BERLIN ALEXANDERPLATZ


ein Gedicht von Torsten Schwanke


geschrieben für Quentin



Erstes Buch


Franz Biberkopf tritt aus dem Tor der Zelle frei,

vier Jahre tot, nun wieder mit dabei.

Er schlug aus Eifersucht die Ida tot,

nun zahlt’ er’s ab – mit Haft, mit Angst, mit Not.


Die Stadt umfängt ihn, laut, zerfressen, groß,

die Menschen leer, die Steine schwer und bloß.

Er sieht Gestalten, die mit Mauern schmelzen,

als wären sie aus Lehm, aus Dunst, aus Felsen.

Am Rosenthaler Platz – ein Paar beim Mahl –

macht ihm mit Messer, Gabel Angst zumal.

Er flieht die Helle, sucht den dunklen Gang,

der ihn an Tegel’s Gitterdämmerung zwang.


Dort fürchtet er, dass Dächer auf ihn stürzen,

die Welt will ihn mit altem Schrecken würzen.

Er kauert sich in einen Flur voll Grauen,

kein Ort, um seinem Hirngespinst zu trauen.

Ein Ostjude mit rotem Bart tritt ein,

sieht seine Not und führt ihn sanft hinein.

Ein Zimmer, wo der Rabbi still verweilt,

dort wird um Biberkopfs Verbleib geteilt.


Nachum, der Bärtige, erzählt sodann,

von einem seltsam listigen Gespann:

Zannowich Stefan, Lügner und Genie,

der trug die Maske wie noch selten sie.

Er sah in Padua, wie Fürsten gingen,

und lernte bald, sich gleichsam aufzudringen.

Er nannte sich mal Baron, mal Prinz gar,

ein Castriot, als wär’ er wirklich wahr.

Er sprach mit Fürsten, selbst mit einer Kais’rin,

und täuschte sie mit feinen Mimen eisern.

Sie schützte ihn vor Strafe, ob sie’s wusste,

dass sie mit Zannowich ein Spiel nur frustete?


Ein zweiter tritt herein, der junge Elieser,

erzählt, wie's kam zum letzten Lebensweiser:

Der Lügner starb mit dreißig, müd und bang,

in Brüssels Kerker, Selbstmord, letzter Gang.

Die Juden nicken stumm, entlassen leise

den Biberkopf, der geht auf neue Reise.


Er will nun trinken – Cognac sei sein Ziel,

und dann ein Film, ein Schattenreich, ein Spiel.

Die Lust kommt auf, nach Fleisch, nach Weiberhand,

für drei Mark wird mit einer Eintracht stand.

Sie öffnet leis die Bluse, Brust so rund,

zwei Königskinder – Märchen in dem Mund.

Wenn Wurst und Hund den Rinnstein überfliegen –

sie packt ihn, lässt ihn atmen, seufzen, liegen.

Putt, putt, mein Hähnchen, säuselt’s ohne Ziel,

doch war das alles das nicht, was er will.


Danach ist er voll Ekel und Verdruss,

er säuft, er frisst, weil er noch leben muss.

Er sucht Minna, Idas Schwester, heimlich auf,

vergewaltigt sie – ein zerrissner Lebenslauf.

Die Schürze, die er riss, ersetzt er stumm,

dann geht er fort – der Kopf, der bleibt ihm krumm.


Zu Nachum geht er wieder, schwer und krank,

will nun anständig sein, aus vollem Dank.

Er schwört es sich, dem Leben, dieser Welt –

doch bald ist’s aus, weil ihm das Geld entfällt.





Zweites Buch


Ein Bild von Berlin ersteht aus bunten kleinen Dingen,

Der Rosenthaler Platz beginnt, sich selbst zu singen.

Dort treibt sich Biberkopf nun rastlos, ziellos fort,

ein Ort voll Stimmen, Bilder – das Berlin von dort.


Ein Redner, wild erhitzt, drückt ihm in rauer Geste

Papier in Hand: nun trägt er Waren auf der Queste.

Zuerst verkauft er Halter nur für Schlips und Kragen,

doch bald wird er zum Händler auch von Druckerwagen.


Er bietet Blätter an mit Aufklärung in Sachen,

wo Lust und Körper ihre dunklen Wege machen.

Die Polin Lina hilft, die Freundin, neu und zart,

sie stärkt ihm Leib und Herz mit treuer Händlerart.


In einer Kneipe trifft er auf den Kriegsverkrüppelten,

der voll von Groll, von Zorn, von trübem Blick erfüllt.

Ein Weltbild wird geteilt, von Zweifel kaum befragt,

und bald ist’s völkisch, was Franz über Straßen trägt.


Er trägt das Hakenkreuz – die Geste scheint gewagt,

wenn Linke, spöttisch, ihn im Wirtshaus angesagt.

Sie reißen ihm die Binde ab mit Spott und Hohn,

Franz ruft vom Schützengraben – doch geht bleibt allein davon.


Die Wunden der Novemberzeit, sie brannten tief,

und was ihn trieb, war nicht mehr Hoffnung, nicht mehr Ruf.

Er tobt, er brüllt, man wirft ihn schließlich aus dem Haus,

der Wirt befiehlt den Rauswurf, der Streit nimmt seinen Lauf.


Mit Lina geht er fort, sie hofft auf feste Bande,

auf Liebe, Ehe, einen Neubeginn – imstande.

Am Ende zeigt man ihn als Mann mit dunklem Blatt:

Die Braut, die einst er schlug, war tot nach Wochen matt.


Ein Totschlag, blutig, stellt sich wie bei Mythen dar,

wie Agamemnon einst im Bad ermordet war.

Doch keine Rachegöttin treibt den Täter an –

Franz Biberkopf ist selbst sein Fluch, sein Untergang.





Drittes Buch


Pünktlich zur Weihnacht wechselt Franz das Ziel der Händel,

er tauscht nun Fleisch mit bunt gefärbten Schnürsenkel.

Mit frechem Mund verkauft er, was der Zufall trägt,

Zwanzig Märker! ruft’s, sein neuer Stolz bewegt.

Er trifft ’ne Witwe, weich gemacht durch Schmuserei,

die kauft ihm ab, was er so listig legt dabei.

Er lässt bei ihr noch Waren liegen, wohlbedacht,

zu späterem Abholen – so hat er’s sich gemacht.


In Kneipenschenken prahlt er mit dem Liebesglück,

Lüders, der Onkel Linas, hört es, stutzt zurück.

Am nächsten Tag tritt er zur Witwe frech herein,

Ich hol’s für Franz! – spricht’s lügnerisch mit kaltem Schein.

Er stiehlt ihr Geld, durchwühlt mit Gier den letzten Tisch,

die Frau sinkt ohnmächtig – der Bösewicht entwischt.


Franz, ahnungslos, kehrt später zu ihr noch einmal,

doch schlägt sie zu die Tür, verriegelt ohne Zahl.

Ein Brief enthüllt ihm, was geschehen ist im Haus,

der Name Lüders schreit Verrat und bittren Graus.

Noch an dem Tage kündigt Franz seine kleine Kammer,

verlässt die Stadt, verschwindet ohne Wort und Jammer.


Nach einem Tag beginnt die Lina, sich zu sorgen,

sie bittet Meck um Rat am frühen nächsten Morgen.

Der stellt den Lüders, schlägt ihn nieder, wie ein Tier,

und zwingt ihn dann, zu geh’n und steh’n vor Franz Biber.

Der gibt ihm Geld, wohl das, was er der Witwe nahm –

doch Franz bespritzt ihn bloß mit Wasser, wild und zahm.


Er bricht erneut die Bleibe ab, geht fort – wohin?

Man weiß es nicht. Er schwindet still aus Stadt und Sinn.

So spricht der Prolog des dritten Buchs, voll Trauerklang:

Dies war der erste Schlag, der ihn zu Boden zwang.






Viertes Buch


Franz haust verkrochen in der neuen, engen Höh’ —

Ein Zimmer nur, darin er trinkt und schlafend flieht.

Die Welt da draußen brüllt in ihrem grellen Weh,

Doch alles rauscht an ihm vorbei, er sieht sie nicht.


Er grübelt schwer, durchdenkt sein altes, dumpfes Leben,

Doch seine Fragen graben keinen neuen Grund.

Kein Trost, kein Wort vermag ihm Rettung mehr zu geben —

Er geht zum Pastor, doch der bleibt gefühlsunkund.


Dann sucht er still die Juden in der Münzstraße auf,

Beteiligt sich an keinem Wort, hört stumm und kalt.

Die Schlachthofszene hebt mit dunklem Klang nun an,

Der Nordost windet sich in blutig-bitterer Gestalt.


Man sieht das Schwein, den Stier, das Kälbchen sterben hier,

Das Fleisch wird feilgeboten, ausgelegt im Licht.

Die Zahlen, Maße, Höfe stehn wie bleiernes Papier —

Ein Weltgetriebe spricht, doch Gnade gibt es nicht.


Da mischt sich plötzlich Hiob in die Szene ein,

Vom Schmerz gezeichnet, schreit er durch die dunkle Nacht.

Doch eine Stimme spricht — ob Engel, Gott, ob Feind? —

Nur du, o Mensch, bist’s selbst, der seine Rettung macht.


Und als die Dämmerung den ersten Tag entfacht,

Fällt auch das Siegel seiner Pest: Die Wunde weicht.

Ein Schrei noch, dann verstummt das Leid in stiller Macht —

Die Selbsthilfe allein macht seine Seele leicht.


Im Viehhof schallt das Blöken, dumpfer Hammerschlag,

Das Blut rinnt träge, dampft im Morgennebel schwach.

Ein Kalb wird hingestreckt – der Tod ist nah und schwer,

Die Augen starren blind, als sähen sie nicht mehr.

Die Beine zucken noch, so dünn, so kindlich klein,

Ein letzter Ruck – und Stille kehrt ins Dasein ein.


Und haben alle einerlei Odem, Fleisch und Blut;

Der Mensch ist nicht viel mehr – es bleibt das gleiche Gut.


Ein nächtlich Flüstern warnt: Ein Einbruch, kalt und sacht.

Gerner, der Hausmann, hebt sich schweigend in die Nacht.

Mit seiner Frau berät er’s: Lass uns Diebe sein!

Doch zweimal stört man ihn beim Griff zum dunklen Schwein.

Die Beute trägt er heim – der Rausch kommt über ihn,

Mit Schnaps und Freudenschrei sieht er den Morgen glühn.


Doch früh am Tag tritt schroff die Polizei herein,

Und führt ihn ab – im Blick der Gaffer Hohn und Pein.


Franz sieht den Abtransport, das bürgerlich Geschau,

Die Spießer glotzen dumpf, mit Lust und leerem Grau.

Er tritt heraus, geht essen, schweigt dem vollen Glas,

Der Wunsch zu trinken zieht, doch nicht mehr stark wie das.

Er geht zu Minna hin, doch nur ihr Mann ist dort –

Ein kalter Blick von Karl, die Worte bleiben fort.


Franz flucht, geht unversöhnt und schleudert Zorn hinaus,

Verlässt mit leerer Brust das fremd gewordne Haus.


Da spricht in ihm eine fremde Stimme, kühn –

Er hört sich selbst und weiß: Noch kann er auferblühn.

Die Kraft kehrt heim, das Dunkel weicht dem eignen Sein,

Er steht, nun wissend, eins – mit sich und nicht mehr klein.




Fünftes Buch


Am Alexanderplatz, im Rauschen Stadt und Zeit,

lebt Franz Biberkopf, der vom Laster sich befreit.

Er bleibt sich treu, verkauft Gazetten auf der Straße,

doch wenig Geld bringt ihm der Handel, magre Maße.


Am neunten Februar, beim abendlichen Gang,

trifft er den Meck, der lockt ihn mit Verstand und Drang

in eine Kneipe; dort sitzt Pums, ein finstrer Mann,

der fragt, ob Franz nicht „Obst“ vertreiben helfen kann.


Doch Franz verneint. Noch hält er sich von Sünde fern,

doch Meck zeigt ihm sogleich – mit Blicken kalt und kern –

den „Gelben“, Reinhold, blass, von Krankheit fast zerfressen.

Franz sieht ihn an, fühlt Mitleid, kann ihn kaum vergessen.


Er fasst Gefallen, doch bleibt fern dem Pums-Gesindel,

denn was sie treiben, ist ihm stets ein dunkles Bündel.

Da kommt Reinhold zu ihm, spricht von der Fränzel leis,

ein Weib, das er verlässt – für Franz wird sie zum Preis.


Bald folgt Cilly, denn Reinhold wechselt Fraun wie Hemden,

nach jedem Mond weicht ihm das Herz in neuen Wenden.

Franz liebt Cilly – diesmal ist es tiefer Sinn,

drum lehnt er ab, wenn Reinhold bringt ein neues Ding.


Sie reden oft von dieser Krankheit ohne Namen,

doch finden keinen Grund, kein Ziel in ihren Dramen.

Dann trifft Franz Meck erneut, in dumpfer Kneipennacht,

wo Pums mit seinen Leuten finstre Pläne macht.


Er bietet an, für Lohn, bei dunklen Dingen zu

partizipieren – Franz hört’s, doch hält noch Ruh.

Ein Wort fällt dann, das klingt wie Gottes Donnerhall:

Verflucht der Mann, der auf den Menschen trauen soll!“


Am achten April, an einem Sonntag hell,

sieht Franz, wie zwischen Pums-Leuten bricht ein Streit aus schnell.

Er wird geschickt, soll Botschaft bringen, nichts dabei.

Man zahlt ihm fünf Mark, scheinbar redlich, frank und frei.


Auch Reinhold ist dabei, doch nun mit hartem Blick,

die Schwäche wich, nun tritt er auf mit Macht und Tück’.

Franz merkt zu spät, wohin die Reise wirklich geht:

Ein Raub, ein Fluchtplan – ahnt er’s? – doch es ist zu spät.


Er soll nur Schmiere steh’n, doch will sich plötzlich lösen,

da hält ihn Reinhold fest, mit Händen kalt wie Dösen.

Die Welt ist aus, aus Eisen, man kann nichts mehr tun,

sie rast dahin, lässt keinen Atem, keinen ruhn.


Dann rollt der Wagen, Raubgut drinnen, Herz voll Zorn,

Verfolger nah. Reinhold, durch Offenbarung torn,

wirft Franz hinaus, aus dumpfer Wut, Verrat im Blick –

ein Auto trifft ihn. Stahl zerschlägt sein Lebensstück.


Das fünfte Buch schließt still, der Morgen dämmert sacht,

der Erzähler denkt nach – vom Sonnenaufgang lacht

ein neuer Tag, doch über Blut und Schuld gebaut,

die Welt bleibt hart, der Mensch von Eisen und von Haut.






Sechstes Buch


Reinhold, beglückt vom Alkohol, entflammt in Zorn,

prügelt die Trude, die ihn quält, mit Hohn und Sporn.

So schafft er Raum, vertreibt sie aus dem eignen Bann,

und steht allein, ein neu geborner, freier Mann.


Des Nachts, am neunten Tage des April ist's schwer,

dass Franz, vom Schmerz gebeugt, sich wünscht: Ich kann nicht mehr.

Zu Herbert flieht er, dem Zuhälter treu im Sinn,

und Evi nimmt ihn auf – doch trägt sein Leid Gewinn?


Sie schaffen ihn ins Spital zu Magdeburg sodann,

damit kein Mensch je frag’ nach dem, was einst geschahn.

Dort wird, in stummer Qual, sein rechter Arm genommen,

und Biberkopf verstummt, das Denken wie benommen.


Zurück in Berlin, wo Freundschaft ihn umfängt,

da wird ihm Pums als falscher Geist und Dieb geschenkt.

Doch Franz, in edlem Trotz, verlangt kein Strafgericht,

verzeiht der Bande still – sein Recht verwehrt er sich.


Nur Reinhold schreit nach Blut, nach seines Endes Ziel,

doch andre sammeln Geld, verbergen sein Profil.

Doch Schreiber stiehlt das Gut, der Spende Wert entgleitet –

der Schaden wird nicht gut, das Unheil weiter gleitet.


Im Sommer achtundzwanzig, stiller Tagesglanz,

liest Franz nun bürgerlich, verliert den alten Kranz.

Er lebt von Evis Gunst, von Herberts mildem Sinn,

doch zieht es ihn zurück zur Kneipe, tief darin.


Er trifft die Emmi dort, plant Zukunft, Eigenstand,

erzählt dem Meck von Schuss und Flucht aus fremdem Land.

Durch Willi kommt er bald zur Hehlerei ins Spiel,

ein neuer Name folgt, im Anzug kühl, voll Stil.


Ein Kreuz auf seiner Brust, aus Eisen stumm und starr,

erzählt die alte Wund’, macht ihn dem Volk doch klar.

Als Franz Räcker nun, gelingt ihm ein Geschäft,

die Welt wird neu gebaut – mit Lust und mit Geschwätz.


Evi besorgt ihm Sonja, zart und doch bereit,

sie nennt sich lieber so, und Franz nennt sie: Mein Kleid.

Sie geht für ihn, ist stolz, auch Evi nickt ganz still,

sie selbst noch voller Glut, doch opfert, was sie will.


Franz wettert gegen Arbeit, wird politisch laut,

doch Evi und ihr Freund, sie wittern dunkle Haut.

Ein Kind will Evi nun, Sonja stimmt hell mit ein –

doch Franz entflieht nach Tegel, trinkt sich wieder klein.


Versöhnt mit Sonja, liegt er bald mit Evi dann,

denn Sonja duldet's still – sie lässt ihm seinen Wahn.

Doch in dem leeren Arm, da wohnt des Schmerzes Pein,

er säuft, verwehrt sich Trost, will nie mehr hilflos sein.


Er sucht den Reinhold, hört: die Cilly sei bei ihm,

der zeigt ihm Ekel pur, versinkt in Spott und Grimm.

Er füllt mit Tüchern nun des Franzens leeren Arm

und nennt ihn Krüppel, kalt – Franz zittert, fassungslos, lahm.


Beschämt kehrt Franz zurück, beim nächsten Mal mit Mut,

erzählt von Sonja frei – doch Reinhold ist nicht gut.

Er bietet Geld als Trost, plant hinterrücks den Raub:

Die Frau zu stehlen still – ein Dolchstoß wie ein Staub.


Zum Schluss spricht nun der Chor, des Erzählers Klang:

Der Franz ist wieder Lude, fort ist sein Verhang.

Er wollte ehrlich sein, doch Schwur und Eid zerbrach,

verraten, aus dem Wagen geworfen – welch ein Schlag!


Er fragt sich selbst: Warum der Arm?, doch keine Spur.

Ein doppeltes Vielleicht – das Ende winkt so nur.

Die Ahnung steht im Raum, wie dunkles Nebelspiel:

Dass Franz nun fällt – das Schicksal dreht sein Rad zum Ziel.





Siebtes Buch


Im Dunst der Straßen, grauer Alltag, bleich und kalt,

da hebt sich schwach ein Leben aus dem Weltenwald.

Ein Flieger fällt, sein Flug ist Diebstahl, List und Gier,

ein Tagebuch erzählt von Lieb' und Schuld und Zier.


Ein Mädchen schreibt, das Recht ist matt vor dem Gericht,

die Ordnung ringt mit Schuld, doch hält die Waage nicht.

Franz sucht den Reinhold auf, der Pumsbande Gesicht,

man nimmt ihn auf, obwohl das Herz noch Zweifel spricht.


Der Pums, der Pelzverkäufer, kalt und ganz diskret,

plant nächtens Raub, wo Samt im Schaufenster steht.

Im Schattenhandel fließt das Geld, wie Blut so rot –

zwei Hunderter erhält Franz für des Diebstahls Brot.


Muschi, die Freundin, zärtlich, ahnt den Abschied bald,

sie weint, als ob der Himmel selbst vom Gram zerfällt.

Sie mahnt an Evis Wort, ruft sie, in Bangigkeit,

und Evi, klug und zornig, warnt in ihrer Zeit.


Franz streift durch Straßen, prüft den nächsten Griff der Nacht,

da hat Reinhold sich still zur Muschi aufgemacht.

Er spricht von Frauentausch, von Lust und kaltem Spiel,

erzählt von Franz' Verzicht – das war des Bundes Ziel.


Ein Schwur am Türgriff: Leg dich nicht ins Bett hinein,

denn dort liegt eine Gabe, sie soll nur für dich sein.

Muschi gehorcht, doch Herz und Lippe suchen Trost –

sie spricht von jenem Schlosser, der sie einst erlost.


Franz tobt, das Herz von Eifersucht entzweit, zerrissen –

er schlägt sie blind, und Reinhold muss dazwischen wissen.

Doch bald, am Abend, sanft die Versöhnung still,

die Liebe blutet leise, wie der Schmerz es will.


Der Sommer sinkt, ein Maskenball in Rahnsdorfs Flur,

Muschi, verhüllt, verliert sich in des Abends Spur.

Sie tanzt mit Matter, jenem Klempner, trügerisch –

der Reinhold aber sinnt auf Mord, geheim und frisch.


Er lockt die Muschi, süß und falsch, nach Odergrund,

Bad Freienwaldes Schatten hüllen bald den Mund.

Ims Hotel flieht sie, doch am nächsten Abend dann

geht sie erneut mit ihm – der letzte Gang begann.


Im Wald, da küsst sie ihn, verlangt des Pums Geheimnis,

und Reinhold drängt, begehrt, doch sie flieht ins Finsternis.

Er jagt ihr nach, erzählt von Franzens stumpfem Arm,

und seine Lust wird Gier, sein Werben wird zum Harm.


Muschi, sie wehrt sich, tritt, doch ihre Kraft verrinnt –

ein Schrei, dann Stille, wo der dunkle Mord beginnt.

Er würgt sie nieder, hart, die Hände voller Wut,

ihr letzter Blick – gebrochen – tränkt das Moos mit Blut.


Mit Matter scharrt er Erde über junges Sein,

der Wald schweigt dumpf, nur Blätter wispern: Nicht allein.

Die Bäume schaukeln, schwanken. Jegliches vergeht...

Wumm, wumm – der Wald, er spricht, was niemand je versteht.


So endet Muschis Lied in dunkler Erde Grund,

und Franz – er hört den Schlag, den Hammerschlag der Stund.

Ein Leben weicht, ein Herz verstummt, der Mord geschah –

die Schuld bleibt hängen, schwer, wie je ein Kreuz wohl war.





Achtes Buch


Biberkopf, vom Verschwinden Muschis kaum berührt,

Glaubt sie beim feinen Herrn, der sie entführt.

Der zweite, dritte Tag – noch keine große Not,

Doch Evi bangt: Sie lebt nicht mehr, sie ist wohl tot.

Sie trägt ein Kind – die Angst steht ihr im Angesicht,

Und Herbert schweigt: Er weiß die Antwort leider nicht.

Erst spät im Monat kehrt Herr Matter heim zur Stadt,

Derweil der Erzähler finstre Bilder vor sich hat.

Von Berlin spricht er, in Staub und grauer Glut,

Und zitiert Kohelets Wort von Eitelkeit und Blut.


Die Pumsbande gerät nun rasch in Streit und Zorn,

Denn Pums hat sie betört, ihr Führer ist verlor’n.

Ein Einbruch misslingt – in einer Stofffabrik,

Sie schieben's Karl in die Schuhe, zornig und hektisch, dick.

Der Klempner tobt, beschimpft den Reinhold wüst,

Verlässt die Bande – die sich selbst zerreißt, zerfließt.

Er gründet selbst, und einmal hat er noch Erfolg,

Doch beim zweiten Streich holt ihn das Pech. Ein Schlag.


Verraten, denkt er, hat ihn Reinhold voller List,

Drum plaudert er – verrät, wo Muschi begraben ist.

Die Leiche wird nach langem Forschen aufgefunden,

Der Mord wird neu geprüft, mit vielen neuen Wunden.

Und Reinhold, tief verstrickt, zieht auch den Franz hinein,

Der nun, wie Hiob selbst, im Elend steht allein.

Die Hure Babylon bedroht ihn nun mit Macht,

Doch Engel halten Wacht bei ihm in dunkler Nacht.


Evi liest in der Zeitung, was mit Muschi geschah,

Sie weint und sagt es Franz – sein Herz wird plötzlich klar.

Er ahnt: Reinhold, der Feind, hat Rache hart geübt,

Nun will auch er, dass dieser seinen Lohn nun kriegt.

Auch Herbert jagt den Mann, den Mörder, diesen Hund,

Doch Franz, der sucht vergebens – kein Reinhold tut sich kund.

Im Wahn setzt er das Haus in Brand, das ihn beherbergte,

Und Engel decken ihn, dass niemand ihn bemerke.


Er irrt erneut durch Kneipen, Alexanderplatz,

Er geht, als suchte er den Tod im dunklen Satz.

Ein Polizist entdeckt ihn – Franz zieht seine Waffe,

Ein Schuss zerreißt die Luft, und stürzt ihn in die Strafe.

Da er sich lang der Meldepflicht entzogen hat,

Und auch im Fall Parsunke nun zur Fahndung trat,

Erkennt man ihn – und so nimmt alles seinen Lauf:

Im Präsidium ruft man: Er ist es! Hängt ihn auf!





Neuntes Buch


Reinhold enttarnt sich selbst und flieht vor seinem Bild,

das auf dem Fahndungsblatt sein Angesicht enthüllt.

Er greift zur List, nimmt Papiere, die gestohlen,

vom Taschendieb Moroskiewicz, dem schlauen Polen.

In fremder Haut fällt er eine Dame an,

um aus der Fahndungslinie zu entgeh'n sodann.


Im Zuchthaus trifft er dann auf jenen Mann,

der einst mit jenem echten Polen wandeln kann.

Dluga erkennt die Lüge, fängt ihn an zu pressen,

Reinhold, verraten, kann’s bald nicht mehr ermessen.

Er schlägt ihn nieder, flucht und flieht ins eigne Grab,

die Einzelzelle wird ihm nun zum stillen Grab.


Dort fault die Zeit, doch schließlich macht er sich den Fehl':

Er liebt im Dunkel einen Jungen, jung und schwül.

Der prahlt nach draußen, prahlt mit Mord und mit Gewinn,

und bringt durch Konrads Gier den Reinhold doch dahin.

Für tausend Mark verrät der Arbeitslose kalt

den Mörder – und nun wird er nach Berlin verknallt.


Franz Biberkopf, der einst sich stark und frei geglaubt,

verliert den Halt, der Hunger hat ihn ausgesaugt.

In Buch, der Anstalt, wird er eingeliefert, schwach,

man zwingt die Nahrung ein – er weint und stirbt nicht sacht.


Ein Totentanz beginnt: Gestalten seiner Zeit

erscheinen ihm, in Dunkelheit und Heiligkeit.

Reinhold, der Teufel, spricht aus seinem Angesicht,

und auch Ida, die einst zu früh zerbrochen, spricht.

Muschi, das Opfer, das ihn schmerzlich überlebt –

sie alle mahnen, was sein Herz verborgen hebt.


Nun aber hebt sich neu das Herz, ein neuer Mann,

der alte Franz ist tot, Franz Karl fängt anders an.

Er wird entlassen, Ärzte, Schupos seh’n in ihm

den Kranken, schuldlos fast, in Wahnsinn tief und schlimm.

Er sucht nun Herbert – doch der sitzt im Kerker fest,

zwei Jahre bringt er dort in Haft und Leid den Rest.


Bei Evi findet Franz nun Obdach, trotz dem Schmerz,

den ihr das tote Kind noch brennt im Mutterherz.

Gemeinsam stehn sie still am Grabe jener Frau,

die Muschi war – der Wind weht kalt und traurig rau.

Im Saal des Gerichts, beim Urteil über Schuld,

zeigt sich, wie tief die Wunde geht, wie lang die Huld.


Zehn Jahre Zucht erhält nun Reinhold, der im Wahn

die Hand erhob, im Affekt – so fing es an.

Franz nimmt, geläutert, Arbeit auf mit neuer Kraft,

als Portier steht er still und trägt der Welt die Last.


Zum Schluss spricht jener, der die Fäden in sich hält,

vom Weg, den Franz nun geht, durch eine neue Welt:


Sei wach, sei wach, du bist im Dasein nie allein –

die Nacht vergeht, es zieht der Morgen langsam ein.


Und Kriegstrompeten klingen, Lieder zieh’n dahin:

Die Freiheit ruft! Wir marschieren mitten drin!

Die alte Welt zerbricht, es trommeln Spielleut wild,

und einer fällt, der andre rennt, vom Blut gestillt.

Widebumm – so zieht das Lied in uns're Zeit,

der eine steht, der andre stirbt in Dunkelheit.





DIE FIGUREN


Franz Biberkopf


Franz Biberkopf, der starke Mann mit schwachem Sinn

verließ das Zuchthaus, müde, schwer und ohne Ziel.

Ein Mörder war er – doch sein Herz war nicht ganz blind,

verweht von Schuld, durchbohrt vom Schicksalsspiel.


Ein Koloss war er, blond, mit Ohren weit gespreizt,

zwei Zentner Fleisch, geformt von Arbeit, Wut und Trieb.

Ein Athlet, der auch vor dem Tod nicht leicht entgleist,

doch innen weich, ein Kind, das sich dem Traum verschrieb.


In Tegel saß er, vier Jahre lang, gebrochen,

nachdem er Ida – ach! – mit roher Hand erschlug.

Die Welt da draußen sprach in kalten, rauen Jochen,

doch Franz, er hoffte stets auf einen neuen Flug.


Er nennt sich Räcker, Klemens – stets ein fremder Name,

als ob ein neuer Klang sein altes Ich verbrennt.

Doch bleibt er treu: Den Freund verrät er nicht vor Scham,

auch wenn man ihn betrog, verstümmelt und verrennt.


Er liebt – doch grob. Er nötigt Minna ohne Reue,

er lässt Cilly die Stiefel eines Fremden putzen.

Er trinkt, er fällt, verliert sich ganz im braunen Neuen,

wird Werber, Stolz der Nazis: blond und voll der Fratzen.


Ein Faust, doch ohne Geist. Ein Mann, der schwankt, zerbricht,

der lügt sich Mut herbei und hasst das eigne Lallen.

Ein Don Quichotte im Staub, dem jedes Licht entbricht,

ein Spielzeug nur, bewegt vom Schicksal ohne Fallen.





Reinhold


Ein hager Mann, das Antlitz gelb und krank,

die Stirn von Falten tief und quer durchrankt.

Er stottert, meidet Wein, trinkt dünnen Sud,

in seinem Blick kein Trost, kein warmes Gut.


Er wechselt Frauen wie ein Narr die Spur,

verwirft sie, reicht sie weiter – ohne Schwur.

Nimm du sie, Franz! – sein bittres, hartes Flehn,

der Freund gehorcht, lässt andre Wege gehn.


Doch als der Handel nicht mehr weitergeht,

weil Franz sich weigert, dass er sie verschmäht,

da flammt in Reinhold Wut, aus kaltem Grund:

Verrat! ruft er, und meint: Du bist nicht gesund.


Er denkt sich schlau, doch spielt er nur ein Spiel,

sein Stottern täuscht – im Auto fährt er viel.

Er ist kein Tor, er lenkt, er führt den Kreis,

ein kalter Kopf, berechnend, scharf wie Eis.


Muschi wird Ziel: Er will, dass sie sich neigt,

als sie sich sträubt, wird sie von ihm erschreckt,

mit harter Faust erschlägt er, was sich wehrt –

ein Tier in Menschengestalt, das Liebe zehrt.


Er denunziert, verrät mit kaltem Blick,

sein Wort bringt andre tief ins Strafgericht.

Er hasst den Schwachen, spürt in Franz den Hohn,

Der sitzt auf einem Arm – ich brech ihm schon.


Ein Spiel aus Hass, aus Lust und stummer Macht,

sein Sadismus in der Nacht entfacht.

Doch bleibt die Frage, die der Richter stellt:

Was treibt ihn an, was regt ihn in der Welt?


Er ist die Kraft, die nicht im Wandel steht,

die starre Kälte, die durch Zeiten geht.

Und ob auch Lust in Männerarmen ruht –

sein Herz bleibt leer, selbst wenn sein Körper glüht.





Muschi


Ein Kind noch an den Jahren, von Evi ihm geschickt,

Die selber Emilie heißt und Masken gern zerbricht,

So tritt sie auf und wird, von Franz bald Muschi heißend,

Zur Freundin ihm, doch nicht aus freiem Herz verweisend.


Ihr Blick ist schulgleich rein, das Kleid von weißem Schein,

Er nennt sie Muschilein – das will kein Name sein.

Denn Marion war ihm fremd in Liebeslisten früher,

Und so ward Muschi ihm, doch erst ein Herzverzierer.


Zwar nur die zweite Wahl, doch wächst in ihm ein Fühlen,

Das zarte Band beginnt sich leise aufzuspulen.

Sie ist der Evi treu, bleibt stets in Dienst und Pflicht,

Will sich ihr gar bequemen, wo Fleisch das Wort verspricht.


Ein Kind sie gleich, doch schon in Männeraugen schön,

Mit Briefen reich bedacht von Gönnern, die sie seh’n.

Ein Schlosser raubt ihr Herz, sie spricht es offen aus,

Gerade da Franz prahlt mit ihr in seinem Haus.


Im Bett versteckt liegt Reinhold, will sie heimlich schauen,

Und hört ihr Bekenntnis – Franz kann sich kaum vertrauen.

Er schlägt sie blind vor Zorn, lässt Wut und Faust gewähren,

Bis Reinhold eingreift – will ihr Leben nicht zerstören.


Doch kehrt sie zu ihm heim, trotz Schmerz und blauer Male,

Ihr Name deutet an der Sühne alte Pfade.

Wie Sofja einst bei Dostojewski’s schwerem Wort,

Steht sie für Opfermut, für Heilsversprechen dort.


Ihr weißes Kleid, so sagt der kluge Ogasawara,

Ist Lottes Ebenbild – ein reines Ideal, das klare.

Doch ihre Rolle bricht mit jenem süßen Bild,

Denn was sie tut, ist fern von dem, was Tugend stillt.


Nicht Eros treibt sie hin zu Reinhold, so erkannt,

Es ist nur Eitelkeit, die sie zum Wissen spannt.

Und dennoch sagt man ihr, sie sei des Franzens Retterin,

Denn durch den Tod erst fällt die Kette von dem Sünder hin.


Maria gleich genannt, ist sie auch Magdalena,

Die Sünderin, zugleich des Heiles lichte Fahne.

In ihr vereint sich Schuld und Gnade, Schmerz und Licht –

Ein Engel, der gefallen, doch zuletzt zerbricht.




Evi


Evi, die Hure, einst Emilie genannt,

steht treu zu Franz, den sie noch immer liebt.

In ihr ist Glut, die keine Zeit verbannt,

die gibt, was selbst der kalte Tag nicht gibt.


Mit Herbert lebt sie – Zuhälter, doch auch Freund,

ein Mann, der aufrecht in der Gosse steht.

Er teilt mit Franz, was er dem Leben zollt,

und weiß, wie schnell das Glück vorübergeht.


Franz kehrt zurück – zerschlagen, krank und leer,

die Zeit im Haus hat ihm das Mark geraubt.

Bei Evi wohnt er, findet keinen Speer,

der ihm sein Recht am Dasein wieder glaubt.


Sie rät ihm klug, verklag den Reinhold doch,

doch Franz bleibt stumm, sein Mut ist längst entflohn.

Sie trägt das Brot durch Lust und frechen Trug,

bestiehlt die Männer, die sich ihr verliern.


Sie führt ihn Muschi zu – ein neues Bild,

ein trügerisch versprochener Altar.

Doch Muschis Tod, so leise und so wild,

reißt Franz zum Grund – kein Herz ist offenbar.


Die Liebe weicht, das Beil der Zeit ist scharf,

die Lust versiegt, der Leib wird kalt und fremd.

Die Seele schweigt, die einst zu fliegen warf,

nun irrt sie dort, wo sich das Ich nicht kennt.





Pums und die Einbrecherbande


Pums bietet Obst feil – doch das ist nur Fassade,

Er führt die Einbrecher, kennt Diebstahl als Parade.

Mit Reinhold, Matter, Emil, Franz und Heller

zieht er durchs Milieu, kalt, zielsicher, nicht heller.


Der Meck, ein Freund von Biberkopf, macht Stoffe,

Er wirkt gesetzter, rund, mit roter Wange schroffe.

In Leinenmantel, Stiefel, steht er fest,

Biberkopf meint: ein Viehhändler wie der Rest.


Die Gelder wäscht man klug durch Pelz- und Bügelstuben,

So scheint, was kriminell, als bürgerlich zu loben.

Der Pums ist streng, doch herrscht mit fester Hand,

Teilt selbst den Lohn, bestimmt, wer was empfand.


Sein Weib ist kalt, lässt Bitten unbeachtet,

Ein Brief von Franz? – gleich in den Müll verfrachtet.

Wie ein Betrieb, so läuft das Bandenwerk,

Mit Lohn und Hierarchien, mit Macht und mit Geschwätz.


Denn Biberkopfs Malheur macht bald die Runde,

Ein Jammer – sammelt für ihn!, klingt’s aus dem Munde.

Doch keiner hält lang fest zu einem Schwachen,

Im Verein darf man doch keine Fehler machen.


Heller, ein Mann, der einst Geschäfte trieb,

Nun lebt er fein, doch ohne dass er liebt

die Arbeit. Eitel, stets im besten Zwirn,

bricht er doch still in Häuser ein – ganz firm.


Emil, ein Fauler, rauft sich wild mit Franz,

Ein lauter Streit, ein sinnlos düstrer Tanz.

Und Matter, Klempner einst, will Schweißer sein,

Er träumt von einem Patent – es blieb nur Schein.


Verkannt vom Werk, geht er nun krumme Pfade,

Setzt Diebsgut ein für neue Schraubenrade.

Doch trifft ihn Pech: Die Hand ist nun verletzt,

Kein Mitleid ruft, kein Bruderherz ihn schätzt.


So wendet er sich ab von Pums Gewalten,

In Hoffnung, neue Wege doch zu halten.




Otto Lüders


Ein Arbeitsmann, der einst bei Biberkopf begann,

wird bald zum Feind, der schnürt mit feinem Plan.

Mit Schnürsenkeln, doch nicht bloß an Schuh und Kleid,

verbindet er die Welt mit Lug und Heimlichkeit.


Linas Verwandter, einst ein Mann im Arbeitsstand,

ist längst entgleist, wird von der Not gebannt.

Die Frau, die Wäsche wäscht, ist seine Ehefrau,

doch er, der Müßiggänger, bleibt dem Werk nicht treu.


Seit zwei vollen Jahren ist er ohne Brot,

betrügt die Witwe, deren Herz für Biberkopf glüht rot.

Erpresst mit List – sie gab sich einst dem Glück,

nun weicht sie bang zurück vor Lüders’ finstrem Blick.


Er wird zum Schicksal, das Franz niederreißt,

zur Schlinge, die sich eng um Hoffnung beißt.

Und doch: Kein Zorn, kein Racheschwur im Mann,

der einst das Recht suchte und nun nicht mehr kann.


Verstoßen von der Frau, getäuscht, verrannt,

flieht Franz in Rausch, in Nebel, der ihn bannt.

Die Schlange ist es, wie im alten Lied,

die in das Paradies des armen Sünders zieht.


So meint auch Keller, dass mit Lüders Hand

des Helden Fall beginnt, das Ende seinem Stand.

Und Müller-Salget sagt, der Hochmut selbst,

sei’s, der dem Arbeitslosen Macht einst verhilft.


Und Baum erkennt in Lüders dunklem Sein

ein Mittel nur, die Stadt zu fassen ein:

Ein Räderwerk aus Zufall, Gier und Pflicht –

der Mensch zerfällt, das Schicksal spricht Gericht.





Die zwei Juden


Ein Jud’, er trägt den Bart in glühend rotem Licht,

sein Mantel wallt, der Hut wirft Schatten ins Gesicht.

Er schreitet durch die Stadt, von weitem schon erkannt,

ein Bild, das sich in all der Menge still verbrannt.

Es ist Nachum, der kluge Mann von alter Art,

sein Blick ist scharf, doch auch von Herzenslust gepaart.


Dem Biberkopf, der müde durch das Leben irrt,

bietet er Obdach, wo kein Hohn, kein Spott mehr klirrt.

Er führt ihn sacht ins Haus des Rabbiners hinein,

wo Worte stärker als das Schicksal selber sein.

Dort spricht er leis von einem fremden, wilden Mann:

Zannowich, der einst klug und frech gewinnen kann.


Ein Spieler, Meister list’ger Masken, falscher Zier,

der König spielt und Fürsten täuscht mit seinem Gier.

Er steigt empor, der Welt ein blendend falsches Bild,

sein Glück scheint groß, sein Wille kühn und ungezügelt wild.


Da tritt Elieser vor, mit dunklem, sanftem Klang,

ein Brauner, der voll Ernst die Wende bringt im Gang:

Doch was empor sich schwingt auf Flügeln schnöder List,

verliert sich bald – denn Wahrheit ist, was bleibend ist.

So stürzt der Held, die Masken fallen in den Staub,

der Glanz verglimmt, zurück bleibt nur ein leerer Raub.




MOTIVE



Erzählung vom Paradies


Im Paradiese lebten einst in stiller Pracht

Zwei Menschen, Adam, Eva – ohne Müh und Nacht.

Der Herr, der Himmel, Tiere, Pflanzen einst erschuf,

Gab ihnen Frieden, Freude, einen eignen Ruf.

Der Tag verfloss in Licht, in Harmonie und Spiel,

Kein Leid, kein Fluch, kein Trug, nur reines Lebensziel.


So hält auch Franz an Ordnung fest mit fester Hand,

Ein Lüders sichert ihm das neue Vaterland.

Doch bald, im Rauch der Kneipe, bricht der alte Bann,

Er streitet, flieht – und ahnt, was nun geschehen kann.

Ein Rascheln mahnt: Es rührt sich was im grünen Raum,

Ein Haupt erscheint: die Schlange windet sich im Baum.


Sie spricht zu ihm – nicht Eva, doch in neuem Bild,

Der List verschrieben, schillernd, süß und eiskalt mild.

Er redet viel, zu viel – sein Wort wird Fall und Fluch,

Denn Lüders greift, wo Franz in sich nur Gutes sucht.

So fällt er tief – aus dem, was einst ein Eden war,

Gefallen durch Stolz, durch Torheit, unbewusst und klar.


Verflucht sollst du nun sein mit all dem Vieh der Welt,

Auf deinem Bauch, o Schlange, sei dein Weg bestellt!

Mit Schmerzen wirst du, Weib, nun deine Kinder sehn,

Und du, o Mann – im Schweiß den Acker weitergehn.

So ward das Paradies vertan durch eigne Schuld,

Die List des Worts – zu leicht, zu blind, zu kultig.





Hiob


Der Biberkopf, verurteilter Mann zum Tod durch Schuld,

gleicht Hiob doch, der fromm, gerecht, in Gottes Huld.

Ob jener Prolet ist, von Schande schwer befleckt,

der Hiob bleibt in Tugend stets aufrecht und entdeckt

den Sinn im Leid – doch auch Franz’ Weg wird hart geprüft,

bis alles ihm zerrinnt, was er je war und liebt.


Ein Prüfer greift in beider Schicksals Rad hinein,

es brechen Welt und Leib, der Geist wird nackt und klein.

Der Glaube, dass die Welt noch Güte in sich trägt,

bleibt auch bei Biberkopf, der trotzt und sich bewegt.

Doch was sie eint, ist mehr: ihr Ich, das unbewegt,

sich selbst umkreist und blind die Welt verfehlt, verlegt.


Dies Ich, es hält sie fest in stummer Selbstverneinung,

vermehrt das Leid, verweigert wahre Offenbarung.

Im vierten Buch, da steht: Hiob, du willst nicht sehn,

da wird Franz’ Weg als Bild vorweg schon eingestehn.

Wie jener Mann im Staub, verliert Franz Gut und Sinn,

bis Heilung ihn erreicht – im Buch, im Irrsinn drin.





Der Tod


Seit jener Stunde, da die Freiheit ihm gegeben,

geht Tod mit Biberkopf und spricht von Schuld und Leben.

Nicht kalt wie jener, der nur aus der Ferne spricht,

er ruft: Versteck dich nicht! Zeig endlich dein Gesicht!


Vier Jahre hast du dich im Schatten nur verloren,

nun sei ein Mann – zum zweiten Mal sei neu geboren!

Hab Mut, sieh um dich her, es endet das Verstecken,

denn wer sich ewig duckt, wird nie sein Haupt entdecken.


Der Tod erkennt ihn ganz, durchschaut den alten Franz,

doch wendet sich nicht ab, verleiht dem Mahnen Glanz.

Er spricht von Hiob, dem aus Uz, der viel gelitten,

bis er das Dunkel sah und ward von Schmerz durchschnitten:


Wie jener Mann, dem nichts mehr fallen konnte schwer,

so wirst auch du gereift, von innen ausgeleert.

Denn wer das Letzte trägt, das alles übersteigt,

dem wird am Ende noch das Wahre selbst gezeigt.


Und endlich – in Buch neun – tritt Tod in eigner Kraft hervor,

er kommt zu Franz und spricht, tritt über seine Tor:

Nun ist es Zeit, mein Freund, dass ich zu dir mich neige,

die Samen fliehn im Wind, die Laken flattern feige.


Du schüttelst sie, als läg dein Leib nicht länger hier,

als würd’st du aufstehn bald und nicht mehr schlafen schier.

Drum bin ich da, du sollst nicht weiter dich verstellen –

der letzte Gast ist nah: Ich will dir Wahrheit stellen.





Die Hure Babylon


Die große Hure, Babylon genannt,

Am Wasser sitzend auf dem Tier scharlachrot.

Ein Weib, voll Namen, die die Lästerung sind,

Sie trägt die sieben Häupter und Hörner zehn.

In Purpur, Scharlach reich bekleidet dort,

Mit Gold und Edelstein und Perlen schwer,

Sie hält den goldnen Becher fest in der Hand,

Ein Name steht geschrieben auf ihrer Stirn:

Die große Babylon, geheimnisvoll,

Die Mutter aller Gräuel auf der Welt.


Doch Franz, der aus dem Wagen wird gestoßen,

Verfällt dem Glanz der Großstadt weiterhin,

Die Hure Babylon verfolgt ihn dicht,

Sie folgt dem Biberkopf auf finstrem Pfad.

Als er zum Hehler wird, tritt sie hervor,

Erfreut sich an den Schmerzen seiner Qual,

Wenn er an seine Wunden denkt zurück,

Sie nährt sich von des Elends bitterem Leid.





Der Schlachthof als Gewaltmetapher


Ursprünglich war der Schlachthof Symbol,

Ein Spiegelbild der Großstadt, kalt und hart.

Wie Tiere, die in jener Halle stehn,

So wird Biberkopf von Gewalt getrieben,

Die gnadenlos ihn durch die Straßen treibt.

Sein Scheitern gleicht dem tödlichen Werk der Hand,

Die Tiere bringt zum letzten stillen Fall.

Der Schlachthof steht für rohe Gewaltmetapher,

Schon im Prolog tönt der Kampf in jedem Wort:

Es stoßt, es schlägt, es torpediert, fällt nieder

Und wird zur Strecke gebracht – so hart und rau.

Dreimal trifft’s Biberkopf mit voller Macht:

Zuerst erfährt er Rohheit seiner Welt,

Dann wird er von Lüders’ Missbrauch verletzt,

Verliert den Arm, gestoßen aus dem Wagen,

Und letztlich verliert er seine Liebste,

Die Muschi, die ihm Halt im Leben gab.

Wie Paradies, so steht der Schlachthof auch

Für Chancen und das Dasein selbst in Leid.




ANHANG


Alfred Döblin, der als Jude geboren wurde, konvertierte im Laufe seines Lebens zum Katholizismus. Diese Konversion fand im amerikanischen Exil statt und wurde 1941 offiziell durch die Taufe in Hollywood vollzogen. Döblin selbst sah darin eine innere Suche und eine Hinwendung zu einem christlichen Weltbild, während einige seiner Zeitgenossen, wie Bertolt Brecht, dies kritisch sahen oder als Folge seiner Fluchterlebnisse interpretierten. 

Döblins Hinwendung zum Christentum war ein längerer Prozess, der sich schon in seinem Werk, beispielsweise in der "Reise in Polen" (1925), andeutete. Die Konversion erfolgte nach einem Erweckungserlebnis in der Kathedrale von Mende und wurde 1941 mit der Taufe in Hollywood vollzogen. Döblin sprach sich in einer Rede vor ehemaligen Kollegen, darunter Bertolt Brecht, offen zum Christentum aus und kritisierte einen moralischen Relativismus, der zu dieser Zeit weit verbreitet war. 

Die Konversion stieß bei einigen Intellektuellen auf Unverständnis oder Spott. Bertolt Brecht verfasste sogar ein Gedicht mit dem Titel „Peinlicher Vorfall“ über Döblins Konversion. Gottfried Benn äußerte sich ebenfalls spöttisch über Döblins Sinneswandel, indem er ihn als einstigen Avantgardisten und Schöpfer von Franz Biberkopf (aus "Berlin Alexanderplatz") bezeichnete, der nun streng katholisch geworden sei. Diese Reaktionen zeigen, dass Döblins Hinwendung zum Christentum in der damaligen Intellektuellenszene nicht unumstritten war. 

Trotz der Kritik hielt Döblin an seinem neuen Glauben fest und sah darin eine Möglichkeit, mit den Erfahrungen des Krieges und der Emigration umzugehen. Hans Joas, ein Sozialphilosoph, hat sich ebenfalls mit Döblins Konversion auseinandergesetzt und betont, dass sie auch als Reaktion auf die damaligen Ereignisse und als Ausdruck einer Suche nach Sinn und Halt zu verstehen ist.