VON TORSTEN SCHWANKE
Zur Erinnerung an meinen Vater Eberhard Schwanke
ERSTER GESANG
Seit Jahren schon tobte im Hause des preußischen Herrn
Ein Zwist, der bitter strafte den Frieden nah und fern.
Der König Friedrich Wilhelm, des Reiches harter Mann,
Sah mit Verdruss den Sohn, der nicht sein Ebenbild gewann.
Ihn störte früh, dass dieses Kind so anders war,
Nicht rau wie er, nicht stark, nicht voller Lust und Gefahr.
Kein Wein, kein Rauch, kein Jagen freute des Knaben Sinn,
Auch rohes Lachen schreckte ihn, kein Kriegslärm zog ihn hin.
„Was geht wohl vor in diesem kleinen Kopf?“ so schalt
Der König oft und drückte ihn mit Rede grob und kalt.
Vor Zeugen schlug er ihm ins Gesicht, erst leis, dann laut,
Bis Rot vor Zorn die Wange glühte, wie Glut, die staut.
Mit zwölf begann der Bruch, vor aller Augen klar:
Ein Vater, der im Sohn den Ungehorsam sah.
„Was nutzt ein Thronerbe, der feige, fremd und weich?
Nicht so ein Erbe passt zu meinem strengen Reich!“
Die Mutter, Königin von Hannovers edlem Blut,
Trieb Ehen voran mit britischem Mut.
Sie wollte Wilhelmine dem Enkel England nah,
Und Friedrich mit Amelie vermählt, so war ihr Plan.
Doch Friedrich Wilhelm zögerte, war misstrauisch gesinnt,
Misstrauen, Wut und Zweifel trübten ihm den Wind.
Der Wiener Hof, mit Ränken und Verrat gepaart,
Zerstörte die Verhandlungen, der Königin verweht ihr Rat.
Der junge Kronprinz, kaum vierzehn Jahr' alt,
Ergriff der Mutter Sache, trotz väterlicher Gewalt.
Er suchte heimlich Macht, vertraute Diplomaten,
Die ihm ein Flüstern gaben: „Wir gründen neue Staaten.“
Mit solcher Opposition begann des Erbens Spiel,
Er suchte Ruhm und stachle auf mit Vorsatz kühl.
Doch all sein Warten dehnte sich im Bann der Zeit,
Die Erbschaft schien so fern, ein Traum im Nebel weit.
Im Hause spürte Wilhelm die Rebellion,
Auch ohne klar zu sehen, wer brach die Tradition.
Der Sohn entzog sich schweigend mit Blick und stiller Kunst,
Verstärkte das, was reizte, mit kühler Überzeugungslust.
Er zeigte nur den Leser, den Denker voller Ruhm,
Den Flötenspieler, der entzog sich mitten aus dem Tum.
Kein Jäger war er, sondern Freund des feinen Klangs,
Ein Fremder war er seinem Vater, das war des Hauses Zwang.
Der König tobte, weinte, warf den Zorn ins Haus,
Es folgten Schläge, Wut und nächtlich rauer Braus.
Vor Dienern, Offizieren warf er den Sohn zu Boden,
Mit Fäusten, Tritten schlagend, ohne Maß und ohne Hoden.
„Ah, hätte mein Vater so mich behandelt je!“
So rief der König aus mit wutentflammter Höh’.
„Doch dir ist alles gleich! Du fühlst nichts, gar kein Pein!“
So scholl der Vaterfluch ins Herz des Kindes ein.
So fasste Friedrich den Entschluss, er müsse fliehen,
Hinfort die Peitschenklänge und die Glocken ziehen.
Zu Pferd, im Postwagen, weit durch Deutschland gejagt,
Bis er in Frankreichs Land die Freiheit wieder wagt.
Dort suchte er, ein Gast, in fremden Landen Schutz,
Entfliehen wollt' er, ach, dem väterlichen Trutz.
Nicht war’s die Braut, die seine Fluchtgedanken lenkte,
Da er sie kaum gekannt, noch an die Liebe schenkte.
Doch war’s der Freiheit Ruf, der sein Verlangen nährt,
Zu kommen, wann er will, zu tun, was ihm gehört:
Zu ruh’n, zu schreiben, träumen, denken, Flöte spielen,
Nach eignem Willen endlich seine Tage fühlen.
Im Winter dann, als Schnee die Felder hatte zuckt,
Ward Keith in jene Flucht als Helfer eingeflucht.
Ein Diener, keck und kühn, voll argen Plänen trieb,
Dem Prinzen freundlich war und seine Flucht beschrieb.
Doch diese Hoffnung schwand, als neuer Streit entbrannt,
Der König wieder Milde in der Eintracht fand.
Ein Krieg mit England drohte, bald ward er verhandelt,
Und Friedrichs Herz, das hoffte, ward erneut gewandelt.
Denn eine Ehe schien, obgleich sie fern, gewiss:
Amélies Mitgift winkte wie ein Paradis.
Doch bald zerbrach das Bild, es kam zu keinem Ende,
Und Friedrich wandte sich zurück zur Fluchtlegende.
Keith war nun fort, geschickt in strenger Pflicht nach Wesel,
Doch Katte trat herbei, der in dem Werk verlesel.
Ein Mann voll Geist, Musik und Künste war sein Wesen,
Mit Friedrich sprach er oft und wollt’ ihm viel erlesen.
Im Mühlberglager traf man sich im Sommerglanz,
Dort, wo des Königs Heere strotzten nur vor Glanz.
Im Kreis der Fürsten fühlte Friedrich doppelt schwer
Die Last der Schmach, die ihm sein Leben drückt so sehr.
Die Freunde planten neu, verborgen vor den Blicken
Der Späher, die des Vaters Willen stets besticken.
Katte jedoch, voll Angst, vor einer Flucht zu zeitig,
Protestiert’ sanft, doch Friedrich blieb beharrlich eifrig.
Selbst Hoym, ein sächs’scher Graf, ward in den Plan verstrickt,
Indem er Postpferd’ gab, ein Wunsch, der ihm geglückt.
Doch auch dies blieb entdeckt, des Vaters Späher wachten,
Und Friedrich musste neu das große Werk durchdachten.
Er wartete geduldig auf des Königs Reise,
Nach Anspach sollte zieh’n die kaiserliche Weise.
Ein Freund, Kapitän Dickens, ward bald in den Kreis,
Dem Friedrich anvertraut, was er sich heimlich weiß.
Ein Plan, wie ihm gelang, durch Anspachs stille Weiten
Nach England letztlich Schutz und neue Freiheit leiten.
Die Torheit Kattes lag im Eifer dieser Stunde,
Und Friedrich harrte aus im großen Wagnisgrunde.
Das Lager Mühlberg stand, errichtet wie geplant,
Der König, Katte, Prinz – sie zogen heim ins Land.
Friedrich indes, von Ungeduld getrieben,
Ersehnte Guy Dickens, am neunten Tag verblieben.
Er brachte Antwort aus Gericht und edler Hand,
Zum Thema Ehe war ein neuer Plan bekannt.
Majestät von Britannien, mit tiefem Mitgefühl,
Verwies auf einen Moment, der kluges Warten kühl.
Europas Wirrnis, viel zu kritisch jener Zeit,
Schien für des Prinzen Flucht ein schlechter Geleit.
Geduld empfohlen ward, bis die Verhandlungen reifen,
Dann wolle man den Prinzen durch kluge Mittel greifen.
Auch Frankreichs Antwort blieb in weiter Ferne noch,
So schwand die Hoffnung rasch wie ein versunk'nes Loch.
Am Abend, als Dickens die Hauptstadt frisch erreicht,
War Katte ihm ein Führer, des Prinzen Freund zugleich.
Am Schlosstor traf man sich, des Nachts, im tiefen Schweigen,
Der Prinz empfing die Nachricht, doch tat er sich verneigen.
Die Schulden zahlte man, ein Angebot gemacht,
Doch Friedrich – keck und klug – hat mehr als nur gedacht.
Er bat um fünfzehn Tausend, obgleich er sieben schuld,
Er nahm’s als Stärkung an, in kindisch stolzer Huld.
Er wollte nicht entfliehen, versprochen ward sein Wort,
Doch nur, wenn Potsdam ihn beherbergte als Ort.
Katte hielt Wache, während sie heimlich konferierten,
Die Planung war romantisch, doch Unvernunft regierten.
Zwei Tage später zog der König nach Potsdam,
Der Prinz vernahm, dass er nach Anspach reisen kann.
Am vierzehnten Juli entsandte er noch Katte,
Der heimlich spät durch Türen trat, die man bewachte.
Im Park der nächtlich Stille trafen sie sich allein,
Zwei Stunden sprach der Prinz, von Angst erfüllt und Pein.
Er sprach von Misshandlungen und Fluchtgedanken viel,
Doch Katte blieb ihm nah, trotz eines schweren Spiel.
Der Rat war klug bedacht: zu warten, bis die Reise
Am Weseler Rückweg bot die Flucht auf leichte Weise.
So ruhten all die Pläne auf unsicheren Wegen,
Die Hypothesen waren in Schicksal nur verlegen.
Am fünfzehnten schrieb Friedrich, bevor die Reise schritt,
Ein Brief an treuen Katte, mit starkem Willensritt.
In Cannstatt war ein Treffen geplant, noch ungewiss,
Ob Katte dort erscheinen kann, schien eine List.
Die Wertsachen des Prinzen, Musik und Schmuck, gesandt,
Hielt Katte wohlverwahrt in seiner treuen Hand.
Die Edelsteine, einst im Orden festgefasst,
Ersetzt durch Kunst und List, ein Täuschungswerk verhasst.
Die Reise nahm den Weg, nach Meuselwitz zur Rast,
Dort traf man Seckendorf, der Österreich verfasst.
Ein Freund des Königs, doch ein Feind des Prinzen stark,
Er focht für Wien und schmiedete ein Ehewerk.
Nach Anspach führte weiter des Königs Wanderschaft,
Am einundzwanzigsten ward dort verweilt zur Kraft.
In Mitternacht ein Brief durch Kattes Cousin kam,
Die Reiseerlaubnis fehlte, ein unerwünschter Gram.
Friedrich verbrennt den Brief, doch Katte bleibt zurück,
Der Prinz jedoch vertraut erneut auf flücht’ges Glück.
Ein weiterer Komplize ward schnell ins Auge gefasst,
Doch jener warnte heimlich den Oberst still und fast.
Zuletzt ein Keith, des Bruders Freund, ward dann befragt,
Ob Flucht durch Banknoten und List gelingen mag.
Doch hindernd standen Zeiten und Pflicht des Königswagen,
Der Plan zerfiel, so blieb es bei Worten und den Fragen.
Frédéric glaubte, sicher sei der Freund ihm nun,
Und schrieb an Katte, voller Schmerz und ohne Ruh’n:
„Ich ward erneut misshandelt, denn ein Messer fiel,
Drum such in Den Haag nach dem Grafen, meinem Ziel.
Ein neuer Name schützt mich: Comte d'Alberville,
Er wird mir Unterschlupf, gibt meiner Flucht das Spiel.“
Ein Brief für Katte lag auch diesem Wort noch bei,
Er trug die Fluchtgedanken des Prinzen stolz herbei.
Zur selben Zeit schrieb Keith er: „Wesel sei nun fort,
Zieh weiter, streb nach Holland, mach dort einen Ort.“
Der König reiste bald von Anspach nach Württ’berg,
Der Herzog nahm ihn auf in Ludwigsburgs Gefährt.
Dort ließ Frédéric sich einen Mantel nähen,
Ein roter Mantel sollt’ der Flucht nun gut bestehen.
Keith hatte er befohlen, blau solle sein Gewand,
So schmückte Flucht und Liebe beider Schicksalsband.
Am vierten August, in des Morgens kühlem Schein,
Trug Frédéric den Mantel und fühlte sich allein.
Rochow, der bei ihm war, sprach mit gewissem Blick:
„Das Kleid gefällt dem König nicht, das ist sein Glück.“
„Ich trage es vor Kälte,“ sprach er und zog es aus,
Doch innerlich bedrängte ihn der Fluchtgedank’ zuhaus.
Die Stunde kam heran, die Zeit zur Flucht war nah,
Der Weg nach Mannheim zeigte eine unsichere Schar.
Der Prinz erkundigt sich, als sei er nur gespannt,
Wo man heut’ rastet, in welch’ Dorf das Nachtlager stand.
In Sinsheim dacht’ er, würde heut’ die Reise ruh’n,
Doch in Steinsfurth hielt der König, um dort auszutun.
Die Nacht verbracht’ man schlicht in Scheunen, die bereit,
Der Prinz lag nah beim König, in fühlbarer Geleit.
„Nicht weit ist es nach Mannheim,“ sprach der König laut,
„Fünf Stunden früh beginnt’s, wir schaffen es vertraut.“
Der Prinz erhob sich heimlich, um halb drei der Nacht,
Und kleidet sich in Rot, voll Wagemut entfacht.
Doch Gummersbach bemerkt’s und eilt zu Rochow hin,
Der wacht und kommt sofort – zu spät für den Gewinn.
Keith naht mit Pferden, doch Rochow stellt ihn hart,
„Fahr’ hin zur Hölle, Keith, dein Spiel ist schlecht gewahrt!“
Die Wachen sind auf Posten, der Prinz gefangen bleibt,
Und Buddenbrock und Waldow, das Lager aufgestreift.
Die Flucht, ein schöner Traum, war kühner Tollheit Frucht,
Und Keith, von Angst ergriffen, verlor des Mutes Zucht.
Am Sonntag, nach der Messe, fiel er zu Boden nieder,
Gestand die ganze List dem Herrn mit Zittern wieder.
Der König, in sich kochend, doch äußerlich gefasst,
Beschloss, bis Wesel stumm zu bleiben, voller Last.
Er rief Rochow herbei, den Vorwurf schwer im Blick:
„Des Prinzen Leben oder Tod – du bringst zurück!“
Die Reise führte weiter, doch Spannung blieb im Raum,
Der Prinz, dem Vater nah, verweilte wie im Traum.
In Darmstadt sprach der König, sein Zorn kaum zu verstehn:
„Ich dachte, du wärst längst nach Paris schon auf den Höhn.“
Doch Friedrich, voller Trotz, sprach Lügen in den Wind:
„Hätt’ ich es je gewollt, dann wär’ ich längst dort hin!“
Noch einmal war er betrogen, doch er wusste es nicht,
Ein Schreiben gab er Keith: „Das nimmt hier eine Wende mit.
Es wird uns schlimmer treffen, lasst uns eilig gehen!“
Doch Qualen wüteten, wie Höllenstürme nur entstehen.
Der Intendant erschien, mit Offizieren aus Landau,
Nach Mannheim zog ihr Zug, und diese ahnten kaum genau,
Dass jener Anblick, der den König arg beunruhigt,
Den Plan verriet, den man wohl mit dem Prinzen heimlich schmiedet.
In Darmstadt ruhten sie, und Friedrich hörte dort,
Wie Wilhelm sprach: „Was seh ich dich an diesem Ort?
Ich glaubte, längst wärst du nach Frankreich aufgebrochen!“
Doch Friedrich log und sprach mit Kühnheit ohne Knochen:
„Gewollt hätt ich, so wär ich längst schon fortgeflogen,
Doch hier bin ich, noch ist mein Plan nur ungelogen!“
Am achten August kam man nach Frankfurt an,
Von dort fuhr man den Main hinab, so fing es an.
Der König, ungeduldig, eilte durch die Stadt,
In zwei Stunden sah er, was zu bestaunen war und hat
Den Prinzen abgesandt zum Schiff, das nach Bonn trug,
Die königliche Reise, die zum Heimweg sich nun fügt.
In Bonn, am zehnten, traf man Kölns Kurfürst sodann,
Der dort verharrte, voller Ehrerbietung stand er dann.
Doch Friedrich hörte jene harten Worte seines Vaters,
Die Furcht befahl: „Holt mir den Prinzen! Lebend oder später,
Doch keiner lasse ihn entwischen, haltet ihn!“
Gefangen fühlt' er sich, die Freiheit wich aus seinem Sinn.
Er wandte sich an Seckendorf, den Feind und falschen Freund,
Und sprach mit List, die seinen Plan in Lügen blendet: „Seht,
Ich wollte fliehen, weil mein Leiden keine Ruhe kennt.
Ein Prinz, geschlagen, wie im Lager mir geschehn,
Kann solches Unrecht länger nicht im Schweigen überstehn.
Und wenn auch Wachen streng mein Treiben überwachen,
Mein Herz hielt mich zurück, bei Mutter und Geschwister Rachen.
Doch bleibt es fortbestehn, mein Vater schlägt mich gar,
Dann wagt' ich alles, fürchte nicht den Tod als Ziel sogar!
Der König, tief bewegt, vernahm den Plan, der ward verraten,
Und Seckendorf sprach mit Respekt von des Prinzen Taten.
Doch als sie Keith entkommen sahen und Katte schwand,
Verstand der König, was in Wahrheit hier Bestand.
Nach Wesel sandte er den Prinzen, hielt ihn hart,
Ein Urteil sprach er aus, das viele Herzen ward.
Der Sohn gemischt aus Wahrheit, Lügen, stur und stolz,
Doch niemals ganz verzweifelt: Das blieb Friedrichs höchstes Holz.
Da Friedrich ward in einem Zimmer bald bewacht,
Mit Bajonetten stets und Wachen Tag und Nacht.
Am nächsten Morgen kam der Oberst, Derschau genannt,
Und fragte streng, was Friedrich der König gesandt.
Er sprach, er wolle inkognito reisen und gehn,
Nach Straßburg, Landau, Paris und Italien sehn.
Durch Heldentaten sich das Ansehen zu erringen,
Um Gnade seines Königs doch zuletzt zu bringen.
Der König hörte bald, dass Keith nach Haag entfloh’n,
Nicht Straßburg suchte er, die Lüge ward ihn lohn’.
Der Prinz, der von Verdacht bedrängt, die Wahrheit schwieg,
Erfuhr, der König glaubte gar, er schmied’ Intrig’.
Der Sohn, der ahnte, welche Wogen hier entbrannt,
Schrieb einen Brief, der Demut und die Angst benannt:
„Mein Vater, den ich lieb’, ich wage nochmals heut,
Zu flehn um Gnade, denn mein Herz ist tief gebeugt.
All das, was ich gesagt, was ich zu sagen ließ,
War wahr, die Zeit allein zeigt, dass kein Arg darin genieß’.
Was mir an Schuld gelegt, wird sich als Trug erweisen,
Ich habe niemals Böses gegen Euch geheißen.
Verzeiht, mein teurer Vater, rettet mich in Not,
Ich bleib’ in tiefem Dank bis hin zum eignen Tod.“
Der König hörte's kaum, er gab den Befehl sodann,
Den Prinzen fortzuführen durch des Reiches Bann.
Mit Buddenbrock entsandte er ihn nach Spandau weit,
Und mied Hess' Land und Hannover aus Sicherheit.
Sollt’ Friedrich jemand retten wollen auf der Fahrt,
So war die Weisung klar: dass man den Prinzen verwahrt –
Und falls das nicht gelingt, so bleibt ihm kein Verweilen:
Man soll ihn eher tot als lebend überteilen.
Von Wesel heimlich nahm der Tross die Reise auf,
In Tag und Nacht hielt ohne Rast der Wagenlauf.
Im freien Feld nur hielten sie ein wenig ein,
Wo Büsche fehlten und die Sicht umher war rein.
Der König folgte selbst, doch schien sein Geist beklommen,
So zögernd ist er nicht nach Berlin eingekommen.
Er wanderte im Zweifel, einer Woche fast,
Bis er am Schloss zu Ende seiner Reise rast.
ZWEITER GESANG
In Berlin herrschte Terror, seit man vernahm die Kunde,
Von Wesel war sie eingegangen, eilend, wie im Bunde.
Der König schrieb am Tag der Haft an Kamken dann:
„Madame, ich fleh' Sie an, tun Sie für meine Frau, was man nur kann.
Ein Unglück traf uns, ach, mein Sohn, er wollte mit Keith flieh’n,
Ich ließ ihn festnehmen, in Ketten soll er nun verzieh’n.
Ich schrieb an meine Frau, der Schmerz sei ihr gewiss,
Doch sorge, dass sie ruhig bleibt, auch wenn Mitleid ihr beschieden ist.
Ihr treuer Freund stets bleib' ich, FR.-GUILLAUME bin ich genannt.“
Der Brief an die Königin blieb uns jedoch unbekannt.
Was Wilhelmine schrieb, in ihren Memoiren dann,
Scheint falsch zu sein, was Friedrich tat, das überlegt man an.
Hätt' er geschrieben, er sei fest entschlossen zum Entschluss,
Seinen Sohn zu töten, wär's unsicherer Verdruss.
Die Minister Englands, Frankreichs, sagen mit Gewissheit klar:
Er schrieb von Haft, von Fritz, der in die Festung überführt ward gar.
Doch, menschlich scheint die Note an Madame gewesen, sehr,
Ein seltsames Gefühl liegt doch der Notiz im Herzen quer.
Von Wesel sandte Friedrich auch, der Katte zu verhaften,
In stiller Ruh' blieb Katte dort, die Planung ließ er schlafen.
Am fünfzehnten August, da war er mit Erlaubnis fern,
Aufs Land hinaus, von Natzmer selbst, Feldmarschall, uns bekannt.
Am Morgen nach, schon früh, ward er in Haft sodann verbracht,
Die Königin und Wilhelmine, wartend, voller Angst gemacht.
Die Rückkehr, grausam, voller Pein, ein fürchterliches Bild,
Die Königin fleht, Wilhelmine, stumm in Schrecken still.
Der König schrie, in Wut entbrannt, die Tochter auf den Grund,
Mit Worten harsch: „Du wagst dich her? Was soll dein Mut zu dieser Stund‘?“
Er schlug sie nieder, wollte gar mit Füßen auf sie treten,
Die Schwestern, Brüder, Königin, versuchten, ihn zu mäten.
Da sah Katte, beim Schloss vorbei, im Fenster Wilhelmin,
Mit Gruß und Blick, gefangen schon, die letzte Ehre schien.
Vor Friedrich stand er ruhig da, der Katte ohne Zagen,
Er sprach von Plänen, was geschah, wie sie in Sachsen lagen.
Gestand Gespräche mit dem Fritz, auch Dickens’ Wort im Spiel,
Jedoch, dass er gewarnt den Prinzen, dies sei falsches Ziel.
Die Folter wollte Friedrich nun, doch Widerspruch ward laut,
Man drang auf Milde, und so war des Königs Wut verbaut.
Am zwanzigsten, im letzten Fragenspiel, gestand er dies:
„Ich wär' ihm wohl gefolgt, doch glaubte ich nicht, dass er entfließt.“
Dies schien die Wahrheit, Katte fühlte still im Herzen Glück,
Er ahnte, dass der Prinz wohl kehr' zurück ins alte Stück.
Das Leben, das verborgen war, die Freundschaft trug es fort,
Ein heimlich Band des Wartens blieb, vertraut an jenem Ort.
Doch Katte wusste, eingestanden, wäre Fritz entflohn,
Er hätt' ihn nicht verlassen, wär' ihm überall gefolgn.
Im Dienste Fritz‘, er wies noch auf, der Mantel lag bereit,
Mit Streifen silbern zugedeckt – der Reise Kleid zur Zeit.
Aus diesem Eingeständnis ward für Katte klar,
Dass er zum letzten Moment desertieren war.
Die Untersuchung lief zugleich in vollem Zug
Gegen den Prinzen fort – ein wohlgeplantes Buch.
Der König wollte nicht mehr nach Spandau ihn,
Nach Küstrin führte nun sein strenger Vater ihn.
In Mittenwalde ließ er ihn verhören bald,
Von Grumbkow, Glasenapp, die klug und kühl entfahlt.
Auch Sydow, Mylius, Gerbett schrieb man ihnen zu,
Die Liste der Kommissare wuchs in aller Ruh'.
Gerüchte sprachen, er sei trotzig und recht kühn,
Er wollte Grumbkow gar kein Schwert mehr überblüh'n.
Er habe, spöttisch, gar gesagt: „Im Nebensaal,
Da holt es selbst vom Tisch, es liegt da, ganz normal.“
Auch soll er lachen, Grumbkows Feder war zu lahm,
Dass sie ihm nicht mehr folgen konnt’, war ihm kein Gram.
Gefragt, warum er fliehen wollt’, sagt er sodann:
„Das wisst wohl ihr, doch mehr mein König, der das kann.“
Auf Einwände von Grumbkow höhnisch kontert' er:
„Dann schreibt es auf, dazu seid ihr doch her.“
Ob Grumbkow’s Worte wahr, sei zweifelhaft gemeint,
Doch sicher ist, der Prinz blieb spöttisch und vereint.
Er führte fast das Protokoll mit eig'ner Hand,
Und gab stets Antwort, schnell und scharf, wie’s niemand fand.
Er rief den Herren, mehrfach: „Fragt, ist das schon all’?
Noch mehr gewünscht? So fragt es frei in eurem Hall!“
Er bat nicht um Gnade, noch fleht’ er um Verzeih’,
Doch Katte wollte er erretten aus dem Schrei.
Nach zwei Tagen war der Prinz in Küstrins Festung, kalt,
General Lepell hielt ihn sorgsam fest, als halt.
Der König warnte: „Seht, er ist zu List bereit,
Hundert Erfindungen ersinnt er in der Zeit.“
Das Leben war nun hart, von Einsamkeit geprägt,
Die Mauern schweigend kalt, kein Wort den Raum bewegt.
Um Gunst zu heischen, bat er um die Kommunion,
Der König sprach: „Die Zeit wird kommen, nicht davon.
Der Kriegsrat kommt zuvor, dann erst die Andacht still,
Und mag es sein, dass man danach noch reden will.“
Dem Prinzen wurde Flöte, Tinte, Feder fort,
Ein Lakai trug Mahlzeit, spärlich, ohne ein Wort.
Die Fragen aber wuchsen, Mylius stellte sie,
Und König Friedrich fügte gar sein eig’nes Ziel:
„Was denkst du, was verdient ein solcher Mann?“ gespreizt.
Der Prinz: „Die Gnade steht des Königs Hand bereit.“
„Verdient ein Mann die Ehre, der so feig sich zeigt?“
„Ich tat’s nicht ehrenlos“, darauf der Prinz verweilt.
„Wirst du als König taugen?“ fragte man mit Druck,
„Ich kann kein Richter sein, doch hoffe auf ein Glück.“
„Willst du dein Leben retten, oder sprichst du nicht?“
„Die Gnade des Königs, auf die allein ich blick.“
„So brich den Thron, verzicht' auf Recht und alle Macht!“
„Das Leben reizt mich kaum, tut, was euch passend macht.“
Furchtbare Fragen, die des Königs Geist verrät,
Antworten klug bedacht, ein stolzes Herz sie sät.
Der Prinz war achtzehn nur, doch zeigte festen Kern,
Mit Würde sprach er kühn, ließ Kompromisse fern.
Am Ende fügte er dem Protokoll noch an,
Dass er den Schmerz bereu’, den er dem König tat.
Er unterwarf sich, doch sprach nicht mit Reue laut,
Der Jugend Torheit sei’s, die man ihm zugetraut.
Nach Erhalt des Protokolls riss der König erbost
Den Anhang auf, der um Begnadigung bat bloß.
Er machte das Gefängnis härter und zugleich
Schien es, als wolle Rache zähmen seinen Reich:
Die Tugend seines Sohns, die Ruhe, die er fand,
Erweckten Wut im Vater, Zorn mit strenger Hand.
Dem General befahl er: „Achtet mit Bedacht,
Dass Friedrich sicher bleibt in Haft bei Tag und Nacht.
Die Tür des Raumes, wo der Prinz in Fesseln ruht,
Sei stets verriegelt fest, verschlossen sei sie gut.
Zwei große Riegel sollen hängen dort bereit,
Die Schlüssel hütet Lepell stets mit Sicherheit.
Um acht Uhr früh wird kurz geöffnet, streng bewacht,
Dann prüft, ob Ordnung herrscht in seiner kalten Nacht.
Ein Diener bringt ihm Wasser, Schüssel, und im Nu
Räumt er den Raum und kehrt zur Sicherheit zurück dazu.
Nicht länger als ein Viertelstündchen währt dies Spiel,
Die Tür wird fest verschlossen, sicher wie das Ziel.
Zur Mittagszeit bringt man das Mahl, doch ebenfalls
Gleich danach schließt die Tür, ein Ende nimmt der Schals.
Um sechs am Abend wird erneut die Tür bewegt,
Das Abendessen kommt herein, der Dienst erlegt.
Doch stets entfernt man Teller, Schüsseln, jedes Stück,
Und schließt die Tür erneut nach kurzem Augenblick.
Dreimal am Tage sei die Öffnung nur erlaubt,
Nicht länger als vier Minuten stets genau beraubt.
Zwei Kapitäne wachen stets bei jedem Schritt,
Kein Wort zum Prinzen! Schweigen ist das höchste Sitt’.
Die Wachen setzt ihr so, wie nötig, ohne Zahl,
Denn ihr allein tragt Schuld im Falle einer Qual.
Der König will, dass keiner mit dem Prinzen spricht,
Kein Neu’s aus Welt und Reich soll dringen ins Gesicht.
Das ist mein harter Wille, folget ihm genau,
Und seid auf eure Köpfe selbst euch sicher blau.“
Doch sahen bald die Wärter, als sie den Befehl
Durchdachten, dass ihm mangelte an Übersicht und Ziel.
„Kein Messer oder Gabel wird ihm wohl erlaubt,
Doch Kerzen? Wie viel Licht wird ihm im Raum beraubt?“
Der König sprach: „Kein Messer, keine Gabel mehr,
Das Brot zerschneid’ er nicht, es bleib ihm harte Wehr.“
Doch Kerzen unerwähnt, er ordnete jedoch,
Dass künftig man sie sparsam tausche in das Loch.
Der Prinz, im Kerker hart, verspürte seine Last,
Er seufzte tief: „Man hat die Fesseln mir verfasst.
Ich möchte wieder Menschen sehen, Worte hör’n,
Ein bisschen Wärme, Trost, um nicht das Herz zu stör’n.“
Doch blieb das Bitten leer, die Antwort blieb ihm aus,
Die Härte war des Königs bitterer Lebensstrauß.
Die Kommissare kamen, prüften seinen Stand,
Und Friedrich gab, ergeben, kund mit klarer Hand:
„Ich lebe hier, wie’s Königswille ist gedacht,
Doch hoffe ich, dass Liebe eines Tages lacht.“
Er bat um seine Bücher, auch die Uniform,
Die Antwort blieb aus Stolz und Härte ungeformt.
Doch treu blieb seine Liebe, wie er auch erlitt:
„Den König liebe ich, so streng auch sein Gebot mir schnitt.“
Der Prinz, gefangen, gönnte sich ein Gespräch,
und fand zugleich den Weg zu schmeicheln, schamlos, fein:
Er bat um jene Uniform, die bis vor kurzem
er „Leichentuch“ genannt in spöttisch-kalten Stürmen.
So hoffte er, den Vater weich zu stimmen, keck,
mit Unterwerfung, ja Verzicht auf Thron und Zweck.
Er wusste, dass der König ihn der Liebe zu
der Königin bezichtigt; also suchte Ruh’,
indem er um Versöhnung bat mit seiner Mutter,
ein „kluger Plan“, erdacht in List und stolzer Gutter.
Doch sprach der König: „Solch ein schlechter Offizier
hat in der Armee, geschweige denn bei mir,
im Regiment nichts mehr zu suchen, nie und nimmer!“
So ließ er ab von ihm, mit Blicken streng und trimmer.
Doch Friedrichs Geist, geplagt von dunkler Regung Flut,
trug finstre Taten aus in Kälte, trotz und Wut.
Es ward bekannt, er liebte Elisabeth Ritter,
die Tochter eines Kantors, sittsam, rein und bitter.
Ein Abendgang mit Ingersleben führte ihn
zu jener Maid, die bald darauf sein Ziel erschien.
Sie spielten Duett, Flöte, Tasten, Herz in Ton,
er schenkte ihr Dukaten und ein Kleid, azurnohn.
Als König Friedrich Wilhelm dieses ward gewahr,
da sandte er zwei Zeugen, kundig, streng und klar:
Die Hebamme und Chirurgin prüften schnell
das Mädchen – unschuldig blieb sie, laut Protokoll.
Doch dennoch folgte Befehl, unbarmherzig klar:
„Die Tochter jenes Kantors wird gefangen gar!
Man peitsche sie aus, erst vorm Ratshaus, vor der Tür
des Vaters, dann im ganzen Ort – ein böses Kür.
Nach Spandau soll sie in die Spinnerei auf Zeit,
zum Werke ewig – solch sei ihres Lebens Kleid!“
Und Friedrichs Freunde wurden allesamt zerstreut,
sein Regiment dem Bruder überlassen, treu.
Der König wütete, dass alles, was den Sohn
berührte, litt, ob Mensch, Besitz, ob Rang, ob Thron.
Die Bücher seines Schatzes, sorgsam einst gewählt,
ließ man versteigern, ohne Herkunft klar erzählt.
Auch sein Lehrer, Duhan, musste schnell entweichen,
verbannt gen Memel, fort von Friedrichs alten Reichen.
Selbst Minister aus der Fremde sahen nun
den König, wahnsinnsnah, in Wut und düstren Tun.
Der holländische Bote Ginckel hörte Flüche,
die düster wie das Grab und böse wie Gerüche.
Die Nacht, gequält von König Wilhelms wüsten Drohen,
voll Schaum und Zorn, ward ihm ein Albtraum, tief verschroben.
Der König sah in allem nur Verrat, Gefahr,
er träumte stets von einem Mordkomplott, so wahr.
So wütete der König fort in blindem Schrecken,
bereit, die Welt mit einem Schritt in Blut zu decken.
Im September wächst der Zorn in ihm mit Macht,
die Nächte quälen ihn, voll Geistergraus entfacht.
Dann scheint er weich zu werden, fast ein sanfter Hauch,
doch ärgert ihn, was man ihm zeigt: Verdacht als Brauch.
Im Oktober dann, beim Rauch in nächt’ger Ruh’,
schmäht grob er seinen Sohn – kein Wort bleibt still dazu.
Ginckel spricht: „Ein Jüngling war er, Majestät,
doch bleibt er Euer Blut, vom Schicksal her geweht.“
„Mein Blut!“, der König schreit und zeigt, wild vor Verdruss,
auf seinen Arm, als ob er es entnehmen muss.
„Entartet ist mein Kind!“, so schreibt er, voll von Pein,
dem Prinzen Anhalt zu: „Gott schütze Herz und Bein
von jedem Menschen, rein und ehrlich in der Welt.
Ich habe alles getan, mit Gnade wie mit Geld,
doch nichts hat je gefruchtet: Warnung, Güte, Straf‘.
Das Kind bleibt ohne Besserung, ein schwarzes Schaf.“
Von Gnade spricht er zwar, doch scheint sie uns ein Trug;
sein Zorn, sein Schlag, sein Fluch, die nehmen nie Genug.
Er, der sich selbst im Schmerz als reinen Richter sieht,
vergisst, dass Zärtlichkeit nicht in den Schlägen liegt.
Er denkt an all sein Werk, an Armee, Schatz und Pflicht,
vergleicht dies mit dem Sohn: ein Flöten-Spielgesicht!
Der junge Narr, in Büchern, Mädchen tief versenkt,
für den er all dies schuf – wie bitter er dran denkt.
Das Land, das er bereitet, sieht er wie Moses schon,
den Berg hinaufgestiegen, fern das karge Lohn.
Ein König soll es führen, jung, ein anderer Geist;
doch dass der Sohn ihm fremd ist, wird er nie verzeih’n.
Er glaubt sich streng gerecht vor Gottes hohem Sitz,
doch sieht nicht, dass der Sohn ein Wesen ist, ein Blitz,
der anders lebt, als er in seiner Enge will;
er neidet seinen Witz und hasst den schlauen Stil.
Der Sohn, ein schlauer Dieb, wie der Monarch ihn nennt,
erregt den Zorn, weil er den Vater klar erkennt.
Ein Rivale scheint er, mächtig, jung und frei,
was wird er wagen, wenn das Band erst einmal sei?
Mit Frankreich, England, innen und nach außen hin,
fürchtet er Verrat in jedem stummen Sinn.
Berater wie Grumbkow schüren seinen düstern Groll,
doch planen sie, fürs Blut nicht wahrhaft eine Roll’.
Die Klugheit dieser Männer sieht das Ziel wohl weit,
sie ahnen, dass der Prinz dem Tode nicht geweiht.
Schon heute denken sie an ihre nächste Macht,
die Gnade, die sie zeigen, wenn der Sturm erwacht.
Grumbkow, der sich verkauft an Österreichs Gewicht,
vermeidet klug den Weg, der in die Falle spricht.
Und Seckendorf, der Zwietracht leise spinnend webt,
beschwichtigt den Monarchen, wo er Zweifel hegt.
Der König, tief im Zorn, denkt oft an Mord und Tat,
doch schreckt er vor dem Schritt, den man nicht wagen mag.
Don Carlos’ Geist, Alexis’, flüstern ihm bei Nacht,
doch treibt ihn nicht so weit, wie and’re Macht gemacht.
Der Ruf Europas mahnt ihn zu besonn’nem Tun,
denn was die Welt schon sagt, lässt ihm den Stolz nicht ruh’n.
Sein Sohn und dessen Kreis, so klagt er laut und wild,
verleumden ihn als Tyrann, der Welt ein trübes Bild.
In ganz Europa hört man nur vom preußischen Thron,
Wie grausam ist der König, wie hart ist sein Ton.
Die Staaten Schweden und Sachsen erheben nun Stimme,
Mit Briefen der Fürbitte und sanftem Bestimmen.
Der König von Schweden fleht Friedrich Wilhelm an,
Er möge, als Vater und König voran,
Sein Herz nicht verschließen, dem väterlichen Sinn,
Und hören auf Güte, die tief in ihm drin.
„Die Familie, die Völker, Europa insgesamt,
Die Protestanten bitten, die Gnade sei bekränzt.
Ihr Urteil, o Herr, wird von Güte geleitet,
Und Trost für die Religion somit vorbereitet.“
Von London berichtet der Degenfeld sogleich:
Das ganze Gericht ist bestürzt ob dem Reich.
„Protestanten sind bang, tief bewegt und verwirrt,
Von des Königs Erbarmen jedoch Hoffnung gespürt.“
Doch Friedrich Wilhelm bleibt starr und empört,
Des schwedischen Ministers Brief ihn kaum rührt.
Ein Monat vergeht, ehe jener sich traut,
Den Brief zu senden, vom König misstraut.
Am Rand des Schreibens ein Wort nur geschrieben:
„Reponatur“, sei’s für die Akten geblieben.
Ginckel jedoch wagt vor Gericht zu erscheinen,
Doch Friedrich entgegnet, mit Zorn im Gebeine:
„Ganz Europa sieht mich als einen Tyrann,
Der Gefangene selbst trug dies Gerücht in den Bann.“
Er lässt nicht zu, dass sich Fremde einmischen,
In seine Belange, trotz Bitten und Wünschen.
Doch innerlich zögert der König im Streit,
Ein Manifest plant er, zur Klarheit bereit.
Denn selbst im Hause steht er nicht allein,
Er ist Kurfürst des Reiches, nicht König allein.
Sein Sohn, ein Erbe des Reiches zugleich,
Brandenburgs Zukunft, Preußens Reichsbereich.
Das Kaiserhaus handelt jedoch nur bedacht,
Im Oktober erst wird die Frage gemacht:
„Soll sich der Kaiser dazwischen begeben?“
Doch Friedrich Wilhelm bleibt standhaft daneben.
Die Sorgen der Völker, des Kaisers Gewicht,
Sind spürbar für ihn, doch entscheidet er nicht.
Gewissensskrupel hemmen den Königsplan,
Die Taten zu krass, die Worte zornig getan.
Er droht wohl mit Tod, doch der Schritt ihm zu schwer,
Den Sohn zu ermorden – dies wagte er nie mehr.
Ein Prozess vor Gericht, doch vor welchem nur?
Das Reichsgericht bringt der Sache keine Spur.
Ein preußisches Urteil? Ein Todesbann?
Solch Urteil erwartet der König sodann.
Stattdessen entzieht er dem Sohn das Erbe,
Der Titel verblasst, den Friedrich einst werbe.
Er nennt ihn nur „Sohn“, nicht „Kronprinz“ genannt,
Das Regiment wird dem Bruder zuhand.
Doch Friedrich bot selbst, auf Rechte zu verzichten,
Warum wollte Wilhelm dies dennoch vernichten?
Er misstraut dem Sohn, fürchtet Unruhe im Land,
Dass der Staat nach dem Tode im Zwiespalt stand.
Auch das Reich müsste solch Urteil verkünden,
Ein langer Prozess in Europas Gründen.
Was bliebe am Ende, als Urteil gefällt?
Nicht Friedrich, der König, wär angezählt.
Am Ende erkennt er: Den Tod kann’s nicht geben,
Die Lösung ist fern, was bleibt für das Leben?
Doch handeln muss er, der Schritt ist zu tun,
Im Zwiespalt gefangen, kann er nicht ruh’n.
Vom ersten Tag an rief Frédéric-Guillaume aus,
Dass Desertion die Schmach des Sohnes sei im Haus.
Der Oberst Frédéric, er wollte fliehen, entweichen,
Der Kriegsrat sollte dann ein Urteil ihm erreichen.
Der König sprach davon, als Friedrich bat in Reu’,
In Cüstrin um die Hostie, um heilige Zerstreu’.
Am einundzwanzigsten September war der Befehl,
Den Deserteur zu richten, das war das Königsziel.
Ein Monat ging vorbei, da war der Rat bestellt,
Von Schulenbourg, ein General, ihm die Führung fällt.
Die Mitschuld’gen des Prinzen wurden hingestellt:
Keith, der wirklich floh, und Katte, dessen Tat erzählt,
Wie er die Flucht begünstigt, bis zur letzten Stunde,
Spaen, der Leipzigs Wege für den Prinzen kunde,
Ingersleben, der den Plan des Prinzen schon gekannt,
Als er Katte nachts in Potsdam mit dem Prinzen fand.
Auch von einer Liebe war berichtet wohl die Kunde,
Die Tochter eines Kantors traf der Prinz zur Stunde.
Der Kriegsrat, zusammengesetzt aus Offizieren,
Sollte in Köpenick die Fälle eruieren.
Was mochte wohl der König von dem Kriegsrat wähnen?
Ein Urteil über seinen Sohn in strengen Plänen?
Bei den Untersuchungen zeigte sich als bald,
Der Vorwurf schwand und löste sich in Nichts schon kalt.
Kein Eheversprechen mit Amélie ward gefunden,
Auch keine Minister, die Intrigen je verbunden.
Beziehungen zum Ausland schienen unscheinbar:
Ein Asylbegehren, das in England abgewahr’.
Selbst der König schrieb an Anhalt unumwunden:
„England wusste alles, hat die Flucht nicht unterstützt!“
Der Prinz gestand: nach Frankreich wäre er gezogen,
Von Katte auf den Weg nach Elsass gar gewogen.
Doch von Verrat und heimlich-plötzlichen Komplotten,
Ward nichts bewiesen; Fluchtgedanken blieben trocken.
Die Anklage beschränkte sich auf Desertion,
Die Flucht aus Angst und Qual, der Vater war sein Hohn.
„Der kleine Schlingel“, sprach der König voller Wut,
„Beharrlich weicht er jedem Schuldspruch, hat den Mut.
Er tut, als sei’s ein kindisch kleines Abenteuer,
Doch ich verspreche: Flucht wird nicht die neue Steuer!“
Und so schwankte er in seinem eig’nen Rechtgefühl,
Bisweilen war der Galgen seine letzte Müh’.
Im nächsten Augenblick war alles mild vergessen,
Ein Plan, ein Witz, ein Streich, den Jugendwahn besessen.
Der König ließ sich stützen durch Bericht und Zitat,
Der Auditor Mylius schrieb des Prozesses Rat.
Der König selbst korrigierte, ließ ihn vor sich lesen,
Den Titel „Hoheit“ strich er, wo er war gewesen.
Man solle fest betonen, dass der Herrscher recht,
Dass sein Gebot dem Sohne galt, nicht ungerecht.
Er fürchtet, dass die Menge sonst den Prinzen huldigt
Und seiner Strenge nicht in vollem Maße gültigt.
„Man soll erkennen“, sprach der König, „meine Sicht,
Dass ich den Sohn nicht straft aus Willkür oder Pflicht.
Dass nichts ihm mangelte, doch alles Übermaß,
Was über seine Not hinausging, blieb ein Fraß.“
So schien die Angst vor Urteil ihn doch zu bewegen,
Die Gnade seiner Strenge neu in Schwur zu legen.
Doch die, die ihn beobachteten, waren einig,
Der König schwankte selbst, sein Wille wirkte peinig.
Weder glaubte er an Tod des Sohnes, noch an Thron,
Er wollte sich befrieden mit des Schicksals Lohn.
DRITTER GESANG
Zwei Tage lang, vom fünfundzwanzigsten an,
Ward eine Akte, die man lesen kann,
Dem Kriegsrat vorgelegt. Am dritten Tage dann,
Berieten Majors, Kapitäne und Mann für Mann,
Die Obersten, Generalmajore, getrennt im Rat,
Und sprachen ihr Urteil, wie's Recht gebietet tat.
Sir Keith, der Feigling, hat sein Banner aufgegeben,
Hat Schande geerntet und kein Ehrvergeben.
Man rief ihn dreimal auf, erschien er nicht,
Dann brach man sein Schwert, und mit grimmigem Gericht
Ward Bildnis von ihm an den Galgen gehängt,
Ein Mahnmal, das Furcht in die Herzen drängt.
Doch Ingersleben und Spaen, sie stritten sich sehr,
Ob das Maß des Urteils zu milde oder schwer.
Sie schlossen dann dennoch mit einem Satz sich an,
Der milde war, wo Strenge noch schaden kann.
Zu Leutnant Katte, so der Befund sodann:
Da er Vorschläge machte, was niemand vergaß,
Und Postrouten bot, die der Flucht zum Maß,
Ja, sich gar bot an, als Postillion zu gehen,
In Mantel von Grau mit Zopf, silbern zu sehen;
Da er zugab selbst, dem Prinzen treu zu sein,
Und ihm folgen würde ins Exil, allein.
Er Rochow belog, da Wahrheit Pflicht gewesen,
Und Pläne verschweigt’, die zu ihm hingewesen;
Doch blieb es bei Worten, die Tat ward nicht vollbracht,
Weshalb man ihm nicht gibt die höchste Strafgewalt.
Denn es ward erkannt: Der Plan, er war nicht reif,
Und niemals zum Ziel führt solch' falscher Haufen Greif'.
Man sprach ihn daher schuldig, doch nur so weit,
Dass Festungshaft sei sein Schicksalskleid.
Die Majore führten die Schuld in Listen auf,
Zählten alles aus, was geschehen war zuhauf:
Das Gold für die Flucht, die Entwürfe und mehr,
Und Briefe des Prinzen, so schwer belastet sehr.
Sie nannten Desertion, wo Kapitäne schwiegen,
Und Intrigen mit Diplomaten, die verlogen sich wiegen.
Die Misshandlung des Prinzen durch königliche Hand,
Führte an, als Vorwurf, so hart wie ein Band.
Doch sprechen sie letztlich das Urteil voll Wucht:
Durch Schwert soll er sterben, er hab's sich gesucht.
Oberstleutnants, schwer von Pflicht und Gedankenkraft,
Sprachen gleich, dass Katte sein Leben durch das Schwert erschafft,
Doch baten sie milde, da der Plan nicht gereift,
Und der Prinz bereut, dass sein Herz sich verneigt.
Sie flehen den König, in Gnade zu sehen,
Das Todesurteil in Haft umzudrehen.
Die Obersten, hart, doch mit Nachsicht gemischt,
Erkannten, dass Jugend den Fehler erlischt.
Auch baten sie Majestät, das Schwert zu verschonen,
Dem ewigen Kerker sei Schuld zu belohnen.
Die Generäle jedoch, tief erwogen die Sache,
Entschieden, dass Katte nur Haft ertrage.
Der Prinz hingegen, so schlossen sie bald,
Sei schon genug durch Arrest und Gewalt.
Ungehorsam zum Vater, das höchste Vergehen,
Liegt zwischen dem König und Sohn, zu verstehen.
Da er kniet und dem Willen des Vaters sich beugt,
Sich unterwirft und Gnade nur zeugt,
Können sie nicht urteilen über des Königs Blut,
Denn Vasallen zu richten, fehlt ihnen der Mut.
Die Oberste fragten Katte an und klagten ihn an,
Der Majors Selbstgefälligkeit war für ihn Bann.
Ohne ihr Werk wär’ alles nur Diskurs geblieben,
Die Schuld an Worten, nicht in Taten aufgeschrieben.
Doch dem Prinzen boten sie den feinen Unterschied:
Nicht Tat noch Absicht gab, was Kattes Schicksal sieht.
Die Richter war’n sich einig, dies sei nicht ihr Gericht,
Die Macht des Vaters spräche hier das letzte Licht.
Der Fürst hat selbst mit Reu’ und Treue sich bedacht,
So gilt es, dass die väterliche Macht ihn überwacht.
Ein Urteil nähm’ der Krone ihre Autorität,
Denn keine Pflicht erlaubt, dass Untertanen spät
Den Sohn des Königs richten – ungültig wär’ solch Wort,
Die Strafe bleibt allein dem König anvertraut als Hort.
Die Oberstleutnants trugen ihre Klagen wohl dar,
Doch sprachen sie von Schuld durch Berater, die da war’n.
Der Prinz, so sagten sie, bereu’ und schwöre klar,
Dass seine Pflicht gestärkt durch Reu’ ihm besser war.
Kein Recht, kein Brauch, kein altes Gesetz ward je bedacht,
Das solch ein Fall umfängt und Gnade klar entfacht.
So taten sie, was Pflicht und Eid von ihnen wollt’:
Dem König ließen sie den Prinzen, gut und hold.
Die Obersten, durch Wissenschaft und Pflicht vereint,
Erklären, dass sie selbst, vor Gottes Blick vereint,
Nicht fähig sind, zu richten über Hoheit groß,
Sie sagen ab, und Demut zeichnet ihren Schoß.
Die Sache, sagen sie, sei nur des Vaters Pflicht,
Kein Laienrat noch Kriegsgericht durchdringt dies Licht.
Die Reue, die der Prinz dem Vater hat gezeigt,
Verlangt allein, dass Gnade seiner Majestät erreicht.
Die Generäle prüften Taten, Schuld und Reu’,
Der Prinz, so sahen sie, ward tief vom Gram entzwei.
Sein Flehen um Verzeihung, tief und laut gerufen,
Erkannte klar die Macht, die Strafe zu berufen.
Die Stimmen, die erhoben wurden, unterschiedlich laut,
Für Keith der Tod, für Katte letzt ein Schicksalsgraut.
Der Präsident, mit Macht in seinen Händen schwer,
Entschied das Urteil, streng und doch gerecht und mehr.
Für Keith, den Tod, für Katte Lebenshaft allein,
So urteilte das Wort, das Recht und Pflicht mag sein.
Die Unterschiede klar: Tat war nicht Plan allein,
So trennte er gerecht das Wollen von dem Schein.
Ein Richter, tief im Eid, ließ Vorsicht walten hier,
Denn Schuld in Vorbereitung wiegt anders als Begier.
Die lebenslange Haft für Katte war sein Wort,
Der Prinz jedoch fiel seinem Vater an den Ort.
So endete der Rat in einem Urteil groß,
Die Macht des Königs blieb der Krone heilger Schoß.
Kein Vasall, kein Soldat, kein Richter konnt’ entweih’n,
Was göttlich dem Monarchen ward als Recht allein.
Das Urteil ward gefällt, in festem, schwerem Sinn,
Von klugen Männern, die bedacht auf Wahrheit hin.
Doch lastete auf ihnen Schrecken, Angst und Qual,
Die weit verbreitet waren – Armee, Hof, überall.
Der König selbst war obskur, sein Wille streng verhüllt,
Und ihre Pflicht, gerecht zu sein, blieb ungestillt.
Der Vater, Herr des Landes, stand vor ihrem Blick,
Des Sohnes Schuld zu richten schien ein schwer Geschick.
Den Sohn zu schonen hieß, den Vater zu entehren,
Doch ihn zu strafen – eine Last, die kaum zu klären.
Zu deutlich war der Grund, warum der Prinz entfloh:
Geschlagen, tief gekränkt, von väterlichem Joch.
Ein Kronprinz war er, nicht nur Offizier im Dienst,
Und diese Rolle überstrahlt, was du beginnst.
Der Rat war überfordert, durfte nicht entzweien,
Was Vaterland und Krone fest zusammenleihen.
In solchen Fällen bleibt, wie stets in alten Zeiten,
Dem Adel Recht, das selbst die strenge Norm muss leiten.
Ein Prinz, besonders Königserbe, bleibt geweiht,
Selbst Unrecht wird in milder Form nur dargeweiht.
Und Preußen, kaum erstanden, fühlte sich zu klein,
Dem Prinzen streng zu richten – das durfte nicht sein.
So schickt der Kriegsrat ihn, mit klugem Wort und Rat,
Zurück zum Vaterhaus, in Majestätens Gnad'.
Die Richter wogen Worte, jedes sanft und mild,
Den Vorwurf abzuschwächen – so ward er gestillt.
Nicht Flucht, nicht Hochverrat, nur Ungehorsam sei
Das Wort, das man gewählt, vorsichtig und dabei.
Sie gaben dem verlor'nen Sohn die Würde wieder,
Den Titel seiner Hoheit sangen sie wie Lieder.
Der König mochte strafen, doch im stillen Sinn
Ward Ehre ihm gewährt, die Gnade kam darin.
Doch Katte, der Gefährte, war dem Tod geweiht,
Ein Opfer, das die Strenge fordert in der Zeit.
Ein Offizier, der Treue brach aus Fürstentum,
Ward schuldig an der Ordnung, stürzte ins Verblum'.
Er stärkte jenen Plan, den Fluchtgedanken klar,
Und Ehrgeiz mischte sich in Ritterpflicht, ganz nah.
Der König wollte strafen, grausam, unerbittlich,
Der Rat hingegen zögerte, doch blieb er sittlich.
Denn jugendlicher Leichtsinn, Freundschaft innig warm,
Lässt mildere Betrachtung gelten mit Erbarm'.
Doch dennoch fiel die Wahl, die Richter wussten wohl,
Ein hartes Schicksal schließt oft ab, was Gnade soll.
VIERTER GESANG
Nach Erhalt des Urteils schrieb der König diese Notiz,
in der zwei Worte kaum zu entziffern sind mit Rot:
„Man urteilt nach dem Recht, nicht aus Gefühl und Wanken;
wie Katte, so muss neu der Kriegsrat alles andenken
und—anders urteilen.“ Was fehlt, bleibt ungewiss,
doch deutlich schwingt darin des Herrschers Missgewiss.
Bald darauf fügte er noch härtere Töne an,
die Richter seien falsch, nicht ehrenhafter Mann.
„Ich wähnte, dass Gewissen über ihrem Tun,
nicht Eitelkeit, noch Angst vor einer Zukunft ruhn.
Doch schaut, sie neigen sich dem Licht, das stärker scheint,
und haben, was ich hielt, als Treue mir verneint.
Das Urteil gegen mich? Verrat, in vollem Maße!
Denn diese Richter planen schon die nächste Phase.
Ich kenne nun ihr Herz, es schlägt in Feigheit schwach,
und wer den Thron verrät, wird nicht verschont vom Schlag.
Sie wollten all dies Spiel, des Prinzen Flucht und List,
als kindisch darstellen, das nicht härtere Strafen misst.
Doch lasst mich klar verkünden: Solch Nachsicht kränkt mich schwer,
denn Unrecht bleibt bestehen, wenn das Gericht verwehrt!“
Die Notiz wurde an den General sodann versandt,
der Bibelstellen schrieb mit eig’ner, frommer Hand:
„Zitiert: Deuteronomium, Kapitel Achtzehn,
dazu Chronik und Samuel.“ Was lehrt uns dies Gesehn?
Im Buch Samuel spricht die Schrift die Worte klar:
Der Königssohn, Absalom, hängt hoch und offenbar.
Doch warnt ein Mann und ruft: „Des Königs heil’ger Spruch
gebietet: Keine Hand erhebe wider seinen Fluch.“
Chronik wiederum spricht deutlich zu den Richtern:
„Nicht eines Menschen Wille soll das Urteil richten.
In Gottes Namen urteilt, frei von Ehr und Lohn,
und wahrt die Furcht des Herrn, gerecht, in Gottes Thron.“
Deuteronomium preist das Fest, die reine Pflicht,
das Brot ungesäuert, der Herr gebietet: Bricht
der Mensch das heilige Werk, so falle er zurück,
denn Ehrfurcht ist der Glauben und Gottes wahres Glück.
Die Richter, an das Wort gebunden, blieben stand:
„Das Urteil ruht im Recht und nicht des Königs Hand.
Kein Mensch, nicht Herrscher selbst, hat über uns Gewalt,
denn Gottes Wille gilt—wir urteilen hier alsbald.“
So kam der Rat erneut zusammen, ein Beschluss:
„Das Urteil bleibt besteh’n, so wie es bleiben muss.
Des Königs Willen trotzen wir im reinen Recht,
denn ändern wir es doch, so bleibt das Herz uns schlecht.“
So sprach der König selbst und sprach mit ernstem Sinn,
Dass er das Urteil billigt, wie es auferlegt ist ihm.
Er lobte, dass die Strafe der Leutnants wohlgetan,
Vergab dem einen gänzlich, sah die Haft mit Milde an.
„Doch Katte“, sprach der König, „dieser Mann, der war,
Kein Offizier allein, er war der Garde wahr.
Und wenn die Treue Pflicht ist in des Heeres Bann,
So trifft dies umso mehr auf diese Reihen dann.
Denn wer die Nähe trägt zur königlichen Macht,
Dem ist gehorsam Treu' vor allem auferdacht.
Und Katte, der mit Morgen die Flucht gewagt,
Hat gar mit fremden Herren sein Komplott geplant.
Ich sehe keinen Grund, den Rat, der ihn verschont,
Für klug zu halten, Katte sei der Tod gebohnt.
Denn wenn ich jetzt verzeihe, glaubt ein jeder Knecht,
Die Treue sei ein Spiel und Strafe werde leicht.
So sei’s, dass Katte, obgleich mild das Urteil klingt,
Durch Schwert vom Leben fort in rascher Strafe sinkt.
Der Rat soll’s ihm verkünden, dass es mir missfällt,
Doch besser stirbt er, als dass die Ordnung fällt.“
Ein grausam Wort, das richtend durch die Stille drang,
In kalter Härte, schneidend, und das Herz verschlang.
Doch auch der König selbst, ein Richter über Schuld,
War nicht der Strafe ledig, Schuld verlangt Geduld.
Der Prinz, der einst geirrt, trug Katte mit hinein,
Was Schuld war an dem Sohne, war an Katte pein.
Vergeben hätt' die Gnade, was die Sünde war,
Doch jener Mildergrund erschien ihm schwer und klar.
Denn was den Katte trieb, war auch des Prinzen Wort,
Das machte Kattes Schuld in seinen Augen fort.
Nicht nur als Richter sprach er, sondern als ein Mann,
Von Eifersucht getrieben, die ihn fesseln kann.
FÜNFTER GESANG
Am zweiten Tag November vor den Kriegsrat trat,
Der Katte, der im Innern noch gezögert hat.
Er schwankte lang in Furcht und Hoffnung, bang und kalt,
Bis ihm das Urteil fiel, das seines Lebens Halt.
Mit festem Angesicht ertrug er, was geschah,
„Ich füge mich“, so sprach er, „was der König sah.
Ich weiß, dass meine Taten ohne Böses war’n,
Doch sterbe ich, so wird es einem Guten nah’n.“
Er schrieb noch an den Großvater, von Hoffnung bang,
Dass er sich vor den König stell', ihm Leben lang.
Doch Katte’s Vater schrieb, voll Schwere und Verdruss:
„Mein Sohn ist ein Verbrecher, deiner ebenso.“
Mit letzter Kraft der Jugend sprach Katte noch in Not,
Um Gnade flehend, Liebe, doch die Antwort: Tod.
Er rief zu Gott, dem König, bat mit Demut schwer,
Dass Güte, die vergibt, doch sei des Lebens Wehr.
Er wies auf Davids Reue, sprach von Sauls Gestalt,
Die Sünder, die bereuten, wurden nicht mehr kalt.
Doch all sein Flehen, Ringen, schwand im königlichen Recht,
Das Schwert, es nahm ihn hin, und sprach: „Die Ordnung bleibt gerecht.“
Der Brief ist tief bewegt, ergreifend, voller Glanz:
„Man schont den welken Baum, steht Hoffnung doch im Kranz,
dass einst, wenn er erblüht, die Macht ergreift erneut.
Warum soll mein Baum nicht, der Knospen sprießen beut,
vor Eurer Majestät in Gnade sich erheben?
Warum muss er verblüh'n, der treu sich will ergeben?"
So fleht Alvensleben, verzweifelt, um den Thron,
und fügt hinzu sein Wort, das fleht um Erbarmen schon.
Er bittet, dass sein Herr, von Milde stets bewegt,
auf Tränen, auf Gebet von einem Greis sich legt.
Er selbst sei strafbereit, er nehme jede Last,
doch möge doch der Enkel behalten seine Rast.
Er fleht nur um das Leben des armen, jungen Manns,
damit er seine Schuld bekenne und des Lebens Glanz,
vom Herzen tief bereuend, dann sich selbst errette.
„Der allmächt’ge Gott", so sprach er, „wohl vergönnt die Wette:
Was Majestät gewährt aus seiner höchsten Gnade,
kehrt reich zu ihr zurück im göttlichen Gestade.“
Er spricht von Opfern viel, die er dem Reich gebracht,
und Treue, die er stets dem König hat entfacht.
Die Dienste seines Sohns, das Blut in vielen Schlachten,
erinnern ihn daran, um Milde zu betrachten.
Er fleht zuletzt: „Ich hoffe, Majestät verwehrt
die Handvoll Blut nicht mehr, die doch dem Staub gehört.
Dass ich mit grauem Haupt nicht solches Leid erfahre,
wenn ich hinab ins Grab mit mir die tiefe Klage.“
Der König sprach: „Es ist, mein Herz ist tief betroffen,
vom Unglück, das Katte, der Feldmarschall, getroffen.
Doch, ach, ich kann nicht anders: Das Urteil sprach der Geist,
mein Herz darf nicht vergeben, was Recht und Zucht vereist.
Wer sich zu Fürsprache erhebt, der sei gewarnt:
Es braucht dafür allein mein Wort, mein Ruf ermahnt.
Die Gnade, die ich gab, war mehr als wohlgetan:
Der Mann verdient den Tod durch glühend’ Zangen Wahn.
Doch milderte ich es, in Anseh’n seines Stamms,
so sei ihm nur das Haupt genommen als ein Mahns.
Ihr treuer König bin ich, nichts mehr bleibt zurück.“
Am dritten Tag des Novembers ließ der König geschickt,
dass Katte nach Cüstrin gebracht und recht verhandelt werde.
„Die Hinrichtung geschehe vor des Prinzen Erde.
Und wenn der Platz nicht reicht, so wählet einen Ort,
an dem der Prinz gut sieht das Ende und den Mord.“
Ein Major Schack erschien, geführt von Gendarmen,
vor Kattes dunklem Raum, mit dreißig Mann als Armen.
Er trat hinein und sprach: „Befehl ist mir gegeben,
bei Eurer Hinrichtung zu sein, Euch zu umschweben.
Doch, ach, ich wünschte wohl, das Ende würd’ erlassen,
dass ich verkünde Gnad’, anstatt Euch zu umfassen.
Gott weiß, was es mich kostet, dass ich hier erscheinen.“
Doch Katte sprach: „O Herr, Ihr solltet nicht so weinen!
Ich bin zufrieden, ja, ich sterbe für den Herrn,
den ich in Liebe trag’, für den ich mich verzehr’.
Im Wagen, der ihn trug, saß Kattes stiller Geist,
und neben ihm der Schack, der Priester, der sich neigt.
Der Kaplan sang ein Lied, ein Hymnus voller Klang:
„Weit weg aus meinem Herzen der Gedanken Zwang!“
Beim Nachtquartier gestattete man Katte’s Ruh’,
er schrieb in großer Pein – doch fand er Anfang nie.
„Zu schwer“, so sprach er, „ist’s, das Blatt nun zu bestreichen,
mein Herz ist allzu wirr, mein Sinn will nicht erreichen.“
Doch schrieb er endlich fort, ein Brief von inn’ger Ehr,
er dachte an den Vater, wie sehr er ihn begehrt:
„Wie oft hast du, mein Vater, mich treu und reich bedacht,
in Hoffnung auf mein Glück, auf alles, was ich macht’.
Doch ach, wie schnell vergingen die Träume, die ich trug,
wie schnell verwelkten sie, wie wenig war mein Fug.
Was ist des Menschen Denken, des Ehrgeizes Gebot?
Vergebens ist der Schein, ein Nichts am Ende droht.
Gott wählt den Weg für mich, so hart er auch mag sein,
er führt mich durch den Tod in das erhellte Heim.
O Vater, sei getröstet, Gott lenkt den düstren Pfad,
und gibt dir andre Söhne, die treu und voller Tat.
Er segne deinen Geist und leite dich in Glück,
mit jedem Schritt des Lebens, bis in das Grab zurück.“
Er sprach von Vaterfrau, der Stiefmutter treu,
Die wie die eigne Mutter stets geliebt er neu;
Auch seinen Brüdern galt sein Wort, den Schwestern gleich,
Doch sprach er, wie sein Herz, so offen, nicht ganz weich:
"Vor Todestoren steh’ ich, muss mich selbst befrein,
Die Seele heilig, rein – das Ziel soll meine sein!
Ich hab’ nicht Zeit zu säumen, nur die Pflicht im Blick!"
Sein Brief, den er verfasst, schien ihm nicht gut geglückt,
Drum wollt’ er ihn erneut in schöner Schrift vollenden,
Doch mahnte ihn der Pastor: „Die Zeit wird sich nicht wenden.“
Er speiste, sprach sodann von Gott und dessen Rat,
Erhöht in frommer Andacht, die ihn erben bat:
So freudig schritt er fort, dem Schafott nun entgegen,
Als sei des Lebens Lust im Tod allein gelegen.
Er wähle, dürft’ er frei, den Tod, so rein, so klar,
Denn nie zuvor erschien ihm Ewigkeit so wahr.
Um zehn Uhr schlief er sanft, des Schlafes Netz gefangen,
Im nächsten Morgen neu, zur Straße aufverlangen.
Dort sprach er kühn und frei: „Ich war ein Atheist!“
Erklärend, dass dies bloß in hitz’gen Reden hieß,
Zum Glanz des Geistes sprach er jene Thesen gern,
Als reizend schien der Witz im Kreis der Klugen fern.
Doch schritt der Zug so langsam, voller Zögern hin,
Als wär’ ein Weg zum Tod ein ewig langer Sinn.
Am Abend, ruhig, trank er froh sein Lieblingsgut,
Ein Kaffee gab ihm Trost, die Nacht füllte mit Mut.
Im Morgenlicht, November fünfter Tag vollbracht,
Sah man die Festung nah, die Oder lag erwacht.
Ein Sonnenstrahl brach durch des Regens graues Band,
„Ein Zeichen ist dies gut!“ so sprach er frohgespannt.
Ob göttlich nur gemeint, blieb ungewiss im Sinn,
Doch naht’ der Oberst schon, der ihn in Haft nun nahm hin.
Im Raum, zwei Betten dort, der Pastor ihm zur Seit’,
Die Botschaft kam sodann: Der Tod sei früh bereit.
„Wann kommt mein Ende?“ sprach er, ruhig, still im Raum,
„Am Morgen, früh bei Sieben,“ ward ihm Antwort kaum.
„Umso besser!“ rief er, „je früher ich darf geh’n,
Desto freier, glücklicher wird meine Seele steh’n.“
Mit Speis’ und Trank versorgt, vom Wohlwollen gesandt,
Verbracht er seine Nacht, mit Mut und Geist verband.
Er sang, er betete mit Freunden Hand in Hand,
Die Stunde nahte schon, sein Herz blieb unverwandt.
Im letzten Abend schrieb er wohl dem Prinzen Wort,
Die Schuld, die eig’ne nur, nahm er auf sich hinfort.
Den König bitt’ er auch, im Gehorsam zu verweilen,
Der göttlich Gnade treu, kein Zorn solle verweilen.
Durch Christi Wunden flehte er für wahre Ruh’,
Der Prinz solle erkennen, was Gott ihn führt dazu.
Von Eitelkeit des Plans, des Stolzes tiefer Fall,
Sein Los ein Mahnmal blieb für ewig Leben all.
Doch schien ein Funken Hoffnung in des Schreibens Hand,
Ob der König, dessen Herz durch diese Worte stand,
Die Strafe je gemindert, ihn begnadigt hätt’?
Doch nichts geschah, sein Weg war längst durch Recht gegräbt.
Mit jedem Glockenschlag der Morgen näher trat,
Um drei Uhr ruhte er, durch Pastor Wort geweiht.
Der letzte Schlaf des Lebens brach bei fünf Uhr Bahn,
Der Wachmann löst’ ihn auf, des Schicksals Uhr verrann.
„O Schwester, höret bald, was ich Euch will berichten,
Ein Kriegsrat tagt, man wird mich bald zum Ketzer richten.
Denn wer nicht stets des Meisters Sinne treu erwägt,
Wird leicht in dieses dunkle Urteil eingehegt.
Ihr könnt Euch denken, wie’s um meine Lage steht,
Doch wenig kümmert mich das Urteil, das man sät.
Solang ich weiß, dass Ihr, mein Licht, mich nicht verlasst,
Ist jede Anathema, die folgt, mir nur zur Last.
Was für ein Glück, dass Tor und Riegel mich nicht stören,
Euch meine Freundschaft, rein und ehrlich, zu beschwören.
Ja, teure Schwester, selbst in Zeiten voller Not
Gibt’s edle Seelen, die mir reichen Rat und Brot.
So kann ich Euch beweisen, wie treu ich Euch verbleibe,
Und Hoffnung hegen, dass mein Werk Euch auch erfreue.
Das Glück zu wissen, dass Ihr froh und glücklich seid,
Macht selbst Gefängnis mir zu einer Zuflucht weit.
"Chi ha tempo ha vita!" – Dies sei unser Trostgewand,
Mag uns Geduld als sanfter Halt zur Seite stand.
Wie wünschte ich von Herzen, kein Dolmetscher sei nötig,
Und Tage kehrten wieder, einst hell und so vergnötig.
Wenn Euer Herz mit meinem einsam sich verwebt,
Und meine Treu’ zu Euch stets unerschüttert lebt.
Lebt wohl, ich sende dies mit tiefer Freundschaftsband,
Die weder Raum noch Zeit jemals zertrennen kann.“
SECHSTER GESANG
Wer Zeit hat, hat das Leben – so sprach der Spruch, gewandt,
Geduld war Friedrichs Kunst, das wirkte ihn bekannt.
Er wahrte seinen Witz, ein edles, scharfes Spiel,
Ein Lächeln, das charmant, doch eisig unser Ziel.
Die Worte des Colonels, des Captains harte Last,
Weckten ihn aus dem Schlaf – der Ernst bricht seine Rast.
„Herr Jesus“, rief er laut, „nimm lieber mich dahin!“
Er stöhnte, weinte, rang: Der Schmerz schien endlos hin.
Zum Katte sandte er, erbat Verzeihung flehend,
Ein Aufschub der Entscheidung, doch nichts war mehr befehlend.
Ein Eilkurier nach Wüsterhaus, zum König hin,
Er bat, das Leben Kattes für seine Kron’ als Sinn.
Gefängnis lebenslang bot er mit voller Treue,
Doch keine Gnade kam durch königliche Weihe.
Katte empfing zuvor die letzte Eucharistie,
Sein Herz war ruhig nun, trotz aller Sympathie.
Er sprach zu Schack zuletzt, den Major wohl bedenkend,
Die Kleidung übergab er, die Bibel, Hände schenkend.
Ein Unteroffizier empfing das heilige Lied,
„Weit weg von meinem Herzen“ – der Glaube, der ihn sieht.
Um sieben Uhr, die Wache wart’ mit starker Schar,
„Ist es soweit?“ – „Ja, Katte.“ – „Ich bin bereit und klar.“
Die Tür, sie öffnet sich, er steht mit Priestern still,
Zwei Gendarmen bei ihm, sein Wille fest im Bild.
Den Hut trug er im Arm, sein Blick blieb frei, nicht weich,
Er ging den Hof entlang, die Zeit – sie schritt zugleich.
Zum Fenster führte man den Prinzen, der erblasst,
Dort sollte er das Ende sehen, das ihn erfasst.
Als Katte aufwärts sah, kam Friedrichs Kuss zur Hand,
„Mein Katte, bitte! Verzeih mir!“ – so erbrannt.
Ein Knicks von Katte mild, er sprach: „Dir sei verzieh’n,“
Dann ging er in den Kreis, wo Männer stark verzieh’n.
Das Urteil wurde laut, mit klarer Stimme sprach
Er zu den Offizieren – die Stunde bricht vom Dach.
Er segnete den Kreis, empfing des Priesters Wort,
Die Perücke ab, den Mantel weg, der Ernst zog fort.
Den Kragen löste er, die weiße Mütze saß,
So kniete er sich hin, mit Tapferkeit als Maß.
Das Antlitz Richtung Freund, der Blick von Treu’ erfüllt,
„Herr Jesus!“ – sprach er mild, doch Unheil sich enthüllt.
Die Augen wollten sie mit Band ihm fest verschließen,
Er wehrte es zurück mit still entschloss’nen Füßen.
Die Hände faltend dann, begann er das Gebet,
Ein Schwertschnitt kam – das Leben sank in Ruh’ gebet’.
Der Prinz, von diesem Blick getroffen, sank dahin,
Bewusstlos fiel er nieder, zerbrochen tief im Sinn.
SIEBENTER GESANG
Vom Richtplatz schritt der Pastor hin zu Friedrichs Raum,
Der starr und blass den Tod sah nah, ein finstrer Traum.
Er suchte Worte, doch der Anblick tief verstört,
Ein Herz voll Angst, so schwach, vom Schicksal ausgezehrt.
Zum Fenster kehrte Friedrich, sah hinaus ins Grau,
Der Sand, vom Leichentuch verhüllt, sein stummer Bau.
Um zwei erschien ein Sarg, von Bürgerhand gebracht,
Dort ruht, was einst Katte war, in stille Macht.
Der Offiziersfriedhof empfängt ihn nun zur Ruh’,
Die Szene still, und Friedrich schaut bedrückt dazu.
Zurück kam Müller bald, sein Wort hielt Friedrich wach,
Bis fünf Stunden vergingen in der Nacht.
Der König sandte Müller schriftlich einen Plan,
Was Friedrich hören solle, klar und streng getan:
„Ein Knecht des Herrn, ein Diener, bist du treu und gut,
So zeige, dass Gott straft, wo er sich abgewandt tut.
Sag ihm, dass Gottes Segen weicht dem bösen Pfad,
Und ohne Gnade bleibt dem Menschen nichts, das naht.
Er flehe kniend, reumütig zu Gott hinauf,
Dass er die Schuld vergibt und lindert seinen Lauf.
Er führe auch die Seinen, die Offiziere gleich,
Zum Knien, dass der Herr verzeiht, der rein und reich.
Doch sei auf seiner List du wachsam jederzeit,
Denn Friedrichs Geist ist schlau und birgt wohl Falsch und Neid.“
Mit solcher Last ging Müller zu dem Prinzen hin,
Der König wünscht ein Herz, zerbrochen, rein im Sinn.
Ein Drama schrieb der König selbst mit kalter Hand,
Das Urteil, Ort und Szene wählte er gebannt.
Vom Leichentuch, das Sand und Körper schwarz umhüllt,
Bis zu dem Sarg, den Bürger führen, wie es gilt.
Den Offizieren rief er hart die Pflicht ins Ohr,
Den Prinzen zu zwingen, seh’ er die Tat davor.
Müller tat Punkt für Punkt, was ihm befohlen war,
Er zeigte Kattes Willen, Friedrich ganz und gar.
Der Prinz in Tränen rang mit seiner tiefen Schuld,
Er rief: „Ich bereute stets, mein Herz voll reiner Huld.“
Die Nacht war schwer; der Hunger quälte seinen Leib,
Im Fieber hörte man den Prinzen voller Treib.
Er sprach beim Arzt, sein Geist sei wach, sein Leib noch schwer,
Er bat um Linderung, ein Pulver, nichts noch mehr.
Zum Pastor kehrte Reue tiefer noch zurück,
Er sah die Schuld, die ihn belastet, Stück für Stück.
Er dankte Gott, dem Vater, für die Demut, Schmerz,
Er unterwarf sich ganz des Königs, seines Herrn, Gesetz und Herz.
Friedrich, der tags zuvor den Müller angeklagt,
Sprach selbst von Gnade, Tod und was dazu behagt.
Er stellte seine Lehren dar in klaren Worten,
Und reizte den, der hörte, sie kühn zu entorten.
Da zitierte Müller den heiligen Petrus schlicht:
„Der Herr erlöst die, die verdammt – so steht's im Licht.“
Verwundert sprach der Prinz: „Das sah ich niemals ein,
Es scheint, Gott will die Bösen selbst erlösen rein.“
Doch auch Paulus, so Müller, bezeugt es mit Kraft,
Dass Gottes Gnade selbst die tiefste Schuld erschlafft.
Der Prinz sucht, durch Vergleiche, sich noch zu verteid’gen:
„Sind’s Räder, die gezwungen, im Uhrwerk sich neig’gen?“
„Gewiss“, so Müller, „doch kein Wille wohnt im Zahn,
Die Räder folgen blind dem eig’nen Untertan.“
„Ist Feuer gegen Holz nicht zwingend in der Glut?“
„Ja“, sprach Müller, „doch wenn's mit Wasser sich tut,
Verliert die Flamme Macht, und nicht bleibt sie allein.“
So Müller und der Prinz im hitzigen Verein.
Dann stellt der Pastor klar: „Zwei fallen in den Graben,
Zu beiden wird ein Seil geworfen, sie zu laben.
Der eine fasst, der andre weigert sich und bleibt,
Wer sich nicht rettet, trägt allein die Schuld, die treibt.“
Während sie kindisch Freiheit und Natur debattier’n,
Entwich der Prinz geschickt, ließ keinen Triumph spür’n.
Er wusste, dass der König ihm nicht gnädig war,
Dass Häresie nicht weichen würde seiner Schar.
Unruhig saß er oft und blickte auf den Sand,
Der Haufen, einst entfernt, vom Herrscher wohlgebannt.
„Kein Todesurteil gibt’s“, gestand er voller Leid,
„Nur ich allein bin schuld an Kattes Todeszeit.“
Da sprach der Pastor mild: „Folgt Gott allein der Spur,
Er führt euch gnädig hin zur wahren Reue nur.“
„Von ganzem Herzen“, rief der Prinz, „wenn nur Gnade bliebe,
Und Gott allein mich richtet, mein Herz, mein Leben, meine Triebe!“
Doch Müller sprach von Gott, der zürnt, dann doch verzeiht,
Dass Friedrichs Herz im Widerspruch zum Himmel schreit.
Doch Friedrich wusste wohl, dass er mit Gott verhandelt,
Im Irdischen jedoch sein Stolz den Weg versandet.
Den König bat er nun um gnädige Vergebung,
Doch glaubte nicht, dass Gnade mehr sei als Belehrung.
Müller sprach von Gott, Friedrich vom König bloß,
Er fürchtete ein finst’res Geheimnis, ahnungslos.
Doch dann, als sich die Frage kaum mehr zu verbergen,
Riskierte Müller’s Wort, um Klarheit zu ergeben:
„Erlaucht, wollt Ihr mich bitten, euch auf Tod zu rüsten?“
Der Pastor schrie: „Das darf nicht euer Denken fristen!
Wie lange Eure Hoheit bleibt, liegt nur bei euch,
Und was geschieht, das macht allein der König reich.“
Beruhigt betete Friedrich dann im stillen Raum,
Er bat den Pastor, nachts zu bleiben, nicht zu schaun,
Dass er, wenn Furcht ihn trifft, nur klopfen muss zum Saal,
Wo Müller wohnt, zur Ruhe über jedem Mal.
Der Pastor glaubte wahrhaft an des Prinzen Reue,
Er sprach vor Gott: „Kein falscher Schein regiert die Treue.“
Den König bat er dann, Gnade zu zeigen bald,
Denn Trauer wird sonst groß, durch Angst und Sorge kalt.
Am vierten Tag des Wartens kam des Königs Wort,
Ein Brief, der Müller riet, am Cüstrin-Orte fort,
Den Prinzen aufzufordern, zu bekennen bald
Vor Gott, dem Herrn und König, jede Sünd' und Gewalt.
„Wer leiht und nicht bezahlt, wer Schuld im Herzen trägt,
Gehört zur Hölle – nicht, dass Gottes Kind ihn wägt.“
Der König schloss, dass nur, wer in der Reue sei,
Vergebung finden könne, dann Gnade zieh’ herbei.
Die ganze Stadt wird sein Gefängnis sein,
Kein Ausgang möglich, stets wird er allein.
Ich fülle ihm den Tag mit Pflichten schwer,
Regieren, Wirtschaft, Schreiben und noch mehr.
Er wird in strengen Ämtern sich ergehn,
Die Bücher prüfen, Zahlen stets ersehn.
Doch vor dem allen, hört, was ich euch sage,
Er schwört mir Treue ohne Widerlage.
Zu folgen meinem Willen jederzeit,
Zu tun, was einem Sohn im Amt geziemt.
Doch kehrt er ab, bricht jäh den Eid entzwei,
Verliert er Krone, Reich und Sicherheit.
In schlimmen Fällen gar das Leben selbst,
Wenn dieser Schwur der Treue Grund zerschmelzt.
Drum mahnt ihn streng, verkündet meinen Namen,
Dass ich erkannt all seine dunklen Samen.
Glaubt er, ich hätte nicht durchschaut sein Herz,
Das oft in Bosheit säte List und Schmerz?
Er möge es erneuern, tief ergründen,
Doch bleibt es falsch, wird er dem Fall erliegen.
So sage ihm: ein Eid sei ohne List,
Kein Wort des Zweifels diesen Bund verwischt.
Laut soll er schwören, reinen Herzens bleiben,
Dass keine Lüge dieses Band kann treiben.
Ein Schwur, der bricht, zeigt Torheit, Stolz und Wahn,
Dann wird ihm jede Gnade schnell getan.
Mög’ Gott sein Herz zu Demut wieder führen,
Es von des Bösen Pfad zum Licht entführen.
Ein Herz, das Demut kennt, sich selbst befreit,
Und voller Glauben himmelwärts gedeiht.
So möge Christus, durch sein Leid erworben,
Ihn retten, dass er lebt und nicht verdorben.
Mit diesem Brief, gesiegelt und geweiht,
Sei meines Willens Ernst ihm jetzt gezeit.
Der Priester Müller trat in seinen Raum,
Der Prinz las Bibelworte wie im Traum.
In tiefer Andacht, still und hingegeben,
Sah er das Licht, das ihm den Geist will heben.
Der Priester sprach: Des Königs Wort sei hart,
Ein Eid, der alles Misstrauen noch bewahrt.
Der Prinz erschrak, als er dies hörte bald,
Doch nahm er still die Last, obgleich sie kalt.
Er las den Brief, die Rettung ihm erschien,
Die Tränen flossen, Buße schmolz dahin.
Er dankte Gott, er dankte seinem Vater,
Er schwur den Eid, zu halten unverzagt.
Doch bat er Worte, klar und fest gestellt,
Damit er keinen Zweifel weiter hält.
Der Müller trug dies flehentliche Wort
Dem König zu, an seinem eignen Ort.
Die Freiheit naht, doch erst im letzten Schritt,
Entscheidet Wilhelm, ob das Urteil tritt.
Mit Seckendorf und Grumbkow ward bedacht,
Wie Recht und Gnade nun zusammenbracht.
Der Prinz jedoch, nun reumütig befreit,
Erhielt durch Treue schließlich Sicherheit.
Als er den Brief des Kaisers voller Ernst erhielt,
Schrieb er nach Wien, dass er ihn bei sich hielt.
Er wartete darauf, der König möge befehlen,
Ob er den Brief dem Kaiser selbst dürfe vermählen.
Man sagt, der König habe schließlich auch erklärt,
Sein Sohn sei jener, der Vergebung wert.
„Zur Gnade für den Prinzen,“ schrieb er an die Kronen,
„Dient Fürsprache zu Wien, die uns vorgezogen wohnen.“
Doch auch nach St. Petersburg ließ er verlauten still,
Dass gleiche Gnade dem russ’schen Kaiser gelten will.
Die Rettung Friedrichs durch Theresens Vater ist,
Ein Märchen, das man künftig aus den Sagen wisst.
So fügte sich der Preuße dem Geschick erneut,
Und Seckendorf trat vor, um Gnade zu betreu’n.
Die Freilassung des Prinzen hat man ihm auferlegt,
Sein Eid und Halbgefangenschaft, das ward belegt.
In Küstrin ließ man ihn zur Domäne hingeh’n,
Um dort im Amt den Dienst des Königs zu besteh’n.
Seckendorf riet, dass jener Eid feierlich sei,
Mit Zeugen ausgesandt, die machten ihn recht frei.
Der Kaiser solle gelten als ein Freund im Geist,
Der treulich für den Prinzen vor dem König heißt.
Doch Friedrich Wilhelm ließ sich nicht von außen lenken,
Und Grumbkow war’s, den er zu diesem Ort ließ denken.
Mit fünf Generälen, die Grumbkow hat bestellt,
Kam man am fünfzehnten in Küstrins alte Welt.
Am nächsten Tag begann ein langes Konversieren,
Was Grumbkow sprach, das bleibt in allen Papieren.
Er war ein Mann, der tröstend weinte, lachte klug,
Dem Prinzen half, bewies in manchem Punkt Betrug.
Ein Bündnis wurde wohl insgeheim hier geschlossen,
Ein Treuepakt, den beide Männer still genossen.
Der Prinz gab ihm, von Tränen tief erfüllt, zuletzt,
Kattes Testament, das ihn mit Schmerz verletzt.
Doch solches wird auch sagen, dass er es verlor,
Das Werk bis in den Tod doch bei sich hielt zuvor.
Am siebzehnten November schwor der Prinz den Eid,
Zu folgen seinem Herrn in aller Huldigkeit.
Verlor im Voraus Recht, Erbe und Offizier,
Sollt’ er je wieder wagen alten Unmut hier.
Man ließ ihn frei, doch nicht im Offiziersrang stehen,
Das Schwert zurück, jedoch kein Ehrenzeichen sehen.
Die Posten achteten, den Gruß ihm zu verwehren,
Kein Mann im Heer durfte den Prinzen ehren.
Der König wies ihn schroff zurück ins Bürgerkleid,
Ein Deserteur, so sprach er, trägt nicht das Geschmeid.
Er fügte an, dass viele Wege führen weit,
Ein Mann zum Amt, ein anderer zur Gelehrsamkeit.
Das Land, so sprach er, lebt von seines Herrschers Hand,
Kein Staat gedeiht ohne Verwaltung und Verstand.
Die Fürsten halten oft die Länder schlecht beisammen,
Verschulden sich und lassen all den Reichtum flammen.
Der Prinz soll lernen, was ein kluger Herrscher sei,
Nicht Spielball für Minister, ohne Macht und frei.
Der junge Mann, im Angesicht des Blutes bleich,
Erlernte rasch den Pfad, der ihn zur Größe reich’.
So schloss sich dieses Buch des Kerkers voller Pein,
Das Leben ging zurück ins alte Licht hinein.