DER DEUTSCHE KOMMUNISMUS


VON TORSTEN SCHWANKE



ERSTER GESANG


Karl Marx wurde 1818

als drittes Kind des Anwaltes Heinrich Marx 

und von Henriette Marx in Trier geboren. 

Karl Marx war mütterlicherseits 

Cousin dritten Grades von Heinrich Heine, 

der auch aus einer jüdischen Familie stammte 

und mit dem Marx während seiner Pariser Zeit 

in engem Kontakt stand. 

Heinrich Marx stammte mütterlicherseits 

aus einer bedeutenden Rabbinerfamilie. 

1812 schloss er sich dort 

der französischen Freimaurerloge 

„L’Etoile Hanséatique“ 

(Der Hanseatische Stern) an. 

Zwischen 1816 und 1822 konvertierte der Vater 

zum Protestantismus, da er als Jude 

unter der preußischen Obrigkeit 

sein unter napoleonischer Regierung angetretenes Amt 

als Advokat nicht hätte weiterführen dürfen. 

Die Mutter von Karl 

ließ sich erst am 20. November 1825 taufen, 

da sie fürchtete, ihre Familie, 

allen voran ihr Vater, würde dies missbilligen.


Von 1830 bis 1835 besuchte Karl Marx 

das Gymnasium zu Trier, 

wo er mit 17 Jahren das Abitur 

mit einem Durchschnitt von 2,4 ablegte. 

1836 verlobte sich Marx in Trier 

mit Jenny von Westphalen.


1835 ging er zum Studium der Rechtswissenschaften 

und der Kameralistik nach Bonn. 

Dort trat er der „Landsmannschaft der Treveraner“ bei. 

Bekannt ist, dass er wegen „nächtlichen Lärmens 

und Trunkenheit“ verurteilt wurde 

und gegen ihn wegen „Tragens eines Säbels“ 

ermittelt wurde. In Bonn besuchte er 

unter andrem Vorlesungen August Wilhelm Schlegels. 

Marx schloss sich einem poetischen Kränzchen an, 

dem unter andren Emanuel Geibel angehörte.


Ein Jahr später wechselte er 

an die Friedrich-Wilhelms-Universität nach Berlin 

und besuchte juristische Vorlesungen. 

Er ließ aber das Jura-Studium 

gegenüber Philosophie und Geschichte 

in den Hintergrund treten. 

Hier stieß Marx zum Kreis der Jung- 

oder Linkshegelianer („Doctorclub“). 

Hegel, der 1831 starb, hatte zu seiner Zeit 

einen starken Einfluss auf das geistige Leben 

in Deutschland. Das hegelianische Establishment 

(„Alt- oder Rechtshegelianer“) 

sah den preußischen Staat als Abschluss 

einer Serie von dialektischen Entwicklungen: 

eine effiziente Bürokratie, gute Universitäten, 

Industrialisierung und ein hoher Beschäftigungsgrad. 

Die Linkshegelianer, zu denen Marx gehörte, 

erwarteten weitere dialektische Änderungen, 

eine Weiterentwicklung der preußischen Gesellschaft, 

die sich mit Problemen wie Armut, 

staatlicher Zensur und der Diskriminierung 

der Menschen, die sich nicht 

zum lutherischen Glauben bekannten, 

zu befassen hatte.


Nach dem Tod seines Vaters Heinrich Marx 

am 10. Mai 1838 bekam Marx, 

weil er erst mit 25 Jahren volljährig wurde, 

einen gesetzlichen Vormund.


Am 15. April 1841 wurde Marx in absentia 

an der Universität Jena mit einer Arbeit 

zur Differenz der demokritischen 

und epikureischen Naturphilosophie 

zum Doktor der Philosophie promoviert. 

Auf eine Professur rechnend, 

zog Marx hierauf nach Bonn; 

doch verwehrte die Politik 

der preußischen Regierung ihm – 

wie Ludwig Feuerbach und anderen – 

die akademische Laufbahn, 

galt Marx doch als ein führender Kopf 

der oppositionellen Linkshegelianer. 

Unter seinem Namen veröffentlichte er 

im Januar 1841 in der junghegelianischen Zeitschrift 

Athenäum zwei Gedichte 

unter dem Titel Wilde Lieder.


Um diese Zeit gründeten liberale Bürger in Köln 

die Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe 

als gemeinsames Organ der verschiedenen 

oppositionellen Strömungen 

von monarchistischen Liberalen 

bis zu radikalen Demokraten. 

Marx wurde ein Hauptmitarbeiter des Blattes, 

das 1842 erstmals erschien. 

Marx übernahm die Redaktion der Zeitung, 

welche von da an einen noch radikaleren 

oppositionellen Standpunkt vertrat. 

Marx, Arnold Ruge und Georg Herwegh 

gerieten zu dieser Zeit 

in einen politischen Dissens 

zu dem Kreis um ihren Berliner Korrespondenten 

Bruno Bauer, dem Marx vorwarf, 

das Blatt „vorwiegend als ein Vehikel 

für theologische Propaganda 

und Atheismus, statt für politische 

Diskussion und Aktion“ zu benutzen. 

Als Friedrich Engels, der als ein Freund 

und Parteigänger der Berliner Linkshegelianer galt, 

am 16. November 1842 die Kölner Redaktion besuchte 

und erstmals mit Marx zusammentraf, 

verlief die Begegnung daher relativ kühl.


Aufgrund der Karlsbader Beschlüsse 

unterlag das gesamte Pressewesen der Zensur, 

die hinsichtlich der Rheinischen Zeitung 

besonders streng war. 

Die preußische Obrigkeit schickte zunächst 

einen Spezialzensor aus Berlin. 

Als dies nicht half, musste jede Ausgabe 

in zweiter Instanz dem Kölner 

Regierungspräsidenten vorgelegt werden. 

Weil Marx’ Redaktion auch diese doppelte Zensur 

regelmäßig unterlief, wurde schließlich 

das Erscheinen der Zeitung 1843 untersagt. 

Marx trat als Mitarbeiter und Redakteur zurück, 

weil die Eigentümer hofften, 

durch Änderung der Linie des Blattes 

bei der Zensurbehörde eine Aufhebung 

des Verbotes erreichen zu können.


1843 heiratete Marx seine vier Jahre ältere 

Verlobte Jenny von Westphalen in Kreuznach. 

Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, 

von denen nur die drei Töchter Jenny, Laura 

und Eleanor das Kindesalter überlebten.


Im Oktober 1843 trafen Marx und seine Frau 

in Paris ein. Marx begann dort, 

zusammen mit Arnold Ruge, 

die Zeitschrift Deutsch-Französische Jahrbücher 

herauszugeben. Aufgrund seiner Tätigkeit 

begann auch der briefliche Kontakt 

mit Friedrich Engels, der zwei Artikel 

beigetragen hatte. Von der Zeitschrift erschien 

allerdings nur ein Doppelheft 

und dies auch nur in deutscher Sprache, 

weil Louis Blanc und Proudhon 

keine Artikel lieferten. 

Die Fortsetzung scheiterte aus verschiedenen Gründen. 

Marx begann, sich mit politischer Ökonomie 

zu beschäftigen und durch Kritik 

an den französischen Sozialisten 

einen eigenständigen Standpunkt zu entwickeln.


Ende 1843 lernte Marx in Paris 

Heinrich Heine kennen. 

Zeitlebens blieben sie freundschaftlich verbunden.


Die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte 

aus dem Jahre 1844 

sind Marx’ erster Entwurf 

eines ökonomischen Systems, der zugleich 

die philosophische Richtung deutlich macht. 

Marx entwickelt dort erstmals ausführlich 

seine an Hegel angelehnte Theorie 

der „entfremdeten Arbeit“.


Allerdings beendete Marx 

diese sogenannten „Pariser Manuskripte“ nicht, 

sondern verfasste kurz darauf zusammen 

mit Friedrich Engels das Werk 

Die heilige Familie.

Über die gemeinsame Arbeit 

an den Deutsch-Französischen Jahrbüchern 

hatte sich mit Engels 

ein reger Briefwechsel entwickelt, 

der schließlich zu einer lebenslangen Freundschaft 

sowie einer engen politischen 

und publizistischen Zusammenarbeit führte. 

Deren erstes Ergebnis war die im März 1845 

veröffentlichte Schrift 

Die heilige Familie,

die sich als Streitschrift verstand, 

zu der Engels allerdings nur zehn Seiten 

beigetragen hat. Marx polemisiert hier 

gegen die Berliner Junghegelianer; 

einen wichtigen Angehörigen dieser Gruppe 

erwähnt er zunächst aber nicht: Max Stirner, 

dessen Buch Der Einzige und sein Eigentum 

im Oktober 1844 erschienen war 

und von Engels in einem Brief an Marx 

zunächst vorwiegend positiv eingeschätzt wurde.


Marx sah Stirners Buch kritischer als Engels 

und überzeugte diesen in einer Antwort 

auf den genannten Brief von seiner Auffassung. 

Gleichwohl schien er sich Stirners Kritik 

an Feuerbach partiell zu eigen zu machen 

und verfasste im Frühjahr 1845 

seine berühmten, aber erst postum veröffentlichten 

Thesen über Feuerbach. 

Erst im Herbst 1845, nachdem Marx 

die Verteidigung Feuerbachs 

gegen die Kritik Stirners an ihm 

sowie Stirners Replik darauf gesehen hatte, 

entschloss er sich, selbst eine Kritik Stirners zu verfassen: 

das Kapitel „Sankt Max“ in der gemeinsam 

verfassten Streitschrift 

Die deutsche Ideologie, 

das aber erst nach Marx’ Tod veröffentlicht wurde.


Im ersten, der Kritik des junghegelianischen 

Religionskritikers Ludwig Feuerbach 

gewidmeten Kapitel der Deutschen Ideologie 

entwickeln Marx und Engels 

ein Modell des „praktischen Entwicklungsprozesses“ 

der menschlichen Geschichte, 

die sie im Gegensatz zu den Hegelianern 

nicht als Entwicklungsgang des Geistes, 

sondern als Geschichte menschlicher Praxis 

und der sozialen Beziehungen verstehen: 

„Es wird von den wirklich tätigen Menschen 

ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess 

auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe 

und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt“. 

Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei 

der Moment der Teilung der Arbeit 

als des bestimmenden Faktors 

der geschichtlichen Entwicklung. 

Dem ebenfalls materialistisch 

argumentierenden Feuerbach werfen sie dabei vor, 

den Menschen als etwas Wesenhaftes, 

nicht aber als Subjekt sinnlich-praktischer Tätigkeit 

verstanden zu haben.


Die weiteren Kapitel der Deutschen Ideologie 

beinhalten eine scharfe Kritik 

der übrigen Junghegelianer als Vertreter einer – 

so Marx und Engels – wesentlich 

idealistischen Gesellschaftskritik. 

Auch den Vertretern des sogenannten 

„wahren Sozialismus“ ist ein Kapitel gewidmet. 

Zu Lebzeiten Marx’ wurde allerdings 

nur dieses Kapitel abgedruckt..


Marx’ und Engels’ in Abgrenzung 

gegen die zeitgenössischen 

sozialistischen und junghegelianischen 

Strömungen entworfene Grundlegung 

eines „historischen Materialismus“ 

stellt durch die Betonung der sozialen 

und materiellen Triebkräfte der Geschichte 

einen unmittelbaren Vorläufer der Soziologie dar.


Marx hatte sich außerdem an der Redaktion 

des in Paris erscheinenden deutschen Wochenblattes 

Vorwärts! beteiligt, das den Absolutismus 

der deutschen Länder – besonders Preußens – angriff, 

unter Marx’ Einfluss bald mit deutlich 

sozialistischer Ausrichtung. 

Die preußische Regierung setzte deswegen 

seine Ausweisung aus Frankreich durch, 

so dass Marx 1845 nach Brüssel übersiedeln musste, 

wohin Engels ihm folgte. 

Bei einer gemeinsamen Studienreise nach England 

1845 knüpften sie Verbindungen 

zum revolutionären Flügel der Chartisten. 

Marx gab Anfang Dezember 1845 

die preußische Staatsbürgerschaft auf 

und wurde staatenlos, nachdem er erfahren hatte, 

dass die preußische Regierung 

vom belgischen Staat

seine Ausweisung erwirken wolle. 

Spätere Gesuche, seine Staatsbürgerschaft 

wiederherzustellen, blieben erfolglos.


In Brüssel veröffentlichte Marx 1847 die Schrift 

Misère de la philosophie. 

Réponse à la philosophie de la misère de M. Proudhon, 

eine Kritik der ökonomischen Theorie 

Pierre-Joseph Proudhons und darüber hinausgehend 

der kapitalistischen Gesellschaft selbst. 

Außerdem schrieb er gelegentlich Artikel 

für die Deutsche-Brüsseler-Zeitung.


Anfang 1846 gründeten Marx und Engels 

in Brüssel das Kommunistische Korrespondenz-Komitee, 

dessen Ziel die inhaltliche Einigung 

und der organisatorische Zusammenschluss 

der revolutionären Kommunisten 

und Arbeiter Deutschlands und anderer Länder war; 

so wollten sie den Boden für die Bildung 

einer proletarischen Partei bereiten. 

Schließlich traten Marx und Engels in Verbindung 

mit Wilhelm Weitlings sozialistischem Bund 

der Gerechten, in dem sie 1847 Mitglieder wurden. 

Noch im selben Jahr setzte Marx 

die Umgründung zum Bund der Kommunisten durch 

und erhielt den Auftrag, dessen Manifest zu verfassen. 

Es wurde im Revolutionsjahr 1848 veröffentlicht 

und ging als Kommunistisches Manifest 

(Manifest der Kommunistischen Partei) 

in die Geschichte ein. 

Am 15. September 1850 stellte Marx den Antrag, 

die Zentralbehörde nach Köln zu verlegen 

und in London zwei Kreise des Bundes zu bilden. 

Der Beschluss wurde gegen eine einzige Gegenstimme

angenommen. Am 17. September 1850 

traten Marx, Engels, Liebknecht und andere 

aus dem Londoner Arbeiterbildungsverein aus.


Kurz darauf löste die französische Februarrevolution 1848 

in ganz Europa politische Erschütterungen aus; 

als diese Brüssel erreichten, wurde Marx verhaftet 

und aus Belgien ausgewiesen. 

Da ihn inzwischen die neu eingesetzte 

provisorische Regierung der Französischen Republik 

wieder nach Paris eingeladen hatte, 

kehrte er dorthin zurück; 

nach Ausbruch der deutschen Märzrevolution 

ging Marx nach Köln.

Dort war er einer der Führer 

der revolutionären Bewegung 

in der preußischen Rheinprovinz 

und gab die Neue Rheinische Zeitung, 

Organ der Demokratie, heraus, 

in der unter anderen erstmals 

die unvollendet gebliebene Schrift 

Lohnarbeit und Kapital abgedruckt wurde. 

Die Zeitung konnte am 19. Mai 1849 

zum letzten Mal erscheinen, bevor 

die preußische Reaktion ihr Erscheinen unterband.


Marx kehrte zunächst nach Paris zurück, 

wurde aber schon einen Monat später 

vor die Wahl gestellt, sich entweder 

in der Bretagne internieren zu lassen 

oder Frankreich zu verlassen. 

Marx ging daraufhin mit seiner Familie 

ins Exil nach London, 

wo er vor allem anfangs in dürftigen Verhältnissen 

von journalistischer Tätigkeit 

sowie finanzieller Unterstützung 

vor allem von Engels überlebte, 

der Marx nach England folgte. 

Politisch widmete er sich 

der internationalen Agitation für den Kommunismus, 

theoretisch entwickelte er wesentliche Elemente 

seiner Analyse und Kritik des Kapitalismus.


In London erschien zunächst Marx’ Werk 

„Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“; 

daran anknüpfend „Der achtzehnte Brumaire 

des Louis Bonaparte“

zur Machtergreifung Napoleons III.


Von 1852 an war Marx Londoner Korrespondent 

der New York Daily Tribune 

und jahrelang deren Korrespondent für Europa. 

Die Artikel sind keine gewöhnlichen Berichte, 

sondern umfassende Analysen 

der politischen und ökonomischen Lage 

einzelner europäischer Länder, 

oft als ganze Artikelreihe.


Die Mitarbeit an der Tribune endete, 

als Charles Anderson Dana die Mitarbeit 

von Marx wegen inneramerikanischer Angelegenheiten 

am 28. März 1862 kündigte. 

1859 schrieb Marx zahlreiche Artikel 

für die Arbeiterzeitung „Das Volk“. 

Marx wurde Korrespondent der Wiener Presse 

und stürzte sich in das Studium 

der politischen Ökonomie. 

1861 versuchte er, auch mit gerichtlichen Mitteln 

und unterstützt von Ferdinand Lassalle, 

seine preußische Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen, 

doch die preußische Regierung verweigerte dies. 

Während des Januaraufstands 1863 

nahm Marx Kontakt zu polnischen Aufständischen auf 

und veranlasste den Deutschen Arbeiterbildungsverein 

in London, sich an der Unterstützung 

der Polen zu beteiligen.


In der Folge entstanden Marx’ 

ökonomische Hauptwerke. 

Als erste systematische Darstellung 

der marxschen ökonomischen Grundgedanken 

erschien 1859 Zur Kritik der politischen Ökonomie, 

das ursprünglich als erstes Heft 

zur Fortsetzung bestimmt war. 

Doch Marx war mit der Detailausführung 

des Gesamtplans noch nicht zufrieden, 

und so begann er seine Arbeit von neuem. 

Erst 1867 erschien der erste der drei Bände 

seines Hauptwerks Das Kapital.


Während er das Kapital ausarbeitete, 

bot sich Marx auch wieder Gelegenheit 

zu praktischer Tätigkeit in der Arbeiterbewegung: 

1864 beteiligte er sich federführend 

an der Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation 

(„Erste Internationale“) 

und leitete sie bis zur faktischen Auflösung 1872. 

Marx entwarf die Statuten 

und das grundlegende Programm, 

die „Inauguraladresse 

der Internationalen Arbeiter-Assoziation“, 

das so disparate Sektionen wie deutsche Kommunisten, 

englische Gewerkschafter, Schweizer Anarchisten 

und französische Proudhonisten zusammenführte.


In den deutschen Staaten trieb Marx zunächst 

die Schaffung einer revolutionären 

sozialistischen Partei voran; 

dies geschah in Abgrenzung 

zum sozialreformerisch ausgerichteten 

Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein 

des früheren Marx-Schülers Ferdinand Lassalle, 

mit dem er sich in den politischen Zielen entzweit hatte. 

Wilhelm Liebknecht stand 

seit seiner Übersiedlung nach Berlin 1862 

in Kontakt mit Marx und Engels. 

Beide unterstützten ihn durch Beiträge 

in den Zeitungen Demokratisches Wochenblatt 

und Der Volksstaat. Wilhelm Liebknecht 

war 1869 Mitbegründer der Sozialdemokratischen 

Arbeiterpartei, die sich 1875 mit den Lassalleanern 

zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigte, 

der späteren Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Auch nach der Auflösung der Ersten Internationale 

blieb Marx in ständiger Verbindung 

mit fast allen wichtigen Personen 

der europäischen und amerikanischen Arbeiterbewegung, 

die sich oft mit ihm persönlich berieten.


An der Vollendung seiner stetig vorangetriebenen 

ökonomischen Arbeiten hinderte Marx 

seine zunehmende Kränklichkeit. 

In den Jahren von 1862 bis 1874 

litt er an einer Hautkrankheit, die ihn stark behinderte. 

Um sicher nach dem Kontinent zu reisen, 

stellte Marx am 1. August 1874 einen Antrag 

auf die britische Staatsbürgerschaft, 

der aber am 17. August abgelehnt wurde 

mit der Begründung, er sei ein “notorius agitator, 

the head of the International Society, 

and an advocate of Communistic principles. 

This man has not been loyal 

to his own King and Country”.


Am 2. Dezember 1881 starb seine Frau Jenny Marx, 

am 11. Januar 1883 „die vom Mohr 

am meisten geliebte Tochter“ Jenny. 

Marx verstarb am 14. März 1883 

im Alter von 64 Jahren in London 

und wurde am 17. März 1883 

auf dem Highgate Cemetery beigesetzt. 

Friedrich Engels hielt eine Trauerrede. 

Die wissenschaftlichen Leistungen von Karl Marx 

hat Engels in seiner Grabrede 

in zwei wesentliche Entdeckungen zusammengefasst:


„Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung 

der organischen Natur, so entdeckte Marx 

das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: 

dass also die Produktion der unmittelbaren 

materiellen Lebensmittel 

und damit die jedesmalige ökonomische 

Entwicklungsstufe eines Volkes 

oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, 

aus der sich die Staatseinrichtungen, 

die Rechtsanschauungen, die Kunst 

und selbst die religiösen Vorstellungen 

der betreffenden Menschen entwickelt haben, 

und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – 

nicht, wie bisher geschehen, umgekehrt.

Damit nicht genug. 

Marx entdeckte auch das spezielle Bewegungsgesetz 

der heutigen kapitalistischen Produktionsweise 

und der von ihr erzeugten bürgerlichen Gesellschaft. 

Mit der Entdeckung des Mehrwerts 

war hier plötzlich Licht geschaffen.“




ZWEITER GESANG


Engels war das erste von neun Kindern 

des erfolgreichen Baumwollfabrikanten 

Friedrich Engels und dessen Frau 

Elisabeth Franziska Mauritia Engels. 

Engels’ Vater entstammte einer angesehenen, 

seit dem 16. Jahrhundert im Bergischen Land 

ansässigen Familie 

und stand dem Pietismus nahe. 

Seine Mutter stammte aus einer Philologenfamilie. 

In seiner Geburtsstadt Barmen 

besuchte er die Städtische Schule. 

Im Herbst 1834 schickte ihn sein Vater 

auf das liberale Gymnasium zu Elberfeld. 

Der äußerst sprachbegabte Schüler 

begeisterte sich für humanistische Ideen 

und geriet in zunehmende Opposition 

zu seinem Vater. 

Auf dessen Drängen musste Engels 

zum 25. September 1837 das Gymnasium, 

ein Jahr vor dem Abitur, verlassen, 

um als Handlungsgehilfe im Handelsgeschäft 

seines Vaters in Barmen zu arbeiten. 

Im Juli 1838 reiste er nach Bremen, 

um dort im Hause des Großhandelskaufmanns 

und sächsischen Konsuls Heinrich Leupold 

seine Ausbildung bis April 1841 fortzusetzen. 

Er wohnte im Haushalt von Georg Gottfried Treviranus, 

Pastor an der Martini-Kirche.


Im weltoffenen Bremen hatte Engels Gelegenheit, 

neben seiner kaufmännischen Ausbildung 

die durch Presse und Buchhandel 

verbreiteten liberalen Ideen zu verfolgen. 

Er fühlte sich vor allem von den liberalen Dichtern 

und Publizisten des „Jungen Deutschland“ 

angesprochen und unternahm selbst 

literarische Versuche.


Noch im Frühjahr 1839 begann Engels, 

mit dem radikalen Pietismus 

seiner Geburtsstadt abzurechnen. 

In seinem Artikel Briefe aus dem Wuppertal, 

der 1839 im Telegraph für Deutschland erschien, 

schilderte er, wie der religiöse Mystizismus 

im Wuppertal alle Bereiche des Lebens durchdrang, 

und machte auf den Zusammenhang 

zwischen der pietistischen Lebenseinstellung 

und dem sozialen Elend aufmerksam.


Engels betätigte sich als Bremer Korrespondent 

des Stuttgarter Morgenblatts für gebildete Leser, 

ab 1840 bei der Augsburger Allgemeinen Zeitung. 

Er schrieb zahlreiche Literaturkritiken, 

Gedichte, Dramen und verschiedene Prosaarbeiten. 

Darüber hinaus verfasste er Berichte 

zur Auswanderungsfrage 

und über die Schraubendampfschifffahrt. 

Wichtige Förderer seiner literarisch-politischen 

Interessen waren zu dieser Zeit Ludwig Börne, 

Ferdinand Freiligrath und insbesondere Karl Gutzkow. 

In dessen Telegraph für Deutschland 

erschienen von 1839 bis 1841 

unter dem Pseudonym „Friedrich Oswald“ 

zahlreiche Beiträge von Engels.


Ab September 1841 leistete Engels 

seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger 

bei der Garde-Artillerie-Brigade in Berlin ab 

und besuchte dort Vorlesungen zur Philosophie 

an der Universität. Er näherte sich 

dem Kreis der Junghegelianer 

und schloss sich der Gruppe um Bruno und Edgar Bauer, 

den sogenannten „Freien“, an. 

Zur Jahreswende 1841/42 veröffentlichte Engels – 

unter dem Eindruck von Schellings 

Berliner Hegel-Vorlesungen – 

einen Artikel und zwei Broschüren, 

die sich gegen die Philosophie Schellings richteten.


Seit seinen Streitschriften gegen Schelling 

widmete Engels der Philosophie 

immer größere Aufmerksamkeit. 

Er studierte die Werke Hegels, 

beschäftigte sich ausführlich mit dem Stand 

der religionskritischen Forschungen 

und wandte sich zum ersten Mal 

der Philosophie der französischen Materialisten zu. 

Ab Mitte 1842 begann er, 

sich mit Ludwig Feuerbach 

(Das Wesen des Christentums) 

auseinanderzusetzen, der in seinen Werken 

die Religion sowie den Hegelschen Idealismus verwarf. 

Unter dem Eindruck dieser Studien 

entfernte sich Engels zunehmend 

vom Junghegelianismus und fing an, 

Positionen des Materialismus einzunehmen. 

Damit bekamen für ihn politische Tagesfragen 

ein immer stärkeres Gewicht. 

Seit April 1842 veröffentlichte er 

gegen den reaktionären Kurs 

des preußischen Staates gerichtete Artikel 

in der Rheinischen Zeitung, 

dem damals führenden Organ der oppositionellen 

bürgerlichen Bewegung in Deutschland.


Engels interessierte sich schon sehr früh 

für die prekäre Lage der Arbeiterschaft. 

Im bereits 1839 im Telegraph für Deutschland 

veröffentlichten Aufsatz 

Briefe aus dem Wuppertal 

beschreibt er unter anderem 

die Degenerationserscheinungen 

deutscher Industriearbeiter – 

wie die Verbreitung des Mystizismus 

und der Trunkenheit – 

und die Kinderarbeit in den Fabriken.


Daneben beschäftigte sich Engels 

in der Folgezeit stark mit den Junghegelianern, 

insbesondere mit David Friedrich Strauß. 

In den Jahren 1842/43 erschienen – 

unter dem Eindruck von Schellings 

Hegel-Vorlesungen in Berlin – 

Artikel und Broschüren zu Schelling 

und dessen Hegel-Kritik. 

Engels kritisiert darin den Versuch Schellings, 

die christliche Religion zu rechtfertigen, 

und verteidigt die Hegelsche Dialektik. 

Schellings Philosophie stelle einen Rückfall 

in die Scholastik und Mystik dar 

und sei der Versuch, die Philosophie wieder 

zur „Magd der Theologie“ zu erniedrigen.


Im November 1842 reiste Engels über Köln – 

wo er bei einem Redaktionsbesuch 

der Rheinischen Zeitung erstmals 

Karl Marx persönlich begegnete – 

nach Manchester, wo er im Stadtteil 

Chorlton-on-Medlock wohnte, 

um seine kaufmännische Ausbildung 

in der seinem Vater und dessen Partner Ermen 

gehörenden Baumwollspinnerei 

Ermen & Engels zu vollenden.


Im industriell viel weiter entwickelten England 

lernte Engels die Realität der dortigen 

Arbeiterklasse kennen, 

was seine politische Haltung veränderte 

und auf Lebenszeit prägte. 

Der Feudalismus war dort bereits überwunden, 

und die Widersprüche zwischen Bourgeoisie 

und Arbeiterklasse traten für Engels offen zutage. 

Er suchte den Kontakt mit der sich formierenden 

englischen Arbeiterbewegung 

und lernte deren Kampfformen 

wie Streiks, Meetings und Gesetzesinitiativen kennen. 

Die irische Arbeiterin Mary Burns, 

Engels’ Lebensgefährtin, 

spielte dabei eine wichtige Rolle.


1843 nahm Engels in London 

Kontakt mit der ersten revolutionären 

deutschen Arbeiterorganisation, 

dem „Bund der Gerechten“, auf 

und begegnete dort führenden Mitgliedern. 

Gleichzeitig trat er mit den englischen 

Chartisten in Leeds in Verbindung 

und schrieb erste Artikel, die in den Zeitungen 

der Owenisten (The New Moral World) 

und Chartisten (The Northern Star) erschienen. 

In den Herbst 1843 geht seine Freundschaft 

mit dem Chartistenführer Julian Harney 

und dem Handelsgehilfen 

und Dichter Georg Weerth zurück, 

der später das Feuilleton 

der Neuen Rheinischen Zeitung 

in den Revolutionsjahren 1848/49 leiten sollte.


Bewegt von den zähen Kämpfen 

des englischen Proletariats, 

vertiefte sich Engels in das Studium 

der bestehenden Theorien 

der kapitalistischen Gesellschaft. 

Er griff zu den Werken der englischen 

und französischen Utopisten 

(Robert Owen, Charles Fourier, 

Claude-Henri de Saint-Simon) 

und der klassischen bürgerlichen 

politischen Ökonomie (Adam Smith, 

David Ricardo). Die Resultate seiner Studien 

veröffentlichte er in der Rheinischen Zeitung, 

in englischen Arbeitsblättern 

und in einer Schweizer Zeitschrift. 

Im Februar 1844 entstanden dann die Schriften 

Die Lage Englands und Umrisse 

zu einer Kritik der Nationalökonomie 

in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, 

die von Karl Marx und Arnold Ruge 

in Paris herausgegeben wurden. 

Er versuchte darin eine erste Antwort 

auf die Frage zu geben, welche Rolle 

die ökonomischen Bedingungen und Interessen 

für die Entwicklung

der menschlichen Gesellschaft spielen.


Kurz nach seiner Ankunft in Manchester 

hatte Engels die irischen Arbeiterinnen 

Mary und Lizzie Burns kennengelernt, 

mit denen er zeitlebens in Liebe verbunden war; 

einen Tag vor Lizzies Tod ging er 

noch offiziell die Ehe mit ihr ein.


Mit Marx stand Engels seit seiner Mitarbeit 

an den Deutsch-Französischen Jahrbüchern 

im regelmäßigen Briefwechsel. 

Bei seiner Rückreise nach Deutschland, 

Ende August 1844, besuchte er ihn 

in Paris für zehn Tage. 

Die beiden stellten fest, 

dass ihre Ansichten übereinstimmten, 

und beschlossen, weiterhin eng zusammenzuarbeiten.


Mit seiner Ankunft in England 1842, 

der Konfrontation mit dem Chartismus 

und den ersten historischen Auseinandersetzungen 

der Arbeiterbewegung verlagerte sich 

Engels’ Interesse auf die Analyse 

der sozialen und politischen Situation 

der Arbeiterschaft. Er kam zu der Überzeugung, 

dass der Kampf der materiellen Interessen 

der Hauptantrieb der gesellschaftlichen Entwicklung ist, 

welcher seinen politischen Ausdruck 

im Klassenkampf findet. 

Seine theoretischen Ansichten zu dieser Zeit 

kommen am besten in der Schrift 

Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 

zum Ausdruck. Engels formuliert darin 

seine Kritik an der idealistischen 

und materialistischen Philosophie. 

Als zentrale Kategorie des Kapitalismus 

stellt er das Privateigentum heraus, 

das den Grund für die Entfremdung der Arbeit, 

für die Bildung von Monopolen 

und für die wiederkehrenden Krisen darstelle. 

Die Lösung der Probleme des Kapitalismus 

sieht Engels in einer rationellen 

Organisation der Produktion.


Nach seiner Rückkehr nach Barmen 

fand Engels veränderte Verhältnisse vor. 

Der Aufstand der schlesischen Weber im Juni 1844 

hatte auch in anderen Teilen Deutschlands 

Arbeiterstreiks ausgelöst. 

Diese beeinflussten auch die bürgerlichen Kräfte 

in Rheinpreußen zur Opposition 

gegen die preußische Regierung. 

Um die oppositionellen Kräfte zu unterstützen, 

bemühte sich Engels, Verbindung 

zu den im Rheinland wirkenden 

Sozialisten aufzunehmen, deren führender 

Theoretiker Moses Hess war. 

Mit ihm und dem Maler und Dichter 

Gustav Adolf Koettgen entfaltete er 

ab dem Herbst 1844 in Elberfeld 

eine rege agitatorische Tätigkeit. 

In den Elberfelder Reden vom Februar 1845 

propagierte Engels eine kommunistische Gesellschaft, 

worauf ihm von der Provinzialregierung 

alle öffentlichen Versammlungen 

verboten wurden. Er konzentrierte sich 

nun darauf, die Verbindungen 

zwischen den illegal arbeitenden 

sozialistischen Gruppen zu festigen, 

und pflegte seine internationalen Beziehungen, 

vor allem zu den englischen Sozialisten 

und Chartisten. Für die sozialistische 

Zeitschrift The New Moral World, 

an der er bereits in England mitgearbeitet hatte, 

schrieb er mehrere Artikel, in denen er 

über die Entwicklung sozialistischer 

Strömungen in Deutschland berichtete. 

Darüber hinaus bemühte er sich, 

die verschiedenen Gruppen für die von Marx 

und ihm vertretenen Ideen zu gewinnen 

und die vorherrschenden idealistischen 

und utopisch-sozialistischen 

Vorstellungen zu überwinden. 

Ein wichtiges Ereignis war dabei 

das Erscheinen der Heiligen Familie, 

ein Gemeinschaftswerk mit Marx, im Februar 1845. 

Die wissenschaftliche Öffentlichkeit in Deutschland 

reagierte darauf mit zumeist heftigen Angriffen 

auf das darin enthaltene 

materialistisch-sozialistische Ideengut. 

Um die Theorie vom Klassenkampf 

weiter voranzutreiben, arbeitete Engels 

seit seiner Ankunft in Barmen 

intensiv an seinem Werk 

Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 

das im März 1845 erschien. 

Es wurde von den wichtigsten deutschen 

Zeitungen und Zeitschriften besprochen 

und fand bei den demokratischen Kräften 

des Bürgertums großes Interesse.


Im April 1845 übersiedelte Engels nach Brüssel, 

um Marx zu unterstützen, 

der unter dem Druck der preußischen Reaktion 

von der französischen Regierung 

aus Frankreich ausgewiesen worden 

und in das junge Königreich Belgien gezogen war. 

Noch im gleichen Jahr folgte ihm Mary Burns 

aus England. Marx und Engels bauten in Brüssel 

einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis auf. 

Marx und Engels stellten fest, 

dass sich in der kommunistischen Bewegung 

Ideen ausbreiteten, die die Aufnahme 

ihrer neuen Erkenntnisse hemmten. 

Sie begannen daher mit der Arbeit an der Schrift 

Die deutsche Ideologie, 

die eine Kritik an Feuerbach und dem 

„seitherigen deutschen Sozialismus“ umfasste. 

Nach sechs Monaten beendeten sie 

im Mai 1846 ihr Werk. Engels bemühte sich 

bis 1847 vergeblich um einen Verleger 

und verfasste als Ergänzung Anfang 1847 

noch die Arbeit Die wahren Sozialisten. 

Nachdem sie aus ihrer Sicht 

die theoretischen Grundlagen 

für die künftige Umgestaltung der Gesellschaft 

gelegt hatten, sahen Marx und Engels 

ihre wichtigste Aufgabe darin, das europäische 

und zunächst das deutsche Proletariat 

für ihre Überzeugungen zu gewinnen. 

Sie widmeten sich nach 1846 immer stärker 

der praktischen Tätigkeit für die Bildung 

einer proletarischen Partei. 

Im Februar 1846 gründeten sie in Brüssel 

das Kommunistische Korrespondenz-Komitee, 

das die Verbindung zwischen den Kommunisten 

in den verschiedenen Ländern herstellen sollte. 

Im Laufe des Jahres 1846 kam es 

zur Gründung weiterer Komitees 

in zahlreichen europäischen Städten. 

Marx und Engels hielten diese zumeist kleinen Gruppen 

für die Basis, um ihre Ideen 

in die Arbeiterbewegung hineinzutragen 

und sich mit jenen weltanschaulichen Konzepten

auseinanderzusetzen, die bis dahin 

die Vorstellungswelt der Arbeiter bestimmten. 

Dazu gehörten vor allem der utopische Kommunismus, 

die Lehren des französischen Sozialisten Proudhon 

und die Auffassungen des wahren Sozialismus.


Ende Januar 1847 traten Marx und Engels 

dem „Bund der Gerechten“ bei, 

der sich ihren Ideen inzwischen angenähert hatte. 

Sie arbeiteten nun energisch darauf hin, 

den „Bund“ in eine Partei 

der Arbeiterklasse umzuwandeln. 

Währenddessen schrieb Marx in Brüssel 

an seiner theoretischen Streitschrift 

Misère de la philosophie (Das Elend der Philosophie), 

die im Juli 1847 in Frankreich herauskam 

und eine Kritik an den Reformplänen 

Proudhons enthielt. Engels propagierte in Paris 

die in dem Buch behandelten theoretischen Fragen 

unter den deutschen Kommunisten 

und den Führern der französischen Sozialisten. 

Im Juni 1847 fand der erste der beiden Bundeskongresse 

des „Bundes der Gerechten“ statt, 

der sich nun in den „Bund der Kommunisten“ 

umbenannte, da für deren Mitglieder 

nicht mehr die „Gerechtigkeit“, 

sondern der Angriff auf „die bestehende 

Gesellschaftsordnung und das Privateigentum“ 

im Vordergrund stand. An die Stelle 

der alten Bundesdevise „Alle Menschen sind Brüder“ 

trat nun die revolutionäre Klassenlosung 

„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ 

In Form von 22 Fragen und Antworten 

beschloss der Kongress 

den „Entwurf eines Kommunistischen 

Glaubensbekenntnisses“.


Im August 1847 gründete Engels 

gemeinsam mit Marx 

den Brüsseler Deutschen Arbeiterverein. 

Anfang November 1847 verfasste Engels, 

beauftragt von den Pariser Mitgliedern 

des „Bundes der Kommunisten“, 

die Grundsätze des Kommunismus. 

Noch im selben Monat nahmen Marx und Engels 

am zweiten Kongress des „Bundes 

der Kommunisten“ in London teil, 

wo sie beauftragt wurden, das Programm 

des Bundes weiter auszuarbeiten, woraus 

Das Kommunistische Manifest entstand, 

das im Februar 1848 in London erschien. 

Im Hintergrund ihrer Arbeit stand die Erwartung, 

dass die bürgerliche Revolution von 1848 

den proletarischen Umsturz der bestehenden 

gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland 

nach sich ziehen werde. Aktiv wurde Engels 

auch in der Auseinandersetzung 

mit dem wahren Sozialismus.


Nach seiner Rückkehr von England 

nach Deutschland verfasste Engels 

Die Lage der arbeitenden Klasse in England. 

Das 1845 erschienene Werk stellt Engels’ 

erste größere eigenständige Veröffentlichung dar. 

Es fiel in eine Zeit besonderer sozialer Spannungen 

in Deutschland (Weberaufstand). 

Engels wendet sich hier der sozialen Frage zu, 

ausgehend von den Verhältnissen in England, 

die er aus eigener Anschauung kannte. 

Er beschreibt die elenden Wohnquartiere der Arbeiter 

in den englischen Industriestädten 

und schildert die Arbeitssituation des Proletariats, 

weist auf Kinderarbeit, Berufskrankheiten 

und Sterblichkeitsraten hin. 

Schließlich informiert er über die zusätzliche 

Knebelung der Arbeiterfamilien 

durch den Zwang, bei den Unternehmern 

Lebensmittel einzukaufen 

und in den von ihnen bereitgestellten 

Wohnungen zu wohnen.


Die im September 1844 geschlossene Freundschaft 

mit Marx führte zunächst 

zu einer gemeinsamen Aufarbeitung 

ihrer philosophischen Vergangenheit. 

Ihre erste gemeinsame Schrift 

Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik 

markiert ihren Übergang vom Idealismus 

zum Materialismus. Marx und Engels 

rechnen darin mit ihren früheren 

junghegelianischen Gesinnungsgenossen ab. 

Bauers „kritischer Kritik“ werfen sie vor, 

dass in ihrem Zentrum nicht Menschen, 

sondern „Kategorien“ – Geist und Selbstbewusstsein – 

stehen und sie hinter das von Feuerbach 

erreichte Niveau zurückfalle, 

die den spekulativen Idealismus der Hegelschen 

Philosophie längst überwunden habe.


Als Antwort auf polemische Beiträge 

Bruno Bauers und Max Stirners 

in Wiegands Vierteljahresschrift entstand 

bis Mai 1846 die wohl wichtigste Schrift 

dieser Periode, Die deutsche Ideologie. 

Kritik der neuesten deutschen Philosophie 

in ihren Repräsentanten, Feuerbach, 

Bruno Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus 

in seinen verschiedenen Propheten. 

In der Schrift fassen Marx und Engels 

ihre Kritik an der junghegelianischen 

Philosophie zusammen, deren Forderung 

nach Bewusstseinsveränderung darauf hinauslaufe, 

das Bestehende nur anders zu interpretieren, 

es aber ansonsten anzuerkennen. 

Feuerbachs Materialismus, 

Bauers Philosophie des Selbstbewusstseins 

und Stirners individualistischer Anarchismus 

ließen trotz aller theoretischen Radikalität 

die praktischen Verhältnisse unangetastet bestehen. 

Daneben kritisieren sie den deutschen Sozialismus, 

der sich zwar kosmopolitisch gebe, 

aber „nationale Borniertheit“ zeige. 

Er sei von einer sozialen zu einer 

nur noch literarischen Bewegung verkommen 

und befriedige so einzig die Bedürfnisse 

des deutschen Kleinbürgertums.


Mit der Trennung von den Junghegelianern 

und Sozialisten radikalisierten sich 

die Positionen von Marx und Engels. 

1847 wurden sie vom zweiten Kongress 

des Bundes der Kommunisten mit der Ausarbeitung 

des Manifests der Kommunistischen Partei beauftragt. 

Das Werk formuliert den Klassenkampf als Prinzip 

der bisherigen Geschichte 

und begreift den Aufstieg der modernen Bourgeoisie 

als Sieg einer revolutionären Klasse. 

Mit ihrem Sieg verliere aber die Bourgeoisie 

ihre revolutionäre Rolle und hemme 

die weitere Entwicklung der Produktivkräfte. 

Die Bourgeoisie habe in ihrem Kampf 

gegen den Feudalismus sämtliche 

überkommenden Verhältnisse der Menschen 

untereinander zerstört und an deren Stelle 

das reine Geldverhältnis gesetzt. 

Bedingung der von ihr geschaffenen 

kapitalistischen Gesellschaft sei die Lohnarbeit, 

ihre Konsequenz das Proletariat, 

das durch seine Arbeit das Kapital vermehre, 

ohne sich selbst Eigentum beschaffen zu können. 

Die Bourgeoisie produziere so „vor allem 

ihre eignen Totengräber“. 

Das Manifest schließt mit dem Kampfaufruf 

„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ 

Es erlangte zwar keine unmittelbare 

politische Wirksamkeit, wurde jedoch später 

zur Grundlage sozialistischer 

und kommunistischer Parteiprogramme.


Nach dem Ausbruch der Märzrevolution in Wien 

und Barrikadenkämpfen in Berlin (März 1848) 

trafen sich Marx und Engels in Paris 

und arbeiteten dort die Forderungen 

der Kommunistischen Partei in Deutschland aus, 

die als Flugblatt gedruckt wurden. 

Danach verließen beide Paris 

und trafen im April in Köln ein, 

um mit den Vorbereitungen zur Gründung 

der Neuen Rheinischen Zeitung zu beginnen; 

unter den Bedingungen der eben erkämpften 

Pressefreiheit erschien eine große Tageszeitung 

als das wirksamste Mittel, die politischen Ziele 

in aller Öffentlichkeit zu vertreten. 

Marx wurde Chefredakteur der neuen Zeitung, 

Engels sein Stellvertreter. 

Wegen drohender Verhaftung musste Engels 

im September 1848 Köln verlassen 

und fuhr in die Schweiz, um dort 

an der Organisation der Arbeitervereine mitzuwirken. 

Im Januar 1849 kehrte er nach Köln zurück, 

wo er in dem Presseprozess 

gegen die Neue Rheinische Zeitung 

vom Kölner Geschworenengericht 

freigesprochen wurde.


Im Mai 1849 unterstützte Engels zeitweise 

aktiv den Elberfelder Aufstand. 

Einen Monat später trat er 

in die badisch-pfälzische Armee ein 

und nahm als Adjutant Willichs 

an den revolutionären Kämpfen 

gegen Preußen in Baden im Gefecht in Gernsbach 

und der Pfalz teil. Hier begegnete er 

erstmals Johann Philipp Becker, 

dem Kommandeur der badischen Volkswehr, 

mit dem ihn später eine enge Freundschaft verband. 

Seine Kritik an der halbherzigen Politik 

der badischen Revolutionsregierung 

und dem letztlich unglücklichen Feldzug 

legte er später in seinem Werk 

Die deutsche Reichsverfassungskampagne nieder. 

Nach der Niederlage der Märzrevolution 

flüchtete Engels wie viele revolutionäre Emigranten 

über die Schweiz nach England.


Im September 1850 spaltete sich 

der Bund der Kommunisten. 

Zwei Monate später arbeitete Engels wieder 

bei Ermen & Engels in Manchester 

und übernahm später den Anteil seines Vaters, 

den er schließlich 1870 an Ermen verkaufte. 

Engels begann, Militärwesen zu studieren; 

aufgrund seiner praktischen militärischen Erfahrungen 

im Wehrdienst sowie den Kämpfen in Baden 

entwickelte er sich zum Militärexperten, 

was ihm den Spitznamen „General“ einbrachte. 

Ende 1850 begann er zudem, die russische 

und andere slawische Sprachen zu erlernen, 

und beschäftigte sich mit der Geschichte und Literatur 

der slawischen Völker. 

Seine Sprachstudien setzte er im Jahre 1853 

mit dem Erlernen des Persischen fort. 

Engels beherrschte zwölf Sprachen aktiv 

und zwanzig passiv, darunter Altgriechisch, 

Altnordisch, Arabisch, Bulgarisch, Dänisch, 

Englisch, Französisch, Friesisch, Gotisch, Irisch, 

Italienisch, Latein, Niederländisch, Norwegisch, 

Persisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, 

Schottisch, Schwedisch, Serbokroatisch, 

Spanisch, Tschechisch.


Auf das Jahr 1850 geht auch der Beginn 

des ständigen brieflichen Gedankenaustauschs 

mit Marx zurück. Unter dem Namen 

seines Freundes schrieb er ab 1851 bis 1862 

regelmäßig für die Zeitschrift New York Daily Tribune. 

Von 1853 bis 1856 veröffentlichte er diverse Artikel 

über den Krimkrieg und andere 

internationale Ereignisse 

in der New York Daily Tribune 

und in der Neuen Oder-Zeitung.


Von 1857 bis 1860 arbeitete Engels 

an der von Charles Anderson Dana in New York 

herausgegebenen New American Cyclopaedia mit 

und erstellte eine Reihe von Militärartikeln 

sowie biographische und geographische Artikel. 

Zudem verfasste er zahlreiche Zeitungsartikel, 

unter anderem zu dem Krieg in Italien von 1859 

auch für die Arbeiterzeitung Das Volk.


Ende der 1850er und Anfang der 1860er Jahre 

befasste sich Engels in zwei Schriften 

mit dem aufkommenden europäischen Nationalismus. 

Im April 1859 erschien in Berlin 

als anonyme Broschüre die Arbeit Po und Rhein, 

in der er sich gegen die österreichische 

Vorherrschaft in Italien wandte 

und die Überzeugung vertrat, dass nur 

ein unabhängiges Italien 

im Interesse Deutschlands liege. 

Für die Deutschen forderte er die „Einheit, 

die allein uns nach innen und außen 

stark machen kann“. Anfang 1860 

veröffentlichte er ebenfalls anonym die Schrift 

Savoyen, Nizza und der Rhein, 

in der er sich gegen die Annexion Savoyens und Nizzas 

durch Napoleon III. aussprach 

und vor einer russisch-französischen Allianz warnte.


Während Engels zu Beginn der 1860er Jahre 

von einer Reihe von privaten Vorkommnissen 

erschüttert wurde – dem Tod seines Vaters, 

dem seiner Ehefrau Mary Burns 

und seines langjährigen Kampfgenossen Wilhelm Wolff, 

zogen zwei politische Ereignisse die Aufmerksamkeit 

von Engels und Marx auf sich. 

Den Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) 

betrachteten beide als ein „Schauspiel 

ohne Parallele in den Annalen der Kriegsgeschichte“. 

Engels forderte von den Nordstaaten, 

den Krieg auf revolutionäre Weise zu führen 

und die Volksmassen stärker einzubeziehen. 

Er betonte, dass der Kampf für die Befreiung 

der Schwarzen die ureigenste Sache 

der Arbeiterklasse sei und auch die weißen Arbeiter 

so lange nicht frei sein könnten, 

wie die Sklaverei existiere. 

Im polnischen Aufstand gegen das zaristische Russland 

(1863) sah Engels eine wichtige Voraussetzung, 

den reaktionären Einfluss des Zarismus 

in Europa zu schwächen 

und die demokratische Bewegung in Preußen, 

Österreich und Russland selbst zu entfalten.


Nach dem Tod Ferdinand Lassalles 1864 

arbeitete Engels nach Vorschlag Marx’ 

an der Zeitung des Social-Demokrat mit, 

um deren Mitglieder für eine revolutionäre 

Politik zu gewinnen. Im Februar 1865 

stellten beide ihre Mitarbeit ein, 

da das Blatt immer deutlicher Bismarcks Nähe suchte. 

1865 erschien in Hamburg die Broschüre 

Die preußische Militärfrage 

und die deutsche Arbeiterpartei, 

in der es Engels primär darum ging, 

gegen die Lassalleaner und den Allgemeinen 

Deutschen Arbeiterverein 

eine revolutionäre Position in Erinnerung zu rufen.


Nachdem Marx seit den 1850er Jahren 

an der Erstellung des Kapitals gearbeitet hatte, 

erschien der erste Band im September 1867. 

Engels hatte die langjährigen ökonomischen Studien 

von Marx überhaupt erst ermöglicht, 

indem er den „hündischen Commerce“ 

auf sich nahm und den Lebensunterhalt 

der Familie Marx zu einem großen Teil bestritt. 

Engels vermochte Marx auf allen Gebieten 

der ökonomischen Theorie zu beraten. 

Von größtem Wert war auch sein Rat 

in praktischen Fragen. 

Da für die Verbreitung der im Kapital 

enthaltenen Ideen zunächst 

noch keine Arbeiter-Zeitungen zur Verfügung standen,

veröffentlichte Engels unter dem Deckmantel 

der Kritik in der bürgerlichen Presse 

mehrere Rezensionen zu Marx’ Werk. 

Im Jahr 1868 konnte er dann im von Wilhelm Liebknecht 

neu herausgegebenen Demokratischen Wochenblatt 

ohne die vorherigen Beschränkungen 

das Werk als das wichtigste Buch 

für die Arbeiterschaft würdigen.


Im Oktober 1870 zog Engels mit Lizzie Burns 

nach London in die Nähe der Marxschen Wohnung. 

Unterdessen war in Mitteleuropa 

der Deutsch-Französische Krieg ausgebrochen. 

Marx und Engels fiel es schwer, 

„sich mit dem Gedanken zu versöhnen, 

dass, anstatt für die Zerstörung des Kaiserreichs zu kämpfen, 

das französische Volk sich für seine Vergrößerung opfert“. 

Sie vertraten die Ansicht, dass der Krieg 

von Seiten Frankreichs ein dynastischer Krieg war, 

der die persönliche Macht Bonapartes sichern sollte. 

Die deutschen Arbeiter müssten daher 

den Krieg unterstützen, solange er 

ein Verteidigungskrieg gegen Napoleon III., 

den Hauptfeind der nationalstaatlichen 

Einigung Deutschlands, bliebe. 

Von Ende Juli 1870 bis Februar 1871 

verfasste Engels über den Verlauf des Krieges 

anonym 59 Artikel für die Londoner Tageszeitung 

Pall Mall Gazette, die aufgrund 

ihres militärischen Sachverstands in London 

großes Aufsehen erregten. 

Hatte Engels bis zur Niederlage Napoleons III. 

in seinen Artikeln noch die Ansicht vertreten, 

dass Deutschland sich gegen den französischen 

Chauvinismus verteidigte, so verwandelte sich 

danach der Krieg für ihn „langsam aber sicher 

in einen Krieg für die Interessen 

eines neuen deutschen Chauvinismus“.


Im Oktober 1870 wurde Engels 

auf Vorschlag von Marx zum Mitglied 

des Generalrats der Internationalen 

Arbeiterassoziation gewählt. 

In der Folgezeit war er als korrespondierender 

Sekretär für Belgien, Spanien, Portugal, 

Italien und Dänemark tätig. 

Nach der Niederlage der Kommunarden 

der Pariser Kommune bildete 

der Generalrat ein Flüchtlingskomitee 

für die Pariser Flüchtlinge, 

die meist nach London strömten. 

Auf Engels’ Anstoß verfasste Marx die Schrift 

Der Bürgerkrieg in Frankreich, 

die für alle Mitglieder der „Internationale“ 

die Bedeutung des Pariser Kampfes herausstellen sollte; 

Engels übersetzte diese Schrift Mitte 1871 

aus dem Englischen ins Deutsche.


Seit 1873 beschäftigte sich Engels intensiv 

mit philosophischen Problemen 

der Naturwissenschaften. 

Seine Absicht war, nach gründlichen Vorarbeiten 

ein Buch zu schreiben, in dem er eine 

dialektisch-materialistische Verallgemeinerung 

der theoretischen Erkenntnisse 

der Naturwissenschaften geben wollte. 

Inmitten dieser Studien erging von Liebknecht 

und Marx an ihn die Bitte, 

der „Dühringsseuche“ in Deutschland 

entgegenzuwirken. Dieser Aufgabe 

kam er 1876 bis 1878 mit der Schrift 

Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft 

(Anti-Dühring) nach. 

Sie erschien zuerst im Vorwärts, 

dem Zentralorgan der Sozialistischen 

Arbeiterpartei Deutschlands, 

1878 in Buchform. 

1878 verstarb seine Ehefrau Lydia Burns.


Nach dem Rückzug aus der Firma 1869 

zielten Engels’ Veröffentlichungen 

auf die „begriffliche Präzisierung, 

historische Vertiefung und methodische 

Abgrenzung des wissenschaftlichen Sozialismus“. 

Von 1873 bis 1882 entstand das Fragment 

Dialektik der Natur.

Engels wurde zu dem Werk motiviert 

durch die Kritik der aufkommenden 

Naturwissenschaften an der Philosophie Hegels 

und die Übertragung naturwissenschaftlicher Theorien 

auf die Gesellschaft. Engels will nachweisen, 

dass sich in der Natur dieselben Bewegungsgesetze 

entdecken lassen, die auch in der Geschichte gelten. 

Neben den Thesen von der Ewigkeit der Materie 

und der Bewegung formuliert er 

die drei Grundgesetze der Dialektik. 

Der Dialektik stellt Engels 

das „metaphysische“ Denken gegenüber, 

das sich an starren Kategorien 

statt an widersprüchlichen Prozessen orientiere. 

Anhand vieler Beispiele will Engels zeigen, 

dass die Natur nicht „metaphysisch“, 

sondern dialektisch strukturiert ist. 

In großer Detailtreue verarbeitet er dabei 

fast alle naturwissenschaftlichen Einsichten 

und Entdeckungen seiner Zeit.


In dem 1877/78 als Artikelserie im Vorwärts 

unter Mitarbeit von Karl Marx erschienenen Werk 

Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft 

(„Anti-Dühring“) setzt sich Engels kritisch 

mit einigen Werken von Eugen Dühring auseinander. 

Seine Kritik richtet sich dabei 

gegen den dogmatisch-metaphysischen Charakter 

von Dührings Wirklichkeitsphilosophie 

und dessen Unfähigkeit, den „dialektischen“ 

Entwicklungsprozess der Welt zu verstehen. 

Gleichzeitig ist das Werk ein erster Versuch 

einer enzyklopädischen Zusammenfassung 

sowohl der Geschichte des Sozialismus 

als auch der Lehrmeinungen 

des Marxschen Kommunismus.


Der auf den Anti-Dühring aufbauende 

und 1880 zuerst erschienene Aufsatz 

Die Entwicklung des Sozialismus 

von der Utopie zur Wissenschaft 

entwickelt die Grundsätze 

des Historischen Materialismus. 

Für Engels war der Frühsozialismus 

(Saint-Simon, Fourier, Owen) „utopisch“, 

weil er undialektisch 

an zeitlose Vernunftwahrheiten appellierte. 

Diesen Mangel habe Hegel behoben, 

indem er die gesamte Wirklichkeit 

als einen dialektischen Entwicklungsprozess ansah – 

allerdings in verkehrter Weise 

als die Entfaltung der „Idee“. 

Erst Marx machte durch seine Auffassung der Geschichte 

als Geschichte von Klassenkämpfen 

und der Entdeckung des „Mehrwerts“ 

als des „Geheimnisses der kapitalistischen Produktion“ 

den Sozialismus zur Wissenschaft. 

Er wies nach, dass die bürgerliche Gesellschaft 

an der Logik ihres Grundwiderspruchs 

von gesellschaftlicher Produktion 

und privater Aneignung notwendig scheitern müsse. 

Während es die historische Aufgabe der Bourgeoisie war, 

die Produktivkräfte zu entwickeln, 

sei es jetzt die Aufgabe des Proletariats, 

deren gesellschaftliche Aneignung durchzusetzen.


Nach dem Tode von Marx 1883 

wurde Engels zum Hauptberater 

des marxistisch beeinflussten Teils 

der internationalen, besonders 

der deutschen Arbeiterbewegung. 

Er nahm Einfluss auf die Entwicklung 

der deutschen Sozialdemokratie 

und deren Erfurter Programm 1891.


Außerdem übernahm er die Bearbeitung 

und Herausgabe von Marx’ Werken 

sowie die Aufsicht neuer Übersetzungen. 

Unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes 

in Deutschland (1878–1890) 

brachte Engels noch im Jahre 1883 

eine neue Auflage des ersten Bandes des Kapitals heraus. 

1884 veröffentlichte er die unter anderem 

auf Marxschen Manuskripten basierende Schrift 

Der Ursprung der Familie, 

des Privateigentums und des Staats, 

in der er die Gesellschaftsformation der Urgesellschaft 

und den Übergang zur Klassengesellschaft analysierte.


Dann begann Engels, die Marxschen Manuskripte 

zu ordnen und zu entziffern. 

1885 veröffentlichte er Marx’ 

Das Elend der Philosophie 

und den zweiten Band des Kapitals. 

Es folgte die englische Übersetzung 

des ersten Bandes, die er gemeinsam 

mit seinem Freund Samuel Moore 

und Marx’ Schwiegersohn Edward Aveling vorbereitete. 

1890 erschien die vierte, von Engels 

nochmals redigierte Fassung des ersten Bandes 

des Kapitals, worin er einige Fußnoten ergänzte, 

die den veränderten geschichtlichen 

Umständen Rechnung tragen sollten. 

Sehr schwierig gestaltete sich die Edition 

des dritten Bandes, für die Engels 

neun Jahre benötigte. Er nahm 

das Marxsche Manuskript von 1865 zur Grundlage, 

das er stark redigierte.


Neben der Edition des Kapitals 

publizierte Engels 1886 die Schrift 

Ludwig Feuerbach und der Ausgang 

der klassischen deutschen Philosophie, 

1891 die 1875 von Marx verfasste Kritik 

des Gothaer Programms. Daneben führte er 

regen Schriftverkehr mit Sozialisten 

und Kommunisten in ganz Europa.


Engels starb am 5. August 1895 in London 

im Alter von 74 Jahren an Kehlkopfkrebs. 

Da seine Vorliebe für das Seebad Eastbourne 

bekannt war, wurde die Urne mit seiner Asche 

am 27. September 1895 fünf Seemeilen 

vor der dortigen Küste bei Beachy Head 

ins Meer versenkt.




DRITTER GESANG


Karl Liebknecht wurde 1871 in Leipzig geboren. 

Er war der zweite von fünf Söhnen 

Wilhelm Liebknechts 

und dessen zweiter Ehefrau Natalie. 

Sein älterer Bruder war Theodor Liebknecht, 

sein jüngerer Otto Liebknecht. 

Der Vater gehörte ab den 1860er Jahren 

mit August Bebel zu den Gründern 

und bedeutendsten Anführern der SPD 

und ihrer Vorläuferparteien. 

Karl wurde in der Thomaskirche 

evangelisch getauft. Seine Taufpaten 

waren Karl Marx und Friedrich Engels.


In den 1880er Jahren verbrachte Karl Liebknecht 

einen Teil seiner Kindheit in Borsdorf, 

am östlichen Stadtrand von Leipzig. 

Dort hatte sein Vater mit August Bebel 

eine Vorstadt-Villa bezogen, 

nachdem sie aufgrund des kleinen Belagerungszustandes, 

einer Bestimmung des zwischen 1878 und 1890 

gegen die Sozialdemokratie gerichteten 

Sozialistengesetzes, aus Leipzig 

ausgewiesen worden waren.


1890 machte er an der Alten Nikolaischule 

in Leipzig sein Abitur 

und begann am 16. August 1890 

an der Universität Leipzig Rechtswissenschaften 

und Kameralwissenschaften zu studieren. 

Als die Familie nach Berlin zog, 

setzte er dort am 17. Oktober 1890 

an der Friedrich-Wilhelms-Universität 

sein Studium fort. Aus dieser Zeit 

stammt das sozialkritische Gedicht 

Hüte dich! Sein Abgangszeugnis 

datiert vom 7. März 1893. 

Am 29. Mai 1893 bestand er sein Referendarexamen.


Von 1893 bis 1894 leistete Liebknecht 

seinen Wehrdienst bei den Gardepionieren 

in Berlin ab. Er verkürzte die Zeit 

durch die Meldung als Einjährig-Freiwilliger.


Nach langer Suche nach einer Referendarstelle 

schrieb er seine Doktorarbeit 

„Compensationsvorbringen nach gemeinem Rechte“, 

die von der Juristischen 

und Staatswissenschaftlichen Fakultät 

der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 

1897 mit dem Prädikat magna cum laude 

ausgezeichnet wurde. Am 5. April 1899 

bestand er seine Assessorprüfung mit „gut“.


Zusammen mit seinem Bruder Theodor 

und Oskar Cohn eröffnete er 1899 

in der Berliner Chausseestraße 121 

eine Rechtsanwaltskanzlei.


Im Mai 1900 heiratete er Julia Paradies, 

mit der er zwei Söhne (Wilhelm und Robert) 

und eine Tochter (Vera) hatte.


1904 wurde er gemeinsam mit seinem Kollegen 

Hugo Haase als politischer Anwalt 

auch im Ausland bekannt, 

als er neun Sozialdemokraten 

im „Königsberger Geheimbundprozess“ verteidigte. 

In anderen aufsehenerregenden Strafprozessen 

prangerte er die Klassenjustiz des Kaiserreichs 

und die brutale Behandlung 

von Rekruten beim Militär an.


1900 wurde Karl Liebknecht Mitglied 

der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 

1902 sozialdemokratischer Stadtverordneter 

in Berlin. Dieses Mandat behielt er bis 1913.


Er war aktives Mitglied der Zweiten Internationale 

und zudem einer der Gründer 

der Sozialistischen Jugendinternationale. 

Er wurde 1907 im Rahmen der ersten 

Internationalen Konferenz der sozialistischen

Jugendorganisationen zum Vorsitzenden 

des Verbindungsbüros gewählt.


Für die Jugendarbeit der SPD 

veröffentlichte er 1907 die Schrift 

Militarismus und Antimilitarismus, 

für die er noch im selben Jahr 

wegen Hochverrats verurteilt wurde. 

In dieser Schrift führte er aus, 

der äußere Militarismus brauche 

gegenüber dem äußeren Feind 

chauvinistische Verbohrtheit 

und der innere Militarismus benötige 

gegen den inneren Feind 

Unverständnis und Hass 

gegenüber jeder fortschrittlichen Bewegung. 

Der Militarismus brauche außerdem 

den Stumpfsinn der Menschen, 

damit er die Masse 

wie eine Herde Vieh treiben könne. 

Die antimilitaristische Agitation 

müsse über die Gefahren des Militarismus aufklären, 

jedoch müsse sie dies im Rahmen der Gesetze tun. 

Letzteren Hinweis nahm ihm später 

das Reichsgericht im Hochverratsprozess nicht ab. 

Den Geist des Militarismus charakterisierte Liebknecht 

in dieser Schrift mit einem Hinweis 

auf eine Bemerkung des damaligen preußischen 

Kriegsministers General Karl von Einem, 

wonach diesem ein königstreuer 

und schlecht schießender Soldat lieber sei 

als ein treffsicherer Soldat, 

dessen politische Gesinnung fraglich 

und bedenklich sei. Am 17. April 1907 

beantragte Karl von Einem 

bei der Reichsanwaltschaft, 

wegen der Schrift Militarismus und Antimilitarismus 

gegen Karl Liebknecht ein Strafverfahren einzuleiten.


Im Oktober 1907 fand bei großem Publikumsandrang 

der Hochverratsprozess gegen Liebknecht 

vor dem Reichsgericht unter dem Vorsitz 

des Richters Ludwig Treplin statt. 

Am ersten Verhandlungstag sagte Liebknecht, 

dass kaiserliche Befehle null und nichtig seien, 

wenn sie einen Bruch der Verfassung bezweckten. 

Dagegen betonte das Reichsgericht später 

in seinem Urteil, die unbedingte Gehorsamspflicht 

der Soldaten gegenüber dem Kaiser 

sei eine zentrale Bestimmung 

der Verfassung des Kaiserreichs. 

Als Liebknecht auf eine entsprechende Frage 

des Vorsitzenden antwortete, 

dass diverse Zeitungen sowie 

der ultrakonservative Politiker 

Elard von Oldenburg-Januschau 

den gewaltsamen Bruch der Verfassung 

fordern würden, schnitt dieser ihm 

das Wort mit der Bemerkung ab, 

das Reichsgericht könne unterstellen, 

dass Äußerungen gefallen seien, 

die er als Aufforderung 

zum Verfassungsbruch verstanden habe. 

Am dritten Verhandlungstag wurde er 

wegen Vorbereitung zum Hochverrat 

zu eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt.


Kaiser Wilhelm II., der ein Exemplar der Schrift 

Militarismus und Antimilitarismus besaß, 

wurde über diesen Prozess mehrfach 

telegrafisch informiert. Dem Kaiser 

wurde nach der Urteilsverkündung 

ein ausführlicher Prozessbericht übersandt, 

dagegen wurde Liebknecht das schriftliche Urteil 

erst am 7. November 1907 zugestellt. 

Seine Selbstverteidigung im Prozess 

brachte ihm große Popularität 

bei den Berliner Arbeitern ein, 

so dass er in einem Pulk 

zum Haftantritt geleitet wurde.


Um Karl Liebknecht in seiner wirtschaftlichen 

Existenz zu treffen, wurde 

beim Anwaltsgerichtshof der Provinz Brandenburg 

in Berlin beantragt, ihn aufgrund seiner Verurteilung 

wegen Vorbereitung zum Hochverrat 

durch das Reichsgericht 

aus der Anwaltschaft auszuschließen. 

Am 29. April 1908 lehnte der Anwaltsgerichtshof 

unter seinem Vorsitzenden Dr. Krause 

diesen Antrag ab. Zur Begründung 

führte er unter anderem aus, 

dass zwar die tatsächlichen Feststellungen 

des Reichsgerichts im Hochverratsprozess 

bindend seien, jedoch dies nicht zwingend 

eine ehrengerichtliche Bestrafung nach sich ziehe. 

Gegen dieses Urteil legte der Oberreichsanwalt 

am 7. Mai 1908 Einspruch ein. 

Am 10. Oktober 1908 lehnte daraufhin 

der Ehrengerichtshof in Anwaltssachen 

unter dem Vorsitz des Reichsgerichtspräsidenten 

Rudolf von Seckendorff es ab, 

Liebknecht aus der Rechtsanwaltschaft 

auszuschließen. Zur Begründung hieß es, 

dass schon das Reichsgericht 

in diesem Strafurteil eine ehrlose Gesinnung 

des Angeklagten verneint habe.


Im Jahr 1908 wurde er Mitglied 

des Preußischen Abgeordnetenhauses, 

obwohl er noch nicht aus der Festung 

Glatz in Schlesien entlassen worden war. 

Er gehörte zu den ersten acht 

Sozialdemokraten überhaupt, 

die trotz des Dreiklassenwahlrechts 

Mitglied im Preußischen Landtag wurden. 

Dem Landesparlament 

gehörte Liebknecht bis 1916 an.


Seine erste Frau Julia starb am 22. August 1911 

nach einer Gallenoperation. Liebknecht heiratete 

im Oktober 1912 Sophie.


Im Januar 1912 zog er als einer der jüngsten 

SPD-Abgeordneten in den Reichstag ein. 

Liebknecht gewann – nach zwei vergeblichen 

Anläufen 1903 und 1907 – 

den „Kaiserwahlkreis“ Potsdam-Spandau-Osthavelland, 

der bis dahin eine sichere Domäne 

der Deutschkonservativen Partei gewesen war. 

Im Reichstag trat er sofort 

als entschiedener Gegner einer Heeresvorlage auf, 

die dem Kaiser Steuermittel 

für die Heeres- und Flottenrüstung bewilligen sollte. 

Er konnte außerdem nachweisen, 

dass die Firma Krupp durch die Bestechung 

von Mitarbeitern des Kriegsministeriums 

unerlaubterweise an wirtschaftlich 

relevante Informationen gekommen war.


In der ersten Julihälfte 1914 war Liebknecht 

nach Belgien und Frankreich gereist, 

mit Jean Longuet und Jean Jaurès zusammengetroffen 

und hatte auf mehreren Veranstaltungen gesprochen. 

Den französischen Nationalfeiertag 

verbrachte er in Paris. 

Über die unmittelbare Gefahr 

eines großen europäischen Krieges 

wurde er sich erst am 23. Juli – 

nach Bekanntwerden des österreichisch-ungarischen 

Ultimatums an Serbien – völlig klar. 

Ende Juli kehrte er über die Schweiz 

nach Deutschland zurück.


Als der Reichstag am 1. August, 

dem Tag der Verkündung der Mobilmachung 

und der Kriegserklärung an Russland, 

zum 4. August zusammengerufen wurde, 

stand für Liebknecht noch außer Frage, 

dass „die Ablehnung der Kriegskredite 

für die Mehrheit der Reichstagsfraktion 

selbstverständlich und zweifellos sei.“ 

Am Nachmittag des 4. August stimmte jedoch 

die sozialdemokratische Fraktion – 

nachdem es am Vortag

in der vorbereitenden Fraktionssitzung 

zu „ekelhaften Lärmszenen“ gekommen war, 

weil sich Liebknecht und 13 weitere Abgeordnete 

entschieden gegen diesen Schritt aussprachen – 

geschlossen für die Bewilligung der Kriegskredite, 

die der Regierung die vorläufige Finanzierung 

der Kriegführung ermöglichten. 

Vor der Fraktionssitzung am 3. August 

hatten die Befürworter der Bewilligung 

nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet 

und waren sich keineswegs sicher, 

überhaupt eine Mehrheit in der Fraktion zu erhalten; 

noch in der Sitzungspause nach der Rede 

des Reichskanzlers – unmittelbar 

vor der Abstimmung am 4. August – 

kam es in der Fraktion zu Tumulten, 

weil einige Bethmann Hollwegs Ausführungen 

demonstrativ beklatscht hatten. 

Liebknecht, der die ungeschriebenen Regeln 

der Partei- und Fraktionsdisziplin 

in den Jahren zuvor immer wieder 

gegen Vertreter des rechten Parteiflügels 

verteidigt hatte, beugte sich dem Beschluss 

der Mehrheit und stimmte 

der Regierungsvorlage im Plenum 

des Reichstags ebenfalls zu. 

Hugo Haase, der in der Fraktion wie Liebknecht 

gegen die Bewilligung aufgetreten war, 

erklärte sich aus ähnlichen Gründen 

sogar zur Verlesung der 

von den bürgerlichen Parteien 

mit Jubel aufgenommenen Erklärung 

der Fraktionsmehrheit bereit. 

Liebknecht hat den 4. August, 

den er als katastrophalen politischen 

und persönlichen Einschnitt empfand, 

privat und öffentlich immer wieder thematisiert 

und durchdacht. 1916 notierte er dazu:


„Der Abfall der Fraktionsmehrheit 

kam selbst für den Pessimisten überraschend; 

die Atomisierung des bisher überwiegenden 

radikalen Flügels nicht minder. 

Die Tragweite der Kreditbewilligung 

für die Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik 

ins Regierungslager lag nicht auf der Hand: 

Noch bestand die Hoffnung, der Beschluss 

vom 3. August sei das Ergebnis 

einer vorübergehenden Panik 

und werde alsbald korrigiert, 

jedenfalls nicht wiederholt 

und gar übertrumpft werden. 

Aus diesen und ähnlichen Erwägungen, 

allerdings auch aus Unsicherheit und Schwäche 

erklärte sich das Misslingen des Versuchs, 

die Minderheit für ein öffentliches Separatvotum 

zu gewinnen. Nicht übersehen werden darf dabei 

aber auch, welche heilige Verehrung damals 

noch der Fraktionsdisziplin entgegengebracht wurde, 

und zwar am meisten vom radikalen Flügel, 

der sich bis dahin in immer zugespitzterer Form 

gegen Disziplinbrüche oder Disziplinbruchsneigungen

revisionistischer Fraktionsmitglieder 

hatte wehren müssen.“


Einer Erklärung Rosa Luxemburgs 

und Franz Mehrings, in der diese 

wegen des Verhaltens der Fraktion 

ihren Parteiaustritt androhten, 

schloss sich Liebknecht ausdrücklich nicht an, 

weil er sie „als Halbheit empfand: 

Dann hätte man schon austreten müssen.“ 

Rosa Luxemburg bildete am 5. August 1914 

die Gruppe Internationale, 

in der Liebknecht mit zehn weiteren 

SPD-Linken Mitglied war 

und die eine innerparteiliche Opposition 

gegen die SPD-Politik des Burgfriedens 

zu bilden versuchte. Im Sommer und Herbst 1914 

reiste Liebknecht mit Rosa Luxemburg 

durch ganz Deutschland, um – 

weitgehend erfolglos – Kriegsgegner 

zur Ablehnung der Finanzbewilligung 

für den Krieg zu bewegen. 

Er nahm auch Verbindung 

zu anderen europäischen Arbeiterparteien auf, 

um diesen zu signalisieren, dass nicht alle 

deutschen Sozialdemokraten für den Krieg seien.


In den ersten großen, von einer breiteren Öffentlichkeit 

beachteten Konflikt mit der neuen Parteilinie 

geriet Liebknecht, als er zwischen dem 4. 

und 12. September Belgien bereiste, 

dort mit einheimischen Sozialisten zusammentraf 

und sich über die von deutschen Militärs 

angeordneten Massenrepressalien informieren ließ. 

Liebknecht wurde daraufhin in der Presse – 

auch der sozialdemokratischen – 

des „Vaterlandsverrats“ und „Parteiverrats“ bezichtigt 

und musste sich am 2. Oktober 

vor dem Parteivorstand rechtfertigen.


Er war danach umso mehr entschlossen, 

bei der nächsten einschlägigen Abstimmung 

gegen die neue Kreditvorlage zu votieren 

und diese demonstrative Stellungnahme 

gegen die „Einigkeitsphrasen-Hochflut“ 

zur Grundlage einer Sammlung 

der Kriegsgegner zu machen. 

Im Vorfeld dieser Sitzung, 

zu der der Reichstag am 2. Dezember 1914 

zusammentrat, versuchte er 

in stundenlangen Gesprächen 

auch andere oppositionelle Abgeordnete 

für diese Haltung zu gewinnen, 

scheiterte aber. Otto Rühle, 

der Liebknecht zuvor zugesichert hatte, 

ebenfalls offen mit Nein zu stimmen, 

hielt dem Druck nicht stand 

und blieb dem Plenum fern, 

Fritz Kunert, der auch schon am 4. August 

so gehandelt hatte, verließ kurz 

vor der Abstimmung den Saal. 

Liebknecht stand schließlich als einziger 

Abgeordneter nicht auf, 

als Reichstagspräsident Kaempf 

das Haus aufforderte, dem Ergänzungshaushalt 

durch Erheben von den Sitzen zuzustimmen. 

Bei der nächsten Abstimmung 

am 20. März 1915 votierte Rühle 

gemeinsam mit Liebknecht. 

Eine Bitte von etwa 30 anderen Fraktionsmitgliedern, 

während der Abstimmung mit ihnen gemeinsam 

den Saal zu verlassen, 

hatten beide zuvor abgelehnt.


Im April 1915 gaben Franz Mehring 

und Rosa Luxemburg die Zeitschrift 

Die Internationale heraus, 

die nur einmal erschien und sofort 

von den Behörden beschlagnahmt wurde. 

Liebknecht konnte sich an diesem Vorstoß 

nicht mehr beteiligen. 

Nach dem 2. Dezember 1914 

hatten Polizei- und Militärbehörden 

darüber nachgedacht, wie Liebknecht 

„das Handwerk gelegt“ werden könne. 

Das Oberkommando in den Marken 

berief ihn Anfang Februar 1915 

zum Dienst in ein Armierungs-Bataillon ein. 

Damit unterstand Liebknecht den Militärgesetzen, 

die ihm jegliche politische Betätigung 

außerhalb des Reichstages 

und des preußischen Landtages verboten. 

Er erlebte, jeweils beurlaubt zu Sitzungen 

des Reichstages und des Landtages, 

als Armierungssoldat den Krieg 

an der West- und Ostfront.


Es gelang ihm dennoch, die Gruppe Internationale 

zu vergrößern und die entschiedenen Kriegsgegner 

in der SPD reichsweit zu organisieren. 

Daraus ging am 1. Januar 1916 

die Spartakusgruppe hervor 

(nach der endgültigen Loslösung 

von der Sozialdemokratie 

im November 1918 umbenannt in Spartakusbund). 

Am 12. Januar 1916 schloss 

die SPD-Reichstagsfraktion 

mit 60 gegen 25 Stimmen 

Liebknecht aus ihren Reihen aus. 

Aus Solidarität mit ihm trat Otto Rühle 

zwei Tage später ebenfalls aus der Fraktion aus. 

Im März 1916 wurden weitere 18 

oppositionelle Abgeordnete ausgeschlossen 

und bildeten daraufhin 

die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft, 

der sich Liebknecht und Rühle 

allerdings nicht anschlossen.


Liebknecht hatte während des Krieges 

kaum eine Möglichkeit, sich im Plenum 

des Reichstages Gehör zu verschaffen. 

Die von ihm schriftlich eingereichte Begründung 

seiner Stimmabgabe am 2. Dezember 1914 

nahm der Reichstagspräsident entgegen 

der üblichen Gepflogenheiten nicht 

in das amtliche Protokoll auf 

und lehnte es in der Folge 

unter verschiedenen Vorwänden ab, 

Liebknecht das Wort zu erteilen. 

Erst am 8. April 1916 konnte Liebknecht 

zu einer untergeordneten Etatfrage 

von der Rednertribüne aus sprechen. 

Dabei kam es zu einer im Reichstag 

bis dahin nicht gesehenen „wüsten Skandalszene“: 

Liebknecht wurde von „wie besessen“ 

tobenden liberalen und konservativen 

Abgeordneten niedergeschrien, 

als „Lump“ und „englischer Agent“ beschimpft 

und aufgefordert, das „Maul zu halten“; 

der Abgeordnete Hubrich entriss ihm 

die schriftlichen Notizen 

und warf die Blätter in den Saal, 

der Abgeordnete Ernst Müller-Meiningen 

musste von Mitgliedern der Sozialisten-Fraktion 

daran gehindert werden, Liebknecht 

körperlich zu attackieren.


Zur „Osterkonferenz der Jugend“ 

sprach Liebknecht in Jena vor 60 Jugendlichen 

zum Antimilitarismus und zur Änderung 

der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland. 

Am 1. Mai 1916 trat er als Führer 

einer Antikriegsdemonstration, 

die von Polizei umzingelt war, 

auf dem Potsdamer Platz in Berlin auf. 

Er ergriff das Wort mit den Worten 

„Nieder mit dem Krieg! 

Nieder mit der Regierung!“ 

Danach wurde er verhaftet 

und wegen Hochverrats angeklagt. 

Der erste Prozesstag, eigentlich gedacht 

als Exempel gegen die sozialistische Linke, 

geriet zum Fiasko für die kaiserliche Justiz: 

Organisiert von den Revolutionären Obleuten 

fand in Berlin ein spontaner Solidaritätsstreik 

mit über 50.000 Beteiligten statt. 

Statt die Opposition zu schwächen, 

gab Liebknechts Verhaftung 

dem Widerstand gegen den Krieg neuen Auftrieb. 

Am 23. August 1916 wurde Liebknecht 

zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt, 

die er von Mitte November 1916 

bis zu seiner Amnestierung und Freilassung 

am 23. Oktober 1918 

im brandenburgischen Luckau ableistete. 

Hugo Haase, bis März 1916 SPD-Vorsitzender, 

setzte sich vergeblich für seine Freilassung ein. 

In Liebknechts Haftzeit fiel die Spaltung 

der SPD und die Gründung der USPD 

im April 1917. Die Spartakusgruppe 

trat nun in diese ein, um auch dort 

auf revolutionäre Ziele hinzuwirken.


Neben dem katholischen Reichstagsabgeordneten 

Matthias Erzberger vom Zentrum, 

der wie Liebknecht später 

von Rechtsextremisten ermordet wurde, 

war Liebknecht der einzige deutsche Parlamentarier, 

der öffentlich die massiven Menschenrechtsverletzungen 

der türkisch-osmanischen Verbündeten 

im Nahen Osten anprangerte, insbesondere 

den Völkermord an den Armeniern 

und das brutale Vorgehen gegen weitere 

nicht-türkische Minderheiten, 

insbesondere in Syrien und dem Libanon. 

Von der SPD und den liberalen Parteien 

wurde diese Praxis stillschweigend gebilligt 

und zum Teil sogar öffentlich 

mit strategischen Interessen Deutschlands 

und der angeblichen existenziellen Bedrohung 

der Türkei durch armenischen 

und arabischen Terrorismus gerechtfertigt.


Im Zuge einer allgemeinen Amnestie 

wurde Liebknecht begnadigt 

und am 23. Oktober 1918 vorzeitig 

aus der Haft entlassen. 

Er reiste sofort nach Berlin, 

um dort den Spartakusbund zu reorganisieren, 

der nun als eigene politische Organisation hervortrat. 

Bei seinem Eintreffen gab die Gesandtschaft 

des seit Ende 1917 nach der Oktoberrevolution 

unter kommunistischer Führung stehenden Russlands 

ihm zu Ehren einen Empfang.


Liebknecht drängte nun auf eine 

von den Revolutionären Obleuten, 

die den Januarstreik organisiert hatten, 

der USPD und dem Spartakusbund 

gemeinsam koordinierte Vorbereitung 

einer reichsweiten Revolution. 

Man plante einen gleichzeitigen Generalstreik 

in allen Großstädten und Aufmarsch 

von bewaffneten Streikenden 

vor den Kasernen von Heeresregimentern, 

um diese zum Mitmachen 

oder Niederlegen ihrer Waffen zu bewegen. 

Die Obleute, die sich an der Arbeiterstimmung 

in den Fabriken orientierten 

und eine bewaffnete Konfrontation 

mit Heerestruppen fürchteten, 

verschoben mehrfach den festgelegten Termin dafür, 

zuletzt auf den 11. November 1918.


Am 8. November griff die unabhängig 

von diesen Plänen vom Kieler Matrosenaufstand 

ausgelöste Revolution auf das Reich über. 

Daraufhin riefen die Berliner Obleute 

und die USPD ihre Anhänger für den Folgetag 

zu den geplanten Umzügen auf.


Am 9. November 1918 strömten Bevölkerungsmassen 

von allen Seiten ins Zentrum Berlins. 

Dort rief Liebknecht mittags im Berliner Tiergarten 

und nachmittags nochmals 

vor dem Berliner Stadtschloss 

eine „Freie Sozialistische Republik Deutschland“ aus 

und schwor die Kundgebungsteilnehmer 

auf die internationale Revolution ein. 

Kurz zuvor hatte der SPD-Politiker 

Philipp Scheidemann 

die Abdankung des Kaisers verkündet 

und eine „deutsche Republik“ ausgerufen, 

um Liebknecht zuvorzukommen.


Liebknecht wurde nun zum Sprecher 

der revolutionären Linken. 

Um die Novemberrevolution 

in Richtung einer sozialistischen 

Räterepublik voranzutreiben, 

gab er mit Rosa Luxemburg täglich die Zeitung 

Die Rote Fahne heraus. 

Bei den folgenden Auseinandersetzungen 

stellte sich jedoch bald heraus, 

dass die meisten Arbeitervertreter in Deutschland 

eher sozialdemokratische 

als sozialistische Ziele verfolgten. 

Eine Mehrheit trat auf dem Reichsrätekongress 

vom 16. bis 20. Dezember 1918 

für baldige Parlamentswahlen 

und damit Selbstauflösung ein. 

Liebknecht und Luxemburg wurden 

von der Teilnahme am Kongress ausgeschlossen.


Seit Dezember 1918 versuchte Ebert, 

die Rätebewegung gemäß seinem Geheimabkommen 

mit dem General Wilhelm Groener 

mit Hilfe von kaiserlichem Militär zu entmachten, 

und ließ dazu immer mehr Militär 

in und um Berlin zusammenziehen. 

Am 6. Dezember 1918 versuchte er, 

den Reichsrätekongress militärisch zu verhindern, 

und, nachdem dies missglückte, 

Resolutionen zur Entmachtung des Militärs 

beim Kongress zu entschärfen. 

Am 24. Dezember 1918 setzte er 

kaiserliches Militär

gegen die den revolutionären Kieler Matrosen 

nahestehende Volksmarinedivision ein, 

die eigentlich die Reichskanzlei schützen sollte 

und nicht ohne Sold zum Abrücken bereit war. 

Daraufhin traten die drei USPD-Vertreter 

am 29. Dezember aus dem Rat 

der Volksbeauftragten aus, 

so dass dieser gemäß der Vereinbarung 

bei seiner Gründung keine Legitimation mehr besaß. 

Er wurde dennoch von den drei SPD-Vertretern 

allein weitergeführt.


Daraufhin planten die reichsweit Zulauf 

erhaltenden Spartakisten 

die Gründung einer neuen, 

linksrevolutionären Partei 

und luden ihre Anhänger 

zu deren Gründungskongress 

Ende Dezember 1918 nach Berlin ein. 

Am 1. Januar 1919 stellte sich 

die Kommunistische Partei Deutschlands 

der Öffentlichkeit vor.


Ab dem 8. Januar nahm Liebknecht 

zusammen mit anderen KPD-Vertretern 

am Spartakusaufstand teil, 

mit dem die Revolutionären Obleute 

auf die Absetzung des zuvor rechtmäßig 

eingesetzten Berliner Polizeipräsidenten 

Emil Eichhorn (USPD) reagierten. 

Sie versuchten, die Übergangsregierung 

Friedrich Eberts mit einem Generalstreik zu stürzen, 

und besetzten dazu mehrere Berliner Zeitungsgebäude. 

Liebknecht trat in die Streikleitung ein 

und rief gegen den Rat von Rosa Luxemburg 

zusammen mit der USPD zur Volksbewaffnung auf. 

KPD-Abgesandte versuchten erfolglos, 

einige in Berlin stationierte Regimenter 

zum Überlaufen zu bewegen. 

Nach zweitägigen ergebnislosen Beratungen 

trat die KPD aus dem Führungsgremium aus, 

dann brachen die USPD-Vertreter 

parallele Verhandlungen mit Ebert ab. 

Daraufhin setzte dieser das Militär 

gegen die Streikenden ein. 

Es kam zu blutigen Straßenkämpfen 

und Massenexekutionen hunderter Personen.


Nach den führenden Köpfen der jungen KPD 

wurde durch „zahlreiche Spitzeldienste 

diverser staatstragender Verbände“ 

intensiv gefahndet. Schon im Dezember 

waren in Berlin zahlreiche großformatige 

rote, gegen den Spartakusbund gerichtete 

Plakate angeschlagen worden, 

die in der Aufforderung 

„Schlagt ihre Führer tot! 

Tötet Liebknecht!“ gipfelten. 

Handzettel gleichen Inhalts 

wurden hunderttausendfach verbreitet. 

Verantwortlich dafür war unter anderem 

die Antibolschewistische Liga Eduard Stadtlers. 

Im Vorwärts wurde Liebknecht wiederholt 

als „geisteskrank“ dargestellt. 

Der gesamte Rat der Volksbeauftragten 

unterzeichnete am 8. Januar ein Flugblatt, 

in dem angekündigt wurde, 

dass „die Stunde der Abrechnung naht“. 

Am 13. Januar druckte der Vorwärts ein Gedicht 

Artur Zicklers ab, das die Verszeilen enthielt:


„Vielhundert Tote in einer Reih –

Proletarier!

Karl, Rosa, Radek und Kumpanei –

Es ist keiner dabei, es ist keiner dabei!“


Unter Zivilisten und Militärangehörigen 

kursierten Gerüchte, die besagten, 

dass auf die „Spartakistenführer“ 

regelrechte Kopfgelder ausgesetzt worden seien. 

Am 14. Januar erschien in einem Mitteilungsblatt 

für die sozialdemokratischen Regimenter 

Reichstag und Liebe ein Artikel, 

in dem es hieß, dass „schon die nächsten Tage“ 

zeigen würden, dass nunmehr auch 

mit den „Häuptern der Bewegung 

Ernst gemacht wird.“


Liebknecht und Luxemburg hatten sich – 

da ihr Leben nun offenkundig in Gefahr war – 

nach dem Einmarsch der Noske-Truppen 

zunächst in Neukölln verborgen, 

waren nach zwei Tagen aber 

in ein neues Quartier 

in der Mannheimer Straße in Wilmersdorf 

ausgewichen. Der Wohnungsinhaber 

war Mitglied der USPD 

und gehörte dem Arbeiter- und Soldatenrat 

Wilmersdorf an, seine Frau 

war mit Rosa Luxemburg befreundet. 

In dieser Wohnung schrieb Liebknecht 

am 14. Januar seinen Artikel Trotz alledem!, 

der tags darauf in der Roten Fahne erschien. 

Am frühen Abend des 15. Januar 

drangen fünf Angehörige der Wilmersdorfer Bürgerwehr – 

einer von Zivilisten gebildeten bürgerlichen Miliz – 

in die Wohnung ein 

und nahmen Liebknecht und Luxemburg fest. 

Sicher ist, dass es sich nicht um eine mehr 

oder weniger zufällige Durchsuchung, 

sondern um einen gezielten Zugriff handelte. 

Gegen 21 Uhr wurde auch Wilhelm Pieck verhaftet, 

der die Wohnung nichtsahnend betreten hatte.


Liebknecht wurde zunächst 

zur Wilmersdorfer Cäcilienschule transportiert. 

Von dort aus rief ein Angehöriger der Bürgerwehr 

direkt in der Reichskanzlei an 

und informierte deren stellvertretenden 

Pressechef Robert Breuer 

(Mitglied der Wilmersdorfer SPD) 

über die Ergreifung Liebknechts. 

Breuer kündigte einen Rückruf an, 

der aber nicht erfolgte. 

Angehörige der Bürgerwehr lieferten Liebknecht 

gegen 21.30 Uhr per Automobil 

bei ihrer vorgesetzten Dienststelle ab – 

dem Hauptquartier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division 

im Eden-Hotel an der Ecke Budapester Straße/Kurfürstenstraße,

worauf unter anwesenden Hotelgästen 

und Militärs ein „kollektiver Erregungszustand“ 

ausbrach. Liebknecht, 

der bis zu diesem Zeitpunkt seine Identität 

geleugnet hatte, wurde in Anwesenheit 

des faktischen Kommandeurs der Division 

anhand der Initialen auf seiner Kleidung identifiziert. 

Der Kommandeur entschied 

nach wenigen Minuten des Nachdenkens, 

Liebknecht und die gegen 22 Uhr 

eintreffende Rosa Luxemburg „erledigen“ zu lassen. 

Er rief in der Reichskanzlei an, 

um mit Noske das weitere Vorgehen zu besprechen. 

Noske forderte ihn auf, noch mit General von Lüttwitz

Rücksprache zu halten und von diesem 

nach Möglichkeit eine formelle Anordnung zu erwirken. 

Der Kommandeur hielt das für ausgeschlossen. 

Daraufhin erwiderte Noske: 

„Dann müssen Sie selbst wissen, was zu tun ist.“


Mit der Ermordung Liebknechts 

beauftragte der Kommandeur 

eine Gruppe ausgewählter Marineoffiziere. 

Diese verließen gegen 22.45 Uhr 

mit Liebknecht das Hotel. 

Beim Verlassen des Gebäudes 

wurde Liebknecht von Hotelgästen bespuckt, 

beschimpft und geschlagen. 

Das Automobil fuhr in den nahegelegenen Tiergarten. 

Hier täuschte der Fahrer an einer Stelle, 

„wo ein völlig unbeleuchteter Fußweg abging“ 

eine Panne vor. Liebknecht wurde 

aus dem Auto geführt und nach wenigen Metern 

am Ufer des Neuen Sees 

„aus nächster Nähe“ von hinten erschossen.


Die Täter lieferten den Toten um 23.15 Uhr 

als „unbekannte Leiche“ 

in der dem Eden-Hotel gegenüberliegenden 

Rettungswache ein 

und erstatteten anschließend Meldung. 

Eine halbe Stunde später wurde die 

in einem offenen Wagen abtransportierte 

Rosa Luxemburg etwa 40 Meter 

vom Eingang des Eden-Hotels entfernt erschossen. 

Ihren Leichnam warf man zwischen 

Lichtenstein- und Corneliusbrücke 

in den Landwehrkanal. 

Ein Presseoffizier verbreitete anschließend 

ein Kommuniqué, in dem behauptet wurde, 

dass Liebknecht „auf der Flucht erschossen“ 

und Luxemburg „von der Menge getötet“ worden sei.


Liebknecht wurde am 25. Januar 

zusammen mit 31 weiteren Toten 

der Januartage beigesetzt. 

Die von der KPD zunächst geplante Bestattung 

auf dem Friedhof der Märzgefallenen im Friedrichshain 

wurde sowohl von der Regierung 

als auch dem Berliner Magistrat untersagt. 

Stattdessen verwies man die Beisetzungskommission 

an den an der städtischen Peripherie gelegenen 

Armenfriedhof in Friedrichsfelde. 

Der Trauerzug entwickelte sich 

zu einer Massendemonstration, 

an der trotz massiver Militärpräsenz 

mehrere zehntausend Menschen teilnahmen.




VIERTER GESANG


Rosa Luxemburgs Geburtsdatum ist unsicher. 

Ihren Vornamen Rosalia verkürzte sie 

umgangssprachlich zu Rosa.


Sie war das fünfte und letzte Kind 

des Holzhändlers Eliasz Luxenburg 

und seiner Frau Line. 

Die Eltern waren Juden 

in der ländlichen Mittelstadt Zamość 

im von Russland kontrollierten Teil Polens. 

Die väterlichen Vorfahren waren 

als Landschaftsarchitekten, 

die mütterlichen Vorfahren 

als Rabbiner und Hebraisten 

nach Zamość gekommen. 

Über ein Drittel der Einwohner 

waren polnische Juden, 

meist Haskala-Vertreter 

mit hohem Bildungsstand. 

Die Eltern gehörten zu keiner Religionsgemeinschaft 

und politischen Partei, sympathisierten aber 

mit der polnischen Nationalbewegung 

und förderten die lokale Kultur. 

Sie besaßen ein Haus am Rathausplatz 

und bescheidenen Wohlstand, 

den sie vor allem für die Bildung 

ihrer Kinder einsetzten. 

Die Söhne besuchten wie der Vater 

höhere Schulen in Deutschland. 

Die Familie sprach und las zu Hause 

Polnisch und Deutsch, nicht Jiddisch. 

Besonders die Mutter vermittelte den Kindern 

die klassische und romantische 

deutsche und polnische Dichtung.


Rosa erhielt eine umfassende humanistische Bildung 

und lernte neben Polnisch, Deutsch und Russisch 

auch Latein und Altgriechisch. 

Sie beherrschte Französisch, konnte Englisch lesen 

und Italienisch verstehen. 

Sie kannte die bedeutenden Literaturwerke Europas, 

rezitierte Gedichte, war eine gute Zeichnerin, 

interessierte sich für Botanik und Geologie, 

sammelte Pflanzen und Steine und liebte Musik, 

besonders die Oper und die Lieder von Hugo Wolf. 

Zu ihren zeitlebens geachteten Autoren 

gehörte Adam Mickiewicz.


1873 zog die Familie nach Warschau. 

1874 wurde ein Hüftleiden der Tochter 

irrtümlich als Tuberkulose diagnostiziert 

und falsch behandelt. 

Dadurch blieb ihre Hüfte deformiert, 

sodass sie fortan leicht hinkte. 

Mit fünf Jahren, während der vom Arzt verordneten 

fast einjährigen Bettruhe, 

lernte sie autodidaktisch Lesen und Schreiben. 

Mit neun Jahren übersetzte sie deutsche Geschichten 

ins Polnische, schrieb Gedichte und Novellen. 

Mit 13 Jahren schrieb sie in polnischer Sprache 

ein sarkastisches Gedicht über Kaiser Wilhelm I., 

der damals Warschau besuchte. 

Darin duzte sie ihn und forderte:


„Sage deinem listigen Lumpen Bismarck,

Tue es für Europa, Kaiser des Westens,

Befiehl ihm, dass er die Friedenshose

Nicht zuschanden macht“.


Ab 1884 besuchte Rosa 

das Zweite Frauengymnasium in Warschau, 

das nur in Ausnahmefällen polnische, 

noch seltener jüdische Mädchen aufnahm 

und in dem nur Russisch gesprochen werden durfte. 

Auch deshalb engagierte sie sich ab 1886 

in einem geheimen Fortbildungskreis. 

Dort lernte sie die 1882 gegründete 

marxistische Gruppe „Proletariat“ kennen, 

die sich vom antizaristischen Terror 

der russischen Narodnaja Wolja abgrenzte, 

aber wie diese staatlich verfolgt 

und aufgelöst wurde. Nur im Untergrund 

arbeiteten einige Teilgruppen weiter, 

darunter die 1887 von Martin Kasprzak 

gegründete Warschauer Gruppe „Zweites Proletariat“. 

Dieser trat Rosa Luxemburg bei, 

ohne dies zu Hause und in der Schule zu verbergen. 

Dort las sie erstmals Schriften von Karl Marx, 

die damals illegal nach Polen gebracht 

und ins Polnische übersetzt wurden. 

1888 bestand sie das Abitur als Klassenbeste 

und mit der höchsten Note „ausgezeichnet“. 

Die ihr zustehende Goldmedaille 

verweigerte die Schulleitung 

„wegen oppositioneller Haltung 

gegenüber den Behörden“. 

Im Dezember 1888 floh sie vor der Zarenpolizei, 

die ihre Mitgliedschaft im verbotenen „Proletariat“ 

entdeckt hatte, aus Warschau 

und schließlich mit Hilfe Kasprzaks 

aus Polen in die Schweiz.


Im Februar 1889 zog Rosa Luxemburg 

nach Oberstrass bei Zürich, 

weil im deutschsprachigen Raum 

nur an der Universität Zürich 

Frauen und Männer gleichberechtigt studieren durften. 

Ab Oktober 1889 belegte sie Philosophie, 

Mathematik, Botanik und Zoologie. 

1892 wechselte sie in die Rechtswissenschaft, 

wo sie Völkerrecht, allgemeines Staatsrecht 

und Versicherungsrecht belegte. 

1893 schrieb sie sich zudem 

in Staatswissenschaften ein. 

Dort belegte sie Volkswirtschaftslehre 

mit den Schwerpunkten Finanzwissenschaft, 

Wirtschafts- und Börsenkrisen. 

Ferner studierte sie allgemeine Verwaltungslehre 

und Geschichtswissenschaft, 

hier vor allem Mittelalter 

und Diplomatie-Geschichte seit 1815. 

Sie studierte vor allem Adam Smith, David Ricardo 

und Das Kapital von Karl Marx. 

Sie war schon vor Studienbeginn 

überzeugte Marxistin.


Zürich war attraktiv 

für viele politisch verfolgte 

ausländische Sozialisten. 

Rosa Luxemburg fand rasch Kontakt 

zu deutschen, polnischen und russischen 

Emigrantenvereinen, die vom Schweizer Exil aus 

den revolutionären Sturz 

ihrer Regierungen vorzubereiten versuchten. 

Sie wohnte im Haus der Familie Carl Lübecks (SPD), 

der nach seiner Verurteilung 

im Leipziger Hochverratsprozess 1872 emigriert war. 

Durch ihn gewann sie Einblick 

in die Entwicklung der SPD. 

Sie lernte unter anderen die russischen Marxisten 

Pawel Axelrod und Georgi Plechanow kennen 

und bildete einen Freundes- und Gesprächskreis, 

der regelmäßige Kontakte zwischen emigrierten 

Studenten und Arbeitern pflegte.


Ab 1891 hatte sie eine Liebesbeziehung 

zu dem polnischen Marxisten Leo Jogiches. 

Er war bis 1906 ihr Partner 

und blieb ihr zeitlebens politisch eng verbunden. 

Er brachte ihr seine konspirativen Methoden bei 

und finanzierte ihr Studium mit. 

Sie half ihm beim Übersetzen marxistischer Texte 

ins Russische, die er in Konkurrenz 

zu Plechanow nach Polen 

und Russland schmuggelte. 

Plechanow isolierte Jogiches daraufhin 

in der russischen Emigrantenszene. 

Rosa Luxemburgs anfängliche Vermittlungsversuche 

schlugen fehl.


1892 gründeten mehrere illegale 

polnische Splitterparteien, 

darunter auch ehemalige „Proletariat“-Angehörige, 

die Polnische Sozialistische Partei (PPS), 

die Polens nationale Unabhängigkeit 

und Umwandlung in eine bürgerliche Demokratie anstrebte. 

Das Programm war ein Kompromiss 

aus verschiedenen Interessen, 

die aufgrund der Verfolgungssituation 

nicht ausdiskutiert worden waren. 

Im Juli 1893 gründeten Rosa Luxemburg, 

Leo Jogiches, Julian Balthasar Marchlewski 

und Adolf Warski die Pariser Exilzeitung 

„Arbeitersache“. Darin vertraten sie 

gegen das PPS-Programm 

einen streng internationalistischen Kurs: 

Die polnische Arbeiterklasse könne sich nur 

gemeinsam mit der russischen, deutschen 

und österreichischen emanzipieren. 

Nicht das Abschütteln der russischen Vorherrschaft 

in Polen, sondern die solidarische Zusammenarbeit 

zum Sturz des Zarismus, sodann des Kapitalismus 

und der Monarchie in ganz Europa 

müssten Vorrang erhalten.


Rosa Luxemburg war federführend für diese Linie. 

Als Zeitungsredakteurin durfte sie 

als polnische Delegierte am Kongress 

der 2. Internationale (1893) 

in der Tonhalle Zürich teilnehmen. 

In ihrem Bericht über die Entwicklung 

der Sozialdemokratie in Russisch-Polen 

seit 1889 betonte sie, Polens drei Teile 

seien ökonomisch mittlerweile so stark 

in die Märkte der Besatzerstaaten integriert, 

dass eine Wiederherstellung 

eines unabhängigen polnischen Nationalstaats 

ein anachronistischer Rückschritt wäre. 

Daraufhin focht der PPS-Delegierte Ignacy Daszyński 

ihren Delegiertenstatus an. 

Ihre Verteidigungsrede machte sie international bekannt: 

Sie erklärte, hinter dem innerpolnischen Streit 

stehe eine prinzipielle, alle Sozialisten 

betreffende Richtungsentscheidung. 

Ihre Gruppe vertrete den genuin marxistischen Standpunkt 

und somit das polnische Proletariat. 

Doch eine Kongressmehrheit erkannte die PPS 

als einzige legitime polnische Delegation an 

und schloss Rosa Luxemburg aus.


Daraufhin gründete sie mit ihren Freunden 

im August 1893 die Partei Sozialdemokratie 

des Königreiches Polen (SDKP). 

Der illegale Gründungsparteitag in Warschau 

vom März 1894 nahm ihren Leitartikel 

vom Juli 1893 als Parteiprogramm 

und die Arbeitersache als Presseorgan an. 

Die SDKP sah sich als direkte Nachfolgerin 

des „Proletariats“ und strebte 

in striktem Gegensatz zur PPS als Nahziel 

eine liberaldemokratische Verfassung 

für das ganze Russische Kaiserreich 

mit einer Gebietsautonomie für Polen an, 

um so eine gemeinsame polnisch-russische 

sozialistische Partei aufbauen zu können. 

Dazu sei eine enge, gleichberechtigte Zusammenarbeit 

mit den russischen Sozialdemokraten, 

deren Einigung und die Einbindung 

in die Zweite Internationale unerlässlich. 

Ein unabhängiges Polen 

sei eine illusorische Fata Morgana, 

die das polnische Proletariat 

vom internationalen Klassenkampf ablenken solle. 

Die polnischen Sozialisten sollten 

den sozialdemokratischen Parteien 

der drei Teilungsmächte beitreten 

oder sich eng an sie anschließen. 

Es gelang ihr, die SDKP in Polen zu etablieren 

und später viele PPS-Anhänger 

zu ihr hinüberzuziehen.


Rosa Luxemburg leitete die „Arbeitersache“ 

bis zu deren Einstellung im Juli 1896 

und verteidigte das SDKP-Programm im Ausland 

auch mit besonderen Aufsätzen. 

In Das unabhängige Polen und die Sache der Arbeiter 

schrieb sie: Sozialismus und Nationalismus 

seien nicht nur in Polen, sondern überhaupt 

miteinander unvereinbar. 

Nationalismus sei eine Ausflucht des Bürgertums: 

Bänden sich die Arbeiter daran, 

würden sie ihre eigene Befreiung gefährden, 

da das Bürgertum sich bei einer drohenden 

Sozialrevolution eher mit den jeweiligen Herrschern 

gegen die eigenen Arbeiter verbünden werde. 

Dabei verknüpfte sie polnische Erfahrungen 

stets mit denen anderer Länder, 

berichtete häufig über ausländische Streiks 

und Demonstrationen und versuchte so, 

ein internationales Klassenbewusstsein zu fördern. 

Seitdem war sie bei politischen Gegnern 

inner- und außerhalb der Sozialdemokratie 

verhasst und oft antisemitischen Angriffen ausgesetzt. 

So schrieben Angehörige der Gruppe 

Schwarze Hundert, ihr Gift rede 

den polnischen Arbeitern Hass 

auf das eigene Vaterland ein; 

dieser „jüdische Auswurf“ leiste 

ein „teuflisches Zerstörungswerk“ 

mit dem Ziel der „Ermordung Polens“.


Für den Kongress der Zweiten Internationale 

1896 in London verteidigte Rosa Luxemburg 

ihre Linie in sozialdemokratischen Zeitungen 

wie dem Vorwärts und der Neuen Zeit. 

Sie erreichte eine Debatte darüber 

und fand unter anderen Robert Seidel, 

Jean Jaurès und Alexander Parvus als Unterstützer. 

Karl Kautsky, Wilhelm Liebknecht 

und Victor Adler dagegen lehnten ihre Position ab. 

Adler, Vertreter des Austromarxismus, 

beschimpfte sie als „doktrinäre Gans“ 

und versuchte, eine Gegendarstellung 

in der SPD zu verbreiten. 

Beim Kongress wollte die PPS Polens Unabhängigkeit 

als notwendiges Ziel der Internationale festlegen lassen 

und verdächtigte mehrere SDKP-Vertreter 

als zaristische Geheimagenten. 

Rosa Luxemburg und die SDKP wurden diesmal jedoch 

als eigenständige Vertreter der polnischen Sozialdemokratie

zugelassen. Sie überraschte den Kongress 

mit einer Gegenresolution, wonach 

nationale Unabhängigkeit kein möglicher Programmpunkt 

einer sozialistischen Partei sein könne. 

Die Mehrheit stimmte einer Kompromissfassung zu, 

die das Selbstbestimmungsrecht der Völker 

allgemein bejahte, 

ohne Polen zu erwähnen.


Nach dem Kongress schrieb Rosa Luxemburg 

Artikel für die Sächsische Arbeiterzeitung 

über Organisationsprobleme der deutschen 

und österreichischen Sozialdemokratie 

und die Chancen der Sozialdemokratie 

im Osmanischen Reich. 

Sie plädierte für die Auflösung dieses Reichs, 

um so den Türken und weiteren Nationen 

zunächst eine kapitalistische Entwicklung zu gestatten. 

Marx und Engels hätten zwar zu ihrer Zeit recht gehabt, 

dass das zaristische Russland 

der Hort der Reaktion 

und mit allen Mitteln zu schwächen sei, 

doch die Bedingungen hätten sich geändert. 

Erneut widersprachen ihr führende Sozialdemokraten 

wie Kautsky, Plechanow und Adler öffentlich. 

So wurde sie weit über Polen hinaus 

als sozialistische Denkerin bekannt, 

mit deren Ansichten man sich auseinandersetzte.


Im Mai 1897 wurde Rosa Luxemburg 

in Zürich mit dem Prädikat magna cum laude 

zum Thema Polens industrielle Entwicklung promoviert. 

Mit empirischem Material aus Bibliotheken 

und Archiven von Berlin, Paris, Genf und Zürich 

suchte sie nachzuweisen, dass Russisch-Polen 

seit 1846 in den russischen Kapitalmarkt eingebunden 

und sein Wirtschaftswachstum vollständig 

von diesem abhängig sei. 

Damit wollte sie die Ansicht, die Wiederherstellung 

der nationalen Unabhängigkeit Polens sei illusorisch, 

mit ökonomischen Fakten untermauern, 

ohne explizit marxistisch zu argumentieren. 

Nach der Veröffentlichung wollte Rosa Luxemburg 

darauf aufbauend eine Wirtschaftsgeschichte 

Polens verfassen; das von ihr öfter erwähnte Manuskript 

dazu ging verloren, wurde aber nach ihrer Aussage 

in Erläuterungen von Franz Mehring 

zu von ihm herausgegebenen Marx-Texten 

teilweise verarbeitet. Sie setzte ihren 

kompromisslosen Kampf gegen den Nationalismus 

in der Arbeiterbewegung zeitlebens fort. 

Diese Haltung isolierte sie anfangs fast völlig 

und brachte ihr viele erbitterte Konflikte ein, 

unter anderem seit 1898 in der SPD 

und seit 1903 mit Lenin.


Um die SPD und die Arbeiter 

im deutsch besetzten Teil Polens 

wirksamer für die SDKP zu gewinnen, 

beschloss Rosa Luxemburg 1897 

gegen den Willen von Leo Jogiches, 

nach Deutschland zu ziehen. 

Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, 

heiratete sie am 19. April 1898 

den 24-jährigen Schlosser Gustav Lübeck, 

den einzigen Sohn ihrer Züricher Gastfamilie. 

Ab 12. Mai 1898 wohnte sie in der Cuxhavener Straße 2 

und trat sofort in die SPD ein, 

die in der Arbeiterbewegung 

als fortschrittlichste sozialistische Partei Europas galt. 

Sie bot dem SPD-Bezirksvorsteher Ignaz Auer an, 

Wahlkampf für die SPD bei polnischen 

und deutschen Arbeitern in Schlesien zu machen. 

Durch ihre Sprachgewandtheit 

und erfolgreiche Wahlkampfreden 

erwarb sie rasch Ansehen in der SPD 

als gefragte Spezialistin 

für polnische Angelegenheiten. 

Bei den folgenden Reichstagswahlen 

errang die SPD in Schlesien erstmals Mandate 

und brach so die bisherige Alleinherrschaft 

der katholischen Zentrumspartei.


1890 waren im Kaiserreich 

nach zwölf Jahren die Sozialistengesetze 

aufgehoben worden. Dadurch gewann die SPD 

bei Wahlen weitere Reichstagssitze. 

Die meisten SPD-Abgeordneten 

wollten die neue Legalität der SPD bewahren 

und setzten sich immer weniger 

für einen revolutionären Umsturz, 

immer mehr für die allmähliche Erweiterung 

parlamentarischer Rechte und Sozialreformen 

im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung ein. 

Das Erfurter Programm von 1891 

hielt die Sozialrevolution nur noch 

als theoretisches Fernziel fest 

und trennte den Alltagskampf für Reformen davon. 

Eduard Bernstein, Autor des praktischen Programmteils, 

rückte ab 1896 mit einer Artikelserie 

über „Probleme des Sozialismus“ in der Neuen Zeit 

vom Marxismus ab und begründete 

die später Reformismus genannte Theorie: 

Interessenausgleich und Reformen 

würden die Auswüchse des Kapitalismus mildern 

und den Sozialismus evolutionär herbeiführen, 

so dass die SPD sich auf parlamentarische Mittel 

beschränken könne. Kautsky, 

enger Freund Bernsteins und Redakteur der Neuen Zeit, 

ließ keine Kritiken an dessen Thesen abdrucken. 

Alexander Parvus, inzwischen Chefredakteur 

der Sächsischen Arbeiterzeitung, 

eröffnete daraufhin im Januar 1898 

den Revisionismusstreit mit einer polemischen 

Artikelserie gegen Bernstein.


Am 25. September 1898 wurde Parvus 

des Landes verwiesen. 

Auf seinen dringenden Wunsch zog Rosa Luxemburg 

nach Dresden und übernahm die Chefredaktion 

der Sächsischen Arbeiterzeitung. 

Daher durfte sie beim folgenden SPD-Parteitag 

in Stuttgart (1898) zu allen Tagesthemen, 

nicht nur zum Thema Polen reden. 

Erstmals griff sie dort in die Bernsteindebatte ein, 

positionierte sich auf dem marxistischen Parteiflügel, 

betonte dessen Übereinstimmung 

mit dem Parteiprogramm 

und wies den Debattenstil zurück: 

Persönliche Polemik zeige nur 

das Fehlen von Sachargumenten. 

Der Parteivorstand um August Bebel 

vermied eine programmatische Entscheidung. 

In den Folgewochen veröffentlichte sie 

eine eigene Artikelserie gegen Bernsteins Theorie, 

die später in ihr Buch Sozialreform 

oder Revolution? einging. 

Darin vertrat sie eine konsequent 

klassenkämpferische Haltung: 

Echte Sozialreformen müssten das Ziel 

der sozialen Revolution stets 

im Auge behalten und ihm dienen. 

Sozialismus sei nur durch die Machtübernahme 

des Proletariats und Umwälzung 

der Produktionsverhältnisse zu erreichen.


Sie zog wieder nach Berlin 

und schrieb von dort aus regelmäßig gegen Entgelt 

anonyme Artikel für verschiedene SPD-Zeitungen 

über wichtige wirtschaftliche 

und technische Entwicklungen in aller Welt. 

Dafür recherchierte sie täglich in Bibliotheken, 

worauf sie ab Dezember 1898 zeitweise 

polizeilich überwacht wurde. 

Zu ihren engen Freunden gehörten Clara Zetkin, 

die inner- und außerhalb der SPD 

für eine selbstbestimmte 

internationale Frauenbewegung eintrat, 

und Bruno Schönlank, Chefredakteur 

der Leipziger Volkszeitung. 

Dort wies sie mit der Artikelserie Miliz und Militarismus 

im Februar 1899 die Thesen von Max Schippel zurück: 

Dieser wollte das SPD-Ziel einer Volksmiliz 

als Alternative zum kaiserlichen Militär aufgeben 

und sah die vorhandenen stehenden Heere 

als unentbehrliche ökonomische Entlastung 

und Übergang zu einem künftigen „Volksheer“ an. 

Sie kritisierte Schippels Annäherung 

an den kaiserlichen Militarismus 

als logische Folge des Bernstein’schen Revisionismus 

und dessen mangelnder Bekämpfung in der SPD. 

Sie schlug vor, die internen Protokolle 

der SPD-Reichstagsfraktion zu veröffentlichen 

und beim nächsten Parteitag 

über Schippels Thesen zu diskutieren. 

Diesmal fand sie ein positives Echo 

beim Parteivorstand. Kautsky lud sie 

im März 1899 zu sich nach Hause ein 

und schlug ihr ein Bündnis 

gegen militaristische Tendenzen in der SPD vor. 

Wilhelm Liebknecht erlaubte ihr 

ein Referat über den aktuellen Kurs 

der Regierung und der SPD in Berlin. 

Bebel traf sich mit ihr, unterstützte ihre Forderungen, 

lehnte aber eine eigene Stellungnahme weiterhin ab, 

weil er Wahleinbußen für die SPD fürchtete. 

Damit hatte die Parteiführung sie 

als Dialogpartnerin anerkannt. 

Sie nutzte dies, um für mehr Akzeptanz 

der SDKP-Positionen zu werben.


Vom 4. bis 8. April 1899 antwortete Rosa Luxemburg 

auf Bernsteins neues Buch 

Die Voraussetzungen des Sozialismus 

und die Aufgaben der Sozialdemokratie 

mit einer zweiten Artikelserie zum Thema 

Sozialreform oder Revolution? 

in der Leipziger Volkszeitung. 

Darin bejahte sie den Alltagskampf der SPD 

um Reformen als notwendiges Mittel 

zum Zweck der Abschaffung 

des ausbeuterischen Lohnsystems. 

Bernstein habe diesen Zweck aufgegeben 

und das Mittel des Klassenkampfs, 

die Reformen, zum Selbstzweck gemacht. 

Damit habe er im Grunde die Mission der SPD 

für historisch überholt erklärt. 

Die SPD gäbe sich selbst auf, würde sie dem folgen. 

Die Marx’sche Krisentheorie bleibe aktuell, 

da das Wachstum der Produktivkräfte 

im Kapitalismus zwangsläufig 

periodische Absatzkrisen erzeuge und Kredite 

und Unternehmerorganisationen diese Krisen 

nur auf zwischenstaatliche Konkurrenz verlagerten, 

aber nicht aufhöben. Sie forderte 

die „Revisionisten“ auf, die SPD zu verlassen, 

weil sie das Parteiziel aufgegeben hätten. 

Dafür fand sie viel Zustimmung in der SPD. 

Mehrere SPD-Wahlkreise beantragten 

den Ausschluss der Revisionisten.


Beim Reichsparteitag in Hannover (1899) 

bekräftigte Bebel als Hauptredner 

das Erfurter Programm, 

die freie und kritische Diskussion 

über die Marx’sche Theorie 

und lehnte den Ausschluss der Revisionisten ab. 

Rosa Luxemburg stimmte ihm weitgehend zu: 

Da die Revisionisten die SPD-Position 

ohnehin nicht bestimmten, 

sei ihr Ausschluss nicht notwendig. 

Es genüge, sie ideologisch in die Schranken zu weisen. 

Eine proletarische Revolution bedeute 

die Aussicht auf ein Geringstmaß an Gewalt; 

wieweit diese notwendig werde, 

bestimme der Gegner.

Seit dieser innerparteilichen Auseinandersetzung 

war Rosa Luxemburg als scharfzüngige 

und intelligente Gegnerin 

der „Revisionisten“ bekannt, 

geachtet und zum Teil auch gefürchtet. 

Sie erfuhr als Jüdin aus dem Ausland 

viel Ablehnung in der SPD.


1900 starb ihr Vater. 

Auf ihr Verlangen zog Leo Jogiches zu ihr nach Berlin. 

Sie löste ihre Ehe mit Gustav Lübeck auf. 

1903 wurde sie Mitglied 

im Internationalen Sozialistischen Bureau. 

Im Reichstagswahlkampf 1903 

behauptete Kaiser Wilhelm II., 

er verstehe die Probleme der deutschen Arbeiter 

besser als jeder Sozialdemokrat. 

Darauf antwortete Rosa Luxemburg 

in einer Wahlkampfrede: 

„Der Mann, der von der guten und gesicherten Existenz 

der deutschen Arbeiter spricht, 

hat keine Ahnung von den Tatsachen.“ 

Dafür wurde sie im Juli 1904 

wegen „Majestätsbeleidigung“ 

zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, 

von denen sie sechs Wochen verbüßen musste. 

1904 kritisierte sie in der russischen Zeitung Iskra 

erstmals Lenins zentralistisches Parteikonzept

(Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie). 

Als Vertreterin der SPD und der SDKP 

setzte sie beim Kongress der Zweiten Internationale 

in Amsterdam klassenkämpferische 

gegen reformistische Positionen durch. 

1905 wurde sie Redakteurin 

bei der SPD-Parteizeitung Vorwärts. 

Im Dezember 1905 reiste sie unter dem Pseudonym 

„Anna Matschke“ mit Leo Jogiches nach Warschau, 

um die russische Revolution 1905 zu unterstützen 

und die SDKP zur Teilnahme daran zu bewegen. 

Im März 1906 wurde sie verhaftet. 

Es gelang ihr, ein Kriegsgerichtsverfahren 

mit drohender Todesstrafe abzuwenden. 

Nach ihrer Freilassung gegen eine hohe Kaution 

reiste sie nach Petersburg und traf dort 

russische Revolutionäre, darunter Lenin.


In diesem Zusammenhang 

warfen polnische Nationalisten ihr öffentlich vor, 

sie lenke den „jüdischen“ internationalistischen Flügel 

der Sozialdemokratie, der eine Verschwörung 

zur Zerstörung Kongresspolens betreibe. 

Der Antisemit Niemojewski machte das Judentum 

für den Sozialismus verantwortlich. 

Rosa Luxemburg erreichte daraufhin, 

dass führende westeuropäische Sozialdemokraten 

(der Franzose Jean Jaurès sowie 

August Bebel, Karl Kautsky, Franz Mehring) 

gemeinsam den Antisemitismus als Ideologie 

des reaktionären Bürgertums verwarfen.


Sie warnte frühzeitig vor einem kommenden Krieg 

der europäischen Großmächte, 

griff immer stärker den deutschen Militarismus 

und Imperialismus an und versuchte, 

ihre Partei zu einem energischen 

Gegenkurs zu verpflichten. 

1906 wurde sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft Weimar 

wegen „Anreizung verschiedener Klassen 

der Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten“ 

in einer SPD-Parteitagsrede 

zu zwei Monaten Haft verurteilt, die sie voll verbüßte. 

Ihre Erfahrungen mit der russischen Revolution 

verarbeitete sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 

in der Schrift Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. 

Um die „internationale Solidarität der Arbeiterklasse“ 

gegen den Krieg einzuüben, 

forderte sie darin von der SPD die Vorbereitung 

des Generalstreiks nach polnisch-russischem Vorbild. 

Zugleich setzte sie ihr internationales Engagement fort 

und nahm 1907 mit Leo Jogiches 

am fünften Parteitag der russischen Sozialdemokraten 

in London teil. Beim folgenden Kongress 

der Zweiten Internationale in Stuttgart 

brachte sie erfolgreich eine Resolution ein, 

die gemeinsames Handeln aller europäischen 

Arbeiterparteien gegen den Krieg vorsah.


Ab 1907 unterhielt sie eine mehrjährige 

Liebesbeziehung zu Kostja Zetkin, 

aus der etwa 600 Briefe erhalten sind.


Ebenfalls ab 1907 lehrte sie als Dozentin 

für Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie 

an der SPD-Parteischule in Berlin, 

1911 kam noch das auf ihre Anregung hin 

eingeführte Unterrichtsfach 

„Geschichte des Sozialismus“ hinzu. 

Einer ihrer Schüler war der spätere KPD-Gründer 

und DDR-Präsident Wilhelm Pieck. 

Als die SPD sich beim Aufstand 

der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, 

dem heutigen Namibia, klar 

gegen den Kolonialismus und Imperialismus 

des Kaiserreichs aussprach, 

verlor sie bei der Reichstagswahl 1907 – 

den sogenannten „Hottentotten-Wahlen“ – 

rund ein Drittel ihrer Reichstagssitze. 

Doch den Generalstreik als politisches Kampfmittel 

lehnten SPD- und Gewerkschaftsführung 

weiterhin strikt ab. Darüber zerbrach 1910 

Rosa Luxemburgs Freundschaft mit Karl Kautsky. 

Damals machten Berichte der New York Times 

über den Sozialistenkongress in Magdeburg 

sie auch in den USA bekannt.


1912 reiste sie als Vertreterin der SPD 

zu europäischen Sozialistenkongressen, 

darunter dem in Paris, wo sie und Jean Jaurès 

die europäischen Arbeiterparteien 

zu einer feierlichen Verpflichtung brachten, 

beim Kriegsausbruch zum Generalstreik aufzurufen. 

Als der Balkankrieg 1913 

fast schon einen Weltkrieg auslöste, 

organisierte sie Demonstrationen gegen den Krieg. 

In zwei Reden in Frankfurt-Bockenheim 

am 25. September und in Fechenheim 

bei Frankfurt am Main am 26. September 1913 

rief sie eine Menge von Hunderttausenden 

zu Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung auf: 

„Wenn uns zugemutet wird, 

die Mordwaffen gegen unsere französischen 

oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, 

so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“ 

Daher wurde sie der „Aufforderung 

zum Ungehorsam gegen Gesetze 

und Anordnungen der Obrigkeit“ angeklagt 

und im Februar 1914 zu insgesamt 14 Monaten 

Gefängnis verurteilt. Ihre Rede 

vor der Frankfurter Strafkammer 

wurde später unter dem Titel 

Militarismus, Krieg und Arbeiterklasse veröffentlicht. 

Vor dem Haftantritt konnte sie Ende Juli 

noch an einer Sitzung des Internationalen 

Sozialistischen Büros teilnehmen. 

Dort erkannte sie ernüchtert: 

Auch in den europäischen Arbeiterparteien, 

vor allem den deutschen und französischen, 

war der Nationalismus stärker 

als das internationale Klassenbewusstsein.


Am 2. August, in Reaktion auf die Kriegserklärung 

des Deutschen Reiches an Russland und Frankreich 

vom Vortag, erklärten die deutschen Gewerkschaften 

einen Streik- und Lohnverzicht 

für die gesamte Dauer des bevorstehenden Krieges. 

Am 4. August 1914 stimmte die SPD-Reichstagsfraktion

einstimmig und gemeinsam 

mit den übrigen Reichstagsfraktionen 

für die Aufnahme der ersten Kriegskredite 

und ermöglichte damit die Mobilmachung. 

Rosa Luxemburg erlebte diesen Bruch 

der SPD-Vorkriegsbeschlüsse 

als schweres, folgenreiches Versagen der SPD 

und dachte deswegen an Selbstmord. 

Aus ihrer Sicht hatte der Opportunismus, 

den sie immer bekämpft hatte, gesiegt 

und das Ja zum Krieg nach sich gezogen.


Am 5. August gründete sie 

mit Hermann Duncker, Hugo Eberlein, 

Julian Marchlewski, Franz Mehring, 

Ernst Meyer und Wilhelm Pieck 

die „Gruppe Internationale“, 

der sich wenig später auch Karl Liebknecht anschloss. 

Darin sammelten sich diejenigen Kriegsgegner der SPD, 

die deren Stillhaltepolitik komplett ablehnten. 

Sie versuchten, die Partei zur Rückkehr 

zu ihren Vorkriegsbeschlüssen 

und zur Abkehr von der Burgfriedenspolitik zu bewegen, 

einen Generalstreik für einen Friedensabschluss 

vorzubereiten und so auch einer internationalen 

proletarischen Revolution näherzukommen. 

Daraus ging 1916 die reichsweite 

„Spartakusgruppe“ hervor, deren Spartakusbriefe 

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 

gemeinsam herausgaben.


Rosa Luxemburg musste am 18. Februar 1915 

die Haftstrafe im Berliner Weibergefängnis antreten, 

die sie für ihre in Frankfurt am Main gehaltene Rede 

erhalten hatte. Ein Jahr später wurde sie entlassen. 

Schon drei Monate später wurde sie 

nach dem damaligen Schutzhaft-Gesetz 

zur „Abwendung einer Gefahr 

für die Sicherheit des Reichs“ 

zu insgesamt zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. 

Im Juli 1916 begann ihre „Sicherungsverwahrung“. 

Drei Jahre und vier Monate verbrachte sie 

zwischen 1915 und 1918 im Gefängnis. 

Sie wurde zweimal verlegt, 

zuerst nach Wronke nahe Posen, 

dann nach Breslau. 

Dort sammelte sie Nachrichten aus Russland 

und verfasste einige Aufsätze, 

die ihre Freunde herausschmuggelten 

und illegal veröffentlichten. 

In ihrem Aufsatz Die Krise der Sozialdemokratie, 

erschienen im Juni 1916 unter dem Pseudonym Junius, 

rechnete sie mit der „bürgerlichen Gesellschaftsordnung“ 

und der Rolle der SPD ab, 

deren reaktionäres Wesen der Krieg offenbart habe. 

Lenin kannte diese Schrift und antwortete positiv darauf, 

ohne zu ahnen, wer sie verfasst hatte.


Im Februar 1917 weckte der revolutionäre Sturz 

des Zaren in Russland Hoffnungen 

auf ein baldiges Kriegsende. 

Die Provisorische Regierung setzte den Krieg 

gegen Deutschland jedoch fort. 

Dort kam es im März in vielen Städten 

zu monatelangen Protesten und Massenstreiks: 

zuerst gegen die Mangelwirtschaft, 

dann gegen Lohnverzicht 

und schließlich gegen den Krieg und die Monarchie. 

Im April 1917 erfolgte der Kriegseintritt der USA. 

Nun gründeten die Kriegsgegner, 

die die SPD ausgeschlossen hatte, 

die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 

die rasch Zulauf gewann. 

Obwohl der Spartakusbund die Parteispaltung 

bis dahin abgelehnt hatte, 

trat er nun der neuen Linkspartei bei. 

Er behielt seinen Gruppenstatus, 

um weiterhin konsequent 

für eine internationale sozialistische Revolution 

werben zu können. Diesem Ziel folgten 

nur wenige USPD-Gründer.


Während die SPD-Führung erfolglos versuchte, 

die Oberste Heeresleitung (OHL) 

zu Friedensverhandlungen 

mit US-Präsident Woodrow Wilson zu gewinnen, 

ermöglichte diese Lenin die Durchreise 

aus seinem Schweizer Exil 

nach Sankt Petersburg. 

Dort gewann er die Führung der Bolschewiki 

und bot den Russen einen sofortigen Separatfrieden 

mit Deutschland an. 

Damit gewannen die Bolschewiki 

eine Mehrheit im Volkskongress, 

doch nicht in der Duma, 

dem russischen Nationalparlament. 

In der Oktoberrevolution besetzten sie es, 

lösten es auf und setzten die Arbeiterräte 

(Sowjets) als Regierungsorgane ein.


Rosa Luxemburg ließ sich fortlaufend 

über diese Ereignisse informieren 

und schrieb dazu den Aufsatz 

Zur russischen Revolution. 

Darin begrüßte sie Lenins Revolution, 

kritisierte aber zugleich scharf seine Strategie 

und warnte vor einer Diktatur der Bolschewiki. 

In diesem Zusammenhang formulierte sie 

den berühmten Satz: „Freiheit 

ist immer Freiheit des Andersdenkenden.“ 

Erst 1922 veröffentlichte ihr Freund 

Paul Levi diesen Aufsatz. 

Trotz ihrer Vorbehalte rief sie nun unermüdlich 

zu einer deutschen Revolution 

nach russischem Vorbild auf 

und forderte eine „Diktatur des Proletariats“, 

grenzte diesen Begriff aber gegen Lenins 

Avantgardekonzept ab. 

Sie verstand darunter die demokratische 

Eigenaktivität der Arbeiter 

im Revolutionsprozess, 

Betriebsbesetzungen, Selbstverwaltung 

und politische Streiks 

bis zur Verwirklichung 

sozialistischer Produktionsverhältnisse.


Im Januarstreik 1918 bildeten sich 

in vielen bestreikten Betrieben 

eigenständige Arbeitervertreter heraus, 

die revolutionären Obleute. 

Immer mehr Deutsche lehnten 

die Fortsetzung des Krieges ab. 

Nach dem Durchbruch der Triple Entente 

an der Westfront am 8. August 1918 

beteiligte die kaiserliche Regierung 

auf Verlangen der Obersten Heeresleitung (OHL) 

am 5. Oktober erstmals den Reichstag 

an ihren Entscheidungen. 

Max von Baden wurde Reichskanzler, 

mehrere Sozialdemokraten traten 

in die Regierung ein. 

Diese bat die Entente um Waffenstillstandsverhandlungen. 

Die Spartakisten sahen diese Verfassungsänderung 

als Täuschungsmanöver zur Abwehr 

der kommenden Revolution 

und stellten am 7. Oktober reichsweit 

ihre Forderungen nach einem grundlegenden 

Umbau der Gesellschafts- und Staatsordnung.


Die Novemberrevolution erreichte am 9. November 

Berlin, wo Philipp Scheidemann 

eine deutsche, der vorzeitig 

aus dem Gefängnis entlassene Karl Liebknecht 

eine sozialistische Republik ausriefen. 

Rosa Luxemburg wurde am 8. November 

aus der Breslauer Haft entlassen 

und traf am 10. November in Berlin ein. 

Karl Liebknecht hatte bereits 

den Spartakusbund reorganisiert. 

Beide gaben gemeinsam die Zeitung 

Die Rote Fahne heraus, 

um täglich auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. 

In einem ihrer ersten Artikel forderte Rosa Luxemburg 

eine Amnestie für alle politischen Gefangenen 

und die Abschaffung der Todesstrafe. 

Am 18. November schrieb sie: 

„Der Bürgerkrieg, den man aus der Revolution 

mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, 

lässt sich nicht verbannen. 

Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name 

für Klassenkampf, und der Gedanke, 

den Sozialismus ohne Klassenkampf, 

durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß 

einführen zu können, ist eine lächerliche 

kleinbürgerliche Illusion.“ 

Sie trat damals für den Schutz der Berliner Kulturgüter 

gegen Plünderer ein und sorgte dafür, 

dass eine Wache für die Berliner 

Museumsinsel abgestellt wurde.


Ebert hatte sich am Abend des 10. November 

mit Ludendorffs Nachfolger, 

General Wilhelm Groener, 

im Ebert-Groener-Pakt heimlich 

auf eine Zusammenarbeit gegen Versuche 

einer Entmachtung der kaiserlichen Offiziere 

und weitergehenden Revolution verständigt 

und beorderte Anfang Dezember 

ehemalige Fronttruppen nach Berlin. 

Diese sollten unerwünschte Ergebnisse 

des geplanten Reichsrätekongresses vereiteln, 

der eine neue Verfassung und Wahlen 

vorbereiten sollte. Am 6. Dezember 

erschossen Soldaten dieser Truppen 

bei Straßenkämpfen demonstrierende Arbeiter. 

Am 10. Dezember zog 

die Garde-Kavallerie-Schützen-Division 

in Berlin ein. Rosa Luxemburg vermutete, 

dass Ebert diese Reichswehreinheiten 

gegen Berliner Arbeiter einzusetzen vorhatte, 

und forderte daraufhin im Artikel 

Was will der Spartakusbund? 

am 14. Dezember in der Roten Fahne 

alle Macht für die Räte, 

die möglichst gewaltlose Entwaffnung 

und die Umerziehung 

der heimgekehrten Soldaten.


Beim Reichsrätekongress 

vom 16. bis zum 20. Dezember 

waren nur zehn Spartakisten vertreten. 

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 

erhielten kein Rederecht. 

Eine Mehrheit stimmte gemäß 

dem breiten Bevölkerungswillen 

für parlamentarische Wahlen 

zur Weimarer Nationalversammlung 

am 19. Januar 1919 

und die Selbstauflösung der Arbeiterräte. 

Eine Kontrollkommission sollte das Militär überwachen, 

eine Sozialisierungskommission sollte 

die vielfach geforderte Enteignung 

kriegswichtiger Großindustrie beginnen.


Infolge der Weihnachtskämpfe vom 24. Dezember 

verließen die Mitglieder der USPD 

am 29. Dezember den Rat der Volksbeauftragten. 

Am 1. Januar 1919 gründeten die Spartakisten 

und andere linkssozialistische Gruppen 

aus dem ganzen Reich die KPD. 

Diese nahm Rosa Luxemburgs Spartakusprogramm 

kaum verändert als Parteiprogramm an. 

Darin betonte sie, dass Kommunisten 

die Macht niemals ohne erklärten 

mehrheitlichen Volkswillen ergreifen würden. 

Ihre dringende Empfehlung, 

an den kommenden Parlamentswahlen teilzunehmen, 

um auch dort für eine Fortsetzung 

der Revolution zu werben, 

lehnte eine deutliche Parteitagsmehrheit ab.


Als Ebert am 4. Januar 1919 

den Berliner Polizeipräsidenten 

Emil Eichhorn (USPD) absetzte, 

Gustav Noske mit der Aufstellung 

und Herbeirufung von Freikorps beauftragte 

und dieser immer mehr Militär 

um Berlin zusammenzog, 

riefen Revolutionäre Obleute am 5. Januar 

zu einem Generalstreik auf 

und besetzten das Berliner Zeitungsviertel, 

um zum Sturz der restlichen Übergangsregierung 

aufzurufen. Während Karl Liebknecht 

sie unterstützte und die KPD erfolglos 

Berliner Regimenter zur Teilnahme 

zu bewegen versuchte, 

hielt Rosa Luxemburg

diesen zweiten Revolutionsversuch 

für mangelhaft vorbereitet und verfrüht 

und kritisierte Liebknecht deswegen intern scharf. 

In Zeitungen kursierten seit Anfang Dezember 

Mordaufrufe gegen die Spartakusführer; 

Eduard Stadtler hatte damals mit Geldern 

der Deutschen Bank und von Friedrich Naumann 

eine „Antibolschewistische Liga“ gegründet, 

deren Antibolschewistenfonds 

ab 10. Januar 1919 Gelder 

der deutschen Wirtschaft erhielt. 

Damit wurden unter anderem die Anwerbung 

und Ausrüstung der Freikorps 

sowie Belohnungen zur Festsetzung 

und Ermordung von Spartakisten bezahlt. 

Der Vorwärts rief zur „Stunde der Abrechnung“ 

mit ihnen auf. Vermittlungsgespräche 

zwischen dem Revolutionskomitee 

und der Übergangsregierung scheiterten. 

Von Noske befehligte kaiserliche Truppen 

schlugen den sogenannten Spartakusaufstand 

vom 8. bis 12. Januar gewaltsam nieder 

und erschossen Hunderte von Aufständischen, 

darunter auch viele Unbewaffnete, 

die sich schon ergeben hatten. 

Die Spartakusführer mussten untertauchen, 

blieben aber in Berlin.


In ihren letzten Lebenstagen ging es 

Rosa Luxemburg gesundheitlich sehr schlecht, 

trotzdem verfolgte sie noch aktiv 

das revolutionäre Geschehen. 

In ihrer letzten Veröffentlichung 

in der Roten Fahne bekräftigte sie nochmals 

ihr unbedingtes Vertrauen in die Arbeiterklasse; 

sie werde aus ihren Niederlagen lernen 

und sich bald wieder zum „Endsieg“ erheben.


Am 15. Januar 1919 nahm eine „Bürgerwehr“, 

die über genaue Steckbriefe verfügte, 

sie und Karl Liebknecht 

in einer Wohnung der Mannheimer Straße 27 

in Wilmersdorf fest und brachte sie 

in das Eden-Hotel. 

Dort residierte der Stab 

der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, 

der die Verfolgung von Spartakisten 

in Berlin organisierte. 

Die Gefangenen wurden nacheinander verhört 

und dabei schwer misshandelt. 

Kommandant Waldemar Pabst 

beschloss mit seinen Offizieren, 

sie zu ermorden; der Mord 

sollte nach einer spontanen Tat 

Unbekannter aussehen. 

Der am Haupteingang bereitstehende Jäger 

Otto Wilhelm Runge schlug Rosa Luxemburg 

beim Verlassen des Hotels 

mit einem Gewehrkolben zweimal, 

bis sie bewusstlos war. 

Sie wurde in einen bereitstehenden Wagen geworfen. 

Der Freikorps-Leutnant Hermann Souchon 

sprang bei ihrem Abtransport 

auf das Trittbrett des Wagens auf 

und erschoss sie 

mit einem aufgesetzten Schläfenschuss 

etwa an der Ecke Nürnberger Straße/Kurfürstendamm. 

Kurt Vogel ließ ihre Leiche 

in den Berliner Landwehrkanal 

in der Nähe der Lichtensteinbrücke werfen.




FÜNFTER GESANG


Clara wurde als älteste Tochter 

von Josephine Vitale, 

deren Vater Jean Dominique 

durch die Französische Revolution 1789 

und seine Teilnahme an Napoleons Kriegen geprägt war, 

und Gottfried Eißner, 

Sohn eines Tagelöhners 

und Dorfschullehrers von Wiederau, geboren. 

Ihre Mutter stand mit Pionierinnen 

der damals entstandenen bürgerlichen Frauenbewegung 

in Kontakt, insbesondere Louise Otto-Peters 

und Auguste Schmidt, las Bücher von George Sand 

und gründete in Wiederau einen Verein 

für Frauengymnastik. 

Die Familie siedelte 1872 nach Leipzig über, 

um ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen.

Ab 1874 hatte die in Leipziger Privatseminaren ausgebildete

Volksschullehrerin Kontakte zur Frauen- und Arbeiterbewegung.

Clara Eißner trat 1878 der Sozialistischen Arbeiterpartei

Deutschlands bei, die 1890 in SPD umbenannt wurde. 

Wegen des Sozialistengesetzes (1878–1890), 

das sozialdemokratische Aktivitäten 

außerhalb der Landtage und des Reichstags verbot, 

ging sie 1882 zuerst nach Zürich, 

dann nach Paris ins Exil. 

Dort nahm sie den Namen ihres Lebenspartners, 

des russischen Revolutionärs Ossip Zetkin an, 

mit dem sie zwei Söhne hatte, 

Maxim Zetkin und Kostja Zetkin.


In ihrer Zeit in Paris hatte sie 1889 

während des Internationalen Arbeiterkongresses 

einen bedeutenden Anteil an der Gründung 

der Sozialistischen Internationale.


Im Herbst 1890 kehrte die Familie 

nach Deutschland zurück 

und ließ sich in Sillenbuch bei Stuttgart nieder. 

Dort arbeitete Clara Zetkin als Übersetzerin 

und seit 1892 als Herausgeberin 

der Frauenzeitschrift Die Gleichheit.


Nach dem Tode Ossip Zetkins heiratete sie 1899 

42-jährig in Stuttgart den 24-jährigen 

Kunstmaler Friedrich Zundel aus Wiernsheim. 

Nach zunehmender Entfremdung 

wurde die Ehe 1927 geschieden.


1907 lernte Clara Zetkin 

anlässlich des Internationalen Sozialistenkongresses 

in Stuttgart den russischen Kommunisten Lenin kennen, 

mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband.


In der SPD gehörte sie zusammen 

mit ihrer engen Vertrauten, Freundin 

und Mitstreiterin Rosa Luxemburg 

wortführend zum revolutionären linken Flügel der Partei 

und wandte sich mit ihr um die Jahrhundertwende 

zum 20. Jahrhundert in der Revisionismusdebatte 

entschieden gegen die reformorientierten 

Thesen Eduard Bernsteins.


Einer ihrer politischen Schwerpunkte 

war die Frauenpolitik. 

Hierzu hielt sie beim Gründungskongress 

der Zweiten Internationalen 

am 19. Juli 1889 ein berühmt gewordenes Referat, 

in dem sie die Forderungen 

der bürgerlichen Frauenbewegung 

nach Frauenwahlrecht, freier Berufswahl 

und besonderen Arbeitsschutzgesetzen für Frauen, 

wie sie um Helene Lange und Minna Cauer 

vertreten wurden, im Rahmen 

des herrschenden Systems kritisierte:


„Wir erwarten unsere volle Emanzipation 

weder von der Zulassung der Frau zu dem, 

was man freie Gewerbe nennt, 

und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – 

obgleich die Forderung dieser beiden Rechte 

nur natürlich und gerecht ist – 

noch von der Gewährung politischer Rechte. 

Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, 

freie und direkte Wahlrecht existiert, 

zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. 

Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit 

ist nicht mehr und nicht weniger 

als ein Wechsel, der keinen Kurs hat. 

Wenn die soziale Emanzipation 

von den politischen Rechten abhinge, 

würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht 

keine soziale Frage existieren. 

Die Emanzipation der Frau 

wie die des ganzen Menschengeschlechtes 

wird ausschließlich das Werk der Emanzipation 

der Arbeit vom Kapital sein. 

Nur in der sozialistischen Gesellschaft 

werden die Frauen wie die Arbeiter 

in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.“


Damit erklärte Zetkin die fehlende Gleichberechtigung 

der Geschlechter zu einem Nebenwiderspruch 

der herrschenden sozialen und ökonomischen Bedingungen, 

den sie dem Hauptwiderspruch zwischen Kapital 

und Arbeit unterordnete. 

Ihre Verschiebung der formalpolitischen Emanzipation 

der Frau auf die Zeit nach der Revolution 

vertiefte die Konflikte der deutschen Frauenbewegung 

vor dem Ersten Weltkrieg 

und führte zu langwierigen Auseinandersetzungen 

mit anderen, gemäßigteren Protagonistinnen 

auch innerhalb der sozialdemokratischen Frauenbewegung, 

etwa mit Lily Braun oder Luise Zietz.


Zetkin war von 1891 bis 1917 

Herausgeberin der SPD-Frauenzeitung Die Gleichheit, 

in deren programmatischer Eröffnungsnummer 

sie sich erneut gegen die reformistische Vorstellung wandte, 

durch rechtliche Gleichstellung mit den Männern 

unter Beibehaltung des Kapitalismus einen Fortschritt 

für die Frauen erreichen zu wollen:


„Die Gleichheit geht von der Überzeugung aus, 

dass der letzte Grund der jahrtausendealten 

niedrigen gesellschaftlichen Stellung 

des weiblichen Geschlechts nicht 

in der jeweils von Männern gemachten Gesetzgebung, 

sondern in den durch wirtschaftliche Zustände 

bedingten Eigentumsverhältnisse zu suchen ist. 

Mag man heute unsere gesamte Gesetzgebung 

dahin abändern, dass das weibliche Geschlecht 

rechtlich auf gleichen Fuß mit dem männlichen gestellt wird, 

so bleibt nichtsdestoweniger für die große Masse 

der Frauen die gesellschaftliche Versklavung 

in härtester Form weiterbestehen: 

ihre wirtschaftliche Abhängigkeit 

von ihren Ausbeutern.“


Später revidierte sie diese rigide Haltung 

und trat nun ebenfalls für das Frauenwahlrecht ein, 

das bereits seit 1891 zentraler Bestandteil 

des Parteiprogramms der SPD war.


1907 wurde ihr die Leitung 

des neu gegründeten Frauensekretariats 

der SPD übertragen.

Beim Internationalen Sozialistenkongress, 

der im August 1907 in Stuttgart stattfand, 

wurde die Gründung der Sozialistischen 

Fraueninternationale beschlossen, 

mit Clara Zetkin als Internationaler Sekretärin. 

Auf der Zweiten Internationalen 

Sozialistischen Frauenkonferenz 

am 27. August 1910 in Kopenhagen 

initiierte sie gegen den Willen 

ihrer männlichen Parteikollegen, 

gemeinsam mit Käte Duncker, 

den Internationalen Frauentag, 

der erstmals im folgenden Jahr 

am 19. März 1911 begangen werden sollte 

(ab 1921 am 8. März).


Zusammen mit Franz Mehring, 

Rosa Luxemburg und sehr wenigen weiteren 

SPD-Politikern stimmte Zetkin 1914 

kurz vor Beginn des Krieges 

gegen die Bewilligung der Kriegskredite. 

Sie blieb damit dem Grundsatz 

der Zweiten Internationale treu, 

keinen Angriffskrieg zu unterstützen 

und stand fortan im Widerspruch 

zur großen Mehrheit der im Reichstag vertretenen SPD. 

In der Zeit des Ersten Weltkriegs 

lehnte Zetkin mit Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, 

Franz Mehring und wenigen anderen 

einflussreichen SPD-Politikern 

die Burgfriedenspolitik ihrer Partei ab. 

Neben anderen Aktivitäten gegen den Krieg 

organisierte sie 1915 in Bern 

die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen 

gegen den Krieg. 

In diesem Zusammenhang entstand 

das maßgeblich von ihr ausformulierte 

Anti-Kriegs-Flugblatt „Frauen des arbeitenden Volkes!“, 

das außerhalb der Schweiz polizeilich gesucht wurde. 

Wegen ihrer Antikriegshaltung 

wurde Clara Zetkin während des Krieges 

mehrfach inhaftiert, ihre Post beschlagnahmt 

und ihre Söhne, beide Ärzte im Militärdienst, schikaniert.


Sie war ab 1916 an der ursprünglich 

von Rosa Luxemburg gegründeten 

revolutionären innerparteilichen Oppositionsfraktion 

der SPD, der Gruppe Internationale 

oder Spartakusgruppe beteiligt, 

die am 11. November 1918 

in Spartakusbund umbenannt wurde. 

1917 schloss sich Clara Zetkin der USPD 

unmittelbar nach deren Konstituierung an. 

Diese neue linkssozialdemokratische Partei 

hatte sich aus Protest 

gegen die kriegsbilligende Haltung der SPD 

von der Mutterpartei abgespalten, 

nachdem die größer gewordene Gruppe 

der Kriegsgegner aus der SPD-Reichstagsfraktion 

und der Partei ausgeschlossen worden war. 

Nach der Novemberrevolution wurde – 

ausgehend vom Spartakusbund 

und anderen linksrevolutionären Gruppen – 

am 1. Januar 1919 die Kommunistische 

Partei Deutschlands (KPD) gegründet, 

der auch Zetkin beitrat.


Von 1919 bis 1920 war Zetkin Mitglied 

der Verfassunggebenden Landesversammlung 

Württembergs und dort eine 

unter den ersten 13 weiblichen Abgeordneten. 

Sie beteiligte sich ab dem 25. Juli 1919 

am Sonderausschuss für den Entwurf 

eines Jugendfürsorgegesetzes. 

Am 25. September 1919 stimmte Zetkin 

gegen die Annahme der Verfassung 

des freien Volksstaates Württemberg.


Von 1920 bis 1933 war sie für die KPD 

im Reichstag der Weimarer Republik 

als Abgeordnete vertreten. 

Ab 1919 gab Clara Zetkin die Zeitschrift 

Die Kommunistin heraus. 

Von 1921 bis zu ihrem Tode war sie 

Präsidentin der Internationalen Arbeiterhilfe. 

In der KPD war Zetkin bis 1924 

Angehörige der Zentrale, 

und von 1927 bis 1929 des Zentralkomitees der Partei. 

Des Weiteren war sie von 1921 bis 1933 

Mitglied des Exekutivkomitee 

der Kommunistischen Internationale.

1925 wurde Zetkin außerdem zur Vorsitzenden 

der Roten Hilfe Deutschlands gewählt.


In der KPD saß Zetkin 

im Lauf ihrer politischen Tätigkeit, 

während der die dominierenden innerparteilichen Flügel 

mehrfach wechselten, oft zwischen den Stühlen, 

behielt jedoch zeitlebens einen bedeutenden 

Einfluss in der Partei. 

Im Allgemeinen wird sie von namhaften Historikern 

eher dem „rechten“ Flügel der KPD zugeordnet, 

vor allem, weil sie den ideologischen Vorgaben 

der Komintern und aus der Sowjetunion 

teilweise kritisch gegenüberstand.


So lehnte sie 1921 zusammen mit dem damaligen 

von März 1919 bis Februar 1921 amtierenden 

innerparteilich umstrittenen KPD-Vorsitzenden 

Paul Levi (Parteiausschluss Mitte 1921) 

die vom Komintern-Chef Sinowjew 

befürwortete „Offensivstrategie“ als „Putschismus“ ab. 

Bei der entsprechenden von der KPD mehrheitlich 

unterstützten Kampagne war eine revolutionär 

ausgerichtete Arbeiterrevolte, die Märzaktion 

in der Provinz Sachsen, blutig gescheitert, 

wobei über hundert Menschen 

ums Leben gekommen waren. 

Anders als die Parteivorsitzenden Levi und Ernst Däumig 

blieb sie jedoch in der KPD 

und schloss sich nicht der Kommunistischen 

Arbeitsgemeinschaft an.


Am 21. Januar 1923, kurz nach dem Beginn 

der Besetzung des Ruhrgebietes 

durch französische und belgische Truppen 

infolge der von Deutschland nicht erfolgten 

Reparationszahlungen laut den Bestimmungen 

des Versailler Vertrags von 1919, 

warf Zetkin unter der Überschrift 

Um das Vaterland der Großbourgeoisie vor, 

ihr „Verrat“ sei schuld an der krisenhaften Zuspitzung 

der Situation der Weimarer Republik 

infolge von Hyperinflation und Reparationen. 

Mit dem Flugblatt „Zur Befreiung 

des deutschen Vaterlandes“ 

rief sie zum Sturz der Regierung 

und zur Bildung einer Arbeiterregierung auf. 

Diese nationalistisch anmutenden Töne, 

die kurzzeitig dazu führten, dass Zetkin 

von einigen Parteigenossen 

der Versuch vorgeworfen wurde, 

die bürgerlichen Parteien 

mit nationalen Parolen rechts überholen zu wollen, 

wurden zwei Tage später von der Parteizentrale korrigiert. 

Darauf rief die KPD zur Solidarität der Proletarier 

in Deutschland und in Frankreich auf 

und bekräftigte damit die internationalistische 

Ausrichtung der KPD.


Im Juni 1923 erregte Zetkin 

auf der Tagung des Exekutivkomitees 

der Komintern in Moskau mit ihren Thesen 

zum Klassencharakter des Faschismus, 

der im Jahr zuvor in Italien 

an die Macht gekommen war, Aufsehen. 

Der bei vielen Marxisten verbreiteten These, 

Mussolinis Diktatur sei als „bloßer bürgerlicher Terror“ 

und als Angstreaktion der Kapitalisten 

auf die Bedrohung durch die Oktoberrevolution zu verstehen,

erteilte sie eine scharfe Absage. 

In Wahrheit habe der Faschismus

„eine andere Wurzel. Es ist das Stocken, 

der schleppende Gang der Weltrevolution 

infolge des Verrats der reformistischen Führer 

der Arbeiterbewegung. Ein großer Teil 

der proletarisierten und von der Proletarisierung 

bedrohten klein- und mittelbürgerlichen Schichten, 

der Beamten und bürgerlichen Intellektuellen 

hatte die Kriegspsychologie 

mit einer gewissen Sympathie 

für den reformistischen Sozialismus ersetzt. 

Sie erhofften vom reformistischen Sozialismus 

dank der Demokratie eine Weltwende. 

Diese Erwartungen sind bitter enttäuscht worden. 

So kam es, dass sie nicht bloß den Glauben 

an die reformistischen Führer verloren, 

sondern an den Sozialismus selbst.“


Den Nationalsozialismus bezeichnete sie 

als „Strafe“ für das Verhalten 

der deutschen Sozialdemokratie 

in der Novemberrevolution.


Im April 1925 polemisierte Zetkin 

auf einer weiteren Tagung in Moskau 

gegen die zu der Zeit aktuelle KPD-Führung 

unter Ruth Fischer und Arkadi Maslow, 

denen sie „sektiererische Politik“ vorwarf. 

Damit half sie deren Absetzung vorzubereiten. 

Nachfolger wurde im Herbst 1925 Ernst Thälmann, 

den Stalin protegierte.


Zetkin lehnte die parlamentarische Demokratie 

der Weimarer Republik strikt ab, 

die sie als „Klassendiktatur der Bourgeoisie“ 

bezeichnete. Zugleich stand sie jedoch 

auch der stalinschen Sozialfaschismusthese 

kritisch gegenüber, die ein Bündnis 

mit der Sozialdemokratie 

gegen den Nationalsozialismus verhinderte. 

Als Alterspräsidentin des Deutschen Reichstages 

führte sie den Vorsitz auf der konstituierenden Sitzung 

des Reichstages am 30. August 1932 

„in der Hoffnung trotz meiner jetzigen Invalidität 

das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin 

den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen.“ 

Trotz des vorausgehenden Wahlerfolgs für die KPD 

erkannte sie gleichwohl die Gefahr, 

die von der inzwischen stärksten Fraktion des Reichstags, 

der NSDAP, ausging, und rief in derselben Rede 

zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten auf:


„Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit 

müssen alle fesselnden und trennenden politischen,

gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen

Einstellungen zurücktreten.“


Nach der Machtergreifung durch die NSDAP 

unter Adolf Hitler und dem Ausschluss der KPD 

aus dem Reichstag infolge des Reichstagsbrands 1933 

ging Clara Zetkin noch einmal, 

das letzte Mal in ihrem Leben, ins Exil, 

diesmal in die Sowjetunion, 

wo sie bereits von 1924 bis 1929 

ihren Hauptwohnsitz gehabt hatte. 

Nach Angaben von Maria Reese, 

einer KPD-Abgeordneten des Reichstags, 

die sie dort unter Schwierigkeiten besuchte, 

lebte sie bereits parteipolitisch isoliert. 

Sie starb wenig später am 20. Juni 1933 

im Alter von fast 76 Jahren. 

Ihre Urne wurde in der Nekropole 

an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt. 

Stalin selbst trug die Urne zur Beisetzung.



SECHSTER GESANG


Von 1893 bis 1900 besuchte Thälmann 

die Volksschule. Rückblickend beschrieb er später 

Geschichte, Naturgeschichte, Volkskunde, Rechnen, 

Turnen und Sport als seine Lieblingsfächer. 

Religion hingegen mochte er nicht. 

Mitte der 1890er Jahre eröffneten seine Eltern 

ein Gemüse-, Steinkohlen- und Fuhrwerksgeschäft 

in Eilbek, einem Stadtteil von Hamburg. 

In diesem Geschäft musste er nach der Schule aushelfen. 

Seine Schularbeiten erledigte er am frühen Morgen 

vor dem Unterrichtsbeginn. Seine Erfahrungen 

im elterlichen Geschäft beschrieb er später so:


„Beim Einkaufen der Kunden im Geschäft 

bemerkte ich schon die sozialen Unterschiede 

im Volksleben. Bei den Arbeiterfrauen 

Elend, Not und teilweise Hunger bei ihren Kindern 

und geringe Einkäufe, 

bei den bemittelten Kunden größere Einkäufe.“


Trotz dieser Belastung war Thälmann 

ein guter Schüler, dem das Lernen 

viel Freude bereitete. Sein Wunsch, 

Lehrer zu werden oder ein Handwerk zu erlernen, 

erfüllte sich nicht, da seine Eltern ihm 

die Finanzierung verweigerten. 

Er musste daher weiter im Kleinbetrieb 

seines Vaters arbeiten, was ihm, 

nach eigenen Aussagen, großen Kummer bereitete. 

Durch das frühzeitige „Schuften“ 

im elterlichen Betrieb kam es zu vielen 

Auseinandersetzungen mit seinen Eltern. 

Thälmann wollte für seine Arbeit 

einen richtigen Lohn und nicht nur ein Taschengeld. 

Darum suchte er sich eine Arbeit als „Ungelernter“ 

im Hafen. Hier kam Thälmann bereits als Zehnjähriger 

mit den Hafenarbeitern in Kontakt, 

als sie vom November 1896 bis Februar 1897 

im Hamburger Hafenarbeiterstreik 

die Arbeit niederlegten. Der Arbeitskampf 

wurde von allen Beteiligten erbittert geführt. 

Er selbst schrieb 1936 aus dem Gefängnis 

an seine Tochter, dass „der große Hafenarbeiterstreik 

in Hamburg vor dem Kriege 

der erste sozialpolitische Kampf“ gewesen sei, 

„der sich für immer in sein Herz“ eingeprägt habe. 

Der sozialpolitische Inhalt der Gespräche 

der Hafenarbeiter soll ihn sehr geprägt haben.


Anfang 1902 verließ er im Streit das Elternhaus 

und kam zunächst in einem Obdachlosenasyl unter, 

später in einer Kellerwohnung. 

Ab 1904 fuhr er als Heizer 

auf dem Frachter AMERIKA zur See, 

unter anderem in die USA. 

Hier war er 1910 in der Nähe von New York 

für kurze Zeit als Landarbeiter tätig. 

In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg 

betätigte sich Thälmann als konsequenter Streiter 

für die Interessen der Hamburger Hafenarbeiter. 

Von 1913 bis 1914 arbeitete er 

als Kutscher für eine Wäscherei.


Anfang 1915 wurde er zum Kriegsdienst 

bei der Artillerie eingezogen 

und kam an die Westfront, 

an der er bis zum Kriegsende als Kanonier kämpfte. 

Zweimal kam er nach Verwundungen 

in Lazarette in Köln und Bayreuth. 

Er selbst gab an, an folgenden Schlachten 

und Gefechten teilgenommen zu haben: 

Schlacht in der Champagne, 

Schlacht an der Somme, Schlacht an der Aisne, 

Schlacht von Soissons, Schlacht von Cambrai 

und Schlacht bei Arras.


Thälmann erhielt im Krieg mehrere Auszeichnungen.

Die Eltern waren parteilos; 

im Unterschied zum Vater 

war die Mutter tief religiös. 

Nach der Geburt ihres Sohnes Ernst 

übernahmen die Eltern eine Kellerwirtschaft 

in der Nähe des Hamburger Hafens. 

Im März 1892 wurden die Eltern Thälmanns 

wegen Hehlerei zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, 

weil sie entwendete Waren gekauft 

oder für Schulden in Zahlung genommen hatten. 

Thälmann und seine jüngere Schwester 

wurden getrennt und in unterschiedliche Familien 

zur Pflege gegeben. Die Eltern wurden jedoch 

vorzeitig aus der Haft entlassen. 

Die Straftat seiner Eltern 

wurde noch 36 Jahre später im Wahlkampf 

gegen Ernst Thälmann verwendet. 

Den politischen Gegnern kam es gelegen, 

dass schon der Vater ein Zuchthäusler gewesen war.


Wenige Tage vor Beginn seines Kriegsdienstes 

heiratete er am 13. Januar 1915 Rosa Koch. 

Aus dieser Ehe ging die Tochter Irma Thälmann hervor. 

Irma war nicht die einzige Nachkommin ihres Vaters.


Thälmann wurde am 15. Mai 1903 Mitglied der SPD. 

Am 1. Februar 1904 trat er dem Zentralverband 

der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter 

Deutschlands bei, in dem er zum Vorsitzenden 

der Abteilung Fuhrleute aufstieg. 

1913 unterstützte er eine Forderung 

von Rosa Luxemburg nach einem Massenstreik 

als Aktionsmittel der SPD 

zur Durchsetzung politischer Forderungen. 

Im Oktober 1918 desertierte Thälmann 

gemeinsam mit vier befreundeten Soldaten, 

indem er aus dem Heimaturlaub nicht mehr 

an die Front zurückkehrte, 

und trat Ende 1918 der USPD bei.


In Hamburg beteiligte er sich am Aufbau 

des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates. 

Ab März 1919 war er Vorsitzender der USPD in Hamburg 

und Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 

Gleichzeitig arbeitete er als Notstandsarbeiter 

im Hamburger Stadtpark, 

dann fand er eine gut bezahlte Stelle beim Arbeitsamt. 

Hier stieg er bis zum Inspektor auf. 

Ende November 1920 schloss sich 

der mitgliederstarke linke Flügel der USPD 

der Kommunistischen Internationale (Komintern) an 

und vereinigte sich damit mit deren deutscher Sektion, 

der KPD. Thälmann war der wichtigste Befürworter 

dieser Vereinigung in Hamburg. 

Auf sein Betreiben hin traten 98 Prozent der Mitglieder 

der Hamburger USPD der KPD bei.


Im Dezember wurde er in den Zentralausschuss 

der KPD gewählt. Am 29. März 1921 wurde er 

wegen seiner politischen Tätigkeit 

vom Dienst im Arbeitsamt fristlos entlassen, 

nachdem er unerlaubt seinem Arbeitsplatz 

ferngeblieben war. Er war einem Aufruf 

der KPD gefolgt, sich der März-Aktion anzuschließen. 

Im Sommer des Jahres 1921 

fuhr Thälmann als KPD-Vertreter 

zum III. Kongress der Komintern nach Moskau 

und lernte dort Lenin kennen. 

Am 17. Juni 1922 wurde ein rechtsradikales Attentat 

auf seine Wohnung verübt, 

um Thälmann zu ermorden.


Thälmann war Teilnehmer 

und einer der Organisatoren 

des Hamburger Aufstandes 

vom 23. bis 25. Oktober 1923. 

Der Aufstand scheiterte, 

und Thälmann musste für eine Weile untertauchen. 

Später urteilte er in der Berliner Ausgabe 

des Parteiorgans Die Rote Fahne:


„Unsere Partei als Ganzes war noch viel zu unreif, 

um diese Fehler der Führung zu verhindern. 

So scheiterte im Herbst 1923 die Revolution 

am Fehlen einer ihrer wichtigsten Voraussetzungen: 

dem Bestehen einer bolschewistischen Partei.“


Das Scheitern des Aufstandes wurde vor allem 

den ehemaligen KPD-Vorsitzenden 

und „Rechtsabweichlern“ Heinrich Brandler 

und August Thalheimer vorgeworfen. 

Die fehlende Bolschewisierung sei schuld 

an der Niederlage gewesen. 

Zu einem ähnlichen Schluss kam Georgi Dimitrow 

nach dem gescheiterten „Antifaschistischen 

Septemberaufstand“ 1923 in Bulgarien.


Ab Februar 1924 war er stellvertretender Vorsitzender 

und ab Mai Reichstagsabgeordneter der KPD. 

Unter seiner Führung lehnte die Partei 

die Kritik Rosa Luxemburgs am Leninismus 

als Luxemburgismus ab, 

was sich in der unkritischen Solidarität 

mit Stalin bemerkbar machte. 

Die Entwicklung der bolschewistischen Partei 

in der Sowjetunion, die sich mehr auf Stalin 

und seine Interpretation des Kommunismus konzentrierte, 

machte sich auch unter ihm in der KPD bemerkbar. 

Den Posten im Reichstag hatte Thälmann 

bis zum Ende der Weimarer Republik inne. 

Im Sommer 1924 wurde er 

auf dem V. Kongress der Komintern 

in ihr Exekutivkomitee 

und kurze Zeit später ins Präsidium gewählt. 

Am 1. Februar 1925 wurde er Vorsitzender 

des Roten Frontkämpferbundes 

und am 1. September des Jahres 

Vorsitzender der KPD, 

als Nachfolger von Ruth Fischer, 

die kurze Zeit später als „ultralinke Abweichlerin“ 

aus der KPD ausgeschlossen wurde. 

Thälmann kandidierte bei der Reichspräsidentenwahl 1925 

auch für das Amt des Reichspräsidenten. 

Obwohl er im ersten Wahlgang 

nur sieben Prozent der Stimmen bekommen hatte, 

hielt er seine Kandidatur 

auch für den zweiten Wahlgang aufrecht. 

In diesem Zusammenhang wurde Thälmann vorgeworfen, 

dass sein Wahlergebnis von 6,4 Prozent 

dem Kandidaten der bürgerlichen Partei, 

Wilhelm Marx (45,3 Prozent), fehlten 

und den Sieg des Monarchisten 

Paul von Hindenburg mit 48,3 Prozent ermöglichten. 

Im Oktober 1926 unterstützte Thälmann in Hamburg 

den dortigen Hafenarbeiterstreik. 

Er sah dies als Ausdruck der Solidarität 

mit einem englischen Bergarbeiterstreik, 

der seit dem 1. Mai anhielt 

und sich positiv auf die Konjunktur 

der Unternehmen im Hamburger Hafen auswirkte. 

Thälmanns Absicht war, dieses „Streikbrechergeschäft“ 

von Hamburg aus zu unterbinden. 

Am 22. März 1927 beteiligte sich Ernst Thälmann 

an einer Demonstration in Berlin, 

wo er durch einen streifenden Säbelhieb 

über dem rechten Auge verletzt wurde. 

1928 fuhr Thälmann nach dem VI. Kongress 

der Komintern in Moskau nach Leningrad, 

wo er zum Ehrenmitglied der Besatzung 

des Kreuzers Aurora ernannt wurde.


Die Komintern setzte Thälmann am 6. Oktober 

nach innerparteilichen Streitigkeiten 

auf eine Intervention Stalins hin 

wieder in seine Parteifunktionen ein. 

Stalin verurteilte die Fraktionsbildung 

innerhalb der KPD, die Lenin schon 

in seinem Werk Was tun? kritisiert hatte 

und die bei den Mitgliedsparteien 

der Komintern verboten war, 

obgleich die Broschüre sich auf die besondere Rolle 

der Parteien im damaligen zaristischen System konzentrierte, 

da eine legale Parteiarbeit unmöglich erschien.


In den nachfolgenden Wochen 

wurde in den KPD-Bezirken in Sitzungen 

der Bezirksleitungen und Parteiarbeiterkonferenzen 

die Resolution der Komintern diskutiert 

und zur Abstimmung gestellt. 

Die parteiinterne Abstimmung ergab 

eine dominierende Majorität in der Partei.


Auf dem 12. Parteitag der KPD 

vom 9. bis 15. Juni 1929 in Berlin-Wedding 

ging Thälmann angesichts der Ereignisse des Blutmai, 

der sich dort zuvor zugetragen hatte, 

auf deutlichen Konfrontationskurs zur SPD. 

Neben innenpolitischem Engagement 

setzte er sich auch für außenpolitische 

und nationale Belange ein, 

insbesondere kritisierte er die Nationalsozialisten, 

die nicht für die Anträge der KPD stimmten, 

die einen Austritt aus dem Völkerbund 

und eine Beseitigung der Reparationslasten forderten. 

So schrieb er in einem Brief 

in der Neuen Deutschen Bauernzeitung 1931: 

„Die nationalsozialistischen 

und deutschnationalen Betrüger 

versprachen euch Kampf zur Zerreißung 

des Youngplanes, Beseitigung der Reparationslasten, 

Austritt aus dem Völkerbund, 

aber sie wagten nicht einmal, im Reichstag 

für den kommunistischen Antrag 

auf Einstellung der Reparationszahlungen, 

Austritt aus dem Völkerbund zu stimmen.“ 

In dem Brief betont er auch seine nationalen 

Absichten mit „Vorwärts zur nationalen 

und sozialen Befreiung!“ 

Am 13. März 1932 kandidierte er neben Adolf Hitler 

und Theodor Duesterberg für das Amt 

des Reichspräsidenten gegen Hindenburg. 

Wahlspruch der KPD war: 

„Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, 

wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ 

Gegen den stärker werdenden Nationalsozialismus 

propagierte er kurze Zeit später 

eine „Antifaschistische Aktion“ 

als „Einheitsfront von unten“, 

also unter Ausschluss der SPD-Führung. 

Dieses Vorgehen entsprach der Sozialfaschismusthese 

der Komintern. Die Zerschlagung der SPD 

blieb ein zentrales Ziel der KPD. 

Die Antifaschistische Aktion diente auch dazu, 

deren Führer als Verräter der Arbeiterklasse 

zu „entlarven“. Nach der Reichstagswahl 

im November 1932, bei der die NSDAP 

eine empfindliche Stimmeneinbuße verzeichnete, 

schienen die Nationalsozialisten 

auf einem absteigenden Ast. 

Thälmann verschärfte den Kampf der KPD 

gegen die Sozialdemokratie im Gegenzug abermals.


Als der NSDAP am 30. Januar 1933 

die Macht übertragen wurde, 

schlug Thälmann der SPD einen Generalstreik vor, 

um Hitler zu stürzen, 

doch dazu kam es nicht mehr. 

Am 7. Februar des Jahres fand im Sporthaus Ziegenhals 

bei Königs Wusterhausen eine vom ZK einberufene 

Tagung der politischen Sekretäre, ZK-Instrukteure 

und Abteilungsleiter der KPD statt. 

Auf dem von Herbert Wehner vorbereiteten Treffen 

sprach Thälmann zum letzten Mal 

vor leitenden KPD-Funktionären 

zu der am 5. März 1933 bevorstehenden Reichstagswahl 

und bekräftigte die Notwendigkeit 

eines gewaltsamen Sturzes Hitlers 

durch das Zusammengehen aller linken 

und liberalen Parteien zu einer Volksfront.


Am Nachmittag des 3. März 1933 

wurde Thälmann festgenommen. 

Dem war eine gezielte Denunziation vorausgegangen. 

In den Tagen zuvor hatten allerdings 

vier weitere Personen ihr Wissen über Thälmann 

an die Polizei weitergegeben. 

Die Unterkunftsmöglichkeit in der Lützower Straße 

hatte Thälmann schon seit einigen Jahren 

gelegentlich und nun wieder 

seit Januar 1933 genutzt; 

sie zählte zwar nicht zu den sechs illegalen Quartieren, 

die der Apparat für Thälmann vorbereitet hatte, 

galt aber nicht als polizeibekannt. 

Thälmann hatte am 27. Februar 

eine Sitzung des Politbüros 

in einem Lokal in der Lichtenberger Gudrunstraße geleitet 

und war bei seiner Rückkehr über den Brand 

des Reichstages und die schlagartig 

einsetzenden Massenverhaftungen 

kommunistischer Funktionäre informiert worden. 

In den nächsten Tagen verließ er die Wohnung nicht mehr 

und stand nur noch über Mittelsmänner 

mit der restlichen Parteiführung in Verbindung. 

Für den 3. März plante Thälmann 

den Wechsel in eines der vorbereiteten 

illegalen Quartiere, ein Forsthaus 

bei Wendisch Buchholz. Beim Packen der Koffer 

wurde er von der Polizei überrascht. 

Thälmanns Festnahme war rechtswidrig, 

da seine nach Artikel 40a der Reichsverfassung 

als Mitglied des Ausschusses zur Wahrung 

der Rechte der Volksvertretung 

gewährleistete Immunität 

auch durch die Reichstagsbrandverordnung 

nicht aufgehoben worden war. 

Erst am 6. März stellte ein Berliner Staatsanwalt 

„im Interesse der öffentlichen Sicherheit“ 

einen – formell ebenfalls rechtswidrigen – 

Haftbefehl aus, der dann einfach rückdatiert wurde.


Einige Ungereimtheiten im Zusammenhang 

mit der die KPD stark verunsichernden 

Festnahme Thälmanns waren nach 1933 

bereits Gegenstand von parteiinternen Untersuchungen. 

Zu diesen Auffälligkeiten zählte etwa, 

dass Thälmann trotz der offenen Verfolgung 

der Partei wochenlang ein- und dieselbe, 

für eine derartige Situation nicht vorgesehene 

Wohnung genutzt hatte, vor allem aber 

der erstaunliche Umstand, dass weder das Gebäude 

noch die Wohnung selbst 

von Angehörigen des Parteiselbstschutzes 

gesichert worden war. Dadurch liefen 

nach einigen Stunden auch noch 

Erich Birkenhauer, Thälmanns politischer Sekretär, 

und Alfred Kattner, der persönliche Kurier 

des Parteichefs, in die Arme der Polizei. 

Bei den KPD-Ermittlungen geriet insbesondere 

Hans Kippenberger ins Zwielicht, 

der als Leiter des Apparats die Verantwortung 

für die Sicherheit des Parteichefs trug 

und mit Blick auf die Ereignisse des 3. März 

auch ausdrücklich übernahm 

(„eine Katastrophe und eine Schande 

vor der ganzen Internationale“). 

In den folgenden Jahren kam es dennoch 

wiederholt zu Vertuschungsversuchen 

und gegenseitigen Verdächtigungen 

der mittel- und unmittelbar beteiligten Personen, 

die noch durch gezielte Desinformation 

und vor allem durch weitere Verhaftungserfolge 

der Gestapo angeheizt wurden. 

Dieser war es gelungen, Kattner 

in der Haft „umzudrehen“ 

und mit dessen Hilfe am 9. November 1933 

den Thälmann-Nachfolger John Schehr 

sowie am 18. Dezember auch Hermann Dünow, 

der Kippenberger abgelöst hatte, festzunehmen. 

Kattner, dem von der Gestapo obendrein 

eine tragende Rolle im geplanten Prozess 

gegen Thälmann zugedacht worden war, 

wurde am 1. Februar 1934 in Nowawes 

von Hans Schwarz, einem Mitarbeiter des Apparats, 

erschossen. Birkenhauer, dem Thälmann 

die Schuld an der Verzögerung 

seines Quartierwechsels und damit 

an seiner Festnahme gegeben hatte, 

und Kippenberger wurden 

im sowjetischen Exil hingerichtet, 

Hirsch kam in sowjetischer Haft ums Leben.


Die nationalsozialistische Justiz plante zunächst, 

Thälmann einen Hochverrats-Prozess zu machen. 

Hierfür sammelte sie intensiv belastendes Material, 

das die behauptete „Putschabsicht“ 

der KPD beweisen sollte. 

Ende Mai 1933 wurde Thälmanns „Schutzhaft“ 

aufgehoben und eine formelle Untersuchungshaft 

angeordnet. In diesem Zusammenhang 

wurde er vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz 

in die Untersuchungshaftanstalt Moabit verlegt. 

Dieser Ortswechsel durchkreuzte 

den ersten einer Reihe von unterschiedlich 

konkreten Plänen, Thälmann zu befreien.


Thälmann wurde 1933 und 1934 

mehrfach von der Gestapo 

in deren Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße verhört 

und dabei auch misshandelt. 

Bei einem Verhör am 8. Januar 

schlug man ihm vier Zähne aus, 

anschließend traktierte ihn ein Vernehmer 

mit einer Nilpferdpeitsche. 

Am 19. Januar suchte Hermann Göring 

den zerschundenen Thälmann auf 

und ordnete seine Rückverlegung 

in das Untersuchungsgefängnis Moabit an. 

Die in dieser Phase entstandenen Verhörprotokolle 

wurden bis heute nicht aufgefunden 

und gelten als verloren. 

Thälmann blieb unterdessen lange 

ohne Rechtsbeistand; der jüdische Anwalt 

Friedrich Roetter, der sich seiner angenommen hatte, 

wurde nach kurzer Zeit 

aus der Anwaltschaft ausgeschlossen 

und selbst in Haft genommen. 

1934 übernahmen die Rechtsanwälte 

Fritz Ludwig (ein NSDAP-Mitglied) 

und Helmut R. Külz die Verteidigung Thälmanns. 

Vor allem Ludwig, der für ihn Kassiber 

aus der Zelle und Zeitungen und Bücher 

in die Zelle schmuggelte 

sowie die als Geheime Reichssache deklarierte 

Anklageschrift an Unterstützer 

im Ausland weiterleitete, vertraute Thälmann sehr. 

Über die Anwälte – daneben auch über Rosa Thälmann – 

lief ein Großteil der verdeckten Kommunikation 

zwischen Thälmann und der KPD-Führung. 

Mit Rücksicht auf das Ausland, vor allem aber, 

weil die Beweisabsicht der Staatsanwaltschaft 

erkennbar wenig gerichtsfest war 

und ein mit dem Reichstagsbrandprozess 

vergleichbares Desaster vermieden werden sollte, 

einigten sich die beteiligten Behörden 

im Laufe des Jahres 1935, 

von einer „justizmäßigen Erledigung“ 

Thälmanns Abstand zu nehmen. 

Am 1. November 1935 hob der II. Senat 

des Volksgerichtshofes die Untersuchungshaft auf, 

ohne das Verfahren als solches einzustellen, 

und überstellte Thälmann gleichzeitig 

als „Schutzhäftling“ an die Gestapo.


1936 erreichte die internationale Protestbewegung 

gegen die Inhaftierung Thälmanns einen Höhepunkt. 

Zu seinem 50. Geburtstag am 16. April 1936 

bekam er Glückwünsche aus der ganzen Welt, 

darunter von Maxim Gorki, Heinrich Mann, 

Martin Andersen Nexö und Romain Rolland. 

Im selben Jahr begann der Spanische Bürgerkrieg. 

Die XI. Internationale Brigade 

und ein ihr untergliedertes Bataillon 

benannten sich nach Ernst Thälmann.


1937 wurde Thälmann von Berlin 

in das Gerichtsgefängnis Hannover 

als „Schutzhäftling“ überführt. 

Thälmann bekam später eine größere Zelle, 

in der er jetzt Besuch empfangen konnte. 

Dies war ein Vorwand, 

um Thälmann in der Zelle abzuhören. 

Allerdings wurde ihm die Information 

über das heimliche Abhören zugespielt. 

Um sich dennoch frei „unterhalten“ zu können, 

nutzten er und seine Besucher 

kleine Schreibtafeln und Kreide.


Als Deutschland und die Sowjetunion 1939 

ihre Beziehungen verbessert hatten 

(Hitler-Stalin-Pakt),

setzte Stalin sich offenbar nicht 

für Thälmanns Freilassung ein. 

Nach der Befreiung seiner Familie 

durch die Rote Armee erfuhren 

die Angehörigen sogar, 

dass Thälmanns Rivale Walter Ulbricht 

alle ihre Bitten ignoriert und nicht für die Befreiung 

von Thälmann Position bezogen hatte.


Anfang 1944 schrieb Ernst Thälmann 

in Bautzen seine heute noch erhaltene Antwort 

auf die Briefe eines Kerkergenossen.


Die genauen Umstände von Thälmanns Tod sind unklar.



SIEBENTER GESANG


Pieck war der Sohn eines Kutschers. 

Er wuchs in Guben auf; 

sein Elternhaus stand im östlichen Teil der Stadt, 

dem nach 1945 polnischen Gubin. 

Nach Abschluss der Volksschule 

begann er 1890 eine Tischlerlehre 

und begab sich anschließend auf Wanderschaft. 

Dort kam der aus römisch-katholischem Hause stammende 

junge Mann erstmals in Kontakt 

mit der Arbeiterbewegung.


1894 wurde er Mitglied des gewerkschaftlichen 

Deutschen Holzarbeiterverbandes 

und 1895 trat er in die Sozialdemokratische 

Partei Deutschlands ein. 

Seit 1896 arbeitete er als Tischler in Bremen. 

In der SPD wurde er 1897 Hauskassierer 

und 1899 Stadtbezirksvorsitzender. 

1900 übernahm er die Funktion des Vorsitzenden 

der Zahlstelle Bremen des Holzarbeiterverbandes. 

1904 wurde er in das Bremer Gewerkschaftskartell 

delegiert und 1905 als Vertreter der 4. Klasse 

in die Bremische Bürgerschaft gewählt, 

der er bis 1910 angehörte. 

1905 war er auch Vorsitzender der Pressekommission 

und 1906 hauptamtlich Erster Sekretär 

der Bremer SPD. 

Pieck besuchte 1907/1908 die Reichsparteischule 

der SPD in Berlin, wo er unter den Einfluss 

Rosa Luxemburgs kam 

und 1910 Zweiter Sekretär 

des zentralen Bildungsausschusses der SPD wurde.


Während des Ersten Weltkrieges 

nahm er als entschiedener Gegner 

der sozialdemokratischen Burgfriedenspolitik 

an Konferenzen linker Sozialdemokraten teil. 

1915 wurde er zum Kriegsdienst einberufen. 

Auch als Soldat agitierte er gegen den Krieg 

und wurde vor ein Kriegsgericht gestellt. 

Bevor es zu einem Urteil kommen konnte, 

floh Pieck 1917 in den Untergrund nach Berlin, 

und als Mitglied des Spartakusbundes 

ging er später nach Amsterdam ins Exil.


Nach dem Krieg 1918 kehrte er nach Berlin zurück 

und wurde Gründungsmitglied 

der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 

Er nahm am Spartakusaufstand 

(5. bis 12. Januar 1919) teil 

und wurde am 15. Januar 

mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verhaftet. 

Luxemburg und Liebknecht wurden ermordet; 

Pieck wurde freigelassen. 

Piecks Entkommen hatte Verdächtigungen zur Folge, 

die 1929 den KPD-Vorsitzenden 

Ernst Thälmann veranlassten, 

Pieck vor ein Ehrengericht der Partei zu stellen. 

Die KPD gab die Entscheidung nicht bekannt. 

Das Gericht hatte unter dem Vorsitz 

Hans Kippenbergers getagt, 

der 1937 in Moskau 

nach einem Geheimprozess hingerichtet wurde. 

Viel später behauptete der Offizier Waldemar Pabst, 

der seinen Soldaten den Befehl 

zur Ermordung von Liebknecht 

und Luxemburg gegeben hatte, 

er habe Pieck freigelassen, weil er ihn ausführlich 

über militärische Pläne sowie Verstecke 

führender Mitglieder der KPD informiert hatte.


1921 wählte ihn die KPD ins Exekutiv-Komitee 

der Kommunistischen Internationale; 

so lernte er Lenin kennen. 

Zur gleichen Zeit wurde er als Nachrücker 

von Adolph Hoffmann Abgeordneter 

des Preußischen Landtags, dessen Mitglied er 

bis zu seiner Wahl in den Reichstag 1928 blieb.


1922 war er Mitbegründer der Internationalen 

Roten Hilfe und wurde 1925 Vorsitzender 

der Roten Hilfe Deutschlands. 

Seine internationale Tätigkeit brachte ihm 

die Wahl ins Präsidium des Exekutiv-Komitees 

der Kommunistischen Internationale 1931.


Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers 

im Januar 1933 und der einsetzenden Verfolgung 

deutscher Kommunisten nahm Pieck 

am 7. Februar 1933 an der Funktionärstagung 

der KPD im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin teil. 

Am 23. Februar 1933 trat Pieck 

zur Vorbereitung der Märzwahlen 

auf der letzten Großkundgebung der KPD 

im Berliner Sportpalast als Hauptredner auf. 

Im Mai 1933 musste er nach Paris ins Exil gehen. 

Im August 1933 stand Piecks Name 

auf der ersten Ausbürgerungsliste 

des Deutschen Reichs.


Die KPD war nun nur noch im Untergrund 

oder aus dem Ausland heraus tätig. 

Nach der Ermordung von John Schehr 

im Februar 1934 wurde Pieck 

als dessen Stellvertreter 

mit dem Parteivorsitz beauftragt. 

1935 wurde Pieck auf der Brüsseler Konferenz 

der KPD zum Parteivorsitzenden 

für die Dauer der Inhaftierung Thälmanns gewählt 

und verlegte sein Exil nach Moskau, 

wo er unter anderem für Radio Moskau arbeitete. 

Er überlebte den Großen Terror in den 1930er Jahren, 

dem ein großer Teil der nach Moskau geflüchteten 

deutschen Kommunisten zum Opfer fiel. 

1943 gehörte er zu den Initiatoren 

des Nationalkomitees Freies Deutschland.


Nachdem Pieck gemeinsam mit Angehörigen 

der Gruppe Ulbricht und anderer KPD-Kader 

von Stalin Instruktionen erhalten hatte, 

kehrte er am 1. Juli 1945 nach Berlin zurück. 

Es war sein Auftrag, die Durchsetzung 

der hegemonialen Macht der Kommunisten 

bei der Errichtung einer staatlichen Struktur 

in der Sowjetischen Besatzungszone zu bewirken. 

Zunächst forcierte er den Prozess 

der Zwangsvereinigung von SPD und KPD 

zur SED (Sozialistischen Einheitspartei).


Im April 1946 wurde er gemeinsam 

mit Otto Grotewohl (SPD) 

Vorsitzender der SED

und nach Gründung der Deutschen 

Demokratischen Republik (DDR) 

im Oktober 1949 deren erster und einziger Präsident; 

er blieb dies bis zu seinem Tode 1960. 

Der eigentliche Machthaber der DDR 

war jedoch bereits Walter Ulbricht 

als Generalsekretär und Erster Sekretär 

des ZK der SED. Nach Piecks Tod 

wurde der Staatsrat der DDR 

als Nachfolgeorgan des Amtes 

des Präsidenten geschaffen.



ACHTER GESANG


Als erstes Kind des gelernten Schneiders 

Ernst August Ulbricht 

und dessen Ehefrau Pauline Ida 

wurde Walter Ulbricht 1893 in Leipzig geboren. 

Ulbrichts Elternhaus war aktiv 

sozialdemokratisch geprägt. 

Nach seiner Volksschulzeit begann er 1907 

eine Lehre als Möbeltischler, 

die er 1911 erfolgreich abschloss.


Bereits 1908 trat Ulbricht 

dem Arbeiterjugendbildungsverein Alt-Leipzig bei, 

1912 wurde er Mitglied der SPD. 

Als Jungfunktionär hielt Ulbricht Vorträge 

vor Jugendgruppen der SPD 

und übernahm ehrenamtliche Tätigkeiten 

beim Arbeiterbildungsinstitut 

sowie in der Leipziger Arbeiterjugendbewegung. 

Im Jahr 1913 wurde er zum engsten SPD-Funktionärskreis, 

der so genannten „Korpora“, zugelassen.


Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges 

verfasste und veröffentlichte Walter Ulbricht 

als Mitglied des linken Flügels der SPD 

unter Führung von Karl Liebknecht 

und Rosa Luxemburg zahlreiche Flugblätter 

mit Aufrufen zur Beendigung des Krieges. 

Auf einer Funktionärsversammlung 

der SPD „Groß-Leipzig“ im Dezember 1914 

forderte Ulbricht, die Reichstagsabgeordneten der SPD 

sollten künftig gegen weitere Kriegskredite stimmen. 

Er wurde für seine Haltung persönlich angegriffen, 

der Antrag wurde abgelehnt.


Von 1915 bis 1918 diente Ulbricht 

als Soldat an der Ostfront 

und auf dem Balkan in Serbien 

und Mazedonien als Gefreiter; 

1917/18 war er wegen Malaria im Lazarett in Skopje. 

Im Jahr 1917 trat er der USPD bei, 

einer Abspaltung der SPD. 

Obwohl er als Soldat nicht agitatorisch aktiv wurde, 

galt er den Militärbehörden als politisch verdächtig. 

Bei seiner Verlegung an die Westfront 

desertierte Ulbricht 1918 auf dem Transport, 

wurde wieder aufgegriffen 

und zu zwei Monaten Haft verurteilt. 

Kurze Zeit nach seiner Entlassung 

und erneuten Verwendung als Soldat in Brüssel 

wurde er wegen des Besitzes 

von gegen den Krieg gerichteten Flugblättern 

in Belgien erneut festgesetzt. 

Einem weiteren Militärgerichtsverfahren 

konnte Ulbricht sich bei Ausbruch 

der Novemberrevolution 

durch Flucht und Desertion entziehen.


Während der Novemberrevolution 1918 

war Ulbricht Mitglied des Soldatenrates 

des XIX. Armeekorps in Leipzig. 

Seit 1920 war er Mitglied der KPD, 

stieg jedoch als Parteifunktionär rasch auf. 

So organisierte er den Parteibezirk Groß-Thüringen neu. 

Ende 1920 hielt er sich anlässlich des IV. Weltkongresses 

der Kommunistischen Internationale (Komintern), 

für die er ab 1924 tätig war, 

erstmals in Moskau und Petrograd auf. 

Ulbricht vertrat das Organisationsprinzip 

der Betriebszellen im Gegensatz 

zur bisher üblichen Gliederung nach Wohnortgruppen. 

Von 1926 bis 1929 war er sächsischer Landtagsabgeordneter 

und ab 1928 für den Wahlkreis Westfalen-Süd 

auch Mitglied des Reichstags 

und kurz darauf auch im Zentralkomitee (ZK) seiner Partei 

und ab 1929 Politischer Leiter des KPD-Bezirks 

Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark.

In dieser Funktion war er maßgeblicher Befürworter 

der Planung der Morde auf dem Berliner Bülowplatz 

im August 1931. Zwischenzeitlich 

war Ulbricht im Jahr 1928 Mitglied 

der Kommunistischen Partei 

der Sowjetunion (KPdSU) geworden. 

Im November 1932 war er einer 

der Mitorganisatoren des wilden Streiks 

bei der Berliner Verkehrsgesellschaft, 

hinter dem neben der KPD auch die NSDAP stand. 

Bei einer Massenkundgebung trat Ulbricht 

gemeinsam mit dem NSDAP-Gauleiter 

von Berlin Joseph Goebbels auf.


Nach der Machtübernahme der NSDAP 

im Januar 1933 nahm Ulbricht 

am 7. Februar 1933 an der geheimen 

Funktionärstagung der KPD 

im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin teil. 

Er führte die Arbeit der KPD in der Illegalität weiter 

und wurde daher steckbrieflich gesucht, 

weswegen er nach Paris emigrierte.


Nach seinem Aufenthalt in Paris und Prag 

zog er im Jahr 1938 nach Moskau. 

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 

verteidigte Ulbricht den deutsch-sowjetischen 

Nichtangriffspakt mit dem Argument, 

das Hitlerregime werde unter anderem 

wegen der Stärke der Roten Armee 

nun im Gegensatz zu England 

notgedrungen einen friedlichen Weg einschlagen. 

„Die deutsche Regierung erklärte sich 

zu friedlichen Beziehungen zur Sowjetunion bereit, 

während der englisch-französische Kriegsblock 

den Krieg gegen die sozialistische Sowjetunion will“, 

so Ulbricht. Im Jahr 1940 verurteilte Walter Ulbricht 

in der von ihm herausgegebenen Stockholmer Zeitschrift 

Welt die Vorschläge anderer Widerständler, 

England im Krieg gegen Deutschland zu unterstützen. 

Er schrieb, dass fortschrittliche Kräfte 

nicht „den Kampf gegen den Terror 

und gegen die Reaktion in Deutschland führen“, 

nur um stattdessen dem „englischen Imperialismus“ 

zum Sieg zu verhelfen.


Unmittelbar nach Deutschlands Überfall 

auf die Sowjetunion im Juni 1941 

setzte die Kominternführung Ulbricht 

beim deutschsprachigen Programm 

von Radio Moskau ein. 

Im Schützengraben forderte er deutsche Soldaten 

in der Schlacht von Stalingrad 

über Megaphon zur Kapitulation 

und zum Überlaufen auf. 

In sowjetischen Kriegsgefangenenlagern 

versuchte er, deutsche Soldaten 

für den Aufbau einer deutschen Nachkriegsordnung 

im Sinne der KPD zu gewinnen. 

Er war 1943 Mitbegründer 

des „Nationalkomitees Freies Deutschland“. 

Nach einer Idee der politischen Abteilung 

der Roten Armee sollten kommunistische Emigranten 

und deutsche Kriegsgefangene 

im Sinne der Volksfronttaktik zusammenarbeiten.


Am 30. April 1945 kehrte Ulbricht als Chef 

der nach ihm benannten Gruppe Ulbricht 

in das zerstörte Deutschland zurück 

und organisierte in der Sowjetischen Besatzungszone 

die Neugründung der KPD 

und 1946 den Vereinigungsparteitag 

von KPD und SPD zur SED in Berlin. 

Von 1946 bis 1951 war Ulbricht Abgeordneter 

des Landtages der Provinz Sachsen. 

Im Landtag gehörte er der Fraktion der SED an 

und war Mitglied des Ausschusses für Recht und Verfassung 

und des Wirtschaftsausschusses.


Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 

wurde er stellvertretender Vorsitzender 

im Ministerrat unter dem Vorsitzenden Otto Grotewohl, 

übertraf jedoch diesen und Staatspräsident Wilhelm Pieck 

an Macht. Nach dem III. Parteitag der SED 

wurde Ulbricht am 25. Juli 1950 

vom ZK zum Generalsekretär des ZK der SED gewählt, 

einer Position, die 1953 in Erster Sekretär 

des ZK der SED umbenannt wurde.


Nachdem durch die strikte Ablehnung der Stalin-Noten 

und den Deutschlandvertrag deutlich geworden war, 

dass sich die westlichen Regierungen 

nicht davon abhalten ließen, 

den westdeutschen demokratischen Teilstaat aufzubauen, 

setzte Ulbricht im Juli 1952 

den Aufbau des Sozialismus nach sowjetischem Muster 

in der DDR durch. Kurz zuvor hatte er sich 

diesen Kurs von Josef Stalin, 

dem eigentlichen Machthaber in der DDR, 

genehmigen lassen. Auf der II. Parteikonferenz 

der SED – Parteitage wurden erst wieder 

ab 1954 durchgeführt – erklärte Ulbricht:


„Die politischen und die ökonomischen Bedingungen 

der Arbeiterklasse sowie das Bewusstsein 

der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen 

sind so weit entwickelt, dass 

der Aufbau des Sozialismus 

zur grundlegenden Aufgabe 

in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist.“


In der Folge wurde die Abriegelung 

der innerdeutschen Grenze forciert, 

die bereits Ende Mai 1952 

vom Ministerrat beschlossen worden war. 

Auch die Kasernierte Volkspolizei, 

die erste Armee der DDR, 

war kurz vorher gegründet worden. 

Sie wurde später (1956) 

zur Nationalen Volksarmee ausgebaut. 

Das 1950 eingerichtete Ministerium 

für Staatssicherheit wurde gleichfalls ausgebaut 

und verschärfte seine Tätigkeit 

gegen echte und vermeintliche Staatsfeinde, 

insbesondere gegen die Jungen Gemeinden der Christen; 

die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat 

wurde eingestellt. Die Länder wurden abgeschafft, 

seitdem wurde die DDR zentralistisch regiert. 

Die Verstaatlichung von Wirtschaftsbetrieben 

wurde vorangetrieben, wobei nach sowjetischem 

Vorbild ein besonderes Gewicht 

auf den Aufbau einer Schwerindustrie gelegt wurde. 

Diesem Ziel wurde der Ausbau 

der Konsumgüterindustrie nachgeordnet. 

Auch begann die Kollektivierung der Landwirtschaft, 

bei der Ulbricht indes auf Schwierigkeiten stieß: 

Erst 1960 waren alle Landwirte 

einer Landwirtschaftlichen 

Produktionsgenossenschaft beigetreten.


Nach dem Tod Josef Stalins am 5. März 1953 

war die Position Ulbrichts zeitweise stark gefährdet, 

da er als Archetyp eines Stalinisten galt. 

Auch wurde ihm der um ihn betriebene 

Personenkult vorgeworfen, insbesondere 

im Zusammenhang mit seinem 60. Geburtstag 

am 30. Juni 1953, für den aufwändige 

Jubelfeiern geplant waren, 

auf die Ulbricht dann verzichtete. 

Der vor dem Geburtstag (unter Beteiligung 

namhafter Kulturschaffender) hergestellte Film 

Baumeister des Sozialismus – Walter Ulbricht 

blieb bis zum Ende der DDR unter Verschluss.


Paradoxerweise rettete ihn der Volksaufstand 

des 17. Juni 1953, der durch den von Ulbricht 

befohlenen forcierten Aufbau des Sozialismus 

mit ausgelöst worden war. Die Sowjetunion 

hätte seine geplante Absetzung 

als Schwächezeichen verstanden, 

jedoch wurde eine schon vorgestellte Briefmarke 

mit Ulbrichts Porträt für das Standardporto 

eines Briefes der DDR nicht ausgegeben. 

Die mangelnde Rückendeckung 

seiner innerparteilichen Rivalen 

seitens der Besatzungsmacht stärkte seine Position, 

so dass er den politischen Machtkampf 

innerhalb der SED für sich entscheiden konnte. 

1960 wurde er Vorsitzender 

zweier neu geschaffener Gremien, 

des Nationalen Verteidigungsrates und des Staatsrates, 

der nach dem Tode Wilhelm Piecks 

das Amt des Präsidenten der DDR ersetzte. 

Ulbricht war damit Staatsoberhaupt der DDR 

und hatte die entscheidenden Herrschaftsfunktionen 

über Staat und Partei auf seine Person vereint. 

Innerparteiliche Kritiker wurden ab 1958 

als „Fraktionsbildner“ diffamiert 

und politisch ausgeschaltet. Ulbricht 

hatte die Machtfülle eines Diktators besessen.


Der Bau der Berliner Mauer 

durch die DDR 1961 fand unter Ulbrichts 

politischer Verantwortung statt, 

nachdem er als Ergebnis 

harter Verhandlungen die Moskauer Staatsführung 

von der Notwendigkeit ihres Baues 

aus Sicht der DDR-Regierung 

(wegen der damaligen Abwanderung 

der gut Ausgebildeten und der Elite, 

des so genannten „Ausblutens“) überzeugt hatte.


Zunächst hatte er sich auf einer Pressekonferenz 

am 15. Juni 1961 bemüht, 

derartige Absichten öffentlich zu dementieren, 

auch indem er auf die Frage 

einer westdeutschen Journalistin einging.


Frage: „Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. 

Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung 

einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, 

dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor 

errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, 

dieser Tatsache mit allen Konsequenzen 

Rechnung zu tragen?“


Ulbricht: „Ich verstehe Ihre Frage so, 

dass es Menschen in Westdeutschland gibt, 

die wünschen, dass wir die Bauarbeiter 

der Hauptstadt der DDR mobilisieren, 

um eine Mauer aufzurichten, ja? 

Äh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, 

da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt 

hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen, 

und ihre Arbeitskraft dafür voll ausgenutzt wird, 

voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, 

eine Mauer zu errichten!“


Obwohl nicht speziell nach der Art 

der Abriegelungsmaßnahmen gefragt wurde, 

war Ulbricht selbst damit der erste, 

der den Begriff „Mauer“ diesbezüglich in den Raum stellte. 

Ob er dies aus einer Unachtsamkeit heraus 

oder mit Absicht tat, konnte 

nie abschließend geklärt werden.


Zwei Monate später, am Sonntag, 

dem 13. August 1961, begannen nachts 

gegen 1 Uhr Streitkräfte der DDR, 

die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin 

sowie der zwischen West-Berlin und der DDR 

auf ihrer vollen Länge praktisch lückenlos 

und zur gleichen Zeit mit einem gewaltigen Aufwand 

an Menschen und Material abzuriegeln 

und Sperranlagen zu errichten.


Beim Aufbau der DDR forderte Ulbricht 

auf dem III. Parteitag der SED 

die Abkehr vom (westlichen, 

im Bauhaus in Weimar begründeten) Formalismus. 

Die Architektur habe der Form nach national zu sein. 

Diese gespaltene Haltung spiegelte sich 

in der Gründung einer Deutschen Bauakademie 

und der Zeitschrift Deutsche Architektur, 

sowie etlichen widersprüchlichen 

Abbruch- und Baumaßnahmen wider. 

Aus ideologischen Gründen 

und vor dem Hintergrund des Aufbaus 

sozialistischer Stadtzentren 

wurden während der Herrschaft Walter Ulbrichts 

in den 1950er und 1960er Jahren 

zahlreiche wiederaufbaufähige Kriegsruinen 

bedeutsamer und stadtbildprägender 

historischer Gebäude abgerissen. 

So wurden z. B. das Berliner Schloss (1950) 

und das Potsdamer Stadtschloss (1959) gesprengt. 

Etwa 60 Kirchenbauten, 

darunter einige intakte oder wiederaufgebaute, 

wurden gesprengt oder abgerissen, 

darunter 17 Kirchen in Ostberlin. 

Die Ulrichkirche in Magdeburg wurde 1956 gesprengt, 

die Dresdner Sophienkirche 1963, 

die Potsdamer Garnisonkirche am 23. Juni 1968 

und die intakte 700 Jahre alte Leipziger 

Universitätskirche am 30. Mai 1968. 

Dabei kam es nach Bürgerprotesten 

gegen die Kirchensprengung auch zu Inhaftierungen. 

Viele der Neubauten wurden während der 1950er Jahre 

im Stil des Sozialistischen Klassizismus errichtet, 

zum Beispiel die Stalinallee in Berlin.


Ulbricht sah den Sozialismus 

als eigenständige längerdauernde Phase 

und setzte sich damit auch von anderen Ländern ab. 

Einen in diesem Sinne 

„nationalen Weg zum Sozialismus“ 

spiegeln auch die Verwendung von Elementen 

der früheren Uniform der Wehrmacht 

bei den NVA-Uniformen, 

nach preußischen Militärs benannte Orden der NVA 

wie dem Blücher- und dem Scharnhorst-Orden 

sowie der später unter Honecker 

nicht mehr gesungene Text 

der DDR-Hymne wider.


Nach dem Mauerbau 1961 

öffnete sich die DDR zunächst nach innen, 

insbesondere gegenüber der Jugendkultur in der DDR. 

Ulbricht beabsichtigte eine möglichst umfassende 

eigene Jugendkultur der DDR zu schaffen, 

die weitgehend unabhängig 

von westlichen Einflüssen sein sollte. 

Bekannt wurde seine auf das „Yeah, Yeah, Yeah“ 

der Beatles anspielende Aussage 

„Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, 

der vom Westen kommt, nun kopieren müssen? 

Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, 

und wie das alles heißt, ja, 

sollte man doch Schluss machen.“


Prägend für die Neugliederung der DDR 

war die Ausschaltung und Beseitigung 

der Selbstverwaltung durch Auflösung der fünf Länder 

und Neugliederung in 14 Bezirke, 

zu denen Ost-Berlin als „Hauptstadt der DDR“ hinzukam. 

Die Ende der 50er Jahre erhöhten Planzielerwartungen, 

die weiter forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft 

und die durch Drohungen Chruschtschows verschärfte 

Berlin-Krise machten die Lage der DDR prekär. 

Diese wurde durch das bekannteste 

durch Walter Ulbricht begonnene Bauwerk, 

die paradoxerweise dem ungeliebten Formalismus 

verhaftete Berliner Mauer, 

1961 wieder stabilisiert.


Ulbricht versuchte seit 1963 

mit dem Neuen Ökonomischen System 

der Planung und Leitung – 

später kurz Neues Ökonomisches System – 

eine größere Effizienz der Wirtschaft zu erreichen. 

Der gesamtheitliche Plan sollte bestehen bleiben, 

aber die einzelnen Betriebe sollten größere

Entscheidungsmöglichkeiten bekommen. 

Es ging dabei nicht nur um den Anreiz 

durch eigene Verantwortung, sondern auch darum, 

dass konkrete Fragen vor Ort 

besser entschieden werden können.


Mit der Modernisierung des ökonomischen Systems 

gingen Reformen im gesellschaftlichen Bereich 

(etwa durch das Bildungsgesetz von 1965) einher. 

Die DDR nahm Züge einer „sozialistischen 

Leistungsgesellschaft“ an, 

in der nicht mehr nur politische Rechtgläubigkeit, 

sondern auch fachliche Qualifikationen 

über die berufliche und damit 

gesellschaftliche Stellung entscheiden sollte. 

Zunehmend rückten auch Fachleute 

in politische Führungspositionen auf. 

Verfassungsrechtlich wurden die gesellschaftlichen 

und wirtschaftlichen Veränderungen 1968 

in der zweiten Verfassung der DDR festgeschrieben.


Einer der Interessenschwerpunkte Ulbrichts 

war die wissenschaftliche Leitung 

der Wirtschaft und Politik, 

unter anderem mittels „Kybernetik“, 

Elementen der Psychologie und Soziologie, 

aber vor allem stärker 

auf naturwissenschaftlich-technischer Basis. 

Grundpfeiler dessen war eine umfassende 

Computerisierung und der Ausbau 

der Elektronischen Datenverarbeitung. 

Das NÖS sah auch die Verbindung der Ökonomie 

mit der Wissenschaft vor, was in der Praxis hieß, 

dass mehr und mehr Fachleute 

die wichtigen Entscheidungen trafen 

und einzelne Betriebe und Unternehmen 

eine größere Selbständigkeit erlangten. 

Im Frühjahr 1972 bestanden noch etwa 

rund 11.400 mittelständische Betriebe in der DDR, 

unter ihnen circa 6500 halbstaatliche Betriebe, 

die insbesondere Konsumgüter 

und Dienstleistungen anboten, 

was von vielen Mitgliedern der SED 

nicht gern gesehen wurde.


Schließlich kam es innerhalb der SED 

zu größerem Widerstand gegen das NÖS. 

Der Führer dieser Opposition, 

die sich der Unterstützung Breschnews erfreute, 

war Erich Honecker, der wiederum 

auf die Stimmen zahlreicher Parteimitglieder 

hoffen konnte und 1972 eine letzte 

große Verstaatlichungswelle durchsetzte.


Ulbricht ignorierte „Widersprüche im Sozialismus“, 

etwa bei den real vergleichsweise schlechten Beziehungen 

der DDR zu den kleineren „Bruderstaaten“. 

Sein dafür verwendeter Begriff „sozialistische

Menschengemeinschaft“ wurde nach seinem Tod 

schnell fallengelassen. Wichtig und entscheidend 

für die DDR wie auch die politische Karriere Ulbrichts 

selbst war das Verhältnis zur Sowjetunion. 

Mit Hinweis auf die vergleichsweise großen 

wirtschaftlichen Erfolge propagierte Ulbricht 

Ende der 60er Jahre das „Modell DDR“ 

als Vorbild aller entwickelten 

realsozialistischen Industriegesellschaften 

und geriet darüber in ideologische Konflikte 

mit der KPdSU. 

Der Niederschlagung des Prager Frühlings 

stand Ulbricht wiederum positiv gegenüber. 

Dem tschechoslowakischen Botschafter 

hatte er vorher vorgeworfen, 

mit ihrer entschiedenen Aufarbeitung 

der eigenen Vergangenheit 

würde die tschechoslowakische KP 

den anderen sozialistischen Staaten 

in den Rücken fallen:


„Jetzt liefern Sie das Material 

für den psychologischen Krieg des Imperialismus 

gegen den Sozialismus. 

Jeden Tag bekommt die Weltpresse 

von Ihnen Material für den Kampf 

gegen das sozialistische Weltsystem. 

Während in Westdeutschland die Jugendlichen 

mutig auftreten, vom Imperialismus 

geschlagen und getötet werden, 

liefern Sie Material über den 'Terror 

der Kommunisten'. Das ist zu viel, 

das ist schlimmer als zu Zeiten Chruschtschows.“


Damit meinte Ulbricht die Auseinandersetzung 

mit dem Stalinismus und dem damit 

verbundenen Personenkult, 

gegen die er selbst sich verwahrte, 

da er seine Position gefährdet sah. 

Beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts 

in die ČSSR und der militärischen Zerschlagung 

der Reformbewegung, die als „Konterrevolution“ 

oder „Sozialdemokratismus“ denunziert wurde, 

nahm die Nationale Volksarmee nicht teil, 

auch wenn die offizielle DDR-Propaganda 

bis Ende der 1980er Jahre behauptete, 

sie hätte an der Invasion teilgenommen.


Auf Ulbricht geht der Standpunkt 

der DDR-Führung zurück, 

dass es normale diplomatische Beziehungen 

zwischen der DDR 

und der Bundesrepublik Deutschland 

nur geben könne, wenn beide Staaten 

die volle Souveränität des jeweils anderen Staates 

anerkannten (Ulbricht-Doktrin). 

Dies stand im Gegensatz zur bundesdeutschen 

Hallstein-Doktrin, der zufolge 

die Bundesrepublik die Kontakte 

zu einem Staat abbricht, der die DDR anerkennt.


Ab 1969 kam es zu Streitigkeiten 

mit Mitgliedern des Politbüro der SED 

zur weiteren Wirtschafts- und Außenpolitik der DDR. 

Ulbricht war im Rahmen der Entspannungspolitik 

von Bundeskanzler Willy Brandt bereit, 

die Verhandlungen mit der Bundesrepublik 

über eine völkerrechtliche Anerkennung 

zurückzustellen. Er erhoffte sich 

von der neuen Entspannungspolitik 

der Bundesregierung wirtschaftliche Vorteile 

für die DDR. Da die Mehrheit 

im Politbüro nicht dieser Meinung folgte, 

kam es ab 1970 zur Schwächung 

seiner Position in der Partei. 

Offiziell wurde in der DDR bis 1989 behauptet, 

Ulbricht habe sich den deutschlandpolitischen

Entspannungsbemühungen zwischen 

der neuen sozialliberalen Bundesregierung 

und der Sowjetunion widersetzt.


Die Unterstützung der sowjetischen Führung 

unter Leonid Breschnew verlor er aber bereits 

ab 1967, als er die These aufstellte, 

die DDR befinde sich auf dem Weg 

in das „entwickelte gesellschaftliche 

System des Sozialismus“ 

und dies stelle eine eigenständige 

Gesellschaftsform dar. 

Hierbei wollte er auch mit der KPdSU „gleichziehen“, 

die behauptete, sie habe in der Sowjetunion 

den Sozialismus bereits realisiert 

und befinde sich auf dem Weg zum Kommunismus. 

Damit stellte Ulbricht einen Monopolanspruch 

der KPdSU auf deren Auslegung 

der marxistisch-leninistischen Grundsätze in Frage 

und beanspruchte für die SED bzw. für die DDR, 

ein Vorbild für die anderen Ostblockstaaten 

bei der Verwirklichung des Sozialismus 

in einem industrialisierten Land zu sein. 

Dafür wurde er von der sowjetischen Parteiführung 

und Gesellschaftswissenschaftlern stark kritisiert.


Bei einem Gespräch zwischen Breschnew 

und Erich Honecker am 28. Juli 1970 in Moskau 

wurde vereinbart, dass Ulbricht 

die Macht in der DDR abzugeben habe. 

Bei der 14. Tagung des SED-Zentralkomitees 

vom 9. bis 11. Dezember 1970 

wurde dann über die Wirtschaftspolitik diskutiert 

und die akuten Versorgungsprobleme, 

welche man für die schlechte Stimmung 

in der Bevölkerung gegenüber der SED 

verantwortlich machte, allein auf die Politik 

Ulbrichts geschoben. Zugleich 

wurden sein Führungsstil und seine Alleingänge 

in der Deutschlandpolitik kritisiert. 

Am 21. Januar 1971 schrieben dann 13 

(der damals 20) Mitglieder und Kandidaten 

des Politbüros der SED 

einen siebenseitigen geheimen Brief an Breschnew. 

Mitverfasser dieses als „Geheime Verschlusssache“ 

deklarierten Briefes waren u. a. Willi Stoph, 

Erich Honecker und Günter Mittag. 

In diesem stellten sie dar, dass Ulbricht 

nicht mehr in der Lage sei, 

die wirtschaftlichen und politischen Realitäten 

richtig einzuschätzen und mit seiner Haltung 

gegenüber der Bundesrepublik eine Linie verfolge, 

die das zwischen der SED und der KPdSU 

abgesprochene Vorgehen empfindlich störe. 

Sie schlugen Breschnew vor, die Entmachtung Ulbrichts 

in der Art vorzunehmen, wie zwischen Honecker 

und ihm im Juli 1970 besprochen. 

Am 29. März 1971 reiste Ulbricht letztmals, 

ohne das zu wissen, an der Spitze 

einer SED-Delegation

zum XXIV. Parteitag der KPdSU nach Moskau. 

In seiner Grußrede am 31. März 1971 

erinnerte er die dortigen Delegierten daran, 

dass er zu den wenigen Anwesenden zähle, 

die Lenin noch persönlich gekannt hätten, 

und stellte die DDR als Modell 

für die industriell entwickelten 

sozialistischen Länder dar. 

Angesichts der bekannten Probleme in der DDR 

wurden seine Äußerungen jedoch von den Zuhörern 

in einer Mischung aus Skepsis 

und Empörung aufgenommen. 

Bei persönlichen Gesprächen 

legte Breschnew Ulbricht den Rücktritt nahe; 

er machte ihm klar, dass Ulbricht 

mit keiner weiteren Unterstützung 

durch die Sowjetunion zu rechnen habe 

und dass auch die Mehrheit des Politbüros 

der SED gegen ihn stand.


Am 3. Mai 1971 erklärte Ulbricht dann 

gegenüber dem Zentralkomitee der SED 

„aus gesundheitlichen Gründen“ 

seinen Rücktritt von fast allen seinen Ämtern. 

Wie bereits in den Absprachen mit Breschnew 

vorgesehen, wurde als Nachfolger 

der damals 58-jährige Erich Honecker nominiert. 

Dieser wurde dann auch auf dem VIII. Parteitag der SED 

(1971 in Ost-Berlin) zum Ersten Sekretär des ZK gewählt. 

Einzig das relativ einflusslose Amt des Vorsitzenden 

des Staatsrates behielt Ulbricht 

bis an sein Lebensende. 

Außerdem erhielt er das neu geschaffene Ehrenamt 

des „Vorsitzenden der SED“. 

Er starb am 1. August 1973 

im Gästehaus der Regierung der DDR am Döllnsee, 

während der X. Weltfestspiele 

der Jugend und Studenten. 

Die Eröffnung der Weltfestspiele 

fand im ehemaligen „Walter-Ulbricht-Stadion“ 

in Ost-Berlin statt, das wenige Tage zuvor 

in „Stadion der Weltjugend“ 

umbenannt worden war. 

Die beginnende Tilgung seines Namens 

aus der DDR-Geschichtsschreibung 

und dem öffentlichen Leben 

durch Umbenennungen von Betrieben, 

Institutionen und Einrichtungen 

hatte Ulbricht schon 1972 

mit der Entfernung seines Namens 

aus der Bezeichnung der Akademie 

für Staats- und Rechtswissenschaft 

in Potsdam erlebt.


Ulbricht erhielt ein Staatsbegräbnis: 

Der Staatsakt am frühen Nachmittag 

des 7. August 1973 fand im Festsaal 

des Staatsratsgebäudes statt, 

und Honecker hielt die Gedenkansprache. 

Auf einer Lafette wurde der Sarg Ulbrichts 

dann am späten Nachmittag 

durch ein Ehrenspalier der Nationalen Volksarmee 

in das Krematorium Berlin-Baumschulenweg überführt. 

Soldaten hatte entlang der Straße Aufstellung genommen, 

auch Werktätige waren aus Betrieben 

an die Strecke beordert worden. 

Am 17. September wurde Ulbrichts Urne 

im Rondell der Gedenkstätte der Sozialisten 

auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt.




NEUNTER GESANG


Sein Vater Wilhelm Honecker war Bergarbeiter 

und heiratete 1905 Caroline Catharina Weidenhof. 

Zusammen hatten sie sechs Kinder.


Erich Honecker wurde in Neunkirchen (Saar) geboren; 

seine Familie zog wenig später 

in den Neunkircher Stadtteil Wiebelskirchen. 

Er besuchte die evangelische Grundschule. 

1922 wurde er noch vor seinem zehnten Geburtstag 

in der fünfzig Mitglieder zählenden 

kommunistischen Kindergruppe 

von Wiebelskirchen untergebracht, 

die auch seine Geschwister besuchten 

und der später in Jung-Spartakus-Bund umbenannt wurde. 

Nach der dritten Klasse wechselte er 

in die evangelische Hauptschule, 

die er 1926 nach der achten Klasse verließ, 

womit automatisch seine Mitgliedschaft 

im Jung-Spartakus-Bund endete.


Als Bergmannbauernfamilie nahmen die 

in ihrem Revier des Saarlandes 

familiär eng vernetzten Honeckers, 

die als Hausbesitzer und Vermieter, 

mit Obst- und Gemüsegarten 

und einer Agrarparzelle 

zu den wohlhabenderen Bergleuten 

in Wiebelskirchen zählten, 

eine materiell vergleichsweise gut gesicherte Position ein, 

die sich, konträr zu den späteren Darstellungen 

Erich Honeckers, von der Not 

der im Deutschen Reich verelendeten Arbeitermassen 

stark unterschied: Sie konnten 

ihren kleinen Besitz

von Generation zu Generation weitergeben, 

besaßen hinter dem Haus Stallungen für eine Kuh 

und hielten Ziegen, Kaninchen 

und zeitweise ein oder zwei Schweine. 

Den Steckrübenwinter 1916/17, 

der zu einer reichsweiten Hungersnot führte, 

überstand die Familie Honecker 

durch ihre bescheidene Landwirtschaft, 

die die Ernährungslage der Familie 

während der Kriegsjahre aufbesserte, 

während der Vater Wilhelm Honecker 

als Matrose an der Front kaum eingesetzt wurde. 

Entgegen den Darstellungen Erich Honeckers 

war sein Vater nicht an der Revolution 

in Kiel beteiligt, und kehrte in Wahrheit 

nicht erst Ende 1918, 

sondern bereits Ende Juli 1917 

als sogenannter „Reklamierter“ 

nach Wiebelskirchen zurück, 

nachdem die Oberste Heeresleitung 

den Abzug von 40.000 Bergarbeitern 

von der Front angeordnet hatte, 

weil deren ziviler Einsatz unter Tage 

wegen der zwischenzeitlich dramatischen 

Brennstoffknappheit wichtiger 

als ihr Dienst als Soldaten geworden war. 

Wilhelm Honecker trat auch nicht, 

wie von seinem Sohn behauptet, 

schon in Kiel der USPD bei, 

sondern erst nach seiner Heimkehr ins Saarland, 

wo die USPD erst Anfang 1918 entstanden war.


Die im Saargebiet paritätisch 

von SPD- und USPD-Vertretern gebildeten 

Arbeiter- und Soldatenräte wurden bereits 

am 24. November von der ins Saargebiet 

einmarschierenden französischen Armee aufgelöst. 

Durch das im Versailler Vertrag integrierte 

Saarstatut wurde ein völkerrechtlich 

neues Gebilde geschaffen, 

das fünfzehn Jahre lang wirtschaftlich 

in das französische Zoll- und Währungsgebiet 

eingegliedert wurde, während das Saargebiet 

politisch von einer vom Völkerbund 

eingesetzten Regierungskommission 

beherrscht wurde. Die Familie Honecker 

behielt die deutsche Staatsbürgerschaft bei, 

stand aber dem katholischen Milieu fern, 

dem die Mehrheit der Saarbevölkerung angehörte, 

und wurde vom sich herausbildenden 

linksproletarischen Milieu angezogen.


Als Honecker nach der Schulzeit 

wegen der verschlechterten Wirtschaftslage 

keine Lehrstelle fand, drängten ihn seine Eltern 

zu Ostern 1926, eine anderweitige Beschäftigung 

auf dem ihm von der Kinderlandverschickung her 

bekannten Hof des Bauern Wilhelm Streich, 

im hinterpommerschen Neudorf, 

in der Nähe der Kreisstadt Bublitz, anzunehmen. 

Honeckers Memoiren zufolge habe er sich dort 

zwei Jahre lang nur für freies Essen 

und freie Kleidung aufgehalten, 

„um in der Landwirtschaft zu arbeiten“. 

Streich behandelte ihn jedoch fast 

als seinen künftigen Schwiegersohn, 

machte ihn zum Jungbauern, 

überantwortete Honecker infolge 

einer Kriegsverletzung 

schließlich die gesamte Feldbestellung 

und entlohnte ihn mit 20 Reichsmark monatlich. 

Im Frühjahr 1928 verzichtete Honecker 

auf die materiellen Verlockungen 

der in Aussicht gestellten Hofübernahme. 

Seine Gastfamilie kleidete ihn daraufhin neu ein, 

stattete ihn mit Geld aus 

und er kehrte nach Wiebelskirchen zurück. 

Da er als Landwirtschaftsgehilfe 

keine Anstellung fand, 

ließ er sich im Dachdeckergeschäft 

seines Onkels Ludwig Weidenhof, 

das dieser im Erdgeschoss 

seines Elternhauses betrieb, 

als Dachdeckergehilfe anlernen. 

Im Anschluss nahm er eine Lehre als Dachdecker 

beim Wiebelskirchener Dachdeckermeister Müller an.


Am 1. Dezember 1928 trat er 

dem Kommunistischen Jugendverband Deutschland bei. 

Der KJVD zählte zu dieser Zeit nur noch 200 Mitglieder 

in elf Ortsgruppen. In seiner späteren DDR-Kaderakte 

datierte er das KJVD-Eintrittsdatum auf 1926 zurück, 

um seine zweijährige Tätigkeit 

als Jungbauer in Hinterpommern 

in seiner politischen Kampfbiographie zu vertuschen. 

Er galt in den konkurrierenden Jugendverbänden 

der Sozialdemokratie und des Zentrums 

als „der Wortführer der Kommunisten“. 

1929 wurde er in die Bezirksleitung 

des KJVD-Saar gewählt. 

Parallel absolvierte er diverse 

innerparteiliche Schulungen, 

um sich auf die Übernahme leitender Funktionen 

im KPD-Jugendverband vorzubereiten. 

Im Dezember 1929 beteiligte er sich 

in Dudweiler an einem zweiwöchigen Lehrgang 

der KJVD-Bezirksschule 

über marxistische Theorie 

und praktische Jugendarbeit. 

In seiner Freizeit widmete sich Honecker 

seinen Mitgliedschaften im örtlichen Spielmannszug 

und in der Jugendorganisation 

des Roten Frontkämpferbundes Roter Jungsturm, 

der später in Rote Jungfront umbenannt wurde. 

Im Kommunistischen Jugendverband 

war er zunächst Kassierer 

und später Leiter der Wiebelskirchener Ortsgruppe. 

Honecker schloss sich formell der KPD an, 

nachdem er bereits in verschiedenen Institutionen 

des kommunistischen Parteimilieus aktiv war. 

Das genaue Datum seines Parteieintritts 

konnte bis heute nicht ermittelt werden. 

Honecker selbst gab für seine Aufnahme in die KPD 

nach 1945 erst das Jahr 1930 

und ein anderes Mal Herbst 1931 an. 

Schließlich verlegte er den Parteieintritt 

auf 1929, um 1979 von der SED 

für seine fünfzigjährige Parteimitgliedschaft 

geehrt werden zu können. 

Im Juli 1930 meldete sich Honecker 

mit 27 weiteren Auserwählten 

aus den verschiedenen KJVD-Bezirken 

beim Parteivorstand der KPD 

im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, 

um an einem Vorbereitungslehrgang 

an der Reichsparteischule der KPD 

in Fichtenau teilzunehmen. 

In einem symbolischen Aufnahmeakt als „Genosse“, 

der sich völlig der Herrschaft 

der kommunistischen Lebenswelt 

und deren Partei unterwirft, 

bekam Honecker seinen neuen Parteinamen 

Fritz Molter zugeteilt, den er auch 

während der sich anschließenden 

konspirativen Kaderschulung in Moskau führte.


Seine Dachdeckerlehre brach Honecker 

nach zwei Jahren ohne Gesellenprüfung ab, 

weil er vom KJVD im Sommer 1930 

zu einem einjährigen Studium 

an die Internationale Lenin-Schule 

nach Moskau delegiert wurde, 

einer vom Exekutivkomitee 

der Kommunistischen Internationale errichteten 

stalinistischen Kaderschmiede, 

die ihn zu einem von zirka 370 

deutschen „Kursanten“ nominierte. 

Im Sommer 1931 absolvierte er 

das obligatorische, von der Kommunistischen

Jugendinternationale eingerichtete 

Praktikum des Kurses, 

aus dem zahlreiche Kaderkräfte 

kommunistischer Machtapparate 

in Ostmitteleuropa nach 1945 hervorgingen. 

Während dieser Zeit nahm er mit 27 anderen 

Kursanten als „Internationale Stoßbrigade“ 

an einem Arbeitseinsatz in Magnitogorsk teil, 

wo seit 1929 ein Stahlwerk als künftiges Zentrum 

der sowjetischen Stahlgewinnung entstand. 

Honeckers Lehrer an der Lenin-Schule 

war Erich Wollenberg, der während 

des Großen Terrors, im Zuge 

der Wollenberg-Hoelz-Verschwörung 

durch das NKWD als Gegner Stalins verfolgt wurde. 

In der Ära der Schulleiterin Kirsanowa, 

die als „eiserne Stalinistin“ galt, 

wurde Honecker „Reinigungsritualen“ 

durch Anklage und Selbstanklage unterzogen, 

um seine Ich-Interessen, 

innerhalb eines geschlossenen Weltbildes, 

systematisch dem Kollektiv 

und den Interessen der Partei unterzuordnen. 

In seinen Sechs-Tage-Wochen 

hatte er ein rigides tägliches Arbeitspensum 

von zehn Stunden und mehr abzuleisten, 

das aus Unterricht und Selbststudium bestand 

und zu politisch-ideologischer Einheitlichkeit 

und mentaler Folgsamkeit erzog. 

Das Pensum einer Schulstunde umfasste 

4–5 Seiten Marx oder Engels, 

6–7 Seiten Lenin, 

7–8 Seiten Stalin 

und 20 Seiten Belletristik. 

Bis zu seinem Lebensende blieb Stalin 

Honeckers prägendste politische Bezugsfigur.


Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 

war die Arbeit der KPD in Deutschland 

nur noch im Untergrund möglich. 

Das Saargebiet jedoch gehörte nicht 

zum Deutschen Reich.

Honecker wurde kurz in Deutschland inhaftiert, 

jedoch bald entlassen. 

Er kam 1934 ins Saargebiet zurück 

und arbeitete mit dem späteren ersten saarländischen

Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann 

in der Kampagne gegen die Wiederangliederung 

an das Deutsche Reich. 

In dieser Zeit im Widerstand 

in den Jahren 1934 und 1935 

arbeitete er auch eng mit dem KPD-Funktionär 

Herbert Wehner, später SPD, zusammen. 

Bei der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 

stimmten jedoch 90,73 Prozent der Wähler 

für eine Vereinigung mit Deutschland. 

Der Jungfunktionär floh, 

wie 4000–8000 andere Menschen auch, 

zunächst nach Frankreich.


Am 28. August 1935 reiste Honecker 

unter dem Decknamen „Marten Tjaden“ 

illegal nach Berlin,

eine Druckerpresse im Gepäck, 

und war wieder im Widerstand tätig. 

Im Dezember 1935 wurde Honecker 

von der Gestapo verhaftet 

und zunächst bis 1937 

im Berliner Zellengefängnis Lehrter Straße 

in Untersuchungshaft genommen. 

Er wurde im Juni 1937 

zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt; 

der ebenfalls angeklagte Bruno Baum wurde – 

auch durch Honeckers Aussagen – 

zu dreizehn Jahren Zuchthaus verurteilt.


Honecker verbüßte seine Haftzeit 

während der Zeit des Nationalsozialismus 

im Zuchthaus Brandenburg-Görden. 

Aufgrund der gestiegenen Zahl 

der Bombenangriffe auf Berlin ab 1943 

teilte man ihn einer Baukolonne zu, 

die mit LKW zu den beschädigten Gebäuden 

gefahren wurde, um die Bombenschäden 

zu reparieren. Als diese Transporte 

nach einem Jahr zu unsicher wurden, 

brachte man seine Baukolonne 

im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin unter. 

Im März 1945 gelang Honecker 

gemeinsam mit einem Mitgefangenen 

während eines Bombenangriffs 

die Flucht aus dem Frauengefängnis. 

Er versteckte sich in der Wohnung 

der Gefängnisaufseherin Charlotte Grund, 

die in der Landsberger Straße 37 wohnte. 

Nachdem dort das Vorderhaus ausgebombt wurde, 

kehrte er, aufgrund der gestiegenen Entdeckungsgefahr, 

in das Gefängnis zurück, 

was offenbar durch die dienstverpflichteten 

Aufseherinnen organisiert wurde. 

Honecker wurde nach Brandenburg zurückverlegt. 

Nach der Befreiung des Zuchthauses 

durch die Rote Armee am 27. April 

ging Honecker nach Berlin. 

Seine mit den Mithäftlingen in Brandenburg 

nicht abgesprochene Flucht, 

sein Untertauchen in Berlin, 

die „Rückmeldung“, die Nichtteilnahme 

an dem geschlossenen Marsch 

der befreiten kommunistischen Häftlinge nach Berlin 

und die Verbindung mit einer Gefängnisaufseherin 

bereiteten Honecker später 

innerparteiliche Schwierigkeiten 

und belasteten sein Verhältnis 

zu ehemaligen Mithäftlingen. 

Gegenüber der Öffentlichkeit verfälschte Honecker 

das Geschehen in seinen Lebenserinnerungen 

und in Interviews.


Im Mai 1945 wurde Honecker eher zufällig 

von Hans Mahle in Berlin „aufgelesen“ 

und mit zur Gruppe Ulbricht genommen. 

Durch Waldemar Schmidt wurde er 

mit Walter Ulbricht bekannt gemacht, 

der ihn bis dahin noch nicht persönlich kannte. 

Bis in den Sommer hinein 

war über die zukünftige Funktion Honeckers 

noch nicht entschieden worden, 

da er sich auch einem Parteiverfahren stellen musste, 

welches mit einer strengen Rüge endete. 

Zur Sprache kam dabei auch seine Flucht 

aus dem Zuchthaus Anfang 1945. 

1946 war er dann Mitbegründer 

der Freien Deutschen Jugend, 

deren Vorsitz er auch übernahm. 

Seit dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD 

im April 1946 war Honecker Mitglied der SED.


In der im Oktober 1949 gegründeten DDR, 

einer realsozialistischen Parteidiktatur, 

setzte Honecker seine politische 

Karriere zielstrebig fort. 

Als FDJ-Vorsitzender organisierte er 

die drei Deutschlandtreffen der Jugend 

in Berlin ab 1950 

und wurde einen Monat nach dem ersten Deutschlandtreffen 

als Kandidat ins Politbüro des ZK der SED aufgenommen. 

Er war ein ausgesprochener Gegner 

kirchlicher Jugendgruppen. 

In den innerparteilichen Auseinandersetzungen 

nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 

stellte er sich gemeinsam mit Hermann Matern 

offen an die Seite Ulbrichts, 

den die Mehrheit des Politbüros 

um Rudolf Herrnstadt zu stürzen versuchte. 

Am 27. Mai 1955 gab er den FDJ-Vorsitz 

an Karl Namokel ab. 

Von 1955 bis 1957 hielt er sich zu Schulungszwecken 

in Moskau auf und erlebte 

den XX. Parteitag der KPdSU 

mit Chruschtschows Rede 

zur Entstalinisierung mit. 

Nach seiner Rückkehr wurde er 1958 

Mitglied des Politbüros, 

wo er die Verantwortung für Militär- 

und Sicherheitsfragen übernahm. 

Als Sicherheitssekretär des ZK der SED 

war er der maßgebliche Organisator 

des Baus der Berliner Mauer im August 1961 

und trug in dieser Funktion den Schießbefehl 

an der innerdeutschen Grenze mit.


Auf dem 11. Plenum des ZK der SED, 

das im Dezember 1965 tagte, 

tat er sich als einer der Wortführer hervor 

und griff verschiedene Kulturschaffende 

wie die Regisseure Kurt Maetzig 

und Frank Beyer scharf an, 

denen er „Unmoral“, „Dekadenz“, 

„spießbürgerlichen Skeptizismus“ 

und „Staatsfeindlichkeit“ vorwarf. 

In diese Kritik bezog er auch die kulturpolitisch 

Verantwortlichen der SED mit ein, 

ohne sie allerdings namentlich zu nennen: 

Sie hätten „keinen prinzipiellen Kampf 

gegen die aufgezeigten Erscheinungen geführt.“ 

Das Plenum beendete die Ansätze 

einer kulturpolitischen Liberalisierung der DDR, 

die sich nach dem Mauerbau gezeigt hatten.


Während Walter Ulbricht 

mit dem Neuen Ökonomischen System 

der Planung und Leitung 

die Wirtschaftspolitik ins Zentrum gerückt hatte, 

deklarierte Honecker die „Einheit 

von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zur Hauptaufgabe. 

Nachdem er sich die Unterstützung 

durch die sowjetische Führung 

unter Leonid Breschnew vergewissert hatte, 

sammelte er Unterschriften im Politbüro 

für die Forderung nach Ulbrichts Absetzung. 

Als Ulbricht davon erfuhr, 

warf er Honecker aus dem Politbüro. 

Daraufhin wandte sich Honecker hilfesuchend 

an den sowjetischen Botschafter Abrassimov, 

und auf Breschnews Geheiß 

musste ihn Ulbricht wieder aufnehmen. 

Schließlich putschte sich Honecker 

mit sowjetischem Einverständnis an die Macht: 

Er wies seine Personenschützer an, 

Maschinenpistolen mitzunehmen, 

und fuhr mit ihnen zu Ulbrichts 

Sommerresidenz in Dölln. 

Dort ließ er alle Tore und Ausgänge besetzen, 

die Telefonleitungen kappen 

und zwang Ulbricht, ein Rücktrittsgesuch 

an das Zentralkomitee zu unterschreiben. 

Honecker wurde am 3. Mai 1971 

als Nachfolger Ulbrichts Erster Sekretär 

(ab 1976 Generalsekretär) 

des Zentralkomitees der SED. 

Wirtschaftliche Probleme und Unmut in den Betrieben 

spielten eine große Rolle bei diesem Machtwechsel. 

Nachdem er 1971 auch im Nationalen Verteidigungsrat 

als Vorsitzender Ulbrichts Nachfolge angetreten hatte, 

wählte ihn die Volkskammer am 29. Oktober 1976 

schließlich auch zum Vorsitzenden des Staatsrats; 

Willi Stoph, der diesen Posten seit 1973 innegehabt hatte, 

wurde erneut, wie vor 1973, 

Vorsitzender des Ministerrats. 

Damit hatte Honecker die Machtspitze 

der DDR erreicht. Von nun an 

entschied er gemeinsam mit dem ZK-Sekretär 

für Wirtschaftsfragen, Günter Mittag, 

und dem Minister für Staatssicherheit, 

Erich Mielke, alle maßgeblichen Fragen. 

Bis zum Herbst 1989 

stand die „kleine strategische Clique“ 

aus diesen drei Männern unangefochten 

an der Spitze der herrschenden Klasse der DDR, 

der zunehmend vergreisenden Monopolelite 

der etwa 520 Staats- und Parteifunktionäre. 

Honecker erlangte gemeinsam mit diesen beiden 

eine Machtfülle wie kein anderer Herrscher 

in der jüngeren deutschen Geschichte, 

Ludendorff und Hitler eingeschlossen, 

weshalb man ihn als Diktator beschreiben muss. 

Unter Honecker entwickelte sich das Politbüro 

rasch zu einem Kollektiv von kritiklosen, 

unterwürfigen Vollstreckern und Ja-Sagern. 

Honecker beantwortete Eingaben 

von Bürgern immer schnell, 

weshalb man ihn in Anlehnung 

an den aufgeklärten Absolutismus 

als „obersten Kümmerer seines Staats“ bezeichnet.


Honeckers engster persönlicher Mitarbeiter 

war der ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda, 

Joachim Herrmann. Mit ihm 

führte er tägliche Besprechungen 

über die Medienarbeit der Partei, 

in denen auch das Layout 

des Neuen Deutschlands 

und die Abfolge der Meldungen 

in der Aktuellen Kamera festgelegt wurden. 

Auf schlechte Nachrichten 

über den Zustand der Wirtschaft 

reagierte er, indem er etwa 1978 

das Institut für Meinungsforschung schließen ließ. 

Große Bedeutung maß Honecker auch 

dem Feld der Staatssicherheit bei, 

das er einmal in der Woche 

jeweils nach der Sitzung des Politbüros 

mit Erich Mielke durchsprach.


Während seiner Amtszeit 

wurde der Grundlagenvertrag 

mit der Bundesrepublik Deutschland ausgehandelt. 

Außerdem nahm die DDR 

an den KSZE-Verhandlungen in Helsinki teil 

und wurde als Vollmitglied in die UNO aufgenommen. 

Diese diplomatischen Erfolge gelten 

als die größten außenpolitischen 

Leistungen Honeckers.


Am 31. Dezember 1982 versuchte 

der Ofensetzer Paul Eßling, 

die Autokolonne Honeckers zu rammen, 

was in westlichen Medien 

als Attentat dargestellt wurde.


Innenpolitisch zeichnete sich anfangs 

eine Liberalisierungstendenz 

vor allem im Bereich der Kultur und Kunst ab, 

die aber weniger durch den Personalwechsel 

von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 

hervorgerufen wurde, sondern Propagandazwecken 

im Rahmen der 1973 ausgetragenen 

X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten diente.

Nur wenig später erfolgten 

die Ausbürgerung von Regimekritikern 

wie Wolf Biermann und die Unterdrückung 

innenpolitischen Widerstands 

durch das Ministerium für Staatssicherheit. 

Zudem setzte Honecker sich 

für den weiteren Ausbau 

der innerdeutschen Staatsgrenze 

mit Selbstschussanlagen 

und den rücksichtslosen Schusswaffengebrauch 

bei Grenzdurchbruchsversuchen ein. 

1974 sagte er dazu, „es sind die Genossen, 

die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, 

zu belobigen.“ 

Wirtschaftspolitisch wurde unter Honecker 

die Verstaatlichung und Zentralisierung 

der Wirtschaft vorangetrieben. 

Die schwierige wirtschaftliche Lage 

zwang zur Aufnahme von Milliardenkrediten 

von der Bundesrepublik Deutschland, 

um den Lebensstandard halten zu können.


Die Londoner Financial Times sah Honecker 1981 

auf der Höhe seiner Popularität 

und stellt diesen Vergleich 

zum damaligen Bundeskanzler auf:


„Wenn Helmut Schmidt, der westdeutsche Kanzler, 

zu Deutschlands besten Rednern gehört, 

so muss Erich Honecker 

einer der am wenigsten begabten sein. 

Sich seiner hohen Singsang-Stimme auszusetzen, 

die die Litanei der ostdeutschen 

Kommunistischen Partei beschwört, 

ohne auch nur einen Hauch von Emotion 

in seinem Gesicht, 

kann eine sterbenslangweilige Erfahrung sein.“


1981 empfing er Bundeskanzler Helmut Schmidt 

im Jagdhaus Hubertusstock am Werbellinsee. 

Honeckers Einschätzung, die DDR habe 

„wirtschaftlich Weltklasseniveau erreicht 

und gehöre zu den bedeutendsten 

Industrienationen der Welt“, 

kommentierte Schmidt später mit dem Verdikt 

vom „Mann von beschränkter Urteilskraft“. 

Trotz der Wirtschaftsprobleme 

brachten Honecker die 1980er Jahre 

vermehrte internationale Anerkennung, 

insbesondere als er am 7. September 1987 

die Bundesrepublik Deutschland besuchte 

und durch Bundeskanzler Helmut Kohl 

in Bonn empfangen wurde. 

Auf seiner Reise durch die Bundesrepublik 

kam er nach Düsseldorf, Wuppertal, Essen, Trier, 

Bayern sowie am 10. September 

in seinen Geburtsort im Saarland. 

Hier hielt er eine emotionale Rede, 

in der er davon sprach, eines Tages 

würden die Grenzen die Menschen 

in Deutschland nicht mehr trennen. 

Diese Reise war seit 1983 geplant gewesen, 

wurde jedoch damals von der sowjetischen 

Führung blockiert, da man 

dem deutsch-deutschen Sonderverhältnis misstraute. 

1988 war Honecker unter anderem 

auf Staatsbesuch in Paris. 

Sein großes Ziel, welches er aber nicht mehr erreichte, 

war ein offizieller Besuch in den USA. 

Er setzte deshalb in den letzten Jahren der DDR 

auf ein positives Verhältnis zum Jüdischen 

Weltkongress als möglichem „Türöffner“.


Auf dem Gipfeltreffen des Warschauer Paktes 

in Bukarest am 7. und 8. Juli 1989 

im Rahmen des „Politisch-Beratenden Ausschusses“ 

der Staaten des Warschauer Paktes 

gab die Sowjetunion offiziell 

die Breschnew-Doktrin 

der begrenzten Souveränität der Mitgliedsstaaten auf 

und verkündete die „Freiheit der Wahl“: 

Die Beziehungen untereinander sollten künftig, 

wie es im Bukarester Abschlussdokument heißt, 

„auf der Grundlage der Gleichheit, 

Unabhängigkeit und des Rechtes 

eines jeden Einzelnen, selbstständig 

seine eigene politische Linie, 

Strategie und Taktik ohne Einmischung 

von außen auszuarbeiten“ entwickelt werden. 

Die sowjetische Bestandsgarantie 

für die Mitgliedsstaaten 

war damit in Frage gestellt. 

Honecker musste seine Teilnahme 

an dem Treffen abbrechen; 

am Abend des 7. Juli 1989 wurde er 

mit schweren Gallenkoliken 

in das rumänische Regierungskrankenhaus eingeliefert 

und dann nach Berlin ausgeflogen. 

Im Regierungskrankenhaus Berlin-Buch 

entfernte man ihm am 18. August 1989 

die Gallenblase und einen Abschnitt des Dickdarms. 

Während der Operation 

wurde ein Nierentumor entdeckt, 

doch die Ärzte wagten es nicht, 

Honecker darüber zu unterrichten. 

Erst im September 1989 tauchte Honecker 

abgemagert und vergreist 

wieder im Politbüro auf. 

Währenddessen leitete Günter Mittag 

die wöchentlichen Sitzungen des Politbüros. 

Lediglich im August 1989 

nahm er einige Termine wahr. 

So erklärte er am 14. August 1989 

bei der Übergabe der ersten Funktionsmuster 

von 32-Bit-Prozessoren 

durch das Kombinat Mikroelektronik Erfurt:


„Den Sozialismus in seinem Lauf

Hält weder Ochs noch Esel auf.“


Aber in den Städten der DDR 

wuchsen Zahl und Größe der Demonstrationen, 

und auch die Zahl der DDR-Flüchtlinge 

über die bundesdeutschen Botschaften 

in Prag und Budapest

und über die Grenzen 

der „sozialistischen Bruderstaaten“ 

nahm stetig zu, monatlich waren es 

mehrere Zehntausend.

Die ungarische Regierung öffnete 

am 19. August 1989 an einer Stelle 

und am 11. September 1989 überall 

die Grenze zu Österreich. 

Allein hierüber reisten Zehntausende 

von DDR-Bürgern über Österreich 

in die Bundesrepublik aus. 

Die ČSSR erklärte den Zustrom der DDR-Flüchtlinge 

für inakzeptabel. Am 3. Oktober 1989 

schloss die DDR faktisch ihre Grenzen 

zu den östlichen Nachbarn, 

indem sie den visafreien Reiseverkehr 

in die ČSSR aussetzte; 

ab dem nächsten Tag wurde diese Maßnahme 

auch auf den Transitverkehr 

nach Bulgarien und Rumänien ausgedehnt. 

Die DDR war dadurch nicht nur wie bisher 

durch den Eisernen Vorhang nach Westen abgeriegelt, 

sondern nun auch noch gegenüber 

den meisten Staaten des Ostblocks. 

Proteste von DDR-Bürgern 

bis hin zu Streikandrohungen 

aus den grenznahen Gebieten 

zur ČSSR waren die Folge.


Die Beziehung zwischen Honecker 

und dem Generalsekretär der KPdSU 

und Präsidenten der UdSSR Gorbatschow 

war schon seit Jahren gespannt: 

Honecker hielt dessen Politik der Perestroika 

und Kooperation mit dem Westen für falsch 

und fühlte sich von ihm speziell 

in der Deutschlandpolitik hintergangen. 

Er sorgte dafür, dass offizielle Texte der UdSSR, 

vor allem solche zum Thema Perestroika, 

in der DDR nicht mehr veröffentlicht 

oder in den Handel gebracht werden durften. 

Am 6. und 7. Oktober 1989 fanden 

die Staatsfeierlichkeiten zum 40. Jahrestag 

der DDR in Anwesenheit von Michail Gorbatschow statt, 

der mit „Gorbi, Gorbi, hilf uns“-Rufen begrüßt wurde. 

In einem Vieraugengespräch der beiden Generalsekretäre 

pries Honecker die Erfolge des Landes. 

Gorbatschow wusste aber, dass die DDR 

in Wirklichkeit vor der Zahlungsunfähigkeit stand.


Am Ende einer Krisensitzung 

am 10. und 11. Oktober 1989 forderte 

das SED-Politbüro Honecker auf, 

bis Ende der Woche einen Lagebericht abzugeben, 

der geplante Staatsbesuch in Dänemark 

wurde abgesagt und eine Erklärung veröffentlicht, 

die Egon Krenz gegen den Widerstand 

Honeckers durchgesetzt hatte. 

Ebenfalls überwiegend auf Initiative von Krenz 

folgten in den nächsten Tagen 

Besprechungen und Sondierungen zu der Frage, 

Honecker zum Rücktritt zu bewegen. 

Krenz sicherte sich die Unterstützung 

von Armee und Stasi 

und arrangierte ein Treffen 

zwischen Michail Gorbatschow 

und Politbüromitglied Harry Tisch, 

der den Kremlchef am Rande eines Moskaubesuchs 

einen Tag vor der Sitzung 

über die geplante Absetzung Honeckers informierte. 

Gorbatschow wünschte viel Glück, 

das Zeichen, auf das Krenz 

und die anderen gewartet hatten. 

Auch SED-Chefideologe Kurt Hager 

flog am 12. Oktober 1989 nach Moskau 

und besprach mit Gorbatschow 

die Modalitäten der Honecker-Ablösung. 

Hans Modrow dagegen wich einer Anwerbung aus.


Die für Ende November 1989 geplante 

Sitzung des ZK der SED 

wurde auf Ende der Woche vorgezogen, 

dringendster Tagesordnungspunkt: 

die Zusammensetzung des Politbüros. 

Per Telefon versuchten Krenz und Erich Mielke 

am Abend des 16. Oktober, 

weitere Politbüromitglieder für die Absetzung 

Honeckers zu gewinnen. Zu Beginn 

der Sitzung des Politbüros vom 17. Oktober 1989 

fragte Honecker routinemäßig: 

„Gibt es noch Vorschläge zur Tagesordnung?“ 

Willi Stoph meldete sich 

und schlug als ersten Punkt der Tagesordnung vor: 

„Entbindung des Genossen Honecker 

von seiner Funktion als Generalsekretär 

und Wahl von Egon Krenz zum Generalsekretär“. 

Honecker schaute zuerst regungslos, 

fasste sich aber rasch wieder: 

„Gut, dann eröffne ich die Aussprache.“ 

Nacheinander äußerten sich alle Anwesenden, 

doch keiner machte sich für Honecker stark. 

Günter Schabowski erweiterte sogar den Antrag 

und forderte die Absetzung Honeckers 

auch als Staatsratsvorsitzender 

und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. 

Selbst Günter Mittag rückte von ihm ab. 

Alfred Neumann wiederum forderte die Ablösung 

von Mittag und von Joachim Herrmann. 

Erich Mielke machte Honecker 

für fast alle aktuellen Missstände in der DDR 

verantwortlich und drohte Honecker schreiend, 

kompromittierende Informationen, die er besitze, 

herauszugeben, falls Honecker nicht zurücktrete.


Nach drei Stunden fiel der einstimmige Beschluss 

des Politbüros. Honecker votierte, wie es Brauch war, 

für seine eigene Absetzung. 

Dem ZK der SED wurde vorgeschlagen, 

Honecker, Mittag und Hermann 

von ihren Funktionen zu entbinden. 

Bei der folgenden ZK-Sitzung 

waren 206 Mitglieder und Kandidaten anwesend. 

Lediglich 16 fehlten, darunter Margot Honecker. 

Das ZK folgte der Empfehlung des Politbüros. 

Die einzige Gegenstimme kam 

von der 81-jährigen Hanna Wolf, 

der früheren Direktorin 

der Parteihochschule „Karl Marx“.

Öffentlich hieß es: „Das ZK hat der Bitte 

Erich Honeckers entsprochen, 

ihn aus gesundheitlichen Gründen 

von der Funktion des Generalsekretärs, 

vom Amt des Staatsratsvorsitzenden 

und von der Funktion des Vorsitzenden 

des Nationalen Verteidigungsrates 

der DDR zu entbinden.“ Egon Krenz 

wurde per Akklamation einstimmig 

zum neuen Generalsekretär der SED gewählt. 

Am 20. Oktober 1989 musste auch Margot Honecker 

von ihren Ämtern zurücktreten.


Die Volkskammer der DDR 

setzte Mitte November 1989 

einen Ausschuss zur Untersuchung 

von Korruption und Amtsmissbrauch ein, 

dessen Vorsitzender am 1. Dezember 1989 

Bericht erstattete. Er warf den bisherigen 

SED-Machthabern umfassenden Missbrauch 

öffentlicher Ämter zu privaten Zwecken vor. 

Honecker habe zudem seit 1978 

jährliche Zuwendungen von rund 20.000 Mark 

durch die Bauakademie der DDR erhalten. 

Die Staatsanwaltschaft der DDR 

leitete daraufhin strafrechtliche Ermittlungen 

gegen 30 ehemalige DDR-Spitzenfunktionäre ein, 

unter ihnen zehn Mitglieder des Politbüros. 

Die meisten davon kamen in Untersuchungshaft, 

so am 3. Dezember 1989 

auch Honeckers Wandlitzer Nachbarn 

Günter Mittag und Harry Tisch 

wegen persönlicher Bereicherung 

und Vergeudung von Volksvermögen. 

Am selben Tag wurde Honecker 

vom ZK aus der SED ausgeschlossen. 

Er schloss sich daraufhin der neu gegründeten KPD an, 

deren Mitglied er von 1992 bis zu seinem Tod war.


Am 30. November 1989

wurde dem Ehepaar Honecker 

die Wohnung in Wandlitz gekündigt 

und am 7. Dezember 1989 durchsucht. 

Wegen der aufgeheizten Stimmung 

lehnten die Honeckers ein Wohnungsangebot 

am Bersarinplatz ab, beschwerten sich aber mehrfach, 

man habe sie obdachlos gemacht.


Am 5. Dezember 1989 wurde auch gegen ihn 

ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. 

Honecker sei „verdächtig, 

seine Funktion als Vorsitzender des Staatsrates 

und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR 

und seine angemaßte politische 

und ökonomische Macht 

als Generalsekretär des ZK der SED missbraucht“ 

und „seine Verfügungsbefugnisse 

als Generalsekretär des ZK der SED 

zum Vermögensvorteil für sich 

und andere missbraucht zu haben“. 

Federführend war bis Januar 1990 

das Amt für Nationale Sicherheit der DDR, 

also der Nachfolger der Stasi, 

das hierzu einen „Maßnahmeplan 

im Ermittlungsverfahren gegen Erich Honecker“ 

erarbeitet hatte, später betrieb 

die Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen 

beim Generalstaatsanwalt der DDR das Verfahren.


Am 6. Januar 1990 erfuhr Honecker 

nach einer erneuten Untersuchung 

durch eine Ärztekommission aus den Abendnachrichten 

der Aktuellen Kamera des DDR-Fernsehens, 

dass er Nierenkrebs hat. 

Am 10. Januar 1990 entfernte der Urologe 

Peter Althaus einen pflaumengroßen Nierentumor. 

Am Abend des 28. Januar 1990 

wurde Honecker in seinem Krankenzimmer 

der Charité festgenommen, 

am nächsten Tag in das Haftkrankenhaus 

des Gefängnisses Berlin-Rummelsburg eingeliefert 

und nach einem Tag 

wegen Haftunfähigkeit entlassen.


Rechtsanwalt Wolfgang Vogel wandte sich 

im Auftrag Honeckers

an die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg 

und bat um Hilfe. 

Pastor Uwe Holmer, 

Leiter der Hoffnungstaler Anstalten 

in Lobetal bei Bernau, 

bot daraufhin dem Ehepaar Unterkunft 

in seinem Pfarrhaus an. 

Althaus fuhr es noch am Abend 

des 30. Januar 1990 dorthin. 

Schon am selben Tag kam es zu Kritik 

und später zu Demonstrationen 

gegen die kirchliche Hilfe für das Ehepaar, 

da beide solche Christen, 

die sich nicht dem SED-Regime angepasst hätten, 

benachteiligt hätten. 

Das Ehepaar wohnte dennoch – 

abgesehen von einer Unterbringung 

in einem Ferienhaus in Lindow, 

die im März 1990 schon nach einem Tag 

wegen politischer Proteste abgebrochen werden musste – 

bis zum 3. April 1990 weiter bei Holmers. 

Dann siedelte das Ehepaar 

in das sowjetische Militärhospital bei Beelitz über. 

Bei erneuten Untersuchungen auf Haftfähigkeit 

stellten dort die Ärzte bei Honecker 

die Verdachtsdiagnose eines bösartigen Lebertumors. 

Am 2. Oktober 1990, dem Vorabend 

der Deutschen Wiedervereinigung, 

wurden die wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsakten 

im Fall Erich Honecker von der Generalstaatsanwaltschaft 

der DDR an die der Bundesrepublik übergeben. 

Am 30. November 1990 erließ das Amtsgericht Tiergarten 

einen weiteren Haftbefehl gegen Honecker 

wegen des Verdachts, dass er den Schießbefehl 

an der innerdeutschen Grenze 1961 verfügt 

und 1974 bekräftigt habe. 

Der Haftbefehl war aber nicht vollstreckbar, 

da Honecker sich in Beelitz 

unter dem Schutz sowjetischer Stellen befand. 

Am 13. März 1991 wurde das Ehepaar 

mit einem sowjetischen Militärflugzeug 

von Beelitz nach Moskau, 

nach vorheriger Information des Bundeskanzlers Kohl 

durch den sowjetischen Staatspräsidenten 

Gorbatschow, ausgeflogen.


Das Kanzleramt war durch die sowjetische Diplomatie 

über die bevorstehende Ausreise der Honeckers 

nach Moskau informiert worden. 

Die Bundesregierung beschränkte sich aber öffentlich 

auf den Protest, es liege bereits ein Haftbefehl vor, 

daher verstoße die Sowjetunion 

gegen die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland 

und damit gegen Völkerrecht. 

Immerhin war zu diesem Zeitpunkt 

der Zwei-plus-Vier-Vertrag, 

der Deutschland die volle Souveränität zuerkennen sollte, 

vom Obersten Sowjet noch nicht ratifiziert. 

Erst am 15. März 1991 trat der Vertrag 

mit der Hinterlegung der sowjetischen 

Ratifizierungsurkunde beim deutschen Außenminister 

offiziell in Kraft. Von diesem Augenblick an 

wuchs der deutsche Druck auf Moskau, 

Honecker zu überstellen.


Zwischen Michail Gorbatschow und Honecker 

bestand ohnehin ein seit Jahren 

stetig schlechter werdendes Verhältnis, 

die UdSSR befand sich in der Auflösung. 

Den Augustputsch in Moskau überstand Gorbatschow 

nur geschwächt. Der neue starke Mann, 

Boris Jelzin, Präsident der russischen Teilrepublik RSFSR, 

verbot die KPdSU, deren Generalsekretär Gorbatschow war. 

Am 25. Dezember 1991 trat Gorbatschow 

als Präsident der Sowjetunion zurück. 

Die russische Regierung unter Jelzin 

forderte Honecker im Dezember 1991 auf, 

das Land zu verlassen, 

da andernfalls die Abschiebung erfolge. 

Am 11. Dezember 1991 flüchteten die Honeckers 

daher in die chilenische Botschaft in Moskau. 

Nach Erinnerung Margot Honeckers 

hatten zwar auch Nordkorea 

und Syrien Asyl angeboten, 

von Chile erhoffte man sich aber besonderen Schutz: 

Nach dem Militärputsch von 1973 

unter Augusto Pinochet hatte die DDR 

unter Honecker vielen Chilenen, 

auch dem Botschafter Clodomiro Almeyda, 

Exil in der DDR gewährt, 

und Honeckers Tochter Sonja 

war mit einem Chilenen verheiratet. 

In Anspielung auf die DDR-Flüchtlinge 

in den bundesdeutschen Botschaften 

in Prag und Budapest

wurde das Ehepaar Honecker ironisch 

„letzte Botschaftsflüchtlinge der DDR“ genannt. 

Chile allerdings wurde damals 

durch eine links-bürgerliche Koalition regiert, 

und die deutsche Bundesregierung äußerte, 

wenn Russland und Chile 

ihren Anspruch einlösen wollten, 

Rechtsstaaten zu sein, müsste Honecker, 

da mit Haftbefehl in Deutschland gesucht, 

in die Bundesrepublik überstellt werden. 

Am 22. Juli begründete der deutsche Botschafter 

Klaus Blech im russischen Außenministerium: 

„Nach Auffassung der deutschen Regierung 

verstößt die widerrechtliche Verbringung 

von Herrn Honecker gegen den Vertrag 

über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts 

und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs 

der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet 

der Bundesrepublik Deutschland 

und gegen allgemeines Völkerrecht, 

weil sie dazu diente, eine wegen Anstiftung 

zur mehrfachen vorsätzlichen Tötung 

durch Haftbefehl gesuchte Person 

der Strafverfolgung zu entziehen.“


Allerdings war der bei Honecker bereits 

in Beelitz erhobene Verdacht auf Leberkrebs 

im Februar 1992 in Moskau 

durch eine Ultraschall-Untersuchung 

mit dem Befund „herdförmiger Befall der Leber – 

Metastase“ bestärkt worden. 

Drei Wochen später aber soll 

die grundsätzlich zuverlässigere Untersuchung 

durch ein Computertomogramm ergeben haben: 

„Werte für einen herdförmigen Befall der Leber 

wurden nicht festgestellt“. 

Nun wurde gegen Honecker verbreitet, 

er sei ein Simulant. Drei Tage später 

verkündete der russische Justizminister 

im deutschen Fernsehen, Honecker 

werde nach Deutschland überstellt, 

sobald er die Botschaft verlassen habe. 

Am 7. März 1992 hieß es, 

die chilenische Regierung korrigiere ihre Haltung 

im Fall Honecker, Botschafter Almeyda 

sei zur Berichterstattung nach Santiago beordert, 

man sei verärgert über seinen Versuch, 

mit offenbar manipulierten Berichten 

über den todkranken Honecker 

dessen Einreise nach Chile zu erreichen. 

Almeyda wurde von seinem Posten abberufen. 

Zwar protestierte am 18. März 1992 

eine Gruppe von Ärzten aus dem russischen Parlament 

und machte geltend, es sei die März-Diagnose, 

die manipuliert worden sei. 

Aber für die Öffentlichkeit schien Honeckers 

altersgerecht guter Allgemeinzustand 

gegen eine Krebserkrankung zu sprechen. 

Im Juni 1992 sicherte der chilenische Präsident 

Patricio Aylwin schließlich Bundeskanzler 

Helmut Kohl zu, Honecker werde 

die Botschaft in Moskau verlassen. 

Die Russen ergänzten, sie sähen „keinen Grund“, 

von ihrer Entscheidung von Dezember 1991 abzurücken, 

„wonach Honecker nach Deutschland 

zurückzukehren hat“. Am 29. Juli 1992 

wurde Erich Honecker nach Berlin ausgeflogen, 

wo er verhaftet 

und in die Justizvollzugsanstalt Moabit gebracht wurde. 

Margot Honecker dagegen reiste per Direktflug 

der Aeroflot von Moskau nach Santiago de Chile, 

wo sie zunächst bei ihrer Tochter Sonja unterkam 

und bis zu ihrem Tod am 6. Mai 2016 lebte.


Am 29. Juli 1992 wurde Honecker 

in Untersuchungshaft im Krankenhaus 

der Berliner Vollzugsanstalten 

in Berlin-Moabit genommen.


Die Schwurgerichtsanklage vom 12. Mai 1992 

warf ihm vor, als Vorsitzender des Staatsrats 

und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR 

gemeinsam mit mehreren Mitangeklagten, 

unter anderem Erich Mielke, Willi Stoph, 

Heinz Keßler, Fritz Streletz und Hans Albrecht, 

in der Zeit 1961 bis 1989 am Totschlag 

von insgesamt 68 Menschen beteiligt gewesen zu sein, 

indem er insbesondere als Mitglied des NVR 

angeordnet habe, die Grenzanlagen um West-Berlin 

und die Sperranlagen zur Bundesrepublik auszubauen, 

um ein Passieren unmöglich zu machen. 

Insbesondere zwischen 1962 und 1980 

habe er mehrfach Maßnahmen und Festlegungen 

zum weiteren pioniertechnischen Ausbau der Grenze 

durch Errichtung von Streckmetallzäunen 

zur Anbringung der Selbstschussanlagen 

und der Schaffung von Sicht- und Schussfeld 

entlang der Grenzsicherungsanlagen getroffen, 

um Grenzdurchbrüche zu verhindern. 

Außerdem habe er im Mai 1974 

in einer Sitzung des NVR dargelegt, 

der pioniermäßige Ausbau der Staatsgrenze 

müsse weiter fortgesetzt werden, 

überall müsse ein einwandfreies Schussfeld 

gewährleistet werden und nach wie vor 

müsse bei Grenzdurchbruchsversuchen 

von der Schusswaffe rücksichtslos 

Gebrauch gemacht werden. 

„Die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich 

angewandt haben“, seien „zu belobigen“.


Diese Anklage ist durch Beschluss des Landgerichts 

Berlin vom 19. Oktober 1992 

unter Eröffnung des Hauptverfahrens 

zugelassen worden. Mit Beschluss vom gleichen Tage 

wurde das Verfahren hinsichtlich 56 

der angeklagten Fälle abgetrennt, 

deren Verhandlung zurückgestellt wurde. 

Die verbliebenen 12 Fälle waren Gegenstand 

der am 12. November 1992 

begonnenen Hauptverhandlung. 

Ebenfalls am 19. Oktober 1992 erließ 

die Strafkammer einen Haftbefehl 

hinsichtlich der verbliebenen zwölf Fälle.


Eine zweite Anklageschrift 

vom 12. November 1992 

legte Honecker zur Last, 

in der Zeit von 1972 bis Oktober 1989 

Vertrauensmissbrauch in Tateinheit mit Untreue 

zum Nachteil sozialistischen Eigentums 

begangen zu haben. Es handelte sich hierbei 

um Vorgänge im Zusammenhang 

mit der Versorgung und Betreuung 

der Waldsiedlung Wandlitz. 

In diesem Zusammenhang erging am 14. Mai 1992 

ein weiterer Haftbefehl.


Der von aller Welt mit Spannung erwartete Prozess 

hatte nach Ansicht vieler Juristen 

einen ungewissen Ausgang. 

Denn nach welchen Gesetzen der Staatschef 

der untergegangenen DDR 

eigentlich verurteilt werden konnte, war umstritten. 

Auch mussten die Politiker 

der alten Bundesrepublik befürchten, 

ihrem „vormaligen Bankettgesellen“ 

(so der DDR-Schriftsteller Hermann Kant), 

den sie noch 1987 in Bonn, München 

und anderen Städten mit allen protokollarischen 

Ehren empfangen hatten, 

im Gerichtssaal gegenübergestellt zu werden.


In seiner am 3. Dezember 1992 

vor Gericht vorgetragenen Erklärung 

übernahm Honecker zwar die politische Verantwortung 

für die Toten an Mauer und Stacheldraht, 

doch sei er „ohne juristische 

oder moralische Schuld“. 

Er rechtfertigte den Bau der Mauer damit, 

dass aufgrund des sich zuspitzenden Kalten Krieges 

die SED-Führung 1961 

zu dem Schluss gekommen sei, dass anders 

ein „dritter Weltkrieg mit Millionen Toten“ 

nicht zu verhindern gewesen sei, 

und betonte die Zustimmung 

der sozialistischen Führungen 

sämtlicher Ostblockstaaten 

zu dieser gemeinschaftlich getroffenen Entscheidung 

und verwies auf die Funktionen, 

die der DDR in seiner Amtszeit 

im UN-Weltsicherheitsrat 

trotz des Schießbefehls an der Mauer 

zugestanden worden seien. 

Im Weiteren führte er an, dass der Prozess gegen ihn 

aus rein politischen Motiven geführt werde, 

und verglich die 49 Mauertoten, 

deretwegen er angeklagt war, 

etwa mit der Anzahl der Opfer im von den USA 

geführten Vietnamkrieg 

oder der Selbstmordrate in westlichen Ländern. 

Die DDR habe bewiesen, „dass Sozialismus möglich 

und besser sein kann als Kapitalismus“. 

Öffentliche Kritik an Verfolgungen durch die Stasi 

tat er damit ab, dass auch der „Sensationsjournalismus“ 

in westlichen Ländern mit Denunziation arbeite 

und die gleichen Konsequenzen habe.


Honecker war zu dieser Zeit bereits schwer krank. 

Eine erneute Computertomographie 

am 4. August 1992 bestätigte 

die Moskauer Ultraschall-Untersuchung: 

Im rechten Leberlappen befand sich 

ein „fünf Zentimeter großer raumfordernder Prozess“, 

vermutlich eine Spätmetastase des Nierenkrebses, 

der Honecker im Januar 1990 in der Charité 

entfernt worden war. Unter Berufung 

auf diese Feststellungen stellten Honeckers Anwälte 

Nicolas Becker, Friedrich Wolff und Wolfgang Ziegler 

den Antrag, das Verfahren, soweit es sich 

gegen Honecker richte, abzutrennen, 

einzustellen und den Haftbefehl aufzuheben. 

Das Verfahren sei eine Nagelprobe für den Rechtsstaat. 

Ihr Mandant leide an einer unheilbaren Krankheit, 

die entweder durch Ausschaltung der Leberfunktion 

direkt oder durch Metastasierung 

in anderen Bereichen zum Tode führe. 

Seine Lebenserwartung sei geringer 

als die auf mindestens zwei Jahre geschätzte 

Prozessdauer. Es sei zu fragen, ob es human ist, 

gegen einen Sterbenden zu verhandeln.


Den gestellten Antrag lehnte die Strafkammer 

mit Beschluss vom 21. Dezember 1992 ab. 

Das Landgericht führte in seiner Begründung aus, 

dass kein Verfahrenshindernis bestehe. 

Zwar habe sich die Einschätzung 

der voraussichtlich eintretenden 

Verhandlungsunfähigkeit aufgrund 

der aktualisierten schriftlichen Gutachten 

zeitlich verdichtet. Die Prognose des Eintritts 

der Verhandlungsunfähigkeit sei jedoch 

im Hinblick auf die Schwere 

und Bedeutung des Tatvorwurfs 

und des sich daraus ergebenden Gewichts 

der verfassungsrechtlich gebotenen Pflicht 

zur Strafverfolgung noch immer zu ungewiss, 

als dass eine sofortige Einstellung des Verfahrens 

zwingend geboten erscheine.


Die hiergegen eingelegte Beschwerde 

verwarf das Kammergericht durch Beschluss 

vom 28. Dezember 1992. 

Das Kammergericht kam jedoch zu dem Ergebnis, 

aufgrund der Stellungnahmen und Gutachten 

der medizinischen Sachverständigen 

sei davon auszugehen, dass infolge 

eines bösartigen Tumors im rechten Leberlappen 

Honeckers eine Verhandlungsfähigkeit 

mit hoher Wahrscheinlichkeit 

nicht mehr lange bestehen werde 

und Honecker mit an Sicherheit grenzender 

Wahrscheinlichkeit den Abschluss des Verfahrens 

nicht überleben werde. 

Das Kammergericht sah sich gleichwohl gehindert, 

das Verfahren selbst einzustellen, 

weil dies nach Beginn der Hauptverhandlung 

nur noch vom Landgericht 

durch Urteil ausgesprochen werden könne. 

Dementsprechend könne es auch 

den bestehenden Haftbefehl nicht aufheben, 

bevor das Landgericht über das Vorliegen 

eines Verfahrenshindernisses entschieden habe.

Hiergegen erhob Honecker Verfassungsbeschwerde 

vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin. 

Honecker führte aus, die Entscheidungen 

verletzten sein Grundrecht auf Menschenwürde. 

Die Menschenwürde gelte als tragendes Prinzip 

der Verfassung auch gegenüber 

dem staatlichen Strafvollzug 

und der Strafjustiz uneingeschränkt. 

Die Fortführung eines Strafverfahrens 

und einer Hauptverhandlung 

gegen einen Angeklagten, 

von dem mit Sicherheit zu erwarten sei, 

dass er vor Abschluss der Hauptverhandlung 

und mithin vor einer Entscheidung 

über seine Schuld oder Unschuld sterben werde, 

verletze dessen Menschenwürde. 

Die Menschenwürde umfasse insbesondere das Recht 

eines Menschen, in Würde sterben zu dürfen.


Mit Beschluss vom 12. Januar 1993 

entsprach der Verfassungsgerichtshof 

der Verfassungsbeschwerde Honeckers. 

Aufgrund der Feststellungen des Kammergerichts, 

wonach Honecker den Abschluss des Verfahrens 

mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 

nicht mehr erleben werde, 

sei davon auszugehen, 

dass das Strafverfahren seinen gesetzlichen Zweck 

auf vollständige Aufklärung der 

Honecker zur Last gelegten Taten 

und gegebenenfalls Verurteilung und Bestrafung 

nicht mehr erreichen könne. 

Das Strafverfahren werde damit zum Selbstzweck, 

wofür es keinen rechtfertigenden Grund gäbe. 

Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls 

verletze den Anspruch Honeckers 

auf Achtung seiner Menschenwürde. 

Der Mensch werde zum bloßen Objekt 

staatlicher Maßnahmen insbesondere dann, 

wenn sein Tod derart nahe sei, 

dass ein Strafverfahren seinen Sinn verloren habe.


Noch am selben Tage stellte das Landgericht Berlin 

das Verfahren ein und hob den Haftbefehl auf. 

Den hiergegen von der Staatsanwaltschaft 

und den Nebenklägern erhobenen Beschwerden 

half das Landgericht nicht ab. 

Der Antrag auf Erlass eines neuen Haftbefehls 

wurde mit Beschluss vom 13. Januar 1993 abgelehnt.

Am 13. Januar 1993 lehnte das Landgericht Berlin 

in Bezug auf die Anklageschrift 

vom 12. November 1992 die Eröffnung 

des Hauptverfahrens ab 

und hob auch den zweiten Haftbefehl auf. 

Nach insgesamt 169 Tagen wurde Honecker 

aus der Untersuchungshaft entlassen, 

was Proteste von Opfern 

des DDR-Regimes nach sich zog.


Honecker flog unmittelbar darauf 

nach Santiago de Chile zu Frau und Tochter Sonja, 

die dort mit ihrem chilenischen Ehemann 

Leo Yáñez und ihrem Sohn Roberto wohnte. 

Die mit ihm Angeklagten wurden dagegen 

am 16. September 1993 zu Freiheitsstrafen 

zwischen vier und siebeneinhalb Jahren verurteilt. 

Am 13. April 1993 wurde ein letzter 

zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennter 

und in Abwesenheit des Angeklagten 

fortgesetzter Prozess gegen Honecker 

vom Berliner Landgericht ebenfalls eingestellt. 

Am 17. April 1993, dem 66. Geburtstag 

seiner Frau Margot, rechnete Honecker 

in einer Rede mit dem Westen ab 

und bedauerte seine Genossen, 

die noch im Gefängnis in Moabit saßen 

und „dem Klassenfeind trotzten“. 

Er schloss seine Rede mit den Worten: 

„Sozialismus ist das Gegenteil von dem, 

was wir jetzt in Deutschland haben. 

Sodass ich sagen möchte, dass unsere 

schönen Erinnerungen an die DDR viel aussagen 

von dem Entwurf einer neuen, gerechten Gesellschaft. 

Und dieser Sache wollen wir für immer treu bleiben.“


In den letzten Monaten musste Honecker 

künstlich ernährt werden. 

Am 29. Mai 1994 starb er im Alter von 81 Jahren 

in Santiago de Chile. 

Nach der Trauerfeier wurde seine Urne nicht beigesetzt.




ZEHNTER GESANG


Von 1954 bis 1962 besuchte Gysi 

die Polytechnische Oberschule, 

von 1962 bis 1966 die Erweiterte Oberschule 

(ab 1965 Schule mit mathematischem Schwerpunkt) 

in Berlin-Adlershof.

Hier erwarb er 1966 das Abitur 

und legte gleichzeitig den Lehrabschluss 

zum Facharbeiter für Rinderzucht ab.


Gysi absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaft 

an der Humboldt-Universität zu Berlin, 

das er 1970 als Diplom-Jurist beendete.


Ab 1971 war Gysi einer der wenigen 

freien Rechtsanwälte in der DDR. 

In dieser Funktion verteidigte er auch Systemkritiker 

und Ausreisewillige,

darunter bekannte Personen wie Robert Havemann, 

Rudolf Bahro, Jürgen Fuchs, 

Bärbel Bohley und Ulrike Poppe. 

1976 erfolgte seine Promotion zum Dr. jur. 

mit der Arbeit Zur Vervollkommnung 

des sozialistischen Rechtes 

im Rechtsverwirklichungsprozeß.


Von 1988 bis 1989 war er Vorsitzender 

des Kollegiums der Rechtsanwälte in Ost-Berlin 

und gleichzeitig Vorsitzender der 15 Kollegien 

der Rechtsanwälte in der DDR. 

Am 12. September 1989 war er zusammen 

mit dem Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel 

in Prag, um die DDR-Flüchtlinge 

in der deutschen Botschaft zur Rückkehr 

in die DDR aufzufordern. 

Im Herbst 1989, vor der politischen Wende in der DDR, 

setzte Gysi sich als Anwalt für die Zulassung 

des oppositionellen Neuen Forums ein.


Von August 2002 bis zu seiner Wiederwahl 

als Abgeordneter des Bundestages im Jahre 2005 

war er wieder als Rechtsanwalt tätig.


Seit 1967 war Gysi Mitglied der SED. 

Als er 1989 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit trat, 

arbeitete er an einem Reisegesetz mit. 

Am 4. November 1989 sprach Gysi vor 500.000 Menschen 

auf der Massenkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz 

und forderte ein neues Wahlrecht 

sowie ein Verfassungsgericht. 

Seine Eloquenz und rhetorische Begabung 

ließen ihn schnell zu einem der Medienstars 

des Herbstes werden.

Ab dem 3. Dezember 1989 gehörte er 

dem Arbeitsausschuss zur Vorbereitung 

des außerordentlichen Parteitages der SED an 

und war Vorsitzender eines parteiinternen

Untersuchungsausschusses.


Auf dem Sonderparteitag am 9. Dezember 1989 

wurde Gysi mit 95 Prozent der Delegiertenstimmen 

zum Vorsitzenden der SED gewählt. 

Am 16. Dezember 1989 sprach er sich 

auf dem Sonderparteitag der SED-PDS 

für eine Zusammenarbeit beider deutscher Staaten 

bei voller Wahrung ihrer Souveränität aus. 

Im Winter 1989/90 war Gysi als Parteivorsitzender 

der damaligen SED-PDS daran beteiligt, 

dass die Partei nicht aufgelöst wurde 

und das Parteivermögen sowie Arbeitsplätze 

innerhalb der Partei erhalten blieben. 

Den Parteivorsitz der PDS hatte Gysi 

bis zum 31. Januar 1993 inne. 

Danach wirkte er zunächst als stellvertretender 

Parteivorsitzender, dann als Mitglied 

im Parteivorstand weiter mit, 

bis er im Januar 1997 endgültig 

aus dem Parteivorstand ausschied.


Am 23. Dezember 2005 wurde er auch Mitglied 

der WASG, ebenso wie Oskar Lafontaine 

auch Mitglied in der Linkspartei PDS wurde. 

Damit machten beide demonstrativ von der Möglichkeit 

einer Doppelmitgliedschaft 

in der Linkspartei und in der WASG Gebrauch. 

Seit dem 16. Juni 2007 ist Gysi Mitglied 

der Partei Die Linke.


Gysi ist Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung. 

Im Dezember 2016 wurde er zum Vorsitzenden 

der Europäischen Linken gewählt.


„Die Klebekolonnen, die allerorten 

durch die Lande ziehen, 

um die Wahlkämfer ins rechte Licht zu rücken, 

haben offensichtlich nicht nur viel zu tun, 

sondern auch ein gerüttelt Maß Humor.“


Auf dem Sonderparteitag der SED 

im Dezember 1989 unterstützte Gregor Gysi 

den Fortbestand der SED 

unter neuem Namen („SED-PDS“) 

unter anderem mit dem Argument, 

eine Auflösung und Neugründung 

würde juristische Auseinandersetzungen 

um das Parteivermögen nach sich ziehen 

und sei eine ernste wirtschaftliche 

Bedrohung für die Partei. 

Später wurde ihm seitens der Unabhängigen 

Kommission zur Überprüfung 

des Vermögens der Parteien 

und Massenorganisationen der DDR 

vorgeworfen, er sei aktiv 

an der Verschleierung des SED-

Parteienvermögens beteiligt gewesen 

und habe im Putnik-Deal versucht, 

mit Hilfe der KPdSU SED-Gelder 

ins Ausland zu verschieben, 

um sie vor dem Zugriff staatlicher Stellen zu sichern.


Der Untersuchungsausschuss 

des Deutschen Bundestages 1998 

zum Verbleib des SED-Parteienvermögens gab an, 

dass Gysi bei seiner Befragung geschwiegen 

und damit zusammen mit weiteren PDS-Funktionären 

die Arbeit des Ausschusses behindert habe.


Von März bis Oktober 1990 war Gysi 

Abgeordneter der ersten frei gewählten 

Volkskammer der DDR,

dort Fraktionsvorsitzender der PDS. 

Als solcher wurde er am 3. Oktober 1990 

Mitglied des Deutschen Bundestages, 

aus dem er am 1. Februar 2002 ausschied, 

um das Amt des Wirtschaftssenators 

in Berlin anzutreten. 

Er war von 1990 bis 1998 

Vorsitzender der PDS-Bundestagsgruppe, 

dann bis zum 2. Oktober 2000 

Vorsitzender der PDS-Bundestagsfraktion.


Von 2001 bis 2002 war er Mitglied 

des Abgeordnetenhauses von Berlin. 

Am 17. Januar 2002 wurde Gysi Bürgermeister 

und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 

des Landes Berlin in dem vom Regierenden 

Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) 

geführten Senat. 

Am 31. Juli 2002 trat er im Rahmen 

der Bonusmeilen-Affäre von allen Ämtern zurück.


Für die Bundestagswahl 2005 

kehrte er als Spitzenkandidat der Linkspartei zurück. 

Er war Direktkandidat für den Wahlkreis 85 

Treptow-Köpenick und führte die Landesliste 

der Linkspartei Berlin an. 

Bei der Wahl konnte er sich gegen seinen Konkurrenten 

Siegfried Scheffler von der SPD durchsetzen 

und zog mit 40 Prozent der abgegebenen Erststimmen 

direkt in den Bundestag ein. 

Gemeinsam mit Oskar Lafontaine wurde er 

zum Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion gewählt.

Auch bei der Bundestagswahl 2009 

trat er als Spitzenkandidat der Berliner Landesliste an. 

Sein Erststimmen-Ergebnis 

in seinem Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick 

konnte er jedoch auf 44 Prozent verbessern 

und zog somit erneut per Direktmandat 

in den Bundestag ein. 

Nach dem Verzicht Oskar Lafontaines 

wurde Gysi am 9. Oktober 2009 

mit 94 Prozent zum alleinigen Fraktionsvorsitzenden 

der Bundestagsfraktion der Linken bestimmt 

und 2011 mit 81 Prozent im Amt bestätigt.


Bei der Bundestagswahl 2013 

gelang es Gysi – wiederum Spitzenkandidat 

der Berliner Landesliste – 

trotz leichter Einbußen von 2,6 Prozent 

sein Direktmandat mit 42 Prozent 

erneut zu verteidigen. 

Wie schon 2011 wies er Sahra Wagenknechts 

Ambitionen auf eine Doppelspitze 

in der Fraktion erfolgreich zurück 

und wurde am 9. Oktober 2013 

auf einer Fraktionsklausur 

im brandenburgischen Bersteland erneut 

zum alleinigen Fraktionsvorsitzenden gewählt. 

Aufgrund der regierenden Großen Koalition 

war er damit Oppositionsführer.


Am 7. Juni 2015 gab er bekannt, 

dass er nicht erneut für den Fraktionsvorsitz 

der Linken kandidieren werde. 

Entsprechend schied er am 12. Oktober 2015 

aus beiden Ämtern aus. 

Seine Nachfolge im Fraktionsvorsitz 

und damit auch in der Oppositionsführung 

wurden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht.


Im Januar 2012 wurde bekannt, dass Gregor Gysi 

als einer von 27 Bundestagsabgeordneten der Linken 

unter Beobachtung durch das Bundesamt 

für Verfassungsschutz steht.


Nachdem diese Überwachung 

Anfang 2014 eingestellt worden war, 

stellte das Verwaltungsgericht Köln 

in einem Anerkenntnisurteil 

im September 2014 fest, 

dass die Personenakte Gysis zu vernichten sei.


Laut Abschlussbericht des Immunitätsausschusses 

des Deutschen Bundestages soll Gysi 

zwischen 1975 und 1986 für das Ministerium 

für Staatssicherheit der DDR 

unter verschiedenen Decknamen, 

dabei hauptsächlich als „IM Notar“ 

gearbeitet haben, nachdem in einer früheren Version 

des Abschlussberichtes noch davon die Rede war, 

dass ein solcher Nachweis aufgrund 

der vorhandenen Unterlagen nicht erfolgen kann.


Im Abschlussbericht heißt es unter anderem, 

Gysi habe „seine herausgehobene berufliche Stellung 

als einer der wenigen Rechtsanwälte 

in der DDR genutzt, um als Anwalt 

auch international bekannter Oppositioneller 

die politische Ordnung der DDR 

vor seinen Mandanten zu schützen. 

Um dieses Ziel zu erreichen, 

hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, 

selbst an der operativen Bearbeitung 

von Oppositionellen teilgenommen 

und wichtige Informationen an das MfS 

weitergegeben. Auf diese Erkenntnisse 

war der Staatssicherheitsdienst 

zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien 

dringend angewiesen.

Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung 

von Dr. Gysi war die möglichst wirksame 

Unterdrückung der demokratischen 

Opposition in der DDR.“


Die Feststellungen des Immunitätsausschusses 

hatten aber keine Auswirkungen auf Gysis Arbeit 

als Abgeordneter, der im Abschlussbericht 

selbst der Beschuldigung widersprach 

und auf „wesentliche Mängel und Fehler“ 

im Verfahren hinwies. Die PDS und die FDP 

stimmten dem Papier nicht zu.


Gysi legte erneut Klage gegen die Feststellung ein. 

Er bekannte sich zur Kooperation 

mit der Staatsanwaltschaft 

und dem Zentralkomitee der SED 

„im Interesse und mit Wissen seiner Klienten“ 

und ging mehrmals erfolgreich, 

gerichtlich gegen die Verbreitung der Behauptung, 

er wäre IM Gregor / IM Notar gewesen, vor. 

1998 untersagte das Landgericht Hamburg 

dem Magazin Der Spiegel, weiterhin zu behaupten, 

Gregor Gysi habe für die Stasi-Spionageabteilung 

gearbeitet und dort den Decknamen 

IM Notar geführt, weil der Spiegel 

seine Behauptungen nicht habe beweisen können.


Nachdem das ZDF am 27. Mai 2008 

ein Interview mit Marianne Birthler ausgestrahlt hatte, 

in dem sie Gysi eine Stasi-Tätigkeit vorwarf, 

ging Gysi mit einem Unterlassungsbegehren 

gegen den Sender vor.


Die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, 

Marianne Birthler, erklärte, 

es gäbe in ihrem Haus keine Zweifel daran, 

dass der IM nach Aktenlage 

„nur Gregor Gysi gewesen sein“ könne. 

Der ARD sagte sie, es gebe Erkenntnisse, 

dass Gysi „wissentlich und willentlich“ 

die Stasi unterrichtet habe.


Die erfolglose Klage richtete sich ferner 

gegen die Freigabe von Protokollen, 

ausweislich derer DDR-Staatschef Erich Honecker 

Gysi über dessen Vater ausrichten ließ, 

dieser solle im Rahmen der „juristisch konsequenten

Verteidigung“ Havemanns als dessen Rechtsanwalt 

„ein Vertrauensverhältnis zu Havemann herstellen 

mit dem Ziel, dass dieser seine 

Außenpropaganda einstellt“. 

Dem liegt ein Tonbandbericht in Ich-Form 

über ein Gespräch bei, das Gysi 1979 

mit Havemann führte.

(„Ich schlug ihm noch einmal vor, 

jegliche Veröffentlichungen im Westen zu unterlassen 

und sich allein auf die DDR zu beschränken.“) 

Die zunächst mit seiner anwaltlichen Schweigepflicht 

begründete Berufung zog Gysi später zurück.


Gysi bestreitet nach wie vor, 

als IM tätig gewesen zu sein: 

Er sei erstmals 1980 von der Stasi 

wegen der Möglichkeit einer inoffiziellen Mitarbeit 

überprüft und 1986 abschließend 

„zur Aufklärung und Bekämpfung 

politischer Untergrundtätigkeit 

nicht geeignet“ befunden worden. 

„Im September 1980 legte die Stasi einen Vorlauf an, 

um zu prüfen, ob ich als IM infrage käme. 

Wozu einen solchen Vorlauf im Jahr 1980, 

wenn ich angeblich 1979 bereits IM war?“ 

Er habe „erhebliche Verbesserungen 

für Havemann wie die Aufhebung des Hausarrestes 

oder die Verhinderung weiterer Anklagen erreicht“.


Havemanns Sohn Florian hat Gysi 

in der Angelegenheit ausdrücklich verteidigt. 

Am 28. Mai 2008 erklärte er in einem Interview: 

„Unabhängig von der Frage, ob Herr Gysi IM war, 

was ich nicht beurteilen kann, 

hat er im Sinne unseres Vaters gehandelt.“ 

Hingegen stellt Havemanns Frau Katja 

anhand der Stasi-Unterlagen Gysis Rolle 

in ein anderes Licht – und spricht dabei 

auch über ihre Gewissheit, dass er sich eindeutig 

hinter IM Gregor und IM Notar verbirgt.


Gysi hinterfragte die Glaubwürdigkeit der Akten: 

Die Bundesbeauftragte habe in einem anderen Fall erklärt, 

„dass sie die Diskrepanzen zwischen dem Akteninhalt 

und tatsächlichen Begebenheiten nicht untersuchen dürfe. 

Die Behörde sei auch nicht befugt, 

Unterlagen zu bewerten und auch nicht, 

Wahrheitsfeststellungen zu treffen.“


Am 28. Mai 2008 befasste sich der Bundestag 

auf Verlangen von CDU/CSU und SPD 

in der Aktuellen Stunde mit dem „Bericht 

aus den Unterlagen der Bundesbeauftragten 

für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, 

über vertrauliche Gespräche, 

die Gregor Gysi 1979/1980 

als DDR-Rechtsanwalt mit Mandanten geführt hat“. 

In der Debatte forderten Abgeordnete 

der CDU, SPD, Grünen und FDP 

sowohl Konsequenzen in Form einer Entschuldigung 

bei den Opfern als auch den Ämterverzicht Gysis.


Der Vorsitzende der Linksfraktion, Oskar Lafontaine, 

forderte als Konsequenz aus den Äußerungen 

von Marianne Birthler deren Entlassung. 

Birthler bekräftigte dagegen, 

dass die Aktenlage zweifelsfrei zeige, 

dass Gysi wissentlich und willentlich 

Informationen an die Stasi geliefert habe. 

Dies sei gemäß Stasi-Unterlagengesetz entscheidend, 

als Stasi-Spitzel zu gelten, „unabhängig davon, 

ob eine Verpflichtungserklärung existiere oder nicht.“


Wegen neuer Hinweise hat die Staatsanwaltschaft 

Hamburg ihre Ermittlungen gegen Gysi ausgeweitet. 

Ermittelt wird wegen einer möglicherweise falschen

eidesstattlichen Versicherung. 

Gysi hatte erklärt, „zu keinem Zeitpunkt 

über Mandanten oder sonst jemanden 

wissentlich und willentlich 

an die Staatssicherheit berichtet zu haben“.


Im Wahlkampf 2013 behauptete Gysi, 

in Deutschland gelte noch immer das Besatzungsstatut. 

So forderte Gysi im Interview mit dem Deutschlandfunk 

ein Ende der Besatzung Deutschlands 

und die Aufhebung des Besatzungsstatuts, 

damit Deutschland endlich als Land 

souverän werden könne. 

Im Jahr 2015 antwortete er auf die Frage, 

ob Deutschland noch besetzt sei, 

mit „nein“ und äußerte, dass die Bundesrepublik 

Deutschland ein souveräner Staat sei, 

sich aber nicht so benähme; 

nahm in diesen Zusammenhängen 

aber nicht zum Besatzungsstatut Stellung.


Gysi bezeichnet sich als ungläubig und ist konfessionslos.



ELFTER GESANG


Sahra Wagenknecht ist die Tochter 

einer Deutschen und eines Iraners, 

der als West-Berliner Student 

ihre in der DDR lebende Mutter kennenlernte. 

Ihr Vater gilt seit dem Ablauf 

seiner Aufenthaltsgenehmigung 

im Jahr 1972 als verschollen. 

Als sie zum ersten Mal Bundestagsabgeordnete wurde, 

änderte sie die amtliche Schreibung 

ihres Vornamens entsprechend 

der persischen Schreibweise ab, 

wie es der ursprünglichen Namensgebung 

der Eltern entsprach. 

Ihre Mutter war nach Wagenknechts Angaben 

gelernte Kunsthändlerin und arbeitete 

für den staatlichen Kunsthandel. 

Sahra wuchs zunächst bei ihren Großeltern 

in einem Dorf bei Jena auf; 

mit Schulbeginn zog sie zu ihrer Mutter 

nach Ost-Berlin. Während ihrer Schulzeit 

wurde sie Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) 

und schloss 1988 die Erweiterte Oberschule 

„Albert Einstein“ in Berlin-Marzahn 

mit dem Abitur ab. 

Die in der DDR übliche militärische Ausbildung 

für Schüler empfand sie als extrem belastend: 

Sie konnte nichts mehr essen, 

was ihr von den Behörden 

als politischer Hungerstreik ausgelegt wurde. 

Als repressive Reaktion darauf durfte sie 

in der DDR nicht studieren. 

Als Begründung wurde genannt, 

sie sei „nicht genügend aufgeschlossen fürs Kollektiv“. 

Ihr wurde eine Arbeitsstelle 

als Sekretärin zugewiesen. 

Diese kündigte sie allerdings nach drei Monaten, 

was für DDR-Verhältnisse äußerst ungewöhnlich war. 

Sie erhielt fortan keinerlei staatliche 

Unterstützung mehr und bestritt ihren Lebensunterhalt 

mit dem Erteilen von Nachhilfestunden. 

Im Frühsommer 1989 trat Wagenknecht der SED bei, 

nach eigenen Angaben, 

um den in der Sackgasse steckenden Sozialismus 

umzugestalten und Opportunisten entgegenzutreten.


Nach der Wende studierte sie 

ab dem Sommersemester 1990 Philosophie 

und Neuere Deutsche Literatur 

an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 

und der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Ihr Studium in Berlin brach sie ab, 

da sie „an der Ostberliner Humboldt-Universität 

kein Verständnis mehr für ihr Forschungsziel fand“. 

Danach immatrikulierte sie sich 

an der niederländischen Reichsuniversität Groningen 

für den Studiengang Philosophie. 

Nach eigenen Angaben hatte sie zuvor alle Scheine 

bis auf die Abschlussarbeit in Berlin gemacht 

und erwarb im September 1996 in Groningen 

den akademischen Grad Magistra Artium 

mit einer Arbeit über die Hegelrezeption 

des jungen Marx. Diese Untersuchung 

wurde 1997 als Buch veröffentlicht.


Nach eigenen Angaben begann sie 2005 

ihre Dissertation zum Thema 

„Die Grenzen der Wahlfreiheit. 

Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse 

in entwickelten Ländern“ 

im Fach Volkswirtschaftslehre. 

Im August 2012 reichte sie ihre Arbeit 

an der Technischen Universität Chemnitz 

beim Professor für Mikroökonomie Helmedag ein, 

der unter anderem auch Vertrauensdozent 

der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist. 

Zwei Monate später bestand sie ihre mündliche Prüfung 

zum Dr. rer. pol. 

mit der Gesamtbewertung magna cum laude. 

Im Oktober 2013 veröffentlichte 

der Campus-Verlag ihre Doktorarbeit 

über das Verhältnis von Einkommen und Rücklagen.


Von August 2012 bis August 2014 verfasste sie 

in der Tageszeitung Neues Deutschland 

regelmäßig Artikel in der Kolumne 

Der Krisenstab.


Ab 1991 war Wagenknecht Mitglied 

des Parteivorstandes der PDS. 

Zwischen 1995 und 2000 jedoch musste sie 

für fünf Jahre aus dem Vorstand ausscheiden, 

weil Gysi sie für so untragbar hielt, 

dass er mit seinem Rückzug gedroht hatte. 

Von 1991 bis 2010 war sie Mitglied der Leitung 

der vom Bundesamt für Verfassungsschutz 

als linksextremistisch eingestuften 

Kommunistischen Plattform (KPF), 

einem Zusammenschluss orthodox-kommunistisch 

orientierter Mitglieder und Sympathisanten 

innerhalb der Partei und blieb dies auch 

nach der Verschmelzung von WASG und PDS. 

Die von Wagenknecht als Sprecherin der KPF 

öffentlich vertretene „positive Haltung 

zum Stalinismusmodell“ 

bewertete der Parteivorstand als unvereinbar 

mit den Positionen der PDS. 

Wagenknecht war das einzige Vorstandsmitglied, 

das der Vorstandserklärung zum Mauerbau 

die Zustimmung versagte, 

weil die überfällige Mauer endlich 

das lästige Einwirken des Klassenfeindes beendet habe. 

Noch im Mai 2008 erklärte sie im Spiegel, 

dass sie den Begriff Diktatur für die DDR 

(die sie zuvor als „das friedfertigste 

und menschenfreundlichste Gemeinwesen, 

das sich die Deutschen im Gesamt 

ihrer Geschichte bisher geschaffen haben“ 

bezeichnet hatte) für unangemessen halte.


2000 wurde sie erneut in den Parteivorstand 

der PDS gewählt. Im März 2006 

gehörte sie zu den Initiatoren 

der Antikapitalistischen Linken, 

einer gemeinsamen Gruppierung 

aus Mitgliedern der WASG und Linkspartei. 

Seit Juni 2007 ist Wagenknecht Mitglied 

des Parteivorstandes der Partei Die Linke 

und seit Oktober 2007 Mitglied 

der Programmkommission. 

Ihren innerparteilichen Vorstoß, 

eine Kandidatur für den Vize-Parteivorsitz der Linken 

beim ersten Parteitag der fusionierten Partei 

im Mai 2008 zu erwägen, 

beendete sie nach der Ablehnung 

durch den Parteivorsitzenden Lothar Bisky 

sowie durch den Fraktionsvorsitzenden der Linken 

im Deutschen Bundestag Gregor Gysi 

und erklärte in einer Pressemitteilung, 

nicht als stellvertretende Vorsitzende zu kandidieren. 

Sie wurde auf dem Parteitag mit 70 Prozent der Stimmen 

erneut in den Parteivorstand gewählt. 

Auf Vorschlag Gysis und des Parteivorstands 

wurde Wagenknecht auf dem Bundesparteitag der Linken 

Anfang Mai 2010 mit 75 Prozent der Stimmen 

zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. 

Am 8. November 2011 wurde sie 

mit 62 Prozent der Stimmen 

zur 1. Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.


Zur Bundestagswahl 1998 trat Wagenknecht 

in Dortmund als Direktkandidatin der PDS an. 

Sie errang in ihrem Wahlkreis 3,25 Prozent 

der Erst- und 2,2 Prozent der Zweitstimmen. 

Bei der Europawahl in Deutschland 2004 

gelang Wagenknecht der Einzug 

ins Europaparlament. Vorausgegangen 

war eine parteiinterne Kampfabstimmung. 

Im Juli 2009 schied sie 

aus dem Europaparlament aus.


Bei der Bundestagswahl 2009 

kandidierte Wagenknecht für das Direktmandat 

im Wahlkreis Düsseldorf-Süd. 

Am 18. März 2009 wurde sie dafür 

vom Kreisverband der Linken in Düsseldorf nominiert.

Wagenknecht wurde vom Landesparteitag 

auf Platz 5 der Landesliste 

in Nordrhein-Westfalen gewählt. 

Sie erhielt am 27. September 2009 

9,7 Prozent der Erststimmen. 

Über die Landesliste zog sie 

in den Bundestag ein.


Wagenknecht ist seit 2011 eine von zwei 

ersten Stellvertreterinnen des Vorsitzenden 

der Bundestagsfraktion. 

Im Januar 2012 wurde bekannt, 

dass Sahra Wagenknecht als eine 

von 27 Bundestagsabgeordneten der Linken 

unter Beobachtung durch das Bundesamt 

für Verfassungsschutz stehe.


Am 6. März 2015 teilte sie 

in einer persönlichen Erklärung mit, 

im Herbst 2015 nicht zur Wahl für den Posten 

der Fraktionsvorsitzenden anzutreten. 

Nachdem der amtierende Fraktionsvorsitzende 

Gregor Gysi am 7. Juni 2015 

auf dem Bundesparteitag der Linken 

in Bielefeld seinen Rückzug von diesem Amt 

zum Herbst des Jahres angekündigt hatte, 

erklärte sich Wagenknecht 

wenige Tage später doch bereit, 

gemeinsam mit Dietmar Bartsch 

in einer Doppelspitze Gysis 

Nachfolge antreten zu wollen. 

Am 13. Oktober 2015 lösten Wagenknecht 

und Bartsch Gysi im Fraktionsvorsitz ab 

und fungieren seitdem gemeinsam 

als Oppositionsführer im 18. Deutschen Bundestag.


Wagenknecht zeigt eine Sympathie 

gegenüber der Wirtschaftspolitik 

der Staaten Kuba und Venezuela. 

Über eine Presseerklärung ließ sie mitteilen, 

„dass die andauernde Existenz 

des kubanischen Systems 

einen Hoffnungsschimmer für diejenigen 

in der sogenannten Dritten Welt bedeutet, 

die die Verlierer einer markt- und profitorientierten 

globalisierten Welt sind“. 

Ebenso verteidigte sie die vom venezolanischen 

Präsidenten Hugo Chávez beschlossene 

Verstaatlichung der Ölförderanlagen 

des US-Konzerns ExxonMobil.


Anfang Juni 2015 unterzeichnete Wagenknecht 

zusammen mit 150 weiteren Prominenten 

aus Kultur und Politik einen offenen Brief 

an die Bundeskanzlerin, 

in dem die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher

Lebenspartnerschaften gegenüber 

der zweigeschlechtlichen Ehe gefordert wurde.


Wagenknecht wies angesichts der Flüchtlingswelle 

im Januar 2016 auf „Kapazitätsgrenzen“ 

und „Grenzen der Aufnahmebereitschaft 

in der Bevölkerung“ hin, wofür sie in ihrer Partei 

und darüber hinaus scharf kritisiert wurde.


Weiter kritisierte sie die Flüchtlingspolitik 

der Bundeskanzlerin Angela Merkel 

als „planlos“, sie habe in Deutschland 

zu einem „völligen Staatsversagen“ geführt, 

„auf sozialem Gebiet ebenso 

wie auf dem der inneren Sicherheit“. 

Sie forderte eine stärkere Unterstützung 

des Bundes für die Länder und Kommunen, 

die den Großteil der Kosten 

für Flüchtlinge selbst tragen würden 

und an anderer Stelle kürzen müssten. 

Wagenknecht warnte davor, „die Armen 

gegen die Ärmsten auszuspielen“ 

und nannte als Beispiel 

drohende Nahrungsengpässe 

bei der offenen Tafel für Arme.


Wagenknecht bezeichnete 

die Fluchtursachenbekämpfung 

der Bundesregierung als „unglaubwürdig“, 

da Deutschland Waffen in Spannungsgebiete exportiere 

und Drohneneinsätze der USA 

„mit logistischer Unterstützung aus Deutschland“ 

geflogen würden. Die Außenpolitik 

von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 

in Form einer Unterstützung der „Ölkriege 

der USA und ihrer Verbündeten“ 

seien der Grund für die Existenz und Stärke 

des Islamischen Staates. 

Merkel trage deshalb und durch ihre Grenzöffnung 

für Flüchtlinge sowie den Sparkurs bei der Polizei 

eine „Mitverantwortung“ 

für den Anschlag in Berlin. 

Beobachter attestierten ihr daraufhin 

zum wiederholten Male eine ideologische Nähe 

zur „Alternative für Deutschland“.


1992 lobte Wagenknecht in ihrem Artikel 

„Marxismus und Opportunismus“ 

Stalins Herrschaft in der Sowjetunion 

als „die Entwicklung eines um Jahrhunderte 

zurückgebliebenen Landes 

in eine moderne Großmacht 

während eines weltgeschichtlich einzigartig 

kurzen Zeitraums; damit die Überwindung 

von Elend, Hunger, Analphabetismus, 

halb feudalen Abhängigkeiten 

und schärfster kapitalistischer Ausbeutung“.


Ihre Haltung zum Stalinismus 

wurde innerhalb der Linkspartei 

teilweise als zu unkritisch empfunden 

und unter anderem von Gregor Gysi 

und dem Bundestagsabgeordneten 

Michael Leutert kritisiert. Letzterer 

sprach sich 2008 gegen ihre Kandidatur 

als stellvertretende Parteichefin aus, 

weil sie sich zu wenig vom Stalinismus distanziere. 

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern 

der Kommunistischen Plattform 

sprach sich Wagenknecht 2008 

in einer Stellungnahme gegen 

ein allgemeines Gedenken 

in Form eines Gedenksteins 

auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde 

mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ aus, 

da sich unter diesen auch Faschisten befunden hätten, 

drückte aber ihr Mitgefühl 

mit den unschuldigen Toten aus.


In einem Interview aus dem Jahre 2009 

setzt sich Wagenknecht kritisch 

mit dem „repressiven politischen System 

der DDR“ auseinander, lehnt aber 

eine Charakterisierung der DDR 

als Unrechtsstaat ab, 

weil dies darauf hinauslaufe, 

die DDR auf eine Ebene 

mit der NS-Diktatur zu stellen. 

Die DDR sei kein demokratischer Staat gewesen, 

jedoch sei auch im heutigen kapitalistischen System 

keine echte Demokratie möglich.


Als der israelische Staatspräsident Schimon Peres 

am Tag des Gedenkens an die Opfer 

des Nationalsozialismus 2010 

als Gast im Deutschen Bundestag sprach, 

erhoben sich die Abgeordneten 

Christine Buchholz, Sevim Dağdelen 

und Wagenknecht zum Schlussapplaus 

nicht von ihren Sitzen. 

Sie wurden deswegen öffentlich 

und parteiintern kritisiert, 

so erklärte der Berliner Landeschef der Linkspartei, 

Klaus Lederer, das Verhalten der Abgeordneten 

für „inakzeptabel“, Michael Leutert erklärte sie 

für „nicht wählbar“.