DER KINDERKREUZZUG


von Torsten Schwanke


Jüngling, ich sage dir: Stehe auf!“

(Evangelium)


Circa idem tempus pueri sine rectore sine duce de universis omnium regionum villis et civitatibus versus transmarinas partes avidis gressibus cucurrerunt et dum quaereretur ab ipsis quo currerent, responderunt: Versus Jherusalem, quaerere terram sanctam. Adhuc quo devenerint ignoratur. Sed plurimi redierunt, a quibus dum quaereretur causa cursus, dixerunt se nescire. Nudae etiam mulieres circa idem tempus nihil loquentes per villas et civitates cucurrerunt.



ERSTER GESANG

ERZÄHLUNG DES GOLIARD


Ich, armseliger Goliard, streife den alten Pfad,

bettle im Namen unsres Heilands mein dünnes Brot; 

durch Wälder und über Landstraßen führ’ mich die Gnad’, 

seh’ frommes Spiel und höre Kinderstimmen, rot 

vor Furcht — man tut den Kleinen wohl so große Schad’ 

sie blenden, sägen, binden, zeigen Mitleid für ihr Lot; 

o Herr, bewahr’ die Unschuld vor der Höllennot, 

ich flehe mit zerrissnen Händen um dein mildes Lot.


Ich hab’ nicht standgehalten unterm Lindenblatt, 

die Brüder gaben Wein, ich trank, wie’s mir gefiel; 

man sieht, ich bin nicht hart getränkt durch Mönchsgestalt, 

gehöre nicht zur Schar, die grausam Menschen quälen will. 

So wandre ich, ein kläglicher und landfahrender Spalt 

im Chor der Bettler, und mein Herz macht leise still; 

doch ob ich sündig bin — o Herr, dein Schutz erfüllt 

die Straße, wo dein Kreuz auf jedes Haupt sich hüllt. 


Ich weiß, mein Leben ist kein Heiligtum, o Gott, 

die Tonsur schnitt man mir zur Kinderzeit mit kaltem Band; 

die lateinischen Worte fielen aus meinem hohlen Schrot, 

ich hüpf’ wie Heuschrecken übers dürre Ackerland. 

St. Johannes fraß Heuschrecken in der Wüstennot — 

man müsst’ sie viele essen, wär’ er wie wir verwandt; 

doch jener heil’ge Mann war andrer Art erkannt, 

sein Reden wild, doch rein auf Gottes hoher Wand. 


Der Frühling mild: so weiß und rot die Blumen steh’n, 

die Wiesen sind gekämmt, die Hecken glänzen Blut; 

und überall — ein Bild, das in dem Traum zu seh’n — 

unsres Heilands Werk, das leuchtet in der Flut. 

Jesus ist weiß wie Lilie, und doch ist sein Weh’n 

in jedem Tropfen, der die rote Spur tut gut; 

wer schreibt’s auf Pergament? Ach, hätt’ ich Einfalt, Mut, 

dann tät’ ich Namen notieren, bitt’ um Ruhe, Glut. 


Ich träumt’ von Rollen, von den Namen meiner Brüder,

durch Abteien trüg’ ich ihre Klagen treu und fromm; 

doch kenne ich sie nicht — vielleicht fragt unser Führer

nach jedem Namen nicht, der starb an Feld und Dom. 

Die Kinder ohne Namen füllten Landstraßen nieder 

wie weißer Bienenschwarm, so leicht, so ohne Strom; 

sie trugen Kreuze, grün und bunt — ein Pilger fromm, 

und glauben an Jerusalem, so weit, so komm! 


Nicht sie, ich sag’s, ziehen hin — Jerusalem kommt her, 

das Ziel der Heiligkeit liegt in der freudigen Ruh; 

mein Mund ist Heilands Rotdorn, mein Atem naht ihm sehr 

und seine Grabesgedanken tragen mich dazu. 

Ich will in Sonn’ nun schlafen, hier ist Heiligtum und Heer, 

die Füße Jesu segnen still den Stein und meine Schuh; 

Jesus, lass diese kleinen weißen Kinder ruhn dazu, 

die Mittagsstund’ drückt schwer — Amen, ich schlaf: o du. 




ZWEITER GESANG

ERZÄHLUNG DES AUSSÄTZIGEN


Wohl wisset, eh' ich sag', mein Haupt verbirgt ein Bild, 

mit weißer Kapuze, und dass ich klüffe hartes Holz. 

Ich schwing' die Klapper, und mein Angesicht ist mild — 

ich weiß nicht, wie mein Antlitz war, nur dieser Stolz 

vor meinen Händen bleibt; sie eilen, schuppig, wild, 

fahl wie gekrümmte Tiere, die der Blüte Holz. 

Ich schäme mich vor dem, was ihre Griffe tun; 

ihr Hauch läßt rote Früchte welk im Laube ruh'n. 


Ich möcht' sie abhauen, diese Hände, die verderben; 

sie fassen Wurzeln, und die armen Regungen vergeh'n.

Domine, aller Menschen Hüter, laß mich sterben, 

o Heiland, deiner Sühne teil' ich nicht das Weh'n; 

vergessen bin ich bis zur Auferstehung ferner, 

gleich einer Kröte, die im Mondlicht an dem Stein 

verharrt — in meiner Höhle bleib' ich ohne Licht; 

die andern steigen auf, ich harr' der ew'gen Frist. 


Zwölf hundert zwölffach Jahre sind seit jener Nacht, 

da er die Andern löste — mich berührte er nicht. 

Nicht traf mich jener blut'ge Speer, nicht ward gelacht 

mir Heil; sein Blut an andern hat mir nicht gedichtet. 

Ich denk' an Blut, denn meine Zähne sind voll Macht, 

sie blieben weiß, unversehrt in meinem Angesicht. 

Dass ich den Einen greif', der seinem Leibe naht, 

ward Trieb in mir, weil mir die Gnade nicht geraubt. 


Ich lauerte Kindern auf, vom Vendôme her zur Au', 

sie trugen Kreuze, ihre Körper ihm geweiht; 

ihr Leib war Sein, und ich, verstoßen, rauch' wie Tau,

auf Erden rings gezeichnet durch das bleiche Leid. 

Ich sucht am Halse eines Kindes, unschuldig, blau, 

zu saugen Blut — et caro nova fiet in irae weit. 

Am jüngsten Tage hoff' ich neuer Leib zu sein; 

die Zeit, sie spinnt mein Schicksal in der Gnad‘ zu frei'n.


Und hinter allen ging ein Knabe, rot das Haar, 

ich sah ihn, sprungbereit, umfasste seinen Mund. 

Er trug ein hären Hemd, die Füße blank und klar; 

sein Blick blieb sanft — er wischte still vom Munde Grund. 

Als ich sah, dass er nicht schrie, begehrte ich gewahr 

ein Menschenton, und ich ließ ihn los, so wund. 

Wer bist du?“ frag' ich — seine Antwort fiel wie Klang: 

Johannes der Deutsche“, rein und ohne Zwang. 


Wohin gehst du?“ fragt' ich weiter. „Nach Jerusalem“, 

sprach er, „das heilige Land zu erobern ist mein Ziel.“ 

Ich lach' — „Wo liegt Jerusalem?“ — „Ich weiß es nicht“, so dem 

entgegnet' er; und „Was ist Jerusalem?“ sein Spiel 

ward: „Es ist unser Heiland!“ — jenes Wort so schäm

ward weiß in mir, ich wütet' und entfalt' mein' Kiel. 

Wie ist dein Heiland?“ — „Weiß ist er“, flüsterte er sacht; 

da öffnet' ich die Zähne, biss vor Glut und Macht. 


Doch das Kind wich nicht. „Warum fürchtest du dich nicht?“ 

sprach ich: „Warum fürchtest du, mich weißen Mann, mich gar?“ 

Er sprach: „Warum sollt' Furcht wohnen in mir?“, sein Licht 

war klar; da brach ich in Tränen aus, fiel und küsste klar 

die Erde mit den Lippen, schrie: „Weil ich aussätzig bin!“ 

und warf mich hin, mein Herz gebrochen, sonder Schar. 

Das Kind aber stand, sprach leise: „Ich weiß nicht“ — rein; 

es fürchtet' mich nicht, seine Scheu war mir wie Wein. 


Sein Rot verschwand im Sonnenschein; ich wischte Hand und Mund, 

und sprach: „Zieh, sag' meinem weißen Heiland, er vergaß mich heut.“

Ich ging mit ihm bis Licht, bis Waldtor, bis zur Stund', 

es zog dahin, die Schritte ruhig, und sein Kleid 

verharrte nicht — sein Blick war andrer Wege kund; 

ich rief: „Domine infantium, laß mich frei von Leid!“ 

O höre, dass die Klapper meines Herzens schalle weit, 

wie reine Glockenklänge vor dem heiligen Geleit. 


Herr aller Unwissenden, erlös mich von dem Bann, 

der mich umgibt; die Tiere fliehn, die Seel' will fort.

Doch eines blieb: die Zähne, treu in weißem Glanze; dann 

bleibt mir die Gier, der Hunger, jener alte Ort. 

Ich flehe, dass dein mildes Licht mir einmal nah, 

und lässt mein Klappern dringen bis in deinen Port. 

Domine ceterorum, libera me, ich schrei — 

befrei' den Aussätz'gen, lass mich sterben, steh' mir bei.



DRITTER GESANG

ERZÄHLUNG DES PAPSTES INNOCENZ III.


Weit fern vom Weihrauch, fern den Meßgewändern steh’n,

ich spreche mit Gott still in meiner Kammer schlicht. 

Hier sitz’ ich, um das Alter ohne Stütze zu seh’n, 

die Messe hebt mein Herz, mein Leib wird groß und licht.

Geweihtes Funkeln füllt die Augen wie ein Weh’n, 

der Geist ist ölig, wenn das scheue Opfer bricht. 

Doch in der Zelle darf ich unter Müdigkeit neigen, 

Ecce homo! — so will ich dem gütigen Herrn mich zeigen. 


Nicht Purpur, nicht der Prunk der Hirtenbriefe glückt, 

kein Kleinod rührt den Herrn so tief wie stilles Flehn. 

Vielleicht, o Herr, in dieser Kammer, schlicht beglückt, 

erhörst Du dieses Stottern, dieses unvollkommne Weh’n. 

Ich bin so alt, o Herr, der weißgekleidet blickt, 

mein Name ist Innocenz; Du weißt, ich weiß nichts zu seh’n. 

Vergib das Papsttum mir, es ward mir auferlegt, 

ich trage seine Ehren, die nicht mein Wille hegt. 


Ich seh’ die Sonne lieber durch die runde Scheibe, 

als in dem prunkvollen, gebleichten Fensterstrahl. 

Lass mich wie andre Alten seufzen, klein und bleich und steif, 

das Antlitz falt’ ich licht, vom Schlaf der Nacht einmal. 

Die Ringe gleiten von den dürren Fingern, in Reihe

die Tage fließen fort, als sei dies das letzte Mal. 

Mein hohler Händedruck trägt reinen Weins Vertrauen, 

als Stellvertreter hier will ich vor dem Altare schauen. 


Doch große Missetat ist da, und große Sünde, 

sie müssen schuldig sein vor deinem gerechten Maß. 

Es gibt Ketzerei in Menge, hart wie Dornenwunde, 

und unsre Strenge droht, zu richten ohne Spaß. 

In dieser weißen Zelle steigt in mir die Stunde 

der Zweifel, ob mein Amt noch trägt des Gerichtes Maß. 

Bin ich zum Richten da, o Herr, im Prunk gesetzt? 

oder reicht für Urteil nicht mein schlichtes Betgesetz? 


Und ich fürcht’ um deine Ruhstatt, stets von Ungläub’gen umstellt, 

man konnte ihnen noch nicht nehmen, was Dir heilig war. 

Kein Kreuz ward dorthin getragen, dass Christi Macht erhält, 

die Ritter ruhen stumm, die Könige sind stumm und starr. 

Und ich — ich klag mich an, o Herr, weil Kraft mir fehlt, 

ich reiß’ mir an die Brust, ich klage laut und sonderbar. 

Zu schwach, zu alt — so klingt der Vorwurf, den ich fühle, 

und dennoch bitt’ ich tief, dass Du mein Weh nicht kühlst. 


Berate mich, o Herr, auf dieses Flüstern hin,

denn seltsame Kunde kam von Flandern bis zum Meer. 

Aus Städten stumm die Frauen zeigten nur empor zum Sinn,

Wahnsinnige prophezeiten Untergang schon sehr. 

Einsiedler sind aufgeregt, man hört des Volkes Spinnen, 

und siebentausend Kinder zieh’n, ich weiß da mehr. 

Sie tragen Stab und Kreuz, haben nichts als ihren Mut, 

kein Brot, kein Schild, sie wollen zieh’n zum heil’gen Blut. 


Sie sagen, sie woll’n nach Jerusalem, das heilige,

das Meer wird sich, so sprachen sie, vor ihren Füßen teilen. 

Gute Eltern halten sie; doch in der Nacht entfliehend

die Jungen durch gebroch’ne Schranken, über Mauern eilen.

Viele sind Söhne von Adligen, von Kurtisanen,

sie gehen fort, ich seh’ ihr Elend und ihr Weilen. 

Herr, diesen Unschuld’gen wird Schiffbruch und Gefahr, 

der Sultan sieht vom Palast, die Seeleute sind gar nah. 


Erlaube mir, mit Dir zu sprechen streng nach deiner Lehr’, 

dies Kindergelöbnis ist kein Werk der Tugend rein. 

Es wird nicht fügen uns das Grab, nicht heilen Sünder schwer,

es mehren sich die Landstreicher, die verirrte Pein. 

Wir müssen glauben, dass das Böse sich bemächtigt sehr

der Kinder Seelen oft, der Feind greift heimlich ein. 

Wie einst der Rattenfänger, der die Kleinen rief, 

so führt vielleicht der Teufel sie ins Dunkel, tief und schief. 


Sie laufen wie die Säue, blind der Klugheit Spur entfloh’n, 

der Böse liebt die Kinder, wie Du weißt, Herr, zur Not. 

Er lockt in süßen Tönen, führt sie davon, davon, 

und mancher Sohn versinkt in Wasser, Berg, in Tod. 

Ach Herr, bewahr’ uns vor dem neuen Blut, dem Hohn,

lass nicht gescheh’n, was weint die Stadt, was ruft zum Gebot. 

Denn wenn der Glaube sich verformt und ungehört, 

so bricht das Haus der Kirche einst, es wird entleert. 


Gewähre, dass die Kinder kommen auf des Glaubens Pfad,

doch nicht in wilden Zügen, nicht mit törichtem Schwur. 

Lass uns bewahren, Herr, vor dumpfem Wahn und blinder Tat,

führ sie zum Opfer hin, durch deine heilige Spur. 

Ich fleh’, o Herr, vermehre du nicht unsre Schmach und Saat, 

verhüte, dass in meinem Namen fließt unschuldiges Blut zur Tür. 

So kniee ich und klage; nimm mein altes Flehen an, 

und leite uns durch dich, o du erbarmender Mann. 


Vergib mir, Gott, dass ich dich unter der Tiara bat,

Denn Greisenschwäche mich umfängt, die Hände schwer;

Betrachte meine Hände, die du einst geformt in Rat,

Ich bin ein sehr alter Mann, mein Tragen fällt mir schwer.

Mein Glaube ist nicht kindlich, nicht dem Kleinen gleich, o Tat,

Das Gold der Zellenwände ist blass und schon nicht mehr;

Die Sonne deines Scheins ist weiß, mein Kleid ist auch so weiß,

Und rein, o Herr, ist dieses Herz, dem Alter hold und leis.


Ich sprach nach deinem Gebot, doch sag, Herr, ist da Schuld?

Es gibt Verbrechen, große, Furcht erregend, schwer wie Stein;

Es gibt die Ketzereien, und mancher Irrtum hallt in Huld,

Es gibt sehr große Ketzerei — wer kann da Richter sein?

Mein Haupt zittert vor Schwäche, und ich fürchte mildes Urteil,

Das Leben, das vergangen, lässt die festen Entschlüsse klein.

Vielleicht darf man nicht strafen, vielleicht nicht lossprechen, ach,

Das junge Blut ist arglos, und mein Alter zittert schwach.


Ich sah kein Wunder je, erleuchte mich, o Herr, sprich klar:

Ist dieses eines? Welches Zeichen gabst du ihnen schon?

Ist die Zeit gekommen? Willst du, daß ein Greis, im weißen Haar,

Gleich sei den kleinen Kindern in ihrer reinen Kron'?

Siebentausend sind's — und selbst wenn ihr Glaube war

Unwissend, willst du Unwissenheit bestrafen, o Sohn?

Auch mich nennt man Innocenz, Unschuld, nenn mich so, o Herr,

Ich bin unschuldig wie sie — bestraf mich nicht in meinem Alter mehr.


Die langen Jahre lehrten mich, die Herde hat kein Glück,

Und doch, Herr, ist dies ein Wunder? In meiner Zelle ist Ruh;

Ich weiß, dein Erscheinen braucht kein Flehen, doch mein Blick

Erhebt sich von des Greises Höh', vom Papsttum dir zu.

Belehre mich, ich weiß nicht, ich frage rein, nicht listig, bück

Vor deiner Majestät mich: o Herr, erbarme dich im Nu!

Es sind doch deine kleinen Unschuldigen allein — o sag,

Denn ich, Innocenz, ich weiß nicht, Herr, ich weiß nicht, was sagt der Tag.



VIERTER GESANG

ERZÄHLUNG DREIER KLEINER KINDER


Wir drei sind ausgezogen auf den staub’gen Wegen,

Nikolaus, der nicht spricht, und Denis und Alain,

Die weißen Stimmen riefen uns aus Nacht und Regen,

Wie Vögel, die im Winter sterben, klein und rein.

Wir hörten sie im Dunkel, drängend, ohne Zagen,

Sie lockten alle Kinder aus dem Dorf hinaus ins Sein.

Und wir gehorchten, liefen, ferne war das Haus,

Wie eine Herde zogen wir zum Licht hinaus.


Die ersten Vögel sahen wir am Boden liegen,

Gestreckt im Frost, die roten Kehlen still und tot.

Ihr kleines Herz, vom Winterhauch besiegt, verstiegen

Sich nicht mehr in den Himmel, frei von Müh und Not.

Doch bald begann das Leben zart zurückzukriegen,

Die ersten Blätter sprossten aus dem Erdenrot.

Wir flochten Kreuze, sangen Lieder laut und klar,

Wie wir’s getan am Neujahr jedes liebe Jahr.


Die Kinder aus den Dörfern liefen uns entgegen,

Sie hörten unser Singen, eilten froh herbei.

Die Frauen hielten uns am Arm mit warmen Wegen,

Sie küssten unser Angesicht und fragten frei.

Die Männer fluchten manchmal, fern von Himmelssegen,

Denn sie erkannten nicht des Heilands Melodei.

Doch andre brachten Milch, in Näpfen schlicht aus Holz,

Und Früchte, süß, aus Güte, Herzen rein und stolz.


Die Erde hat noch Wälder, dunkel, dicht und schwer,

Und Flüsse rauschen tief in ungezähmtem Lauf.

Die Dornenwege stechen, schmerzen uns so sehr,

Und Berge ragen kühn, sie türmen Fels zuhauf.

Doch alles müssen wir durchschreiten, immer mehr,

Denn fern am Ende glänzt das Meer in weitem Lauf.

Und jenseits seiner Fluten liegt Jerusalem,

Das Ziel der Kinderreise, Heiligtum und Heim.


Wir haben keine Führer, keinen Wegeweiser,

Wir wandern blind, Alain und Denis, ohne Plan.

Doch Nikolaus, er schweigt, er läuft uns stillerweise,

Und trägt wie wir die Last, obwohl er’s nicht benannt.

Die Länder sind gefährlich, immer, gleicherweise,

Für Kinder, die nicht wissen, wo man rasten kann.

Doch überall, in Wald und Fels, im Dornenhain,

Da werden uns die Stimmen treu Begleiter sein.


Ein Kind ist bei uns, Eustachius, blind geboren,

Er hält die Arme ausgebreitet, lächelnd mild.

Ein kleines Mädchen führt ihn, niemals unverloren,

Es trägt sein Kreuz und bleibt an ihrer Seite still.

Sie heißt Allys, und ihre Augen sind erkoren,

Nur auf die Füße, dass er nicht ins Dunkel fiel.

Sie spricht und weint nicht, nein, sie hütet ihn allein,

Und wir, wir lieben beide, Herz und Herz hinein.


Eustachius wird die heil’gen Lampen nie erblicken,

Die brennen über Christi Grab, so strahlend schön.

Doch Allys wird die Hände zärtlich ihm erstrecken,

Damit sie dort die kalten Steine liebend sehn.

So führt sie ihn, durch Dornen, Wege, Wald und Brücken,

Dass er nicht strauchelt, wenn die Schritte müd vergeh’n.

Und also wandeln wir, getragen vom Gebet,

Dem stillen Trost entgegen, wo das Kreuz uns steht.


O, wie die Erde schön ist, voller tiefem Licht,

Wir wissen nichts, da wir noch niemals lernten viel.

Doch rote Felsen sah’n wir, Bäume, alt und dicht,

Und Wiesen, die uns führten überm weiten Ziel.

Bald war die Finsternis, bald schimmerte Gesicht

Des Abends, hell erleuchtet, freundlich, ohne Spiel.

Wir gingen stumm, doch frei, in Gottes weiter Hand,

So trug uns seine Stimme durch das fremde Land.


Wir riefen Jesu Namen oft in Niklas’ Ohren,

Damit er ihn, auch ohne Stimme, tief versteht.

Er kennt ihn gut, wenngleich kein Laut ist je geboren,

Doch Freude in ihm lebt, wenn er die Wege geht.

Er lacht mit uns, und seine Lippen sind erkoren,

Zu öffnen sich im Glück, das durch die Seele weht.

Und wenn wir traurig sind, so streichelt er uns leis,

Die Schulter zart berührend, wie ein Himmelskreis.


So sind wir gar nicht unglücklich, nein, wir tragen

Ein stilles Glück, das brennt im tiefen Kinderherz.

Denn Allys wacht bei Eustachius mit ihren Tagen,

Sie hält ihn fest, wenn Straucheln droht, im Schmerz.

Und wir, Alain und Denis, wir werden nicht verzagen,

Wir wachen über Niklas, lindern heimlich Schmerz.

So wandeln wir, im Glauben stark, im Schritt so sacht,

Behütet durch die Stimmen, rufend in der Nacht.


Man sagte uns, in Wäldern hausten wilde Tiere,

Die Menschen fressen, Wölfe, voller Blut und Wahn.

Doch niemand schreckte uns, kein Böses trat zu Vieren,

Kein Leid geschah, kein Graun, das uns verstören kann.

Die Einsiedler, die Kranken, kamen aus dem Zieren,

Zu seh’n die Kinderpilger, schlicht in ihrem Bann.

Die alten Frauen zündeten uns Lichter an,

Und Glocken läuteten im Dorf für unsern Gang.


Die Bauern ließen Pflug und Ackerland im Stiche,

Um uns zu seh’n, und Tiere blieben, ohne Flucht.

Die Sonne ward uns wärmer, voller goldner Striche,

Seit wir nun wandern, frei in kindlich reiner Zucht.

Die Blumen wechseln sich, doch stets in gleicher Dichte,

Wir flechten Kreuze draus, in unerschöpfter Frucht.

Die Hoffnung wächst, sie blüht in uns wie lichter Schnee,

Bald sehen wir das Meer, so tief, so weit, so jäh.


Am Ende jenes Meeres liegt Jerusalem,

Das Ziel der Stimmen, die uns riefen aus der Nacht.

Dort wird der Heiland, unser König, unser Heim,

Die kleinen Kinder sammeln, die er sich gedacht.

Und an dem Grab, geheiligt, fern von Schmerz und Schwemme,

Wird er uns halten, in des Friedens stiller Pracht.

Dann werden fröhlich sein die weißen Stimmen sacht,

Und Kinderaugen leuchten in der ew’gen Nacht.



FÜNFTER GESANG

ERZÄHLUNG DES SCHREIBERS FRANÇOIS LONGUEJOUE


Am fünfzehnten Tag, so steht es aufgeschrieben,

im Jahre zwölfhundertzwölf nach Christi Fleischwerdung,

kamen die Kinder, voll Verlangen, zu ihren Lieben,

die Schiffe zu bestücken für die heil’ge Fahrt zur Ehrung.

Herr Hugues Ferré, dessen Handel kaum geblieben,

bat Meister Porc, die Zahl zu füllen, ohne Beschwerung.

Denn sie, des Heilands Ruhm zu mehren hoch im Streben,

woll’n über Meere zieh’n, zu suchen das Grab des Lebens.


Die Meister, Ferré und Porc, treu dem Herrn ergeben,

bereiten Schiffe vor in jener heil’gen Pflicht.

Vor Marseille-Stadt, da sieht man Kinder voller Leben,

mehr als siebentausend, jeder in des andern Sicht.

Einige reden welsch, aus fernem Land sich erheben,

die Ratsherrn sorgen um die Stadt, dass kein Unglück bricht.

Sie fürchten Hunger, rufen zur Beratung ein,

und mahnen schnell, die Schiffe zu bestücken, nicht allein.


Das Meer, bewegt zur Tag- und Nachtgleiche wild,

droht allen, die es wagen, auf die Wogen zu geh’n.

Doch großer Zustrom schadet Stadt und Kind, gewiss,

da manche Hunger leiden und nicht wissen, wohin seh’n.

Die Seeleute hören, und der Hafen wird gefüllt,

die Schiffe mannbar, dass sie in das Wasser seh’n.

Zur Vesperstunde werden sie bereit, das Meer zu künden,

und ihre Fahrt zu wagen, über Wellen zu verschwinden.


Das Kinderheer verweilt nicht in der Stadt, geschwind,

sie laufen am Strand und sammeln Muscheln als Zeichen.

Sie staunen über Seesterne, vom Himmel sie gesinnt,

als würden diese leuchtend ihren Weg erreichen.

Man meint, sie fielen lebendig, sanft und lind,

um zu geleiten die Kinder auf des Heilands Schleichen.

So ist der Sinn der Kinder, Freude wie ein Traum,

geleitet von Gestirn und Meer in heil’gem Raum.


Erstens: es sei wünschenswert, dass Ferré und Porc

dies Heer aus fremder Stadt geleiten, schnell und klar.

Zweitens: der Winter hart, die Erde arm, welch ein Tort,

die Kaufleute wissen genau, wie knapp das Jahr.

Drittens: die Kirche ahnte nicht den Kinder-Marsch im Tor,

kümmert sich nicht um die große Kinderschar.

Doch loben wir die Meister, ihrem Tun ergeben,

in Treue zu dem Heiland, Schutz dem Kinderstreben.


Sie senden ihre Schiffe trotz der großen Gefahr,

durch Ungläubige bedroht, die rauben auf dem Meer.

Feluken von Algier, Bugia sind ihnen gar

zu Raub und Plünderung, doch das hält sie nicht schwer.

Die Meister führen mutig, sorgen für die Schar,

die Stadt zu schützen, wie der Himmel gab es her.

Denn Tugend und der Heiland führen ihre Hand,

geleiten über Wasser, fern von fremdem Land.




SECHSTER GESANG

ERZÄHLUNG DES KALANDARS


Ruhm sei dem Herrn! Gelobt der Prophet, der mich befreit,

zu tragen Armut, schweifend rufend durch die Gassen.

Gesegnet sei das Heer der Frommen, das bereit,

den Orden gründet, heilig, stark in seinen Maßen.

Wie jener, den man einst mit Steinen hat gepeinigt,

der floh ins Feld, wo fremder Knecht ihm Trauben reichte —

so gleiche ich dem Mann, den Gottes Engel reinigt,

und dessen Herz der Glaube hell zum Himmel leuchtet.


Ich sah Mossul, Bagdad, Basrah in den Tagen,

ich kannte Salaheddin, den Gott zum Frieden nahm.

Ich sah den Gläub'genfürst in aller Hoheit tragen

das Banner, das vom Himmel selber Weisung nahm.

Und doch genügt mir wenig Reis, den Bittgebete

mir einverleiben, Wasser aus der Kalebasse.

Rein ist mein Leib, doch reiner noch die Seele betet —

denn Gottes Glanz erhebt, was nicht um umsonst verwehte.


Es steht geschrieben: eh der Ruf des Herrn erscholl,

da sank der Prophet auf Erden tief in Schlafes Bann.

Zwei Männer, weiß wie Licht, sie stiegen nieder, voll

von göttlichem Geheimnis, das nur Gott ersann.

Der eine schnitt die Brust und drückte schwarzes Blut,

der andre reinigte die Eingeweid’ in Klarheit.

So ward der Leib geheilt, des Glaubens reine Glut —

der Prophet erstand, durchdrungen von der Wahrheit.


Solch übermenschlich’ Licht ist Engeln nur gegeben,

doch auch den Kindern leuchtet reine Unschuld bei.

Die Prophetin ersehnte brünstig jenes Leben,

als sie den Strahlenkranz auf seines Vaters Schleier sah.

Doch Aminah empfing, von Gott gesegnet, still

das reine Wesen, das den Glauben offenbaret.

Ruhm sei dem Herrn, der alles reinigen nur will,

der die Gebornen führt, bewahrt und offen geklaret.


Hier in des Marktes Schatten kann ich stille ruhn,

wo Händler prahlen mit Geschmeide und Gewanden.

Ein Kaftan glänzt und kostet tausend Dinar nun,

doch bin ich frei wie ein Hund, von Reichtum abgewandt.

Ruhm sei dem Herrn! Ich kehr’ zurück zum Ursprung klar,

zu Gott, dem Einen, der die Welt in Händen trägt.

Von ihm entspringt ein Strom, der aller Worte bar,

die Zunge spricht, das Rohr des Schreibers sie bewegt.


Ich sah die Schar der Kinder, weiß gekleidet, rein,

vom Kaiser Roms erkauft, sie liefen ohne Wissen.

Sie trugen Kreuze, schauten weit ins Blau hinein,

als wären sie von jeder Erdenlast entrissen.

Ein blindes Knäblein ging, geführt von Mädchenhand,

viel andre hatten rotes Haar und grüne Augen.

Vom fernen Frankenland sind sie hierher gesandt,

verführt von Iblis, dem sie kindlich doch vertrauten.


Sie wollten übers Meer nach Jerusalem ziehn,

doch Gott verhinderte den grausamen Betrug.

Verhungert wären sie, verlassen, ohne Lohn,

gefangen von den Feinden, wie man grausam schlug.

Gelobt sei Gott, der selbst die Irrenden bewahrt,

dass nicht ihr Blut in finstren Kellern sei vergossen!

Er schützt die Unschuld, die in kindlichen Herzen harrt,

und tilgt den Frevel, den die Heiden sich ermessen.


Da warf ich mich zur Erde, schlug die Stirn hinab,

und pries den Herrn mit lauter Stimme, voller Beben.

Er, der die Seelen reinigt, die er schuf im Grab,

er ist es, der den Kindern Rettung hat gegeben.

Denn groß ist Gott! Er hält den Plan der Welt bereit,

den Frommen schenkt er Reis, den Durst zu stillen Wasser.

Der Reichtum ist nur Tand, nur Staub der Eitelkeit,

doch Seele, die sich reinigt, strahlt dem Herrn erblasser.


Nun geh’ ich, daß ich Reis im Laden mir erfleh,

vom Goldschmied, der von Reichtum prahlt mit bunten Steinen.

Doch lache ich dem Tand, der bald im Staube steh,

denn frei wie ein Hund bin ich, will Gott nur, den Einen.

Der Herr, der Welten schuf, verachtet nicht den Schwachen,

er stärkt den Armen mehr als alle stolzen Throne.

Die Seele lebt in Glanz, der niemals weichet, wach —

und alle Macht vergeht vor Gottes ewigem Sohne.


Wenn’s Gott gefällt, so werden diese Kinder rein,

vom Glauben heimgeführt ins Licht der Gnad’ und Freude.

Dann preist die Erde laut den Einen nur allein,

und jede Seele wandelt frei in Himmelskleide.

Gelobt sei Gott, der Herr, der schützt, was unschuldig,

der selbst den Irrenden die Hand zum Leben reichet.

Er ist der Ursprung all, der Quell der Wahrheit gütig,

der reinigt, führt und straft — und in der Liebe erbleichet.




SIEBENTER GESANG

ERZÄHLUNG DER KLEINEN ALLYS


Wir zogen aus dem Land, das uns die Fremde gab,

von zwei aus Marseille, die uns verrieten, fort;

das Meer war schwarz, es bäumte sich wie wildes Grab,

und Blitze stürzten uns von jedem Himmelshort.

Ein finst’rer Tag war’s, der uns Angst und Beben gab,

doch hielt ich meines Kindes Hände, Trost im Wort;

mein kleiner Eustachius, blind und still zugleich,

blieb ohne Furcht, sein Herz war kindlich, arm und reich.


Er hörte Stimmen nachts, wenn alles schweigen muss,

da er den Tag nicht kennt, noch was die Stunde sei;

und ich, die nichts verstand, sprach still von seinem Gruß,

der ihm wie Trost erschien, wie Engel einerlei.

Er fragte mich oft bang: „Was will der Ruf, was tu’s?“

Doch meine Antwort blieb nur Kummer, Not und Schrei.

Ich weiß nur, daß ich leide um sein sanftes Leid,

und dass uns Gottes Hand wohl birgt in Ewigkeit.


Man sprach von einer Stadt, Jerusalem genannt,

die liege fern, am Ende dieses tiefen Meers;

dort sei der Heiland selbst, von Engeln mild umwandt,

und öffne allen Tor und Herz, ein Reich des Herrn.

Eustachius kannte ihn, der Liebe wohlbekannt,

doch nicht die Stadt, noch Meer, noch Welten nah und fern.

Er folgte nur den Stimmen, treu wie Kind und Schafe,

gehorsam, rein und still, und ahnte nicht die Strafe.


Wir gingen mit Alain, Nikolaus und Denis,

doch trennten sie sich bald, ihr Schiff verließ den Port;

und als die Sonne stieg, war niemand mehr bei uns,

nur Leere rings und Wüste, ohne Weg und Ort.

Ach, Herr, wo sind sie hin? O führ uns nicht ins Nichts,

lass uns sie wiederseh’n an deinem ew’gen Hort!

Wir hoffen, daß dein Reich uns alle wiederbind’t,

wo keine Seele weint, und keine stirbt, mein Kind.


Hier ist die Gegend weiß, die Häuser und das Kleid,

verhüllt das Frauengesicht mit sanftem, stillem Flor.

Der arme Knabe sieht das Licht der Welt nicht weit,

doch mal’ ich ihm die Farbe aus in schlichtem Ohr.

Er lacht und spricht: „Das ist des Endes Herrlichkeit,

denn weiß ist Jesus Christ, der uns erscheint empor.“

So wandern wir im Glanz, der meinem Herzen spricht,

bis einst der Herr erlaubt: er sieht das wahre Licht.


Die kleine Allys hält ihm treulich stets die Hand,

damit er nicht zu Fall kommt, noch schwankend niedergeht;

sie denkt nicht an die Müdigkeit, die sie umwand,

ihr Herz ist nur bei ihm, wo seine Schwäche steht.

Sie legt sich abends nah, wenn Ruh’ das Lager fand,

und horcht, ob jene Stimmen klingen früh und spät;

und bis zum weißen Ziel der großen Pilgerfahrt,

führt sie den Bruder mild, dem Heil’gen offenbart.


Und ganz gewiss, so glaub’ ich, wird der Herr erbarmt

die kindlich reine Treue sehn und gnädig sein;

er wird den Blinden heilen, der so unbescharmt

gehorchte jeder Nacht dem unsichtbaren Schrein.

Vielleicht, wenn Gnade sich an unsrer Seele warmt,

wird Eustachius sehn die Schwester rein und klein;

dann endet all das Leid, das uns im Herzen brennt,

und wir erfahr’n den Herrn – das weiße, letzte End.




ACHTER GESANG

ERZÄHLUNG PAPST GREGORS IX.


Das mörderische Meer, so treu und scheinbar blau, es lacht. 

Sein Saum, wie göttlich Kleid, umfasst den Strand so weiß. 

Ein flüss’ger Himmel ist es, seine Sterne der Nacht 

In sanften Spiegeln, die dem Ufer sind ein Kreis. 

Ich sitz’ auf meinem Felsen, seh’ die Schar, die kaum 

Zurückgekehrt; meine Augen fragen leis’ und heiß. 

O Mittelmeer, o Herz der Länder unsres Glaubens, 

Gib mir die Kinder her, die du verschlangst im Laufen. 


Sie kamen wie die Kleinen, mild und unbewaffnet, hin 

Voll halbgeöffneter Lippen, gläubig, ohne Wehr. 

Von Deutschland, Flandern, Frankreich, bis zum Süden hin 

Zog ihre Pilgerschaft und raunte fromm das Meer. 

In Marseille, Genua, auf deinem schäumenden Sinn 

Verließen sie die Welt — du nahmst sie, Sturm und Heer. 

O du, der andre führt zu Moscheen sie wie Sklaven, 

Sie seufzen dort, in fremden Höfen, von Gebet umwoben. 


Einst peitschte dich ein König Asiens mit der Rute hart. 

Du aber bleibst verführerisch in Klarheit gleich. 

Ich klage dich, o Meer, du falsches Himmelsblatt, 

Vor Gottes Thron; dein blaues Antlitz scheint so weich.

Der Papst, in seiner Zelle, suchte Zeichen, ward 

Voll kindlichem Vertrauen — doch das Zeichen bleich. 

Ich alter Statthalter, älter noch als sein Verstehen, 

Begreif’ ich, dass wir Menschen oft zuviel uns ergehen.


Gott offenbart sich nicht; beim Ölberg war er stumm; 

Verließ er seinen Sohn? — so fragten wir vergebens.

Die Hilfe fleh’n ist Torheit; alles Übel kommt darum

Aus unsrem Innern nur, aus unsrem eignen Leben. 

Vor seinem Blick sind Stein und Sand und König kaum 

Viel mehr als seine Werke, gleich in seinem Weben. 

Sandkorn und Kaiser gleich — er misst mit gleichem Sinne, 

Der Mönch im Kloster wächst wie Gold in stiller Minne. 


Drum klag’ ich dich an, o Meer, und doch ich vergebe dir, 

Denn meine Klage wird im Rauschen untergehn. 

Ich spreche Absolution; geh fort, sündige hier 

Wie ich auch sündig bin — wir können uns vergehn. 

Wir beide beichten, Meer, du mit den tausend Mündern hier, 

Ich mit meinen welken Lippen, lass uns beisammen stehn. 

Vergebt einander, sprach’ ich, und die Stille ward ein Segen, 

Wir kehren zu der Unschuld zurück auf diesen Wegen. 


Was soll nun auf der Erde werden? Ein Denkmal steht, 

Ein Sühnedenkmal dem Glauben, der nicht weiß. 

Hier soll die Kirche sein, wo vor den Wellen spät 

Sieben Schiffe brachen — Namen schlafen unterm Kreis.

Ich bau’ die Kirche „Neuer Unschuld Kindlein“ – beten

Die Priester, zwölf an Zahl, entzünden Lichter leis’. 

Und du, geweihtes Meer, bring ihre Körper wieder, 

An Strand der Insel hin; und Frieden sei den Gliedern.