ANNA


VON TORSTEN SCHWANKE


ERSTER GESANG


Komm, du kriegerischer Mars! Leg Speer und Schild für den Augen-

blick nur nieder und löse die goldenen Locken vom Helme.

Fragst du vielleicht, was der Dichter mit dir, o Kriegsgott, zu schaffen?

Sieh, ich besinge den Monat, der deinen Namen getragen!

Selbst du erkennst, dass Minervas Hand mit dem Schwerte die Schlacht führt,

doch nicht minder gewandt sich den schönen Künsten ergeben.

Nimm dir ein Beispiel an Pallas und lege die Lanze zur Seite!

Selbst unbewaffnet gibt es für dich eine ehrenvolle Aufgabe:

Damals, als Silvia, Römerpriesterin, dich zu bezirzen

wusste, da warst du entwaffnet, damit du der Stadt ein

mächtiges Erbe bescherst und Roms große Saaten entsprossen.


Morgens ging Silvia einst zum heiligen Flusse, die Krüge

zu füllen, dass sie das heilige Gerät mit Wasser besprenge.

Sanft sich neigte der Pfad zum Ufer hinab, und die Jungfrau

setzte den irdenen Krug von dem Haupte und sank auf die Erde.

Müde vom Wandel, öffnete sie ihr Gewand den erfrischenden Lüften,

ordnete Locken und blickte hinaus in das fließende Wasser.

Leise murmelte fort der Quell, und die Vögel sangen im Schilfe,

weidende Weiden warfen besänftignden Schatten auf Silvia.

Dort, von süßem Schlafe umsponnen, sank sie in Träume,

während die schlummernde Hand von der bebenden Wange hinabsank.

Mars erblickte die Maid – und sein Herz war erfüllt von Begehren:

Göttliche Macht ihm verlieh, was sterblichen Händen verborgen.

Schlummer entschwand, sie erwachte – und trug in sich schon die

Keime des ewigen Roms, der Zwillinge schicksalhaft Erbe.


Erschöpft erhob sie sich auf von der Stelle, und ahnte im Innern,

dass sie verändert war, doch wusste sie nicht, was geschehen.

Stützend den Leib an den Stamm einer ragenden Eiche, so sprach sie:

"Möge mein Traum doch Segen bedeuten und Zukunft verheißen!

Oder war all dies kein Traum, sondern Wahrheit im Schlummer?

Meines Hauptes Binde fiel mir herab und sank in die Glut hin,

flammend empor aus den heiligen Flammen entwuchsen zwei Palmen:

Eine erhob sich so hoch, dass die Sterne die Wipfel berührten,

während mein Oheim gierig die Äxte gegen sie schwang schon.

Aber der Specht und die Wölfin, des Kriegsgottes heilige Zeichen,

schützten die Bäume, und beide entwuchsen den drohenden Äxten."


So sprach sie, und wieder gefüllt war der Krug aus dem Flusse.

Wunder der Götter! Ihr Schoß nun wölbte sich merklich,

denn es wuchs in ihr auf der göttliche Keim des Quirinus.


Noch zwei Zeichen des Himmels blieben dem Gott zu durchschreiten,

und das Jahr war vollendet, da wurde Silvia Mutter.

Schamhaft hielten die Vesta-Bilder die Hände vors Antlitz,

und ihr Altar erbebte, als Silvia gebar ihre Kinder.

Selbst die Flamme der Göttin erlosch und sank in die Asche.

Sogleich befahl der Tyrann, der Bruder der Silvia, Amulius,

dass die Zwillinge sollten ertrinken im strudelnden Flusse.

Doch das Wasser entzog sich der Tat und ließ sie am Ufer

ruhen; ein wildes Tier nun säugte die hungernden Kindlein,

und ein Specht, der dem Mars geweiht, brachte Nahrung den Waisen.


Romulus wuchs heran mit Remus, und stark war die Jugend.

Bald schon hielten sie Urteile ab und richteten Diebe.

Einst erfuhren sie, wer sie gewesen, und brannten vor Eifer,

den Tyrannen zu stürzen und ihrem Großvater beizusteh’n.

Wände errichteten sie und nannten die Stätte dann Roma.

Doch zu früh sprang Remus hinüber, vom Bruder getötet.

Nun, aus dem einstigen Weideland wuchs eine mächtige Stadt schon,

und Romulus rief zu Mars, seinem Vater, mit glühenden Worten:

"Dir zu Ehren, o Vater, den Namen verleih ich dem Monat,

der den Jahreslauf stets als der erste begleitet in Roma."

So geschah es, und Mars war erfreut über fromme Gesinnung.


Mars ward stets verehrt von römischem Volke,

denn das Schwert war sein Zeichen, mit dem sie den Ruhm sich erkämpften.

Viele Kalender bezeichnen den Monat mit Mars' Namen,

sei es bei Albans Volk oder den Falisken im Lande.

Und damit Mars über allen Kalendern erhaben erscheine,

ordnet Romulus an, dass das Jahr mit seinem beginnt nun.


Einst war das Jahr nur zehn Monde lang und nicht zwölfe,

Griechenland hatte die Wissenschaft nicht noch den Römern gelehret.

Doch der gewaltige Cäsar nahm sich der Sache an bald schon

und nach den Zeichen des Himmels richtete klug er das Jahr aus.


So ist es also gekommen, dass Mars den Anfang des Jahres

bildet in Rom, denn der Krieg war Ursprung des Reiches.


Daher obliegt es den Müttern des Öbalus, feierlich heute

meinen ersten der Tage zu ehren, den Kalend' genannt;

sei es, dass mutig sie einst die bloßen Klingen umfassten,

Tränen vergießend beendeten grausige Kriegesnot;

sei es, dass Ilia froh durch mich zur Mutter geworden,

daher Frauen gedenken der heiligen Riten an mir.

Winter verzieht sich zuletzt, nun sprießen die Bäume von Neuem,

Knospen schwellen empor, zart trieft der saftige Trieb.

Gräser, die lange verborgen, durchbrechen die stillen Gefilde,

hängen ihr Haupt in die Luft, suchend den Pfad aus der Erd'.

Fruchtbar ist nun das Feld, es kommt die Zeit der Geburt nun,

Vögel errichten ihr Nest, baun sich ihr Heim auf dem Ast.

Darum sollen die Mütter des Landes die Zeit wohl begehen,

bitten und kämpfen zugleich, dulden die Not der Geburt.


Weiterhin: Wo der königliche Romulus wachte,

auf dem Esquilin-Hügel, so wird die Stätte genannt,

wurde ein Tempel geweiht, an genau diesem Tage,

Juno gepriesen von treuer Lateinerin Hand.


Doch warum sollte ich dehnen die Zeit und die Männer

lasten mit vielfachen Gründen, sie all' zu ermüdend und schwer?

Sieh, die Antwort, sie steht dir offen vor jeglichem Auge:

Mütter verehren die Gottheit, mein Tempel ist ihnen geheiligt.

Solch ein frommer Grund ziemt sich für Mutter und Sohn.


Bringt nun Blumen der Göttin, sie liebt die blühenden Pflanzen;

frische Gebinde umkränzen die Häupter in Ehr'.

Sprecht: "Du, Lucina, hast Licht uns schenkend geboren,"

und: "Du hörst die Gebete der Frauen in schwangerer Not."

Doch die mit Kind ist, löse ihr Haar vor dem heiligen Flehen,

dass die Göttin auch sanft löse den drängenden Schooß.


Wer nun saget mir wohl, weshalb die heil'gen Salier

Mars' geheiligte Waffen erheben im sangenden Tanz?

Sage, du Nymphe, die harrt an Dianas Hain und dem Wasser;

Egeria, Gattin des Königs, verkünde dein heiliges Werk!

In den Aricischen Wäldern, im düsteren Schatten,

liegt ein See, den die Frömmigkeit höchstens bewahrt.

Hippolyt dort ruht, von den rennenden Rossen zerrissen:

Daher kein Ross je betritt den geheiligten Hain.


Sobald am nächtlichen Himmel das kretische Zeichen erstrahlet,

Wisse, dass Theseus' Schuld die Göttin Ariadne geschaffen.

Froh schon tauschte sie einst den treulosen Gatten mit Bacchus,

Dem sie treulos dem Manne geschenkt das rettende Knäuel.

Freudig rief sie sodann: "Was weint' ich töricht, wie Landleut'?

Denn sein Treubruch, o schaut, gereichte mir selber zum Vorteil!"


Währenddessen durchzog der siegreiche Bacchus die Inder,

Kehrte beladen zurück aus dem goldenen Lande des Ostens.

Unter den schönen Gefang'nen war eine, des Königes Tochter,

Die sein Herz allzu sehr in lieblicher Schönheit bewegte.

Ariadne jedoch, als sie sah, wie Bacchus entbrannte,

Weinte, zerriss ihr Gewand und klagte dem rollenden Meere:


"Hört mich, ihr Wellen, erneut! Und du, öde Küste, empfange

Wieder die Tränen von mir, die Trostlose, die du schon kennest!

Einst ich rief: 'Treuloser, verfluchter Theseus, wehe!'

Dieser verließ mich allein, nun tut es Bacchus mir ähnlich.

Weib' und Mädchen, vertraut den Männern nimmer! Sie lügen!

Wieder beklag' ich mein Schicksal, nur Namen allein sich verändern!

Hätt' ich im ersten Schmerz mein Ende gefunden, wie selig!

Doch du, Bacchus, warum errettetest du mich zum Verderben?

Leichter als Blätter des Weins bist du, du Trugvolles Lichtbild!

Wo ist dein heiliger Schwur? Wo sind die Gelübde geblieben?"


Also klagte sie laut, und Bacchus, der nahe ihr folgte,

Hörte das Jammern der Liebsten, umfasste sie zärtlich, und sprach er:

"Komm, so reiten wir auf in die Höhen des strahlenden Himmels!

Dir sei mein Name verliehen, als Göttin Libera leuchte!

Und zu Ehren des Kranzes, den VENUS von Vulkan empfangen,

Wird dein Diadem als funkelnder Stern in den Lüften erglänzen!"

Sprach's, und verwandelte rasch das Geschmeide in leuchtende Flammen:

Nun erstrahlt ihre Krone am Himmel in strahlendem Glanze.


So durchziehen die Sterne die Bahnen des ewigen Äthers,

Göttliche Ehre erlangt, die einst eine Liebende war.


Manche glauben, die Göttin, von der wir reden, sei Luna,

Denn sie füllet das Jahr mit Monaten, schließt es in Kreise.

Andere meinen, sie sei Themis, die göttliche Richterin,

Wiederum andre die Kuh, die einst bei Inachos weidete.


Manche erzählen, du seist, o ANNA, die Nymphe, Azans

Tochter, die einst dem Göttervater die Nahrung gereichet.

Doch ein Gerücht, das nicht fern von der Wahrheit zu liegen uns scheint,

Kam mir zu Ohren, ich will es erzählen mit sorgender Stimme.


Damals lebten die Leute, noch schutzlos, ohne Tribunen,

Flohen entkräftet hinauf auf den heiligen Berg der Asylie,

Brachten, was sie besaßen, doch bald war die Nahrung verzehret.

Gab es doch ANNA, geboren im nahen Bovillae am Hange,

Alte, doch eifrige Frau, die mit zitternder Hand in der Frühe

Dünnen Teig zu Brot verarbeitete, dampfende Kuchen

Unter das hungernde Volk mit gütiger Hand verteilte.

Freude gewährte ihr Werk, und als Frieden geschlossen zu Rom war,

Stellten sie, dankbar bewegt, ihr eine heilige Statue,

ANNA Perenna geheißen, denn Brot gab sie, als es gefehlet.


Bleibt mir nun noch zu berichten, warum die Mädchen in Scharen

Lieder mit schlüpfrigem Witz anstimmen, lärmend einhergehn.

Als sie jüngst eine Göttin geworden, naht ihr der Kriegsgott,

Zog sie beiseit und sprach mit bittender Stimme die Worte:

"Dir wird Opfer gebracht in dem Monat, der mein ist, o Alte,

Uns verbindet der Zeitlauf, ich setze Vertrauen auf Hilfe.

Denn, von Waffen umgürtet, entbrannte mein Herz einer Göttin,

Sie, die auch Waffen verehrt: Minerva, die strahlende Jungfrau.

Lange schon brennt meine Glut, o Alte, du kannst mir helfen,

Finde den Weg, uns zu einen, denn du bist listig und klug doch."

So sprach Mars, doch die Alte betrog ihn mit leeren Versprechen,

Täuschte den Götterheld durch trügerische Verzögerungskünste.

Immerzu drang er in sie, doch endlich rief sie mit Scherzen:

"Herr, dein Flehen hat sie bezwungen, sie gab ihrem Herzen

Lange gewehrte Regung nach und will dich empfangen!"

Freudig begann Mars, die Kammer zu schmücken zur heiligen Hochzeit.

Dorthin brachten sie ANNA, das Antlitz mit Schleiern bedecket.

Doch als Mars ihr die Lippen berühren wollt mit den seinen,

Sah er die Greisin und Zorn entbrannte mit heißer Beschämung.

Lachend verhöhnte die Alte den Gott und sein törichtes Sehnen.

Freude empfand dies VENUS und freute sich über die List ihr.

Darum scherzt man mit alten Geschichten, singt freche Gesänge,

Lacht über Mars, den stolzen, den holden Minervens Verehrer.


Weitres zu sagen verweil' ich nicht bei Caesars Erdolchung,

Doch aus dem heil'gen Herd der Vesta erklangen die Worte:

"Scheue dich nicht, zu berichten, mein Priester war er, sie griffen

Nicht nur ihn mit den Schwertern, sie rührten das Heilige selber!

Ihn entriss ich der Not, es fiel nur sein Schatten zur Erde.

Doch er stieg in die Hallen des Himmels und hat ein Gefilde

Tief in dem weiten Forum, geweiht und geheiligt sein Tempel.

Jene Verräter indes, die frevelnd entweihten den Pontifex,

Liegen erschlagen, zerstreut auf dem Feld, das Blut von Philippi

Schwemmte hinweg das Verbrechen mit Rache, von Roms Sohn gerichtet."


Morgen, wenn zarte Halme den Tau des Morgens noch trinken,

Wird am Himmel der Skorpion sichtbar mit stechenden Scheren.

Bald dann naht Bacchus' Fest, mit Jubel besungen von Scharen.

Schenke mir Gunst, o Bacchus, wenn ich von deinen Festen erzähle!


Der letzte der fünfe ruft uns auf, die tönenden Trompeten

Rein zu läutern und starkem Gott ein Opfer zu bringen.


Nun darfst schauen zur Sonne hinauf und sagen: „Gestern

Setzte sie nieder den Fuß auf das goldene Vlies der Phrixos.“

Einst, durch List einer Stiefmutter bösen Sinnes betrogen,

Ward das Saatgut geröstet, dass nichts aus Erde entsprieße.

Boten sandte man aus zu des Delphischen Gottes Orakel,

Dass er weise den Rat, wie Hunger und Not sich verbannten.

Doch, wie faul war das Korn, so trug auch trügend der Bote

Heimtückische Kunde: der Spruch verlangte den Tod nun

Helles samt dem jungen Phrixos zum Heil der Ernte.

Dort am Altar standen die beiden, Stirnen umwunden,

Bang und klagend im Leid des geteilten schrecklichen Schicksals.

Ihre Mutter erspähte sie dort, als schwebend im Äther

Sie durch Lüfte sich trug – da schlug sie bebend die Brust sich,

Stürzte herab aus Wolken zum Drachengeborenen Volke,

Riss sie hinweg und übergab zum Fluge den Kindern

Einen Widder, der ganz in leuchtendem Gold sich glänzte.

Dieser trug sie hinweg durch wogende, weite Gewässer,

Doch es wird gesagt, dass Helle die Hand ihm entglitten,

Linken Griff ließ sie los, und das Meer trug fort ihren Namen.

Fast war Phrixos verloren mit ihr, als helfend die Hände

Er noch ausstreckte weit in verzweifeltem Kummer.

Weinend stand er da, nun einsam, mit doppelter Bürde,

Ahnte nicht, dass sie dem blauen Gott nun verbunden.

Als er das Ufer erreicht’, ward Widder zum Sternbild,

Doch sein goldenes Vlies zu den Kolchern gelangte.


Dreimal noch, wenn der Morgenstern der Dämmerung kündet,

Wird sich Stunde der Nacht mit dem Tage gleichet im Wechsel.


Viermal wird der Hirt noch sammeln die hungrigen Ziegen,

Viermal taunet das Gras und schimmert in silbernem Glanze,

Dann verehrt den Janus, den friedlichen Bund und die Sicherheit Roms,

Samt dem heiligen Altar, geweiht dem göttlichen Frieden.


Herrscherin über die Monde, die Göttin lenkt uns die Zeiten,

Endet das Jahr mit ihr auf des Aventinhügels Höhen.




ZWEITER GESANG


Doch schon lange verzehrt von der Liebe, der schmerzlichen Wunde,

Nährt mit dem eigenen Blut die Königin flammende Sehnsucht,

Heiß, doch verborgen im Innern, von nagender Glut aufgerieben.

Oftmals kehrt ihr ins Herz des Helden mutige Taten,

Oft sein ruhmreiches Haus; sein Antlitz, sein klingendes Reden

Haften ihr fest an der Brust, und der Sehnsucht Qualen versagen

Jeglichen Schlaf, der sonst die müden Glieder umfangen.


Als nun der Morgenschein auf Phoebus' glänzender Fackel

Nieder auf Erden fiel und die feuchten Schatten verjagte,

Sprach zu der Schwester ihr Herz, die liebende, unruhge Dido:

"ANNA, o Schwester, welch Träume beängstigen nächtlich mein Innres?

Welcher Fremdling betrat unser Heim? Welch edle Gebärde!

Wie sein Mut, wie stark in Waffen und Kämpfen sein Arm ist!

Wahrlich, ich glaube – und nicht ohn Grund mich solches Vertrauen

Leitet –, ein Göttersohn sei er, kein irdischer Sterblicher.

Feigheit beweist nur ein Herz von niederer Herkunft gezeugt.

Weh mir, welch Schicksal bedrängt ihn! Welche Gefahren erlitten!

Welche Kriege bestanden! O hätt' ich nicht unbeweglich

Mir es geschworen, nach meines Sychaeus flüchtigem Scheiden

Nie zu binden mein Herz in einen neuen Gemahlstand,

Niemals Flamme des Brautbetts noch Hochzeitsfackel zu ehren –

Vielleicht, o Schwester, vielleicht wär dieser Versuchung

Ich erlegen! Doch nein! Ich bete, die Erde soll eher

Mich in den Abgrund reißen hinab, der allmächtige Vater

Schleudre mit Blitzen mich selbst in die Nacht der untersten Schatten,

Ehe ich, Schande, dich kränke, dein heilig Gesetz übertrete!

Jener, der einst mich gewann, hat mein ganzes Herz mir entrissen,

Halte es fest mit ihm, bewahre es tief in dem Grabe!"

Sprach's und füllte mit Tränen die bebende Brust, und sie weinte.


Doch da entgegnete ANNA und sprach mit freundlicher Stimme:

"Teuerer als das Licht bist du mir, o Schwester, warum denn

Möchtest du einsam verschmachten und Jugend und Liebe verleugnen?

Glaubst du, dass Staub und Asche den Eid der Toten vernehmen?

Sieh doch, so viele Bewerber, ob hier in Libyens Reichen

Oder in Tyros zuvor, du hast sie alle verschmäht!

Selbst der mächtige Iarbas und andre Fürsten vergehen

Heimlich in heißem Verlangen – nun kämpfst du mit Liebe,

Die dir gefällt? Und bedenkst du nicht, in wessen Gefilden

Du nun verweilst? Ringsumher sind Gaetuler, unzähmbar,

Numider wild und scharf, Syrtiens feindliche Wüste,

Dort ist ein dürrer Bereich, durchrast von den kriegerischen

Barcäern, und von Tyros drohen gefährliche Kriege.

Wahrlich, ich glaube, mit Göttergunst und mit Juno geleitet

Steuerten Iliums Schiffe sich her durch wütende Wogen.

Sieh, welch prächtige Stadt erstehn könnte, Schwester, gemeinsam!

Welch ein herrliches Reich mit trojanischer Macht an der Seite!

Bitten wir nur die Götter, und opfern ihnen in Demut,

Halten zurück den Gast, bis tobt die Wintergewitter,

Bis sich der stürmische Orion gelegt und die Schiffe

Sicher erneut auf ruhigem Meer die Segel entfalten."


So sprach ANNA und fachte die Glut in Didones Seele,

Gab ihr Hoffnung und lockerte sanft die Bande der Scham.

Erst besuchen sie Tempel und flehen um Frieden am Altar,

Opfern zu Ceres, der heil'gen Gesetzgeberin, Phoebus,

Bacchus, dem Vater des Weins, und vor allem zu Juno,

Die über Ehe und Bund als höchste Wächterin waltet.

Dido, die schönste der Frauen, gießt selbst die Libation

Mitten des Stieres Gehörn, durchwandert die heiligen Stätten,

Opfert und prüft mit bebender Hand die zuckenden Eingeweid'.

Weh der verblendeten Seher! Was helfen Altäre und Opfer,

Wenn eine wütende Liebe das Herz einer Königin raubt?

Tief in der Brust verborgen, verzehrt die Flamme die Seele,

Dido, die Unglückselige, brennt und irrt durch die Straßen,

Gleich wie die Hirschkuh, getroffen vom Pfeil in den Kreten,

Welche, nichts ahnend, flüchtet mit tief in der Seite

Sitzendem Stahl, der unsichtbar sie quält und nimmer mehr weicht.

Nun führt Dido den Trojaner durch prächtige Hallen,

Zeigt ihm die reiche Stadt, den prächtigen Sidonier-Schatz,

Spricht und verstummt, doch immer kehrt sie zur Rede zurück.

Wenn die Nacht sich senkt und die müden Sterne zur Ruhe

Sinken, dann weint sie allein in des königlichen Palastes

Dunkler Stille, umfängt die verlassene Ruhstatt des Helden,

Sieht ihn, hört ihn in Träumen, und hält Ascanius zärtlich

Fest in den Armen, des Vaters Züge im Sohne erspähend,

Um sich in Wahn die Glut ihres Herzens zu kühlen.

Doch es stocken die Werke, die hohen Türme verfallen,

Nicht mehr fechten die Jünglinge, rüsten nicht Häfen zum Kriege,

Alles liegt brach, und halb erstiegen verweilen die Kräne.


Doch als die Gattin Jupiters sah, dass Dido verloren,

Nichts mehr scheuend, versank in der Liebe flammende Netze,

Sprach zu VENUS, mit Spott auf den Lippen, Saturnia also:

"Rühmliches Siegeszeichen, welch reiche Beute erlangt ihr,

Du mit dem schönen Sohn! Welch göttliche Kraft und gewaltig,

Eine Frau nur zu bezwingen durch List und tückische Künste!"


Als er mit solchen Worten flehte, die Altäre umklammernd,

Hört' es der Herrscher des Himmels und wandte sein Auge der Stadt zu,

Sie, die erhaben einst prangte, und sah die Liebenden beide,

Die, vom erhabenen Ruhm der Ahnen vergessen, verstrickt sind.


Da nun sprach er zu Hermes, dem Boten, und gab ihm die Weisung:

"Fliege, mein Sohn, ruf' die Lüfte und gleite auf stürmischer Schwinge,

Suche den Dardanerfürsten, der jetzt in der Tyrischen Stadt weilt,

Träge des Schicksals Gebot, das ihm neue Gefilde bereitet.

Trage mein Wort durch die stürmischen Winde hinab zu den Menschen:

Nicht solch einen Sohn verhieß mir die göttliche Mutter,

Nicht dafür rettet' ich zweimal ihn aus den Händen der Danaer.

Italiens Reich ist ihm bestimmt, ein Land voller Ehre,

Wo seine Nachkommenschaft das Erbe Teucers bewahrt noch

Und unter festerem Joch die Welt in Gesetze wird binden.

Brennt ihm die Glorie nicht, die ihm solches Geschick doch bereitet?

Säumt er aus träglicher Hoffnung, und denkt er nicht an Ascanius,

Dem doch das römische Reich in künftigen Tagen gegeben?

Rüste zur Fahrt! Dies sei mein Wort, und das sei die Botschaft!"


Also sprach er, und Hermes bereitete schnell sich zum Aufbruch.

Goldene Sohlen schnallt' er den Füßen, die über die Meere

Tragen ihn schwebend dahin, so rasch wie ein reißender Sturmwind.

Dann ergriff er den Stab, mit welchem er Seelen aus Orcus

Ruft und entsendet zur Gruft, mit welchem er Schlummer gewähret

Oder die starren Blicke des Todes erneut kann entbinden.

Darauf verließ er den Himmel und flog durch wirbelnde Stürme.


Fernhin blickt' er herab auf Atlas, den ragenden Gipfel,

Der das gewaltige Himmelsgewölbe mit Schultern ihm stützet,

Sturmumtost, von Regen geschlagen, umhüllt von Gewölken,

Dessen schneebedecktes Haupt und riesiger Bart von Eis starrt,

Ströme sich stürzen herab von runzelnder Stirne des Greises.

Dort nun hielt er sich auf, mit weit ausgespannten Gefiedern.

Von dort stürzt' er herab, wie ein Vogel, der gleitend die Ufer

Streift und über die fischreichen Wellen mit schimmernden Schwingen

Niedersinkt, zwischen Himmel und Erde die Lüfte zerteilend.


Kaum mit den Füßen berührt' er die Hütten von Libyens Küsten,

Sah er den Dardanerfürsten, wie er an ragenden Türmen

Bauete, schimmernd geschmückt in purpurner, goldener Zierde,

Welche ihm Dido gewirkt in liebreicher zärtlicher Sorge.

Schnell nun rief er ihn an und mahnte mit donnernder Stimme:


"Baust du, Getäuschter, die Mauern von Karthago weiter?

Denkst du der Götter nicht mehr, noch deines erhabenen Schicksals?

Jener, der Himmel und Erde bewegt, entsandte mich eilend,

Dass ich dich rufe zur Pflicht und mahne an Italiens Küsten.

Was sinnst du hier? Welche Hoffnung versäumt die gegebenen Lande?

Steigt in dir nicht der Gedanke an wachsenden Ascanius,

Dem doch das römische Reich in künftigen Tagen gegeben?"


Also sprach der Bote, doch eh' er das Wort noch geendet,

Schwand er und löste sich auf in dünn zerfließende Lüfte.


Aeneas stand wie erstarrt, von heiligem Schauer durchzittert,

Seine Stimme versagte, das Haar stand wirbelnd empor ihm.

Fliehen verlangt ihn, verlassen das liebliche Land und die Liebe,

Bebend vor himmlischem Wort und göttlichem ehrnen Gebote.

Ach, was beginnen? Und wie soll er wagen, der tobenden Königin

Nah'n mit Worten, die ihren Zorn nur aufs neue entflammen?

Lange schon wogt' sein Geist hin und her in schwankender Sorge.

Endlich nun dünkt ihm dies das klügste, das beste Gebot sei:

Sergestus und Mnestheus rief er herbei mit gehorsamer Schar nun,

Heißt sie bereiten die Flotte in Stille, die Schiffe beladen,

Doch nicht nennen den Grund der hastigen, eilenden Reise.

Selbst indes will er sinnend die Zeit und den Augenblick wägen,

Wann es gezieme, der Liebenden schonend das Herz zu verletzen.


Schnell nun folgten die Männer dem Befehl des Königs der Troer.

Doch die Königin spürte die List – wer täuscht eine Liebende?

Schon in der Stadt verbreitet ein Murren die schweifende Kunde:

Dido ahnt den Betrug und das schleichende, düstere Unheil.


Rasend, mit wankender Seele, von wilder Enttäuschung gepeinigt,

Schreitet sie suchend umher, gleich einer rasenden Mänade,

Die, vom Getöse des Festes erregt, durch die Nächte von Nysa

Taumelt, von Cithairons Klippen gerufen mit lärmendem Brausen.

Endlich, mit bebender Brust, mit funkelndem Zorn in den Augen,

Stellt sie sich Aeneas entgegen und ruft ihm entgegen:


"Törichter, hofftest du dies zu verbergen, mich heimlich zu täuschen?

Hast du vergessen den Schwur, das Bündnis, das ewig gegolten?

Nicht die winternden Stürme, die brausenden, grausamen Fluten

Halten dich auf, nicht Liebe, nicht selbst der drohende Untergang?

Fliehst du vor mir?"


Einst, da von Qualen verzehrt sie den Wahnsinn ergriff und den Tod wollt',

legte sie heimlich im Herz die Stunde, die Art ihres Endes;

ruft nun die trauernde Schwester, mit heiter verhülltem Gesichte,

Täuschung vor der Stirn, und sonniger Hoffnung auf klarer der Braue.


»Schwester, o meine, ich fand—so wünsche mir Glück!—einen Ausweg:

Ihn mir zurückzuholen, oder von ihm mich lösen für immer.

Nahe des Ozeanrands, wo die Sonne zu ruhen sich nieder-,

liegt Äthiopiens Saum, der entlegenste Gürtel der Länder;

Atlas gewaltig erhebt dort Schultern, die funkelnde Himmel

tragen, durchsternte Sphäre mit glänzenden nächtlichen Bildern.

Dort ward gezeigt mir ein Weib, Massylische Priesterin, Hüter

heiliger Hallen der Hesperiden; sie säumte dem Drachen

Labung mit zartem Genoss, mit honigtaufrischen und mohnfeuchten

Gaben, bewachte die Zweige, die goldene Äpfel getragen.

Zauberkunst rühmt sie: wem sie will, dem löset sie Herzen;

andern entflammt sie mit grausamen Brand der Liebe zu Martern;

Flüsse hält sie im Lauf, und rückwärts zwingt sie die Sterne;

Nachtgestalten erweckt sie; die Erde erzitterst du grollen

fühlen, die Eschen gestürzt von den ragenden Höhen der Berge.

Zeugen ruf ich den Himmel, dich auch, o Schwester Geliebte,

auch dein Leben geliebtes: gegen den Willen ergreif ich die Künste!

Schaffe verborgen im Hof, wo offen der Himmel, ein Scheiter-,

hoch geschichtet mit Kien und gefälltem Stamm der Ilex;

heuf darauf das Gerät, die Waffen des herzlosen Mannes,

alles Gewand und das Lager, das Brautbett, welches mich brach hat.

Alles Gedächtnis des Scheusals will ich verderben; die Priesterin

weist und befiehlt.« So sprach sie, verstummte; und während sie redete,

Bleichheit flog ihr ins Antlitz und deckte das Farbige langsam.

ANNA jedoch, die Schwester, ahnte den Tod nicht im Brausen

dieser befremdlichen Weihen; kein wilderes Ende gefürchtet

hatte sie je als einst, da Sychaeus starb vor den Altären.

Eilig bereitet sie nun, wie geheißen, die dunklen Gerätschaft.


Also, sobald in des Hauses Gemüt das Scheitergerüst sich

himmelwärts türmte, mit Kiefer und schwerem Stamm der Steineiche,

kränzt sie den Ort mit Girlanden, bekrönt ihn mit düsteren Zweigen.

Oben bettet sie Kleid, das jener getragen, das Schwert, das er ließ dort,

bildhaft stellt sie ihn auf, wohl wissend, wohin sich’s gestalten.

Rundum stehen Altäre; die Priesterin, Haare gelöst ihr,

ruft mit donnernder Stimme dreihundert Götter zugleich an,

Erebos, Chaos zugleich, und dreigestaltige Hekate,

Diana dreifach erscheind; sie sprengt vorgeblichen Avernus-

Wasser, und Kräuter gesucht, die im Mondlicht mit ehernem Sichel-

Blatt sie geschnitten, noch triefend von Milch des schwärzlichen Giftes;

Liebezauber dazu, vom Stirnhaar Fohlens gerissen im Anbruch,

noch ehe die Mutter es leckte vom ersten Blut ihrer Geburt an.

Selbst steht Dido, mit heiliger Hand und geheiligtem Schrote,

barfuß vor dem Altar, den Gürtel gelöst und die Schuh’ ab;

bald zu sterben, beschwört sie die Götter, die Sterne, die Zeugen

ihres Geschicks; und fleht, wer immer gerecht ist und achtet

liebender ungleich Bund.


Nacht wars; über die Erde die müden Geschöpfe kosteten Schlummer;

Wald und wilder Ozean ruhten; die Sterne im Mittgang

rollten; das Land lag still; die farbigen Vögel und Tiere,

fern und nah, die die klaren Gewässer bewohnen der Seenflut,

wie auch die Dornengebüsche des ländlichen Dickichts behausen,

schliefen geborgen im Schweigen der Nacht und vergaßen die Sorgen.

Nicht so Phoinikische Königin; Schlaf erreicht sie vergebens;

Dunkel nimmt sie nicht auf in Augen noch Herz; ihre Qualen

doppeln sich; wachsend quillt die Liebe, wie stetig ein Strombrand

aufsteigt, aufgepeitscht von gewaltigem Wechsel der Woge.

Also beginnt sie allein, im Herzen hin und her wendend:


»Was tu ich? Wieder Versuche bei alten Freiern, zum Spotte?

Soll ich demütig um Numidische Ehe werben, so oft schon

spöttisch verschmäht? Oder folg ich den ilischen Schiffen,

folge dem Troer und beug mich des Fremdlings äußersten Befehlen?

Dank für Hilfe erhält man? Gedächtnis der Wohltat bewahren

Dankbare Herzen so fest?—Doch selbst wenn ich wollte, wer ließe?

Wer nähm mich auf auf den Schiffen, die mich verabscheuen, stolzen?

Weißt du, verlorene, noch nicht um welchen Verrat der Laomedon-

Sippe?—Was denn? Allein mit den fliehenden Seefahrern zieh ich?

Oder mit ganzem phönikischen Volk verfolge ich, treibe

nochmals Männer zur See, die kaum ich entriß der Sidonischen Stadt einst,

heiße die Segel entfaltend den Winden vertrauen?—Nein, sterbe!

Stirb, wie gebührt; mit dem Schwert zerschneide die Leiden!

Du, meine Schwester—erweicht von Tränen—warst erste, die Wahnsinn

füllte in meine Brust und mich trieb zu dem Mann, der mich feind ist.

Ach, dass ich keusch, fern jeglicher Ehe, untadlig gelebt hätt',

wild wie ein scheues Geschöpf, das keine der Sorgen erfahren!

Treue dem Staub des Sychaeus gelobt—ich hielt sie nicht heilig.«

Solche Klagen erhoben sich immerdar tief aus dem Herzen.


Doch als alles bestellt, und er selbst schon fest auf die Reise,

schlief Aeneas erhöht auf dem hohen Heck seines Schiffes.

Da erschien ihm im Traum der Gott, derselbe Gestalt nach,

wie er zuvor sich gezeigt: wie Merkur an Stimme und Farbe,

Goldhaar glänzend und jugendlich schön in den biegsamen Gliedern.

Also mahnt er erneut, und schien mit solchem Verweise:

»Göttlichgeborener, schläfst du, da solche Gefahr dich umringet?

Siehst du die drohenden Nöte nicht, Tor? Hörst du die günstigen

Winde nicht wehn?—Zum Tod entschlossen ersinnt sie im Herzen

Ränke, Verbrechen; entfacht sie die gärenden Strudel der Leidenschaft.

Flieh, noch ehe du kannst! Gleich siehst du Gewässer voll Balken,

Flammen, die wütend erglühn; gleich strahlt der Gestade in Bränden,

findet der Morgen dich hier!—Weib, wandelbar, wechselnd auf immer!«

Sprachs und schwand in die Nacht und mischte dem Dunkel die Schwärze.


Aufspringt, wirklich erschreckt vom Gesicht, der Aeneas; er ruft nun:

»Auf, Kameraden! Erwacht! Besetzt die Riemen! Entfaltet

rasch die Segel! Aus hohem Olymp entsandter Gott treibt

uns abermals an: die Gedrehten schneidet, zerhaut die Taue!

Folgen wir dir, du Heiliger, wer du auch unter den Göttern!

Steh uns bei; verleih uns im Himmel die freundlichsten Sterne!«

Sagt's; und er reißt aus der Scheide das blitzende Schwert, und durchhaut er

selbst das Halteseil. Gleicher Eifer entzündet die Mannschaft;

flink verlassen sie Land; mit Flotten verhüllen sie Meere;

kräftig quirlt ihr Ruderschlag schäumend die dunkleren Fluten.


Früh schon, da Eos den Tithonos aus saffranenem Lager

ließ und frischende Strahlen der Erde zu sprengen begann dort,

stand die Königin hoch auf dem Turm; sie sieht, wie das Morgen-

licht sich entfaltet, die Flotte mit gleichen Segeln sich fortzieht;

Küste wie Hafen verwaist, kein Ruderer mehr in den Buchten.

Dreimal, viermal schlägt sie die schöne Brust mit der Hand sich,

rupft ihr goldenes Haar: »O Götter! Entflieht er?« so ruft sie.

»Hat der Eindringling gespielt mit dem Reich und verlacht uns?

Wird kein Jäger ihn fassen? Entsendet ihr nicht aus der Stadt her

Schiffe, bewaffnet zur Jagd?—Holt Feuer! Gebt Waffen! Zu Riemen!—

Was sag ich? Wo bin ich? Welch Wahnsinn wirbelt den Sinn mir?

Unglückselige Dido—erst jetzt erkennst du die Schuld dir?

Damals, da gabst du die Krone dahin! Sieh, Bürge und Pfänder

dessen, der, heißt es, die Ahnen-Götter mitführte und trug einst

alten Vater auf Schultern!—Hätt ich ihn nicht packen und reißen,

Glied um Glied zerfetzen, die Stücke verstreun in die Wasser?

Seine Gefährten erschlagen? Den Ascanius selbst—und den Knaben

kochen und Vaters Tisch als Mahl ihn bereiten?—Vielleicht war

ungewiss der Erfolg? Und wenn—verurteilt zum Sterben—wen scheut ich?

Feuer hätt ich getragen ins Lager, die Decks überflammt ich,

Vater mitsamt dem Sohn und dem ganzen Geschlecht ausgelöscht ich,

selbst mich geopfert dazu!—O Sonne, die schaust, was die Erde

tut; und du Juno, Vollstreckerin, Zeugin beklagenswerter

Liebe; Hekate, deren Name bei Nacht durch die Straßen ertönt wird;

Rachefurien, und ihr Götter des scheidenden Lebens Elissas:

hört mich nun! Wendet den Zorn auf den schuldigen Frevler! Vernehmt mich!

Wenn der Verwünschte den Hafen erreichen muß, wenn des Jupiters

Ratschluss es will, wenn solches Ende beschieden—so immerhin:

Wehre ihn Krieg, von tapferer Nation Waffen gehetzt ihm;

stoß ihn vom Land; zerreiß ihn von Iulus Armen entrissen;

flehend begeh' er den Beistand; schaue die Freunde niedermetzeln!

Und wenn er sich beugt dem Unrecht des Friedens, den Rüstungen müde,

sei ihm das Reich nicht süß, noch das ersehnte Leben vergönnet;

sterbe vor Zeit; unbestattet lieg auf verlassenem Strande!

Dies erflehe ich; dieses zuletzt ergieß ich mit meinem

Blute. Ihr Tyrier, hasst sein Geschlecht und die spätesten Enkel!

Keine Liebe, kein Bund soll Nation mit Nation mehr verbinden!

Steh aus meiner Asche, ein unbekannter Rächer, und plage

Trojas Siedler mit Feuer und Schwert—heute, künftig, sooft wir

Kraft nur haben! Küste soll Küste bekämpfen, und Meere

Meeren begegnen im Streit; Krieg sei ihnen, sich selbst und den Kindern,

Kindern der Kinder nach ihnen!«


Mit diesem Fluch durchwühlte sie rastlos das irrende Denken,

Suchte den schnellsten Entschluss, sich des hassenswerten Lebens

Endlich zu entreißen. Kurz dann sprach sie zur Amme des Gatten,

Barce, die einst in der Heimat die schwarze Asche bewahrte:

Hol mir die Schwester, o Amme, die ANNA, sie soll sich beeilen,

Wasch sich im Fluss, wie’s gebührt, und bring mir Opfer und Tiere,

Sühne, wie sie das Recht will. Und komm, das Haupt mit dem Reiflein

Heilig umwunden; denn ich vollende die nächtlichen Riten,

Welche dem Stygischen Juppiter fromm ich geweiht und begonnen,

Dass ich das Leid verjag’ und das Feuer dem Dardan ergebe!“

Sprach’s, und die Greisin lief mit eilender, alternder Füße.

Aber Dido, bebend im Plan, mit irrsinniger Seele,

Wilder die Blicke, die Wangen entflammt und fleckig vor Zornröt’,

Bleich vor dem Tod, durchschreitet die Kammern, die inneren Räume,

Steigt auf den Scheiterhauf, von Wahn getrieben und Zuckung,

Zieht dann das Schwert, das einst der Trojaner ihr schenkte, verfluchtes.

Als sie das Kleid erkennt, das Lager so trojanisch vertraut ist,

Weilt sie, vom Weinen bewegt, noch einen Moment im Gedenken,

Sinkt in das Lager hinab, und ruft mit letzterem Atem:

O ihr Reliquien, einst mir teuer, so lang es das Schicksal

Gönnte, empfangt meine Seele! Erlöst mich vom Jammer des Lebens!

Ich habe gelebt, mein Weg ist vollbracht, wie Fortuna mir gab ihn.

Stolz nun fährt mein Schatten hinab in die Hallen der Tiefe!

Stadt hab ich gründet, die Mauern geschaut, mich am Feind noch gerächt, ja,

Den Bruder gestraft um des Mannes Blut – wie glücklich gewesen,

Wenn nie Dardansche Schiffe berührt die Küste von Karthago!“

Sprach’s und verbarg ihr Antlitz im Bette: „Ich sterbe, vergeblich –

Doch will ich sterben! So fahr ich willig ins Dunkel hinunter!

Sieh, er schaue vom Meer noch dies Feuer, der Grausame Dardan,

Trage das Zeichen des Todes mit sich als böses Omen!“


Schweigend sank sie dahin – da sahen die Mägde sie blutig,

Stürzend aufs Schwert, die Hände bespritzt, die Waffe gerötet.

Schrei durchbrach die Höh’ der Paläste; der Ruf geht durch Karthago,

Wehgeschrei, Gejammer, Gezeter der Frauen erschüttert

Himmel und Stadt – wie wenn Tyros stürzt, oder Karthagos Mauern,

Stürzt vom Feind überrannt, und Flammen wälzen von Dächern,

Menschen und Göttertempel zugleich vernichtend im Brande.


ANNA, die Schwester, erschrickt, und reißt durch die Menge der Bürger,

Schlägt sich das Antlitz mit Nägeln, die Brust mit geballter Verzweiflung,

Ruft bei dem Namen die Sterbende laut in klagendem Jammer:

War dies dein Plan, o Schwester? Mich so betrogen, verlassen?

War das dein Altar, dein Feuer, dein Scheiterhaufen für mich so?

Ach, was beklag ich zuerst? Mich? Hast du im Tod mich verschmäht gar?

Hättest mich gerufen zum Los – wir hätten gemeinsam

Sterben gekonnt, dass ein Hieb uns beiden zugleich dann getroffen!

War’s meine Hand, die dies Holz dir baute, die Götter beschwor ich –

Dass ich, o Grausame, fern bin, wenn du so stirbst, unerlöst noch?

Du hast dich selbst, mich auch zerstört, dein Volk, deine Mauern!

Bringt mir Wasser! Ich will die Wunden benetzen, den letzten

Hauch noch erfassen, wenn er entweicht dem zitternden Munde!“

Sprach’s, und sie stieg die Stufen empor, das sterbende Herz ihr

Nahm sie umarmend ans Herz, und tränkte das Kleid mit dem Blutstrom.

Dido versuchte noch, die schweren Lider zu heben,

Stirbt dann zurück, und das tiefe Geschwür in der Brust noch gurgelt.

Dreimal stemmt sie sich auf, sich hebend auf bebenden Ellen,

Dreimal sinkt das Lager zurück – sie blickt auf zum Himmel

Schweifend im Blick, und findet das Licht – da stöhnt sie zum Ende.


Da erbarmt sich Juno, die Göttin, der langen Agonie,

Sandte vom Himmel die Iris herab, sie löse die Seele

Von dem geknechteten Leib. Denn nicht durch schicksalgefügten

Tod war sie hingegangen, nicht würdig, sondern im Wahnsinn,

Nicht hatte Proserpina noch das goldene Lock ihr genommen,

Nicht sie geweiht für das Reich der Schatten im Stygischen Dunkel.

Iris mit farbigem Flügel im Flug, von Sonne durchleuchtet,

Senkte sich nieder, und stand ihr hoch über dem Haupte.

Weihe für Dis nehm ich hin, wie mir geboten, und löse

Dich von der Fessel des Leibs“ – so sprach sie, schnitt ihr das Lock ab:

Da entwich jegliche Wärme, und Leben zerging in den Lüften.




DRITTER GESANG


Also, dem Rufe des Schicksals gehorchend, stürzt sich der weiße

Schwan in das seichte Gebiet des Maeander, zu wasserndem Grase,

singend zuletzt – denn das Lied ist sein Sterben, das letzte Verlangen.


Also, dem Rufe des Schicksals gehorchend, sinket der weiße

Schwan in das Grase, das naß aus den seichten Gewässern des Mäander

wächst, und erhebt noch ein Lied, ehe schweigend der Tod ihn umarmet.


Nicht, weil Hoffnung mich treibt, durch Gebete dein Herz zu bewegen,

rede ich – denn mit dem Willen des Himmels entgegen begonnen

hab ich das Werk, das du liest; doch nachdem ich Ehre verloren,

Reinheit des Leibs und der Seele, Verdienst und jeglichen Ruhmes,

ist mir der Verlust meiner Worte ein leichter Verlust nur.

Denn was bleibt mir zurück, nachdem das Innerste brannte?

Leicht ist das Wort, wenn der Leib schon vergangen, die Seele beschattet.


Willst du dennoch fort, und elende Dido verlassen?

Tragen dieselben Winde zugleich dein Segel, dein Schwören?

Willst du, Aeneas, zugleich dein Versprechen und Anker zerreißen,

folgen dem fliehenden Land, das du suchst, doch nimmer erkennst du?

Rührt dich die neu erstehende Stadt nicht, Karthagos Mauern,

nicht das Zepter der Macht, das gelegt ward vertrauend in deine

rechte Hand? Du verlässt, was errungen, jagst nur dem künftigen nach stets.

Eine Heimat war gefunden – nun muss eine neue sich finden,

über das weite Gefild, durch alle Länder des Erdballs.

Selbst wenn du fändest das Ziel, das du suchst in dunklen Gewässern,

wer wird das Land dir gewähren, wem gibst du als Fremder Vertrauen?

Wer wird Felder dir übergeben, Besitz an Unbekannt schenken?

Zweites Liebesglück bleibt dir zu suchen, zweite Gelöbnis,

zweite Dido, die du betrügst mit dem zweiten Versprechen.

Wann wirst du endlich, sag selbst, eine Stadt wie Karthago gründen,

hoch von der Feste herab auf Völker des eignen Stammes

blicken, herrschen gerecht mit Gesetzen, mild und erhaben?

Selbst wenn dein Wunsch sich erfüllte, dein Flehen sogleich wird erhört sein,

wer wird dich lieben, wie ich dich geliebt in flammender Treue?


Liebesglut entflammt mich ganz, wie schweflige Fackeln aus Wachs sind,

wie frommer Weihrauch, der qualmt auf glühenden Altären.

Aeneas seh ich bei Tage, Aeneas im nächtlichen Dunkel –

alles, was lebt in mir, ist er, der Verwegene, Harte.

Undankbar ist er, gewiss, und kalt gegen meine Geschenke.

Wär ich nicht liebend, so ließ ich ihn ziehen, ohne zu weinen.

Aber wie sehr auch sein Sinn mich verschmäht, ich hasse ihn nicht doch –

nur seine Treulosigkeit beklag ich, und klagend entbrenne

mehr noch in Liebe als je. O VENUS, verschon doch die Braut deines Sohnes!

Brich, Amor, den Starrsinn des Bruders, zwing ihn, dein Diener zu werden!

Oder, o mach, dass der Mann, dem ich ohne Scham mich ergeben,

endlich sich selber ergibt – der mein ist, weil ich es gewollt hab.


Ach, ein trüglicher Wahn! Was mir vor dem Geiste sich zeiget,

ist nicht Wahrheit – ganz anders das Herz als das seiner Mutter.

Felsen gebaren dich einst und ragende, sturmfeste Eichen,

raue Bestien formten dich oder das tobende Meer selbst,

dieses, das jetzt du betrachtest, von Winden wild aufgewühlt,

und dennoch machst du dich fertig zur Fahrt trotz brandender Wasser.

Wohin fliehst du denn? Schon steigt das Unwetter, dich aufzuhalten.

Möge der Sturm mir zum Gnadenbeweis des Himmels sich wenden!

Sieh, wie der Ostwind die rollenden Wogen erbittert emporwirft!

Was ich von dir ersehnte, soll nun das Toben der Wellen

mir gewähren. Gerecht ist das Meer, gerechter als du bist.


Nicht bin ich würdig genug – ach, warum schätz ich dich nicht geringer –,

dass du im Fliehen vor mir auf offener See noch vergehst.

Teuer und hart ist der Hass, den du übst: Denn zu entfliehen,

scheint dir der Tod wohl gering, wenn er mich dir vom Leibe nur halte.

Bald wird der Sturm sich legen, und über die glättenden Wellen

gleitet Triton dahin, mit azurnen Rossen ziehend.

Wärst du doch wechselbar wie die Lüfte, den Winden vergleichbar!

Und – es sei denn, du übertriffst in Härte die Eiche –,

wirst du dich wandeln doch noch. Was könntest du Schlimmeres tun denn,

wenn du nicht wüsstest vom Zorn der gewaltigen, tobenden Meere?

Schlecht ist das Trauen dem Meer, das du oft schon im Toben gespürt hast.

Selbst wenn du löstest die Taue, betört durch trügerisch stillen

Wellen Spiegel, so bleibt doch viel Verderben im Weiten.

Treulos fährt keiner ungestraft über finstere Wasser.

Dort, im Schoße des Meers, wird Schuldige Liebe gerichtet.

Denn – so lautet die Sage – aus salzigem Schaum, aus dem Wellen

stieg Aphrodite hervor, die Mutter der liebestollen.


Selbst bin ich stürzt’, und ich fürchte, sein Sturz sei das Werk meines Sturzes,

dass ich ihm Schaden bereite, der mich zugrunde gerichtet;

fürchte, mein Feind geh’ unter im Meer, das trinket die Tiefen.

Lebe – ich bete dafür! So wirst du mein Tod noch erkennen.

Mehr als der Tod sei dir, was ich durch dich leide, zum Schrecken.

Besser, man sag: „Durch Dido kam er zum Fall“ – nicht: „Er starb nur.“

Denk dir nur einmal, du seist – o möge das Zeichen nicht gelten –

mitten im Sturm, vom tosenden Wirbel der Fluten ergriffen:

Was wirst du denken? Dir wird dann Didos Fluch in Erinnerung steigen,

Didos Gestalt, die treulose Tat, das versprochene Schweigen.

Vor deinem Auge erscheint die betrogene Gattin in Tränen,

blutig das Haar, das ihr flattert, von Wahnsinn gepeitscht in der Stille.

Was willst du, sagen zu können, wenn Götter dich plötzlich anklagen?

Ich habe’s verdient – vergebet mir, Himmlische!“ – wird dein Bekenntnis.

Und wenn der Blitz dann niederfährt, so wirst du erkennen:

Er war für dich – als Strafe für mich, die du einst hintergangen.


Gönn eine Frist noch – dem Zorn der See und deinem eigenen.

Groß wird der Lohn dir sein, wenn du sicher das Meer überwindest.

Nicht um dich bangt mein Herz – nur möge Iulus verschont sein!

Sterben – für mich genug, wenn du’s wagst, mein Tod sei dein Ruhm schon.

Was hat Ascanius verbrochen? Was deine göttlichen Hausgötter,

dass sie vom Feuer gerettet, im Wasser nun untergehn sollen?

Doch du führst sie ja nicht – nicht Last noch heiliger Zeichen

trug deine Schulter je; nicht Vater noch Götter gestützt hast.

Falsch bist du in allem – und nicht bin ich die Erste, die litt schon

unter dem Lug deiner Zunge, dem Trug deiner wechselnden Worte.

Fragst du, woher des holden Iulus Mutter entschwunden?“

Frag nicht – sie starb. Zurück ließ der Hartherzige sie.

Das hast du selbst mir berichtet – ja, das war Warnung genug schon.

Brenne mich! Ich verdien es! Zu leicht ist die Strafe für meine

eigene Schuld – dass ich glaubte, du seist mir ein göttlicher Gatte.


Und mein Herz zweifelt nicht: Auch du bist dem Urteil verfallen,

Welches die Götter gefällt – nun stürzest du, siebenten Winter,

Über das Meer und das Land, vom Sturme geschleudert und irrend.

Wellen warfen dich her, ich gab dir friedlichen Aufenthalt,

Kaum noch deinen Namen gewusst, erhob ich dich auf den Thronen.

Hätt’ ich mit solcher Gunst mich zufriedengegeben, wie selig!

Ach, dass verborgen geblieben wär’ unser Bündnis für immer!

Jener entsetzliche Tag war mein Verderben: vom Himmel

Stürzte der Regen herab, es trieb uns flüchtend zur Grotte.

Dort vernahm ich ein Rufen – ich glaubte, Nymphen zu hören –

Aber die Rachegöttinnen waren’s, die fluchend mich riefen.


Fordre nun Buße von mir, o du entehrte Reinheit,

Strafe, wie sie Sychaeus gebührt – ich will sie bezahlen.

Ach, ich gehe dahin, beschämt, unglückliche Witwe!

Stehend im Marmorheiligtum ehrt’ ich Sychaeus mit Würden:

Laub umrankt das Bild, mit geweihtem Wollband umwunden.

Viermal hörte ich drinnen die wohlvertraute Stimme,

Rief mir leise, doch klar, der längst Verstorbene: „Komm, Elissa!“


Länger zaud’r ich nicht mehr – ich komme, dein Weib, dir gehörend,

Wenn auch zu spät, doch aus Scham um mein sündiges Handeln.

Sieh, ich bekenne die Schuld – vergib mir, was ich verbrochen!

Würdig war, der mich fiel; doch macht er die Tat mir verhasst nur.

Denn aus göttlicher Mutter ist er, aus väterlich treuem

Blut stammt er, Hoffnung war da, dass er mir Gatte geblieben.

War es mein Schicksal zu irren, so war mein Irrtum edel.

Bleibt er nur treu, dann wird mich das Fehl nicht reuen im Herzen.


Was mir vom Schicksal beschieden in frühern Tagen des Lebens,

Folgt mir noch jetzo und treibt mich fort bis ans Ende der Zeiten.

Blutig fiel mein Gemahl beim Altar inmitten des Hauses;

Früchte des frevelnden Mordes besitzt mein Bruder mit Freude.

Ich, die Gattin, entfloh – verbannt, verließ ich die Asche

Seines geliebten Leibs und das teure Land meiner Väter.

Pfadlos war mein Weg, von Feinden bedrängt auf der Flucht nur.

Unbekannte Gestade empfing ich, dem Bruder entronnen

Und dem Meer – doch dem Mann gab ich den erworbenen Strand preis.

Stattete Städte mit Mauern aus, erhob ihre Zinnen,

Und erweckte den Neid in dem Kreis der benachbarten Völker.

Kämpfe bedrohten mein Werk – mit Mühe nur hob ich die Tore,

Schützte das Land und baute dem neuen Volk eine Heimat.

Tausend war’n Freier um mich, die mich als Braut begehreten,

Doch ich wählte den Fremden – das klagt man mir nun als Verbrechen!

Warum bindest du mich nicht selbst, verrätst mich den Händen

Iarbans? Willig ergäb ich dem Schandwerk Arme und Leben.

Bruder hab ich noch, der mit frevlerischer Hand mich

Töten könnt, wie er einst meinen Gatten im Blute bespritzte.


Vielleicht lässt du auch mich, bald Mutter, Verlorener, sterben –

Teil deiner selbst bleibt dann verborgen in meinem Leibe.

Mit dem Geschick der Mutter fällt auch das Kind dem Verderben,

Und du wirst Schuldiger sein am Tod des noch ungebornen.

Mit mir stirbt der Bruder des Iulus – ein Los für uns beide.


Doch – „der Gott befiehlt’s!“ – Ach, hätte er dir doch verboten,

Je diesen Ort zu betreten! Nie hätte punischer Boden

Trojischen Fuß gespürt, nie Dido solch Liebe gekannt!

Dies soll also der Gott sein, der dich von den Winden verstoßen

Treibt auf dem Meer, dich Jahre um Jahre vom Ziel abirren lässt?

Wär’s Pergamum noch, wie einst, als Hector das Schicksal beschirmte,

Würd’ es kaum solcher Mühen bedürfen, dorthin zu kehren!

Nicht den väterlichen Simois suchst du, noch Trojas Gefilde –

Tibers unbekanntem Strom folgst du mit irrenden Segeln.

Doch auch wenn du ihn findest – ein Fremdling bleibst du auf ewig,

Und das ersehnte Land wird scheu dein Ruder vermeiden,

Bis vielleicht im Alter du endlich sein Ufer erreichst.


Lass nun das Wandern! Wähl’ mich – mit mir wählst du mein Volk auch,

Wählst du den Schatz des Pygmalion, den ich herüber gerettet.

Bring dein Ilion her zu der Stadt der Tyrer, verwandle

Dieses Geschick – und regiere, als wär’s dein göttliches Erbe!

Willst du den Krieg, soll Iulus mit Waffen Ehre sich holen,

Feinde gibt es genug, auch hier wird Ruhm ihm nicht fehlen.

Ort ist hier für Gesetze des Friedens und Platz auch für Rüstung –

Nur, bei der Mutter beschwör’ ich dich, und bei den Waffen

Deines Bruders, den Pfeilen, bei Göttern, die mit dir flohen,

Dardanus’ heiliger Schar – so mögen sie über das Schicksal

Steigen, gerettet durch Mars aus dem Trojergeschlecht;

So sei dies grausame Kriegsglück das letzte der Leiden,

So möge Ascanius leben in Frieden und reifen an Jahren,

Und in der Ruhe vergeh’n die Gebeine des alten Anchises –

Nur verschone das Haus, das sich dir in Liebe ergibt hat!

Was kannst du klagen an mir – als dass ich dich liebe, Verfluchter?

Nicht bin ich Phthiens Kind, nicht aus Mykene entsprossen,

Nie stand Vater noch Mann dir im blutigen Kampf gegenüber.

Schämst du dich, mich zur Gattin zu nehmen, dann nenn’ mich nicht Gattin –

Nenn’ mich nur Gastgeberin – so sei ich, was dir nur gefällt!


Wohl kenn’ ich die Fluten, die an Afrikas Küsten sich brechen:

Gebend sind sie mitunter, mitunter verwehren sie Wege.

Wenn es der Wind erlaubt, dann breite die Segel dem Sturme;

jetzt jedoch hält Seetang das Schiff am sandigen Ufer.

Mir vertrau das Wachen des Himmels und später das Gehen –

jetzt, selbst wenn du willst, so werd’ ich’s nicht dulden, dass du bleibst.

Rast verlangt dein Gefährt, und die Brüder ermattet vom Sturme,

dein zerschelltes Geschwader, nur halb neu gerüstet, verlangt es.

Bei der Gewogenheit, die du mir gabst, bei der ich noch hoffe,

dankbar einst zu vergelten – bei meiner Hoffnung auf Ehe –

fleh’ ich um kurze Frist: bis beruhigt das Meer und die Liebe,

bis ich durch Zeit und Gewöhnung die Kraft mir errungen zu dulden.


Willst du nicht weichen – so steht mein Entschluss: mein Leben zu enden.

Grausam wirst du nicht lange mehr sein, o Fremdling, in Liebe.

Könntest du sehn das Gesicht, das diese Worte dir schreibt!

Ich schreibe – das Schwert des Trojaners ruht schon in meinem Schoße.

Tränen tropfen von Wangen herab auf das blanke Geschmeide,

bald, anstatt von Tränen, benetzt von rötlichem Blute.

Würdig der Stunde dein Geschenk! Du gibst mir zum Sterben

reiche Gabe mit wenigem Wert – so billig mein Ende.

Nicht zum ersten Mal fühlt mein Herz die Wunde der Klinge:

längst schon brennt es in Schmerz – vom grausamen Liebespfahle getroffen.


ANNA, o Schwester! O Schwester ANNA, du Leidensgefährtin,

bald wirst du mir geben die letzte Gunst für die Asche.

Nicht auf dem Scheiterhaufen, wenn Flammen mich ganz verzehrten,

wird man schreiben: Sychaeus‘ Gattin. Elissa, die Reine –

sondern es soll auf dem Marmor des Grabes geschrieben dann stehen:

Aeneas brachte den Tod, und die Waffe stammt von ihm,

doch aus der eigenen Hand kam der Schlag, durch den sie gefallen.“