VON TORSTEN SCHWANKE
Als das Volk von Kyme, der Stadt in Äolischem Lande,
Längst schon gegründet war, und aus Griechenstämmen die Scharen
Hin sich zu sammeln begannen, in fernem, gastlichen Hafen,
Wanderte auch aus Magnesia stammend ein Mann dorthin,
Menapolus genannt, der Sohn des Ithagenes, Enkel
Critos, ein Mann, dem das Gut kaum reichte zum Leben.
In der neuen Stadt gewann er die Tochter des Omyretis
Zur Gemahlin und zeugte mit ihr ein Mädchen von Schönheit,
Welches er Critheïs nannte. Doch starben bald darauf beide,
Eltern, und hinterließen das Kind in zarterem Alter.
Sterbend vertraute der Vater sie seinem treuesten Freunde,
Cleanax aus Argos, an, den Ehrenhaften und Klugen.
Jahre vergingen, und heimlich geriet die Waise in Schande:
Schwanger ward sie und barg ihr Leid vor den wachsamen Blicken.
Doch als Cleanax davon erfuhr, ward Gram ihm geboren,
Schwer ihn drückte die Schande, und sanft, doch streng, ermahnte
Er die Schuldige, heilte die Wunde mit weisen Gedanken.
Doch die Stadt von Kyme beschloss in jenen Tagen ein Werk groß:
Smyrna zu gründen, am Meer, an Hermäischem Golfe gelegen.
Ehren zu geben dem Namen der Frau des tapferen Theseus,
Führer der Siedler, Thessalier, aus edlerem Hause,
Eumelos Sohn, dem reichen, der von Admetus abstammte.
Cleanax führte in Heimlichkeit Critheïs dorthin,
Gegen die Schmach sie zu schützen, und übergab sie Ismenias,
Einem Boioter, der ebenfalls zog zu der Kolonie.
Bald darauf kam die Stunde, da nahe war ihr Entbinden:
An des Meles Flussufer, wo Frauen tanzten im Feste,
Ward sie ergriffen von Schmerzen und gebar den Knaben,
Melesigenes genannt, nach dem Flusse benannt, wo geboren.
Nicht war blind er geboren, wie Märchen oft es berichten,
Sondern von glänzenden Augen gesegnet, voller Verstandes.
Critheïs verweilte bei Ismenias, doch zog bald von dannen,
Lebte in Armut und nähte, ernährte den Sohn mit dem Werke
Eigener Hände, bis ein Mann sie nahm in sein Obdach:
Phemius, Lehrer von Kunst, von Lied und weisen Geschichten.
Dieser, von ihrem Fleiß und tugendsamen Betragen
Tief beeindruckt, bot seine Hand ihr an und versprach ihr,
Auch den Sohn zu fördern, der hellen Geistes begabt schien.
Also ward sie sein Weib, und Melesigenes lernte
Eifrig von ihm und wuchs zu einem Meister des Wissens.
Bald schon starb Phemius, doch hinterließ ihm sein Erbe,
Reich an Bildung und Gut, und zog die Mutter ihm nach.
Nun war Melesigenes frei und eröffnete selber
Eine Schule, bekannt bis weit über Smyrnas Mauern.
Händler und Fremde, vom Hafen angelockt, kamen in Scharen,
Staunten und hörten den Worten des Weisen gebannt zu.
Unter den Fremden war einer, ein kluger Mann, genannt Mentes,
Aus Leukadia kommend, ein Schiffsherr und Käufer von Korn,
Dieser gewann ihn als Freund, und die Wege des Knaben begannen
Weit in die Welt hinauszuziehen, geführt von dem Wissen.
Ein Mann trat hervor und sprach mit weiser Ermahnung zu jenem,
Melesigenes, der die Schule begründet und Schüler gelehret.
"Schließ' deine Pforten, begib dich mit mir auf die Reisen der Ferne.
Ich will die Kosten dir tragen, und sicher das Auskommen bieten.
Wisse, dass Jugend dir dringend gebietet, mit eigenen Augen
Länder zu schauen und Städte, die später im Lied du besingest."
So überzeugte sein Wort, und Melesigenes folgte dem Rufe,
hatte er doch schon den Wunsch, sich der Dichtkunst tiefer zu weihen.
Diese, so dachte er, würde durch Reisen bereichert, die engen
Vorurteile bezwungen durch Weite des Blicks und Erfahrung.
Bald schon schloss er die Schule und ging an Bord mit dem Freund Mentes,
besah die Wunder der Länder und forschte bei allen genau nach,
fragte die Leute, die ihm begegneten, aus über Sitten und Bräuche,
hielt die Wissenswerten mit fleißiger Hand auf Papyrus.
Nach langer Fahrt durch das ferne Tyrrhenien, Iberiens Küsten,
landeten beide zuletzt auf Ithaka, grüner der Inseln.
Doch Melesigenes litt unter Schmerzen, die Augen erblindet.
Mentes, genötigt zurück in die Heimat Leukas zu reisen,
ließ ihn in Pflege bei Mentor, dem Sohne des edlen Alkimos.
Dieser, ein Freund von gerechtem Gemüt und voll Gastfreundschaft, half ihm.
Hier auf der Insel erfuhr Melesigenes die Sagen des Odysseus,
lauschte den Mythen und sammelte Kunde der alten Geschichten.
Ithakas Volk behauptet, er habe dort gänzlich das Augenlicht eingebüßt.
Doch andere sagen, er habe genesen, die Leiden gelindert,
bis in Kolophon später das Übel zurück ihn ereilte,
hartnäckig und grausam, sodass er für immer erblindete.
Mentes, der heimkehrte, fand ihn geheilt und nahm ihn von Neuem
auf zu den Reisen, die führten durch ferne, geschichtsträcht'ge Städte.
In Kolophon ward ihm die Blindheit zum Schicksal besiegelt.
Dennoch entschloss er, den Künsten der Dichtkunst weiter zu dienen,
kehrte nach Smyrna zurück, wo er fleißig die Lieder verfeinerte,
studierte die Harmonien und sang von den Taten der Helden.
Doch war das Leben ihm hart, und die Armut zwang ihn zu wandern.
Durch die Gefilde Hermäas gelangt er zum neuenten Teichos,
eine Kolonie von Kumä, wo dichtend sein Schicksal sich wendete.
Dort an der Werkstatt des Schmieds Tychius hob er die Stimme
an und sprach diese Verse, die dort ihm das Herz offenbarten:
"O ihr Bürger von Kumä, der holden Tochter der Wälder,
die ihr die Füße bedeckt von Sædenas schattigem Gipfel,
wo aus den Höhen das Wasser des heiligen Hermus entströmet,
Kind Zeus’, erbarmet euch mein, des fremden Manns ohne Zuflucht!"
Tychius, tief berührt von der Kunst des blinden Sängers,
bot ihm Obdach und teilte sein Hab und Gut mit dem Fremden.
Dort, vor versammeltem Volk, sang Melesigenes Lieder
von Amphiaraos’ Heldenkampf und den Göttern geweihten Hymnen.
Seine Worte berührten, die Zuhörer lauschten mit Staunen.
So wurde er dort durch die Kraft seiner Kunst ernährt und geehrt.
Und im Geiste erwuchs die Saat, die einst Homerus gekrönt hat,
aus Melesigenes ward der Sänger, der Mythen bewahrte.
Einst, in den Tagen der Helden, als Krieger die Waffen aus Häuten,
Streckten auf Rahmen von Erz, und die Schilde prangten mit Leder,
Fanden zugleich ihre Handwerkskunst und die Schlachten Verknüpfung.
So ward erzählt, und die Kunde des Schildes des Ajax gepriesen,
Die uns die Dichter bewahrten in Liedern der alten Geschichten.
Auch in der Bibel, Jesajas Buch, Vers dreiundzwanzig, zwölfter,
Kündet vom Hafen der Phoker, wo Massilia einst aufblühte,
Hafen der Griechen, erfüllt von Geschicken und alten Legenden.
Worte der Völker verbanden Vergangenheit mit den Gezeiten.
Sædena, sagen die Weisen, sei ein Berg, und Sardena
Schwebe wie ein Gesang in den Fragmenten der Alten verborgen.
Doch Homer, der Blinde, der Sänger des ewigen Ruhmes,
Drängte, getrieben vom Schicksal, zur Küste von Cumæ zu wandern,
Wo er erhoffte, in klügeren Kreisen sein Leben zu bessern.
Kurz vor dem Aufbruch erhob er den Blick und sprach diese Verse:
„Mögen die Glieder mich tragen zur ehrenvollen Gemeinde,
Die nicht nur klug, auch weise in allen Dingen beschlossen.“
Durch Larissas Wege zog er, die ihm der beste erschienen,
Kam an des Weges Ende, wo ein König, Gordius, ruhte.
Dort ward sein Lied zur Grabschrift, ein Denkmal aus Bronze errichtet.
Tief eingraviert waren Worte, die Zeit und die Winde bewahren:
„Maid bin ich, geformt aus Erz, die Wächterin über das Grabmal,
Ewig verkündend, dass Midas hier schläft, im Frieden der Erde.
Solange der Strom durch die Täler fließt und Bäume erblühen,
Solange die Sonne den Tag erhellt und der Mond durch die Nächte
Wandert mit glanzvollem Strahl, soll mein Zeugnis niemals vergehen.“
Als er die Mauern von Cumæ erreicht, begann er zu sprechen.
Weise versammelten sich, und er trug ihnen Verse vor Augen,
Sodass die Schönheit des Wortes ihr Herz wie ein Feuer entzündete.
Freudig, vom Lichte geadelt, empfingen sie ihn in der Mitte,
Und er versprach ihnen Ruhm, wenn sie seinen Geist nur bewahren.
Dies ward beschlossen, und bald trat Homer vor die Versammlung,
Fordernd, dass jener ihm helfe, der die Bitten dem Rat vorzutragen wisse.
So schreitet der Sänger, getrieben vom Fluss seiner Worte,
Gleichwie ein Strom, der die Felsen umspielt, sich zur Mündung ergießend.
Da erhob sich der Mann, der Pflicht nicht ruhen noch schweigen ließ,
trat zum Versammlungsort, den Worten würdig Gelegenheit bietend.
Melesigenes war es, der, sobald ihm die Stunde gekommen,
vor der erlauchten Versammlung mit starkem Worte verhandelt.
Klar war sein Vorschlag, doch schwieg er danach, den Räten gewährend
Zeit zur Besprechung, was Antwort nun ihm zu geben gezieme.
Dieser empfahl ihn zuvor, wie viele Älteste folgten,
die den Gesang seiner Stimme im ehrnen Hause vernommen.
Einer jedoch nur sprach mit strenger, schneidender Weisheit:
„Sollt ihr den Sängern Brot geben, wer wird euch dann wohl entlasten?
Überfluss häuft, wer im Elend Unnützige nährt und bewahrt.“
Solches war’s, das die Stimmen am Ende ihm widersprach:
„Nicht sei klug, das Schicksal des blinden Mannes zu tragen.“
Also entschieden sie wiederum, mehrheitlich ablehnend,
und der Archont gewann mit Stimmgewalt seine Stimme.
Bote ward ausgesandt, den Spruch dem Sänger zu melden.
Schwer war des Blinden Los; in Klage brach er mit Worten:
„Welchem düstern Geschick gab Zeus mich hilflos entgegen?
Mich, der ich kunstreich wuchs an der Mutter liebendem Herzen,
während das Volk von Phrikonis, gewandt im Zügel der Rosse,
ehrenreich Smyrna erbaut, die Stadt des heiligen Meles.
Dort, wo die Töchter des Zeus, in hehrer Anmut gewandelt,
Sang mir verliehen, die Städte zu rühmen, Ruhm zu bewahren.
Doch nicht achtet die Herde, die brutale, des hohen Gesanges,
taub bleibt das Ohr, verschlossen den Klang harmonischer Worte.
Nein, dies soll nicht sein, mein Ruhm soll ewig erstrahlen!“
So soll es geschehen! Wer in törichter Blinde mich höhnte,
Wird nicht ungeschoren entkommen, dem Urteil des Himmels.
Mutig trag’ ich das Leid, das die Götter mir auferlegt haben.
Doch nun ist es genug; ich verweile nicht länger in Cumae.
Brennend drängt mich der Fuß, fortzuziehen an fremde Gestade,
Sehnsuchtsvoll treibt das Herz, eine Heimat im Ausland zu finden,
Möge der Ort auch gering sein, unbedeutend und karg an Bedeutung.
Also verließ er Cumae, verfluchte die Stadt bei dem Abschied,
Dass niemals ein Sänger dort geboren, die Stadt zu erheben,
Nie ein Poet ihr Ruhm und unsterbliche Ehre bereite.
Doch als er Phokaia erreicht, da begann er zu wirken
Wie zuvor auch in Cumae und andern Städten, die er sah.
Fleißig besuchte er Versammlungen, trug dort die Lieder
Vor, die er sang, und entzückte das Volk mit seinem Gesange.
Dort lebte ein Mann, ein unlauterer Lehrer der Jugend,
Namens Thestorides, in Phokaia damals bekanntlich.
Dieser erblickte das Können des Sängers und bot ihm Obdach:
„Bleibe bei mir, und ich will sorgen für all deine Mühen,
Wenn du mir, als Lohn, erlaubst, die Verse zu schreiben,
Jetzt und künftig, was immer dein Geist noch dichten mag!“
Homer, verarmt und allein, nahm das Angebot willig,
Denn die Not zwang ihn, dem Handel des Lehrers zu folgen.
Dort, im Hause des Thestorides, schuf er die Werke:
Erst die „Kleine Ilias“, ein Lied von Trojas Gefilden,
Von Dardanien auch, wo edle Rosse gezogen,
Sowie der Griechen Qualen, die Kriegsgott Mars dort erduldet.
So begann er das Werk, und Phokaia pries ihn als Dichter.
Doch Thestorides stahl die Verse, er nahm sie für eigene,
Und die Stadt, obgleich entzückt, kannte nicht Homers Namen.
Dies war das Los des Poeten, der schuf, doch nicht wurde erkannt;
Doch seine Werke bestehen und singen von unsterblichem Ruhme.
Einst ward erzählt, wie Homer, der Sänger, die Lieder geboren,
Selbst sie schöpfend im Geist, sie schuf mit göttlicher Stimme.
Doch, als Thestorides, der Dichter, von ihm sie entnahm,
Falsch in Anspruch genommen, den Ruhm sich selbst zugesprochen,
Flüchtig die Küste verließ und die Stadt von Phokäa vergaß,
Sann Homer still in seinem Gram und sprach mit Klage:
„Thestorides, von den Dingen, die tief in der Dunkelheit ruhen,
Kein ist finstrer und tief verborgener als der Menschenherzschlag.“
Weit auf der Insel Chios, da gründete jener ein Lehrhaus,
Bildung lehrend, mit List, und trug des Homeros Verse
Eigenmächtig vor, als wären sie Früchte der eignen Kunst ihm.
Lob und Gold gewann er reich in dem Schwindel der Täuschung.
Homer indes, der ehrliche Sänger, verharrte beständig,
Lebte wie ehedem fort durch Kraft seiner göttlichen Lieder.
Kaufleute kamen einst von Chios zum Hafen Phokäas,
Lauschten erstaunt den Versen, die Homer klangvoll entbot.
Doch sie kannten den Klang – die gleichen Gedichte, vor Zeiten
Hatten sie schon bei jenem Falschen in Chios gehört.
Schnell berichteten sie Homer vom Schwindel und falschem Ruhme.
Dieser, erzürnt, ersann den Weg hinüber nach Chios.
Doch am Hafen fand er kein Schiff, das die Insel bereise,
Nur ein Boot, das bestimmt war, Holz zu holen in Erythrai.
Dankbar sprach er die Männer an, um Mitfahrt zu bitten,
Bot ihnen Lohn im Gesang und ehrte mit Worten die Seeleute.
Klangvoll erhob er die Stimme zum Gott der tiefen Gewässer:
„Mächtiger Poseidon, Beherrscher der weiten Gefilde,
Hör’ mein Flehen, schenk uns günstigen Wind auf der Reise,
Führ’ uns heil zurück und segne den Führer des Schiffes!
Sicher lenk mich ans Ziel, zur Küste des finstern Mimas,
Daß ich gerechte und treue Männer dort finde,
Doch auch Rache übe an dem, der mit frevler Täuschung
Gastliches Recht mir nahm und Zeus erzürnte, den Hüter.“
Freundlich der Winde Hauch, so erreichten sie bald Erythrai,
Wo Homer verweilte des Tages, ruhend an Bord des Schiffes.
Früh am Morgen erbat er Hilfe, das Land zu betreten,
Einen Begleiter, der ihn führe zum Herzen der Stadt.
Freundlich die Seeleute halfen; und so kam er hinüber,
Wandert’ zum steinigen Ort, da begann er in Hymnen zu preisen:
„Gaia, heilige Mutter, die reiche Gaben uns spendet,
Segnend die Guten begünstigt, doch strafen die Frevler mit Härte,
Karg und steinig das Land, das sie unrecht verdienten.“
Hafen fanden sie keinen, wo Schiffe die Anker gelichtet,
Suchten daher den Strand, von welchem die Fischer gewöhnlich
Segelten aus, doch fanden sie nur ein Boot, das nach Chios
Segeln wollte im Wind; da flehten sie, Homer aufzunehmen.
Taub jedoch war das Ohr der Männer für seine Gebete,
Emsig rüsteten sie sich zur Fahrt und beachteten wenig
Dessen Bitten. Da sprach Homer in glühender Rede:
„Seeleute, die ihr beständig den Wellen trotzet und stürmet,
Schicksalsschläge ertragend, damit ihr die Reichen erfreuet,
Höret den Ruf des Zeus, des Gastfreunds göttliche Stimme!
Schrecklich ist seines Zornes Gewalt, euch möge verschonen,
Falls ihr ihn reizt durch frevle Tat. Ihr habt euch zu hüten!“
Doch die Fischer vernahmen den Spruch und segelten weiter.
Bald jedoch zwang widriger Wind sie, zurückzukehren;
An dem Strand noch sitzend, fanden sie jenen Poeten.
Kaum sie den Lärm vernahmen, der kündet die Rückkehr, da sprach er:
„Widerspenstig ist der Wind; nehmt mich auf, und er wendet.“
Reue ergriff die Männer, und so gelobten die Fischer,
Nicht mehr zu weichen, und baten, er möge mit ihnen
Über das Meer sich wagen. Homer folgte den Rufen.
Kaum im Boot und die Küste entschwand, begann das Fischen.
Lang blieb Homer am Strande, doch mit dem Morgen erwachte
Neu sein Geist. Er zog in die Ferne, wanderte weiter,
Bis er ein Dorf erreichte, genannt nach dem Baume Pithys.
Müde legte er sich zur Ruh, und im Schlafe fiel
Eine Frucht vom Baume herab, die ihn plötzlich verletzte.
Strobilos nannten sie manche, andere Pinienzapfen.
Darauf dichtete Homer Verse, erhaben und lehrreich:
„Hoch auf des Ida Gipfel, wo Winde die Bäume bewegen,
Reift eine Frucht, die süßer scheint als jene der Tiefe.
Aus der Brust des Gebirges wird Eisen entnommen, das tapfer
Kriegsgott Ares geweiht, wenn die Cebrenischen Völker
Erobern dies Land, und Erz dem Berge entziehen.“
Von Pithys zog Homer erneut, gefolgt von dem Rufe
Meckernder Ziegen, die lockten aus fernem Dickicht.
Wachsam bellten die Hunde, als er sich näherte einsam,
Bis ihr Hüter Glaukos, ein Hirt mit treuem Gemüte,
Eilig lief und sie rief, den Blinden vom Lärm zu erretten.
Staunend fragte er jenen, was ihn an diesen verlassenen
Ort geführt, wo Pfade kaum sichtbar durch Wiesen sich winden.
Offen erzählte Homer von seinen Mühsalen ehrlich,
Rührte das Herz des Hirten, der willig den Blinden geleitete,
Zu seiner Hütte ihn führte und Feuer entfachte zum Mahl.
Doch die Hunde, feindlich gestimmt, vergaßen das Fressen,
Bellten weiter Homer, den Fremden, mit schrillem Gekläffe.
Da sprach Homer weise zu Glaukos, dem Hirten der Herde:
„Glaukos, Führer der Ziegen, beherzige Worte des Sängers:
Füttere Hunde stets vor der Tür; dort wachen sie besser,
Hören Schritte von Menschen und Vieh, die nahen im Dunkeln.“
Glaukos prüfte den Rat, der sich trefflich erwies, und er lobte
Homer mehr als zuvor, dankbar für nützliche Lehre.
So verbrachten sie Stunden, Homer erzählte mit Fülle,
Von Städten und Ländern, die er mit Leid und mit Ruhm durchschritten.
Freudig war Glaucus, doch sank nun die Nacht auf die Hügel,
Ruhe zog herauf, und der Schlaf verlangte die Glieder.
Als die Sonne erneut in den goldenen Äther sich hob,
Dünkte es Glaucus klug, den Herrn von der neuen Bekanntschaft
Sogleich zu berichten. Die Herden vertraute dem Freunde
Er an und ließ auch Homer im Hause zurück mit dem Schwur,
Dass er gewiss nicht lange fern verweilen würde.
Erreicht’ er Bollissus, die Stadt unweit vom Gehöfte,
Trat vor den Herrn, den Bericht ausbreitend in Worten:
„Seltsam ist, was geschah – ein Blinder weilt in den Hütten,
Mächtig in Wissen und Geist, so scheint es mir, ein Fremder,
Doch freundlich von Art. Was wünscht du, Herr, zu befehlen?“
Missfiel dem Gebieter das Wort und Glaucus’ Verhalten,
Schalt ihn töricht, dass er den Blinden zum Tische geladen.
Doch befahl er sogleich, Homer solle erscheinen.
Eilig kehrt’ er zurück und sprach mit dem Blinden von allem,
Was der Herr ihm gesagt, und flehte ihn ernstlich zu folgen:
„Alles, was künftig dein Glück bestimmt, hängt ab von dem Wege.“
Sanft nickte Homer und ließ sich führen vom Knechte.
Vor den Gebieter geführt, sprach Homer in Weisheit
Klar und ruhig, dass Staunen die Züge des Herren durchdrang.
„Bleibe bei uns,“ sprach jener, „lehr meine Kinder in Weisheit,
Denn noch jung sind die Knaben und dürsten nach Wahrheit und Tugend.“
Dankbar nahm Homer an, und dort im Hause des Herren
Dichtete er die Werke, die später die Welt ihm erhoben:
„Cercopia“, voll List und schalkhafter Wendung,
„Batrachomyomachia“, den Kampf von Mäusen und Fröschen,
Und vieles mehr, das klangvoll die Zeiten durchdrang.
Doch als Thestorides hörte, dass Homer in Chios sich niederließ,
Verließ er die Insel in Eile und floh vor dem Ruhme.
Lob war ihm zuteil, dem Margites, dem törichten Sänger,
Dessen Ruhm schon Plato gepriesen, den Aristoteles rühmte,
Als das Wesen der Komödie, gleich wie Ilias’ Verse
Und die Odyssee das Wesen des Heldengesangs sind.
Hoch hielt Kallimachos den Dichter in Ehren; der Name
Margites ward sprichwörtlich im Volke für Dummheit und Torheit.
Demosthenes wusste von ihm, Aischines lächelte bitter,
Und viele Gelehrte bewahrten der Fragmente die Zeilen,
Aristoteles sprach oft davon in den Werken der Lehre.
Homer, der Vater des Liedes, begann sein Werk mit Gesängen.
Auch war sein Leben erfüllt von Mühen und freudigen Gaben:
In Chios begründet’ er einst eine Schule der Weisheit,
Wo er die Jugend belehrt’ in der Kunst der erhabenen Dichtung.
Reich ward er geachtet vom Volk, und er wählte ein Weib sich,
Zeugte zwei Töchter, von denen die eine früh starb,
Die andere aber verband sich mit einem Bürger der Insel.
Dankbar gedachte der Sänger auch seiner edlen Beschützer:
Mentor von Ithaka, Treuer des Hauses des klugen Odysseus,
Ward von ihm gerühmt als Richter und weiser Verwalter.
Immer, wenn Athenes Stimme erklang, war es Mentor,
Der als Gestalt erschien in den Zeilen der ewigen Dichtung.
Auch Phemios, der Dichter, wird oft in den Liedern gepriesen,
Denn er schulte Homers Geist und bewahrte den Knaben.
In Chios sieht man noch heute die Spuren vergangener Zeiten:
Einen Tempel der Cybele, auf einem Felsen errichtet,
Einst wohl ein Ort der Lehre, doch nun verfallen und öde.
Homer selbst, so berichtet das Volk, habe dort seine Wohnung
Und den Gesang begonnen, der Völker und Zeiten durchdrang.
So lebt der Ruhm des Homeros im Lied und der Sage,
Wie der Margites, der törichte Held, von Gelehrten bewahret.
Dank sei den Meistern der Weisheit, die Dichtung in Ehren
Hielten und die Worte der Alten bewahren im Dunkel!
Dunkel beginnt das Lied, wo die Sage des Krieges in Troja,
Großes entfaltet, das einst die griechischen Völker bewegte.
Mächtig erhob sich der Zwist, entfacht durch göttliches Wirken,
Helenas Schönheit, von Zeus’ eigenem Blut einst geboren,
trug zu den Masten der Schiffe das wilde Verlangen der Helden.
Homer, der Sänger, geboren im fernen ionischen Lande,
feierte Phemius’ Kunst, Apollons gesegneter Schüler,
der wider Willen die Saiten des goldenen Instruments rührte,
Melodisch erschallend, als Liebende lauschten im Saal ihm.
Schnell und behende, mit Fingern, die die Lyra beherrschten,
lockte er Klänge hervor, die in den Herzen erglühten.
Mentes besang er auch, den Kapitän auf den Meeren,
führend die Scharen der tapferen Taphianer in Schlachten:
„Mentes mein Name, geboren vom Helden Anchialos’ Stärke,
reiche ich Ruhm durch Tapferkeit meinem Volk in den Stürmen.“
Tychius pries er sodann, den unermüdlichen Schmied,
dessen Geschick die gewaltige Rüstung des Aias erschuf,
glänzend aus Häuten von sieben starken Ochsen geschmiedet,
überdeckt mit Erz, wie ein Turm, der die Schlachtgefahr bannte.
Berühmt wurde Homer, durch Lied und Reim in den Städten,
Ioniens Küsten zuerst, dann Griechenlands weite Gefilde.
Viele besuchten ihn dort, in der Heimat von Chios,
rühmten sein Lied, das den Ruhm der Völker bewahrte.
Doch oft sang er Argos’ Name und dessen glorreiche Taten,
Athens Stolz hatte er lange im Singen vergessen.
Später jedoch in den Versen des großen Katalogs,
lobt er die Stadt, die Athene hegt in ihrem Erbarmen:
„Erechtheus’ Stadt, gezeugt von der Erde fruchtbaren Tiefen,
blüht durch die Gnade der Tochter des donnernden Zeus.“
Menestheus, kluger im Orden der Scharen und Wagen,
pries er in Zeilen voll Ehrfurcht, als Führer des Krieges,
„Keiner, den Erde genährt, gleicht diesem Lenker der Schlachten.“
Neben ihm steht Aias, der tapfere Sohn von Telamon,
führend die Schiffe von Salamis zu den Athenischen Reih’n.
Zuletzt in der Odyssee, als Athene gen Himmel entflog,
wandte sie sich mit Gnade Athens ehrwürd’ger Halle,
landete sanft in Marathon, an Erechtheus’ Stätte,
ehrend die Stadt, die durch Zeit und Götter in Glanz stand.
So ward Homer, durch die Kraft seiner Worte, ein Meister,
dessen Gesänge die Seelen berühren und Zeiten durchdringen.
Da, nach Einfügung neuer Verse in Lieder und Epen,
Homer Griechenlands ferne Gestade zu sehen begehrte,
überquerte er mutig das Meer und gelangte nach Samos.
Festlich und heiter begingen die Samioten das Spiel der Apaturien,
jenes prangende Fest der Vereinigung edler Geschlechter.
Einer, der einst den Dichter auf Chios bewundert hatte,
blickte ihn an, wie er schritt vom schwankenden Schiffe zum Ufer,
lief zu den Bürgern und rief mit überschwänglichem Eifer:
"Seht, ihr Männer von Samos, der göttliche Sänger ist angekommen,
der mit Worten die Seele erhebt und die Welt uns erhellt hat."
Bald entsandten die Männer den Redner, ihn einzuladen.
Freudig trat er zurück und sprach mit ehrenden Worten:
"Chios’ Gastgeber, willkommen! Die Bürger von Samos empfangen
dich mit Jubel; komm, teile das Mahl, das wir freudig bereiten!"
Homer nickte und folgte den Pfaden des eifrigen Boten.
Doch auf dem Wege trafen sie Frauen, die Göttern opferten,
Kourotrophos die Heilige ehrten sie mit brennenden Flammen.
Eifrig schritt die Priesterin vor und wies mit zürnenden Worten:
"Mann, entferne dich fern von den Flammen, den heiligen Opfern!"
Tief in Gedanken versank der Sänger, um Antwort zu finden.
"Wer," so fragte er leise, "hat mir solch rauhe Worte gesprochen?
Welchem Gott wohl opfern die Frauen mit ehrendem Schimmer?"
Kundig erwiderte jener: "Die Frauen ehren Kourotrophos,
jene Göttin, die sorgend die Jugend behütet und stärkt."
Nach kurzem Sinnen erhob Homer seine ehrende Stimme,
sprach ein Gebet zu der Göttin und sandte Worte der Strafe:
"Höre mein Flehen, o Göttin, Kourotrophos, Mutter der Jugend!
Möge die Priesterin fliehen die Liebe der Jünglinge immer!
Nur in den Armen des Greises, vom Alter gezeichnet und brennend,
finde sie Trost, der in Kälte das Leben stumm ihr verwehrt hat!"
Bald erreichten sie, wo der Phratrier festliches Feuer
leuchtend entflammte und Männer sich jubelnd versammelten.
Stehend an der Schwelle, erhob Homer seine Stimme,
während Flammen erglommen und Wärme den Saal durchdrang:
"Stolz ist der Vater auf Kinder; die Stadt auf wehrhafte Mauern;
stolz ist das Feld auf die Rosse; das Meer auf prangende Schiffe.
Reichtum schmückt ein Haus, gerechte Richter die Hallen.
Doch nichts lieb ich so sehr, wie ein loderndes Feuer im Winter,
wenn Kronions Hand die Erde mit Schnee und Eis überzieht."
So sprach er, trat ein, und die Männer empfingen ihn freudig,
gaben ihm Ehre und Achtung die ganze Länge der Nachtzeit.
Am Morgen, früh erwacht, durchwandert’ er Straßen und Plätze.
Töpfer, die ihn erkannten, sah’n ihn mit freudigem Staunen,
riefen ihn zu sich heran, wo die Glut in den Öfen erglühte:
"Dichter, Sänger der Götter und Menschen, gewähre uns Ehre!
Singe uns Lieder der Gnade, wir wollen dich reichlich belohnen,
geben dir Vasen und Schalen und anderes Nützliches gerne!"
Freundlich nickte Homer und sang in melodischen Versen:
"Hört mein Flehen, Athene, die Schützerin menschlicher Werke!
Segne den Ofen, mach schwarz die Gefäße in glänzender Pracht,
lasse sie schnell sich brennen und teuer verkauft sich gestalten,
viel in der Agora wert und geschätzt in den Gassen der Stadt."
So verbrachte der Dichter die Zeit, geehrt von den Menschen,
teilte sein Lied mit der Welt, und die Götter segneten Werke.
Gewähre mir Weisheit, Göttin! Doch sollst du mich nicht betrügen.
Solltest du Lügen ersinnen, so rufe ich Flüche herab,
Flüche des Syntrips und all seiner heulenden Brüder, der Asbetos,
Abaktos, Omodamos, die in den Öfen dir hausen.
Brenne das Herdfeuer heiß, und verschlinge das Werk deiner Hände!
Mögen die Töpfer in Angst durch das Feuer irren und jammern,
gleich einem scheuenden Ross, das vor Schrecken erbebt in der Schlacht.
Möge Circe, die Tochter der glühenden Sonne, mit Giften
alles vernichten, was ihr im Zorne verfluchen könnt.
Rufe die Scharen des Chiron herbei, die Zentauren im Zorne,
mögen sie niederreißen die Werkstatt, die Erde verheeren,
und, zu entsetzen den Töpfern, vollziehen ihr schreckliches Werk.
Jauchzen will ich, wenn Flammen die Asche zum Himmel erheben!
Helfer, die eilen zu löschen, verglühen im sengenden Brande,
dass eine Lehre die Welt aus den Flammen des Unrechts erlernt.
So zog er fort, der Dichter, durch Samos’ winternde Lande,
fand in den Häusern der Reichen den Trank und den Brotlohn im Lied.
Kinder umgaben ihn dort, die Edlen der Insel, und lauschten,
während er sang den hymnischen Lobpreis der Götter der Heimat.
"Öffnet die Tore weit! So tretet ein, ihr freudigen Gäste,
füllt die Becher mit Wein und entflammt euer Herz am Gesang!
Über die Tische möge die Last der Speisen sich wölben,
und auf dem Herd lodre die Flamme mit prasselndem Mut!
Holt aus den Kammern des Hauses die edelgeschmückte Gemahlin,
zieht sie in leuchtendem Wagen, geführt von murrenden Maultieren!
Sitze sie freudig dort, die Hände am feinen Gespinst,
froh im gläsernen Stuhl, der im Glanz von Bernstein erstrahlt!"
Siehe Œdipus Colonus, dort, wo die Verse erklingen,
Wo in Psalmen ertönt: „Hebet die Tore empor!“
So auch der Eridanus, dessen goldene Tropfen, Elektron,
Mancher der Alten besang, doch zweifelnd Homer.
Nicht war damals das Land und die Flüsse im Westen
Wohl schon bekannt, und die Sagen schienen erdacht.
Plinius spricht von Natur, Humboldt von Sternen und Äther,
Hellenenforscher entwirren die Mythen der Zeit.
Homers letzte Reise
Frühling kam, und Homer, von der Insel Samos gezogen,
Segelte weiter gen Athen, der Weisheit zu Haus.
Doch auf der Insel Ios hielt er mit Samioten die Reise,
Krank schon fühlte er sich, wurde ans Ufer gebracht.
Winde tobten, der Schiffskiel ruhte vor Anker am Strande,
Tage verstrichen, und Fischer näherten sich.
Kinder spielten am Sand, mit Netzen, deren Geheimnis
Rätselhaft war, und sie riefen dem Meister es zu:
„Höret, Fremdlinge, klärt, wenn ihr könnt, unser Rätsel:
Was wir entnehmen, bleibt, doch was wir tragen, entzieht!“
Staunen ergriff die Schar, bis Kinder lachend erklärten:
„Würmer nahmen wir mit, doch die gefangenen Fische verließen.“
Homer sprach: „Eure Väter sind arm an Gütern und Weiden,“
Dichtete dann ein Gedicht, dass die Fischer entzückt.
Doch die Krankheit verzehrte den Alten, der Weisheit erstrahlte,
Ios wurde sein Grab, Ruhm ward ihm dennoch gewiss.
Nicht, wie Legenden es sagen, starb er aus Kummer,
Dass der Rätselspruch ihm fern unlösbar schien.
Ehren ward er zuteil, von den Menschen geliebt und geachtet,
Unter den Marmorsteinen ruht sein erhabenes Haupt.
Weit im Äolischen Land, wo Winde die Ebenen fegen,
Ward ein Dichter geboren, sein Ruhm durchdrang alle Zeiten.
Nicht war Ios sein Land, noch Dorer nannten ihn Bürger,
Sondern aus äolischem Blut entspross seine Seele.
Dorthin lenkte er einst, vom Ruhm der Fischer gezogen,
Als ein Rätsel ihn rief, das ihm des Geistes Kräfte zermürbte.
Nicht konnt' er's lösen, und Trauer umfing ihn, bis er verschied dort.
Sanft ruht Homers göttlicher Leib nun im Staube von Ios.
Dort, wo die Bürger, ergriffen von Trauer, ihm folgten,
Sangen sie Worte des Ruhms, die bis heute das Herz uns bewegen:
„Hier deckt die Erde das Haupt des göttlichen Homers,
Der durch Verse der Helden Geschichten unsterblich gemacht hat.“
Zeiten vergingen, und über das Land ging Kunde von Liedern,
Die der Dichter verfasst und dem Geist der Äonen vermachte.
Seine Verse erzählten von Opfern und Riten des Landes,
Zeugten vom Ursprung, dem Äolischen Brauch, der ihn prägte.
Seht, wie die Opfer gebracht, und die Schenkel mit Fett überzogen,
Auf dem Altar verbrannt, und das Blut von allen Gliedern
Frei dargeboten wird – ein Brauch, der fremd andern Griechen.
Auch, dass Gittern von fünf Baren die Innereien rösten,
Ist den Äoliern eigen, nicht den dorischen Stämmen.
Selbst ihre Sprache verrät, dass fünf als „pémpe“ gesprochen.
Viele behaupteten, er sei ein Kind der Küste von Chios,
Andere führten den Namen des Smyrnäischen Volkes.
Doch, wie die Verse bezeugen, war seine Seele äolisch,
Denn nur ein Kind dieses Volkes würdigt die Heimat in Liedern.
Homer lebte zur Zeit, da Smyrna vom Stamme der Cumer
Neu erbaut und gegründet, vom Geist des Olymps sich geführt sah.
Von Trojas Fall bis zu seiner Geburt, so zeigten die Zeichen,
Flossen Jahre dahin, die dem großen Dichter den Ursprung
Gaben im Strahlenkreis der äolischen Macht und des Liedes.
OVID IM EXIL
ELEGIE VON TORSTEN SCHWANKE
Warum, welch Rätsel umgibt dein Schicksal, Ovidius, Barde?
Rom wies dich fort, und der Kaiser sprach den harten Beschluss.
Fern der Geliebten, am Pontus, der schwarzen See, strandest,
Nächtig umhüllt von des Nordens frostigem Bann.
Nicht mehr strahlst du im Glanz der Hauptstadt, den Foren und Tempeln,
Ferne die Kunst, die einst römische Herzen gerührt.
Bitter beklagst du die Wildnis, wo Feinde stets lauern,
Wo kein Frühling blüht, Herbst keine Traube gebiert.
Fische schwimmen gefangen im Eis, Flüsse erstarren,
Wasser, salzig und lau, stillt nicht das sengende Leid.
Bäume sind selten und karg, Wermut streckt seine Dornen,
Schroffheit zeugt das Gefild, feindlich und öd wie das Meer.
Niemals ein Frieden, stets droht der Feind mit vergifteten Pfeilen,
Mauern umschließen das Herz, Angst wird zum ewigen Gast.
Doch, fern von der Heimat, dein Geist bleibt wach und erhaben,
Dichtet von Rom, wie es leuchtet, ein göttlicher Hort.
Tomis, der Verbannung finstrer Ort, die eisige Grenze,
Zeugt von des Kaisers Zorn, schwer und erbarmungslos.
Zwischen Barbarentum hier und Rom als Zivilisationsbild
Lebt ein Poet, der im Kargen die Schönheit entdeckt.
Mit Pflug und Schwert ringen die Menschen der Erde das Leben,
Ovid, er aber schafft Dichtung, trotz härtester Zeit.
Mag die Heimat in Träumen erscheinen, in Zeilen erstehen,
Schillernd als ewiges Rom, Trost in der schneidenden Nacht.
Einst, als Griechen noch siedelten fern in den Landen der Dobrudscha,
blühte Tomis im Glanz hellenischer Sitten und Kunst.
Doch in den Tagen des Ovid war das Stadtbild gewandelt:
Kaum noch ein Grieche war dort, Wildheit erfüllte das Land.
Thrakische Stämme und Sarmaten, der Steppen entstammend,
waren die Herren der Stadt, sprachen ein fremdes Idiom.
Kaum dass Ovid hier das Griechisch verstand, das ertönte,
war es doch tief durchsetzt von barbarischer Art.
Rom war fern, die Stadt voller Pracht und beständiger Ordnung;
hier in Tomis regierten Gewalt, Schrecken und Frost.
Raubzüge zerrütteten Felder, das Leben am Meere
war eine Mühsal des Leibs, düster und karg war das Land.
Nichts als öde Gefilde, die frostige Winde durchfegten,
flach und grau lag das Feld, bar jeder Pflanze und Frucht.
Ovid, der Dichter aus Rom, fror hier in der Kälte,
schrieb von den Qualen der Zeit, klagte sein bitteres Los.
„Zwei Vergehen“, so schrieb er, „verbannten mich fort aus der Heimat,
eins war das Werk meiner Hand, eines ein dunkler Moment.“
Klar war das erste benannt, „Ars amatoria“ hieß es,
doch was die zweite Tat war, ließ er im Dunkel zurück.
Einst ein Favorit in der feinen Gesellschaft der Römer,
schrieb er nun Bitten und Fleh'n, hoffte auf Gnade des Kaisers.
Sein Werk, voll Trauer und Klage, vermischt mit Verstellung,
bietet uns Rätsel bis heut’: Was ist Dichtung, was wahr?
Wahr war die Kälte, die Not, und die ständige Furcht vor Gefahren,
doch wie trostlos war Tomis? Kann man Ovid hier vertrau'n?
War es ein Land, wo die Stämme der Geten und Thraker verwildert
lebten, barbarisch und kalt, oder bestand noch Kultur?
Seine Verse, sie malen das Bild eines Dichters in Ketten,
einsam, von Rom weit entfernt, flehend um Rettung und Schutz.
Ob es ein Bildnis der Wahrheit, ob Kunstwerk allein es uns zeiget,
bleibt ein Geheimnis, umhüllt von des Dichters Genie.
Da starb Lucius, Enkel des Kaisers und Adoptivsohn,
Neunzehn Jahre kaum zählend, entrissen von plötzlichem Leiden.
Wenig später verschied Gaius, Enkel und Hoffnungsträger,
Nach östlichen Feldzügen schwer verwundet und jung,
Kaum dreiundzwanzig, ließ er die Träume des Kaisers
Einsam zurück und löschte die Zukunft mit aus.
Nun blieb Agrippa, der Sohn der geächteten Julia,
Posthum geboren, ein letzter Spross der Familie.
Mit ihm und Tiberius, dem ungeliebten Stiefsohn,
Teilten sich zwei das kaiserliche Erbe im Jahr vier.
Doch Posthumus, wie es die alten Berichte verkünden,
War ungestüm, gezeichnet von dunkler Natur.
Auch flüsterten Stimmen vom Einfluss der Gattin des Kaisers,
Die Tiberius zum Thron erhoben sehen wollte.
So endete Posthumus’ Weg im Exil des Jahres sieben,
Und Augustus blieb ein zögernder Erbe allein.
Tiberius, der Stiefsohn, von Rhodes kehrte zurück,
Wo er die Ämter gemieden und Wunden gepflegt,
Gefoltert durch Julias Spott und schamloses Betragen,
Zog wider Willen ins strenge Amt des Herrschers.
Hier nun tritt Ovid auf, der geächtete Dichter von Liebe,
Aus Rom verbannt, durch Dichtung und Fehler verurteilt.
„Zwei waren’s, die fällten mich,“ klagt er, „Gedicht und Vergehen.“
Wohl war es die Ars amatoria, die Liebe lehrend
Zur falschen Stunde im Zentrum der Macht erschienen.
Julia selbst, Augustus’ Tochter, verfiel dem Genuss,
Ein Stern der Gesellschaft, gestürzt durch sittliche Wut.
Verbannte und starb – die Liebhaber wurden gerichtet.
Wie ein Spielball der Zeit verharrte Ovid im Exil,
Zu Tomis gesandt, am Rande des Reiches verloren,
Wo fremde Winde die Stimme des Dichters umspielten.
Der Kaiser, der einst als Krone der Geschichte gepriesen,
Sah in den letzten Jahren sein Werk im Schatten verweilen.
Die Zukunft verblasste; Virgil’s und Horazens Visionen
Schwanden dahin mit den Jahren des einsamen Greises.
In Tomis nun, wo ferne die Grenzen des Reiches verliefen,
Sang Ovid von Verlust, vom Schmerz und vergangener Glorie.
So endet die Zeit, die einst den Anfang versprach,
Und die Stimmen der Dichter verwehen im kalten Nordwind.
Jetzt, da der Dichter, der einst mit Spott die Moral und den Stolz des Augustus
Lächelnd verspottet, den Krieg als Gleichnis sexueller Eroberung sah,
Römische Siege, das Recht und die Werte der Familie verachtet,
Selbst den Fluch jener Strafe erfuhr, die genau dem Vergehen entsprach.
Tomis, die Stätte, die ihn verbannt von Rom und dem Glanz der Kulturwelt,
Fern den Zentren der Kunst, fern von der Stimme des Geistes entfernt,
Stellte ihn kalt ins Nichts: an die Küste des schwarzen Gewässers,
Dorthin, wo weder die Muse noch ein Trost ihm jemals begegnet.
Ständig beklagt er, ein Flüchtling, das Elend des trostlosen Exils,
Weint in den Tristia, weint in den Briefen von Frost und Gefahr.
Ein letzter Abschied, erfüllt von den Klagen des Haushalts, die Trauer
Dunkelt den Aufbruch, von Herz und Hoffnung verzweifelt verzehrt.
Nicht wie die Fahrt einst, da er als Jüngling nach Athen reiste,
War dies ein Schritt in die Zukunft, doch auch ein Schritt in den Tod.
Kaum hatte er Tomis erreicht, da schildert er wild seine Reise:
„Schwarze Stürme zerzausen die Wellen, treiben den Sand aus der Tiefe,
Tosend als Schaumberg peitscht er den Bug und krümmt das Geheck.“
Wieder und wieder, trotz Stürmen, schrieb er mit zitternder Hand.
Tomis, die grausame Muse der Dunkelheit, ließ ihn verzweifeln.
Immer beschreibt er das Kalte, die Pfeile, das Ende der Welt.
„Gift ist getränkt in die Pfeile der Feinde, die Städte umschleichen,
Wie ein hungriger Wolf lauert der Reiter um Zäune und Wälle.“
Ewiger Winter umschließt das Land, wo die Erde versteinert,
Harsch, ohne Blätter und Bäume, und Kälte durchdringt jede Seele.
„Hier, wo kein Frieden, kein Schutz, nur die eisigen Stürme mich quälen,
Brechen die Tränen hervor, wenn nicht betäubt mich der Schlaf.“
Selbst im Alter, ein Greis, muss Ovid die Waffen ergreifen,
Helm auf das graue Haupt, das Schwert in die zitternde Hand.
Tomis bleibt wild. „Das Land, voll Barbaren, fremd und erbarmungslos,
Schwert an der Hüfte, die Pfeile vergiftet, der Blick voller Hass.“
Kälte und Schnee, die den Frost wie Feuer auf nackte Haut werfen,
Schichten sich Jahr um Jahr, verweilen als ewige Decke.
Weinberge, Blüten in Rom, sind Träume, verweht von der Eiszeit,
Während am Danubus klirrend die Wagen den Fluss überqueren.
Solches Exil, solches Schicksal, formte die Verse des Dichters,
Tomis, die Fremde, sein Kerker, zugleich der Schatten der Welt.
Im späten Werk des Verbannungspoeten Ovidius' Namen
steht eine Stadt hervor: Tomis, Grenzort der Kälte.
Immer und immer wieder durchzieht sie die Verse der Tristia,
schwebt in den Briefen des Schwarzen Meeres vor Augen:
Frostige Wogen, der Pfeile Gift, fremder Zungen Geflüster,
Luft, die frierend erstickt – ein Bild für Roms Leser in Exil.
Traurig zu lesen ist's, wie Tomis dem Dichter erschien:
Schande war's, die ihn zwang, und bitter der Weg in die Ferne.
Gesellig, ein Freund des Geistes, von Kunst umgeben zu Hause,
fand er sich dort in rauem Klima, Kälte des Nordens.
Sehnen durchzieht die Verse, wo Fremde der Zeit ihn umfing.
Was Heimat ist, bleibt Traum; was fehlt, wird blasser Gedanke.
Düstere Strophen entstehen in stillen Momenten der Ferne,
selten ein Licht, das Hoffnung aus seinen Zeilen durchscheint:
„Schonung, Malice, ich flehe! Blut'ge Krallen, zieht sie zurück nun.
Kein Platz ist mehr in mir, eine weitere Wunde zu tragen.“
Nichts, was er liebte, fand er dort, keine Nahrung des Geistes.
Hoffnung allein hielt fest: Die Werke erreichen noch Rom.
Doch wusste er: Nachrichten wandern im Lauf eines Jahres.
Antwort und Urteil verweilen in weiter Ferne vom Schreiber.
Einsam, ohne die Schätze der Bibliotheken, die ihn geformt,
sank ihm der Mut, und Latein zerbrach in des Dichters Bewusstsein.
„Lange Last hat mir zugesetzt, die Kräfte vergehen,
schwer fällt Sprache mir nun, und Strophen entgleiten dem Griff.“
Zeile um Zeile gesteht er das Schwinden der einstigen Kunst.
Fremde Stimmen verwirren, das Eigene schwindet ins Ferne.
Bildlich malt Delacroix den Mann inmitten von Barbaren,
weiß sein Gewand, doch düster und karg der umgebende Raum.
Wehmut zieht sich durch Zeiten; Exil bleibt ein altes Motiv.
Ägyptens Märchen vom Schiffbruch, von Sinuhe, dem Fremden,
Griechenlands Helden von Troja, in fremden Schlachten gefangen,
schreiben die Klage der Heimat, fern von den Ufern des Seins.
Auch das Bibelwort – Jeremia, Exilgesänge – ergründet
die Wunde der Trennung, den Riss in Kultur und Geist.
Ovid greift Vergangenes auf, ruft Namen des Mythos,
findet sich selbst in den Pfaden von Aeneas und Odysseus.
Doch bleibt ein Zweifel bestehen: Wie wahr sind die Klagen des Dichters?
War Tomis der Ort, oder war es ein dichterischer Schein?
Mag uns der Zweifel bewegen, die Worte bleiben bestehen:
Schicksal, geformt in Kunst, erzählt von Verlust und Entfernung.
Fern von Rom, in der Weite des Nordens, klagt Ovids Seele,
Tragend die Last der Verbannung, doch schmückt sie mit dichterischem Glanz.
Fakten und Fiktion verweben sich dicht in der Form seiner Worte,
Zeichnend Tomis als Ödnis, ein Ende der Welt ohne Trost.
Seine Verse, sie flehen und bitten, verzweifeln, verschönern,
Meisterhaft dargebracht, stets das Ziel im Blick: Rückkehr nach Rom.
Nicht bloß Tagebuchklagen, vielmehr rhetorische Spiele,
Dichtkunst, die lenken will, mit Augustus als Torhüter der Hoffnung.
Selbst der Dichter erkennt die Monotonie seiner Lieder:
„Langweilig mag ich erscheinen mit stets gleichem Gesang.“
Doch das Publikum wechselt, und jede neue Adresse
Hört denselben Appell, mit verändertem Tonfall vielleicht.
Lob für Augustus ertönt, wo zuvor Leichtsinn regierte,
Göttergleich wird er gepriesen in endlosen Hymnen des Dichters.
Alles, was Ovid einst verspottete, dient nun dem Zweck,
Milde zu flehen für jene Verbannung, die ihn zerbricht.
Bilder der Einsamkeit, wie Gemälde von Exil und Verlassenheit,
Zeigen den Dichter entrückt in unwirtlicher Ferne – doch auch
Rührig in Briefen, die, reichlich verstreut, jeden umwerben,
Der Macht besitzt, den Kaiser zu neigen, sein Urteil zu lindern.
Tragisch erscheint der Wandel vom Freigeist hin zum Gefangenen,
Von Ironie zu Demut, von Leichtmut zu schmerzlichster Schwere.
Doch in der Klage liegt List, und in der Verzweiflung ein Plan:
Rückkehr zu suchen mit jedem verfügbaren Wort.
Weit in Verbannung verweilt der Dichter, Ovidius klagt,
fleht Augustus um Gnade, doch preist zugleich seine Kunst.
Treu bleibt er sich, trotz widriger Zeit, ein gefeierter Poet,
schreibt mit stolzem Blick auf das Erbe, das ihn ewig umfängt.
Selbst wenn das Jugendwerk stürzte den Meister in Schande,
bleibt sein Name bekannt, weit über die Grenzen der Welt.
"Mag man mich tadeln für Werke, geboren aus törichter Jugend,
dennoch erkennt man mich an, ein Dichter von bleibendem Wert."
Mitten im Lob und in Bitten an Augustus erhebt sich
Ovid zur Verteidigung dessen, was er einst schuf.
Selbst „Die Kunst der Liebe“, die ihm Verbannung beschied,
bleibt ein Werk, das Ovids kühnen Geist stolz bezeugt.
„Nie“, so beteuert er, „griff ich in eheliche Betten ein,
was ich schrieb, galt Frauen, die ohne Bescheidenheit leben.“
Tomis mag kalt sein, von Pfeilen der Skythen bedroht,
doch die frostige Gegenwart schmäht nicht vergangene Glanzzeit.
Viel Lob widmet er jener, die treu ihm zur Seite noch steht,
seiner Gattin, der dritten, die Liebe und Treue bewies.
„Penelope bist du mir,“ so ruft er, „mein ewiges Denkmal:
Dein Name lebt durch die Verse, die ich zu singen vermag.“
Während die Jahre verstreichen im fremden barbarischen Land,
zeigt er sich dennoch gewandt in der Sprache der Thraker und Skythen.
„Ich schreibe Verse in Getisch,“ gesteht er mit schimmerndem Stolz,
„hier bin ich ein Dichter, gefeiert von fremdem Volk.“
Und so bleibt Ovid, trotz Elend und Schmerz, ungebrochen,
singt von Ruhm und von Liebe, von Heimweh und neuer Kultur.
Nicht gerade Worte des Lobs, doch gleichwohl scheinen sie zeigend,
dass der Dichter sich Mühe gab, das Volk zu verstehn,
deren Sprache zu lernen und in Verse zu fügen die Töne,
elegisch fließend, geprägt von der Muse der Flucht.
Zeugend ist ferner ein Lied aus dem dritten der letzten Gedichte,
die der Verbannte schrieb, flehend zur Stadt Tomis hin:
„Nie hab' ich euch, o Bürger, ein Unrecht getan, keine Schuld ist
mein; euch lieb' ich, doch hasse das frostige Land.
Prüfet, ihr alle, mein Werk: Kein Wort erhebt eine Klage
gegen euch; vielmehr klagt nur die feindliche Welt.
Gegen den Ort, nicht die Leute, erhebt sich mein Wort in Gerechtigkeit,
denn kalt ist der Frost und die Räuber bedrohn mich allzeit.“
Welch ein Motiv ihn trieb, bleibt verborgen im Schatten des Lebens:
Hat ein Nachbar ihn scharf angesprochen auf Schmach?
Oder ein Brief eines Freundes die Stadt gar schmählich verleumdet,
so dass Ovid sie verteidigen musste mit Wort?
Lange genug hat er, fern von Rom, die Barbaren erlebt,
lang genug hat er deren Sprachen wohl auch studiert.
Doch ist's ein Wahn, ihn als „heimisch“ zu denken im nordischen Kreise,
trennend blieb stets sein Geist, römisch war stets sein Gefühl.
Längst hat er, schreibt er, die Hoffnung als nutzlos erkannt und verzichtet
auf Rückkehr; auch quält ihn die Dichtung zuletzt.
„Was soll es“, fragt er, „das Leid immer wieder zu wälzen in Klagen,
wo der Winter bleibt kalt, trotz des Jammergeschreins?
Linderung suchte die Feder und fügte dem Herzen nur Wunden,
oft ist Schweigen gesünder als wühlendes Wort.
Freundlich stirbt der, den die Wellen verschlingen, bevor er sie kämpfet,
doch grausam der, der ermattet im Strudel verging.
Warum hab’ ich erhofft, aus Skythiens Eis zu entkommen,
wo der Kaiser, erzürnt, jeglichen Gnadenruf taub?“
Stets bleibt Ovid der Poet, doch lernt er die Bürde der Zeilen,
deren Gewicht ihn belastet, mehr als sie ihn erhebt.
Galt doch der Feder als Schlüssel zur unsterblichen Ruhmestür,
dachte Ovid, doch fand sie nur Schatten im Geist.
„Genug“, spricht er, „nun reißt nicht die Wunden, die eh schon verbluten,
lasst meinen Staub ruhn, quält nicht den bereits Toten mehr!“
So lehrt uns der Dichter: Es kommt auch die Zeit, da das Schreiben
nicht mehr heilt, da das Schweigen ein Weg des Vergessens wird.
Und dennoch mahnt uns sein Werk, die Heimat zu wahren im Herzen,
sich zu erinnern, sei's auch in frostiger Zeit.
Zeilen des Dichters gefüllt mit Verlust, doch auch mit Erkenntnis:
Heimat bleibt immer ein Gut, das sich lohnt zu bewahr’n.
Dass Ovid sah, was er verschwieg, und schuldig so wurde,
mag ungewiss sein, doch bleibt es das Herzstück der Deutung.
Warum der Dichter verbannt? Ein späteres Lied in den Tristia
wirft etwas Licht auf den Irrtum, den er selbst benennt:
„Zu schildern, wie durch ein Missgeschick ich Zeuge geworden
eines verbrecherischen Spiels, braucht Zeit—ich lass es.
Mehr sei nicht gesagt: Ich tat Unrecht, doch suchte mein Tun
keinen Gewinn, keinen Preis, war nur Torheit, so schlicht.
Nennet die Tat, wie ihr wollt: Wenn ich lüge, so schickt mich
fort aus der Welt, nennt dies hier nur ein Vorort von Rom!“
Offen bleibt vieles. Es scheint, Ovid hat gesehen und geschwiegen,
dies war wohl Grund, warum Augustus ihn stieß.
War Ars Amatoria, ein Jahrzehnt vor der Verbannung vollendet,
nur ein Vorwand? Ging’s um ein Werk weit subtilerer Art?
Hatte Ovid sich verstrickt in das Netz geheimer Verschwörungen,
gegen die Augustus stand, Livia’s Sohn begünstigend?
Zwei Male fanden die Julier Wege, um Livia’s Söhne
vom Thron zu drängen, Augustus’ Enkel zu krönen.
Vielleicht war Ovid’s Schweigen ein Teil solcher Pläne,
ließ er doch die Söhne der Kaiserin kalt unbesungen.
Tiberius stieg empor, als Augustus verschied—
nie rief Rom den Poeten zurück in die Heimat.
Tomis, die kalte Küste, ward seine letzte Station,
während der Kaiser Augustus starb, Tiberius herrschte.
Ovid sah beide Reiche: das goldene Glanzreich des einen,
das silbern kälterte Grau des Nachfolgers beginnen.
Mit den Metamorphosen glaubte er, Götter und Menschen
vereint zu haben in Liedern, Roms Erbe zu krönen.
Doch in Tomis zerstoben die Träume; vor den Mauern der Stadt
schwelte die Wildnis, Barbaren formierten die Pfeile.
Die Erbenfrage blieb wie ein Dolchstoß ins Herz des Reiches,
Nachfolge war Roms Wunde, die tief immer blutete.
So starb Ovid fern von Rom, ein Dichter im Exil,
entrückt, verbannt, und doch Zeuge des Wandels der Zeiten.
Golden glänzte die Zeit, so erzählt man, von Cicero an bis
Ovids dichterischem Wort, kühn und erhaben zugleich.
Feuerstürme der Republik und danach die Prosperität
unter Augustus’ Patron ließ die Kultur erblühn.
Zwei Generationen der Dichtung, von Geist und von Kühnheit beseelt,
schrieben ein Erbe, das ewig den Römern gehört.
Doch dann, so berichtet man, kam die Dekadenz, wo der Kaiser
Tiberius Feste auf Capri in Schande entwarf,
Caligula’s Ross als Konsul pries, und Nero die Schätze
Roms in vergoldete Hallen verschwendete stolz.
Latein ward manieriert, geschmückt mit rhetorischen Künsten,
ohne den klaren Geist, den die Vorzeit noch kannte.
Teuffel, der Altertumsforscher, hat diese Ären gespalten,
Gold und Silber getrennt, Kunst und Verfall unterschieden.
Römische Dichter im Kaiserreich lebten in Masken verhüllt,
weil Wahrheit gefährlich, Verstellung ihr Schutzmantel war.
Spione lauerten stets, und das Leben glich einer Bühne,
wo Gesten geprobt und für Nachwelt die Worte gedreht.
Prunkvolle Sätze erklangen, erdacht und oft überladen,
wo einst die Schlichtheit in Macht und in Reinheit bestach.
Selbst Vespasians Bemüh’n, zur Natur zurückzuführen,
konnt’ nur ein Echo sein, kaum den Verfall übertön’n.
So auch Cruttwell klagt: Die Freiheit ging, und der Geschmack sank,
blühende Dichtung verwelkte im kaiserlichen System.
Wo einst Cäsar noch Hohn von Catullus ertrug und verzieh,
war nun gefährlich ein Wort, das den Herrscher entblößt.
Seneca, Zeuge der Zeiten, geboren im Sterben des Alten,
stand an des Hofes Rand, Macht und Gefahr zu erseh’n.
Sein Geist, stoisch geprägt, und seine Dramen von Schrecken
spiegeln das Kaiserreich, seiner Verderbnis geweiht.
Von Augustus bis Nero, erlebte er Mord und Intrigen,
ein Philosoph, der die Wahrheit im Schatten bewahrt.
Vier Programme gehn wir zu Seneca ein, seinem Leben,
Sterben auch – in der Geschichte ein Abglanz der Zeit.
Stoiker war er, und wir erforschen die Strömung des Denkens,
welche von ihm, vor ihm, später das Neue verband.
Tragödien schrieb er voll Blut und von düsterem Scheine,
Phaedra einst weckte in Rom neu die Rache im Geist.
Shakespeare, Kyd und Webster standen in seinem Gefolge,
Hamlet, der Titus – geboren in finstrer Gewalt.
Doch widersprüchlich bleibt er, schwer fassbar sein Leben,
denn es spiegelt die Welt jener dekadenten Dynast.
Sein Stoizismus – ein Schutzwall des Weisen im Sturmwind,
prägte den Glauben, in Paulus’ Episteln erglüht.
Christliche Denker wie Tertullian, Jerome und Lactanz
fanden in Schriften von ihm eine Quelle des Lichts.
Novatus, Bruder des Weisen, verewigt in Schriften,
rettete Paulus, so heißt’s, einst im Urteilssaal.
Tiefer verwoben erscheinen die Linien der beiden:
Römer und Christen verband oft der gleiche Gedank.
Nächstes Mal tauchen wir ein in die Glanzzeit der Kaiser,
in ein Rom, das die Republik kaum je mehr gekannt.
Für Förderer halte ich auf dem Portal noch ein Schmankerl:
Tennysons „Lotos“ und „Ulysses“ in Klang und Gesang.
Walt Whitmans „Fährfahrt in Brooklyn“ – ein Lied für die Zeiten,
die uns als Menschen vereint, über den Raum und das Jahr.
Exil war Seneca fremd nicht – wie Cicero, Ovid,
fand er im Schreiben das Heil fern vom geliebten Rom.
Doch hörte Klagen man oft, die im Leser von heute
Staunen entfachen: Besitz und Gefolge blieb treu!
So schrieb ich Lieder, worin die Exilanten uns klagen:
„Reich, doch verbannet – wie schwer ist dies Schicksal zu tragen!“
zKÖNIGIN TOMYRIS
VON TORSTEN SCHWANKE
I
Tomyris, die Königin, der Saka-Massageten zur Ehre,
Die der Geschichte Herodot brachte ins Licht ihrer Taten,
Hoch erhoben und streng, ein Symbol ewiger Gerechtigkeit,
Ward bekannt durch ihr Tun, das Tyrannen das Maß ihres Stolzes nahm.
Von ihr Kunde zu fassen, bedarf es der Schrift alter Weisen,
Herodot zuerst, der von Sagen und Kriegen berichtet,
Von den Scharen des Kyros, dem Perserkönig der Macht voll,
Der im Stolz seines Heeres zog gegen die tapfere Königin.
Strabo erzählt von ihr, auch Polyän und Cassiodorus,
Selbst der Gote Jordan spricht ehrend von Tomyris’ Ruhm,
Sie, die Stadtgründerin, baute Toma, das heut’ge Konstanza,
Einst die Perle der Skythen, am Rande des dunklen Meers.
Nomaden des weiten Kaspischen Reiches ehrten die Frauen,
Zarina war einst Saka-Herrscherin, ebenso Tomyris,
Eine Königin groß, und zugleich eine Kriegerin mächtig,
Die ihr Volk stolz führte mit Gerechtigkeit, Mut und Verstand.
Herodot schreibt von Kyros, dem Großen, der Babylon niederwarf,
Doch nach Osten marschierte, die Völker zu zwingen in Ketten.
Er sandte Botschaft voll List, um Tomyris’ Hand zu begehren,
Doch die Königin durchschaute den Plan seines falschen Begehrens.
„Nicht die Liebe, o Kyros, ist Ziel deines Herzens, ich sehe:
Meinen Thron willst du rauben, doch ich werde dich niederwerfen!“
Als die List nicht fruchtete, brachte der Krieg seinen Schrecken,
Und die Massen von Kriegern zogen zur grausamen Schlacht.
Spargapises, der Sohn, ward gefangen in heimtückischer Falle,
Und Tomyris sandte ein Wort an den persischen König:
„Blutdürstiger Kyros, gib meinen Sohn mir zurück,
Oder ich schwöre bei Sol, dass du selbst noch Blut wirst verschlingen!“
Doch der junge Spargapises, gefangen und ohne Erbarmen,
Ergriff eine Klinge und endete selbst sein Leben.
Tomyris, vom Schmerz des Verlustes erfüllt, ließ die Banner
Der Massageten erheben und zog in die Schlacht der Vergeltung.
Dort, wo das Blut die Erde tränkte, fiel Kyros in Rache,
Und die Königin nahm seinen Kopf, tauchte ihn tief in das Blut:
„Du wolltest Blut, König der Perser, nun trinke es, bis du gesättigt!“
So erfüllte sie drohend die Worte, die einst sie gesprochen.
Die Sage lebt weiter in vielen Stimmen und Ländern,
Von Tomyris’ Mut und dem Fall des stolzen Tyrannen.
In den Bildern der Alten leuchtet ihr Name in Ehren,
Eine Königin stark, die Gerechtigkeit stets sich bewahrte.
Weit in den Steppen der Welt, wo Winde die Ebenen streichen,
Ruhten die Stämme der Nomaden, die frei und stolz
Lebten. Wenig bekannt sind sie den Geschichtsbüchern
Unserer Zeit, und die Kunde, die blieb, ist flüchtig und rar.
Massageten genannt, und Derbies in alten Erzählungen,
Zogen sie rastlos umher, ein Volk des wandernden Seins.
Scythen nannten die Griechen sie später, als Alexander
Sie erblickte im Kampf, der die Weiten Asiens durchmaß.
Darius sprach von den Saka, den dreifach geteilten Geschlechtern:
Haomavarga, die Tränke brauten aus heiligen Pflanzen,
Paradaraya, die jenseits der Flüsse hausten und lebten,
Tigrahauda, die stolze Helme mit Spitzen getragen.
Herodot, der Weise der Alten, sprach von Massageten,
Schrieb sie getrennt von den Saka, wie es die Perser berichteten.
Doch oft vermischen die Namen sich, Zeit und Raum zerfließen,
Und in der Kunde der Griechen lebt die Verwirrung fort.
Tomyris, Königin hoch, die den stolzen Cyrus bezwang,
Führte ihr Volk in die Schlacht mit Mut und gerechten Geboten.
Blut des Königs floss, ein Mahnmal ewiger Gerechtigkeit.
Ihr Name hallt wider in Liedern und Heldenberichten.
Massageten verbanden die Steppe, ein mächtiger Bund,
Uralte Sagen bewahren die Ehre ihres Erbes.
Kunst und Geschichten der Nachwelt zeugen von ihrem Triumph:
Tomyris, Königin stolz, gemalt in den Hallen der Großen.
Dai und Parthier erhoben sich später aus ihren Geschlechtern,
Schufen Reiche und prägten die Welt für Jahrhunderte fort.
Doch die Massageten verschwanden, ihr Name verweht,
Nur in der Kunde der Alten lebt ihr Vermächtnis weiter.
In den Regionen des Kaspischen Meers, wo die Massageten herrschten,
Blieben bis heute Monumente, geschaffen vor Zeiten, erhalten:
Mächtige Hügelgräber der Könige auf Buzachi-Halbinsel,
Heilige Stätten in Baite auf Ustyurt, geheimnisumwoben,
Und die steinernen Pfeiler des Dikiltas nahe Tyupkaragan.
Auch in den Südostgefilden des Aralsees ragen Bauwerke,
Zeugen der Massageten und ihrer längst geschwundenen Nachwelt:
Mäler von Tagisken, das Balanda-Mausoleum, bestaunenswert allen.
Aus den Stämmen der Andronowo-Kultur wuchsen die Saka,
Erben der alten Traditionen, sie schufen Kulturen:
Pasyryk mit seinem Kern im Altai und später die Werke,
Die entlang der Syrdarja, im Tal des Akhangaran strahlten.
Dort fanden sich Schätze, Relikte des Kayrakkum-Lebens,
Datiert auf die späte Bronze- und frühe Eisenzeit, lehrreich.
Berühmt ist der Stil ihrer Kunst, der "Tierstil" benannt,
Er entsprang Begegnungen, tief verwurzelt im Kaukasuslande,
Ein Erbe Zentralasiens, geformt von Assyrern, Iranern.
Im Kurgan von Issyk, geborgen vor einem halben Jahrhundert,
Öffnete sich ein Fenster zur Welt der Saka von Semiretschje:
Ihr Schmuck, mit Tieren geschmückt, ein Zeugnis der Götterverehrung,
Wo Ziegen und Widder den heiligen Lebensbaum umringen.
Ein junger Fürst, gedacht als Spargapises,
Kunstvoll beschrieben vom Dichter Zhandarbekow, stolz im Geiste.
Akishev, der Gelehrte, fand Spuren von Hochkultur, eigen
In ihrer Verbindung von Assyrischem und den Zeichen des Altaigebirges.
Nicht nur in Kunst und Glauben erstrahlten die Saka-Völker:
Ihre Taktiken führten zu Siegen auf blutigen Schlachtfeldern.
Leichte Reiter stürmten im Angriff, ein Regen von Pfeilen,
Lenkten dann rasch, wie Wind, zurück, um erneut zu verwüsten.
Ein Rückzug, nur vorgetäuscht, lockte die Feinde in Fallen,
Wo sie im Nahkampf, umzingelt, erschlagen wurden von Hieben.
Berühmt ist die Schlacht an des Fath-Flusses Ufer, wo Satyr,
Führer der Saka, mit Keilformation den Sieg errang, triumphierend.
Auch die Rüstung der Massageten war von Bedeutung.
Ihre Pferde, mit Kupferpanzern bedeckt, wie Herodot schrieb,
Schufen die Basis für spätere Parther und ihre Kataphrakten:
Reiter in Platten, geschützt, auf gepanzerten Rossen gerüstet,
Eine Tradition, bewahrt durch Jahrhunderte, mächtig und stolz.
In Persiens Kriegen mit Griechen klangen die Saka im Ruhme.
Ihre Truppen, vereint mit Darius, kämpften bei Marathon,
Im Engpass von Thermopylen, und wieder bei Plataiai,
Zeugnisse tapferer Kämpfer aus Steppen und fernen Gefilden.
Selbst gegen Alexander, geführt von Darius Kodomann,
Standen die Saka, als Welle des Ostens, trotzig und stolz.
Doch auch im Nachhall der Künste verweilten die alten Geschichten:
Tomyris, Königin, lebt weiter in Bildern und Statuen,
Von Rubens gemalt, von Moreau geformt, ein Erbe der Sagen,
Zeugend von Ruhm, der die Zeiten der Ewigkeit überdauert.
II
Als Cyrus, der König der Perser, die Babylonier unterjocht,
Lockt ihn ein neuer Gedanke: die Massageten zu zwingen
Unter sein Szepter und Herrschaft. Dieses Volk, wie man sagt,
Groß und kampferprobt, bewohnt den Osten, gen Morgen,
Jenseits des Stroms Araxes, wo Issedonier hausen,
Schien es den meisten ein Stamm, verwandt mit den Skythen an Blute.
Kriegsgewandt wie die Skythen, ziehen sie tapfer zu Felde,
Kämpfen zu Ross und zu Fuß mit Bogen und Speer in den Händen,
Doch mit Vorliebe führen sie Äxte, die Schärfe aus Bronze.
Gold und Erz schmücken die Waffen, kein Eisen glänzt an den Spitzen,
Keine Silberzier funkelt, denn solcherlei Schätze fehlen.
Reich ist ihr Land an Gold und Erz, in Fülle vorhanden.
Selbst die Rosse sind gerüstet: Brustpanzer prangen aus Bronze,
Zügel und Zaum sind golden, wie auch die Platte der Wangen.
Ein sonderbares Gesetz herrscht unter den wilden Gesellen:
Jeder nimmt eine Frau, doch allen gemeinsam gehört sie.
Altgewordene Männer, wenn Kräfte und Jahre sie schwinden,
Opfert man freudig den Göttern, mit Rindern zusammen gekocht,
Essen die Lebenden Fleisch, das des Alters Krone geweiht ist.
Wer aber stirbt durch Krankheit, gilt als bedauerlich Unglück,
Denn er entgeht dieser Ehre, und Erde deckt seine Gebeine.
Felder bebauen sie nicht, sie leben von Fisch und von Herden,
Trinken die Milch ihrer Tiere, verehren einzig die Sonne.
Rosse allein opfern sie, des schnellsten Gottes Gefährten.
Tomyris, Königin war's, die tapfere Herrscherin, Witwe
Eines gefallenen Königs, die herrschte mit weisem Geschicke.
Cyrus, gewillt, sie zu fesseln, entsandte listige Boten,
Bot ihr die Ehe und sprach: „Ich begehre dein Hand, o Gebieterin!“
Doch durchschaute Tomyris die Tücke des mächtigen Herrschers,
Wusste, es war ihr Reich, nicht sie, die Cyrus begehrte.
Also sprach sie voll Zorn und verbot ihm jegliche Werbung.
Cyrus jedoch, nicht willens, sein Ziel aufzugeben, begann nun
Trotz und Krieg: er entwarf eine Brücke, die Fluten zu zähmen,
Tüme baute er hoch auf schwimmenden Booten, die Brücke
Sicher zu machen, damit sein Heer den Araxes durchschreite.
Doch entsandte Tomyris einen Herold, ihm warnend zu sagen:
„König der Meder, bedenke, dass Hochmut den Sturz oft bereitet!
Ruhe in Frieden in deinem Reich, und lass uns regieren
Unser Gebiet, wie es recht ist. Doch, wenn dein Drang nach dem Kampf
So unstillbar dich treibt, verzichte auf mühselige Brücken!
Rücke zurück drei Tage weit, und dann überquere den Fluss,
Oder lass uns zu dir kommen und kämpfen auf deinem Gelände.“
Cyrus berief darauf seine Häuptlinge, rief sie zur Beratung:
Alle bestärkten ihn, warten zu lassen und Boden zu geben.
Doch Croesus, der Lydier, sprach mit Weisheit und warnenden Worten:
„Oh mein König, hör an, was ich dir zu künden vermag:
Glück ist ein Rad, das sich dreht, kein Mensch ist beständig erhaben.
Lass uns nicht weichen dem Feind, denn wenn er uns überwindet,
Fällt nicht nur die Schlacht, es fällt das Reich in den Händen.
Besser, wir schlagen ihn dort, wo Rückzug uns offen bleibt stets,
Als auf eigenem Boden gefangen zu sein in der Falle.“
Cyrus, beeindruckt vom Rat des weisen Croesus, entschied sich,
Nicht nachzugeben, den Strom zu queren und Feindesland zu betreten.
Doch die Götter, die herrschen über Sterblicher Schicksal,
Walten im Stillen, und Träume verkünden den Ausgang des Krieges.
Als Tomyris vernahm, was geschehen war ihrem Geliebten,
Wie ihr Sohn, ihr Heer, durch List in die Falle geraten,
Sandte sie Boten hinaus zu Cyrus, dem großen Erobrer,
Sprach zu ihm zornig und stolz durch die Stimme des Herolds:
"Blutgieriger Cyrus, du rühmst dich schändlicher Siege,
Nicht durch Kraft, nicht durch Mut, nicht im ehrlichen Kampfe bezwangen
Hast du mein Kind, nein, der Wein, das verderbliche Traubengetränk,
Das den Trinker entzückt, ihn berauscht und zu Freveln verleitet,
Hat ihn besiegt, in den Rausch hast du ihn listig gelockt.
Nun höre, was ich dir rate – bedenke, ich rede zu deinem
Wohl: Gib meinen Sohn mir zurück und verlasse das Land hier,
Siegreich zwar über ein Drittel der Massagetenheerschar.
Weigerst du dich, so schwör’ ich beim Glanze der heiligen Sonne,
Herrscherin über mein Volk und Zeugin gerechter Entscheidungen,
Blutgierig wie du auch bist, du wirst Blut noch genug trinken lernen!"
Cyrus vernahm die Botschaft und hörte nicht auf die Warnung.
Spargapises, der Sohn, als ihm der Rausch entschwunden,
Blickte umher und sah, was für ein Unheil geschehen.
Laut flehte er Cyrus an, ihn zu lösen von Fesseln und Banden.
Kaum war der Bitte entsprochen, da reckte die Hände der Jüngling,
Frei von Ketten und Qual, und nahm sich mit eigener Klinge
Rasch das Leben dahin – von Scham und Kummer zerrissen.
Tomyris, die dies erfuhr und sah, dass Cyrus ihr Warnen
Frech missachtet, sammelte nun die Macht ihres Reiches,
Führte das Heer in die Schlacht, die für alle Zeiten berüchtigt
Bleiben sollte im Lied – denn nie sah man grausameren Kampf.
Erst mit Pfeilen von fern beschossen die Haufen einander,
Bis die Köcher geleert und der Bogen unbrauchbar geworden.
Dann, mit Lanzen und Schwertern, stürzten sie blindlings zusammen,
Mordeten, rangen und fielen in grässlicher Nähe des Todes,
Keiner wich, noch bebte die Hand vor dem Stahl des Gegners.
Lange tobte die Schlacht, doch endlich siegte Tomyris.
Schwer erschlagen lag Cyrus, der große König von Persien,
Nach neunundzwanzig Jahren der glorreichen Herrschaft besiegt.
Bald fand man den Leichnam des Königs, wie es geboten
Ward von der siegreichen Königin. Diese nahm voller Verachtung
Eine Haut, gefüllt mit dem Blut, das die Menschen vergossen,
Tauchte den Kopf des Cyrus tief in die grässliche Flut und
Sprach mit erbittertem Hohn: "Nun habe ich dich überwunden,
Doch um welchen Preis! Durch dich bin ich elend geworden,
Weil du meinen Sohn mir nahmst mit tückischer List. Doch nun, siehe,
Halte ich Wort und sättige dich mit dem Blut, das du liebtest!"
So berichtet man heute den Tod des mächtigen Cyrus,
Vieler Versionen gibt es, doch diese erscheint mir die wahrste.
III
Weit in den Steppen, wo Winde das Gras unermüdlich zerzausen,
Thronte Tomyris, die Herrscherin stolz, über Völkern der Steppe.
Massagetinnen und -ten, ein Volk in nomadischer Weite,
Folgten ihr treu, und sie schützte ihr Land mit dem Mut einer Löwin.
Östlich des Meeres, das heute das Kaspische Wasser wir nennen,
Breiteten Steppen sich aus, in den Ländern, die jetzt wir erkennen:
Turkmenistans weite Fluren, Afghanistans rauhe Berge,
Westliches Usbekistan und der Süden von Kasachstans Weiten.
Doch nicht nur friedlich gedieh ihr Reich in der Steppe,
Brutal traf es die Kunde des persischen Königs Begehrens.
Kyros der Große, Achämenid und Herrscher des Ostens,
Wagte den Krieg, den er fälschlich als Sieg schon erhoffte.
Tomyris, standhaft, bereitete Schlachten, doch grausam
Riss sie das Schicksal entzwei, als ihr Sohn Spargapises gefangen
Ward durch den Feind, in einem trügerisch reichen Gelage.
Wein, den die Scythen nicht kannten, berauschte die tapferen Krieger.
Schmerzvoll erhob sich die Mutter, die Herrscherin stark wie der Sturmwind,
Schickte dem Kyros ein Wort voller Zorn, voller glühender Drohung:
„Machtgieriger König, verschont meinen Sohn, oder seid ihr
Selbst es, der fällt, und der Fluch meiner Hand wird euch treffen!“
Doch der Tyrann, von Arroganz erfüllt, spottete kühnlich,
Ahnt’ nicht, dass die Rache des Zorns auf ihn niederfahr’n würde.
Als die zweite Schlacht auf den Feldern der Steppe sich zeigte,
Führte Tomyris ihr Volk mit Weisheit und unbändigem Willen.
Persische Reihen zerbrachen, gefangen im Netz der Entscheidung,
Cyrus, der große, erlag, und sein Blut tränkte den Boden.
Siegreich durchschritt sie das Feld, ließ suchen den Leichnam des Herrschers,
Tauchte sein Haupt in ein Schlauch voll des Blutes, das ihn nun erfüllte:
„Trinke, o König, das Blut, das du suchtest, und finde dein Ende!
Meine Rache ist nun vollbracht, doch den Sohn bringt es mir nicht.“
So ward Tomyris zur Legende der Völker und Zeiten,
Frauen und Männer erzählen von ihr in erhabenen Liedern.
Herodot pries ihren Mut, die Gelehrten der späteren Epochen
Fügten die Fäden der Sage hinzu, die ihr Bild unvergänglich.
So bleibt sie ewig im Glanz der Geschichten, ein Stern, der erstrahlet,
Tomyris, Königin kühn, die Cyrus den Großen besiegte.
IV
Herodotus, der Forscher und Schreiber, bekannt für sein Wissen,
Lenkt unsrer Gedanken zur Steppe, wo Königinnen regieren.
Tomyris, die Herrscherin stolz der massagetischen Reiter,
Tritt hervor in den Zeilen des ersten Buchs der Historien.
Mächtig und frei, ein Weib, das die Männer zugleich bewundern
Und doch fürchten – ein Bild, das der Historiker zeichnet,
Speziell für ein männliches Ohr, das staunen mag über
Frauen, die wagen, was selbst Königen schwer oft gelang.
Tomyris, die Königin, prangt am Rande der Weiten,
Wo Persiens Grenzen berühren das wilde Nomadenland.
Hier, in den Grenzmarken, die Cyrus, der König, durchschreiten
Will mit seiner Macht, endet schließlich sein glorreiches Leben.
Groß war der Ruhm, den der mächtige Krieger sich schuf:
Lydien fiel durch sein Schwert, und auch Ionien beugte
Sich dem persischen Thron; Babylon, reich an den Schätzen,
Nahm er mit Kraft – ein Herrscher, der keine Grenzen erkannte.
Doch sein unbändiger Stolz, sein übergroßes Verlangen,
Mehr noch zu erobern, führte ihn hin zu den Steppen.
Dort, wo die Massageten herrschen, jenseits des Araxes,
Suchte er Beute, doch fand er den Tod in den Händen der Königin.
Tomyris war es, die tapfer dem Herrscher entgegentrat,
Kluge und mutige Frau, die wusste, wie sie die List
Cyrus’ durchschaut: Denn mit einem Heiratsantrag
Lockte er, was er begehrte – nicht sie, nur ihr Land.
Doch sie, stolz in ihrer Freiheit, wies ihn entschieden zurück:
„Bleib, König der Meder, in deinem eigenen Reiche!
Kenne die Grenzen, die dir gesetzt, und wage nicht mehr,
Uns, die wir frei regieren, zu stören in unserm Gebiet!“
Solche Worte, gesprochen mit fester Stimme und Stärke,
Trafen den König, doch stachelten nur seinen Stolz.
So begann er den Krieg, zog über den Araxes hinweg,
Brücken aus Holz schlugen seine Baumeister hinüber.
Tomyris, nicht minder bereit, die Freiheit zu wahren,
Stand ihm entgegen mit Mut und kluger, weitsichtiger Planung.
Ihre Antwort war hart: „Wenn du so sehr nach dem Kampf strebst,
So sei es! Doch schwöre ich, Cyrus, du wirst dieses Land
Nie lebend verlassen, und wenn du den Krieg zu uns bringst,
Wirst du mit deinem Blut unseren Boden tränken!“
So geschah es. Der stolze Cyrus, vom Hochmut geblendet,
Fiel in die Schlacht, wo Tomyris’ Schwert ihn zu Boden zwang.
Sein Haupt, vom Körper getrennt, ließ die Königin bergen
Und tauchte es tief in ein mit Blut gefülltes Gefäß:
„Trinke nun, Cyrus,“ sprach sie, „bis du deinen Durst gestillt hast,
Denn nach Blut dürstete stets dein Herz, und Blut sollst du haben!“
So endete Cyrus, der mächtige König der Perser,
Durch eine Frau, die klüger und tapferer war als er selbst.
Tomyris’ Name bleibt ewig in Herodotus’ Worten,
Als Mahnung, dass Hochmut stets die Götter erzürnt.
Tomyris, Herrscherin, Königin mächtiger Stämme,
Führte ihr Volk zum Krieg gegen das persische Heer,
Cyrus, der mächtig und kühn, der Sieger in vielen Gefechten,
Wagte es dennoch, die Herrscherin trotzig zu reizen.
Zweifel bleibt, ob die Sage von Tomyris Wahrheit enthalte,
Doch was wir wissen: sie stand an der Spitze der ihren.
Herodot schildert, durchwoben von dichterischem Glanze,
Wie sich Geschichte und Fiktion zu Legenden verweben.
Cyrus, vom Rat seiner Edlen gestützt, doch geblendet von Hochmut,
Hörte den Rat des Croesus, des alten, erfahrenen Mannes.
Dieser sprach: "Die Stämme, sie kennen nicht Persiens Güter,
Lockt sie mit Festen, mit Wein und Speisen, die Fülle verheißt!
Ladet sie ein in ein Lager voll Reichtum und trügerisch Frieden,
Führt dann den Angriff, wenn Müdigkeit sie übermannt."
Cyrus, betört von der List des erfahrenen Redners, beschloss es,
Wies das Mahnen des Rates zurück und folgte dem Plan.
Tomyris, stolz und gerecht, sah die Täuschung durch Cyrus,
Doch sie verließ das Feld, wie zuvor es ihr Wort ihm versprochen.
Blutige Kämpfe entbrannten; der Fluss Araxes ward Zeuge,
Wie die Massageten zuerst die Schlacht für sich wendeten,
Doch dann, durch die Güter verführt, in den Fängen des Feindes
Trunken und schlafend zum Opfer der Perser sich wandten.
Unter den Todgeweihten befand sich der Sohn der Königin,
Spargapisis, gefangen, nun Spielball des Cyrus geworden.
Tomyris erhob ihre Stimme, mit Donnerhall sprach sie:
"Cyrus, du blutgieriger Mann, dein Stolz sei gebrochen!
Nicht im gerechten Gefecht, doch durch Täuschung besiegtest
Du meinen Sohn, der im Rausch deinem Trug unterlag.
Komm, wenn du wagst, in die Schlacht, wo das Schwert uns entscheidet,
Mann gegen Mann, und nicht List den Sieg dir verleih'!"
Doch Cyrus, getrieben von Hochmut, verachtete Worte,
Führte den Kampf, wie Croesus es riet, mit verräterisch List.
Tomyris, der Schmerz um den Sohn, der Zorn in den Adern,
Rief ihre Krieger, die wutentbrannt zu den Waffen nun griffen.
Blutig die Schlacht, die folgte, wo Mut gegen Täuschung sich stellte,
Wo die Massageten den Feind in die Fluten des Flusses verjagten.
Cyrus fiel, sein Leib, wie die Königin drohend gesprochen,
Ward vom Blut des Gefallenen satt, ein grausiges Ende.
So ward der Hochmut bestraft, und die List, die den Sieg ihm verheißet,
Wurde zum Stolperstein, zur Vernichtung des großen Tyrannen.
Tomyris' Name hallt wider in Liedern und Sagen der Völker,
Zeugnis des Muts und der Rache, der Klugheit, die siegte im Streit.
Klagend begann Tomyris, die Herrscherin, mächtig zu drohen,
Rächen wollt’ sie die List, die frech und heimtückisch gerichtet
Ward auf ihr Volk, für das Leben des Sohns als Pfand hingegeben.
„Willst du es nicht,“ so sprach sie, „bei der Sonne, dem Herrn unsrer Stämme,
Schwör ich, Cyrus, dir Blut, das dich, unersättlich, sättigen werde!“
So deutet das Blut, das fließt, den kommenden Ausgang der Sage,
Ahnen lässt es den Sturz des Königs, das Ende des Persers.
Schuldig und schuldlos waltet die Welt; doch siegt das Verderben,
Bis die Gerechten die Waffen erneut erheben im Zorn.
Erstaunlich jedoch: Ein barbarisches Weib trotzt jenem Tyrannen,
Der überall Schrecken gesät und die Herzen ergriff mit Verzweiflung!
Doch Cyrus, blind vor Hochmut, verachtet die Drohung der Herrscherin,
Unterschätzt sie als Frau, deren Volk doch kulturell ihm unterlegen.
Oder der erste Sieg ließ den König, der Ruhm schon errungen,
Zeit sich kaufen und hoffen auf völlige Unterwerfung der Stämme.
Doch während der König verharrt in prahlerischer Gleichgültigkeit,
Wendet sich Blick und Interesse zum Sohn, dem gefangenen Krieger.
Spargapisis, der im Rausch der Gefangenschaft bang’ erwachte,
Bittet den König um Freiheit von Ketten und Schmach seiner Bande.
Kaum ist die Bitte gewährt, da rafft er sich auf und enteignet
Selbst sich des Lebens, um Buße zu tun für die Schuld seiner Führung.
Nicht aus Furcht, sondern heldisch, ein Urteil des Herzens vollziehend,
Zeigt der Tod, den er wählt, die Verantwortung, die er getragen.
Der Sohn fällt, und die Mutter erhebt sich nun mächtig im Zorn.
Treue hält sie dem Schwur, vereint die Stämme zum Angriff,
Schickt sie alle zur Schlacht, den Persern den Tod zu bereiten.
Nicht mehr die Armee, nein, Cyrus, der Führer, ist Ziel ihrer Rache:
Jener, der Schuld trägt an des geliebten Sohnes Verderben.
Herodot schildert die Schlacht: Ein Ringen, grausam und blutig,
Pfeile, die fliegen, das Schwert, das blitzt in den Händen der Kämpfer,
Schlachtfeld erfüllt von Schreien und stürzenden Leibern der Feinde,
Bis die Massegeten den Sieg und den Tod des Tyrannen erringen.
Doch nicht in Frieden bleibt Cyrus, der gefallen, zurück:
Tomyris, die Königin, sucht seinen Leichnam auf dem Feld.
Gefunden das Haupt, taucht sie es in Blut, wie sie schwor:
„Trinke nun, unersättlich, bis du des Blutes genug hast!
Rache sei dies für den Sohn, den du mir durch List entrissest!“
So zeigt sich die Frau, barbarisch, doch heldisch und stolz,
Zwischen Kultur und Primitivität, die wild sich vermischen.
Was ist Tomyris? Ein Weib, das kämpft mit männlichem Mut,
Kluge Königin, treu dem Schwur, mit heroischer Seele,
Doch auch ein Wesen, das sich der Rache hemmungslos hingibt.
Herodot, der Geschichtsschreiber, schuf mit ihr eine Gestalt,
Die, aus der Sage geschmiedet, über die Zeiten erstrahlt.
zKANDAKE KÖNIGIN VON KUSCH
VON TORSTEN SCHWANKE
Nah bei Arsinoë, wo das Rote Meer seine Wellen
Schickt in den Golf von Arabien, liegt eine Stadt,
Cleopatris geheißen von manchen, von anderen anders,
Dort zieht ein Kanal, durch die Bitteren Seen fließend,
Seinen Lauf, einst bitter, doch wandelte sich ihr Wesen,
Als die Ströme des Nils durch die Gräben geführt wurden,
Reich an Fischen sind sie nun, erfüllt von Vögeln des Wassers.
Diesen Kanal begann Sesostris vor Trojas Gefallen,
Manche berichten jedoch, er sei Psammetichs Sohn
Anvertraut gewesen, der ihn begann und dann verschied.
Später wagte Dareios, der Erste, die nächste Etappe,
Doch er ließ ab vom Werk, fast vollendet schon, getäuscht,
Glaubend, das Rote Meer sei höher als Ägypten,
Und schnitte man durch, würde das Land vom Meere verschlungen.
Ptolemäerhanden jedoch gelang die Vollendung,
Sichere Wege zu schaffen vom Inneren hin zum Ozean,
Frei, wie es beliebt, hinaus- und hereinzufahren.
Mehr zu den Wasserständen schrieb ich in ersten Berichten.
Nahe Arsinoë liegen Heroonpolis und Cleopatris,
Tief in der Bucht, wo Arabien an Ägypten grenzt,
Häfen und Siedlungen finden sich dort, mit Kanälen
Vieler Art und Seen, wie sie das Delta umsäumen.
Hier der Phagroriopolitische Gau, die Stadt Phagrioropolis,
Dort beginnt der Kanal, der das Rote Meer erreicht,
In Phakussa, dem Dorf, das Philae nahe gelegen.
Hundert Ellen breit und tief genug für die Schiffe,
Groß und beladen mit Gütern, sind seine Wasser durchquert.
Weiter aufwärts, im Heliopolitischen Gau gelegen,
Findet sich Heliopolis, hoch auf einem Hügel erbaut,
Mit dem Tempel des Helios, heilig dem Sonnengott,
Wo der Stier Mnevis, gleich Apis von Memphis, geehrt wird.
Vor dem Hügel dehnen sich Seen, gespeist vom Kanal,
Doch die Stadt ist verlassen, ihr Glanz vergangener Tage
Nur in Ruinen zu sehen, die Zeugnis des Wahnsinns geben,
Den Kambyses entfesselte: Tempel zerstörend mit Feuer
Und Eisen, die Obelisken zerbrechend, wie’s ihm beliebte.
Vor den Ruinen sieht man Seen, die Kanäle empfangen,
Stete Zeugen des Nils, der das Leben Ägyptens bestimmt.
Tempel, wie sie einst standen, mit Pracht und Ehrfurcht gestaltet,
Öffnen sich weit, mit Dromoi gepflastert aus mächtigen Steinen,
Hundert Ellen breit, doch von vielfacher Länge gedehnt.
Zwei Reihen Sphingen flankieren die Wege zur Weihe,
Zwanzig Ellen getrennt, doch in Ordnung streng ausgerichtet,
Links und rechts der Straße, ein Anblick erhabener Kunst.
Hinter den Sphingen erhebt sich das Torhaus, prächtig gestaltet,
Eins nach dem andern, gestaffelt in heiliger Folge.
Zahl und Maß der Portale variieren je nach dem Tempel,
Jedes ein Zeuge der Handwerkskunst alter Völker.
Durch die Tore gelangt man zur Halle, der Pronaos, weit und erhaben,
Deren Wände die Flügel begleiten, hoch wie der Naos.
Drinnen jedoch fehlt das Bildnis des Menschen, stattdessen
Findet man Tiere, von heiligen Riten geweiht.
Hallen mit Säulen sieht man, zu Reihen geordnet,
Groß und dicht gedrängt, in barbarischem Stil errichtet,
Ohne Gefälligkeit, eher ein Sinnbild von Mühsal,
Zeugend von Arbeit, die Fleiß ohne Schönheit verkörpert.
In Heliopolis gab es einst große Häuser der Priester,
Die in der Weisheit der Sterne und Philosophie sich übten.
Doch diese Künste sind längst verblasst, wie ihr Ruhm.
Nur die Opfernden bleiben, die Fremden die Riten erklären,
Jenen, die fragen, von alten Geheimnissen wenig berichten.
Als Aelius Gallus hinaufzog in Ägyptens Gefilde,
War ein Mann namens Chaeremon bei ihm, ein Alexandriner,
Der sich auf Wissen berief, doch allgemein ward verspottet,
Denn er galt als Aufschneider, voll eitler Behauptungen bloß.
Von den Priestern, so sagt man, lernten Eudoxus und Plato,
Die dreizehn Jahre verweilten in heiligen Hallen der Weisheit,
Ersuchend, das Wissen der Himmelsbewegung zu fassen.
Doch vieles verbargen die Priester, geheim und unnahbar.
Einzig die Tage des Jahres und deren Bruchteile zeigten
Sie jenen Gelehrten, verborgen dem Volk ihrer Zeit.
Von diesen Lehren, so heißt es, lernten die Griechen,
Später durch Schriften, die Priester in Sprachen des Westens
Übersetzen ließen, die Kunde der Sterne zu lehren.
Hier, so wird gesagt, steht Apis' Tempel, der nahe dem Hephaesteion
Sich erhebt, und zugleich das Hephaesteion selbst, ein Gebäude,
Prunkvoll an Größe des Naos und allem sonst, was es ziert.
Vor dem Gebäude im Dromos erblickt man einen Kolossus,
Ganz aus Stein gemeißelt; dort hält man Kämpfe der Stiere.
Männer, wie Pferdezüchter die Rosse, ziehen die Tiere,
Lassen sie frei, und im Kampf beweisen sie Stärke und Mut;
Siegerstieren verleiht man darauf als Belohnung die Preise.
In Memphis auch findet man einen Tempel der Aphrodite,
Die als griechische Göttin verehrt wird, doch andere sagen,
Es sei ein Heiligtum Selenes, der Mondgöttin geweiht.
Dort steht auch das Sarapeion, mitten in sandiger Wüste,
Wo der Wind die Dünen anhäuft und manches verschüttet.
Sphinxen sah ich dort, teils bis zum Haupte vergraben,
Andere halb; und der Gedanke beschleicht den Wanderer:
Welche Gefahr bringt wohl ein Sturm den Pilgern zum Tempel?
Memphis, die Stadt, ist groß und von Menschen gefüllt, gemischt wie
Alexandria selbst, wo die Völker zusammengefunden.
Seen schmücken die Stadt vor den Ruinen der Paläste,
Diese, verfallen und leer, von der Höhe hinab sich erstreckend.
Nahe der Stadt liegt ein Hain, und ein See ergänzt diese Stille.
Vierzig Stadien führt ein Pfad hinaus aus der Stadt, hin
Zu einem Bergkamm, wo viele Pyramiden sich erheben.
Drei von ihnen sind berühmt, die andern an Größe
Weit überragend; zwei zählen gar zu den Wundern der Welt.
Stadienhoch sind sie, und im Quadrat geformt; die Länge
Jeder Seite misst ein wenig weniger als ihre Höhe.
Eine davon trägt hoch in der Mitte des Baus einen Steinblock,
Der, wenn gehoben, den Weg zur Grabkammer frei offenbart.
Diese beiden stehen beieinander, doch weiter entfernt
Steht die dritte, kleiner an Größe, jedoch von Kostbarkeit herrlich.
Bis zur Mitte aus schwarzem Stein, wie für Mörser verwendet,
Von weit her gebracht aus den Bergen Äthiopiens,
Schwer zu bearbeiten, teuer durch Mühe und Aufwand.
Dies Grab, sagt man, sei der Hetäre geweiht, der Geliebten,
Doricha, Sapphos Bruder Charaxos' einstige Liebe,
Wein von Lesbos tragend zum Markt in Naukratis' Straßen.
Doch ein anderes Märchen erzählt man: Rhodopis hieß sie,
Eine Sandale stahl ihr ein Adler, flog über den Himmel,
Warfen sie nieder vor den Thron des richtenden Königs.
Dieser, erstaunt über Form und Zufall, sandte Boten
Weit in die Lande, um jene Trägerin zu finden.
Rhodopis ward gefunden, zur Gattin erhoben und starb dann,
Ehrte man sie mit dem Grab aus schwarzem äthiopischem Stein.
Einen Anblick der Pyramiden will ich nicht verschweigen:
Steinsplitterhäufen liegen davor, doch manche erinnern
An Linsen, geformt und gleich an Größe; darunter die Schalen
Wie halbgeschälte Körner. Man sagt, die Speisen der Arbeiter,
Rückgelassen, seien versteinert, ein Zeichen der Zeit.
Ähnliches liegt in der Heimat vor, wo Hügel sich dehnen,
Voller linsenförmiger Kiesel, leicht und porös.
Auch die Steine der Flüsse und Meere werfen Fragen
Nach ihrer Form und Herkunft auf, doch Wasserbewegung
Kann dort Antwort geben, hier bleibt alles im Dunkel.
Von Memphis führt der Weg zur Stadt Acanthus, mit Tempeln
Des Osiris und der Thebaïschen Acanthus-Gewächse,
Deren Gummi geschätzt. Von dort zur Stadt der Aphrodite,
Weißes Vieh birgt die Stadt, das man heilig dort hält.
Weiter zum Herakleoten-Nomus, der fruchtbaren Insel,
Wo der Kanal nach Libyen fließt und Arsinoë trennt.
Dieser Ort ist reich, mit Öl, Korn und Trauben gesegnet,
Obwohl man die Oliven nur schlecht erntet und presst.
Doch von besonderem Ruf ist der Moeris-See, dessen Wasser
Einem Meer gleicht, an Farbe und Ufern kaum zu unterscheiden.
Auch dies Land, so glauben die Weisen, war einst Teil des Meeres,
Gleich wie Ammon und andere Teile, wo Spuren es zeigen.
Schon habe ich dieses Thema besprochen, ausführlich und länger,
Einst im ersten Kommentar meiner Geographie-Schriften;
Doch auch jetzt muss ich wieder die Werke der Natur und der Vorsehung
Kurz beleuchten, die beide zusammen ein Ziel stets erreichen.
Dieses Werk der Natur: Es strebt alles zur Mitte des Ganzen,
Formt um das Zentrum den Kreis, und die Erde, die dichteste Masse,
Liegt im Zentrum verborgen; umschlossen vom Wasser, das lockrer
Nahe ihr ruht und ebenso die Gestalt einer Kugel bewahret.
Solide die Erde, das Wasser hingegen, hohl wie ein Mantel,
Birgt sie in seiner Umfassung. Die Vorsehung fügt sich als Künstlerin
Weise hinzu und schafft mit zahllosen Werken den Rahmen,
Dass zuerst, unter allen Geschöpfen, das Leben erblühe,
Götter und Menschen zugleich, zu deren Gunsten das All ward.
Göttern gab sie den Himmel und uns, den Menschen, die Erde,
Grenzen des Alls, die Enden der großen, himmlischen Kugel:
Innen das Zentrum und außen die himmlischen Räume der Weite.
Da das Wasser jedoch die Erde umgibt und den Menschen,
Nicht als Geschöpf des Wassers, vielmehr als Geschöpf des Festlands
Mit Luft und Licht versorgt, gestaltete Vorsehung Täler,
Höhen und Tiefen zugleich, in denen die Wasser sich sammelten,
So dass die Erde hervortritt, während das Wasser verborgen,
Nur an den Stellen hervorblickt, wo's dem Menschengeschlecht dient.
Auch den Tieren und Pflanzen, die uns umgeben, zum Nutzen.
Doch nichts bleibt ewig bestehend: Es wandeln sich Dinge beständig,
Groß ist der Kreislauf der Wandlung im unermesslichen Kosmos.
So wächst die Erde nicht immer, noch bleibt sie unverändert,
Ebenso das Wasser, das seine Grenzen niemals behält,
Weil die Verwandlung der Stoffe ein Teil der Natur ist: Die Erde
Wird zu Wasser, das Wasser zur Erde, endlose Wechsel.
Mancher Ort, der jetzt trocken, war einst vom Wasser bedeckt,
Und wo Meere jetzt wallen, da wohnte einst Menschengeschlecht.
Ebenso quellen versiegen und neue entspringen den Bergen;
Flüsse verändern den Lauf, und Ebenen werden zu Hügeln.
Und wie das Land sich wandelt, so ändern auch Wasser die Eigenschaft:
Manches salzig, zum Trinken nicht taugend, anderes süßlich
Klar und gesund; wieder anderes trägt Heilmittel in sich
Oder Gift, manches ist warm, und anderes eisig und kalt.
Warum, so fragt ihr, sollte es wundersam scheinen, dass Meere
Manche Regionen bedeckten, die heut von Menschen bewohnt sind,
Oder dass Wasser einst wich, wo nun die Fluten sich sammeln?
Quellen entsprangen einst, die nun versiegt sind; und andere sprudeln
Neu hervor, wie Flüsse auch trocknen und anderswo fließen.
So verändern sich Berge zu Ebenen, Ebenen werden zu Bergen.
Doch ausführlich war dies Thema zuvor schon beleuchtet,
Lasst uns genügen, und wenden wir jetzt dem Nil uns erneut zu.
Der Moeris-See, in seiner gewaltigen Tiefe und Weite,
Dient, wenn der Nil anschwillt, als ein Gefäß, das die Fluten
Sanft aufnimmt, ohne die fruchtbaren Länder zu überschwemmen,
Und bei der Ebbe gibt er das Wasser zurück durch die Kanäle,
Doch nur so viel, dass Felder und Saaten genährt werden können.
Denn, obgleich Natur dies Gefäß und die Zuflüsse schuf,
Sind es die Menschen, die Schleusen errichteten, Tore aus Stein,
Die den Zulauf lenken und auch das Zurückfließen regeln.
Nah dem Kanal liegt der prächtige Bau, das gewaltige Labyrinth,
Ein Werk voll Staunen, errichtet in früheren Tagen der Nomes,
Mit Höfen, so zahlreich wie damals die Gaue Ägyptens gezählt wurden.
Diese Höfe reihen sich, Wand an Wand, in gerader Verbindung,
Und dazwischen winden sich Wege, wie Netze, verwirrend,
Führt kein Fremder sich fort, ohne dass Führer ihn leiten.
Doch das Erstaunlichste sind die Dächer: gewaltige Steine,
Jeder für sich ein Monolith, ohne Holz, ohne anderes Beiwerk,
Riesige Platten, die Hallen und Gänge bedecken, geschlossen.
Steigt man hinauf auf das Dach, so erblickt man ein steinernes Feld,
Weit und glatt, bestehend aus Steinen von ungeheurer Größe.
Und kehrt man hinab, so sieht man die Hallen in Reihen,
Jede getragen von siebenundzwanzig massiven Pfeilern,
Ihre Wände aus Blöcken, nicht minder gewaltig und groß.
Am Ende des Bauwerks, das mehr als ein Stadion Länge umfasst,
Ragt ein Grabmal empor, ein Pyramidenbau mit gewaltigen Maßen,
Vier Plethren breit an der Basis und ebenso hoch in den Lüften.
Imandes sei der Name des Mannes, der dort seine Ruh fand.
Erzählungen sagen, die Nomes versammelten sich in den Höfen,
Jeder in seinem Bereich, mit Priestern und Opfergaben,
Um Recht zu sprechen und Göttern zu dienen, wie Brauch es gebot.
So fuhr ich weiter, dem Strom entlang, hundert Stadien weit,
Bis ich Arsinoë erreichte, die Stadt, einst Krokodilonpolis genannt,
Denn in diesem Gau wird der Krokodil höchste Verehrung gezollt.
Ein heiliger See birgt eines von ihnen, ein zahmes Geschöpf,
Das Priester hüten und Fremde mit Opfergaben willkommen.
Suchus wird es genannt, und es wird mit Brot und mit Fleisch
Und einem Gemisch aus Honig und Wein gesättigt und getränkt.
Als wir ankamen, führte ein Gastgeber, einer der Priester,
Uns hin zur Stätte, das Tier am Ufer liegend zu zeigen.
Ein Priester öffnete seinen Rachen, ein anderer reichte
Einen Kuchen dar, dann Fleisch und zuletzt den süßen Weintrank.
Sogleich sprang das Tier in den See und verschwand in den Fluten.
Bald kam ein Fremder mit neuen Gaben, die Priester empfingen
Sein Opfer, eilten entlang des Ufers und fütterten das Tier
Auf ähnliche Weise, wie es schon vorher geschah.
Von hier gelangte ich weiter in Herakleopolis' Gau,
Wo man das Ichneumon verehrt, den Todfeind des Krokodils,
Ganz im Gegensatz zu Arsinoë, das diese Geschöpfe beschützt.
Denn dort mehren sich Krokodile im Nil wie im Moeris-See,
Da niemand sie stört, sondern in Ehrfurcht und Schrecken belässt.
Doch hier lobt man die Feinde der Tiere, die kleinen Ichneumonen,
Welch die Eier der Krokodile zerstören und Aspis-Schlangen
Mit listigem Wurf in den Fluss hinabziehen und töten.
Eingehüllt in getrockneten Schlamm als Rüstung des Körpers,
Greifen sie mutig die Schlange an Kopf oder Schwanz und besiegen
Diese in wilden Gefechten, wie auch die größeren Krokodile.
Denn während diese am Ufer in träger Wärme sich sonnen,
Springen die kleinen Räuber in ihre geöffneten Mäuler,
Fressen die Eingeweide von innen und kehren dann frei aus dem Leichnam.
Von hier zog ich weiter zum Cynopoliten-Gau,
Wo Anubis verehrt wird, der Gott, dargestellt als Hund.
Hier gibt man den Hunden in Heiligtümern Speisung und Pflege.
Jenseits des Nils jedoch liegt Oxyrrhynchos, die Stadt,
Berühmt für den Fisch, der dort als heilig verehrt wird.
Ein Tempel ist ihm geweiht, und viele verehren den Fisch
Auch in anderen Teilen des Landes, gemeinsam mit anderen Tieren:
Dem Stier, dem Hund, der Katze, dem Habicht, dem Ibis zugleich,
Und auch dem Fisch in den Fluten, dem heiligen Oxyrrhynchos.
Doch gibt es auch Tiere, die nur von einzelnen Gauen geschätzt werden:
So ehrt Sais ein Schaf, die Mendesier verehren den Ziegenbock,
Andere loben den Falken, den Löwen, den satyrgleichen Affen.
Doch die Gründe für diese Bräuche sind nicht immer einhellig.
Weiter folgte ich dem Fluss durch Gau um Gau,
Zu den Zöllnerstationen, wo Waren gemessen und registriert,
Dann weiter zu Städten, bekannt durch Werkstätten und Künste:
Panopolis, berühmt durch Leinen und steinerne Arbeit.
So verlief meine Reise, doch vieles bleibt noch zu sagen.
Zu der Stadt Ptolemaïs gelangt man, die größte im Thebais,
Fast so groß wie Memphis, regiert nach griechischem Vorbild.
Über der Stadt liegt Abydus, bekannt durch das Memnonium,
Einen königlichen Bau aus Stein, ein mächtiges Werkstück,
Wie der Labyrinthbau kunstreich geformt, doch einfacher;
Tief in der Erde liegt eine Quelle, zu der man hinunter
Steigt in gewölbten Gängen, die Monolithen aus Riesen
Formen, und groß an Geschick der schaffenden Hände sich zeigen.
Eine Kanale verbindet dies Werk mit dem großen Flusse,
Nahe dem Hain des Apoll, wo ägyptische Acantha sprießen.
Einst war Abydus reich, fast gleich mit Theben an Stärke,
Jetzt jedoch ist es klein und gleicht einem schwindenden Orte.
Memnon, so sagen die Weisen, nennen die Ägypter Ismandes,
Und das Labyrinth sei ein Werk des gleichen Erbauers,
Der auch Memnonien schuf in Theben und dort in Abydus.
Jenseits von Abydus liegt die Oase, die erste der drei,
Sieben Tage durch Wüstensand von Abydus entfernt,
Fruchtbar an Wasser und Wein, und reich an jeglichem Gut.
Eine zweite Oase bei Moeris' See erhebt sich,
Und die dritte beim Heiligtum Ammon, auch hoch verehrt.
Nun, da ich vieles sprach von Ammon, füge ich bei:
Einst waren die Orakel in Ehren, doch jetzt verfallen,
Seitdem Rom sich begnügt mit Sibyllas Stimmen und Zeichen,
Sowie mit Tyrrhenischen Weisen, die aus Opferschau handeln.
Ammon, verlassene Stätte, einst voller heiligen Ruhmes,
Wird kaum noch besucht, wie einst in Alexanders Ära.
Er, von Ehrgeiz getrieben, suchte des Orakels Stimme,
Hörte von Perseus und Herakles, die es einst taten,
Zog, trotz stürmischer Winde, mit Mühe durch Wüstensande,
Fand in Regen und Krähen seinen Weg zur Stätte des Gottes.
Soll ich die Geschichten noch nennen, die Schmeichelei bergen?
Wie er allein des Tempels Inneres durfte betreten,
Oder wie der Priester ihm Zeus' Abstammung verkündete,
Und wie Quellen, einst versiegt, durch Alexander wieder
Flossen? So priesen die Schreiber sein göttliches Schicksal.
In Abydus ehrt man den Osiris mit strengen Gesetzen,
Kein Sänger, kein Flötenspieler, kein Harfner erhebt seine Stimme,
Wie es bei anderen Göttern Brauch ist in heiligen Tempeln.
Weiter gelangt man zur Kleinen Diospolis, dann nach Tentyra,
Wo man die Krokodile verachtet, die andern heilig,
Denn die Tentyriten sehen in ihnen nur Feinde der Menschen.
Während die Ägypter voll Ehrfurcht sie meiden und schonen,
Jagen die Männer von Tentyra sie und töten mit Eifer,
Tauchen ins Wasser hinab, ohne Furcht vor den Tieren zu haben,
Weil sie von Natur, so sagt man, gefeit sind vor deren Angriff.
Selbst als man Krokodile nach Rom gebracht, sie zu zeigen,
War es das Volk von Tentyra, das mit Netzen sie fesselte,
Zog sie ans Land zur Sonne hinauf, zum Schauplatz der Menge,
Und brachte sie wieder zurück in die tiefen Gewässer.
Doch sie verehren die Göttin der Liebe, die zarte Aphrodite,
Und nahe ihrem Heiligtum steht ein Tempel der Isis.
Dann gelangt man zur Typhonia, Orte düster und finster,
Und zum Kanal, der führt nach Koptos, der Stadt an der Grenze,
Die Ägypter und Araber teilen als einen Besitz.
Von hier führt eine Straße hinüber zum Roten Meere,
Nähe der Stadt Berenike, die keinen Hafen besitzt,
Doch durch den Isthmus begünstigt bequeme Landungen bietet.
Philadelphos, so sagt man, ließ die Straße errichten,
Wo Wasser fehlt, und baute Stationen für Kamelzüge,
Weil die Fahrt auf dem Meer gefährlich war und beschwerlich.
Von Nutzen erwies sich der Plan, denn Händler beladen
Ihre Kamele mit Gütern aus Indien, Arabien, Äthiopien,
Führen die Waren nach Koptos, das reiche Emporion.
In der Nähe von Berenike liegt Myos Hormos,
Stützpunkt der Seeleute, und Apollonopolis grenzt
An Koptos an, so dass diese Städte den Isthmus begrenzen.
Einst reisten Händler nur nachts, geleitet von Sternen,
Wie auf dem Meer die Schiffer, mit Wasser an Bord für die Reise,
Doch nun gruben sie Brunnen und bauten Zisternen für Regen.
Sechs oder sieben Tage währt die beschwerliche Reise.
Auch Edelsteinminen liegen dort, Smaragde erstrahlen,
In tiefen Schächten gehauen von den fleißigen Arabern.
Nach Apollonopolis kommt man zum prächtigen Theben,
Das man einst Diospolis nannte, die Stadt mit den Toren,
Hundert an Zahl, wie Homer sie preist in den ältesten Liedern:
„Theben, die Stadt mit den Hundert Toren, wo aus den Pforten
Zweihundert Krieger zieh’n mit Rossen und donnernden Wagen.“
Reich war die Stadt an Schätzen, in Tempeln gehäuft wie in Truhen,
Und selbst heute noch zeugen die Ruinen von alter Pracht,
Denn achtzig Stadien weit erstrecken sich ihre Reste,
Zeugnisse eines Ruhms, der längst in den Staub gefallen.
Viele der Tempel zerstörte der Wüterich Cambyses,
Und nun bleibt Theben nur als ein Bündel von Dörfern zurück.
Auf arabischem Boden einst lag der Kern der Metropole,
Während gegenüber das Memnonium ragte am Fluss.
Dort stehn zwei Kolosse, aus einem Stein gehauen,
Nah beieinander; der eine ist wohlbehalten geblieben,
Doch der andere brach im oberen Teil durch ein Erdbeben.
Von ihm, so heißt es, ertönt ein Ton, wie von einem Schlag,
Jeden Morgen einmal, und auch ich vernahm das Geräusch,
Als ich mit Aelius Gallus und seinen Freunden zugegen,
Doch zweifelte, ob der Klang von den Steinen selbst kam,
Oder ob einer der Männer, die ringsum standen, es machte.
Über dem Memnonium liegen Höhlen mit Gräbern der Könige,
Steinern gehauen, vierzig an Zahl und kunstvoll gestaltet,
Wunder des Handwerks, die den Besuchern Ehrfurcht gebieten.
Auf Obelisken der Gräber liest man von alter Größe:
Reichtum der Könige, herrschend bis zu den Skythen,
Bactriens Reichen und Indiens Landen und Ionias Küsten.
Tribute der Völker, ein Heer von Millionen Soldaten,
All dies ist verzeichnet und kündet von Thebens Macht.
Priester, so sagt man, wohnten dort, weise und kundig,
Kenner der Sterne und Meister des Sonnenlaufs, die den Menschen
Lehrten, die Jahre nicht nach dem Mond, sondern nach Tagen
Richtig zu zählen, indem sie zwölf Monate, dreißig an Tagen,
Fügten fünf weitere hinzu und den Bruch zu ergänzen
Wussten durch Zeiträume, wenn die Bruchteile sich summierten.
Hermes galt ihnen als Geber dieser Gesetze und Lehren,
Zeus, der Höchste, jedoch wurde geehrt mit der größten Ehre.
Auf jenem Isthmus, der führt vom Roten Meer bis zu Koptos,
Wurden die Straßen gebaut von Philadelphos' Geheiß,
Um Händlern den Weg durch die wasserlose Wüste zu weisen.
Stationen entstanden, als Lager für Karawanen,
Denn die Fahrt auf dem Roten Meer war riskant und beschwerlich,
Wagen zerbrachen, und Schiffe litten unter den Stürmen.
Doch dieser Plan, so zeigte die Zeit, war nützlich und klug,
Denn die Händler brachten Gewürze, Stoffe und Edelsteine,
Schätze aus Indien, Arabien und von Äthiopiens Küsten,
Nach Koptos, dem Tor der Händler zum Nil und zur Welt.
Nicht fern von Berenike liegt Myos Hormos, die Stadt,
Ein Stützpunkt für Schiffer, und unweit davon in der Wüste
Grabt man Smaragde und funkelnde Steine, tief aus den Felsen.
Arabische Männer, geübt in der Kunst des Schürfens,
Hauen die Tunnel in unermesslicher Tiefe ins Gestein,
Und es glänzen die Wände im fahlen Licht der Laternen.
Auch Edelsteine, so kostbar, dass Könige sie begehrten,
Ruhen verborgen in dieser entlegenen, kargen Region.
Nach Theben kommt man in die Stadt Hermonthis,
Wo Apollo und Zeus in ehrnen Kulten wohnen,
Und auch ein Stier wird dort gehalten. Dann folgt
Die Stadt der Krokodile, wo das Tier in Ehre lebt,
Und weiter geht es zur Stadt der Aphrodite,
Die dann zur Latopolis führt, wo Athena und Latus
Verehrt werden, und weiter zu Eileithuia,
Mit einem Tempel dort, und jenseits des Flusses
Liegt die Stadt der Falken, die das Tier in Ehren hält.
Dann folgt Apollonospolis, die den Krieg führt
Gegen die Krokodile. Syene, die Grenzstadt,
Liegt dort, und Elephantine, die Insel im Nil,
Wo ein Tempel von Cnuphis steht und wie Memphis
Ein Nilometer den Pegel misst, der stets steigt und fällt.
Der Nilometer ist ein Brunnen, aus Steinen gebaut,
Der den höchsten, niedrigsten und mittleren Stand
Des Nils anzeigt, und so wissen die Wachen vorher
Von den kommenden Hochwassern und teilen es mit,
So dass die Menschen vorbereitet sind auf das, was kommt.
Nicht nur die Bauern profitieren von dieser Kunst,
Sondern auch die Prätoren, deren Einkünfte steigen,
Wenn die Wasserstände höher sind als je zuvor.
Auch in Syene gibt es einen Brunnen, der den Tropen
Zeigt, da der Ort unter dem Wendekreis liegt,
Wo der Gnomon mittags keinen Schatten wirft,
Und der Sonnenstrahl den Brunnen bis zum Grund erreicht.
Ein wenig oberhalb von Elephantine
Liegt der kleine Kaskadenfall, wo die Bootsmänner
Ein Schauspiel zeigen für die Prätoren,
Denn der Wasserfall ist ein Felsen am Fluss,
Über den das Wasser stürzt, doch an den Seiten
Kann man den Fluss noch hinauf segeln, wenn auch schwer.
Die Bootsmänner segeln stromaufwärts,
Werfen sich dann mit dem Boot über den Felsen
Und entkommen unversehrt. Ein Stück weiter
Liegen die Inseln von Philae, wo Äthiopier
Und Ägypter gemeinsam leben und Tempel verehren.
Auch dort gibt es einen Vogel, den man Falken nennt,
Doch er ist anders, größer, und das Gefieder
Unterschiedlich gefärbt, was uns verblüffte.
Von Syene nach Philae fuhren wir mit Wagen
Durch das weite Land, eine Strecke von hundert Stadien,
Und überall sah man Steine, wie unsere Hermae,
Groß, rund und glatt, aus schwarzem, festem Stein,
Der für Mörser verwendet wird, manchmal übereinander,
Oder als Einzelstein, der größere zwölf Fuß misst.
Wir überquerten den Fluss auf einem Pacton,
Ein kleines Boot aus Weiden, das leicht zu überqueren war.
Ganz Ägypten hat keine guten Palmenarten,
Doch in Thebais wächst eine, besser als die anderen.
Wunderlich, dass ein Land, das der gleichen Breite
Wie Judäa liegt, so unterschiedlich ist,
Denn Judäa trägt auch die Caryotenpalme,
Besser als die babylonische, doch in Thebais
Gibt es auch zwei Arten, und die Thebais-Daten
Sind härter, doch angenehmer im Geschmack.
Es gibt eine Insel, die besonders gute Datteln trägt,
Worüber die Prätoren große Einnahmen erzielen.
Herodot und andere erzählen viele Lügen
Von den Quellen des Nils bei den Inseln von Syene,
Wo der Fluss angeblich bodenlos sei, was nicht stimmt,
Denn der Nil hat viele Inseln, die überflutet sind
Oder nur teilweise, und die höchsten werden bewässert
Mit Schrauben, die das Land fruchtbar machen.
Ägypten ist ein Land des Friedens, geschützt durch die Römer
Mit nur drei Kohorten, die ausreichen, um es zu bewahren,
Und auch als die Äthiopier angriffen, waren sie schnell
Geschlagen, und die Römer hatten keinen Bedarf an mehr.
Die Äthiopier, die ermutigt durch des Römer Heeres Teil,
Der mit Aelius Gallus zog und gegen Araber kämpfte,
Den Ägypten verließ, griffen die Thebais an,
Und die Garnison, die drei Kohorten bei Syene standen,
Nahmen Syene, Elephantine, Philae mit überraschtem Schlag,
Und versklavten die Menschen, zerbrachen auch die Statuen des Cäsar.
Petronius jedoch, mit weniger als zehntausend Fußsoldaten
Und achthundert Reitern gegen dreißigtausend,
Trieb sie zurück nach Pselchis, einer äthiopischen Stadt,
Und sandte Gesandte, um zu fordern, was sie genommen,
Und zu fragen nach Gründen für den Kriegsbeginn;
Und als sie sagten, die Nomarchen hätten sie gekränkt,
Erwiderte er, dies seien keine Herrscher des Landes, sondern Cäsar.
Und als sie drei Tage für Überlegungen baten,
Doch nichts taten, was sie sollten, griff er an
Und zwang sie, in die Schlacht zu treten. Schnell floh das Heer,
Denn schlecht geordnet, schlecht bewaffnet waren sie,
Mit großen, rechteckigen Schilden aus rohem Rindsleder,
Und Waffen, die Äxte, Spieße oder Schwerter waren.
Einige trieben sie in die Stadt, andere flohen in die Wüste,
Wieder andere suchten Zuflucht auf einer Insel nahebei,
Durchwateten den Kanal, da Krokodile dort selten waren.
Unter diesen Flüchtlingen waren die Generäle der Königin Candacê,
Die, zu meiner Zeit, die Äthiopier regierte,
Eine mannhaft Frau, blind auf einem Auge.
Diese alle ergriff er lebendig, verfolgte sie mit Booten und Floßen,
Und sandte sie gleich nach Alexandria,
Ergriff Pselchis, zerstörte es, und der Fall der Kämpfenden
Erhöht die Zahl der Gefangenen – die Entkommenen waren kaum viele.
Von Pselchis zog er nach Premnis, einer festen Stadt,
Durch Sanddünen, wo Cambyses’ Heer im Sturm versank;
Er griff an und nahm die Festung beim ersten Stoß.
Dann zog er weiter nach Napata, dem königlichen Sitz Candacês,
Wo ihr Sohn weilte, sie selbst in der Nähe.
Doch trotz Gesandter für Freundschaft und Rückgabe der Gefangenen
Verfolgte Petronius Napata, nahm es ein, zerstörte die Stadt,
Verkaufte die Gefangenen als Kriegsbeute,
Schickte tausend nach Cäsar, der aus Cantabrien heimgekehrt,
Und die anderen starben an Krankheiten.
Candacê, mit tausenden von Kriegern gegen das Lager,
Petronius eilte zur Hilfe, erreichte die Festung zuerst.
Sicherte den Ort mit verschiedenen List,
Als Gesandte kamen, befahl er, sie zu Cäsar zu schicken.
Und als sie fragten, wer Cäsar sei und wo er sei,
Wies er ihnen den Weg nach Samos, wo Cäsar weilte,
Der von dort nach Syrien ziehen wollte,
Nach dem Tiberius nach Armenien gesandt.
Als die Gesandten alles erhielten, was sie begehrten,
Erließ er sogar die Tribute, die er auferlegt hatte.
OVID IBIS
DEUTSCH VON TORSTEN SCHWANKE
Bis zu den fünfzig Jahren, die nun mich ereilten,
war meine Muse stets von harmloser Dichtung erfüllt:
Kein Brief von Ovid, in Tausenden schrieb ich die Worte,
trägt eine Feindesspur, kann Hass je deuten auf mich.
Nur meine Bücher allein, sie schadeten niemand als mir selbst:
Durch die Kunst, die ich schrieb, ward des Autors Leben zerstört.
Einer allein – welch großes Unrecht dies selber schon darstellt –
will mir den Ehrenruf eines gerechten Mannes verwehren.
Wer er auch ist – ich schweige von seinem Namen fürs Erste –
zwingt meine zögernde Hand, die Waffe zu führen im Zorn.
Nicht lässt er mich, ein Verbannter des stürmischen Nordwinds,
friedlich das Exil, die Kälte der Flucht, ertragen im Stillen:
Unaufhörlich er stört die Wunden des Friedenssuchers,
schleppt meinen Namen hinaus vor das Volk und die Foren:
Raubt meiner treuen Gefährtin den Trost des Gedenkens,
trübt ihr Leid, das sie fühlt für den lebenden Mann, der zerstört.
Während ich klammere mich an die Reste des Schiffs, das zerbrach,
kämpft er um Planken, die trieben aus meinem Schiffbruch empor.
Dieser Dieb, der löschen sollte des Brandes Flammen,
sucht nach Beute und Plünd'rung, wo Flammen lodern und toben.
Er wirkt, dass keine Hilfe sei einem greisen Verbannten:
Ach, wie viel mehr verdient er selbst doch mein Schicksal!
Götter sind gnädig! Und der Größte von allen ist jener,
der nicht wollte, dass Armut die Bahnen meines Lebens durchzieht.
Dank sei dem stets, wo immer der Dank nur geäußert,
möge ich immer mit so barmherzigem Herzen bestehen.
Möge Pontus es hören: Vielleicht auch lasse er’s gelten,
dass die Erde, die nah mir ist, zeuge, was ich erbitte.
Doch du, der niedertritt auf mich in meinem Falle,
sei in deinem Elend selbst nur elender, wie du verdienst!
Feuer und Wasser mögen zuerst zu Frieden gelangen,
Sonne mit Mond in ein strahlendes Licht sich vereinen,
Osten und Westen ein Windstoß aus einer Himmelsrichtung:
Eisige Pole des Südens mögen warmen Atem entsenden,
Frühling sich mischen mit Herbst, Sommer mit frostigem Winter,
Dämmerung und Abendrot in ein Gestirn sich verweben:
Selbst neuer Einklang mag steigen aus dem Rauch der Pyre,
die einst den Brüdern in heillosem Zwist sich entzündet,
ehe wir, die wir Waffen ergriffen, Frieden beschließen,
den du durch Sünden zerbrachst, du grausamer Feind.
Frieden genießen wir nur, wie Wölfe ihn teilen mit Lämmern.
Erst in Versen, begonnenen Kriegs, will ich streiten mit dir:
Nicht ist dies der Stil für die Schlacht, doch dennoch ich wage
jene Waffen zu führen, die mich der Hass dir gebietet.
Gleich wie der Soldat, der noch ohne Raserei kämpft,
einen Speer in den Sand wirft, gelb von der Sonne beschienen,
so noch werfe ich nicht auf dich die geschärften Geschosse,
nicht sucht meine Waffe, dir gleich das Leben zu nehmen.
Dein Name sei stumm noch; deine Taten verberge die Zeit dir,
doch wenn du fortfährst, wird das Geschoss der Iamben dich treffen.
Nun, wie Battiades einst seinen Ibis verfluchte,
folge ich ihm: Wie er, so will ich mein Fluchen gestalten.
Rätselhaft sind die Worte, verborgen bleiben die Spuren,
denen mein Lied dich führt, trotz ungewöhntem Geschmack.
Und da gefragt ich bin, wer du seist, verrat ich es dennoch
nicht; bis dahin, in der Zwischenzeit, trag du den Namen „Ibis“.
Wie mein Vers der dunklen Nacht ein Spiegel sein möge,
so sei die Kette der Tage dir ewig finster und düster.
Mögen sie dir dies lesen an deinem Geburtstag, und auch
jeder, der Lüge nicht braucht, zur Neujahrszeit dir verkünden.
Ihr, die Götter von Erde und Meer, und ihr, die höher
wohnen als diese, in Himmeln, wo Jupiter herrscht:
Euch fleh ich an, zu neigen euch ganz meinem Willen,
und dass meine Wünsche Gewicht in euren Kreisen besitzen.
Auch du, o Erde, und du, der Wogen des weiten Ozeans,
und der höchste Himmel, geneigt sei meinem Gebet!
Sterne, und Sonne, in Strahlenhüllen gewandte Gestalt,
auch du, Mond, niemals heller geglänzt in deiner Umlaufbahn,
und du, Nacht, gepriesen ob deiner Schatten Schönheit:
Ihr, die ihr mit dreifachen Daumen die Schicksale spinnt,
und du, verbotener Strom, der durch finstere Täler
flüsternd schleicht, mit Schrecken erfüllt dein leises Murmeln,
auch ihr, mit Schlangen ums Haar, die vor schattigen Toren
wachen im ewigen Dunkel des Kerkers – höret mich an!
Faunen und Satyrn, ihr Lares und Halbgottgeschlechter,
Flüsse, ihr Nymphen, und alle Götter der Urzeit und Neuzeit:
Kommt hervor, aus dem uralten Chaos steiget herab,
wo finstre Zauber gesungen und bittere Rache entfacht wird.
Sämtlich, erhört meine Wünsche und lasst nichts fehlen
an meinem Gebet, nichts scheitern, das ich euch erflehe.
Möge erfüllt es werden, ich flehe euch an, dass man sage:
Nicht mein Wort war dies, sondern das Wort Pasiphaës Schwiegersohns.
Hab ich die Strafen geschildert, dann soll er sie tragen,
umso größer sei sein Leid durch mein dichterisches Können!
So möge der Fluch ihn treffen, sein falscher Name erblassen,
und keine der großen Götter zögere, Zorn zu erheben:
„Ibis“ nenn ich ihn, wie der Geist ihn vor Augen erblickt,
und wie er weiß, dass er diese Flüche verdient durch die Tat.
Ohne Verzug handle ich, ich bin Priester im Opfer.
Wer zu meinen Riten tritt, dem sei Gnade gewährt:
Doch wer zu meinen Riten tritt, spreche Klage mit mir,
und mit nassen Wangen beginne zu weinen für Ibis.
Lauft herbei, mit jedem Unheil gezeichnet, auf taumelnden Füßen,
hüllt euch in Schwarz, eure Körper, mit trauervollen Gewändern!
Du selbst, warum zögerst du, trag die tödlichen Bande?
Sieh, dein Altar ist bereitet, und du wirst’s erkennen.
Dein Gefolge steht bereit; kein Aufschub hemmet die traurigen
Gebete: grausam Opfer, entbiete dem Messer die Kehle.
Möge die Erde dir Frucht und die Wellen die Ströme versagen,
Lüfte und Winde verwehren den Atem dir, eisig und kalt.
Kein Sonnenstrahl dir Wärme, kein Mondschein leuchte dir, und auch
Sterne des Himmels meiden dein suchendes Auge in Nacht.
Feuer und Luft versagen sich dir, wie auch die Gewässer,
Weder die Erde gewährt dir den Weg, noch das endlose Meer.
Heimatlos irre dahin durch fremde Schwellen und Länder,
Such dir karge Kost mit zitterndem Munde allein.
Leidvoll bleibe dein Leib, und krank dein gequälter Verstand,
Schlimmer sei Nacht als der Tag, und der Tag als die Nacht dir ein Grauen.
Elend sei dir gewiss, doch Mitleid sei dir verwehrt; es
Freu’n sich die Menschen und Weiber an deinem Verhängnis mit Hohn.
Hasse dich jeder für Tränen, und fauliger Gestank umgib’ dich,
Dass, wenn du glaubtest, das Ärgste sei nah, noch Schlimmeres folge.
Selten erleb’ man dich ohne die schlimmste Verachtung, und dein Gesicht
Ekel erweckend sogar deiner eigenen Qual.
Leben dir sei ein Graus und Tod dir immer entzogen,
Und dein gequälter Geist ringe verzweifelt, den Körper zu lassen.
Zögernd sterbe dein Atem, durch Schmerzen schrecklich verzögert,
Bis die Erfüllung sich zeigt, die selbst Apollo verkündet:
Denn von links, dem düsteren Ort, flog kündend ein Vogel.
Nun verlass ich mich fest darauf, dass die Götter mich leiten,
Und nähre die Hoffnung, dein Tod soll enden mein Leid.
Langsam nur komme der Tag, den du in Verzweiflung ersehnest,
Dass mein Kummer vergeht, der mein Herz so quälend bedrückt.
Thrakier kämpfen mit Pfeil und Iasiger strecken die Speere,
Solange warm fließt der Ganges und kühl sich wälzt die Donau,
Solange die Berge Eichen gebären und Ebenen Gras,
Solange klar der Tiber durch Toskana strömt.
Krieg ich wider dich führen, und Tod wird den Zorn nicht beenden,
Selbst in den Schatten setz ich die Waffen des Hasses ein.
Auch wenn ich löse mich auf in luftige, blutleere Nebel,
Trotzt meine Seele dir nach, und verfolgt deine Taten.
Rache suchend schwebt mein Schatten, der Knochenrest dir zu schrecken,
Ob mir langes Leben versagt, ob durch eigene Hand ich vergehe,
Ob ich im Schiffbruch sterbe, und fremde Fische mich fressen,
Ob ich Vögeln zur Mahlzeit gereiche, den hungrigen Wölfen,
Oder, von keinem geliebt, ich Staub werde, unbestattet.
Wo auch immer ich bin, breche ich los von den Ufern des Styx,
Und mein eisiges Hand dir nachsendet die Kälte der Rache.
Nächtens erscheine ich dir, in schweigenden, furchtbaren Stunden,
Flüchtig dein Schlaf; mein Schatten verweilt an deinem Gesicht.
Feuerqual, zischende Schlangen umgeben dein Antlitz im Hause,
Fackeln, die rauchen, verkünden die Schuld dir, die keiner vergisst.
Lebend suchst du die Ruhe, tot wirst du gepeinigt; die Lebenszeit, kurz,
Mildert die Strafe dir kaum, die Ewigkeit steht dir bevor.
Dein Begräbnis sei dir fremd, und fremd dir auch jede Träne,
Dein Leben verweh' ungesehen, im Spott der Menge vergehend.
Jubeln sollen die Menschen, wenn Haken dein Fleisch tief zerreißen,
Ziehend im Schmutz dich fort die Hände der harten Henker.
Flammen, die alle verschlingen, entziehn sich dir, und die Erde
Weigert sich, dich zu bergen, so hassenswert ist dein Leib.
Raubvögel sollen die Eingeweide dir reißen mit Krallen,
Hunde, gierig, dein falsches Herz aus dem Leibe verschlingen.
Selbst, wenn du stolz dich dünkst, ob geliebt von bestialischen Wesen,
Wölfe streiten um deinen zerfetzten Körper im Wald.
Weit von den Feldern der Seligen sei dir Heimat verwehrt,
Dort, wo die Schuldigen hausen in finst'rem, grausamem Land.
Sieh, dort rollt Sisyphus wieder den Stein, den er niemals hält,
Und Ixion dreht sich ewig im Schwung des grausamen Rades.
Tityos, neun Morgen breit, ist zum Fraß den Geiern gegeben,
Täglich verzehren sie ihn, doch seine Glieder wachsen erneut.
Dort tragen die Danaiden die Krüge, nie zu befüllen,
Jammernde Schar, einst Gattinnen, die fliehen vor Ägyptos.
Tantalus, Pelops Vater, greift ewig nach fruchtloser Nahrung,
Wasser, das immer entweicht, und die Zweige entspringen ihm fern.
Dort möge eine der Furien dich mit der Geißel zerfleischen,
Bis alle Schuld von deinem gekerbten Leibe gesteht,
Eine andere füttere dich mit giftigen, züngelnden Schlangen,
Und die dritte entflamme dein Antlitz mit feurigem Rauch.
Noxische Schatten sollen dich quälen auf tausenderlei Art,
Aeakus form’ für dich neue und grausamste Pein.
All das, was je als Strafe für alte Sagen erdacht war,
Werde nun dein, und die Alten erlöst von ihrer Qual.
Sisyphus' Bürde sei deine, sein Stein dir zermalmend zur Last,
Ixions Rad soll dich tragen und brechen im ewigen Schwunge.
Du, der nach Ästen greift, nach den Wellen vergeblich verlangend,
Und der die Geier noch nährt, mit unendlichen Leiden gestraft.
Keine zweite, gnädige Sterblichkeit ende dein Schicksal,
Nie ein erlösendes Ende für all diese unsäglichen Qualen.
Doch ich verkünde nur wenig von dem, was dir bestimmt ist,
Weniger als Blätter am Ida, als Tropfen im libyschen Meer.
Keine Sicilianische Hybla trägt so viele Blumen,
Keine cilicische Flur bringt gelbe Krokusse gleich,
Kein Winter erzittert je so sehr vor eisigem Norden,
Wie dein endloses Leid dich umgibt in Ewigkeit.
Die weißen Höhen des Athos, die Hagelstürme bereifen,
mögen dich quälen, wie viele Qualen mein Mund hier entsinnen
und heraufbeschwören kann aus den Tiefen der Klage.
Ach, dass dir, du Elender, solcher Verderbenstraum werde,
dass selbst ich vor deinem Schicksal zu Tränen bewegt bin,
solche Tränen, die mich doch mit ewiger Wonne beglücken:
Denn diese Tränen, sie süßer sein sollen als jegliches Lachen.
Unheilvoll wurdest geboren, denn so wollten es Götter,
weder ein Stern war freundlich gesinnt, noch segnend erschienen.
Venus blieb fern, und Jupiter strahlte dir nicht zu der Stunde,
weder der Mond, noch die Sonne sandten günstige Zeichen,
selbst Merkur, den Maia, die Leuchtende, Jove geboren,
hatte kein hilfreiches Licht zu bieten für deine Geburt.
Mars, der grausame Gott, der keinen Frieden verkündet,
neigte sich nieder, wie auch der alte Saturn mit der Sichel.
Finster war jener Tag, erfüllt von Wolken und Schatten,
Trauer und Leid nur sollten deine Augen erblicken.
Solch ein Tag, wie ihn die Geschichte mit Allia zeichnet,
der Ibis’s Name dem Volk zum Fluch und Verderben gereichte.
Kaum aus dem Leib der Mutter gestürzt, der schändlichen, nieder,
lag dein schändlicher Leib auf cinyphischem Boden, verlassen.
Eine Nachteule saß auf den Höhen und sang ihre Klage,
schrie mit bestialischem Ton den Tod dir entgegen.
Schnell kamen Furien herbei mit dem Wasser des Sumpfes,
nahmen den Bach aus Stygiens düsterem Strom, um dich zu waschen,
strichen dir Gift von den Schlangen des Erebos über die Brust,
klatschten dreimal blutige Hände im makabren Zeremoniell.
Mit Milch von Hündinnen tränkten sie deinen schreienden Mund:
dies war das erste Mahl, das du aus ihrem Hass empfangen.
Jene Milch nährte nur Wut und fluchbeladenes Toben,
so dass dein Heulen die Stadt wie eines Hundes erfüllte.
Dunkle Binden, geraubt von einem verfluchten Scheiterhaufen,
umwanden sie deine Glieder, legten dein Haupt auf einen
kalten Stein, damit es nicht auf nacktem Boden ruhe.
Mit grünen Zweigen, aus deren Rinden die Flammen züngelten,
rückten sie nahe an deine Lider, um sie zu zwingen,
die ersten Lichter zu scheuen. Du weintest vor bitterem Rauch,
während die schaurigste Schwester sprach mit donnerndem Klang:
"Tränen, sie fließen nun ewig durch deine verfluchten Bahnen,
und genug der Gründe wird stets dein Schicksal bereithalten."
Kaum war die Rede verklungen, befahl sie der dunklen Klotho,
sie solle den Faden des Schicksals spinnen, unheilverkündend.
Doch nicht mit langen Prophezeiungen verschwendete sie Worte,
kurz sprach sie: "Ein Dichter wird dereinst dein Schicksal besingen."
Jener Dichter bin ich, und dir verkünde ich Klagen,
mögen die Götter dir Stärke gewähren, wie sie meine Verse bestimmen,
damit in meinen Worten all dein Leid sich enthülle,
dich mit gewisser Qual die gewichtigen Verse erschlagen."
Die Straßen von Ambrakia säumten verstreut ihre Leiber,
Pfeilen durchbohrt, wie einer, der Pyrrhus entsprungen.
Nimmer verbirgt dich das heil'ge Geheimnis der Ceres.
Gleich dem Königssohn, von dem in Versen ich sang,
Trinke den Saft der Lust, den Elternhand dir gereicht hat.
Oder wie einer, den heilige Rächerin tötete einst,
So wie Leukon fiel, ein Opfer des Zornes der Göttin.
Mögen die Liebsten von dir in die Flammen geführt sein,
Endend wie Sardanapal, der Leben im Überfluss lebte.
Wie die, die Libyens Jovis Tempel entweihten,
Deck' dein Antlitz der Sand, den Südwinde treiben, erbarmungslos.
Wie die, die Darios späterer Täuschung erlagen,
Schlinge die Asche dein Antlitz, wenn sie still sich legt.
Oder wie einer, der einst aus Olivenreich' Sicyon wanderte,
Sei es der Hunger, der Frost, der dir den Atem benimmt.
Wie der Atarneer, der schmählich gen Herrschers Thron gebracht ward,
Eingenäht in das Fell eines Stieres, ein sklavischer Preis.
Dass dein Hals durchtrennt in der Kammer, gleich jenem von Pherai,
Der durch das Schwert seiner Gattin den Tod einst fand.
Wie Aleuas von Larissa durch Treuebruch fiel, so erduld' du,
Dass die, denen du glaubtest, dich treulos treffen im Stich.
Wie Milo, unter dessen Tyrannei Pisa einst seufzte,
Werde lebendig hinab in die Flut dich gestoßen.
Und wie die Waffen Jovis Adimantus ereilten,
Herrscher von Phylles' Reich, so mögen sie dich nicht verschonen.
Wie Lenaeus, entkleidet am Ufer von Amastris, verlassen,
Bleib' auch du nackt auf des Achilleus' Boden zurück.
Wie Eurydamas dreimal um Thrasyllos’ Grabhügel geschleift ward,
Feindesräder ihn zerrten, so finde auch du solch ein Ende.
Wie Hector, der oft die Mauern vor Stürmern bewahrte,
Kreise dein Leib um die Mauern, doch werden sie fallen wie du.
Wie der Ehebrecher, den Athenische Erde zerfleischte,
Hippomenes' Tochter als seltsame Strafe erfuhr,
Mögen Rachepferde dich schleifen, wenn Hass dich entseelt.
Sei es ein Fels, der deinen Eingeweiden durchbohrt,
Wie die Griechen von Euböas Bucht die Lanzen zerrissen.
Und wie der Wilde, den Wellen und Blitze zugleich verschlangen,
So möge das Wasser, das dich ertränkt, durch Feuer geweiht sein.
Dein Geist, im Wahnsinn getrieben, sei Wunde um Wunde,
Wie Dryas' Sohn, der Rhodopes Reich mit Grauen erfüllte.
Oder wie Oiteas Herakles’ Flammenqual endete,
Athamas, Schlang' als Schwiegervater, von Wahnsinn getrieben.
Möge die Mutter nicht reiner sein als jene, die Tydeus
Einst als Schwiegertochter verschmäht hätte ob ihrer Schande.
Wie die Lokrin, verkleidet im Mantel des Dieners, verwegen,
Frevelnd vereint mit dem Bruder des Mannes in Schuld.
Möge dir Treue der Gattin so viel an Freude gewähren,
Wie sie Talaus zuteil ward, Agamemnon und Tyndareos' Kind.
Oder besitze die Gattin der Belos-Töchter gleich,
Die ihre Vettern ermordeten, Wasserträger als Strafe.
Solltest du Schwestern besitzen, so mögen sie lodern in Flammen,
Wie es Byblis erging und Canace, schuldvoll entbrannt.
Ist es ein Töchterlein, sei sie wie Pelopeia Thyestes’
Oder wie Myrrha zum Vater, wie Nyctimene verdorben.
Wie die geopfert im Tempel der Bistonischen Pallas,
deren göttlicher Blick bis heute verborgen geblieben:
wie die, die einst als Mahl bei Diomedes von Thrakien
blutig im Stall verzehrt wurden, schauriger Opfer:
wie die, die einst den Löwen Therodamas trafen,
oder die grausamen Riten der Taurischen Artemis litten:
wie jene, die Scyllas Raub und Charybdis, die gierige,
fort von Odysseus’ Schiffen ergriffen mit Schrecken:
wie die, die verschlungen im weiten Leib des Polyphem,
oder gefallen in Händen der Lästrygonier, des Unholds:
wie der punische Führer ertränkte in tiefen Brunnen
jene, die Asche zu weißem Staub in die Tiefe verwandelte:
wie die zwölf Mägde starben, Penelopes Knechtinnen,
und mit ihnen die Freier samt ihrem tyrannischen Führer:
wie der Ringer erlag, als des Böoters Fremdling ihn warf,
staunend, dass solcher Tod ihn plötzlich ereilte:
oder wie starke Männer, zerdrückt in Antäus’ Armen,
oder erschlagen vom wilden Pöbel der Lemnischen Frauen.
Oder wie einer, den böser Kult und finstere Riten
brachten zu Fall, als ein Opfer den Sturm von Strafen entlud:
wie Antäus' Bruder Busiris, der blutige König,
fiel auf das Feld, vom Schicksal gestreckt durch sein Beispiel:
wie der frevlerische Mann, der, hungernd nach Futter,
seine rosse mit Menschenfleisch nährte, unheilig:
wie die Zentauren, Nessos und Eurytion, Dexamenos’
Schwiegersohn, die beide verschied’nem Rächer erlagen:
wie der aus seiner Stadt, den der Enkel des Saturn,
großer Asklepios, selbst wieder ins Leben gerufen:
wie Sinis und Skiron, der Vater des grausamen Prokrust,
oder der Minotaur, halb Stier, halb Mensch, in den Tiefen:
Sinis, der mit Kiefern die Winde der Erde entgegenschickte,
um auf den Isthmus' Meer zu spähen, beidseits wogend:
oder Kerkýon, der starb unter Theseus’ Händen,
sah von Ceres selbst, die mit Wohlgefallen ihm zuschaute.
Mögen solch Schrecknisse, nicht leichter, auf dich sich häufen,
du, der du Flüche mit Recht auf dich geladen hast!
Wie Achaemenides einst, verlassen auf Etnas
wilder Flanke, sah Aeneas’ Trojaner-Segel sich nahen:
wie des Bettlers Schicksal, Irus, mit zwei Namen bedacht,
und jener, die auf der Brücke verweilen und betteln.
Mögest du Plutos Liebe vergebens suchen, des Reichtums
Gottes, doch Gold verweigere stets deiner Hände.
Wie die Welle sich senkt, die den Sand von den Füßen hinfortträgt,
so möge dein Glück stets fliehen und nicht zu dir kehren.
Wie Erysichthon, den Vater der Mestra, die Formen wandelte,
mögest du hungern, auch wenn dein Magen sich füllt.
Menschliches Fleisch, nicht scheu, verzehr es, wie Tydeus,
so möge das Schicksal dich strafen in endloser Gier.
Mögest du solches begehen, dass Sonne und Rosse des Phoibos
rückwärts stürzen, vom Abend zum Morgen geschleudert:
wiederhol' das schändliche Mahl an Lykaons Tische,
täusche mit falschem Fleisch die himmlischen Götter.
Möge ein Opfer der Götter dich prüfen, dein Fleisch zu zerstückeln,
wie Tantalos’ Sohn, oder wie Tereus’ Nachkomm.
Mögen die Glieder verstreut durch weite Felder verfallen,
wie einst ein Vater im Streben den Sohn zu erreichen.
Werde ein Stier aus Erz, in Perillos’ brennendem Werkstück,
schreiend wie einer, der lebt, und die Form eines Tieres annimmt.
Wie grausamer Phalaris schrie mit zerschnittener Zunge,
mögst du wie ein Stier im ehernen Leib dich erheben.
Wenn du die Jugend zurückerhoffst, sei Pelias ähnlich,
jenem betrogenen Greis, der Admetos’ Schwiegervater war.
Oder ertrink', vom Schlamm verschlungen, so lang nur dein Name
nimmer von Ruhm erzählt, im finsteren Schlund ungehört.
Sterb' wie jene, die einst aus den Zähnen der Drachen geboren,
die Kadmos streute auf Thebens blutigem Boden.
Oder erlieg' dem Fluch, der Medusas Vettern vernichtete,
wie ihn Pittheus’ Sohn den Verfluchten hinabsandte.
Mögen die Vögel dich warnen mit Zeichen unheiligen Fluges,
reinige deinen Leib mit wassergetränkten Gebeten.
Wie viele Wunden erleide, so wie jene, die einst
die Messer schnitten, versteckt in der dunklen Tiefe der Erde.
Von Begeisterung erfasst, zerreiß dein eigenes Fleisch
unter den Klängen, die Cybeles Raserei entfacht.
Werde wie Attis, der einst ein Mann war, nicht mehr ein Mann,
nicht mehr ein Weib, und schlage die Zimbeln mit weibischer Hand.
Sei wie das Vieh der Großen Mutter, das, einst siegreich,
rasch dem Opfer geweiht, durch einen Schritt in den Abgrund.
Und nicht allein soll Limon den Schmerz des Verderbens erdulden,
ein grausames Ross verschlinge auch dir mit Zähnen die Eingeweide.
Oder wie Cassandreus, vom Herrn nicht sanfter behandelt,
verblute begraben, unter dem Schutt deiner Pein.
Fall wie Perseus, als Kind, oder wie Cyknos’ Nachfahre,
falle ins Meer, von Wellen in Dunkelheit eingehüllt.
Oder erschlage dich doch, ein Opfer dem heiligen Phoibos,
wie Theudotos, der fiel durch des Feindes grimmige Hände.
Oder möge Abdera dich zähl’n zu den Übeltätern,
Steine regnen auf dich herab, du Verfluchter des Himmels.
Oder erleide des zürnenden Jupiters dreizack’ge Blitze,
wie es Hipponoos’ Sohn Capaneus einst grausam trafen,
oder wie Dexitheas Vater und Semele, Autonoes Schwester,
oder Maias Neffe, und Phaethon, der die Rosse ergriff,
schrecklich geführt, die wilden, und stürzte hinab ins Verderben.
Wie der grausame Aeolus’ Spross, durch das Feuer vernichtet,
gleich wie sein Sohn, der gebar, was kein Wasser je netzt,
oder wie Macelo mit ihrem Gemahl, die in Flammen vergingen:
Möge das göttliche Feuer auch dich, o Sünder, verzehren!
Diana in Delos sei Preis für dein schmähliches Ende,
nicht eher, als dass Thasos durch Flammen verzehrt ist.
Die, die Actäon zerrissen, als er Artemis sah,
und Linus, Sprössling des Crotopus, mögen dich heimsuchen.
Mögest du leiden, wie Eurydike starb durch die Schlange,
Calliopes Schwiegertochter und Oiagros’ Gemahlin,
oder wie Hypsipyles Schutzling Opheltes den Tod fand,
oder wie jener, der Holz mit scharfen Zähnen verwundete,
Pferde berühmt besaß und die Kunst doch in Elend verstrickte.
Auf hohe Höhen steig’ nicht, wie Elpenor betrunken,
und stürze hinab, wie er, der den Weinen erlag.
Sterbe so kläglich, wie jener, der Dryops rief,
und sich erfreute an Theiodamants wilder Waffe,
oder wie grausamer Cacus, vom Helden zermalmt,
verraten vom Brüllen der Rinder, die innen verborgen.
Oder wie Lichas, der Nessos’ giftiges Gewand brachte
und in blut’ger See die euböische Küste befleckte.
Oder wie Prometheus häng’ in Tartarus, auf rauer Klippe,
oder wie Sokrates stirb’ durch das Gift, von Büchern besungen.
Wie Ägeus, der segelnde Täuschung erblickte des Sohnes,
wie Astyanax, der von der Burg der Trojaner hinabstürzte,
oder wie Ino, die Amme des Kindes von Bacchus, auch Tante,
oder wie Talos, der sah, wie die Säge sein Leben zerbrach.
Wie das neidische Mädchen, das stürzte von hohen Klippen,
weil sie schändliche Worte sprach zu dem unbezwingbaren Gott.
Möge die Löwin des Landes dich reißen in deiner Heimat,
gleich wie Phalaecus fiel, als die Felder sie durchstreifte.
Oder der Eber, der Lykurgs Sohn und Adonis zerstörte,
Idmon, den tapferen Seher, mag dir das Verderben bereiten.
Selbst wenn er stirbt, mag sein Zahn noch dein Fleisch durchbohren,
wie bei dem Mann, den der Mund, den er spießte, verschlang.
Oder wie der Phrygier Jäger, den ein Kiefernbaum traf,
so mögest du enden, von deinem Werkzeug erschlagen.
Führt dein Schiff auf die Minoischen Strände, dann möge
Kretas Volk dich für einen Verbannten aus Korfu halten.
In einem einstürzenden Haus magst du wie die Söhne
Aleus’ sterben, wenn Jupiters Stern sich der Sippe geneigt hat.
Oder gib deinen Namen den fließenden Wassern, wie Evenus
oder Tiberinus, ertränkt in den tobenden Strömen.
Magst du würdig sein, zerstückt wie Melanippos, des Astakos’ Sohn,
dessen Haupt von Gefährten verschlungen ward, geschändet im Tode.
Oder magst du im Feuer enden, wie Broteas, der sich
sehnte nach Tod und die Flammen der Götter verlangte.
Magst du in einer Höhle sterben, wie der, der Geschichten
ohne Gewinn erfand und im Dunkeln der Felsen verschwand.
Wie die wilden Iamben ihren Verfasser zerstörten,
mag dein frevelndes Wort dir Verderben bringen im Leben.
Wie der Sänger, der Athen mit endlosen Liedern verletzte,
magst du im Hunger verenden, verhasst von der ganzen Stadt.
Wie man sagt, dass der Sänger der düsteren Leier einst starb,
möge eine Wunde der Rechten dein Schicksal besiegeln.
Wie die Schlange Agamemnons Sohn Orestes verletzte,
möge auch dir ein vergifteter Stich das Leben entreißen.
Möge die Nacht deiner Hochzeit zugleich der Todestag werden,
wie Eupolis und seine Braut es einst grausam erlitten.
Und wie Lycophron, der Tragöde, sein Ende gefunden,
möge ein Pfeil deine Eingeweide durchbohren und fesseln.
Oder zerrissen und ausgestreut im Wald von Verwandten,
sei wie Pentheus, des Kadmus’ Enkel, in Theben zerstückelt.
Ein wilder Stier mag dich packen und schleifen durch Berge,
wie er Lycos’ kaiserliche Gemahlin Dirke zerriss.
Und deine Zunge lieg’ abgetrennt vor deinen Füßen,
wie Philomela, die Schwester, den Qualen der Lust verfiel.
Wie der trübe Autor Myrrhas, Cinna, vom Namen
unheilvoll getroffen, magst du zerstreut in der Stadt sein.
Die Kunst der Biene mag ihren giftigen Stachel dir stechen,
tief in dein Auge, wie einst dem achäischen Dichter geschehen.
Und auf rauem Felsen möge dein Leib zerrissen
sein wie Prometheus, den Pyrrhas Nichte verwandt ist im Blut.
Folge Thyestes’ Beispiel, dem Sohn des grausamen Harpagos:
in Stücken mögest du enden, im Leib deines Vaters verschwinden.
Eine grausame Klinge mag deinen Leib verstümmeln,
wie Mamertas’ Glieder einst der Schwertstreich traf.
Oder der Strick möge eng sich um deinen Atem schließen,
wie der Mund des syrakusischen Dichters verschlossen ward.
Oder möge die Haut von deinen Eingeweiden gerissen
sein, wie bei Marsyas, der dem phrygischen Fluss seinen Namen gab.
Unglücklicher, sieh das Gesicht der Gorgo Medusa,
wie viele der Cepheäer durch ihren Blick zu Stein wurden.
Wie Glaukos, den Potniens Rosse in Wut zerrissen,
oder der andere Glaukos, der in die Wellen des Meeres sprang.
Oder ersticke an Honig, wie jener Kretische Dichter,
dessen Name gleicht dem der beiden zuvor genannten Männer.
Mögest du trinken mit Angst, wie Sokrates einst den Becher,
den Anytos ihm reichte, mit ruhigen Lippen genommen.
Nicht sei dein Liebesglück besser als das von Hämon,
oder mögest du deine Schwester besitzen wie Makareus.
Sieh, was Astyanax sah von der heimatlichen Zitadelle,
als sie in Flammen stand, von Griechenhand niedergebrannt.
Für deine Untaten möge die Strafe durch Kinder erfolgen,
wie der Enkel des Vaters, der Schwester zur Mutter ward.
Und möge jene Waffe, die einst durch Odysseus’ Knochen
drang, als des Ikarios Schwiegersohn, auch dich durchbohren.
Hänge wie Prometheus am Fels in den Schlünden des Hades,
oder sterbe wie Sokrates, mit dem Giftbecher geehrt.
Wie Ägeus, der irrte, als Theseus segelte heimwärts,
oder das Kind, das von Trojas Mauer zu Tode gestürzt ward.
Sei wie Ino, die Bacchus’ Pflegerin, trunken des Wahnsinns,
oder wie Talos, der starb, von der Säge zu Fall gebracht.
Wie das neidische Mädchen, das stürzte vom Felsen des Wahnes,
und dem unbezwingbaren Gott ein vergebliches Wort sprach.
Möge ein Löwe dich reißen in deinem eigenen Lande,
wie Phalaecus fiel, von der wilden Bestie zerrissen.
Oder der Eber, der Lykurgs Sohn in den Tod stieß,
Adonis, den Baumgeborenen, und Idmon den Mutigen, traf.
Selbst im Sterben mag sein Zahn dein Leben beenden,
wie bei dem Mann, den das Maul, das er spießte, verschlang.
Unglücklich, möge dein Tod all diese Gestalten versammeln,
dass du gleich allen in grausamem Ende zerfällst.
Und wie des lauten Rächers Kehle, vom hölzernen Ross
Einstmals zerquetscht, verschlossen ward – so möge dein Hals
Zudrückt werden vom Daumen, bis das Atmen erstirbt!
Oder wie Anaxarchos zermalmt ward tief in dem Mörser,
Mögen die Knochen dir klingen, wie Körner, die stöhnend zerbrechen.
Apollo möge dich senken hinab in Tartarus' Tiefen,
Wie er Crotopos strafte, den Vater, wegen des Linus,
Seines eigenen Sohns, den grausam getötet er hatte.
Und mögen Plagen dein Volk verheeren, wie jene,
Die Coroebos einst durch seine Hand von Argolis bannte.
Wie Hippolytus, der Enkel der Aethra, getötet durch Venus'
Zorn und in Angst von den eigenen Rossen gezerrt ward,
So möge dich Panik verschlingen, gehetzt bis ans Ende.
Wie Polymestor, der Wirt, den Pflegesohn Polydoros,
Raubgier trieb ihn zum Mord, so möge ein Gast dich töten,
Bloß für geringes Gut, das du geizig verborgen hältst.
Und möge dein Geschlecht mit dir vergehen, wie einst
Damasicthon mitsamt den sechs Brüdern verlosch.
Wie des Musikers Grab den Geburtstag trübe gemacht hat,
Möge gerechter Hass dich heimsuchen, Strafe verdienend.
Wie Pelops’ Schwester Niobe zu Stein ward verhärtet,
Oder wie Battos, der einst durch die eigene Zunge verging,
So mögest du stehen, geschlagen, stumm in der Kälte.
Wenn ein spartanischer Knabe den leeren Raum trifft mit Scheiben,
So möge dich töten ein Treffer von harter Metallkraft.
Stößt deine Arme das Wasser, suchend den Strom zu durchdringen,
Möge es schlimmer dir werden als Abydos' gefährliche Enge.
Wie der Komödiendichter in klaren Wogen ertrunken,
Möge der Styx dich würgen und Schweigen den Mund dir auferlegen.
Schiffbrüchig, treibend durch stürmische Meere, wie Palinurus,
Mögest du sterben, sobald der Boden dein Fuß betritt.
Wie einst Diana’s Hunde den tragischen Dichter zerfleischten,
So möge dich wütendes Bellen der Meute zerreißen.
Springe wie ein Sizilianer in feurige Schlünde, die Ätna
Unaufhörlich speit; möge Glut dich mit Schrecken verzehren!
Wie thrakische Frauen Orpheus’ Glieder im Wahnsinn zerrissen,
Möge dein Leib zerstückt sein von rasenden Händen des Zorns.
SAPPHO
Hoch steht Sappho, der Dichtkunst leuchtendes Kleinod,
Lesbos’ Tochter, die Lyra führend mit kühner Hand.
Kühne Stimme, ein Echo vergangener Zeiten,
Ewig in Liedern bewahrt.
Liebe pries sie in sinnlicher, flammender Sprache,
Schönheit sang sie, des Herzens tiefstes Begehren,
Worte voll Glut und von Bildern geschmückt, die ewig
Wecken die Sehnsucht nach mehr.
Adel gab ihr Geburt den Weg zur Erkenntnis,
Kunst und Tanz und Gesang, im Glanz sie erzogen.
Doch blieb viel ihres Lebens dunkel verhüllt, wie
Mond hinter Wolken verborgen.
Fragmente künden von Freundschaft und Liebe,
Bieten Einblick in reiche, gefühlsvolle Welten.
„Zehnte Muse“ nannte Herodot sie, bewundernd,
Unsterblich blieb ihr Gedicht.
Göttern rief sie, die Macht der Liebe zu ehren,
Aphrodite vor allem, mit Blumen gegrüßt.
Doch auch der Sterne unendliches Funkeln sprach sie,
Tief von der Sehnsucht ergriffen.
„Sterne glänzen“, so flüstert ein Splitter der Worte,
„Kalt und fern, und mein Herz will brechen vor Qual.“
So in schlichten, doch mächtigen Zeilen fassend,
Leben, das ewig uns rührt.
Flüchtig das Leben, flüchtig die Schönheit, alles vergehet,
So auch besingt sie, Sappho, das süße Lied einer Rose,
Köstlich im Duft und leise verhallt ihr Klang in der Ferne.
Jugend verweht, doch Liebe bleibt Trost in den fließenden Zeiten.
Zarte Musik und Lyrik durchströmten Sapphos Gedichte,
Töne der Leier führten den Reigen tanzender Worte.
Sinnlich und reich durchdrangen die Bilder Körper und Seele,
Liebe und Leben, meisterlich webt sie den Klang ihrer Dichtung.
Zweihundert Fragmente künden von Sapphos Gaben,
Einzig im Stil, doch oft nur ein Schatten früherer Fülle.
Selten erblicken wir, was ihr ganzes Lied uns verkündet,
Papyrus zerrissen, dennoch ein Schatz in den Händen der Zeit.
Neun Oden klingen, vollendet in Form und Melodie,
Chöre erklangen, tanzend und singend im Lichte des Lebens.
Aeolisch die Metren, rhythmisch verwoben die Verse,
Fließende Zeilen, leicht für den Mund und das Ohr einer Menge.
Sappho, Ikone, Lied von der Liebe, frei und doch still,
Tief in den Worten brennen die Bilder weiblicher Schönheit.
Manche erblicken darin nur Kunst, doch andere ahnen
Herz und Empfinden, fließend in flammendem Wandel der Liebe.
Fragmente bewahrt durch Zeiten von Krieg und Vergehen,
Schimmernde Scherben einstiger Pracht auf Tonscherben und Seiten.
Sappho, die Meisterin, bleibt in den Herzen lebendig,
Reicht uns die Stimme, klar durch die Nebel der Altertumstage.
Einst auf Lesbos stand, hoch über Mytilenes Mauern,
Sapphos Schule, bekannt durch die Jahrhunderte hin.
Hier ward Mädchen gelehrt, in der Künste reichem Gefilde,
Dichtung, Tanz und Musik, Kunst, die die Seele verfeinert.
Nicht dem strengen Gesetz, nicht der Enge des Lernens ergeben,
Lehrte Sappho den Geist, frei sich zu formen und blüh’n.
Jedem Mädchen, das kam, bot sie den Raum für Entfaltung,
Pflegte den eignen Ton, ließ die Gefühle entsteh’n.
Hoch auf dem Hügel, wo Winde die Stimmen des Meeres
Trugen in Lüften dahin, stand ihr von Mytilen geseh’nes Haus.
Schülerinnen von nah und fern suchten die Meisterin auf,
Fanden in Sappho den Quell eigener Seelenmusik.
Doch nicht endete hier, was ihr Wirken der Welt einst beschied,
Denn noch heute erklingt, was ihr Gesang uns erzählt.
Liebe, die brennend umfängt, Verlust, der die Herzen zerreißt,
Weibliche Sehnsucht in Wort und Bild, scharf und ergreifend.
Ihre Lieder, die oft von gleichgeschlechtlicher Liebe berichten,
Machen sie bis heut’ zu einem Symbol, mutig und kühn.
Kämpfer der Freiheit, sie sehen in ihr eine Stimme der Alten,
Die durch Jahrtausende klingt, ewig im Herzen der Welt.