Alle Juden also sangen:
Gott hat dich sehr reich gesegnet,
Gott der Herr in seiner Tugend
Überwand durch dich den Bösen.
Osias, der Fürst der Juden,
Sprach zur schönen Witwe Judith:
Hochgebenedeite Tochter
Gottes, Hochgebenedeite!
Mehr gesegnet als die Frauen
Auf der ganzen Erde bist du,
Hochgebenedeite Tochter
Gottes, Hochgebenedeite!
Gott sei angebetet einzig,
Der durch deine Hände, Judith,
Uns erlöst von unserm Feinde,
Gott sei Lobpreis und Anbetung!
Alle frommen Juden sprachen:
Hochgebenedeite Tochter
Gottes, Hochgebenedeite!
Fiat, Fiat! Amen, Amen!
SIEBENTER GESANG
Herzog Achior gerufen
Ward zur schönen Witwe Judith.
Judith sprach: Nun siehst du selber,
Wie der Gott von Juda siegte!
Du warst Zeuge dieses Gottes,
Als du sagtest, dass er rette,
Daß er helfe seinen Kindern,
So sie ihm den Glauben halten.
Nun hat Gott der Herr geschlagen
Unsern Feind und Widersacher
Durch die Hände eines Weibes,
So erkennst du unsern Retter.
Sieh das Haupt des Holofernes,
Der dir drohte mit dem Tode,
Wollte er mit seinem Schwerte
Dir durchbohren deine Seite,
Wenn er Israel ermordet,
Dich ermorden mit den Juden.
Aber hier siehst du sein Haupt nun,
Den Verspotter unsres Gottes.
Als nun Achior betrachtend
Stand vorm Haupt des Holofernes,
Fiel er gottesfürchtig nieder
Vor der schönen Judith Füßen.
Achior zu Judith sagte:
Mehr gesegnet als die Frauen
Bist du, Hochgebenedeite,
Auserwählte deines Gottes!
Die in allen Zelten Jakobs
Selig wird gepriesen werden,
Kinder dich und Kindeskinder
Dich lobpreisen, Benedeite!
Und dein Name wird berühmt sein
Bei den Kindern aller Zeiten,
Weil der Herr an dir gewirkt hat
Kraft zum Zeichen seiner Allmacht!
Judith sprach zum Volk der Juden:
Meine Brüder, hört auf Judith,
Hängt das Haupt des Holofernes
Auf die Mauer unsres Tores.
Wird die Sonne sich erheben,
Nehme jeder seine Waffen,
Denn wir ziehen in die Kriegsschlacht
Zu der Ehre unsres Gottes.
Sehen der Assyrer Heere
Unser Heer bewaffnet nahen,
Wollen wecken sie den Hauptmann,
Sehen sie ihn blutbesudelt
Tot in seinem Bette liegen,
Wird sie das Entsetzen packen
Und sie fliehen ängstlich schreiend,
Angsterfüllt wie bange Weiber.
Dann wird unser Gott uns rächen
Und die Widersacher töten
Und die Heere der Assyrer
Schlagen wird das Heer Jehowahs!
Als nun Achior betrachtend
Sah das fromme Heer Jehowahs,
Ließ er von den Heidengöttern,
Glaubte einzig an Jehowah,
Glaubte Zebaoth Eloah,
Glaubte Adonai El Shaddai,
Eingepfropft in Judas Ölbaum
Wurde er zum Kinde Gottes.
ACHTER GESANG
Als die Sonne aufgegangen,
Nahm man Holofernes’ Schädel,
Hing ihn oben auf die Mauer,
Alle nahmen ihre Waffen.
Dann die Judenkrieger zogen
Zu den Zelten der Assyrer.
Als die Krieger der Assyrer
Kommen sahn das Heer Jehowahs,
Eilten sie zum Zelt des Hauptmanns,
Wollten Holofernes rufen,
Doch wie wagten nicht zu klopfen
An die Tür des Holofernes.
Und sie riefen zu den Dienern:
Eilend geht und weckt den Hauptmann,
Denn die Feinde sind gekommen
Und begehren uns zu töten.
Da ging Vagio, der Diener,
In das Zelt des Holofernes,
Schlug die Hände laut zusammen
Voller Schrecken überm Haupte,
Dacht er doch, es läge Judith
Mit dem Herzog in dem Bette,
Doch als er die Pforte auftat,
Schau, der Herzog lag alleine
In dem Bette, blutbesudelt,
Nur der Körper, ohne Schädel.
Schreiend Vagio, der Diener,
Rief zu der Assyrer Kriegern:
Die Hebräerin, die Schöne,
Machte unsern Herrn zuschanden,
Schande hat gebracht die Jüdin
Über Nebukadnezars Zelte!
Schaut den Herzog Holofernes
Liegen hier in seinem Bette,
Doch allein mit seinem Körper,
Ohne seines Hauptes Schädel!
Als die Diener und die Krieger
Dieses hörten, dieses sahen,
Rissen sie in großen Ängsten
Schreiend sich entzwei die Kleider.
Schrecken großer Furcht befiel sie
Und ein jammervolles Klagen,
Ihre Freude war gewichen
Und sie schrien vor lauter Schrecken,
Die Gemeinde der Assyrer,
Hörend, was da war geschehen,
Als sie schauten an die Wahrheit,
Flohen sie in großen Ängsten,
Da sie hofften nicht auf Tröstung,
Keine Zuversicht sie hatten,
Eilten sie in Todesängsten
Bang vondannen, jammernd schreiend.
Also eilig sie entflohen
In der Todesangst voll Jammer,
Daß nicht einer mit dem andern
Auf der Flucht ein Wort gesprochen.
Und zurück sie ließen alles,
Was sie mitgebracht, sie ließen
Da zurück die Waffen alle
Und zurück die Schätze blieben.
NEUNTER GESANG
Also hat das Heer Jehowahs
Der Assyrer Heer vertrieben
Und gewonnen in dem Kriege
Sieg und Ruhm und neuen Frieden.
Von Jerusalem der Bischof
War Joachim der Gerechte,
Der nahm alle seine Priester
Und zog nach Bethuliens Kirche,
Denn er wollte Judith sehen.
Judith trat vor ihren Bischof
Und der gute Hirt Joachim
Lobte sehr die schöne Judith.
Ehre du der Tochter Juda
Und des Judenvolkes Freude,
Du des Gottesvolkes Würde,
Rettend uns zur rechten Stunde!
Du bist stärker als die Männer,
Judith, Retterin der Juden,
Du bist stark durch deine Keuschheit,
Die als Witwe Gott sich weihte!
Weil du nach dem Tod des Gatten
Keinen andern Mann genommen,
Sondern dich Jehowah weihtest,
Hat gestärkt dich Gott dein Gatte!
Darum soll dir werden Lobpreis
Von den Kindern, Kindeskindern,
Hochgebenedeite! Alle
Juden singen: Fiat, Fiat!
Und das fromme Volk der Juden
Lebte nun in großer Freude,
Lobten Gott, der sie gerettet,
Sie erlöste aus der Drangsal.
Judith auch lobpries Jehowah,
Daß der Vater in dem Himmel
Rettete die Kinder Gottes
Durch die Hände eines Weibes.
Als der Friede war gewonnen,
Sammelten sich alle Juden
In Jerusalem im Tempel,
Sangen: Sanctus, Sanctus, Sanctus!
Und die Juden brachten Opfer,
Lammesopfer vor dem Vater,
Judith opferte dem Retter
Die Trophäen ihres Sieges,
Gab das Schwert des Holofernes
Und das Mückennetz des Herzogs
Gott als eine Weihegabe
In dem Frauenhof des Tempels.
Und der Monde drei gefeiert
Ward von Großen, ward von Kleinen
Mit der großen Heldin Judith
Die Erlösung und der Friede.
Dann ging jeder Jude wieder
In sein Haus. Und in Bethulien
Judiths Name ward gepriesen
Von den Kindern, Kindeskindern.
Sie lobpriesen ihre Keuschheit,
Denn zum Lobe ihrer Keuschheit
Hat der Herr ihr Macht verliehen,
Sah sie an als reine Jungfrau.
Judith lebte hundert Jahre
Lang in diesem Erdentale.
Frei ließ sie ihr Mädchen Abra,
Die so treu gewesen Judith.
Und die Juden feiern heute
Noch die schöne Witwe Judith,
So besingt sie Gottes Bibel,
So besingen sie die Dichter.
ZEHNTER GESANG
Nun will ich zum Ende kommen,
O mein lieber Freund in Christus,
Alle die dies Epos lesen
Geistlich, wie es ward gedichtet,
Sollen Gottes Weisheit finden,
Worte voller Sinn gesungen
Habe ich in diesem Liede,
Wie mich Weisheit inspirierte.
Wer die Weisheit recht verstanden,
Den wird bringen Gottes Weisheit
Zu der süßen Gottesminne,
Übersüßen Minne Gottes!
Toren sollen dies nicht lesen,
Die sich weihen niedrer Minne,
Töricht dieser Erde Trieben,
Wissen nicht von Gottes Minne.
Und nun bitt ich dich, mein Bruder,
Und die Seelen, die mich lesen,
Ob ich lebe oder tot bin,
Betet doch für meine Seele,
Daß sich über mich erbarme
Die Barmherzigkeit des Vaters
Und mich Gott nach seinem Ratschlag
Überschütte mit der Gnade,
Nach dem Willen seiner Weisheit
Gott sich selbst in mir verkläre!
Druckt je einer dies mein Epos,
Lasse er es unverändert,
Wer veröffentlicht dies Epos,
Möge Gottes Gunst erlangen.
Jesus tilge alle seine Sünden
Durch das Opfer seines Blutes.
Wer veröffentlicht dies Epos,
Soll erlöst sein von dem Fluche,
Gott schreib ihn ins Buch des Lebens,
Schenke ihm des Lebens Krone.
Dieses Lied mit Namen Judith
Schrieb ich in dem Jahr Zweitausend
Acht nach der Geburt des Christus
Aus dem keuschen Schoß der Jungfrau.
Vater, Sohn und Geist! O Gottheit!
Allmacht, Weisheit, Schöne Liebe!
Meines Herzens Kniee beug ich
Untertänigst meiner Gottheit!
Herr, die Stärke deiner Weisheit
Ist auch mir vertraut geworden
Bei dem Schreiben dieses Buches,
Da mich deine Weisheit führte.
Heilig, Heilig, Heilig Jahwe!
Gottheit Abrams, Isaks, Jakobs!
Ich bin dein geringster Sklave
Alle Zeit und Ewigkeiten!
O mein liebster Jesus Christus,
Der für mich am Kreuz gestorben,
Rette mich aus meinem Tode,
Schließ mir auf die Himmelspforte!
Heilig Geist, o Schöne Liebe,
Ich lobpreise deine Minne,
Deine übersüße Minne
In dem Herzen Unsrer Frauen!
Halleluja.
DIE JUNGFRAU VON GUADELUPE
„Höre, mein liebster Sohn, und wisse, dass ich viele Diener und Boten habe, die ich mit der Überbringung meiner Botschaft beauftragen könnte. Doch es ist ganz und gar notwendig, dass du derjenige sein sollst, der diese Mission ausführt und dass durch deine Vermittlung und deine Hilfe mein Wunsch erfüllt werden soll.“
(Die Jungfrau von Guadelupe)
ERSTER GESANG
Sanct Maria pinta nina:
Sankt Maria malt das Mädchen:
Also sind der Schiffe Namen
Von Christopherus Columbus.
In der Weihnachtsnacht des Jahres
Vierzehnhundertzweiundneunzig
Sankt Maria auf der Sandbank
Von Haiti ist gestrandet.
Einmal sah ich auf La Palma
Sankt Maria von Kolumbus,
Sah das Schiff stehn vor der Kirche
Von La Cruz, El Salvatore!
Und Fernando Cortez, Seemann,
Mit dem Schiffe Sankt Maria
Makellosester Empfängnis
In Amerika an Land ging.
Ich, der Ritter Don Quichote,
Kämpfte gegen finstre Mächte,
Für die unbefleckte Ehre
Meiner Herrin Dulcinea!
An dem Hals des Seemanns Cortez
Hing das Medaillon der Jungfrau,
Blaues Kreuz auf gelber Fahne:
Freunde, folgen wir dem Kreuze!
Eine Strecke blieb nur offen:
Nach Tenochtitlan, der Hauptstadt
Der Azteken. Diese Hauptstadt
War gewaltig wie Neapel,
Wie Konstantinopel, schöner
Als Venedig, Meer-Kybele.
Nur ein Schiff blieb: Sankt Maria
Makellosester Empfängnis.
In Europa Leonardo
Starb, zurück blieb nur ein Bildnis:
Gioconda, Mona Lisa
Mit geheimnisvollem Lächeln.
Karl der Fünfte war der Kaiser
Von dem Reich, in dem die Sonne
Niemals sank, die Philippinen
Östlich, Mexiko im Westen.
Der Azteken Reich besiegte
Cortez, dieses Land des Mondes,
Mexiko, das Land des Mondes,
Wie es Indianer nannten.
Doch der Kult der Menschenopfer
War so grausam, da die Priester
Ihren Opfern mit den Messern
Herzen aus dem Busen rissen!
Diese Kaktusfrucht des Adlers
Tat man in die Opferschale
Aus Basalt, sie darzubringen
Schlangengott Quetzalcoatl.
Vor der Opferung der Opfer
Nahmen ein die edlen Opfer
Drogenpilze, die berauschten,
Und Obsidiangetränke.
Zu dem Opferkult die Priester
Zapften Blut aus ihren Ohren,
Darum auch der Priester Ohren
Waren grauenhaft verstümmelt.
Schwarz gekleidet diese Priester
Und verfilzt die langen Haare,
Die Gesichter grau wie Asche,
Fingernägel ungeschnitten.
Nicht das Gold und nicht die Lieder
Voll der bittersüßen Schwermut
All die Spanier je versöhnten
Mit dem Kult der Menschenopfer.
All der Indianer Tempel
Der Azteken-Pyramiden
Sahen aus für Katholiken
Wie der Hölle Brückenköpfe.
Die Azteken aber sahen
An die Spanier auf den Pferden,
Hirsche nannten sie die Pferde,
Hirsche hoch wie Häuserdächer.
Die aztekischen Propheten
Prophezeiten einst: Im Jahre
Fünfzehnhundertneunzehn werde
Gott Quetzalcoatl kommen!
Gott Quetzalcoatl werde
Kommen, Gott als Flügelschlange,
Dessen Wiederkunft voll Sehnsucht
Mexiko voll Brunst erwartet.
Darum sind auch die Azteken
Nicht erlegen Spaniens Listen,
Sondern dieser Prophezeiung
Von der Wiederkunft des Gottes,
Sind erlegen ihrem großen
Staunen vor der Macht der Spanier
Und erlegen der Enttäuschung
Über die Gewalt der Spanier.
Cortez nahm den großen Kaiser
Mexikos gefangen, Kaiser
Montezuma, nicht nur Kaiser,
Sondern auch ein Hoherpriester.
Also saß der Abenteurer
Mit dem Kaiser viele Stunden
Nachts zusammen, disputierte
Über Gott und alle Dinge,
Über Kaiser Karl den Fünften,
Seinen Herrn, den scharfen Degen,
Dem der Abenteurer dachte
Montezumas Reich zu schenken,
Sprach dann von der Gottesmutter
Makellosester Empfängnis,
Himmelfahrt mit Leib und Seele,
Ihrem Königtum im Himmel,
Sprach dann von des Vaters Liebe
Und des Sohnes Rettertode
Und dem Trost des Heilgen Geistes,
Von dem Einen Wesen Gottes,
Sprach dann von der schwangern Jungfrau
Und dem menschgewordnen Gotte
Und von Christus an dem Kreuze,
Von dem Wesen aller Wesen
Und von andern intressanten
Dingen, was die Welt enthalte,
Sprach der Frauenheld und Seemann
Närrisch allergrößten Unsinn.
Aber Kaiser Montezuma,
Hoherpriester der Azteken,
Er befahl aus dem Gefängnis,
Menschenopfer darzubringen.
Trommeln dröhnten an der Spitze
Auf der Großen Pyramide
Und man blies die Muschelhörner
Und man blies die Knochenflöten.
Soll sich doch die Erde drehen,
Daß sich dreht die alte Mutter,
Alte Mutter schwarze Erde,
Braucht man Blut von Menschenopfern.
Menschenblut von Menschenopfern
Ist wie Blumen für die Götter.
Die Azteken waren trunken
Von dem Blutrausch ihres Kultes.
Sprach der Vater zu dem Kinde
In dem Codex Florentinus:
Aus Obsidian die Stürme
Streichen über unsre Köpfe.
Zählt das Kindlein sieben Jahre,
Sprach der Vater zu dem Kinde:
Diese Welt ist keine Stätte
Angenehmen Wohlergehens,
Sondern auf der schwarzen Erde
Gibt’s kein Glück und keine Freude.
Unsre Religion ist dunkel
Und so ernst wie Blut von Toten.
Alle heitre Menschenfreude
War dahin und voller Sorgen
Schlichen die betrübten Heiden
Voller Todesangst zum Tode!
ZWEITER GESANG
Aber in dem zehnten Jahre,
Da Tenochtitlan gefallen
War, der Mexikaner Hauptstadt,
Durch die spanischen Soldaten,
An dem Ufer saphirfarbnen
Sees ein Indio mit Namen
Cuanhtlatoatzin vom Stamm der
Chichimeken ging spazieren
In der ersten Morgenröte
An dem achten Tag des zwölften
Monats in dem Jahr des Herren
Fünfzehnhunderteinunddreißig,
Da entgegentrat dem Manne
Auf dem Hügel eine Jungfrau,
Ihm ein schönes junges Mädchen
Hold begegnete, sanft lächelnd:
Ich bin die vollkommne Jungfrau,
Immer-Jungfrau Sankt Maria,
Die ich bin die Mutter Gottes,
Mutter einzig-wahren Gottes!
Dieser Indio vor sieben
Jahren war getauft auf Jesus,
Nach Johannes und Jakobus
Auf den Namen Juan Diego.
Und es sprach das junge Mädchen
Zu dem Witwer, welcher zählte
Fünfundfünfzig Lebensjahre,
Sprach in Nahuatl-Sprache:
Juanito, o mein Kleiner!
Juan Diego sprach zum Mädchen,
Grüßte sie genauso zärtlich:
Nina, meine liebe Kleine!
Sieh, es war der Tag des Festes
Unsrer Lieben Frau Maria,
Die empfangen ohne Makel
Aller Erbschuld, ohne Sünde.
Darum sprachen auch die Spanier:
Dieses Mädchen ist die Pure,
Die Purissima, die Reine,
Allerreinste Sankt Maria,
Makellos empfangne Jungfrau,
Frei von jedem Fleck und Fehle,
Konzipiert vom Geiste Gottes
Als die Frau nach Gottes Herzen!
Die Begegnung mit dem Mädchen
Aber stattfand auf dem Hügel
Tepeyac, wo sonst die Heiden
Ihre Muttergöttin ehrten,
Tonantzin, die große Mutter
Des Getreides, Mutter Erde,
Eine steinerne Dämonin,
Dargestellt als eine Schlange.
Aber schau, nach der Begegnung
Der Allreinen mit dem Witwer
Acht Millionen Indianer
Kehrten in den Schoß der Kirche,
Acht Millionen Indianer
In dem Schoß der Mutter Kirche
Wurden geistig neugeboren
In dem Geist und in dem Wasser
Durch das Sakrament der Taufe,
Das die Priester ausgespendet,
Jesuiten, Franziskaner,
Gottgeweihte Gottesmänner,
Während vorher die Azteken
Nichts begehrten als das eine:
Katholiken in Kakao
Aufzukochen, aufzuessen!
Schau das wunderschöne Mädchen:
Der mestizische Gesichtszug
Zeigt die heilige Kreolin,
Spanisch wie auch indianisch.
Aber wer beschaut das Mädchen,
Sieht: Das Mädchen ist nicht spanisch,
Sie ist auch nicht indianisch,
Nicht mestizisch ist das Mädchen.
Sie gehört zu keiner Rasse.
War auf Erden sie auch Jüdin,
Ist sie Inbegriff der Menschheit,
Mutter aller Menschenkinder!
Schau ihr Antlitz, wie verschleiert
Vom Mysterium der Gottheit,
Wie geheimnisvoll ihr Lächeln!
Das geheimnisvolle Lächeln
Lächelt noch geheimnisvoller
Als der Mona Lisa Lächeln
Auf dem Bilde Leonardos
Seiner Muse Gioconda,
Lächelt noch geheimnisvoller
Als der Evelina Lächeln
Im Gesang des Dichters Schwanke
Nach dem Muster seiner Muse.
Und sie trägt ein Kleid von Blumen,
Einen meeresgrünen Mantel,
Darauf sechsundvierzig Sterne,
Drunter einen Hauch von Gaze.
Goldne Sonnenstrahlen rahmen
Sie wie eine lichte Aura,
Sie steht auf der schwarzen Sichel
Wie die Venus auf der Muschel,
Und sie steht in rosafarbnem
Mandelförmigem Ovale,
Das sich öffnet in der dichten
Wolkendecke an dem Himmel,
Wegen ihrem bronznen Antlitz
Nennt man sie La Morenita,
Wie auch Dichter Schwankes Muse
Evi sich einst Mora nannte.
Aber einst in Lourdes in Frankreich
Oder Fatima im Lande
Portugal Maria mahnte,
Warnte vor dem großen Weltkrieg,
Aber vor den Indianern
Fällt kein Wort der strengen Drohung,
Doch ist sie die Frau des Himmels
Der geheimen Offenbarung:
An dem Himmel eine Dame
Schön erschien im Kleid der Sonne,
Mit dem Mond zu ihren Füßen,
Zodiak als Krone tragend.
Während sonst die Liebe Fraue
Nur den Kindern ist erschienen,
Weil die lieben kleinen Kinder
Herzensreinheit noch besitzen
Und die Heiligkeit der Einfalt,
Ist Maria hier erschienen
Einem Mann, der selbst sich nannte:
Schatten, Feder, Schwanz, Geliebter!
DRITTER GESANG
Wie sind deine Augen, Jungfrau?
In den Augen meines Mädchens
Spiegelt sich ein Mann mit Vollbart,
Ist ihr Mann in ihren Augen.
Naht man sich dem Bild der Jungfrau,
Ändern sich die Farben immer
Je nach des Betrachters Winkel:
Irisierende Madonna!
Aber schau ich in die Augen
Meines Mädchens Morenita,
Seh ich die Personengruppe
Wieder in der Bischofskirche,
Sehe Bischof Zumarraga
Und den Dolmetsch Don Gonzalez,
Juan Diego dann, den Indio,
Wie er seine Tilma öffnet,
Seine Tilma, seine Toga
Mit dem Bild der Morenita,
Das Maria selbst geschaffen
Mit den Rosen von Kastilien,
Sehe in Marien Augen
Eine schöne Frau sich spiegeln,
Eine Frau und einen Spanier
Mit dem Antlitzschmuck des Bartes,
Sehe in Marien Augen
Eine Indianergruppe
Und ein süßes kleines Kindlein
In der Muttergottes Augen.
Dieses ist genau die Szene,
Da der Seher Juan Diego
Seine Tilma, seinen Umhang
Ausgebreitet vor dem Bischof,
Da er in der weißen Tilma
Trug die Rosen der Madonna,
Rote Rosen von Kastilien,
Die sie ließ im Winter blühen,
Als Madonnas rote Rosen
Aus der weißen Tilma fielen,
Auf dem Umhang ist erschienen
Unsrer Süßen Mutter Bildnis.
Und der Bischof Zumarraga
Und die Leute in der Kirche
Voll Bewunderung und Staunen
Sanken zitternd in die Kniee,
Denn es zitterten die Kniee
Vor der ganz unglaublich schönen
Jungfrau, der Idee der Schönheit,
Vor dem Ideal des Schöpfers!
In den Augen der Madonna
Ein Azteke ist fast nackend,
Sitzend mit gekreuzten Beinen,
Langes schwarzes Haar geflochten,
Pferdeschwanz am Nacken baumelnd,
Einen Ohrring an dem Läppchen,
Einen Ring am Ehefinger.
Bei dem nackigen Azteken
Steht ein alter Mann mit Glatze
Und mit einem weißen Vollbart,
Grader Nase, dichten Brauen,
Einer Träne auf der Wange.
Neben ihm ein schöner Jüngling,
Neben ihm ein greiser Alter
Mit Kapuze, Bart und Schnurrbart,
Einer Nase wie ein Adler,
Schöngewölbten Wangenknochen,
Eingesunknen Seelenspiegeln,
Halbgeschlossnen Lippenpaaren,
Einen Schal in Händen haltend.
Auch ein junges schwarzes Mädchen
In den Augen ist zu sehen
Und im Hintergrunde abseits
Eine Indio-Familie,
Eine Kappe trägt der Vater
Und die Mutter trägt ein Baby,
Dort die Oma, dort der Opa,
Insgesamt drei kleine Kinder.
Wer war aber jene Schwarze
In den Augen Unsrer Mutter?
In den General-Archiven
In Sevilla steht geschrieben,
Daß der Bischof Zumarraga
Hatte eine schwarze Sklavin,
Der er wegen guter Dienste
Sterbend noch die Freiheit schenkte
Und sein Testament verfügte,
Daß die schwarze Sklavin solle
Nun erlangen ihre Freiheit,
Und ihr Name war Maria.
Also sind der Jungfrau Augen,
Meines Mädchens schöne Augen,
Voller Mutterliebe schauend
Auf die Menschenkinder alle!
VIERTER GESANG
Meine Muse mich erfasste
Bei den Haaren und entführte
Mich auf ihren Adlerflügeln
In die Ortschaft Medjugorje.
Medjugorje war verborgen
In den Teppichen der Blüten,
In den Wiesen war das Beten
Wie des Atems Meditieren.
Tausend und zehntausend Seelen
Stimmten ein in die Gebete.
Kaum nach Mitternacht drei Stunden
Schliefen sie, sich früh erhebend,
Um die Königin zu grüßen,
Königin der Cherubini,
Königin der Seraphinen,
Königin der Kinder-Engel!
Hähne schrieen, Hühner eilten,
Hennen liefen mit den Küken.
Mütter trugen ihre Kinder,
Greise gingen an den Stöcken,
Manche Greise auch mit Krücken.
Vögel sangen in der Frühe,
Der Milan von Medjugorje
Segelt in der Morgenröte!
Ein Gewölk von Schmetterlingen,
Admiralen und Monarchen,
Tanzte um die keuschen Rosen,
Um die Blumen der Madonna.
Barfuß gingen manche Mönche,
Beter strömten hin wie Ströme,
Flüsse, die sich hier ergießen
In das Tal vom Doppelhügel.
Hier erzählte die Novizin
Miriam von Medjugorje
Mir die heilige Legende
Unsrer Herrin Morenita.
Siehe, Don Fernando Cortez
Groß war als Konquistadore,
Auf dem Wappen seines Flaggschiffs
War gestickt das Kreuz des Christus.
Dieses Kreuz zwölf Jahre später
Ist erschienen auf der Brosche
An dem Halse Morenitas,
Schwanenhalse Unsres Mädchens.
Cortez war ein Christ, ein frommer,
Der ein Jahr vor seiner Seefahrt
Seine liebe Frau ermordet
Voller Jähzorn und cholerisch.
Aber Cortez kniete nieder
Vor den armen Franziskanern,
Missionaren Jesu Christi,
Indianer zu bekehren.
Doch die Indianer waren
Nun zehn Jahre lang von Cortez
Unterdrückt und unterworfen
Von brutalen Heeresscharen.
Die Eroberung des Landes
Hunderttausende das Leben
Kostete, aus nackter Goldgier
Saugten aus das Land die Räuber,
Folterten die Adelsleute
Und versklavten alle Männer,
Brannten Brandmal in die Haut ein,
So als wären Menschen Tiere.
Manches Dorf verwüstet wurde,
Krankheit über Krankheit hatte
Hingerafft die Indianer,
Pest, Keuchhusten, andre Seuchen.
Fieber brannte in den Gliedern,
Knochenschmerzen, Magenschmerzen,
Und die Schwindsucht quälte grässlich,
Pocken, Masern quälten Kinder.
Leichen lagen in den Straßen
Und verwesend stanken Leichen.
Maiskorn ward nicht mehr geerntet,
Goldner Mais der Mutter Erde,
Mais verrottet auf den Feldern,
Ward nicht mehr gesät in Äckern,
Hungersnot wie eine Seuche
Raste durch die Indianer.
Diese Unheilszeit verlangte
Mehr der Opfer noch als alle
Die Massaker der Gewalttat
Räuberischer Ritter Spaniens.
Stadt Tenochtitlan war nahzu
Menschenleer geworden, diese
Hauptstadt von der Pracht Venedigs,
Niederlag in Trümmerhaufen.
Frauen waren so verzweifelt,
Wollten sie nicht mehr gebären
Kinder in die Welt des Dunkels,
Hier in der Kultur des Todes.
Dieses also war das Ende!
Sieh, da aber kam die Wende!
Morenita ist erschienen,
Unsre Köstlich-Süße Mutter,
Gottes Jungfrau, deren Bildnis
Sprach die bunte Blumensprache,
Die die Indios verstanden:
Sie ist Unsre Süße Mutter!
Die Azteken schauten immer
An die himmlische Erscheinung,
Ihre Schrift und ihre Sprache
Waren wie des Kosmos Zeichen.
Die Monstranz aus Sonnenstrahlen
In dem Rücken der Madonna
War ein Meteor des Himmels
Für die schauenden Azteken.
Daß die wunderschöne Jungfrau
Mit dem Leib verdeckt die Sonne,
Hieß: Der alte Gott der Sonne,
Seine Zeit war nun vergangen.
In dem fürstlichen Türkise
Ihres Mantels die Azteken
Sahen eine Himmelsfürstin,
Sie, die Königin des Himmels.
Aus den Blumen ihres Kleides
Die Azteken dies erkannten:
All die schöne Schöpfung Gottes
Ist das Kleid der Gottesmutter!
An dem langen Sternenmantel
Die Azteken dies erkannten:
Gottes Kosmos, so unendlich,
Ist der Mantel der Madonna!
An der hingehauchten Gaze
Überseidenfeinen Kleidchens
Die Azteken dies erkannten:
Sankt Marien Leib ist Lichtglanz!
Aber sie ist keine Göttin,
Denn sie betet an die Gottheit,
Faltet betend ihre Hände,
Menschengöttin voller Demut!
Die Monstranz aus Sonnenstrahlen
Um den Körper der Madonna
Ließ die Indianer tanzen:
David vor der Bundeslade!
Und die Ordnungen der Sterne
In Marien Kleid des Kosmos!
Die Azteken-Indianer
Sahn die Energie der Weisheit!
Michelangelo in Roma
Schuf die Pieta von Marmor,
Das Konzept, das makellose,
Jugendschöner Todesgöttin,
Deren Mund mich einmal küsste,
Daß ich zitternd sank zu Boden
Und das Hohelied der Liebe
Sang der ewigen Geliebten!
Doch in Mexiko Maria
Schuf als Künstlerin ein Kunstwerk,
Das macht alle Menschen sprachlos
Vor Begeisterung und Liebe!
Dieses Wunder ist unglaublich:
Gottes Ideal des Menschen,
Diese Frau-an-sich, gezeichnet
Himmlisch auf Kartoffelsacktuch!
Diese Frau verhüllt die Sonne,
Nämlich Abgott Vitzliputzli,
Diese Frau steht auf dem Monde,
Nämlich auf der Flügelschlange.
Siehe da, der Stern der Weisen
Führt nach Bethlehem die Seher,
Wo die Jungfrau in der Grotte
Gott als kleines Kind geboren.
Schaue den Zentaur, den weisen
Lehrer der antiken Helden!
Abgeschafft das Menschenopfer:
Gott ist selber nun das Opfer!
Schaue den Skorpion, das Sternbild,
Das zur Stunde der Geburt stand
Über Peter Torstein Schwanke,
Über seiner Muse Evi!
Schau den feuerroten Drachen,
Den die Jungfrau überwindet!
Der Geheimen Offenbarung
Großes Zeichen in der Endzeit!
Denke diese Sternenreihe
Du mit der Vernunft zuende:
An der Stirn des braunen Mädchens
Strahlte dann des Nordens Krone.
Dieses Mädchen Morenita,
An der Stirn des Nordens Krone,
Trägt im kosmischen Gewande
Strahlend schön das Kreuz des Südens.
O, die Königin des Kosmos
Sah ich an dem Kreuz des Südens
Einstmals über den Kanaren,
Überbleibsel von Atlantis!
FÜNFTER GESANG
In dem Santa-Anna-Kloster
Ward gefeiert Minnemaien
Und Marienmond, Maria
Als die Königin des Maien.
Sprach der Pater in der Andacht:
Als ich war im großen Kriege
Und die Bomben explodierten,
Ist vergangen meine Weisheit,
Aller Theologen Predigt,
Aller Philosophen Rätsel,
Nur Maria blieb, die Mutter,
Die ich rief wie in der Kindheit.
Sechzehnhundertachtunddreißig
Johann Khuen schrieb in München
Eine Hymne an Maria,
Die wir heut noch gerne singen:
Sagt uns an, wer ist doch jene,
Die da überm Paradeise
Als die Morgenröte leuchtet,
Morgenstern vom Garten Eden?
Jene kommt aus weiter Ferne,
Geht im Schmuck von Mond und Sternen,
Trägt als Kleid den Glanz der Sonne,
Jene ist die edle Rose!
Mitten in dem Glaubenskriege,
Welcher währte dreißig Jahre,
Schrieb der Dichter diese Hymne
An Maria Morenita!
Also frug ich einen Maler:
Warum malst du nicht Maria?
Was nicht malen Künstler alles!
Warum nicht der Frauen Schönste?
Sprach der Künstler der Moderne:
Soll ich malen denn ein Urbild?
Weißt du nicht vom Streit der Mönche,
Ob ein Urbild existiere?
Woher stammen die Begriffe,
Die wir von den Dingen haben?
Stammen sie von einem Urbild,
Von Ideen, Archetypen?
Augustinus lehrte Platons
Lehre, dass der Dinge Schatten
Abbild sei der Urideen,
Ewiglicher Wirklichkeiten.
So auch sprechen die Muslime
Von des Buches Mutter, nämlich
Von dem Ideal-Korane,
Der da steht im Himmel Gottes.
Also auch die Orthodoxen
Von der Wirksamkeit der Bilder
Sprechen: Alle die Ikonen
Abbild sind von Himmelsbildern,
Die Ikone der Maria
Ist ein Abbild der Maria,
Die Ikone des Messias
Ist ein Abbild des Messias,
Die Ikone ist nicht Abbild
Nur des Urbilds in dem Himmel,
Sondern die Idee des Urbilds
Gegenwärtig ist im Abbild.
Aber in dem Westen haben
Sieg im Philosophenstreite
Sich errungen jene Denker,
Die da Anti-Platonisten:
Gott schafft seine ganze Schöpfung
Nicht nach seiner Schöpfung Urbild.
Wo kein Urbild, ist kein Abbild,
Alles ist ganz einzigartig.
Alle Schöpfung, jedes Menschlein
Sei ursprünglich einzigartig,
Nicht des Urbilds Schatten-Abbild,
Nein, unmittelbar geschaffen.
Nicht nach der Idee des Urbilds
Habe Gott die Welt geschaffen,
Kein Koran und keine Tora
Habe Gott dabei begeistert,
Abrams, Isaks, Jakobs Gottheit
Und der Vater Jesu Christi
Ist ein völlig freier Schöpfer,
Nicht gebunden an ein Urbild.
Und vor allem sei das Menschlein
Gottgeschaffen einzigartig
Nicht nach der Idee des Urbilds,
Ist kein Urmensch in dem Himmel.
Ist kein Urbild in dem Himmel,
Individuum alleine
Ist der Mensch und einzigartig,
Individuelles Menschlein.
Wer den Menschen nun beleidigt,
Der beleidigt nicht ein Urbild,
Nicht ein Urmensch wird beleidigt,
Nicht das Ideal des Menschen.
Aber Benedikt der Petrus,
Früher Kircheninquisitor,
Ist Platoniker der Kirche,
Glaubt an die Ideen Gottes.
Wenn wir aber Bilder schauen,
Die als Abbild sind auch Urbild?
Die nicht Menschenhände malten,
Gottgemalte Ideale?
Doch die Philosophen staunten,
Sprach ich von dem Urbild-Abbild,
Gottgemaltem Ideale
Idealer Morenita,
Staunten unsre Philosophen,
So als spräche ich vor Mönchen:
Ich habe Unsre Frau gesehen
Heute in dem grünen Garten!
SECHSTER GESANG
O Jerusalem im Himmel,
Deine Mauer Edelsteine,
Jaspis, Chalzedon, Sardonyx,
Sardion, Smaragd und Topas
Und Saphir, der himmelblaue,
Und Smaragd, der meeresgrüne,
Chrysolithe, Chrysoprase,
Hyazinthen, Amethysten
Und Beryll, woraus geschaffen
Peter Torstein Schwankes Brille,
Und aus Einer Muschelperle
Ist des Himmels enge Pforte!
O Jerusalem des Himmels,
Wollte Gott, dass meine Seele
Wäre schon in dir zuhause,
Tochter Zion, meine Heimat!
O Jerusalem des Himmels,
Denke ich an deine bunten
Edelsteine, wird dein Stadtbild
Plötzlich mir zu einer Jungfrau.
Hör ich Vögel lieblich zwitschern,
Mütterliches Taubengurren,
Poesie der Nachtigallen,
Kolibri und Quetzalvogel.
Sehe ich die Blütenkelche
Edler Rosen von Kastilien,
Jene Rose, weiß und rosa,
Die das Jesuskind mir schenkte!
O Jerusalem des Himmels,
Nicht mehr eine Stadt von Jaspis,
Nicht von Gold und Glas gebaute
Himmelsstadt aus Edelsteinen,
Nein, ein wahrer Garten Eden,
Freudenparadies des Himmels,
Wo die Vogelherzen pochen,
Wo die Nachtigallen schmelzen!
Wo die weißen Rosen blühen,
Wo die roten Rosen glühen,
Wo die goldnen Rosen strahlen
Auf der Jungfrau bloßen Füßen!
Nicht Megapolis des Himmels,
Nein, des Himmels Morenita!
Dieser Morenita Körper
Ist der wahre Garten Eden!
Aber aller der Poeten
Muse von dem Berge Zion,
Die Urania der Kirche,
Singt nun selber eine Hymne,
Eine spanische Romanze
Revolutionärer Liebe:
Singe, Anima, die Gottheit,
Sing den Jubelschrei zur Cymbel!
Meine Seele preist die Größe
Adonais, mein Geist voll Jubel
Jubelt über meinen Retter,
Meinen Herrn und meinen Heiland!
Auf die Demut seiner Sklavin
Schaute Gott voll Wohlgefallen,
Selig preisen mich die Kinder,
Preisen mich die Kindeskinder!
Der Allmächtige hat Großes
An der Magd getan, sein Name,
Dreimalheilig ist sein Name,
Heilig, heilig, heilig Jahwe!
Gott ist voller Allerbarmen
Über alle Menschenkinder,
Über alle Menschenseelen,
Die voll Ehrfurcht sind vor Jahwe!
Er vollbringt mit seiner Rechten
Taten voller Kraft und Stärke,
Er zerstreut die Eitlen, Stolzen,
Er erhebt die Armen, Kleinen!
Hungernden reicht er die Speise,
Dürstende wird Gott selbst stillen!
Reiche lässt er leer ausgehen,
Er beschenkt nicht Mammonssklaven!
Gott denkt stets an seinen Diener
Israel (einst hieß er Jakob),
Denkt an Abraham, den Vater,
Und an alle seine Söhne!
Also sang des Himmels Muse
Revolutionäre Verse
Revolutionärer Liebe
Revolutionären Gottes!
Aber du, Poet Mariens,
Minnesänger der Madonna,
Willst du singen Gottes Tochter,
Bitte sie um jene Gnade,
Die sie Bernhard einst gewährte,
Diesem Troubadour Mariens:
Möge Gottes Große Mutter
Dich an ihren Wonnebrüsten
Saugen lassen Milch der Liebe,
Trinken lassen Wein der Weisheit,
Dann wirst du im süßen Stile
Unsre Liebe Frau besingen!
Die unendlichen Romane
Preisen Don Quichott und Josef
Und die Brüder Josefs oder
Auch die Brüder Karamasow.
Aber wo ist der Franz Werfel,
Der das Lied der Bernardette
Sang, der singt nun Juan Diego
Und die Herrin Morenita?
Ach ich bin ein kleiner Dichter,
Kann ja nur in Versen singen,
Nur ein Lyriker der Liebe,
Minnesänger der Madonna,
Ich will hier ja nur ergänzen,
Was der Dichter Heinrich Heine
Nicht gesagt in den Gedichten
Bimini und Vitzliputzli.
SIEBENTER GESANG
Liebenswürdig ist ihr Antlitz,
Weder dünn noch dick ihr Antlitz,
In ihm streiten einen Wettstreit
Himmels Schönheit, Himmels Sanftmut.
Weich und plastisch ist ihr Antlitz,
Augen, Mund und Nase aber
Sind so fein gezeichnet, siehe,
Daß des Angesichtes Ganzem
Wird hinzugefügt die höchste
Schönheit, eine solche Schönheit,
Daß das Herz zerreißt vor Liebe
Dem, der vor ihr steht, sie anstaunt!
Schöne Proportionen bilden
Ihre makellose Stirne
Und die langen schwarzen Haare
Mehren vielmals ihre Schönheit.
Ihre schmalen Augenbrauen
Sind geschwungen und von Feinheit.
Der gesenkte Blick voll Sanftmut
Ist so sanft wie Taubenaugen.
Und die Freude und die Ehrfurcht,
Die den Menschen tief ergreifen
Beim Erblicken dieser Augen!
Unerklärlich solche Augen!
Und sehr schön ist auch die Nase,
Stimmt harmonisch zu dem Ganzen.
Und ein Wunderwerk die Lippen,
Dieses Mundes süße Lippen,
Die geschwungne Unterlippe
Wird erhoben wie durch Fügung,
So des Angesichtes Anmut
Wird gewirkt vom süßen Lächeln.
Dies geheimnisvolle Lächeln
Ist von einem solchen Zauber,
Daß der Mensch bezaubert möchte
Küssen die Idee der Schönheit!
Auch das Kinn entspricht dem Ganzen
Dieser Herrlichkeit und Schönheit.
Ihre Wangen, leicht gerötet,
Sind gefärbt wie dunkle Perlen.
Auch ihr Hals ist ganz vollkommen,
Rund und schlank, und so vollkommen
Wie der schlanke Hals der Schwanin,
Die der Gott der Götter liebte.
Die allmächtige Prinzessin
Ehrte mit der Wunder-Malkunst
Raffael und Michelangel,
Tizian und Leonardo,
Botticelli, Giorgione,
Albrecht Dürer, Lukas Cranach
Und die andern wundervollen
Maler Unsrer Lieben Frauen.
So wir Künstler voll des Stolzes
Feiern unsre Himmelsmuse,
Sie, die Künstlerin des Himmels,
Die allmächtige Prinzessin!
Schau, die Strahlen um Maria
Leuchten golden wie die Sonne,
Rosa und Altrosa leuchtet,
Grün des Meeres, Gold der Sonne,
Kupferfarbe, Bronzefarbe,
Rosa und Rosé, so zarte
Farben wie die Morgenröte
Leuchtend überm Garten Eden.
Und die dunkle Morenita
Plötzlich hat ein blasses Antlitz.
Bin ich hier nicht, deine Mutter?
Bist du nicht in meinem Schatten?
Und das feminine Antlitz
Mit den sanft gesenkten Blicken
Ist so rein wie Ursprungsunschuld,
Lächelnd wie die Ungebornen,
Wie die reinen ungebornen
Kinder in dem Schoß der Mutter.
Aber plötzlich muß ich weinen...
Bin ich hier nicht, deine Mutter?
ACHTER GESANG
Sieh doch an die Art und Weise,
Wie sie ihren Purpurgürtel
Voller Liebreiz, Grazie, Anmut
Um die Hüfte sich geschlungen!
Schaue an den Purpurgürtel,
Wie er hoch rutscht über ihren
Schöngewölbten Leib! O Mädchen,
Ist Musik in deinem Leibe!
Schau das Blümchen mit vier Blättern,
Das erkennen die Azteken,
Das ist der Jasmin der Sonne,
Das verstehn die Indianer.
Schau, die makellose Jungfrau
Trägt in ihrer Leibesmitte
Diese Blüte vom Jasminbusch,
Den Jasmin der Gottes-Sonne!
Schau die sechsundvierzig Sterne,
Die Konstellation des Himmels
Über Mexiko zur Weihnacht
Fünfzehnhunderteinunddreißig.
Siehst du auch die beiden Schlangen,
Die umschlingen rings das Ganze?
Schlangen auf dem Bild der Jungfrau?
Wo siehst du die Jungfraunschlangen?
Schau, die eine Jungfraunschlange
Ist der Himmel in dem Norden
Und die andre Jungfraunschlange
Ist der Himmel in dem Süden.
Schau, die eine Jungfraunschlange
Ist das Sternbild Großer Wagen
Und die andre Jungfraunschlange
Ist das Sternbild Kreuz des Südens.
Wenn du siehst den Großen Wagen
In dem Norden an dem Himmel,
Denk, du schaust der Jungfrau Mantel,
Schaust die schwarze Nacht, die Mutter.
Wohin reicht der Kopf der Jungfrau?
In den Orient des Himmels.
Wohin reicht der Fuß der Jungfrau?
In den Okzident des Himmels.
Doch die Jungfrau schaut den Kosmos
Von der Erde nicht, der Mutter,
Nein, die Jungfrau schaut den Kosmos
Von dem Himmel aus, dem Vater.
In der Jungfrau Leibesmitte
Siehe den Jasmin der Sonne,
Schau, die Blüte vom Jasminbusch,
Klein wie eine Fingerkuppe.
Schau die Blüte vom Jasminbusch,
Was erkennst du in der Blüte?
Schau, ein Kind, geschlossner Augen,
Grad geweckt erst von der Mutter.
Ist sie nun ein junges Mädchen,
Vierzehn Jahre junge Jüdin,
Die in Nazareth gewohnt hat
In der Heiden Galiläa?
Oder ist sie nun die Göttin,
Frau der Offenbarung Gottes,
Miterlöserin mit Jesus,
Großes Zeichen in der Endzeit?
Der prophetische Johannes
Als der Adler Gottes schaute
Gottes Frau, der Endzeit Zeichen,
Frau geheimer Offenbarung.
Und auch Juan Diego schaute
Mit den scharfen Adleraugen
Gottes Frau, der Endzeit Zeichen,
Frau geheimer Offenbarung.
Der prophetische Johannes
Sah Maria in Visionen
Und der Seher Juan Diego
Sah lebendig sie als Mädchen.
NEUNTER GESANG
Juan Diego, Juan Pablo!
Die Maria Morenita
Das Geheimnis ist des Papstes,
Denn bei ihr begann sein Pilgern.
Sankt Maria Morenita
Weihte sich Sankt Juan Pablo,
Wie der Ritter vor dem Kreuzzug
Sich gewidmet seiner Dame.
Seit dem Januar des Jahres
Neunzehnhundertneunundsiebzig
Die Maria Morenita
Lenkte Juan Pablos Schritte.
In dem Land Guatemala
Heilig sprach San Juan Pablo
Bruder Pedro von den Maya
Unter einem Meer von Blumen.
Sankt Maria Morenita
Hatte keinen größern Minner,
Keinen größern Minnefreier
Als den Papst San Juan Pablo.
Als der Papst San Juan Pablo
Heilig sprach San Juan Diego
Mit der väterlichen Stimme
Voller Zärtlichkeit und Stärke,
Da war Mexiko voll Freude!
Rasseln, Trommeln, Muschelhörner
Machten die Musik des Himmels
Und die Indianer tanzten
In dem Schmuck von Adlerfedern,
Kolibri und Quetzalvogel,
Tanzten magisch und hypnotisch,
Tanzten um San Juan Pablo,
Blumig den Altar umkreisend,
Tanzend vor dem Bild der Jungfrau
Und vor Jesus, dessen Lende
Trug der Jungfrau Sternenmantel.
Und ein Bild von Juan Diego
Feierlich die Indianer
Trugen vor das Bild der Jungfrau
Und der Seher sah die Herrin,
Juan Diego schaute liebend
Zu der vielgeliebten Dame:
Ach ich bins nicht wert, mein Mädchen!
Bin ich schon im Himmelreiche?
Juan Diego schaute liebend
Zu Maria Morenita
Und Maria Morenita
Liebend sah zu Juan Pablo.
Juan Pablo saß versunken,
Seinen Kopf demütig senkend,
Hob er hoch den Corpus Christi –
Heilig, heilig, heilig Jahwe!
Und Maria Morenita
Liebend sah zu Juan Pablo:
Juan, Juan, Juanito!
Ach du kleinstes meiner Söhnchen!
Ebenmaß! Vollkommne Schönheit!
O das Gazekleid aus Blüten!
Rein wie Luft die Seide schimmernd!
O dies Duftgewand des Himmels!
Des gehauchten Unterkleides
Goldne Blüten himmlisch schweben
Um den makellosen Körper,
Unsichtbarer Gazeschleier!
Lichtglanz aus dem Paradiese
Glänzt um Sulamith Maria!
Salomo Messias huldigt
Seiner Königin der Liebe!
Pocht ihr Herz in ihrem Busen
Durch das Hauch des Gazeschleiers:
Süße Kaktusfrucht des Adlers!
Bin ich hier nicht, deine Mutter?
Morenita kommt vom Himmel,
Schwanger mit dem Gottessohne!
Kommt die Jungfrau, so kommt Jesus!
Komm, Herr Jesus! Ja und Amen!