von Torsten Schwanke
Noch schwebt mir vom Kopf bis zum Fuß sie, die Athenerin, vor.
(Hölderlin)
Homeride zu sein, auch als letzter, ist schön.
(Goethe)
für Karines Seele
ERSTER GESANG
Muse! Singe die Leiden der vieles erduldenden Frauen
und die Herrlichkeiten des holden Geschlechtes der Weiber!
Noch hatte die Morgendämmerung nicht alle Sterne
vom Himmel vertrieben und der Mond sah
mit gespitztem Horn dem nahenden Tag entgegen,
als Tithonia die Wolken in eiliger Flucht zerstreute
und das weite Firmament für die Rückkehr
des Phoebus vorbereitete: Schon streunen dirkeische Trupps
aus ihren dürftigen Behausungen und beklagen sich
über die späte Nacht; obwohl sie sich nicht bis dahin
ausgeruht oder ihren ersten Schlaf nach der Schlacht
gefunden hatten, verbietet ihnen ein unruhiger Frieden
die Ruhe und der Sieg erinnert noch immer
an die Schrecken des Krieges. Kaum wagen sie es
zunächst, hinauszutreten und die Wälle zu zerstören,
kaum, die Tore ganz zu öffnen; die alten Ängste
steigen vor ihnen auf und die Furcht vor der verlassenen
Ebene: So wie bei Männern, die lange auf dem Meer
umhergeworfen wurden, die Erde sich zuerst hebt,
so sind sie wie gebannt und erstaunt, dass sie nichts angreift,
und bilden sich ein, dass die erschlagenen Heerscharen
wieder auferstehen. Wenn also die Idalischen Vögel
eine gelbbraune Schlange die Schwelle eines auffälligen
Turmes erklimmen sehen, treiben sie ihre Kleinen hinein,
sperren die Nestlinge hinter ihren Krallen ein
und strecken ihre unkriegerischen Flügel zum Kampf aus.
Und obwohl die Schlange sich bald zurückzieht,
fürchtet sich der weiße Schwarm dennoch vor der leeren Luft,
und wenn sie schließlich den Flug wagen, erschauern sie
vor Angst und Schrecken und blicken noch immer
aus der Mitte des Himmelsgewölbes zurück.
Weiter gehen sie zu der blutleeren Menge und den Überresten
der gefallenen Schar, wohin auch immer Trauer
und Empörung, blutbefleckte Führer, sie treiben;
einige sehen die Waffen, andere die Leichen,
andere nur die Gesichter der Erschlagenen,
mit den Gliedern von Fremden in der Nähe;
einige beklagen ihre Streitwagen und sprechen –
alles, was sie tun können – die verwitweten Rosse an;
andere drücken Küsse auf klaffende Wunden
und beklagen die Tapferkeit der Toten. Sie sortieren
die kalten Haufen der Erschlagenen: abgetrennte Hände
erscheinen mit Lanzen und Schwertgriffen im Griff
und Pfeilen in den Augen; viele finden keine Spur
ihrer Toten und eilen umher, mit stets bereiter
und nahender Trauer. Doch um die unansehnlichen
Leichen entsteht ein bemitleidenswerter Streit darüber,
wer die Rituale durchführen und ihre Beerdigung
abhalten soll. Oft wurden sie auch getäuscht –
das Schicksal verspottete sie eine Weile – und weinten
um Feinde; noch war es leicht zu sagen, welches Blutbad
man vermeiden und welches man zertrampeln sollte.
Doch diejenigen, deren Häuser nicht gelitten haben
und denen alle Qualen erspart geblieben sind,
streunen entweder um die verlassenen Zelte der Danaer herum
und stecken sie in Brand, oder – soweit sie es
nach der Schlacht können – suchen sie,
wo der staubbespritzte Tydeus liegt, ob der Abgrund
des geschändeten Augurs noch klafft, wo der Feind
der Götter ist und ob die himmlischen Glut noch
zwischen seinen Gliedern glüht. Schon ist das Tageslicht
auf ihren Tränen verblasst, und auch die späte Vesper
hat sie nicht vertrieben; in ihrem Elend lieben sie
ihre Klage und weiden sich an ihrem Kummer.
Sie kehren nicht in ihre Häuser zurück, sondern sitzen
die ganze Nacht um die Leichen herum, beklagen sie
abwechselnd und vertreiben die Bestien durch Feuer
und Klagelaute; auch schlossen sich ihre Augen nicht,
um dem süßen Einfluss der Sterne nachzugeben,
noch durch ständiges Weinen. Zum dritten Mal
kämpfte Aurora mit dem Morgenstern, und schon
sind die Berge verwüstet, und die mächtigen Stämme
des Teumesus, der Pracht der Haine, und das Holz
des Kithairon, des Freundes des Scheiterhaufens,
sind gekommen; auf hohen, geschmiedeten Scheiterhaufen
lodern die Körper der zerstörten Rasse: Die Geister
Ogygias freuen sich über die letzte Tributzahlung;
aber die unbegrabene Truppe der Griechen erhebt
klägliches Wehklagen und huscht stöhnend
um die verbotenen Feuer. Auch der grausame Geist
des wilden Eteokles erhält nicht die Ehre eines Prinzen;
sein Bruder wird auf Befehl eines Argivers festgehalten,
und sein geächteter Schatten wird grausam vertrieben.
Aber Menoikeus wird von Theben und seinem Vater
nicht auf einem gewöhnlichen Scheiterhaufen verbrannt.
Kein Holzhaufen bildet einen gewöhnlichen,
üblichen Hügel, sondern es wird ein kriegerischer Haufen
aus Streitwagen und Schilden und allen Waffen
der Griechen errichtet. Auf die aufgehäuften Trophäen
des Feindes wird er selbst wie ein Sieger gelegt,
seine Locken geschmückt mit friedensbringendem Lorbeer
und Wollbändern: gerade wie damals, als der Tirynthier,
von den Sternen gerufen, ihn voller Freude
auf dem entzündeten Oeta niederlegte. Darauf
opferte sein Vater noch lebende Opfer, pelasgische Gefangene
und gezäumte Rosse, ein Trost für seine kriegerische Tapferkeit.
Über ihnen zittern die hoch aufragenden Flammen,
und schließlich bricht das Stöhnen seines Vaters hervor:
Ah! Hätte dich nicht der überwältigende Wunsch
nach edlem Lob besessen, mein Sohn, wärst du
genauso verehrt worden wie ich, ja, hättest sogar
Echions Stadt regiert, aber jetzt verbitterst du
meine kommenden Freuden und die undankbare Last
eines Königreichs. Obwohl deine unfehlbare Tugend
im Himmel inmitten der Gemeinschaft der Götter wohnt –
wie ich wahrlich glaube – werde ich dich dennoch immer
betrauern, Gottheit, die du bist: Lass Theben Altäre bauen
und erhabene Tempel weihen; lass deinen Vater allein
über dich trauern. Und nun, ach, welche würdigen Riten,
welchen Begräbnisglanz kann ich auf dein Grab verschwenden?
Ich könnte nicht, selbst wenn ich die Macht hätte,
das unheilvolle Argos und das geplagte Mykene
mit deiner Asche vermischen und mich auf sie werfen,
die Leben – ach! Schrecken! – und königlichen Status
durch das Blut meines Sohnes erlangt haben! Hat dich, Junge,
und diese schrecklichen Brüder eines Tages
ein und derselbe unheilige Krieg zusammen
in den Tartarus geschickt? Sind Ödipus und ich jetzt
in der gleichen Trauer? Die Schatten, die wir betrauern,
sind tatsächlich gleich, o gerechter Jupiter!
Empfange, mein Sohn, neue Opfergaben,
um deinen Triumph zu schmücken, empfange
dieses herrschende Zepter meiner rechten Hand
und diese hochmütige Krone, die meine Stirn fesselt,
deine Gaben an deinen Vater – wahrlich
eine kleine Freude für ihn! Als König, ja, König,
lass den Schatten des Eteokles dich erblicken!
So sprechend entblößt er Kopf und Hand und fährt
mit entflammtem Zorn in noch heftigerer Weise fort:
So komm denn, sie mögen mich wild und herzlos nennen,
wenn ich den toten Lernäern verbiete, mit dir zu brennen;
wenn ich doch nur noch ein verbleibendes Leben
in ihre Körper bringen und ihre schuldigen Seelen
aus dem Himmel und Erebus vertreiben könnte,
und ich selbst würde nach wilden Tieren und Vögeln
mit Hakenmäulern suchen und ihnen die verfluchten Glieder
der Fürsten zeigen! Wehe mir, dass die gütige Erde
und der Lauf der Zeit sie dort erkennen werden,
wo sie liegen! Darum wiederhole ich immer wieder
meinen strengen Beschluss: Niemand soll es wagen,
den Pelasgern die Hilfe des letzten Feuers zu geben,
sonst wird er seine Tat durch den Tod sühnen
und die Liste der Leichen vervollständigen:
Bei den Göttern im Himmel und beim großen Menoikeus,
ich verbrenne sie! Er sprachs, und seine Gefährten
schleppten ihn weg und trugen ihn zum Palast.
Unterdessen eilte eine traurige Schar verwitweter
und verwaister Frauen aus Inachia, die durch die traurige
Nachricht hilflos angezogen worden waren,
wie eine gefangene Schar aus dem verlassenen Argos.
Jede hatte ihre eigenen Wunden, alle waren in ähnlicher Lage,
mit Haaren, die ihnen auf die Brüste fielen,
und hoch gegürteten Gewändern. Ihre Gesichter waren
von ihren grausamen Nägeln zerrissen und blutüberströmt,
ihre zarten Arme waren von den Schlägen geschwollen.
Als erste ihrer geschlagenen Schwestern sucht
die hilflose Argia, Königin der in Zobel gekleideten
Gesellschaft, ihren Weg, sinkt auf ihre trauernden
Jungfrauen und rappelt sich bald wieder auf.
Sie denkt nicht an ihren Vater oder ihr königliches Heim.
Eine Hingabe erfüllt ihr Herz, ein Name, der
ihres geliebten Polyneikes, ist auf ihren Lippen.
Sie würde Mykene gern vergessen und Dirke
und Cadmus' unglückselige Stadt zu ihrem Wohnsitz machen.
Als nächstes bringt Deipyle, ebenso eifrig wie ihre Schwester,
kalydonische Frauen, die sich unter Lerans Gefolge mischen,
zu Tydeus' Trauerfeier. Sie hatte, Unglückliche,
von dem Verbrechen und dem gottlosen Nagen
ihres Mannes gehört, aber die Liebe vergibt
dem Erschlagenen alles. Nach ihr beklagt Nealce,
wild von Angesicht, doch tränenreiches Mitleid erregend,
Hippomedon mit dem Kummer, der ihm gebührt.
Dann kommt die ungerechte Gattin des Sehers,
die leider dazu verdammt ist, einen leeren Scheiterhaufen
zu errichten. Die verlassene Kameradin der maenalischen
Diana führt die hintersten Gruppen der Trauernden an,
und Evadne, verbittert im Herzen: Die eine trauert
in klagender Trauer um die Heldentaten ihres tollkühnen
Jungen, die andere, ihres mächtigen Herrn eingedenk,
geht wild weinend und in Zorn gegen den hohen Himmel.
Hekate sah sie von ihren lykischen Hainen aus
und leistete ihnen unter Tränen Gesellschaft,
und als sie sich dem Doppelufer näherten, klagte
die thebanische Mutter aus ihrem Grab auf Isthmus;
die Eleusinerin, obwohl sie um sich selbst trauerte,
weinte um die nachts umherwandernde Menge
und zeigte ihr mystische Feuer, um ihnen den Weg zu weisen.
Die Saturnierin selbst führt sie, damit ihr eigenes Volk
ihnen nicht begegnet und ihnen die Durchreise verwehrt
und der Ruhm ihres großen Unternehmens verloren geht.
Darüber hinaus wird Iris befohlen, die toten Körper
der Prinzen zu pflegen und ihre verwesenden Glieder
mit geheimnisvollem Tau und ambrosischen Säften
zu benetzen, damit sie länger widerstehen
und auf den Scheiterhaufen warten können und nicht
umkommen, bevor die Flammen sie erfasst haben.
Siehe! Ornytus, hager im Gesicht und bleich
von einer klaffenden Wunde – er hatte seine Freunde verloren
und war durch einen kürzlichen Schlag behindert –
bahnt sich schwach und in schüchterner Heimlichkeit
seinen Weg durch weglose Wüsten, auf einen zerbrochenen
Speer gestützt. Als er erstaunt die Einsamkeit erblickte,
die von seltsamem Tumult aufgewühlt war, und die Schar
der Frauen, alles, was er von der Armee von Lerna
noch übrig sah, erkundigt er sich nicht nach ihrer Reise
oder ihrem Grund – das ist klar genug –, sondern
spricht sie in trauriger Stimme folgendermaßen an:
Wohin, Unglückliche, wohin reist ihr? Hofft ihr
auf Begräbnisfeuer für eure toten Helden?
Eine Wache der Erschlagenen steht dort schlaflos
und zählt die unbegrabenen Leichen für den König.
Tränen sind nirgends, alle Männer, die sich nähern,
werden weit weggetrieben; nur Tiere und Vögel
dürfen sich nähern. Wird der gerechte Kreon
eurem Kummer Respekt zollen? Eher kann einer
die gnadenlosen Altäre von Busiris oder den gefräßigen
Odrysenstand oder die sizilianischen Gottheiten besiegen;
vielleicht wird er die Bittsteller davontragen,
wenn ich seine Absichten kenne, noch wird er euch
auf den Körpern eurer Herren erschlagen, sondern
fernab der Geister, die ihr liebt. Nein, flieht, solange
euer Weg noch sicher ist, kehrt nach Lerna zurück
und meißelt – das könnt ihr noch tun – die Namen
eurer Verlorenen in leere Gräber und ruft
die abwesenden Geister zu unbewohnten Gräbern.
Oder fleht um Kekropianische Hilfe – sie sagen,
Theseus naht, triumphierend zurückkehrend vom Sieg
an den Ufern des Thermodon. Nur durch Waffengewalt
wird Kreon Menschlichkeit lernen. So sprach er,
aber sie waren entsetzt inmitten ihrer Tränen,
und ihre große Freude am Gehen wurde
von Bestürzung getrübt, und alle ihre Gesichter waren
zu einer einzigen Blässe erstarrt. Genauso verhält es sich,
wenn der Wind das hungrige Brüllen einer Hyrkanischen
Tigerin zu den sanften jungen Kühen herüberweht.
Bei diesem Geräusch erfasst Schrecken die Landschaft
und alle werden von großer Angst erfüllt.
Das wird der Tigerin gefallen, wenn der Kühe Schultern
das gefräßige Tier schmerzreich auf sich spüren werden.
Sogleich spalten sich die Meinungen durch viele
widersprüchliche Impulse: Einige wollen Theben
und den hochmütigen Kreon anflehen, andere wollen sehen,
ob die Milde der attischen Leute ihnen etwas gewährt;
Rückkehr erscheint feige und ist das Letzte
in ihren Gedanken. Daraufhin begreift Argia
eine plötzliche Leidenschaft für mehr als weibliche
Tapferkeit, und unter Vernachlässigung ihres Geschlechts
plant sie ein gewaltiges Unterfangen: Sie beschließt –
in grausamer Erwartung einer beispiellosen Gefahr! –,
sich mit dem Gesetz des gottlosen Reiches
auseinanderzusetzen, wohin keine Jungfrau der Rhodopen,
kein Kind der schneeweißen Phasis, umgeben
von jungfräulichen Kohorten, gehen würde.
Dann ersinnt sie eine listige List, um sich von ihrem treuen
Gefolge zu trennen und in Verachtung ihres Lebens
und in der Unbesonnenheit überwältigender Trauer
die erbarmungslosen Götter und den grausamen König
herauszufordern; Hingabe und keusche Leidenschaft
treiben sie an. Auch er selbst erscheint vor ihren Augen,
in jeder Handlung offenbar, jetzt als ihr Gast,
unglückliches Mädchen! Jetzt verspricht er seine Hand
bei den ersten heiligen Riten, jetzt ist er ihr gütiger Gatte,
und jetzt liegt er grimmig behelmt und traurig
in ihrer Umarmung und blickt oft von der äußeren Schwelle
des Tores zurück: doch kein Bild geistert häufiger
durch ihren Kopf als das, das, seiner Rüstung beraubt,
aus dem Blut des aonischen Schlachtfeldes kommt
und nach Begräbnis schreit. Ihre Seele ist von solcher Raserei
gequält, dass sie krank wird und mit reinster Leidenschaft
das Grab umwirbt; dann wendet sie sich an ihre pelasgischen
Kameradinnen: Ruft ihr, sagt sie, die attischen Heerscharen
und die marathonischen Waffen herbei, und möge das Glück
eure hingebungsvolle Arbeit begünstigen: Lasst mich
in die Wohnstätten von Ogyg eindringen,
der die einzige Ursache des Verderbens war,
und die ersten Schrecken des Monarchen ertragen;
auch werde ich nicht vergebens an die Tore der Stadt klopfen;
die Eltern und die Schwestern meines Herrn sind dort.
Ich werde Theben nicht als Fremder betreten.
Ruft mich nur nicht zurück. Mein brennendes Verlangen
drängt mich dorthin und gibt mir ein frommes Omen.
Ohne weitere Worte wählt sie nur Menoetes aus –
einst der Beschützer und Ratgeber ihrer jungfräulichen
Sittsamkeit – und eilt, obwohl sie keine Erfahrung
oder Landeskenntnis hat, mit halsbrecherischer
Geschwindigkeit den Weg weiter, den Ornytus
gekommen war. Und als sie die Kameradinnen
ihres Leidens weit zurückgelassen zu haben schien,
rief sie: Könnte ich warten auf die Freude
des säumigen Theseus, während du – ach, Kummer! –
auf den Schlachtfeldern des Feindes vermoderst?
Würden seine Häuptlinge, würde sein listiger Wahrsager
dem Krieg zustimmen? Inzwischen verwest dein Körper.
Soll ich nicht lieber meine eigenen Glieder hergeben,
damit sie den krallenbewehrten Vögeln zerrissen werden?
Selbst jetzt, wenn du in der Welt der Schatten
noch irgendein Gefühl hast, beschwerst du dich,
treuer Gatte, bei den Göttern des Styx, dass ich
hartherzig bin, dass ich so langsam komme. Wehe!
Wenn du noch nackt bist, wehe! Wenn du vielleicht
schon begraben bist: In beiden Fällen ist das Verbrechen mein;
hat der Kummer denn keine Macht? Ist der Tod
oder der wilde Kreon alles nur ein Traum? Ornytus,
du erheiterst mich auf meinem Weg! So sprechend
eilt sie mit schnellem Schritt über die Felder von Megara;
Leute, denen sie begegnet, weisen ihr den Weg.
Ehrfurchtsvoll über ihre elende Lage.
Mit grimmiger Miene schreitet sie weiter,
von keinem Geräusch erschreckt, ohne innerlich
in Panik zu geraten, mit all der Zuversicht
der völligen Verzweiflung und eher scheu als ängstlich:
wie in einer Nacht in Phrygien Dindymus
von Wehklagen widerhallt und die verrückte Anführerin
des Frauengelages zu den Gewässern des Kiefern
züchtenden Simois eilt – sie, der die Göttin selbst
das Messer gab, sie zum Blutvergießen auswählte
und sie mit dem wollumwickelten Kranz markierte.
Vater Titan hatte bereits seinen flammenden Wagen
in der hesperischen Flut versteckt, um aus anderen Wellen
wieder aufzutauchen, doch sie, ihre mühevolle Arbeit
von Kummer getrübt, weiß nicht, dass der Tag zu Ende ist;
auch die zunehmende Dunkelheit der Felder macht ihr nichts aus,
sondern sie marschiert ungehindert über weglose Felsen,
vorbei an Ästen, die zu fallen drohen,
durch geheimnisvolle Wälder, die selbst an wolkenlosen Tagen
stockfinster sind, über Ackerland, das von verborgenen Dämmen
durchzogen ist, stürzt achtlos durch Flüsse, vorbei
an schlafenden Tieren und gefährlichen Höhlen
furchterregender Ungeheuer. So groß ist die Kraft
der Leidenschaft und des Kummers! Menoetes schämt sich
seines langsameren Schrittes und wundert sich
über den Gang seines gebrechlichen Mündels.
Welche Wohnstätten der Tiere oder Menschen
hallten nicht zu ihrer schmerzlichen Klage wider?
Wie oft verlor sie die Spur, als sie ging, wie oft verließ
der Trost der begleitenden Flamme ihre streunenden Schritte
und die kalte Dunkelheit verschluckte das Fackellicht?
Und jetzt liegen die Hänge von Pentheus' Bergrücken
neben ihrem ermüdenden Pfad und weiten sich zur Ebene,
als Menoetes, dem die Kräfte fast fehlen, mit keuchender Brust
so zu sprechen beginnt: Nicht weit entfernt, Argia,
wenn die Hoffnung, die durch die Mühen,
die wir ertragen haben, nicht täuscht, liegen, wie mir scheint,
die Ogygischen Wohnstätten und die Körper,
denen es an Begräbnis mangelt; aus der Nähe kommen
Wellen schwer verdorbener Luft, und mächtige Vögel
kehren durch die Leere zurück. Es ist in der Tat
dieses grausame Schlachtfeld, und die Stadt
ist nicht weit entfernt. Siehst du, wie sich die Ebene
im riesigen Schatten der Mauern ausdehnt
und wie die erlöschenden Feuer von den Wachtürmen flackern?
Die Stadt ist ganz in der Nähe; die Nacht selbst war erst
vor einem Moment stiller, und nur die Sterne
brachen durch die pechschwarze Dunkelheit.
Argia schauderte und streckte ihre rechte Hand
nach den Mauern aus: O Stadt Theben, einst ersehnt,
jetzt aber Wohnstätte unserer Feinde, doch wenn du mir
meine tote Gattin unversehrt zurückgibst, so doch
ein geliebtes Land: siehst du, in welchem Gewand,
von welchem Gefolge begleitet, ich, die Schwiegertochter
des mächtigen Ödipus, mich zum ersten Mal
deinen Toren nähere? Ich habe keinen unheiligen Wunsch;
als Fremde bitte ich nur um einen Scheiterhaufen,
eine Leiche und lasse trauern. Ich bitte dich,
gib mir den zurück, der aus seinem Reich verbannt
und im Kampf besiegt wurde, ihn, den du des Throns
seines Vaters für nicht würdig hieltest! Und komm auch du,
ich bitte dich, wenn Geister eine Gestalt haben
und Seelen befreit von ihren Körpern wandern können,
zeige mir den Weg und führe mich selbst
zu deiner eigenen Leiche, wenn ich es verdient habe!
Sie sprachs, und als sie den ländlichen Schutz
einer benachbarten Hütte betrat, entzündete sich
der Atem des sterbenden Brandes erneut und stürmte
ungestüm auf die schreckliche Ebene hinaus.
Ebenso entzündete die trauernde Ceres ihre Fackel
und warf von den Felsen des Ätna den wechselnden Schein
der mächtigen Flamme hier über Sizilien, dort
über Ausonia, während sie den Spuren des dunklen
Verwüsters und den großen Radfurchen im Staub folgte;
Enceladus selbst wiederholt ihr wildes Wehklagen
und erleuchtet ihren Weg mit sprudelndem Feuer;
Persephone rufen Wälder und Flüsse, Meere und Wolken:
Nur der Palast ihres stygischen Herrn ruft nicht Persephone.
Ihr treuer Unterstützer warnt die verwirrte Dame,
an Kreon zu denken und ihre Fackel in einem
verstohlenen Versteck niedrig zu halten. Sie, die vor kurzem
als Königin in allen argivischen Städten gefürchtet wurde,
die ehrgeizige Hoffnung der Freier und das heilige
Versprechen ihres Geschlechts, geht durch alle Schrecken
der Nacht, ohne Führer und in Gegenwart des Feindes,
allein weiter, über Waffenhindernisse, über Gras,
das ganz glitschig von Blut ist, zittert nicht
vor der Dunkelheit, noch vor herum schwebenden
Geistertruppen oder Gespenstern, die ihre eigenen
Glieder beklagen, und tritt oft blind, aber ohne Rücksicht
auf Schwerter und Waffen; sie bemüht sich nur,
den Gefallenen auszuweichen, und denkt, jede Leiche
sei diejenige, die sie sucht, während sie mit scharfem Blick
die Erschlagenen durchsucht, sich bückt,
die Körper auf den Rücken dreht und sich bei den Sternen
beschwert, dass sie nicht genug Licht spenden.
Zufällig stahl sich Juno aus dem Schoß ihres mächtigen Herrn
und wanderte durch die schlaftrunkene Dunkelheit
des Himmels zu den Mauern des Theseus,
um Pallas zum Nachgeben zu bewegen und Athen,
die frommen Bittsteller gnädig willkommen zu heißen.
Als sie aber von der Höhe des Himmels die unschuldige
Argia erblickte, die vom fruchtlosen Umherirren
auf der Ebene erschöpft war, betrübte sie der Anblick.
Als sie dem Mondgespann begegnete, wandte sie sich
ihr zu und sprach mit ruhiger Stimme: Gewähre mir
eine kleine Gunst, o Cynthia, wenn Juno
Respekt gebieten kann. Es ist wahr, dass Jupiter es gebietet,
du Schamlose, in jener dreifachen Nacht, in der Herkules –
aber ich will alte Zwistigkeiten beilegen; kannst du mir
jetzt einen Dienst erweisen? Argia, Tochter des Inachus,
meines liebsten Verehrers – siehst du, in was für einer Nacht
sie umherirrt und mit schwindender Kraft
ihren Gemahl in der dichten Dunkelheit nicht finden kann?
Auch deine Strahlen sind schwach von verhüllendem Dunst;
zeige deine Hörner, ich bitte dich, und lass
deine Umlaufbahn der Erde näher kommen,
als es deine Gewohnheit ist. Auch diesen Schlaf,
der sich nach vorn gebeugt die Zügel deines feuchten Wagens
für dich schwingt, schicke ihn den aonischen
Wächtern entgegen. Kaum hatte sie gesprochen,
als die Göttin die Wolken spaltete und ihre mächtige Kugel
zeigte; die Schatten zuckten erschrocken zusammen,
und die Sterne wurden ihres Glanzes beraubt;
kaum ertrug Saturnia selbst die Helligkeit der Luna.
Zuerst erkennt sie im Licht, das die Ebene durchflutet,
den Mantel ihres Mannes, ihre eigene Handarbeit,
arme Frau! Obwohl die Textur verborgen ist
und der Purpur darum trauert, mit Blut getränkt zu sein;
und während sie die Götter anruft und denkt,
dies sei alles, was von der geliebten Leiche übrig ist,
erblickt sie ihn selbst, fast in den Staub getreten.
Ihr Geist bebte, und Vision und Sprache flohen,
und Kummer drängte ihre Tränen zurück; dann fällt sie
nieder vor seinem Gesicht und sucht mit Küssen
nach seiner verstorbenen Seele, und indem sie das Blut
aus seinem Haar und Gewand presst, sammelt sie es
als Schatz. Endlich, als ihre Stimme zurückkehrt:
Mein Mann, ist er es, der einst als Kriegshauptmann
in das Reich marschierte, das ihm zustand,
ist es der Schwiegersohn des mächtigen Adrastus,
den ich jetzt sehe? Ist dies die Art, wie ich deinem Triumph
entgegengehe? Erhebe dein Antlitz und deine
blinden Augen hierher: Argia ist in dein Theben gekommen;
führe mich dann in deine Stadt, zeige mir die Hallen
deines Vaters und heiße mich deinerseits willkommen.
Ach! Was tue ich? Du liegst auf der nackten Erde,
und das ist alles, was dir von deinem Heimatland gehört.
Was waren das für Streitereien? Dein Bruder hat hier
sicher keine Herrschaft. Hast du niemanden
von dir zu Tränen gerührt? Wo ist deine Mutter?
Wo die berühmte Antigone? Wahrlich, für mich
liegst du tot, für mich allein hast du die Niederlage erlitten!
Ich fragte dich: Wohin marschierst du? Warum
verlangst du das Zepter, das dir verweigert wurde?
Du hast Argos und wirst in der Halle meines Vaters
herrschen; hier erwarten dich lange Ehren
und ungeteilte Macht. Aber warum beschwere ich mich?
Ich selbst habe dir den Krieg gegeben und mit meinen
eigenen Lippen meinen trauernden Vater darum gebeten –
dass ich dich nun so in meinen Armen halten könnte.
Aber es ist gut, ihr Götter; ich danke dir, Fortuna;
die ferne Hoffnung meiner Wanderung ist erfüllt:
Ich habe seinen Körper unversehrt gefunden.
Ach! Was für eine tiefe und klaffende Wunde!
War dies das Werk seines Bruders? Waren es Lügen,
bete ich, dieses berüchtigten Räubers? Ich würde
die Vögel übertreffen, könnte ich mich ihm nur nähern
und die Tiere fernhalten! Hat der grausame Schurke
auch Feuer? Aber dich sollst du, dein Land,
nicht ohne Flammen sehen; du sollst brennen,
und Tränen, die nicht für Könige weinen können,
sollen auf dich regnen, und trostlose Liebe
soll fortbestehen und immer dein Grab pflegen;
dein Sohn soll der Zeuge meiner Trauer sein,
ein kleiner Polyneikes soll dein Lager für mich pflegen.
Siehe! Mit einer weiteren Fackel und anderen Klageschreien
näherte sich die unglückliche Antigone den Toten,
nachdem sie kaum die ersehnte Flucht aus der Stadt
geschafft hatte; denn immer wird sie von Wachen begleitet,
und der König selbst befiehlt, sie festzuhalten;
die Wachzeiten werden verkürzt und die Feuer häufiger glühen.
Deshalb entschuldigt sie sich bei den Göttern
und ihrem Bruder für ihr Zögern und bricht,
sobald die rauhen Wachen ein bisschen in ihrer Wachsamkeit
nachlassen, wie verrückt aus den Mauern hervor:
Mit einem solchen Schrei erschreckt die jungfräuliche Löwin
die Landschaft, ihre Wut ist endlich frei, als ihre Mutter
zum ersten Mal nicht an ihrer Wut teilhat. Sie zögerte
nicht lange, denn sie kannte die grausame Ebene
und wusste, wo ihr Bruder im Staub lag: Menoetes,
der unbeschäftigt dasteht, bemerkt sie, als sie kommt,
und beruhigt das Stöhnen seines geliebten Mündels.
Doch als das letzte Schluchzen die erhobenen Ohren
der Jungfrau erreichte und sie im Licht der Sterne
und der Fackeln ihr Trauergewand, ihr zerzaustes Haar
und ihr von geronnenem Blut beflecktes Gesicht sah,
rief sie: Wessen Körper suchst du in dieser Nacht,
der mir gehört? Wer bist du, verwegene Frau?
Lange Zeit antwortete die andere nichts, sondern warf
ihr Gewand um das Gesicht ihres Mannes und auch
um ihr eigenes, einer plötzlichen Furcht erlegen
und eine Zeitlang ihren Kummer vergessend.
Antigone, die ihr verdächtiges Schweigen tadelte,
beharrte noch mehr darauf und drängte ihre Kameradin
und sich selbst; aber beide verloren sich in völliges Schweigen.
Endlich enthüllte Argia ihr Gesicht und sprach,
doch immer noch den Körper umklammernd:
Wenn du kommst, um etwas mit mir in diesem abgestandenen
Blut des Kampfes zu suchen, wenn du auch Kreons
harte Befehle fürchtest, kann ich mich dir
mit Zuversicht offenbaren. Wenn du elend bist –
und ich sehe sicherlich Tränen und Zeichen der Trauer –
komm und schließe dich mir in Freundschaft an;
Adrastus‘ königlicher Same bin ich – ach! ist jemand
in der Nähe? – auf dem Scheiterhaufen meines geliebten
Polyneikes, auch wenn Königreiche ihren Bann verhängten –
die kadmäische Jungfrau erschrak und zitterte
und unterbrach sie mit ihrer Rede: Bin ich es denn,
die du fürchtest? – wie blind ist der Zufall! –
Ich, die Partnerin deines Leidens? Mein sind die Glieder,
die du hältst, mein ist die Leiche, die du beweinst.
Nimm ihn, er ist dein! Ach, Schande! Ach,
über die feige Hingabe einer Schwester! Sie kam vor mir!
Seite an Seite fallen sie, und umarmen sich gegenseitig,
vermischen gierig ihre Tränen und Locken,
teilen seine Glieder unter sich auf, und kehren dann
mit vereinter Klage zu seinem Gesicht zurück
und saugen sich abwechselnd an seine geliebte Brust.
Und während sie sich an die eine ihres Bruders
und die andere ihres Gemahls erinnern und jede
der anderen die Geschichte von Argos und Theben erzählt,
erinnert sich Argia in längerer Abfolge an ihre eigene
traurige Geschichte: Bei der heiligen Gemeinschaft
unserer gestohlenen Trauer, bei unseren gemeinsamen Toten
und den Sternen, die sie bezeugen, schwöre ich dir:
nicht seine verlorene Krone, nicht seine Heimaterde,
nicht die Brust seiner geliebten Mutter, obwohl er
ein wandernder Verbannter war, sondern von dir allein;
von dir, Antigone, sprach er bei Tag und Nacht;
ich war eine geringere Sorge, und er ließ mich leicht los.
Doch hast du ihn vielleicht vor der grausamen Tat
von einem hohen Turm aus hoch aufragen
und den griechischen Truppen ihre Banner geben sehen,
und er hat von der Schlachtlinie aus auf dich zurückgeblickt
und dich mit seinem Schwert und der nickenden Spitze
seines Helms gegrüßt: aber ich war weit weg.
Aber welcher Gott hat sie bis zum äußersten Zorn getrieben?
Haben deine Gebete nichts genützt? Hat der andere
deine eigene Bitte abgelehnt? - Antigone hatte begonnen,
die Ursachen und die Grausamkeit des Schicksals darzulegen,
aber die treue Kameradin warnte sie: Nein, beende lieber
deine Aufgabe! Schon verblassen die Sterne
vor dem nahenden Tag; vollende deine Mühe,
die Zeit der Tränen wird kommen; entzünde
das Feuer und weine dann bis zur Fülle in ewiger Liebe.
Nicht weit entfernt verriet ein Brüllen den Kanal
des Ismenos, durch den er noch immer entfärbt
und vom Blut besudelt floss. Mit vereinten Kräften
trugen sie schwach die verstümmelten Glieder hierher,
während ihre Gefährtin, die ebenso schwach war wie sie,
ihre Arme zu ihren hinzufügte. So ließen seine Schwestern
den rauchenden Phaëthon, Hyperions Sohn,
im heißen Padus zurück: Kaum war er begraben,
erhob sich am Flussufer ein weinender Hain.
Als der Schmutz im Fluss gesäubert war und der Körper
im Tod noch einmal schön war, suchten die elenden Frauen
nach den letzten Küssen, nach Feuer, aber tot und kalt
war die Asche in den vermodernden Gruben,
und alle Scheiterhaufen waren still. Immer noch
blieb ein Scheiterhaufen übrig, ob durch Zufall
oder durch den Willen des Himmels, der dazu bestimmt war,
die Glieder des wilden Eteokles zu verbrennen –
ob das Schicksal noch einmal Gelegenheit
für Vorzeichen gab oder die Furie die Feuer
für gegenseitigen Streit verschont hatte. Hier erblickten
beide in ihrer Ungeduld ein schwaches Glühen,
das noch immer zwischen den geschwärzten Balken
lebendig war, und gemeinsam weinten sie Tränen
der Freude. Sie wussten noch nicht, wem
der Scheiterhaufen gehörte, beteten aber,
wem auch immer er gehörte, er möge ihm gnädig sein
und gnädigerweise eine Partnerin für seine
letzte Asche zulassen und ihre Geister vereinen.
Noch einmal seht die Brüder: Sobald das verzehrende Feuer
den Körper berührte, erzitterte der Scheiterhaufen
und strömte mit zwei Köpfen empor, von denen
jeder Zungen blitzenden Lichts aussendet. Als hätte
der bleiche Orkus die Fackeln der Eumeniden
in einen Kampf verwickelt, droht jeder Feuerball
und versucht, den anderen zu übertreffen;
selbst die Balken mit ihrem ganzen Gewicht wurden bewegt
und gaben einen Spalt nach. Das Mädchen schreit
voller Angst: Wir sind verloren; wir selbst haben
seinen Zorn im Tod geweckt. Es war sein Bruder;
wer sonst wäre so grausam, die Annäherung
eines fremden Geistes zurückzuweisen? Siehe!
Ich erkenne den zerbrochenen Rundschild
und den verkohlten Schwertgürtel, ja, es war sein Bruder!
Siehst du, wie die Flamme zurückweicht und doch
zum Kampf eilt? Lebendig, ja, lebendig ist
dieser gottlose Hass. Der Krieg war vergebens:
Während ihr so kämpft, ihr Unglücklichen,
hat Kreon schließlich doch gesiegt! Dein Reich ist dahin,
warum dann diese Wut? Für wen wütet ihr?
Besänftige deinen Zorn. Und du, überall ein Verbannter,
immer der Gerechtigkeit verwehrt, gib endlich nach;
dies ist das Gebet deiner Frau und deiner Schwester,
sonst werden wir in die Flamme springen, um dich zu trennen.
Kaum hatte sie gesprochen, als ein plötzliches Beben
die Ebene und die hohen Dächer erschütterte
und den Abgrund des unharmonischen Scheiterhaufens
vergrößerte, während die Wächter, deren Schlaf
selbst Bilder des Elends schuf, aus der Ruhe aufsprangen:
Sofort stürmen die Soldaten hervor und durchkämmen
mit einem Ring von Waffen die ganze Gegend.
Als sie sich nähern, hat nur der alte Mann Angst;
aber die Frauen bekennen offen vor dem Scheiterhaufen,
den Befehl des grimmigen Kreon verschmäht zu haben,
und gestehen mit lautem Geschrei ihre heimliche Tat,
leichtsinnig, denn sie sehen, dass der ganze Körper
bereits verzehrt ist. Sie sind ehrgeizig
nach grausamer Vernichtung, und eine leidenschaftliche
Todeshoffnung brennt in ihnen: Sie behaupten,
dass sie die Glieder der einen ihres Gemahls,
der anderen ihres Verwandten gestohlen haben,
und beweisen dies abwechselnd: Ich brachte den Körper,
- aber ich das Feuer, - Ich wurde von Zuneigung geleitet,
- Ich von Liebe. Sie fordern gern grausame Strafen
und legen ihre Arme in die Ketten. Die Ehrerbietung,
die noch eben in den Worten eines jeden lag,
ist verschwunden. Man könnte meinen, es zeuge
von Zorn und Hass, so laut werden auf beiden Seiten
die Schreie, dass sie ihre Entführer vor den König schleppen.
Von weitem aber führt Juno die verzweifelten
Phoronäerinnen – selbst nicht minder verzweifelt –
zu den Mauern Athens, nachdem sie endlich Pallas'
Wohlwollen gewonnen hat, und geht vor ihnen
auf der Straße; sie erweist dem Gefolge der Trauernden Gunst
in den Augen des Volkes und flößt ihnen Ehrfurcht
vor ihren Tränen ein. Mit ihrer eigenen Hand
gibt sie ihnen Olivenzweige und Flehbänder
und lehrt sie, ihre Gesichter in ihren Gewändern zu verbergen
und Urnen vor sich herzutragen, die von den Toten
unbewohnt sind. Eine Menge jeden Alters
strömt aus den eretheischen Häusern und füllt die Dächer
und Straßen; woher kommt diese Schar? Woher
so viele Trauernde? Sie wissen noch nicht, was der Grund
ihrer Not ist, und weinen doch bereits. Unter die beiden Scharen
mischt sich die Göttin und erzählt ihnen alles:
aus welchem Geschlecht sie stammen, welche Tode
sie beklagen und was sie suchen; auch sie selbst erheben
in verschiedenen Gesprächen überall lautstark
ihren Aufschrei gegen die Ogygischen Gesetze
und den unmenschlichen Kreon. Die getischen Vögel
erheben auf den fremden Dächern in verstümmelter Sprache
keine längere Klage, wenn sie den Verrat des Hochzeits-
gewölbes und die grausame Tat des Tereus beklagen.
Inmitten der Stadt gab es einen Altar, der keinem
mächtigen Gott gehörte; die sanfte Milde hatte dort ihren Sitz,
und die Elenden machten ihn heilig; nie fehlte es
ihr an neuen Bittstellern, niemanden verurteilte
oder lehnte sie ab. Alle, die darum baten, wurden erhört,
Tag und Nacht konnte man sich der Göttin nähern
und ihr Herz allein durch Klagen gewinnen.
Sie führt keine kostspieligen Riten durch; sie akzeptiert
keine Weihrauchflamme, kein Blut, das in die Tiefe strömt;
Tränen fließen auf ihren Altar, traurige Opfergaben
aus abgeschnittenen Locken hängen darüber
und Gewänder, die zurückgelassen wurden, als das Schicksal
sich änderte. Rundherum ist ein Hain sanfter Bäume,
gekennzeichnet durch den Kult des ehrwürdigen,
wollumwundenen Lorbeers und des flehenden Olivenbaums.
Kein Bild ist dort, keinem Metall ist die göttliche Gestalt
anvertraut, in Herzen und Köpfen wohnt die Göttin gern.
Die Bedrängten sind immer in ihrer Nähe, ihr Bezirk
wimmelt immer von Bedürftigen, nur den Wohlhabenden
ist ihr Heiligtum unbekannt. Der Legende nach
errichteten die Söhne des Herkules, die nach dem Tod
ihres göttlichen Vaters in der Schlacht gerettet wurden,
diesen Altar. Aber der Ruhm bleibt hinter der Wahrheit zurück:
Es ist richtig anzunehmen, dass die Himmlischen selbst,
für die Athen immer ein einladendes Land war,
wie sie einst Gesetze und einen neuen Menschen
und heilige Zeremonien und die Stühle gaben,
die hier auf die leere Erde herabstiegen, so jetzt
an diesem Ort eine gemeinsame Zuflucht
für wandernde Seelen heiligten, von der der Zorn
und die Drohungen der Monarchen weit entfernt waren
und das Schicksal von einem Heiligtum der Gerechtigkeit
weichen konnte. Schon zahllosen Völkern waren
diese Altäre bekannt. Die im Krieg Besiegten
und aus ihrem Land Verbannten strömten hierher,
Könige, die ihr Reich verloren hatten, und jene,
die sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatten
und Frieden suchten. Und später überwand
diese Wohnstätte der Güte die Wut des Ödipus,
bot dem Mord an Olynth Schutz und verteidigte
den unglücklichen Orest vor seiner Mutter.
Geleitet vom einfachen Volk kommt die verzweifelte Schar
von Lerna hierher, und die Menge der früheren Anhänger
weicht vor ihnen. Kaum waren sie angekommen,
waren ihre Sorgen gelindert und ihre Herzen fanden Ruhe:
So wie Kraniche, die von ihrem heimischen Nordwind
über die Meere gejagt werden, sich beim Anblick
von Pharos in dichterer Reihe über den Himmel ausbreiten
und ein freudiges Geschrei erheben, erfreuen sie sich
unter einem wolkenlosen Himmel an der Verdünnung
des Schnees und daran, den Griff des Winters
an den Ufern des Nils zu lockern. Nun, Muse, zum Opfer!
ZWEITER GESANG
Während die Flotte in Aulis versammelt, den Aufbruch verlangte,
trieb sich Agamemnon, der Fürst, in den Wäldern umher.
Jagdlust trieb ihn voran, da schoss er ein herrliches Wildstück,
heilig der Göttin geweiht, der Artemis, mächtig und stolz.
Hochmütig rühmte der Fürst: Nicht besser vermag es die Göttin!
Doch erzürnte die Tat die Zornige; Artemis sendet
Windstille über das Meer und hemmt der Schiffe Bewegung.
Ratlos lagerten so die Griechen am Strande von Aulis.
Kalchas, der Seher, verkündet der ratlosen Schar die Gebote:
Opfert, o Griechen, die Tochter des Fürsten, die jungfrische Maid,
Iphigenie, dem Zorn der Göttin, damit sie euch gnädig
Winde verleihe zur Fahrt und Troia dem Schwerte verfall'.
Hörend die Worte des Sehers, erbleicht der Fürst in der Tiefe,
weigert, den Mord zu vollziehen, und legt das Zepter beiseite.
Doch das griechische Heer, aufgebracht, will Taten erzwingen;
selbst Menelaos erscheint und drängt mit bitteren Worten:
Bruder, war’s nicht dein Wille, die Führung des Heeres zu tragen?
Branntest du nicht vor Verlangen, vor Troia den Ruhm dir zu sichern?
Demütig warst du und gnädig den Fürsten und niedrigen Leuten,
alles, um Macht zu erlangen; nun weichst du im Angesicht der Pflicht?
Opfer verlangt das Amt, das du begehrtest, und dennoch
zagst du, dem Willen der Göttin zu folgen und Rettung zu bringen?
Ruhm sucht keiner, der nicht zugleich auch Opfer zu tragen bereit ist.
Denke daran, dass Helena, mein Weib, in der Feinde Gewalt
bleibt, wenn das Heer hier zögert, statt kühn gen Troia zu ziehen!
Schwer ward das Herz des Fürsten; er sandte die heimliche Botschaft,
forderte Klytaimnestra, die Tochter nach Aulis zu führen.
Doch war es ein listiger Vorwand: die Maid solle Achilles,
Peleus’ herrlichem Sohn, als Braut zugeführt nun werden.
Kaum aber sandte den Boten der Fürst, da packte die Reue
ihn in der Nacht, und hastig entwarf er ein neues Gebot,
welches die Mutter ersucht, die Tochter zurückzuhalten.
Doch erfasst von Menelaos, dem Bruder, ward dieser entsiegelt,
wütend trat er hervor und stellte Agamemnon zur Rede:
Wankelmütig und schwach! Erinnerst du nicht, was du wünschtest?
Gier nach Macht trieb dich einst, nun weichst du der Last deiner Bürde!
Wer das Ruder ergreift, muss fest in der Hand es auch halten,
sei’s durch Opfer und Leid, doch nie durch Feigheit entehren.
Wäre ich in deiner Statt, kein Zögern, kein Wanken, kein Klagen!
Steh zu deinem Entschluss, und vollende das Werk ohne Weichen!
So war der Streit entbrannt, und tief im Innersten rang nun
Agamemnon, gefangen im Netz der Pflicht und des Herzens.
Opferte schließlich das Kind, und das Heer zog weiter gen Osten,
schwer von der Schuld, doch getrieben vom Schicksal und göttlichem Willen.
Solche Vorwürfe aus des Bruders Mund vermochten nicht eben,
Agamemnons Herz zu beruhigen. Was schnaubst du so grimmig,
Bruder? Was flammet dein Blick wie mit blutigem Feuer entbrannt?
Wer hat dich beleidigt? Was fehlt dir? Ist es Helena selber,
deine Gemahlin, nach der dein Herz in Bitterkeit trachtet?
Kehren kann ich sie nicht; das magst du wohl selber erkennen!
Hättest du besser dein Eigentum einst gehütet, o Menelaos,
wäre dies alles vermieden; doch höre, bin ich der Tor,
weil ich den Fehler bereute und Bessrung im Handeln erwirkte?
Weitaus törichter du, der du wieder nach jener verlangest,
die dich verriet und schmählich betrog! Sei froh, daß sie ferne,
freue dich, Bruder, des Loses, das dich von ihr hat befreit.
Nimmermehr wird mich ein Entschluß zu solchem Verderben
bringen, gegen mein Blut zu wüten im blutigen Wahnsinn!
Besser, du strafst dein buhlerisch Weib mit gerechtem Verdruße.
So haderte mit einander das Bruderpaar, als ein Bote
kam und Agamemnon meldete, daß vor den Zelten
Iphigenie erscheine, geführt von der Mutter Klytaimnestra
und von Orestes, dem zarten, den kleinen Sohn an der Hand.
Kaum daß der Bote gewichen, da sank in verzweifelndem Jammer
Agamemnon dahin, so trostlos, daß Menelaos selbst,
der sich zuvor in Zorn von ihm abgewandt, nun näher
trat und die Hand des Bruders ergriff, in der seines zu suchen.
Wehmütig reichte sie jener ihm dar und sprach unter Tränen:
Da, Bruder, sie ist dein! Der Sieg gehört dir! Ich bin vernichtet!
Doch Menelaos beschwor ihn, von allem Verlangen zu lassen,
sprach: O töte dein Kind nicht! Laß uns den Zwist doch begraben!
Guter Bruder, ich will dich nicht um Helena schädigen weiter.
Trockne die Tränen, Agamemnon, sie bringen dir nichts!
Mag auch der Spruch der Götter mir Anteil fordern am Kinde,
lehnt sich mein Herz dagegen; ich weise den Anspruch zurück.
Wisse, ich folge der Einsicht, die Liebe des Bruders bleibt siegreich,
sobald die Wahrheit uns tiefer im Innern zum Frieden geleitet!
Agamemnon, gerührt, sank dem Bruder ans Herz, doch verborgen
bleibt ihm der Trost; das Geschick der Tochter lastet zu schwer.
Dank, Bruder, sprach er, daß deines Sinnes Edelmuth uns wieder
einigt. Doch mir bleibt kein Entfliehen! Das Heer der Griechen
fordert das Opfer; Kalchas selbst und Odysseus verlangen's.
Fliehen wir, folgte die Rache uns bis in die Mauern von Argos;
doch du, Bruder, bewache Klytaimnestra im Lager,
daß sie nichts höre, bevor das Kind dem Spruch der Götter
Opfer geworden ist; nur so entgeht uns Verderben.
Hier die Frauen heran, und Menelaos, in Gedanken
schwer, ging fort. Da begrüßte die Tochter den Vater mit Zärtlichkeit:
O Vater, wie lang war getrennt mein Herz von dem deinen!
Doch als sie sah seine Tränen, da fragte sie kindlich besorgt:
Warum ist dein Blick so voll Schmerz, wenn du mich liebst, mein Vater?
Laß das, Kind! entgegnet der Fürst mit bebender Stimme.
Könige tragen die Bürden von vielen, nicht einer allein.
Doch sie fleht: Schlag freundlich dein Aug' auf mich, o Vater!
Warum birgt es sich so in Kummer und Tränen vor mir?
Eine Trennung, sprach er, steht uns bevor, mein liebliches Kind.
O, wenn ich dich doch begleiten dürfte, wie glücklich wär' ich!
Eine Reise, sprach er, wird auch dir beschieden; doch vorher
opfern wir noch... Doch seine Stimme versank in den Tränen,
und er sandte das ahnungslose Kind zum Zelt der Jungfrauen.
Klytaimnestra, fragend und voller Neugier, lenkte der Atride
ab mit Worten, vom Bräutigam sprach er, den sie erwartete.
Doch selbst wandte sich jener zum Seher, um mit ihm das Opfer
heimlich zu planen, das unausweichlich das Schicksal gebot.
In den Lagern, wo Zufall den tückischen Planen begegnet,
Ward Klytaimnestra geführt zu dem Fürsten Achilleus.
Jener suchte den Führer des Heers, Agamemnon, zu treffen,
Denn die Myrmidonen konnten den langen Verzug nicht ertragen.
Freundlich grüßte die Fürstin den Helden als künftigen Eidam,
Doch er trat verwundert zurück und sprach mit Erstaunen:
Welche Vermählung meinst du, o Fürstin? Niemals, ich schwöre,
Habe ich um dein Kind gefreit, noch hat je eine Einladung
Mich erreicht, aus dem Munde des großen Atriden Agamemnon.
Staunend begann sich das Rätsel vor ihren Augen zu lichten;
Unentschlossen stand sie und voll Beschämung vor ihm.
Achilleus sprach mit jugendlicher, herzlicher Milde:
Kümmere dich nicht, o Königin, sei ohne Sorge!
Selbst wenn ein Scherz dich getäuscht hat, nimm ihn gelassen.
Sollte mein Staunen dir wehegetan, so verzeih mir.
Mit ehrerbietigem Gruße wollte der Held sich entfernen,
Doch da öffnete eben ein Diener das Zelt des Atriden,
Atemlos, mit verstörter Miene, und rief den Gesprächen:
Höre, o Herrin, was dir dein treuer Diener nun offenbart:
Eigenhändig will der Vater die Tochter töten!
Zitternd vernahm die Mutter das Schreckliche aus seinem Munde,
Warfen sich nieder und umfingen die Knie des Peleussohnes.
Ach, erröten will ich nicht, so flehend zu dir zu sinken,
Sterbliche vor dem Göttersproß, doch hör mich, Achilleus!
Rette, o Sohn der Göttin, mein Kind und mich vor der Schmach hier!
Dir als dem Gatten hab ich sie töricht hierhergeführt,
Doch nun nenne ich dich den Bräutigam meiner Tochter.
Bei deiner Mutter, der göttlichen, flehe ich, rette sie, hilf uns!
Schutzlos liege ich hier vor dir, kein Altar mir geblieben,
Nur deine Knie sind mein Hort in der Mitte der Kriegergewalt.
Ehrerbietig hob Achilleus die Königin auf und
Sprach: Fürchte dich nicht, o Fürstin! Ein schlichtes Gemüt hab’
Ich bei Chiron gelernt, dem weisen, gütigen Lehrer.
Nimmer gehorch’ ich dem schändlichen Willen, und sollte ich sterben,
Schützen will ich dein Kind, so weit es ein Jüngling vermag.
Nie soll der Vater mit eigenem Stahl sein Blut vergießen,
Und ich selbst könnte nicht frei von Makel erscheinen,
Sollte das Spiel mit dem Bräutigamstitel dein Kind verderben.
Freudig rief da die Mutter, von Dankbarkeit tief überwältigt:
Bist du bereit, edler Held, das Leben meiner Tochter
Zu verteidigen, so will ich dir ewig danken! Doch könnte
Sie selbst wohl, als flehende Jungfrau, dich um Schutz angehen?
Achilleus sprach: Nicht vor mein Antlitz führe das Mädchen,
Denn das Heer liebt böse Geschwätz, wo Sorge nicht weilet.
Aber vertraue mir, ich habe niemals gelogen,
Eher will ich selbst sterben, als dein Kind nicht zu retten.
Mit diesen Worten schied Achilleus von ihr, und die Mutter
Trat nun vor ihren Gemahl mit unverhohlenem Abscheu.
Ahnungslos sprach Agamemnon mit trügerischer Rede:
Bringe dein Kind aus dem Zelt, denn die Opfergaben sind fertig.
Wasser und Mehl sind bereitet, das Festmahl wartet der Opfer.
Doch Klytaimnestra sprach, mit funkelndem Blicke ihn schauend:
Rufe sie selbst, die Tochter, heraus, sie kennt deinen Willen!
Als sie erschien, mit Orestes an ihrer Seite, begann sie:
Hier steht sie, dein Kind, zu Gehorsam bereit. Doch antworte ehrlich:
Willst du, ihr Vater, sie töten? Lange stand der Atride
Sprachlos da, bis er verzweifelt ausrief: Mein Verhängnis!
Alles ist offenbart, das Geheimnis enthüllt, ich bin verloren!
So ging die Königin fort und offenbarte dem Gatten
Alles Leid, das sie je von ihm hatte erdulden, verschweigen.
Ihre Stimme erhob sich mit schmerzlicher, mächtiger Klage.
Wenn ihr vor Troia segeln wollt, so werfet die Lose,
wessen Tochter im Opfer der Göttin sterben soll! –
Nun soll ich, treue Gefährtin, mein eigenes Kind verlieren,
während Menelaos, für den dieser Krieg ja entbrennt,
ungesorgt sich erfreut an Hermione, seiner Tochter,
und die treulose Frau sein Kind in Sparta bewahrt!
Sag mir, ob ich mit einem einzigen Wort dich beleidigt;
war’s die Wahrheit, o schone mein Kind, tu es nicht, ach, besinne
dich, o Gatte, vernichte dein eigen Fleisch und das meine nicht!
Doch nun sank auch Iphigenie zu Füßen des Vaters,
sprach mit erstickter Stimme: Besäße ich Orpheus’ Stimme,
könnte ich Felsen bewegen, o Vater, dann würd’ ich sogleich
mit den Worten des Flehens dein hartes Herz dir erweichen.
Doch ich habe nur Tränen, und statt des Ölzweigs umschlinge
ich mit bebendem Leib dein Knie, o Vater, erbarme
dich, vernichte mich nicht vor der Zeit, ach, süß ist das Leben,
süß, das Licht zu sehen, und schrecklich das Reich der Nacht.
Denke zurück an die Stunden, als du auf deinem Schoße
mich, dein Kind, noch wiegtest und Zukunftslieder gesungen.
Noch, o Vater, klingt mir dein Wort in des Herzens Tiefe:
Wie du hofftest, mich einst in die Blüte des Lebens zu führen,
eines Edlen Gemahlin, wenn du heimkehrtest vom Kriege.
Alles hast du vergessen, und jetzt, o Vater, willst töten
du dein eigen Kind! Erbarme dich meiner, bei jener,
die mit Schmerzen mich trug und nun größeren Schmerz mir beweint!
Was hab ich mit Helena und Paris zu schaffen? Warum soll
ich denn sterben, weil jener nach Griechenland kam? O Vater,
blicke mich an, ein letzter Blick, und gewähre den Sterbenden
doch einen Kuß als Erinnerung, wenn mein Wort dich nicht rührt!
Sieh auch deinen kleinen Sohn, er fleht schweigend um Gnade,
klein ist er noch, doch ich bin herangewachsen, voll Blüte!
Ach, das Licht zu schauen, o Vater, ist Sterblichen heilig,
lieber ist elend Leben, als sterben in schönster Gestalt!
Doch Agamemnon verhärtete Herz wie ein Felsen.
Wo ich Mitleid zeigen darf, da zeig ich’s, o Tochter,
denn ich liebe euch beide, die Kinder, doch höher als Liebe
ragt des Volkes Wille und Götterwort, dem ich folge.
Schwer auf mir liegt das Entsetzliche, dennoch muss ich’s vollenden.
Schaut nur, rings von den Griechen umringt, mit ihren Rüstungen glänzend,
warte des Krieges Heer, das nach Troia sehnt und nach Rache.
Fällt der Götter Spruch, so löscht nur dein Opfer die Schuld aus;
trotzt’ ich dem, dann ermordeten jene mich und auch euch.
Nicht für Menelaos allein, für Griechenland stehe ich ein hier,
und dem Göttergebot muss beugen mein schwaches Herz sich!
Sprach’s, und er ging. Im Zelt verblieben die klagenden Frauen.
Draußen erhob sich ein Ruf, und klirrende Waffen erklangen.
Freudig rief Klytaimnestra: Achilles kommt uns zu Hilfe!
Doch Iphigenie suchte sich scheu vor dem Bräutigam zu bergen,
schämte sich tief ob der Täuschung, die Schande verhüllend im Dunkel.
Doch der Peleussohn trat rasch, umgeben von wenigen Waffen,
in das Zelt: Unglückliche Tochter der Leda, das Lager
tobt, sie fordern dein Opfer! Vergebens widerstand ich,
fast war ich gesteinigt, den Griechenheeren zum Trotz!
Und die Myrmidonen? fragte die Königin bebend.
Die, so sprach er, entbrannten zuerst, nannten mich einen Schwätzer,
liebestoll und feig. Doch hier bin ich, mit diesem Gefolge,
um euch zu schützen vor Odysseus’ heranziehenden Truppen.
Doch die Tochter erhob nun das Haupt, und mit mächtigen Worten
sprach sie: Höret mich an! O Mutter, zürne dem Vater
nicht, denn er kann sich nicht gegen die Götter stellen!
Groß ist die Ehre des Fremdlings, doch eitel sein kühnes Bemühen.
Ich will sterben und selber mein Herz zum Opfer erheben.
Auf mir ruht Griechenlands Hoffnung, der Ruhm der Frauen
und Troias Fall, den ich mit meinem Tode erkaufe.
Soll ich, eine Sterbliche, trotzen der Göttin Artemis? Nein!
Opfert mich, und mit meinem Ende wird Troia gefallen.
Mein Name soll klingen, als Retterin Griechenlands leben!
Mit strahlendem Blick erschien vor der Mutter die Tochter, der Göttin
Gleich an Gestalt, Iphigenie, stand, und Pelides bewundernd
Sank auf ein Knie vor ihr und rief mit leuchtenden Worten:
Tochter Agamemnons, ach, Götter erheben mein Leben,
Wenn mir dein Hand zum ewigen Bund im Glück sich gewähret.
Griechenlands Ruhm beneide ich, dir sein Herz zu vereinen,
Dich, die Unvergleichliche, Griechenland hold zu ersehnen.
Liebe flammt in der Brust, nun ich dein strahlendes Wesen
Schaue, o Herrliche! Prüfe mein Wort mit weisem Erwägen!
Fürchte den Tod, doch höre mein Flehn, dir Leben zu geben:
Laß mich dich retten und heimführen zu Freude und Frieden!
Lächelnd sprach da die Jungfrau, die Seel’ in Hoheit gebettet:
Kriege und Mord hat Schönheit der Frauen genug schon geweckt,
Helena ward zur Flamme des Zorns und ewigen Leidens.
Nein, Freund, sterbe nicht auch du durch Weibeszauber,
Noch lasse Blut um meinethalb fließen im grimmigen Zorne!
Laß mich Griechenlands Retterin sein, wenn’s Götter gebieten!
Da rief der Pelide bewegt: Erhabenes Herz,
Tu, was dir wohlgefällt, doch ich mit mutiger Eile
Schreite bewaffnet voran, dich zu bewahren vor Sterben.
Unbesonnen sollst du nicht sinken in schaurigen Tod.
Vielleicht, o Göttliche, kehrst du zurück zu dem Leben,
Wenn du die Mordwaffe siehst an deinem Nacken erhoben!
Also sprach er und eilte voraus, indes die Jungfrau,
Klagende Mutter beruhigend, dem kleinen Bruder den Armen
Liebend überließ, mit Mut und freudigem Herzen,
Griechenlands Wohl erahnend, dem Tode entgegen sich wandte.
Rings von Klagen ertönte das Zelt, doch die Mutter
Warfen sich ohnmächtig nieder, der Schmerz lähmte ihr Leben.
Dort vor der Stadt, im blühenden Hain der Artemis, harrten
All die Heere, vereint im Glanz der Opferentsagung.
Stumm stand Kalchas, der Seher, am heiligen Altar,
Griechisches Staunen und Mitleid wallten beim Anblick
Reiner Gestalt, da Iphigenie mit mutigen Schritten
Nahe trat und ihr Antlitz zum Vater wandte und sprach:
Vater, hier bin ich bereit, zum Heil der griechischen Führer,
Fürs Vaterland mein junges Leben zu opfern, wie’s heißt.
Seid mir froh, kehrt siegreich heim mit triumphierenden Speeren,
Doch mich rühre kein Mann: still will ich sterbend erdulden.
Tief war das Schweigen im Heer, von Ehrfurcht erfüllt und Erstaunen.
Kalchas erhob den Stahl, der glänzend ruhte im Opferkorb.
Achilles naht', den Mut zum Zorn in Waffen gerüstet,
Doch ein Blick der Jungfrau brach den heldischen Willen.
Nieder sank das Schwert, der Krieger benetzte den Altar
Mit geweihtem Wasser, und wie ein Priester umrundet’
Heilig den Opferstein, der Jungfrau Ehre bewahrend,
Rufend zur Göttin: O Artemis, Huldreiche, nimm an
Dieses Opfer, rein und vollkommener Gabe geweiht.
Segne Griechenlands Fahrt, lass Troja im Staube versinken!
Kalchas fasst' den Stahl und blickte scharf in die Ferne,
Doch im Moment, da fiel der Schlag, geschah das Wunder:
Hin war die Jungfrau, verschwand vor staunenden Heeren,
Und statt ihres Leibs lag nieder die stolze Hindin,
Artemis’ Gunstgeschenk, das Blut des Altars bespritzend.
Da erhob sich der Ruf: Die Göttin ist gnädig, wir fahren
Froh gen Troja noch heut, ihr tapferen Brüder im Kampf!
Mit Jubelrufe stürmten die Griechen dem Hafen entgegen,
Segel erhoben sich weit, und das Meer trug hoffende Flotten.
Doch im Zelt Agamemnons war Klytämnestra nicht länger.
Diener riefen sie wach, vom Staube des Bodens erhoben,
Halb noch im Schmerze, halb in Dank sich dem Himmel zuwendend.
Räuber des Kindes, ach, mordete Freud’ in meinem Mutterherzen!
Sprach sie mit bitterem Ton, und eilend floh sie nach Mykene.
Gewandt von Athen, die Freunde, Orest und Pylades beide,
Schlugen den Weg nach Delphi ein, wo Apollons Orakel
Rat ihnen bot, was weiter zu tun, wie enden die Bürde,
Die auf Orestes lastete schwer von blutiger Schuld her.
Fragte der Königssohn, was noch beschlossen für ihn sei.
Jenes Orakel sprach, daß sein Leid ein Ende nur fände,
Würde der Held nach Taurien gehn, zum barbarischen Lande,
Wo Artemis, Schwester des lichten Apollo, ein Heiligtum habe.
Dort solle er, klug und gewandt, das Bild der Göttin
Rauben, das hoch vom Himmel gefallen, so lautete Sage.
Dieses von Menschen wild verehrt, zu Athen solle er bringen.
Denn, so sprach die Weissagung klar, die Göttin verlangte,
Milde des Himmels zu spürn, und fern von Barbaren zu weilen.
Gelang dies kühn, so stünde der Flüchtling am Ende der Mühsal.
Treulich blieb Pylades nah an der Seite des Freundes,
Auch auf rauher Fahrt, die Gefahr in der Fremde verhieß ihm.
Tauriens Volk, ein wilder Stamm, pflegte der Göttin
Fremde zu weihn durch Mord und Opfer in gräßlicher Weise.
Jenen, die kamen als Feind, die Küsten erreichten durch Zufall,
Trennten sie grausam das Haupt vom Leibe und steckten es höhnisch
Hoch auf eine Stange, ein Wächter der Hütten zu werden.
Doch warum in solch ein Land mit blutiger Sitte
Sendete ihn das Orakel? Hört nun der Gründe Bedeutung:
Einst, als Iphigenie, die Tochter des großen Agamemnon,
Opfer werden sollte, durch Wort des Sehers Kalchas
Am Ufer von Aulis, im Angesicht all der Griechen,
Stürzte die Klinge herab, doch traf sie statt ihrer ein Hindlein.
Artemis, göttlich barmherzig, entrückte die Jungfrau,
Trug sie auf Armen durch luftige Höhen, über das Meer hin
Nach Taurien, wo sie die Priesterin ward der Göttin.
Thoas, Barbarenherrscher, erhob sie zu heiligem Amte,
Wo sie nun Fremdlinge weihte dem blutigen Ritus des Landes.
Selbst blieb sie fern dem Mord, doch war sie gezwungen,
Opfer zu segnen und Dienste zu tun, die grausam und bitter.
Jahre vergingen so, und die Jungfrau harrte in Wehmut,
Fern von der Heimat, nicht wissend, was ihre Lieben betrafen.
Da träumte sie nachts, wie sie wieder im Hause des Vaters
Ruhte, umringt von Sklavinnen, die ihr zu Diensten bereit sind.
Doch bebte der Boden, und rings zerfiel das Gemäuer,
Einsturz drohte dem Haus, und nur ein Pfeiler verblieb fest.
Dieser schien bald menschliche Form zu gewinnen,
Haupt mit goldenem Haar, und redete laut, doch die Worte
Entfielen der Jungfrau, als sie erwachte aus Träumen.
Noch aber sah sie im Traum, wie bitterlich weinend
Weihwasser sie sprengte über den Pfeiler, der Mensch war.
Eben am Morgen, der jener Nacht entstieg, stiegen Orestes
Und sein Freund Pylades ans Land an der taurischen Küste.
Eilten dem Tempel der Göttin zu, mit gefährlichem Vorhaben.
Staunend blickten sie auf das Gebäude, mehr einem Kerker
Gleich als heiligem Haus, umschlossen von Mauern so schroff.
Endlich sprach Orestes, das Schweigen brechend, zum Freunde:
Was tun wir, treuer Gefährte, der jede Gefahr mit mir teilet?
Wollen wir steigen die Stufen hinauf, die schlingen den Tempel?
Doch wenn wir oben sind, wie finden wir dort in der Finsternis weiter?
Schlösser aus Erz werden versperren die Tore gewißlich,
Wachen die Eingänge hüten, den Fremden den Zugang verwehren.
Fänden sie uns, so wäre gewiß unser Leben verloren,
Denn der Mord an Griechen tränkt den Altar dieser Göttin!
Wäre es besser vielleicht, zum Schiffe zurück sich zu wenden,
Das uns hergebracht mit hoffendem Segel durch Wogen?
Ei! so erwiderte Pylades, Das wäre zum ersten Male,
Daß wir gemeinsam entfliehn! Doch heilig soll Apollons
Ausspruch bleiben für uns. Wahr ist's, wir müssen doch eilen,
Fort von diesem Tempel hinweg! Am klügsten jedoch verbleiben
Wir verborgen im Fels, in den Grotten, die Wogen umspülen,
Fern von dem Schiff, damit keiner der Fremden das Boot uns
Sehe und Kunde trage dem Herrscher des unheil’gen Landes,
Der dann gegen uns Waffengewalt mit Eile entsendete.
Sinkt aber nächtiger Schatten herab, dann wagen wir’s kühnlich!
Kennend des Tempels Lage nunmehr, ersinnen wir sicher
List, um ins Innere vorzudringen, wo das Götterbild pranget.
Einmal in Händen getragen, nicht fürcht’ ich den Rückweg;
Denn die Gefahr besiegt der Mut, wie oft wir’s erlebten!
Rudernd bezwangen wir weit die unermeßlichen Fluten.
Schändlich wäre es nun, am Ziel uns schwach zu bezeigen,
Heimzukehren ohne die Beute, die Gott uns verheißen!
Also sprach er. Da rief Orestes: Geschehe dein Wille!
Lasst uns verborgen ruhn, bis Tag sich schließe, die Nacht dann
Kröne das Werk, das wir mit Tapferkeit zu vollbringen wagen!
Hoch schon stand die Sonne, als vor der Priesterin Artemis’
Tempel, an dessen Schwelle die Jungfrau still verweilte,
Nahte, eilenden Schritts vom Gestade, ein rüstiger Rinderhirt,
Botschaft bringend, daß Jünglinge, Opfer für Göttin Artemis,
Frisch am Ufer gelandet seien. Bereite dich eilig,
Rief er, zum Werk, o Priesterin, tauch sie ins heil’ge Gewässer,
Wie es die Sitte verlangt, und nimm das heilige Messer!
Traurig fragte Iphigenie: Von welchem Lande die Fremden?
Griechen, sprach der Hirt, mehr wissen wir nicht von ihnen,
Außer, dass einer Pylades heißt, und beide gefangen.
Weiter fragte die Priesterin: Wo und wie wurden sie ergriffen?
Rinder badeten wir im Meer, das schäumend die Klippen
Umrauscht, genannt die Symplegaden, berüchtigte Felsen.
Dort in einer Grotte, den Schneckenfischern bekannt,
Fanden wir, schlau verborgen, das Paar; und einer von unsrer
Schar, ein gottesfürchtiger Hirt, erblickte die Jünglinge,
Hielt sie für himmlische Wesen und fiel ehrfurchtsvoll nieder.
Doch ein anderer lachte und sprach: ‚Nicht Götter, nein Schiffbrüch’ge
Seht ihr, die sich, voll Angst vor uns und unsren Gebräuchen,
Bargen hier, da sie hörten, wie Fremde dem Opfer geweiht sind.’
Also begannen wir, sie zu fangen, als plötzlich der eine,
Rasend vom Wahnsinn gepackt, mit zitternden Gliedern hervorstürzt.
Pylades! rief er laut, Siehst du dort die schwarze Gestalt nicht?
Hades’ Drachen naht, mit Schlangen umwunden, sie sucht mich
Niederzustürzen! So schrie er, von Grauen erfüllt.
Wir, erschrocken ob seines Wahns, da kein Feind uns erschien,
Zogen uns kurz zurück, bis Mut uns wieder durchströmte.
Er jedoch schlug rasend die Rinder nieder mit Eisen,
Bis die Flut sich blutig färbte. Bald dann überwältigten
Wir die beiden, vereinten das Volk durch Muschelbläser,
Steinwurf zwang die Waffen zu Boden, und nieder sanken
Beider Knie, erlahmt vor der Überzahl unsrer Schar.
So führten wir sie zu Thoas, dem Herrscher, der eilig
Befahl, sie dir, Priesterin, zum Opfer zu senden.
Flehe, Jungfrau, dass viele solch herrliche Griechen
Künftig dir als Opfer gesandt, denn reichliche Rache
Bringt dir ihr Tod für die Angst, die du einst in Aulis erlitten!
Der Hirt schwieg, erwartete stumm die Worte der Richterin,
Bis sie ihm auftrug, die Fremdlinge her zu führen zum Tempel.
Als sie alleine sich fand, erhob Iphigenie leise
Ihre Stimme zum Herzen und sprach: O Seele, warum
Bist du von Barmherzigkeit nun so weit entfernt?
Einst schenktest du den Fremden stets Tränen der Milde,
Und nie blieb griechischem Blute dein Mitgefühl ferne,
Wenn es vom Schicksal gezeichnet in deine Hände gefallen.
Doch seit jener Traum, der bitter die Nacht mir verdunkelt,
Flüsterte, daß Orest, mein geliebtester Bruder,
Fern von der Sonne wandelte, tot in der Schattenwelt weile,
Ist mir das Herz verhärtet, und grausam sollen mich finden
Alle, die nahtretend mein Antlitz suchen mit Hoffnung.
Denn Glücklose sind den Beglückten stets ein Ärgernis,
So wie die Griechen einst mich zum Opfer zogen wie Lämmer,
Wo des eigenen Vaters Hand mir den Tod wollte geben.
Ach, jene furchtbare Zeit verläßt meine Seele niemals!
Zeus nur weiß, ob einst die Winde Menelaos herführen,
Diesen Verräter, samt seiner Helena, jener Trügerin!
Doch ihr Klagen verstummte, da nahte das Los der Gefang’nen,
Deren Fesseln geführt vom Hirt zu der Priesterin wankten.
Als sie die Männer sah, gebot sie den Führern mit Worten:
Löset die Bande, die Hände der Fremden sollen frei sein!
Denn das heilige Opfer reinigt sie von allen Fesseln.
Gehet sodann zum Tempel und rüstet das Nötige aus,
Alles, was diesem heiligen Ritus gebührt, zu bereiten!
Darauf wendet sie sich mit sanfter, doch mächtiger Stimme
An die Gefangenen selbst und begann mit ernsten Worten:
Saget, wer war euer Vater, und welche Mutter gebar euch?
Habt ihr Geschwister, die nun im Haus ihrer Brüder gedenken?
Oder steht eine Schwester, beraubt, verlassen, alleine?
Woher führt euch das Schicksal, ihr Fremden, zu diesen Gestaden?
Weit war wohl eure Reise, doch weiter wird sie nun gehen,
Hinunter führt euer Pfad zum düsteren Reich der Schatten!
Da sprach Orestes: O Frau, wer du auch immer magst sein,
Was beklagst du uns Armen, die sich dem Schicksal ergeben?
Wer das Beil erhebt, mag sein Opfer nicht trösten mit Worten.
Wem der Tod bevorsteht, geziemt es nicht, Jammer zu klagen.
Drum laß uns ohne Tränen begegnen, wie es uns ziemt,
Und ohne Trost den Weg ins Verderben bereit sein zu gehen!
Welcher von euch ist Pylades? fragte die Priesterin weiter.
Dieser hier, sprach Orestes und zeigte auf seinen Gefährten.
Seid ihr Brüder? fragte die Stimme, doch sanft war ihr Tonfall.
Durch die Liebe allein, erwiderte jener, nicht Blut.
Und wie nennst du dich selbst? verlangte die Priesterin darauf.
Nenne mich Elend, sprach Orestes mit bitterem Lächeln,
Denn ein Name bringt Ruhm, doch ich bin des Ruhmes nicht wert.
Da drang sie mit Macht auf ihn ein, zu nennen die Heimat,
Die ihn geboren; und zitternd entwich ihm endlich die Antwort:
Argos! Dort war mein Haus, das einst in Freude erstrahlte.
Wie vom Blitz getroffen, erbebte die Priesterin plötzlich:
Bei den Göttern, Freund, sagst du die Wahrheit? Kommst du aus Argos?
Ja, ich komme von dort, wo mein Geschlecht einst geehrt war.
Wie die Jünglinge dort allein, nur von Dienern bewachet,
Hielten, da sprach Pylades, heiß auflodernd im Herzen:
Nein, bei deinem Tode vermag ich nicht weiter zu leben!
Fordre dies nicht von mir, nicht Schmach noch feiges Entsagen!
Sterben muß ich mit dir, wie ich dir aufs weite Meer folgte.
Phokis und Argos würden mich Feigheit bitterlich zeihen.
Alle Welt, und böse ist sie, würde sprechen: Er habe,
Heimat suchend für sich, den Freund verraten und tückisch
Diesen ermordet, selbst nach dem Reich und dem Erbe getrachtet.
Bin ich doch schon dein Schwager, verlobt mit der Schwester Elektra,
Und ohne Mitgift gewann ich ihr Herz, der Holden, die reine.
Darum folg ich dir jetzt, und will mit dir sterben im Treuen!
Doch Orestes schwieg dem Entschluß, verweigerte Antwort,
Eifrig stritten sie noch, als Iphigenie kam wieder,
Hielt das beschriebene Blatt in der Hand, zu geben dem Boten.
Daß er treulich schwöre, den Brief den Ihren zu reichen,
Mußte Pylades sprechen, und schwor es; sie selbst aber dachte,
Daß, falls Unglück des Meeres den Brief doch je verschlänge,
Sie ihm die Botschaft auch mündlich kundtun müsse.
Melde,
Sprach sie, Orest, dem Sohn des großen Agamemnon:
Iphigenie lebt, die in Aulis dem Opfer entrissen.
Dies sei dir Kunde: Erlöse mich, Bruder, aus fremder Barbarei!
Argos sei wieder mein Heim, entführ mich vom Opferherde,
Wo ich Fremdlinge morde im Dienst der grausamen Göttin!
Tust du es nicht, Orest, so falle Fluch auf dein Leben,
Auf das Haus, das uns ward von Atreus Blut geweiht.
Hörend sprach da Orest, und seine Stimme durchdrang sie:
Was vernehme ich hier? Wo ist sie, die Lebende, sag mir!
Ist sie vom Tod auferstanden? Die Priesterin sprach mit Bedacht:
Hier vor dir steh ich, störe mich nicht! Höre das Wort noch.
Lieber Bruder! Vor meinem Tode hol mich von hinnen,
Rette mich aus der Barbaren Gewalt und der Schatten des Todes.
Sprachlos standen die Freunde, ergriffen von mächtigem Staunen,
Bis Pylades zuletzt das Blatt aus der Hand ihr genommen,
Dieses Orest zu reichen begann, doch sprach er erregt:
Höre, Freund, ich halte den Schwur, den ich eben geleistet.
Nimm, o Orest, das Schreiben, das Schwesterliebe entsendet!
Aber Orest warf es auf den Boden nieder und stürzte,
Tränen strömend, die Arme der Schwester entgegen voll Liebe.
Abwehrend wollte sie fliehen, konnte dem Glanz nicht entrinnen,
Bis die Erzählung des Hauses, die innerste Kunde der Sippe,
Ihm Glauben verlieh: Dies war Orest, der geliebte.
Im Tempelhofe geschah's, dass Iphigenie listig
Mit den Geschwistern beriet, verborgen vor Wachen und Dienern.
Rasch wurden darauf die gefangenen Fremdlinge wieder
Den Aufsehern befohlen, die sie bewachten im Innern.
Doch erschien nicht viel später der König, Thoas, im Kreise
Seines erlesenen Volks und verlangte die Priesterin aufzusuchen;
Denn der Verzug war ihm fremd, und er zürnte im Innern,
Dass nicht längst auf den Altären der Göttin die Leiber
Jener Fremdlinge brannten, die ihm das Gesetz überantwortet.
Als er vor dem Tempel erschien, trat Iphigenie heraus,
Die in den Armen das heilige Bild der Göttin getragen.
Tochter des mächtigen Agamemnon, was tust du?, so rief er,
Weshalb trägst du das Bild von der heiligen Stätte hinweg nun?
Grausames ist geschehen, o Herr, sprach darauf die Priesterin zitternd,
Unrein sind die Fremden, die Opfer nicht würdig der Göttin.
Denn als sie das heilige Bild mit flehenden Händen umfassten,
Wandte es sich von selbst und schloss die göttlichen Augen.
Wisse, ein Frevel lastet auf diesen entweihten Gestalten.
Schnell erzählte sie nun dem König die Wahrheit und doch nicht
Gänzlich offen, verschlang in Worte die kluge Betrügerin List.
Erbat von ihm, die Fremdlinge samt dem Bild zu entsühnen.
Damit er sicher vertraue, verlangte sie festere Fesseln,
Haupt verhüllt vor der Sonne Strahl, wie es den Frevlern gebühret,
Sowie Sklaven als Wache, die mit dem König gekommen.
Zur Stadt, sprach sie weiter, müsse ein Bote gesendet,
Dass das Volk sich zu halten habe, solange das heilige
Ritual noch währe, fern von der sündigen Luft.
Im Tempel jedoch solle Thoas verweilen und sorgsam
Räuchern die Hallen, dass keine Entweihung verbleibe.
Sobald die Fremden das heilige Tor verlassen, befahl sie,
Soll der König sein Haupt in Falten des Mantels verhüllen,
Dass nicht der Frevelblick ihn je berühre und träfe.
Und zürne nicht, sprach sie noch, wenn ich lange am Strande verweile,
Denn es ist eine schwere Schuld, die zu entsühnen ich trachte.
Thoas willigte ein, und verhüllt war sein Haupt, als die Fremden
Unter Geleit aus dem Tempel geführt wurden, mit ihnen
Iphigenie, die listige Jungfrau, den Weg zu dem Strande
Eilend nahm und verschwand aus dem Bereich des Tempels.
Thoas blieb zurück, befahl das Räuchern des Heiligtums
Und harrte der Rückkehr der Priesterin lange vergebens.
Doch nicht viel später erschien ein Bote mit Hast vor dem Tore,
Keuchend und außer Atem, und rief mit zorniger Stimme:
Herr, das Gräuel ist groß! Die Priesterin floh mit den Fremden,
Und das Bild der Göttin entführten sie klüglich gen Meer!
Nichts war Wahrheit an ihrem Werke, nur Täuschung und Trug!
Thoas vernahm mit Erstaunen die Kunde und rief aufgebracht:
Sag, wer trieb zu solchem Verrat die verfluchte Betrügerin?
Mit wem floh sie hinweg, die Frevlerin, aus meinem Reiche?
Es war ihr eigener Bruder, Orest, der mit ihr entfloh,
Sprach der Bote. Sie brach die Fesseln, löste die Bande,
Und vor unsern Augen bestieg das griechische Schiff sie.
Fünfzig Ruderer zogen die Fahrt dem offenen Meere
Zu, und ehe wir uns versahen, war alles verloren.
Länger zauderten wir nicht; vor uns lag offen die Täuschung,
und wir ergriffen das Weib, das noch am Ufer verweilte.
Laut verkündete Orest sein Geschlecht und kühn sein Beginnen,
wehrte mit Pylades sich für die Schwester, die wir
schleifend zu zwingen gedachten, uns zu folgen im Trotz.
Doch da weder wir noch die Fremdlinge Schwerter besaßen,
setzte ein harter und wilder Kampf mit Fäusten ein.
Dennoch trieben uns jene griechischen Jünglinge tapfer
zurück, während vom Heck des Schiffes ein Regen von Pfeilen
uns aus der Ferne traf, ein giftiges, scharfes Geschoss.
Gleichzeitig trieb eine mächtige Woge das Schiff an
Land, und wenig fehlte, es hätte zerschellt am Gestade.
Da nahm Orestes Iphigenie empor in die Arme,
die selbst das heilige Bild der Göttin Artemis trug.
Ins Wasser sprang er, erreicht’ mit Eile die Leiter des Schiffes,
legte die Schwester sodann samt dem heiligen Bilde aufs Deck.
Pylades folgte geschwind, und als das Schiff sie umfangen,
jubelte froh das Volk und ruderte hastig hinaus.
Sanft glitt es dahin durch die ruhige Bucht des Hafens,
doch auf offener See kam ein mächtiger Windstoß heran,
trieb es trotz aller Kraft zurück zum steinigen Ufer.
Flehentlich hob da die Tochter Agamemnons die Hände,
rief zur jungfräulichen Artemis, Tochter von Leto:
Göttliche Jungfrau, selbst hast du nach Griechenland gesehnt!
Rette mich, Priesterin dir, und vergib mir den Täuschungsbetrug,
den ich dem Herrscher des Landes, gezwungen, erweisen musste!
Hast du nicht selbst einen Bruder, den du liebst, o Göttliche?
Drum sei gnädig auch uns, die in Geschwisterliebe vereint!
All ihre Worte erhoben die Ruderer bald in Gesängen,
griffen die Paianhymne auf mit flehenden Stimmen.
Doch trotz allem trieb das Schiff immer wieder zurück.
Daher eilte ich, dir Kunde zu bringen vom Strand.
König Thoas jedoch, von des langen Berichtes Erzählung
schon ungeduldig, befahl seinen Leuten sofort:
Zäumet die Rosse, eilt zum Meeresgestade in Hast!
Fanget das griechische Schiff, das die Wellen ans Land hergeworfen,
und mit des Landes Göttin Hilfe bezwinget die Flüchtigen!
Stürzt sie lebendig vom Fels in die Tiefe des stürmischen Meeres,
oder durchbohret ihr Herz mit den Spießen der göttlichen Rache!
Schon zog er voran, an der Spitze des riesigen Heeres,
doch ein himmlisches Zeichen hielt die Menge zurück.
Pallas Athene erschien, von lichter Wolke umgeben,
sprach mit gewaltiger Stimme: Halt ein, Thoas, gebiete
deinem Heere, still zu verweilen! Mein Schutz liegt auf jenen.
Von Apollos Wort geführt, kam Orest hierher,
frei von den Erinnyen kehrt er zurück ins Vaterland,
führt die Schwester heim und das heilige Bild der Artemis,
die nach Athen verlangt, in ihren Tempel zu wohnen.
Poseidon selbst trägt das Schiff auf glatter Fläche des Meeres;
Iphigenie wird in Athen das Bildnis verehren,
dort als Priesterin sterben und ihre Ruhestätte finden.
Thoas, gönn ihnen das Los, und wandle zürnend nicht weiter!
König Thoas gehorchte, ein frommer Verehrer der Götter,
warf sich nieder und sprach: Was Götter gebieten, das folge.
Mögen die Fremdlinge zieh’n mit der Göttin, wie du es befiehlst.
Nie will ich streiten mit göttlichem Willen und Wort.
So geschah es. Iphigenie blieb in Athen, als Priesterin,
und das Bild der Artemis fand im Hain einen Tempel.
Orestes herrschte zu Mykene, mächtiger denn sein Vater,
nahm Hermione zur Frau und erweiterte Sparta und Argos.
Sein Leben war lang, doch der Fluch der Ahnen erwachte:
Eine Schlange stach ihn, dass er starb in hohem Alter.
DRITTER GESANG
Weit durch die Lüfte erklang das Getöse der kämpfenden Helden,
Stürmend im Wahn, wo die Götter beschlossen, das Schicksal zu flechten.
Trojas Mauern erbebten, die Täler erfüllten sich wieder
Mit dem Klagen der Menschen, dem Klang der zerberstenden Waffen.
Schon war der Zorn Achills wie ein Sturm durch die Feinde gefahren,
Rings lag das Schlachtfeld bedeckt mit Leibern gefallener Krieger.
Doch als die Schar der Amazonen erschien aus dem Osten,
Leuchtend im Panzer und glitzernd im Glanz ihrer stolzen Gebärden,
Da verhallte der Jubel des Sieges, ein Raunen durchlief sie:
Denn wie ein Blitz, der die Nacht in gleißende Flammen zerschneidet,
Stand Penthesileia, die Herrin, vor Griechenlands Mächten.
Mutig schwang sie den Speer, und das Volk ward neu zum Entzücken;
Sei es die Anmut, die Kraft oder glühendes Feuer des Lebens –
Alles verband sich in ihr, als Göttin und Kriegerin zugleich.
Selbst Achilles, der große, war kurz im Staunen gefangen,
Bis sein Herz sich erhob und die Schlacht ihn wieder ergriff.
Wie zwei Stürme einander entgegenrollen, die Meere
Peitschen in Wellen aus Zorn, so trafen sie, Heldin und Held, sich.
Speer um Speer flog dahin, und die Götter schauten in Ehrfurcht,
Keiner wagte zu flüstern, wenn diese Giganten sich maßen.
Doch ein Schicksal war's, das die Menschen und Helden zerbricht:
Penthesileia fiel. Die Lanze des Starken, sie traf sie.
Als sie stürzte, da schwand aus der Welt für einen Moment lang
Jegliche Farbe. Die Vögel erstummten, die Lüfte verwaisten.
Achilles stand dort, die Arme gelähmt von dem Blick, der ihn fesselte.
Nicht ein Feind war’s, den er sah, nicht eine besiegte Barbarenfürstin.
Nein, es war Leben, das ihm zur Strafe nun sterbend entglitt.
Achilles, erschüttert, sah nieder auf jene Gestalt nun,
Die in der Rüstung des Krieges so herrlich und furchtbar gewesen,
Jetzt aber dalag, vom Glanz des Lebens allmählich verlassend.
Blut war’s, das floß, wie ein Strom, aus der Wunde, die er geschlagen.
Doch in den Augen der Königin glomm noch das Leuchten des Feuers,
Das ihn gebannt hielt, obwohl es im Sterben schon schwächer nun flackerte.
Warum, sprach er, und seine Stimme erklang wie ein Donner,
Warum, oh Tochter des fernen Himmels, bist du gekommen?
Nicht für den Tod, nicht für den Hass ward solch Schönheit geboren.
Sage, wer sandte dich hierher, in die Hände des Krieges?
Aber sie sprach nicht. Nur schwach hob sich ihr blutender Atem,
Und ihr Antlitz, so stolz, wurde sanft, wie der Abend, der sinkt.
Achilles, der Kämpfer, der einst unerschütterlich gewesen,
Fühlte das Herz in der Brust wie in Ketten vor Schmerz sich verdrehen.
Nie hatte er Liebe gekannt in den Tagen des Krieges und Ruhmes,
Doch nun, im Angesicht jener, die sterbend vor ihm zerfiel,
Spürte er tief in sich selbst ein Gefühl, das ihm fremd war,
Schärfer als Lanzen, als Pfeile, als Klingen der größten Heroen.
Penthesileia, rief er, und der Name erklang wie ein Klagelied,
Das durch die Täler der Schlacht sich erhob zu den Ohren der Götter.
Bleibe, oh bleibe! Noch ist die Zeit nicht gekommen zu gehen.
War es ein Fluch, der mich trieb, dich zu treffen, oh Göttliche Herrin?
Hätte mein Speer doch verfehlt, hätte der Tod mich ereilt, nicht dich,
Schönste der Amazonen, ein Stern, der am Himmel nun fällt.
Und in der Ferne begannen die Amazonen zu weinen,
Denn sie sahen von fern, wie die Königin sank in den Armen
Dessen, der sie gefällt, und doch in den Augen nicht Feind war.
Mitten im Krieg brach der Friede, ein stummes Gebet in den Lüften,
Denn was Achilles nun fühlte, war größer als Zorn oder Triumph.
Zögernd hob er die Hand, doch wagte es nicht, sie zu berühren,
Fürchtend, dass selbst die Berührung sie weiter dem Tod übergäbe.
Doch mit einem letzten Atem, ein Flüstern, fast wie ein Säuseln,
Sprach sie zu ihm, ihre Lippen umspielt von einem Verzeihen:
Achilles, du hast mich besiegt, doch bist du nicht Sieger.
Wisse, dass Liebe und Tod stets Hand in Hand miteinander gehen.
Trag mich fort aus dem Schlachtfeld, wo Hass in den Boden getränkt ist,
Dass ich in Frieden ruhe, fern von der Wut dieser Welten.
Er erhob sie, behutsam, als hielte er eine zerbrechliche Flamme,
Und die Sonne, die unterging, umhüllte die beiden in Schweigen.
Langsam schritt er dahin, die Gefallene ruhend zu tragen,
Hin zu den Reihen der Frauen, die stumm ihm entgegen nun kamen.
Amazonen, die sonst nie das Knie vor einem Mann beugten,
Standen verhüllt in Trauer, den Blick zu Boden gesenkt.
Schwarz wie die Nacht war der Schleier des Todes, der sie umhüllte,
Doch in den Herzen der Frauen loderte glühender Zorn.
Eine von ihnen, die treueste Dienerin ihrer Gebieterin,
Schritt aus der Menge hervor mit funkelndem Hass in den Augen.
Antiope war es, die Kriegerin, stolz und von Göttern begünstigt,
Jetzt jedoch bebte die Wut in ihrer beherrschten Gestalt.
Achilles! rief sie, und ihre Stimme durchbrach das Schweigen.
Hast du nicht Tod und Zerstörung genug über uns hier gebracht?
Warum, oh Mörder, trägst du die Königin nun in den Armen,
Da du es warst, der ihr Licht mit dem Speer selbst verlöschen gemacht?
Achilles hielt inne. Sein Haupt sank tief vor der Klage,
Und er sprach, von Reue durchdrungen, mit bebender Stimme:
Nie war es mein Wunsch, solch ein göttliches Wesen zu töten.
Schicksal war’s, das uns führte, von grausamen Göttern gelenkt.
Doch als ich sie sah, war mein Herz mir entfremdet im Kampfe.
Penthesileia war mehr als ein Feind – sie war wie ein Stern,
Der in der Ferne entflammte und mich in den Bann seines Leuchtens
Zog, nur um dann mit mir hinab in die Nacht zu verglühen.
Da verstummte Antiope, doch die Tränen, sie flossen in Strömen,
Und die Amazonen, gerührt von den Worten des großen Achilleus,
Sahen ihn anders: Nicht nur den Helden, den Rächer der Griechen,
Sondern den Mann, der die Königin ehrte, die nun nicht mehr war.
Zögernd traten sie vor, um die Tote von ihm zu empfangen.
Doch er sprach weiter, sein Blick von einem unheimlichen Feuer:
Nein, nicht hier, nicht im Staub dieser Götter verfluchten Gefilde
Soll Penthesileia ruhn. Führt mich zum Tempel der Eos,
Dort, wo das Licht sie umfängt, die vom Glanz der Morgenröte stammt.
Staunend lauschten sie seinen Worten, doch wagte kein Wort zu entgegnen.
Amazonen, wie Schatten, zogen voran in die dämmernde Ferne,
Achilles folgte, die Tote getragen wie eine Gefährtin,
Die ihm geweiht durch ein Band, das nur der Tod nun noch kannte.
Als sie den heiligen Tempel erreichten, der still in den Hügeln
Lag, umgeben von goldenen Feldern, da sank er zu Boden.
Dort legte er Penthesileia, die Kriegerin, nieder im Marmor,
Rings um ihn standen die Frauen, in schweigendem Respekt.
Antiope sprach dann, mit zögernder Stimme und leiser Entschlossenheit:
Achilles, groß bist du, doch nie war’s uns Amazonen erlaubt,
Frieden mit Männern zu schließen, die uns das Leben genommen.
Doch für Penthesileia, die Königin, brechen wir Regeln.
Bleibe, bis ihre Totenfeier den Tag in die Nacht überführt.
So blieb Achilles bei ihnen, der Reue und Ehrfurcht durchflutet,
Und in den Nächten, die folgten, begann er die Amazonen
Besser zu kennen, ihr stolzes Gemüt und den Willen der Freiheit.
Manche von ihnen begannen, ihn heimlich zu achten,
Denn nicht allein durch das Schwert, sondern durch seine Worte der Ehre
Hatte er Herz und Verstand wie ein Feind und ein Freund überwunden.
Doch als die Flammen des Scheiterhaufens gen Himmel nun loderten,
Penthesileias Gestalt in die Lüfte der Ewigkeit trugen,
Da stand Achilles allein, vom Zwiespalt des Herzens gepeinigt.
War es der Hass, der ihn trieb, oder Liebe, die nie sich erfüllte?
Jenes Gefühl, das die Grenzen von Feindschaft und Sehnsucht zerriss,
Zog ihn zurück zu den Stunden, die ihm nun wie Träume erschienen.
Denn als er sie sah, zum ersten Mal auf dem Schlachtfeld,
War’s nicht nur die Wut, die in ihm wie ein Sturm sich erhob.
Tief in den Augen der Frau lag etwas, das selbst ihm, dem Starken,
Fremd war – Stolz, doch auch Trauer, ein Feuer, das nie ganz verlosch.
In ihren Worten, geschärft wie die Spitze des härtesten Speeres,
Spürte er gleichsam die Kälte des Krieges und Glut einer Seele.
Achilles, sprach sie damals, die Stimme ein Donner aus Stahl,
Sieh in mir keinen Feind, sondern den Spiegel deines Geschickes.
Denn was du bist, bin auch ich – geschaffen für Ruhm und Verderben.
Keiner von uns wird die Fesseln der Götter je lösen.
Doch wenn dein Speer mich trifft, wirst du mehr als mein Leben zerstören.
Töte mich, Held, und du tötest zugleich das, was du liebst.
Diese Worte, gedacht als Herausforderung, schürten den Zorn nur,
Doch in den Nächten darauf drangen sie tief in sein Innerstes ein.
Hatte sie Recht? War die Lust, sie zu überwinden im Kampfe,
Nicht nur der Schatten von etwas, das größer war, als er verstand?
Er erinnerte sich an die Schlachten, die flammenden Duelle der beiden:
Wie oft hatte sie mit ihm gerungen, in Stärke ihm ebenbürtig.
Wie oft war ihr Speer seinem Schild nahe genug, ihn zu brechen,
Doch stets hielt sie inne, als wollte sie mehr als den Sieg.
Und auch er, obwohl sein Zorn die Erde erbeben ließ,
Hielt sich zurück, als wäre da etwas, das größer als Tod war.
Penthesileia, die Königin, war ein Rätsel geblieben.
Hass war es, der ihn zu ihr zog, doch inmitten des Hasses
Lauerte Liebe – ein schreckliches Band, das sie miteinander verband.
Ihre Duelle waren kein Krieg, sondern Tänze von Macht und Verlangen,
Bis jener Tag kam, an dem die Götter ein Ende beschlossen.
Jetzt, im Glanz der Flammen, die ihren Leib von der Erde entrissen,
Spürte Achilles erneut dieses Band, das ihn mit ihr verband.
Sie war gegangen, doch ihre Worte lebten in ihm fort,
Wie eine Flamme, die brennt, ohne je zu vergehen.
Da erklang eine Stimme – doch war es ein Flüstern des Windes?
War es Penthesileia selbst, die aus den Schatten der Götter zu ihm sprach?
Achilles, raunte es leise, dein Hass ist ein Mantel der Liebe.
Nie wirst du mich vergessen, wie ich auch dich nie verließ.
Unsere Seelen sind eins, gebunden in ewiger Fehde und Sehnsucht.
Kein Olymp, keine Unterwelt, kann uns für immer trennen.
Achilles erstarrte, die Stimme verschwand, doch in seinem Herzen
Blieb ein Feuer zurück, das kein Wasser der Welt je löschen konnte.
Von diesem Tag an war ihm kein Sieg mehr süß wie zuvor,
Kein Ruhm, kein Lobgesang konnte den Schatten der Liebe verdrängen,
Die ihn verfluchte und heilte, die Penthesileia hieß.
Nach Jahren des Kampfes, des Ruhms und der qualvollen Reue,
Kam Achilles der Tag, an dem das Schicksal ihn selbst niederwarf.
Doch als sein Geist, vom Leben gelöst, hinab in die Tiefen
Stieg, wo der Styx schwarzfließend die Schatten der Toten umfing,
Sehnte er sich nicht nach Ruhe, nach Frieden im ewigen Schlaf.
Nein, sein Herz, von der Liebe gepeinigt, suchte nur eines:
Penthesileia, die Königin, die ihn zugleich hasste und liebte.
Durch die grauen Felder, die trüben Sümpfe der Unterwelt wandelnd,
Rief er nach ihr, doch das Echo hallte von nichts wider.
Helden, gefallene Krieger, umringten ihn still in der Dämmerung,
Doch Achilles sah nicht die Gestalten der Männer, die ihm einst vertraut.
Allein eine Seele suchte er hier, durch Flüsse des Todes:
Die, die sein Herz zerriss und zugleich in den Flammen entfachte.
Endlich, im Asphodelos-Hain, wo die Seelen schweigend verweilten,
Sah er sie stehen, wie einst in der Schlacht, nur jetzt ohne Waffen.
Ihr Antlitz war bleich, und doch strahlte die Glut ihrer Augen,
So wie er sie kannte, ein Feuer, das Zeit und Tod überwand.
Penthesileia! rief er, und seine Stimme zerriß die Stille.
Hier bin ich, gestürzt von den Göttern, gebrochen im Leben,
Doch immer dein Name war es, der brannte in meiner Brust.
Komm, sprich mit mir – sei es im Hass oder in Liebe, doch sprich!
Langsam wandte sie sich um, die Königin, stumm ihn betrachtend,
Und in den Tiefen der Unterwelt, wo kein Lichtstrahl je drang,
Ging ein Leuchten hervor, als ob die Sonne des Morgens
Kurz durch die Schatten der Nacht ihren Glanz auf sie warf.
Achilles, sprach sie mit einer Stimme, die hart wie Erz klang,
Du wagst es, mir zu folgen, in die Hallen der Toten zu dringen?
Hat dein Stolz, der mich schlug, selbst hier nicht genug von mir?
Oder ist es die Liebe, die dich treibt, so wie einst auf dem Felde?
Er trat vor, doch mit jedem Schritt schien der Raum sich zu weiten,
Wie ein Graben, der immer tiefer die beiden nun trennte.
Liebe? rief er, und sein Ton war von Qual und Verlangen erfüllt.
Wenn es Liebe ist, die aus Hass und Reue geboren,
Dann, ja, liebe ich dich, wie kein Mensch je geliebt hat.
Doch auch mein Hass, Penthesileia, brennt ewiglich weiter,
Denn du bist mein Gleiches, mein Spiegel, mein Untergang selbst!
Da lachte sie, doch ihr Lachen war traurig, wie Wind in Ruinen.
Achilles, sprach sie, dein Herz bleibt ein Rätsel, das nie sich erschließt.
Du liebst mich? Du hasst mich? Vielleicht sind wir beides zugleich,
So wie der Tag mit der Nacht sich vereint an der Dämmerung Grenze.
Doch wisse: Hier in der Unterwelt zählt weder Ruhm noch Verlangen.
Hier sind wir Schatten, Erinnerungen, nichts als vergangener Glanz.
Doch als sie das sagte, trat ein Glimmen in ihre Augen,
Und Achilles, der doch selbst den Tod nicht mehr fürchtete, spürte,
Wie das Band, das sie einst verband, auch jetzt nicht zerrissen.
Penthesileia, sprach er, keine Macht dieser Welt oder der andern
Kann uns trennen. Wenn Hass und Liebe dein Schicksal mit meinem verbanden,
Dann bleibe ich hier, bei dir, und sei es für immer im Dunkel.
Die Königin schwieg, doch ein Lächeln, so flüchtig wie Nebel,
Umspielte ihre Lippen, bevor sie sich langsam entfernte.
Achilles folgte, getrieben vom Bann ihrer Gegenwart,
Und in den Tiefen des Hades begann ein Tanz ohne Ende:
Liebe und Hass, im ewigen Kreislauf verbunden,
Achilles und Penthesileia, zwei Seelen im Schatten vereint.
Doch während Achilles und Penthesileia im Schatten verweilten,
Erschien ein Licht, das die düstere Tiefe des Hades durchdrang.
Nicht war es die bleiche Laterne des Herrn dieser Welten,
Noch das fahle Glimmen der Seelen, die hier ohne Ziel sich verloren.
Nein, ein Glanz, wie von goldenen Sternen geboren, durchbrach
Das Dunkel und ließ die Schatten des Todes erzittern.
Heraus aus den Tiefen des Äthers, wo Ewigkeit thront,
Stieg eine Göttin herab, gekrönt mit der Sichel des Mondes,
Ihre Gestalt umhüllt von dem Licht ewiger Weisheit und Macht.
Artemis war es, die Herrin der Jagd und der Frauen,
Die in der Stille erschien, das Szepter der Nacht in der Hand.
Ihre Schritte waren sanft, doch die Erde bebte vor Ehrfurcht,
Und selbst der Styx, der schweigende Fluss, schien stillzustehen.
Achilles wandte sich um, von dem göttlichen Licht überwältigt,
Doch Penthesileia erhob sich, als ob ein Ruf sie ergriffen.
Meine Tochter, sprach Artemis, die Stimme wie Wind durch die Wälder,
Penthesileia, dein Leid hat den Himmel und Erde bewegt.
Nicht war es bestimmt, dass dein Geist ewig hier unten verweile,
Wo die Schatten regieren, gebunden an Ketten der Klage.
Du bist ein Kind der Großen Göttin, der Mutter des Lebens,
Und zu ihr kehrst du zurück, in die Sphären des ewigen Lichts.
Penthesileia, die Königin, schwieg, doch in ihren Augen
Schimmerte ein Glanz, der wie Morgentau perlte im Schatten.
Bin ich würdig? sprach sie, und ihre Stimme war leise,
Bin ich würdig, zurückzukehren zu dem göttlichen Reich,
Nachdem ich im Hass, im Stolz und im Blut meinen Weg hierher fand?
Doch Artemis neigte ihr Haupt, und die Sichel des Mondes
Funkelte hell, wie ein Omen der Liebe und Gnade zugleich.
Nicht war es dein Stolz allein, sondern dein Herz voller Feuer,
Das den Göttern gefiel, ein Leben, das kämpfte und lebte.
Komm, Tochter der Erde, erhebe dich über den Tod.
Da lösten sich Ketten, die unsichtbar ihre Seele umschlangen,
Und Penthesileia erhob sich, von Strahlen des Himmels umfangen.
Doch bevor sie hinaufstieg, wandte sie sich noch zu Achilles,
Der stumm sie betrachtete, gefangen von Liebe und Schmerz.
Achilles, sprach sie, mein Feind, mein Geliebter, mein Schatten,
Nie wird die Erinnerung an dich aus meinem Sein je verblassen.
Doch du bleibst hier, ein Held, gefangen in deinem Geschick.
Lebe und kämpfe, bis selbst die Götter dein Schicksal entbinden.
Dann ergriff Artemis sie, und mit einem letzten Blick
Hin zu Achilles entschwand sie im Glanz der himmlischen Sphären.
Das Licht erlosch, und die Stille des Hades kehrte zurück,
Doch in Achilles’ Herzen brannte ein Licht, das nicht weichen wollte.
Und so verblieb er, ein Held, der die Toten begleitete,
Seine Liebe und seinen Hass im ewigen Schweigen bewahrend,
Während Penthesileia im Reich der Großen Göttin erwachte,
Von Sternen umgeben, ein Kind der Unendlichkeit selbst.
Als Penthesileia, entrückt aus den Schatten der Unterwelt,
Höher und höher schwebte im strahlenden Griff ihrer Herrin,
Öffneten sich die Himmel, ein Reich von leuchtender Pracht.
Dort, wo die Nacht ihren Mantel mit Sternen bestickt,
Wo die Sichel des Mondes in ewiger Klarheit erglänzt,
Lag das Gefilde der Göttin, ein Ort, der den Tod überwand.
Hier wehte kein Wind, kein Sturm durchbrach die Stille,
Nur der Atem des Ewigen hauchte die Welten mit Leben.
Goldene Wälder erstreckten sich, die Kronen der Bäume
Trugen kein Laub, sondern Blüten aus reinem Licht.
Silberne Flüsse durchzogen die Täler, ihr Wasser war flüchtig,
Glänzend wie Tau, der im ersten Licht des Tages verweilt.
Hirsche, schneeweiß, mit Geweihen aus funkelndem Kristall,
Wanderten frei durch die Flure, geführt von der Hand der Göttin.
Und in der Ferne erklangen die Stimmen der Jagdgesänge,
Frauen, die stolz und wild, in unendlicher Harmonie jagten.
Nicht war es Blut, das sie suchten, kein Begehren nach Beute,
Sondern das Spiel des Lebens, der Tanz der ewigen Freiheit.
In der Mitte des Reiches, umgeben von Sternen und Schatten,
Thronte ein Berg, dessen Gipfel die Unendlichkeit küsste.
Dort, in einem Tempel aus reinem Mondlicht geformt,
Regierte Artemis, die Jungfrau, die Herrin des Himmels.
Ihr Antlitz war mild, doch ihre Augen trugen die Stärke
All jener Frauen, die den Zwängen der Erde entflohen.
Penthesileia, von Ehrfurcht erfüllt, kniete vor ihr nieder,
Doch die Göttin erhob sie sanft mit einer Geste der Gnade.
Hier, sprach Artemis, ist der Ort, den die Seelen finden,
Die in ihrem Leben nach Freiheit und Stolz gestrebt.
Hier bist du mehr als ein Schatten, ein Name in sterblichen Liedern.
Hier bist du selbst, entfesselt von Schmerz und Begrenzung der Zeit.
Und so wandelte Penthesileia durch die himmlischen Gärten,
Neben Gefährtinnen, die wie sie von der Erde entrückt.
Die Amazonen, die einst in ihrem Dienst gefallen,
Waren hier, ihre Schwestern im Leben und nun in der Ewigkeit.
Lächelnd empfingen sie die Königin, die mit ihnen vereint
In den Hallen des Lichts ihren Platz für immer gefunden.
Doch manchmal, in den Nächten, wenn der Mond über die Welten
Seinen silbernen Glanz wie ein Schleier des Friedens legt,
Spürte Penthesileia den Hauch einer längst vergangenen Liebe,
Ein Schatten, der leise durch die himmlischen Wälder zog.
Achilles – sein Name war wie ein ferner Ruf in der Stille,
Doch nun war kein Schmerz mehr, nur ein sanftes Erinnern geblieben.
Denn hier, im Reich der Göttin, war selbst die tiefste Wunde
Verheilt, und nur das Licht der Freiheit blieb ewig zurück.
Und so lebte Penthesileia, die Kriegerin, Königin, Tochter,
In der Unendlichkeit des Himmels, ein Stern unter Sternen,
Geführt von Artemis, der Wächterin des Lebens und Lichts.
Als das Licht der Göttin verblasste und die Stille zurückkehrte,
Stand Achilles allein in den Schatten der trostlosen Tiefen.
Der Styx floss träge dahin, doch selbst sein dunkles Gewässer
Spiegelte noch den Glanz der Göttlichen wider, die kam und verschwand.
Achilles, der Unbezwingbare, der Stolz der Achaier,
Fühlte zum ersten Mal die Last seiner Taten wie Ketten,
Die seine Glieder umfingen und sein Herz in die Tiefe zogen.
Penthesileia! rief er, doch nur der Wind gab ihm Antwort.
Was habe ich getan? Warum trug mein Speer deine Seele
Fort von der Erde, wo du wie ein Stern in der Schlacht erstrahltest?
War es der Hass? War es der Fluch der Götter, der mich dazu trieb?
Oder war es mein Herz, das dich liebte, doch Liebe nicht fassen konnte?
Die Geister der Toten, die um ihn verweilten, verstummten,
Und in der Dunkelheit hallte allein seine Stimme zurück.
Achilles, der in der Schlacht nie gezögert, nie gezweifelt,
Spürte nun Zweifel, der wie ein Dolch durch sein Innerstes schnitt.
Wie oft hatte er in den Nächten nach jener Schlacht
Die Augen geschlossen und ihr Antlitz vor sich gesehen –
Nicht von Schmerz verzerrt, sondern wie damals, als sie stolz
Mit erhobenem Haupt auf dem Schlachtfeld ihm gegenüberstand.
Penthesileia, flüsterte er, die Hände zum Himmel erhoben,
Du warst nicht nur meine Gegnerin, nicht nur die Königin der Frauen.
Du warst das, was ich nie sein konnte: frei, stark, unbezwingbar.
Und doch nahm ich dir alles, entriss dir dein Leben, dein Licht.
Nun bist du fort, entrückt zu den Göttern, wo ich dich nie mehr erreichen kann.
Ich, der größte der Helden, bin nur ein Schatten von dem,
Was ich hätte sein können, wenn ich dich nicht verloren hätte.
In seinen Erinnerungen sah er den Moment des Kampfes,
Den Schlag, der ihr Leben nahm, und den Ausdruck in ihren Augen.
Kein Hass war darin, kein Schrecken, nur eine tiefe Erkenntnis,
Als hätte sie längst gewusst, dass dies ihr Schicksal sein würde.
Doch was ihn am meisten quälte, war der Funke, der dort verblieb:
Ein Glanz, der nicht starb, selbst als ihr Atem verwehte.
Tag um Tag wanderte Achilles durch die Unterwelt,
Doch nichts konnte ihn trösten, kein Lied der heroischen Taten.
Er sah die Krieger, die einst unter ihm gekämpft,
Doch selbst ihre Stimmen, die seinen Ruhm besangen,
Fanden kein Echo mehr in dem, was einst sein Stolz gewesen.
Was ist Ruhm, sprach er, wenn das Herz leer bleibt?
Was ist Sieg, wenn er auf dem Verlust des Höchsten gründet?
Seine Reue wuchs wie ein Baum, dessen Wurzeln die Seele umklammern,
Doch zugleich war da ein Verlangen, ein Licht in der Ferne.
Vielleicht, dachte er, würde eines Tages auch ihm
Erlösung zuteil, ein Funke der Gnade, der ihn zu ihr führte.
Doch bis dahin blieb ihm nur, die Schatten zu durchwandern,
Ein Held ohne Ziel, ein Kämpfer ohne Schlacht,
Seine Seele beladen mit Schuld, die kein Wasser des Styx je abwaschen konnte.
Und so blieb Achilles in der Dunkelheit,
Ein Geist, der die Ewigkeit durchmaß in seinem Schmerz,
Während oben, im Glanz der himmlischen Sphären,
Penthesileia lebte, frei von der Last der Erde.
Doch auch sie, manchmal, in der Stille des Mondlichts,
Hörte die leisen Rufe des Mannes, der sie liebte und verlor.
In den Schatten der Unterwelt, wo kein Stern je erstrahlte,
Schritt ein Wanderer, der selbst den Tod überlistet,
Odysseus, der Listenreiche, vom Schicksal gesandt,
Um den großen Achilles zu suchen, den einstigen Freund.
Weit hatte er gegangen, durch Nebel und Ströme von Schatten,
Geführt von dem Wunsch, den Helden von Kummer zu lösen.
Er fand ihn dort, wo die Fluten des Styx träge kreisten,
Allein und verloren, mit gesenktem Haupt, ohne Worte.
Die einst so stolze Gestalt, die den Feind in Scharen bezwang,
War nun ein Bild der Reue, ein Schatten seines früheren Seins.
Achilles, sprach Odysseus, die Stimme voll milder Geduld,
Warum zürnst du dir selbst? Warum quälst du dich ewig
Mit Ketten, die nur dein Herz geschmiedet, kein Gott und kein Feind?
Achilles hob den Blick, seine Augen voller Verzweiflung,
Und in ihnen sah Odysseus die Tiefe von Hass und von Schmerz.
Odysseus, sprach er, warum bist du hier, im Reich der Toten?
Nicht du, der so klug ist, dass selbst die Götter dir beugen,
Solltest verweilen in diesen Hallen des ewigen Schweigens.
Doch der Wanderer lächelte still, und seine Worte waren sanft:
Nicht bin ich hier, um zu bleiben, noch um dir zu grollen.
Ich bin gekommen, dich zu suchen, dich aus deinem Gram zu erheben.
Achilles lachte, doch sein Lachen klang bitter wie Asche.
Erheben? Wie soll ich mich erheben, der einst alle niederwarf?
Mein Leben war Ruhm, doch mein Herz habe ich dabei verloren.
Penthesileia – ihr Name brennt in mir wie ein Feuer,
Und kein Wasser des Styx, kein Wort kann es je löschen.
Odysseus schwieg für einen Moment, dann trat er näher,
Setzte sich nieder, als wäre er wieder ein Freund am Lager des Heeres.
Achilles, sprach er, wir sind alle gebunden an das Schicksal,
Helden wie Sterbliche, gleich vor den Launen der Götter.
Doch auch du, der Größte der Helden, bist nicht ohne Hoffnung.
Penthesileia lebt nun in den Hallen des Lichts, frei von der Erde,
Und selbst deine Reue, so schwer sie auch sei,
Ehrt sie mehr als jede Tat, die du im Leben vollbrachtest.
Was ist Liebe, wenn nicht die Erinnerung, die uns bindet?
Was ist Schuld, wenn nicht der Preis für die Kraft, die wir suchten?
Du kannst ihr nicht folgen, doch kannst du hier Frieden finden,
Nicht durch Vergessen, sondern durch das Halten der Wahrheit.
Sie hasste dich, ja, doch auch liebte sie dich, das weißt du.
Ihr Band war kein irdisches, sondern ein göttlicher Knoten.
Lass diesen Schmerz nicht vergeblich sein, sondern ein Zeichen,
Dass selbst die Helden der Erde von Liebe berührt werden können.
Doch Achilles schüttelte den Kopf, seine Augen waren wie Stein.
Odysseus, du mit Worten gewandt wie ein Sänger der Götter,
Wie kannst du mich trösten, wenn mein Herz wie ein Abgrund bleibt?
Penthesileia lebt, ja, doch nicht für mich, nicht für meine Liebe.
Ihr Licht ist fern, und ich bleibe gebunden an Schatten und Schuld.
Du bist weise, doch nicht weise genug, um mich zu erlösen.
Odysseus seufzte, doch sein Blick blieb fest wie der eines Lehrers.
Vielleicht kann ich dich nicht erlösen, Achilles, das ist wahr.
Doch ich sage dir dies: die Liebe, die dich jetzt zerfrisst,
Ist auch die Flamme, die du trägst, ein Zeichen der Menschlichkeit.
Erinnere dich ihrer, nicht in Gram, sondern in Ehre.
Lebendig bist du nicht mehr, doch in dir lebt der Funke,
Der selbst die Götter bewegt, und das ist kein geringer Trost.
Doch Achilles schwieg, in seine Einsamkeit zurückkehrend,
Und Odysseus erhob sich, den Kopf in stillem Bedauern geneigt.
Ich habe versucht, sprach er leise, mehr kann ich nicht geben.
Und so verließ er den Helden, allein mit seiner Reue,
Doch ein Hauch von Hoffnung blieb, wie ein fernes Echo des Lichts.
Dort, wo der Styx in finsteren Kreisen die Toten umschließt,
Stand Achilles, der größte der Helden, die Hände erhoben.
Sein Blick, einst wie Feuer, war dunkel wie die Nacht des Hades,
Und seine Stimme, die einst Heere bewegte, erhob sich im Fluch.
Fluch über den Krieg! rief er, und die Schatten erzitterten,
Fluch über den Wahn, der die Menschen zu Schwertern verführt!
Was hat der Krieg gebracht, außer Tod und zerbrochenen Herzen?
Was hat er mir hinterlassen, außer Schuld und Verzweiflung?
Ich, Achilles, der Stärkste, der niemals im Kampfe gezögert,
Bin nicht Sieger, sondern ein Diener des grausamen Mars.
Was nützen mir Ruhm und die Lieder, die Sterbliche singen,
Wenn mein Herz wie ein Feld ist, verbrannt von der Glut meiner Taten?
Haben die Götter mich deshalb gesegnet mit Stärke und Mut,
Dass ich nur Blut vergieße, den Hass der Völker vermehre?
Seht, wie die Helden gefallen sind, einer nach dem andern,
Nicht für die Ehre, nicht für die Wahrheit, sondern für Stolz.
Hector, der Beste von Troja, ein Mann voller Güte und Treue,
Lag tot zu meinen Füßen, zerschmettert durch meinen Zorn.
War es Gerechtigkeit? Nein, es war nur ein Spiel der Erhabenen,
Die uns wie Spielfiguren auf ihren Brettern bewegen.
Und Penthesileia, die Königin, die ich hätte lieben können,
War sie ein Feind, oder war sie mein Spiegel, mein Herz?
Ich tötete sie, nicht im Hass, sondern in blindem Gehorsam,
Im Rausch der Schlacht, der keinen Raum ließ für Vernunft.
Nun bleibt mir nichts, als die ewige Stille des Todes,
Und der Krieg, der mich erschuf, hat auch meine Seele zerstört.
Oh, ihr Menschen, die ihr noch lebt und den Schwertern vertraut,
Hört meinen Fluch, der euch warnt vor der Täuschung des Krieges!
Er ist kein Pfad zur Größe, kein Ruhm, der ewig besteht.
Er ist ein Raubtier, das die Herzen zerfrisst und die Welten verwüstet.
Er nimmt euch die Liebe, das Leben, die Hoffnung auf Frieden,
Und lässt nur ein Echo zurück, ein Lied, das niemals verstummt:
Das Lied des Leids, das Lied der vergehenden Seelen.
Hätte ich doch die Waffen gemieden, die Götter verflucht,
Mich zurückgezogen, weit fort von den Fesseln des Ruhms!
Doch nun ist es zu spät, und mein Fluch bleibt mein Erbe.
Nicht will ich in Liedern besungen werden, nicht in den Festen,
Wo die Dichter die Siege der Helden mit goldener Stimme erheben.
Löscht meinen Namen, verbrennt die Erinnerung an Achilles!
Denn der Krieg, den ich führte, war kein Triumph, sondern ein Fluch.
Möge die Welt einst lernen, die Waffen für immer zu brechen,
Und Frieden zu finden, wo jetzt nur Asche verweilt.
Seine Stimme verklang, doch die Worte hallten durch die Tiefen,
Wie Donner, der von den Bergen widerhallt in die Ferne.
Selbst die Geister der Toten hielten inne, erschüttert von seinem Zorn,
Und der Styx, der stille Fluss, schien für einen Moment zu ruhen.
Achilles stand, die Hände gesenkt, sein Haupt voller Reue,
Und die Schatten der Unterwelt schlossen ihn wieder ein.
Doch in der Finsternis klang noch lange der Klang seiner Stimme,
Ein Fluch gegen den Krieg, der niemals in Vergessenheit sinkt.
VIERTER GESANG
Einst in den Hallen des Himmels ward ein Beschluss gefasst,
Denn es gereichte zum Frieden, dass Peleus, der Sterbliche, endlich
Sich die Göttin der Wogen, die silberglänzende Thetis,
Heiraten sollte. So woben die Götter den Schicksalsfaden,
Da ein Sohn prophezeit, unermesslich stärker als Vater,
Zeugung verheißend, die Göttergestirne zu überragen.
Zeus, der Herrscher des Blitzes, ersah dies weise und sprach:
Besser sei es, die Göttin dem sterblichen Peleus zu geben,
Als dass Nachkommen wachsen, die Götter selbst zu bezwingen!
So ward der Wille beschlossen, und Hermes eilte sodann,
Um die Botschaft zu tragen, die Hochzeit festlich zu rufen.
An des Olympos Hängen, in prunkvollem Glanze der Hallen,
Wurde das Fest bereitet, die Nymphen und Götter erschienen.
Tief in Thessaliens Wäldern, am Fuße des Pelion-Berges,
Stieg der Gesang in die Lüfte, und Flötenklänge erklangen.
Peleus stand in der Mitte, in schimmerndem Gold geschmücket,
Während Thetis, die schöne, im Glanz des Mondlichtes leuchtend,
Sanft ihm zur Seite schritt, die Götter ehrend im Reigen.
Doch wo die Freude erblüht, lauert das finstere Schicksal,
Denn ungebeten blieb eine: Eris, die Göttin des Zwistes.
In ihrer Faust ein Apfel, von goldnem Schimmer umflossen,
Trug sie herbei, und in listiger Bosheit warf sie ihn nieder,
Mit dem Worte versehen: Für die Schönste sei dieser Apfel!
Hera, die mächtige Herrscherin, blickte mit Hochmut,
Aphrodite, die strahlend von Liebe umhüllt, war entzündet,
Und auch Pallas Athene, die kluge, verlangte nach Ruhm.
So begann jener Streit, der die Welt in Kriege gestürzet,
Denn Paris, des Priamos Sohn, ward Schiedsrichter berufen.
Doch für den Augenblick erglänzte die Feier im Himmel,
Frohsinn herrschte, und Peleus mit Thetis reichten einander
Die Hand, die Liebe versprach, die Götter preisend in Eintracht.
Dies war der Anfang, doch Dunkelheit lag in der Ferne,
Denn aus ihrer Verbindung erwuchs Achilles, der Kämpfer,
Schicksalsbote des Kriegs und Untergangs für Troja.
So ward die Hochzeit gefeiert in herrlicher, strahlender Pracht,
Doch der Apfel des Zwistes säte das Leid der Völker.
Frieden und Krieg, Hand in Hand, so lenken die Götter die Fäden,
Und in der Freude versteckt oft lauert die drohende Bürde.
Horch, ich erzähle vom Streit und dem Ursprung des bitteren Zwistes,
Wie Eris, die Göttin des Streits, einst Groll in die Herzen gepflanzt hat.
Einst auf dem Festmahl, bereitet für Götter hoch droben im Olymp,
Huldigten Helden und Himmlische gleichermaßen dem Zeus dort.
Prachtvoll glänzten die Hallen, erfüllt von ambrosischem Dufte,
Reiche Becher mit Nektar und köstliche Speisen der Erde.
Doch die Göttin des Streits, von keinem geladen zum Feste,
Wandte den Blick voll Groll auf die frohe Versammlung des Himmels.
Bin ich nicht ebenso mächtig wie jene, die prunkvoll hier schmausen?
Soll ich, die Zwietracht regiert, nicht auch einen Platz hier verdienen?
Also fasste sie heimlich den Plan, die göttliche Runde
Durch einen Funken des Hasses in loderndes Feuer zu wandeln.
In ihrer Hand ein Apfel, von goldener Schale umschlossen,
Glänzend wie Sonnenlicht, doch erfüllt von arglistigem Zwang.
Auf ihn schrieb sie die Worte mit kecker, verhöhnender Schrift:
Dieser gehört der Schönsten – und warf ihn dann mitten ins Bankett.
Ach, wie blitzte der Apfel, ein leuchtendes Zeichen des Streites!
Hebe erstarrte, dann griffen drei Göttinnen gierig zum Lichte.
Hera, die Königin groß, erhob ihre mächtigen Hände,
Athene, die Tochter des Zeus, mit Weisheit in blickenden Augen,
Und Aphrodite, die Göttin der Liebe, die Herzen entflammt.
Alle drei nun erhoben zugleich Anspruch auf die Trophäe:
Mir gebührt dieser Apfel, denn ich bin die Schönste der Schönen!
Zeus, der die Szene erblickte, ließ schweigend die Brauen sich kräuseln,
Denn er wusste, der Zwist könnte gar den Olymp bald entzweien.
Weise befahl er dem Boten des Himmels, Hermes, sogleich,
Paris, den Hirten von Troja, zum Richter des Streits zu berufen.
So begann jener Weg, der das Schicksal der Stadt bald besiegeln,
Troja in Flammen versenken und Helden in Kämpfen verherrlichen sollte.
Soll ich weiter erzählen von Flammen und blutigem Schicksal,
Von der Last eines Apfels, der Zwietracht durch Welten gesät hat?
Oder den Sänger der Zukunft beschwören, die Verse zu fügen,
Die einst von Trojas Fall und den Leiden des Aeneas künden?
Tief in der Schlucht, wo ragende Felsen die Wälder umsäumen,
saß er, der Sohn des Königs, allein auf dem moosigen Steine.
Leise verwehte der Wind die Klagen des leidenden Mannes,
während die Schatten der Bäume sein Antlitz verhüllten mit Dunkel.
Oenone!, rief er und schlug die Hände verzweifelt zusammen,
Einst warst du mein, die Liebe dein strahlender Mantel der Gnade,
doch ich verließ dich, verblendet vom Glanz der schimmernden Helena.
Falsch war mein Herz, das glaubte, im Gold den Himmel zu finden!
Hätt’ ich die Hände gelassen im Schoß des einfachen Lebens,
hätt’ ich mit dir, Oenone, das Glück des Tages geerntet,
keines Götterrichters Zorn, kein Schicksal hätte uns gehetzt,
doch ich, Tor, zog hinaus, die fremden Geschenke zu hüten!
Nun, was bleibt mir? Ein König, verflucht von der Last seiner Schuld,
Heimat verzehrt von den Flammen des Kriegs, den ich selber entfesselt.
Helena? – Ach! Sie glänzt wie ein Stern, doch brennt wie ein Feuer.
Keine Umarmung tilgt das Gedenken an dich, meine Erste.
Hätt’ ich doch Liebe verstanden, wie treu du mir warst in den Tagen,
hätt’ ich die Götter verflucht und dich zur Göttin erkoren!
Ach, Oenone, ich klage, doch leblos hallt meine Stimme.
Wälder und Felsen allein sind Zeugen des kranken Bedauerns.
So sprach Alexandros, den Blick auf den Grund der Schlucht gerichtet.
Tränen des Kummers, wie Perlen, rollten hinab zu den Steinen.
Doch die Götter blieben fern, kein Trost kam herab aus den Wolken,
einsam blieb er und trug die Bürde der Liebe verloren.
Heil dir, Mutter des Lebens, du hohe Gebärerin aller,
Thronend im Glanz des Ida, der schattigen Gipfel des Berges!
Rauschende Wälder umhüllen dein Heiligtum, ehrwürd'ge Stätten,
Wo einst Riten erklangen, der Zimbeln und Flöten Geheul,
Wo die Mänaden tobten, von heil'ger Ekstase durchströmet,
Opfernd zu deinen Ehren, die du das Leben gewährst.
Mächtig und mild bist du, Quelle von Erde und Himmel zugleich,
Fruchtbare Schöpferin alles, was blüht und gedeihet auf Erden,
Dir sind die Felder geweiht, die Äcker mit goldenem Segen,
Dir auch die Herden, die grasen auf grünen, gesegneten Weiden.
Selbst das Wasser im Quell, das flüsternd die Felsen hinabfließt,
Rührt von dir, der Lebenskraft, Mutter, der alle sich beugen.
Selbst Zeus, der Donnerer, neigt sich in Ehrfurcht vor deinem Gebot,
Weil du die Urmacht bist, vor der selbst Titanen erblaßten,
Als du die Flamme des Lebens entfacht’st in den Tiefen der Nacht.
Kronos' Ringen und Chaos' Macht hattest du längst überwunden,
Brachte dein Schoß doch die Ordnung, die Himmelsgesetze gebar.
Hörst du, wie Hymnen erschallen von Menschen und Göttern zugleich?
Wie die Myriaden von Sternen in ihrer Bahn dir sich neigen?
Selbst die wilde Natur zähmet sich, Mutter, vor deinem Gesicht,
Und die erhabenen Gipfel des Ida ertönen von Danklied.
Sei uns gnädig, o Mutter, in Sturm wie in sonniger Stille,
Führe die Menschen mit Weisheit, die du mit Güte durchdringest!
Denn du bist Ursprung und Ziel, das Ewige, Huldvolle Wesen,
Magna Mater vom Ida, dich preisen die Zeiten im Chor.
Gewaltig schritt aus dem Himmel herab die göttliche Hera,
strahlend von Hoheit und Macht, die Königin aller Unsterblichen.
Neben ihr Athene, die kluge, mit Augen wie blendendes Meeresgrün,
geboren aus Zeus' allmächtigem Geist, voll Weisheit und Stärke.
Zuletzt kam Aphrodite, die Lieblichste, Göttin der Liebe,
schön wie die Morgenröte, die Blüten des Frühlings entfachend.
So standen sie nun vor Paris, dem Hirten der Berge,
schön, doch in Zweifel befangen, vom Schicksal des Urteils beschwert.
Ein goldener Apfel, mit Zank und Zwietracht beladen,
lag in des Jünglings Händen, vom Streit der Göttinnen fordernd.
Für die Schönste!, so stand es geschrieben, doch wer sollte sie küren?
Die drei Unsterblichen schienen in blendendem Glanz ohnegleichen.
Hera, die Königin, sprach zuerst mit majestätischem Ernst:
Höre, o Paris, und wäge dein Urteil mit klarem Verstande.
Wenn du mich wählst, o Sterblicher, wirst du der Mächtigste sein,
reich an Ländern und Völkern, gekrönt zum König der Erde.
Kein Reich wird dir trotzen, kein Fürst dir den Gehorsam verweigern.
Die Welt liegt dir zu Füßen, wenn du Hera die Schönste erkennst.
Darauf trat Athene hervor, mit funkelnden Augen:
Paris, erwäge auch mich, die Göttin des Kampfes und Wissens.
Wählst du mich, so erlangst du unendliche Weisheit und Klugheit,
Künste der Strategie, den Sieg in den heftigsten Schlachten.
Dein Name wird ewig gerühmt, in Liedern der Helden gepriesen,
wenn Athene die Krone der Schönsten von dir hier empfängt.
Zuletzt Aphrodite, die lächelnde Göttin der Liebe:
Paris, bedenke, die Schönheit des Lebens liegt nicht in der Macht,
noch in den Künsten allein. Doch wählst du mich, wirst du erlangen
die Liebe der Schönsten der Frauen, der holden Helena,
deren Glanz die Sterne verdunkelt, die Herzen der Männer entzündet.
Ich schenke dir Liebe, das größte der Güter, das ewige Glück.
So sprachen die Göttinnen, jede ein himmlisches Versprechen.
Paris, der Hirte, von Zweifel erfasst, hielt den Apfel.
Welches Versprechen wiegt mehr, in den Händen des sterblichen Jünglings?
Ein jeder, der träumend in tiefster Sehnsucht verweilte,
Schaute das Bild, das uns heute die Götter verkünden im Glanze:
Aphrodite, die Göttin, die Schönheit aus Meeresschaum geboren,
Steht in dem Saal der Ewigkeiten, umhüllt von Geheimnis.
Ihre Gestalt, ein Gleichnis der Sterne, der Mondnacht und Blüten,
Funkelt im Licht, das von göttlicher Glut aus Äonen her leuchtet.
Kleid noch trägt sie, von seidigen Schleiern umwoben die Formen,
Doch schon neigt sich die Zeit, da die Hüllen vom Leib ihr fallen.
Langsam, in wiegender Anmut, als tanzte sie selbst auf den Wellen,
Löst sie das erste Gewand, und der Saum gleitet leise hinunter.
Schulter und Hals, wie vom Licht des Olymps selbst gezeichnet,
Strahlen hervor, wie Marmor, der sanft von der Sonne geküsst wird.
Allein schweigt die Welt. Selbst die Götter, die sonst in den Höhen
Rauschend im Streit ihre Donner und Blitze gen Erde entsenden,
Halten den Atem an. Ihre Augen verweilen gefangen,
Schauen die Göttin, die ewig in Schönheit dem Chaos entstieg.
Weiter, ein Lächeln der Lippen, das süß wie der Honig der Bienen
Herz und Verstand jedes Sterblichen leicht in den Bann zieht,
Hüllt sie sich aus in Vollendung, entkleidet den Leib, der die Wonne
Seliger Ewigkeiten als Kunstwerk der Liebe gebiert.
Klar wie ein Quell aus den Bergen, der funkelnd ins Tal hinabfließt,
Zeigt sich ihr Leib, und die Schleier, wie Träume, verwehn in den Äther.
Zarter die Rundung der Hüften, die Linien des Rückens, des Bauches,
Als je ein Mensch in den Wünschen des Schlafs sich zu denken gewagt hat.
Schließlich steht sie, enthüllt in der Glorie göttlicher Schönheit,
Aphrodite, die Herrin des Lebens, des Sehnens, der Liebe.
Und die Welt, die dies schaut, ist gebannt von dem Tanz ihres Wesens,
Fühlt, wie die Grenzen des Irdischen leise im Schönen zerfließen.
Wer nun sah dies Bild und den Namen der Göttin gesprochen,
Der bleibt gefangen, ein Diener der Schönheit, die ewig ihn bindet.
Denn wer die Hülle zerreißt und die Wahrheit dahinter erblicket,
Wird nicht mehr fliehen dem Glanz, der im Herzen der Liebe sich regt.
Weit über das blaue Meer, in den Hallen des Reichtums,
Hielt einst Menelaos, der König, Helena, strahlend,
Schöner als Morgenrot, das den Himmel mit Glut überflammt,
Reicher an Anmut als Frühlingshauch in Olivenhainen.
Hellas‘ Frauen erhoben sie hoch in Liedern der Ehre,
Ihre Schönheit ein Siegel des göttlichen Segens der Erde.
Doch im Olymp, wo die Götter in goldenen Sälen beraten,
Schwellte die Zwietracht, die unter Sterblichen brannte.
Eris, die Göttin des Streits, mit goldenem Apfel bewaffnet,
Warf ihn ins Mahl und forderte: Die Schönste möge ihn haben!
Hera, Athena, und Aphrodite, die Göttin der Liebe,
Stritten erbittert, ein Urteil verlangend von Zeus, dem Gebieter.
Doch Zeus wandte das Auge und sprach: Paris, der Sterbliche,
Möge entscheiden, wer unter euch die Krone der Schönheit verdient!
So ward Paris, der Hirt und Prinz von Troja, gerufen,
Auf den Ida, dem heiligen Berg, zu richten das Urteil.
Eine nach der anderen trat vor ihn, die Göttergestalten:
Hera versprach ihm die Herrschaft über gewaltige Lande,
Athena bot ihm den Sieg in den Kämpfen der Welt,
Doch Aphrodite, die kluge Verführerin, sprach mit List:
Hör‘ mein Wort, o Paris, und wähle mit Weisheit und Herz!
Ich schenke dir, was kein König und keiner der Götter dir bieten:
Helena, schön wie die Sterne, wird deine Geliebte und Braut.
Da vernahm er die Worte, erfüllt von honigsüßer Verlockung,
Und ergriff den Apfel, der Aphrodite geweiht war.
Ihre Verheißung, durch göttliche Macht beschworen, erfüllte
Sich in den Tagen, die kamen: Helena wurde geraubt,
Von Trojas Schiffen getragen, hinüber zum strömenden Hellespont,
Wo Liebe und Unheil sich mischten in schicksalsschwerer Verbindung.
So begann jener Krieg, der Griechen und Troer entzündete,
Helden zu Ruhm führte und Städte zu Staub niederwarf.
Doch die Verheißung Helenas, die schönste Frau Griechenlands,
Lebt in den Liedern, erzählt durch die Zeiten in epischem Glanz.
Gewaltig leuchtete einst der Glanz von der Stirne der Schönen,
Helena, Tochter des Zeus, die in Sparta herrschte mit Anmut.
Goldene Locken umspielten das Antlitz, strahlend wie Morgen,
Zart wie ein Sonnenstrahl, der die Welt in Flammen erwecket.
Sternenhell glänzten die Augen, ein Abgrund von Wonnen und Sehnsucht,
Tief wie der nächtliche Himmel, ein Rätsel, das niemand ergründet.
Lippen, so purpurrot wie die Blüten am buschigen Rosenstrauch,
Hauchten den süßesten Duft, ein Versprechen von Liebe und Kummer.
Schlank war die Gestalt, wie die Säule, die der Tempel der Götter umschließet,
Anmut durchfloss ihr Schreiten, wie Bäche die Täler durchwandern.
Kleid aus schimmerndem Purpur, bestickt mit goldenen Sternen,
Hüllte den Leib wie ein Schleier, verborgen doch rief es Verlangen.
Helena, Preis aller Künste, des Liedes, der Bilder und Dichtung,
War wie ein himmlischer Traum, dem kein Sterblicher je konnte entsagen.
Hörner erklangen im Tal, und die Könige kamen in Scharen,
Werben um Gunst und um Blick, wie um einen göttlichen Schatz.
Mächtig erhob sich der Name, und Sparta ward Zentrum der Liebe,
Doch auch der Zwietracht und Klage, denn Helena schuf sich Gefährten,
Nicht aus Berechnung, vielmehr durch den Glanz, den die Götter verliehen.
So ward sie Flamme und Schicksal, ein Stern, der die Welt mit sich riss.
Hoch am Olymp, in den Wolken umhüllt von der göttlichen Glorie,
Sann Zeus mächtig und stolz auf der goldenen Thronbank des Himmels.
Doch die Gedanken, sie schweiften hinab zu den Reichen der Sterblichen,
Wo die Schönheit der Frauen ein immerwährender Reiz ihm.
Leda, die Fürstin von Sparta, war ihm zur Quelle des Begehrens,
Zart war ihr Leib, wie der Mond im stillen Glanz der Nachtzeit.
Mächtig ersann Zeus List, denn die Wege zum Herzen sind klüger,
Nicht mit Gewalt, nein, mit Kunst und mit Wandel der eigenen Gestalt.
So verwandelte Zeus sich herab in die Federn des Schwanes,
Sanft, mit schimmerndem Weiß, von den Flügeln des Himmels durchleuchtet.
Schwebend, so flog er hinab, zum ruhigen Fluss des Eurotas,
Wo die strahlende Leda im Glanz des Wassers sich badete.
Zärtlich kam er ihr nah, wie ein Traumbild, von Schönheit umhüllt,
Schien doch der Schwan ein Geschöpf von göttlicher, reiner Natur.
Ahnungslos nahm sie den Vogel in liebkosender Geste entgegen,
Doch war der Schwan nicht von dieser Welt – es war Zeus, der Verführer.
So geschah’s, dass die Schöne mit göttlicher Saat ward erfüllt,
Heimlich, verborgen im Glanz eines Vogels, geschah das Geschehen.
Bald darauf, in der Stille der Nacht, mit dem Raunen der Winde,
Ward ein Ei aus dem Schoß der Leda geboren, ein Wunder.
Riesig und schimmernd, von einer geheimnisvollen Aura,
Lag es da, ein Gefäß für die Frucht der Verbindung des Göttlichen.
Nicht nur eins, sondern zwei, aus dem ersten entsprang die Helena,
Schönste der Frauen, ein Preis für die Helden, die Welt zu entflammen.
Kastor und Pollux, die Zwillinge, licht und von göttlichem Wesen,
Wuchsen aus anderem Ei, als Wächter des Himmels, der Seefahrt.
So verbanden sich Sterbliche, Götter und Schicksal im Kreise,
Zeus, der Verführer, die Schöne, das Ei und die Kinder der Nachtzeit.
Helena, Grund vieler Kriege, ein Funken im Feuer der Welt,
Kastor und Pollux, als Sterne zu ewigem Glanz nun erhoben.
Alles entsprang jener List des gewaltigen Göttervaters,
Der als Schwan sich verbarg, doch die Welt aus den Federn veränderte.
Dämmerung sank, und der Fluss lag still in silbernem Schweigen,
Winde umflüsterten sacht die rauschenden Weiden am Ufer.
Leda, von Schönheit umstrahlt, ließ glitzernde Tropfen hernieder,
Wie von Perlen durchwebt war das Gold ihres leuchtenden Haares.
Sanft neigte sie sich hinab, ließ Hände das Wasser umspielen,
Kühl war der Strom, doch die Nacht trug glühende Wärme der Lüfte.
Plötzlich ein Flügelschlag, wie ein Laut aus dem Himmel geboren,
Brauste heran, und die Luft ward erfüllt von geheimnisvollem Raunen.
Schwanenweiß, wie die Wolken, die hoch überm Götterthron schweben,
Glitt er herab, und sein Blick war ein Strahl, der das Herz ihr durchbohrte.
Flügel umflatterten sanft den Raum, den die Jungfrau umgab,
Zögernd, wie ein Gedicht, das sich langsam entfaltet, in Schönheit.
Nahte er still, doch sein Wesen sprach Bände von Macht und Verlangen,
Zart war die Geste, doch innerlich loderte göttliches Feuer.
Leda erhob sich, gebannt von der Anmut des himmlischen Vogels,
Wie von unsichtbarer Hand wurde der Augenblick ewig.
Seine Schwingen umfingen den Leib, der sich reglos ergab,
Federn so weich, dass die Haut wie von Wogen des Traums ward liebkost.
Hauchender Schnabel, der zärtlich den Nacken der Schönheit berührten,
Wogen von Glut, die durch Brust und Glieder der Jungfrau entflammten.
Zeus, in Gestalt eines Schwans, ließ Göttliches fließen in Sterbliches,
Fleisch wurde Geist, und das Streben des Himmels verwandelte alles.
Klagend, doch süß, war der Laut, den die Jungfrau dem Augenblick schenkte,
Echo der Nacht, als das Göttliche eins mit der Erde geworden.
So geschah es, verborgen in Schatten und Glanz jener Stunde,
Dass die Welt neues Leben empfing aus dem Wirken des Schwanes.
Leda, die bebend verweilte, ein Hauch zwischen Lust und Erstaunen,
Spürte das Schicksal erwachen, das schlummernd in ihr sich erhob.
Die Dioskuren, das Zwillingspaar, so mutig und herrlich,
Kastor, der Rossbändiger, und Polydeukes, der Starke,
zogen einst aus, von göttlicher Herkunft gesegnet, zum Streite,
stets in der Eintracht vereint, wie Sonne und Mond in den Himmeln.
Zeus, der Allvater, der Blitze Herr, erhob ihre Mutter,
Leda, die Schöne, zur Schicksalswiege der Helden.
Einem Ei entsprungen, erzählt uns die Sage der Alten,
wurden sie groß in Sparta, das prangte in strahlendem Glanz.
Kastor, der Meister des Rosses, geschwind wie der Wind auf den Weiden,
lenkte die Wagen so kunstvoll, dass alle mit Staunen es sahen.
Polydeukes, der Starke, in Fäusten ein Donner des Kampfes,
schlug mit gerechter Gewalt, wenn die Feinde die Ordnung bedrohten.
Doch, o Kummer, das Leben ist voller der Pfade des Leides!
Eines Tages im Streit mit Idas und Lynkeus, den Frevlern,
fiel Kastor, von Wunden gezeichnet, hinab in das Dunkel.
Ach, da erhob sich Polydeukes, das Herz voller Zornes,
traf den Lynkeus zuerst und stürzte sodann auch den Idas,
dennoch blieb ihm der Bruder verloren, vom Tode gegriffen.
Rief zu Zeus er empor, zu dem Vater, der hoch über Wolken,
flehte um Gnade: O Herr, nimm nicht meinen Gefährten!
Teile das Leben uns gleich, damit ich nicht einsam verbleibe!
Zeus, von der Treue gerührt, gewährte den Brüdern die Gnade:
Einen Tag in den Lüften, den anderen tief in der Unterwelt
dienen die Dioskuren nun ewig als Wächter der Menschen.
Schiffe am Sturm zu bewahren, bei Nächten die Sterne zu leiten,
stehen sie beiden vereint, von Göttergnade umschlungen.
Rühmend erzählt uns das Lied von der Treue der Zwillingsgefährten,
ewig bewahrt in den Himmeln, als Sternbild am nächtlichen Dom.
Rings um das Lager der Amazonen erhebt sich die Erde,
Staub, aufgewirbelt von Hufen der Pferde, die schnaubend und zornig
Traben im Sturm, wo der Held sich mit stählernen Händen den Weg bahnt.
Kampfesglut lodert in seinen Augen; ein Sturm ist sein Atem.
Helena, schön wie die Morgenröte, gefesselt im Lager,
Harret im Bangen, von Ketten umschlungen, der finsteren Stunde.
Doch in der Ferne erklingt das Rauschen der mächtigen Waffen,
Hoffnung flammt auf in ihrem Herzen, das fast schon gebrochen.
Theseus, tapferer Sohn der Götter, den Mut unermüdlich,
Dringt durch die Reihen der Wächter, zerschmettert mit donnerndem Schwerte
Schilde und Speere, die splitternd fallen wie dürres Geäst.
Furcht verbreitet sein Blick; kein Feind wagt länger zu stehen.
Endlich erreicht er das Zelt, wo die Jungfrau gefangen gehalten,
Reißt die Stricke entzwei und spricht mit donnernder Stimme:
Helena, sei nun frei, denn die Götter verlangen dein Leben,
Nicht in den Klauen der Feinde, sondern zurück zu den Deinen!
Helena, bebend vor Freude und Ehrfurcht, erhebt sich,
Schmiegt sich eng an den Retter, den strahlenden Helden des Tages.
Auf seinem Ross, das prunkvoll schnaubt und stolz sich bäumt,
Eilen sie fort in die Freiheit, hinfort von den Feinden.
Lieder ertönen in Sparta, der Heimat der schönen Gefangenen,
Denn das Volk feiert den Helden, der siegreich heimkehrt mit Ehre.
So ward Theseus gepriesen, ein Retter in finsterer Stunde,
Hoch in den Hymnen der Dichter, bis heut' unvergessen.
Einst im Palast von Sparta, wo prächtig die Mauern sich hoben,
Lebte die Schöne Helena, Zeus' Tochter, göttlich geformt.
Himmel und Erde bewunderten sie, der Sterblichen Krone,
Leuchtend wie Morgenrot, das den Tag über Länder verbreitet.
Viele bewarben die Maid, von Hellas’ Küsten gezogen,
Prächtige Helden und Fürsten, die reich an Gold und Geschmeide.
Jeder versprach, sie zu ehren, das Reich ihr zu schenken,
Strebsam die Hand zu gewinnen, die Welt in Liebe zu binden.
Doch mit dem Rat des Weisen, des schlauen Odysseus,
Schlossen die Männer den Eid, um Frieden gemeinsam zu wahren:
Wen sie erwählt, den sollen sie schützen mit Waffen und Treue,
Keiner dürfe die Wahl des Schicksals frevelnd entehren.
Helena schaute die Männer mit holden, glänzenden Augen,
Doch ihr Herz, das schwieg, bis Menelaos sie betörte.
Kräftig, von Anmut erfüllt, ein Sohn des Atreus,
Krieger und König zugleich, der Spartas Ehre erstarkte.
Unter dem Jubel der Gäste, die Hallen im Festglanz erstrahlten,
Reichte die Tochter des Zeus ihm die Hand in ewiger Treue.
Wein floss reichlich, die Lieder der Flöten erfüllten die Räume,
Freudige Tänze erklangen, den Bund der Liebe zu feiern.
Hymenaios, der Göttliche, führte die beiden zusammen,
Wächter des Eheglücks, mit Blumenkränzen geschmückt.
Segen sprach er und wünschte ein Leben voll Frieden und Reichtum,
Doch die Götter in ihrer Ferne beschlossen ein anderes Los.
Denn in den Schatten der Freude begann sich Unheil zu regen,
Paris von Troja, der Prinz, trug schon Begehr in der Brust.
Doch an jenem Tag, in Sparta, da lebte das Glück noch,
Helena strahlte mit Menelaos, dem Gatten, vereint.
Weit in der Ferne begann, was das Schicksal für beide bereitet,
Zwei von Atreus’ Söhnen, gezeichnet vom Glanz und Verderben.
Goldene Hallen umgaben ihr Sein, doch auch dunkle Geschicke:
Schuld und Sühne verfolgten das Haus mit verheerender Strenge.
Agamemnon, der Erste, ein Herrscher mit mächtiger Krone,
Hielt über Mykene die Hand, der stärksten der Städte;
Doch sein jüngerer Bruder, der weise und redliche Menelaos,
Thronte in Sparta und nahm Helena, Schönste der Frauen.
Einst war die Liebe der Brüder ein Band, das niemals zerrissen.
Hoch in den Hallen der Kindheit, sie teilten den Überfluss reichlich,
Teilten die Sorgen der Väter und lernten, was Macht mit sich bringt,
Teilten die Träume, dass Stärke allein schon den Göttern gefalle.
Doch bald schlug das Schicksal die Wunde: Verrat und ein Krieg kam.
Helena raubte Paris, der Frevler, weit in den Osten,
Sparta ward leer, und Menelaos erhob sich mit Rachegedanken.
Agamemnon, der Bruder, erhörte den Ruf und versammelte Heere,
Tausend Schiffe gehorchten dem Willen der Atriden gemeinsam.
Doch nicht ohne Streit war die Liebe der beiden verbunden:
Denn um die Tochter des Königs von Chryse kam Zwist und Entzweiung,
Agamemnon verlangte, was Achilleus' Stolz nicht ertragen.
Menelaos, dazwischen, beschwor sie mit mahnenden Worten,
Wollte die Eintracht erhalten, die Macht der Griechen bewahren.
Selbst in den Stunden des Kriegs, als die Mauern von Troja erbebten,
Hielten die Brüder zusammen, wie zwei untrennbare Säulen.
Blut und Tod um sie her, doch ihre Hände berührten sich oft,
Als ob die Welt um sie schwieg und nur das Bruderband bliebe.
Doch nach dem Sieg kamen die Schatten zurück, unheilvoll.
Agamemnon verlor, was das Schicksal ihm gnädig verlieh:
Heimkehr und Ruhm, er starb durch die Hand der Geliebten im Hause.
Menelaos, in Sparta zurück, trauerte tief und gedachte,
Wie sie als Knaben im Glanz ungetrübter Tage verbunden,
Ewig geschworen, das Blut der Familie zu ehren,
Selbst wenn das Schicksal die dunklen Gestalten entsendet.
So steht die Geschichte von beiden, in Glanz und in Schatten,
Lehre und Mahnung zugleich, dass selbst die Größten der Erde
Hadern mit Zwietracht und Schuld, doch Brüderlichkeit bleibt,
Wie ein Stern, der auch im Sturm noch über den Wogen leuchtet.
Einsam stand sie, die Seherin, hoch auf des Ilions Mauern,
Schaute hinab in die Nacht, wo das Dunkel des Schicksals sich dichte.
Flüsternd trieb ein Wind durch die Gassen, die Stadt in der Tiefe
Schlummerte träge, nichts ahnend von dem, was da kommen.
Doch in Kassandra brauste der Sturm der göttlichen Warnung,
Bilder erschienen ihr klar, wie der Blitz durch finsteres Wolkendickicht:
Helena, schön wie ein Stern, doch brennend wie sengende Flammen,
Schritt durch die Hallen, die Pracht von Troja in Asche zu wenden.
Siehe, des Feuers Funken entzündeten Teppich und Wände,
Goldene Zedern verbrannten, und Rauch verschlang Säulen und Tempel.
Blutrot färbte die Nacht sich, und Schreie zerrissen die Lüfte,
Kinder, Mütter und Greise, dem Schicksal erbarmungslos preisgegeben.
Paris, in Liebestorheit gefangen, verharrte im Wahnsinn,
Blind für die Flammen, die loderten schon aus Helenas Schleier.
Schleichend trug sie Verderben, die Giftin, durch Lächeln verborgen,
Züngelnd griff ihr Feuer hinaus in die Zukunft der Helden.
Hört mich!, rief Kassandra, die Flammen verschlingen uns alle!
Helenas Schönheit, ein Fluch, bringt Tod auf des Ilions Türme!
Wehe! Niemand glaubt meinen Worten, die Götter verfluchen
Meine Warnung; der Wahnsinn allein bleibt mir zum Gefährten.
So stand sie, die Tochter des Priamos, Seherin trojanischen Schicksals,
Hilflos gebunden ans Wissen, das keine Erlösung ihr brachte.
Vor ihren Augen entfaltete sich der Untergang Trojas,
Helena, brennende Rose, entfesselte Feuer der Welten.
Wimmernd verblasste die Nacht, und der Morgen erstrahlte in Purpur,
Doch in Kassandras Blick brannte der Funke der kommenden Zeiten.
Rings durch das prangende Land der Argiver verbreitet der Ruf sich,
Helena sei die schönste der Frauen, von allen gepriesen.
Paris, Priamos’ Sohn, vom Götterurteil erfüllt mit Verlangen,
segelte über das Meer, von der Flut des Schicksals getragen.
Kaum hatte Trojas Prinz das prachtvolle Sparta erreichet,
stand er im prunkenden Saal, wo Helena, strahlend vor Anmut,
schimmerte gleich einer Göttin, von Zepter und Krone umglänzet.
Sein Herz schlug mächtig, und schüchtern begann er zu werben:
Helena, Tochter des Zeus, ein Wunder des Himmels auf Erden,
niemals zuvor sah ich Schönheit, die göttlicher glänzt als die deine.
Schönheit, so spricht man, gehört dem Olymp, doch du bist ein Wunder,
das über Sterbliche ragt und selbst den Himmel beschämt.
Schmuck habe ich dir gebracht, wie ihn Myriaden begehren:
goldene Ketten und Perlen, gewebt aus den Schätzen der Meere,
Rubine, die glühen wie Flammen im Herzen der Nächte,
und Smaragde, so grün wie die Wälder, wo Götter einst wandelten.
Doch, o Helena, mehr als die Gaben des Reichtums, der Erde,
biete ich dir mein Herz, das brennt in ewiger Sehnsucht.
Komm mit mir, werde die Königin Trojas, die Herrscherin glorreicher Reiche.
Lass Sparta zurück, lass die Fesseln des Alltags zerspringen!
Wellen des Schicksals rufen dich fort, und der Liebe Verlangen
lockt dich zu Küsten, wo Rosen blühen in endlosen Gärten.
Helena, folge dem Ruf, und Troja wird leuchten in Ruhm,
denn mit dir wird das Reich der Priamiden unsterblich!
So sprach Paris und reichte ihr Ketten und funkelnde Ringe.
Helena zögerte kaum, denn die Flammen der Liebe durchzuckten
mächtig ihr Herz, und sie fühlte, dass Schicksal und Lust sie ergriffen.
So begann jener Raub, der die Erde in Kriege gestürzet.
Im nächtlichen Dunkel, als schweigend ruhten die Winde,
Schlief das weite Gefild, und die Sterne funkelten silbern,
Hob Paris den Plan, in heimlicher List zu entfliehen,
Fern von Sparta hinaus mit der holden Helena, Schönheit,
Die von Aphrodites göttlicher Hand ihm ward zugesprochen,
Kostbarste Gabe der Liebesgöttin im Streit der Versprechen.
Leise durchschritt er den Palast, wo die Mauern hallten,
Wo die Wachen im Schlaf den Klang ihrer Schritte vernahmen,
Kaum ein Flüstern ließ sich hören im hallenden Marmor.
Tief im Inneren ruhte die Frau, die die Welt in Zwietracht
Stürzen sollte, das helle Haupt auf die Seide gesenket,
Träumend von fernen Göttern und Wellen des weiten Meeres.
Folge mir, sprach Paris, und legte die Hand auf die Schultern,
Schmal und weiß wie der Mond, der durch das Fenster hernieder
Schien auf Helena, deren Herz in Liebe gefangen,
Die sich erhob, als lockte sie sanfter Gesang aus der Ferne.
Ohne ein Wort verließen sie still den prächtigen Palast,
Flüchteten hinab durch Gärten, beschattet von Zypressen,
Hin zu den Schiffen, die still in der Bucht schon warteten, gleitend.
Nicht lange währte die Stille; die Wogen schlugen wie Trommeln,
Segel füllten sich auf, der Wind, ein Helfer der Flucht, kam,
Führte das Liebespaar fort über silberne Fluten des Meeres,
Hin nach Troja, der Stadt, die bald in Flammen versinken
Sollte, durch jene Tat, die hier in der Nacht begonnen.
So entfloh sie, Helena, leuchtend, die Königsgemahlin,
Hin mit Paris, dem Schönling, der Sparta den Stolz entriss.
Doch der Schlaf jener Nacht wurde ein Schatten der Jahre,
Und ein Fluch, der das Schicksal der Völker blutig durchbohrte.
Als der kühne Paris, von Liebe gepeitscht, aus Sparta entfloh,
Helena, schön wie der Morgen, an seiner Seite, das Herz schwer,
Steuerten sie hinfort auf dem schimmernden Rücken des Meeres,
Wind in den Segeln und Träume, die Flucht und Freiheit verkündend.
Nacht war hereingebrochen, der Himmel mit Sternen gesprenkelt,
Klagen der Wellen erklangen, die unermüdlich das Schiff trugen.
Paris stand stolz am Bug, die Hand auf dem glatten Holz des Mastes,
Blickte hinaus in die Ferne, ein Schatten auf seinen Zügen.
Ach, Helena, sprach er, sein Ton war voll süßlicher Wehmut,
Fern von den Mauern Spartas, wo Liebe wie Schuld uns verfolgt,
Suchen wir Frieden, ein neues Zuhause, fernab aller Blicke,
Doch was nützt Ruhm, wenn die Heimat nur Hass uns beschert hat?
Helena schwieg, doch in ihren Augen lag Glanz und Verlangen,
Denn sie wusste, Paris, der Jüngling, war alles, was zählte.
Sein war das Herz, und sein war die Zukunft, wohin sie auch steuerten,
Liebe allein war ihr Ziel, selbst wenn Götter sie straften.
Am Morgen, als purpurne Strahlen das Wasser vergoldeten,
Sichteten sie Land, eine Insel, von grünen Hainen umsäumt.
Vögel umkreisten die Klippen, ein Lied in den Lüften erklang dort,
Rufe der Freiheit, die luden, ans Ufer zu gehen und zu ruhen.
Sanft legte der Kiel sich zur Rast in der Bucht mit dem klaren Wasser,
Paris und Helena sprangen mit Eifer ans Ufer, voll Freude.
Eine Lichtung im Schatten der Oliven fanden sie bald,
Weich war der Boden, die Luft erfüllt vom Duft frischer Blüten.
Dort, in den Armen des einen, der anderen glühend umfangen,
Fühlten sie nichts mehr als Liebe, die Ewigkeit ihnen versprach.
Flüsternde Worte, die zärtlich die Zeit und die Welt überdauern,
Während die Wellen am Ufer ein Lied ihrer Liebe erzählten.
Und so verweilten sie, fern von der Welt und den strengen Gesetzen,
Nichts als die Sterne am Firmament sahen ihr Treiben.
Doch in der Ferne, verborgen im Nebel, lauerte Rache,
Denn die Götter und Menschen, sie duldeten Frevel nicht lange.
Gewaltig segelt Paris zurück nach dem fernen Gefilde,
Troja, der Heimatstadt, mit prunkender Beute beladen.
Doch nicht Helena schmückt sein Schiff, die lebendige Schönheit,
nein, ein trügerisch Bild, das wie Nebel die Augen betrüget.
Denn wie göttlicher Rat es sprach, und die List Aphrodites,
sandte die Wolke der Täuschung, die wirklich seiend doch nicht ist.
Also entführt' er das Trugbild, nicht die sterbliche Frau selbst,
während Sparta zurückbleibt, ohne das blühende Leben.
Winde heulen im Mast und füllen die Segel mit Eifer,
über das blaue Gefilde trägt sich das tückische Werk nun.
Freundlich winkt ihm das Meer, doch dräuend lauern die Schatten,
denn schon heften sich Götterblicke an Paris, den Frevler.
Zeus, der Herr der Gewitter, brütet mit zornigem Antlitz,
Hera flammt in der Ferne vor Unmut, die Treue gekränkt ist.
Troja wird ihren Preis zahlen, das Reich wird in Flammen
sinken, doch ahnt es Paris nicht, nur sein Wahn ist sein Führer.
Also kehrt er zurück mit trügerisch glanzvoller Fracht nur,
ahnungslos, dass das Trugbild Unheil wie Samen gesät hat.
Im heiligen Glanze der Göttin, die Liebe gewähret den Sterblichen,
Wob sich ein seltsames Los um Helena, Tochter des Zeus'.
Schön war sie, wie keine zuvor, der Stolz aller Griechen,
Hell wie der Morgen, wenn Helios goldene Strahlen entsendet.
Doch in der Ferne, verborgen den Augen der Menschen, regte
Aphrodite die Fäden des Schicksals, das Helena führte.
Einst, als Paris, der Hirt aus den Bergen von Trojas Gestaden,
Mitten im Kreis der Unsterblichen weilt’ auf Ida's Gefilden,
Brachte die Göttin des Goldes, die strahlende Schönheit der Welt,
Helena in sein Herz, und der Brand ihrer Liebe entflammte.
Doch, o grausames Spiel der Götter, die sterbliche Seelen
Führen wie Schachfiguren im Tausch ihrer göttlichen Zwecke,
Schien ihr Schicksal nicht fest an den Freier von Troja gebunden.
Denn Aphrodite, die selbst in den Reigen der Schönheit
Herrschte mit Macht, ersann eine List, die niemand begreifen
Sollte von Sterblichen je: sie entrückte die Holde
Fort aus Spartas Gefilden, hinweg aus Parisens Armen.
Nicht gen Troja sie führte der Wind, wo der Krieg bald entflammte,
Sondern gen Ägyptens Gestade, das Reich voll von Rätseln,
Wo die Ströme des Nil in die unermessliche Weite sich breiten.
Dort in den Gärten des Pharao, umrauscht von rauschenden Palmen,
Stand sie, die schönste der Frauen, bewacht von der Göttin.
Helena, unberührt von der Erde der Sterblichen, wandelte,
Wie ein göttlicher Traum, den der Schlaf den Menschen entführt hat.
Keine Hand sie berührte, kein Sterblicher sah ihr Antlitz,
Denn die Göttin verhüllte sie ganz in schimmernden Schleier.
Lange, so raunt es der Mythos, blieb Helena ferne
All ihrem Volk und den Kämpfen, die Trojas Mauern umringten.
Doch ihre Gestalt, die wie Schatten im ägyptischen Sand blieb,
Lebte im Herzen der Welt als der Streit der Schönheit.
So war es der Wille der Götter, dass Helenas Name
Ewig in Liedern ertönt, ein Echo von Liebe und List.
Weit in Ägyptens Land, wo der Nil seine Schleifen durch Ebenen windet,
herrschte der mächtige Pharao, strahlend wie Sonne am Himmel.
Seine Paläste aus Gold, die in marmornen Säulen sich reckten,
glänzten wie Sterne des Nachts in der tiefblauen Decke des Firmaments.
Doch trotz des Glanzes des Reiches, der Reichtum und Macht ihm beschieden,
füllte die Liebe sein Herz nicht, das einsam im Prunk stets verweilte.
Eines Morgens, da kamen Gesandte, beladen mit Gaben:
Schimmernde Stoffe aus Griechenland, Öl und bemalte Amphoren.
Doch war's nicht dies, was dem König das Herz wie ein Feuer entflammte,
sondern das Bild einer Frau, das verborgen im Schmuckkasten lag.
Helena war es, die schönste der Frauen, die Götter begünstigt,
deren Gestalt wie ein Leuchten aus himmlischen Sphären erstrahlte.
Pharao staunte, die Zeit schien zu ruh’n, und sein Atem erstarb fast.
Ist dies die Schönheit der Welt, die den Königen Trost und Verderben bringt?
Rasch gab er Boten den Auftrag, zu segeln mit prächtigen Schiffen,
westwärts zum Hellenenland, wo der Glanz dieser Jungfrau erstrahle.
Saget der Holden: Mein Reich sei ihr Tempel, mein Herz sei ihr Heimat.
Goldene Throne und Liebe, die ewig wie Sterne besteht,
biete ich ihr, die mich heilt von den Wunden der Einsamkeit, biete
Wärme und Glanz, den kein anderer König auf Erden vermag.
Monate zogen dahin, und die Wellen des Meeres erzählten
von seiner Sehnsucht, die weit über Länder und Fluten sich dehnte.
Endlich erreichte die Botschaft die Hallen der griechischen Fürsten.
Helena horchte und lächelte mild, doch sie wusste um List.
Pharaos Worte erschienen wie Honig, der süß war und golden,
doch auch das Gift trug, das stets aus der Ferne Verführung verheißt.
Ob sie ihm folgte, ob Liebe entbrannte? Dies bleibt den Göttern
überlassen zu richten in Liedern, die klingen für Ewigkeit.
Hoch in den Hallen des Palastes, wo Marmor erglänzte,
Wandelt Helena still, die Tochter des Zeus, unberührbar,
Schönheit von Göttern geformt, ein Abbild himmlischer Klarheit,
Rein wie das Wasser des Quells, das tief in den Bergen entspringet.
Viele der Männer der Stadt, von fern und nah her gekommen,
Sangen ihr Loblied und priesen die Glut, die ihr Antlitz entzündete.
Doch sie, die Erhabene, hielt sich fern von der Lust jener Sterblichen,
Gleich einer Lilie im Tal, die den Staub ihrer Wurzeln verschmähet.
Paris, der Frevler aus Troja, einst kühn sie zu rauben gewillt war,
Doch auch er fühlte den Stich jener Ehrfurcht in brennendem Herzen.
Denn weder List noch Gewalt, noch süßes Versprechen des Ruhmes
Konnte sie je überwinden, den Glanz ihrer Tugend zu schänden.
Zeus, ihr Vater, der Wächter der himmlischen Ordnungen alle,
Sah von Olymp herab und segnete still ihre Seele.
Keusch blieb Helena stets, wie die Flammen des Altars, die rein sind,
Unversehrt von dem Rauch, den der Opfernde hoffend emporträgt.
So wird ihr Name gepriesen in Liedern und Hymnen der Dichter,
Nicht für die Schönheit allein, die den Augen der Welt sich enthüllet,
Sondern für Tugend und Reinheit, die selten ein Herz hier bewahret,
Wie sie Helena trug, des Zeus und der Götter Gefährtin.
Nach dem Fall von Troja, dem brennenden, wankenden Reiche,
Rüstete Menelaos sein Schiff, voll Hoffnung zur Heimat,
Spähte hinaus auf die Wellen, die dunkel rollenden Wasser,
Sehnsucht nach Sparta im Herzen, nach hellem, sicherem Ufer.
Doch Poseidon, der Herrscher der Meere, launischer Lenker,
Sandte den Sturmwind herab, die Wellen stoben wie Berge.
Hin und her ward das Schiff gejagt in tobender Wildnis,
Weit von dem heimatlichen Gestade, fern von der Gnade
Hellas' Götter; des Himmels Antlitz war schrecklich verhangen.
Endlich verstummte das Tosen, die Wasser glätteten träge,
Und als der Morgen erwachte mit rosigen Schleiern der Eos,
Sahen die Männer ein Land, das fremd war, sonnig und golden.
Ägypten war's, wo der Nil in die silbernen Fluten sich öffnet,
Götterreich, geheimnisumwoben und reich an Schätzen.
Dort in der Fremde nun landete Menelaos mit Kummer,
Suchte die Götter um Hilfe, brachte den Nymphen der Ströme
Opfergaben dar, auf dass ihm Gnade gewährt sei.
Gastfreundlich empfing ihn das Land mit seinen Palmen,
Doch seine Seele seufzte nach Sparta, nach heimischen Hügeln.
Wochen vergingen, und als er die fremden Küsten verließ,
Rief ihm der Wind nun endlich die Pfade nach Hellas zurück.
Dankend wandte er sich zur Heimat, dem vielgeliebten,
Doch Ägyptens Spuren blieben im Herzen verwoben,
Wie eine Mahnung, dass selbst der Herr der Schlachten sich beugen
Muss vor dem Willen der Götter, dem Schicksal, das mächtig regiert.
Menelaos, der Herrscher von Sparta, kehrte zurück zu dem Heimatland,
Helena bei sich führend, die göttliche Schönheit der Welt.
Unter dem Schutz der Zwillinge, der leuchtenden Söhne des Zeus,
Kastor, des Streiters im Kampf, und Polydeukes, dem Boxer,
zogen sie heimwärts durch Stürme und Wogen des tobenden Meeres.
Doch nicht ohne Mühen gelang die Fahrt auf den flüchtigen Fluten,
da Poseidon, erzürnt, die Winde entfesselte wild.
Helena, Schuldige selbst und doch ein Opfer der Götter,
saß in dem Schiff, das durch schäumende Wasser die Heimat suchte.
Hoffnungsvoll blickte sie auf zu den Sternen des nächtlichen Himmels,
wissend, dass Brüder ihr Haupt einst unter den Sternen bewahren.
Durch die Gewalt der Zwillinge, der himmlischen Retter der Schiffe,
wichen die Stürme zurück und glättete sich die See.
Furchtlos steuerten sie in den Hafen von Lakedaimon,
wo sie das Land begrüßten, das Blut und Heimat verband.
Freudig empfingen die Menschen die Rückkehr des Königs und Weibes,
wiewohl die Schatten des Krieges die Namen der beiden umhüllten.
So endete Helenas Reise, gezeichnet von Sünde und Ruhm,
doch auch von der Gnade der Himmlischen heilend bewahrt.
Ewig erzählte das Lied von der Heimkehr des Königs und Weibes,
dass selbst im Fall der Mächtigen Rettung sich zeigen mag.
Helena saß in den Hallen von Sparta, von Glanz umgeben,
Reich an Gestalt und Verstand, die Tochter des Zeus und der Leda.
Tief in den Sälen erhob sich der Klang von spielenden Saiten,
Denn sie gedachte der Taten des Krieges, der Helden von Troja.
Drinnen, in schimmernder Pracht, stand Telemachos zögernd,
Jung war der Held, doch tapfer und stark, mit Odysseus' Antlitz.
Lange gesucht hatte er den Vater, den Listenreichen,
Durch die Inseln des Meers, durch Stürme und nächtliche Schatten.
Jetzt trat er ein in die Hallen des Königs Menelaos,
Hoffend, dass Kunde ihn führe zum Vater, der ferne verschollen.
Helena sah ihn und spürte sogleich: Es war nicht ein Fremder,
Sondern das Blut des Odysseus, des Helden von Ithakas Klippen.
Sei mir willkommen, o Jüngling, begann sie mit klingender Stimme,
Ferne vom Heim bist du her, durch das wogende Meer zu uns gelangt.
Sag mir, warum suchst du uns hier in den goldenen Hallen?
Oder bedrückt dich ein Schmerz, den die Götter dir auferlegt?
Schnell erhob er die Worte, in Ehrfurcht stand er vor ihr:
Herrliche Helena, Ruhm der Griechen, Tochter des Zeus’,
Nicht aus Freude allein bin ich her in dein leuchtendes Sparta,
Sondern aus Not, denn der Vater, der lange Vermisste, mir fehlt.
Weißt du, o Königin, irgend ein Wort von seinem Verbleiben?
Lebt er noch, oder hat ihn das Meer in den Abgrund gezogen?
Sag es mir wahr, denn mein Herz ist schwer und von Sorgen gefangen.
Also sprach Telemachos, blickte sie an mit flehenden Augen.
Helena senkte den Blick und sann einen Moment in die Ferne,
Dachte der Zeit, als Odysseus in Troja die Taten vollbrachte.
Höre, o Sohn, was ich weiß, begann sie dann ernst zu erzählen,
Manche Gerüchte durchzogen das Land von deinem Vater.
Nicht ist er tot, doch fern ist sein Weg und voller Gefahren.
Letzthin vernahm ich ein Wort von den Bergen des Meeres,
Inseln, die herrschen die Nymphen und Götter der wilden Gewässer.
Dort, so heißt es, verweilt er, gefangen vom Willen Poseidons.
Doch verzage nicht, junger Held, und folge dem Pfad deiner Ahnen.
Mut wird dir leuchten im Sturm, und der Geist des Vaters begleiten.
Also sprach Helena, Tochter des Zeus, mit glanzvollen Worten,
Tröstete ihn, und Hoffnung erwuchs im Herzen des Jünglings.
Lang saßen sie da in den Hallen, beim Klang von Saiten und Liedern,
Bis mit dem Morgen das Schicksal ihn weiter trieb auf die Reise.
Sing, o Muse, von ihr, der Jugend Blüte entsprang, wie ein Frühling,
Hermione, Tochter der strahlenden Helena, leuchtend,
wie auf den Bergen die Lilie erstrahlt, von Tautropfen benetzt ist,
so erglänzte ihr Antlitz, vom Hauch der Göttinnen geformt.
Zarte Gespielin der Grazien, hold in Bewegung und Anmut,
spielend wie Wellen im Tanze, vom silbernen Mondlicht geküsst.
Helena selbst, die herrlichste Frau auf der weiten Erde,
gab ihr Leben und Glanz, ein Geschenk der himmlischen Liebe.
Doch auch des Vaters Kraft floss ihr ein, der heldenhafte Menelaos,
Herr der Lakedaimonier, stark wie der Sturm überm Meere.
Durch ihr Blut floss das Feuer, das unsterbliche Schönheit entzündet,
und in ihren Augen, tief wie die Quellen des Parnassos,
funkelte Weisheit zugleich und das Lächeln verspielter Entzückung.
Hermione, dir opfern die Knospen des Frühlings den Duft hin,
denn du wandelst, wie einst Aphrodite, über die Fluren.
Dich loben die Vögel im Morgenlied, wenn die Sonne sich hebt,
und die Zikaden im Mittag, wenn alles schläft in der Stille.
Göttlicher Liebesreiz, dein Name ertönt durch die Zeiten,
wie ein Echo des Olymps in der sterblichen Welt widerhallend.
Dir, o Muse, sei Dank, dass dein Lied sie unsterblich uns machte:
Hermione, Tochter der Helena, Glanz der vergänglichen Jugend.
Herrlich glänzt, o Göttin, dein Leib in goldenem Schimmer,
Aphrodite, die Liebe, das süße Verlangen erweckend!
Hoch auf ragendem Berg, wo die Zypressen sich wiegen,
oder im duftenden Hain, wo der Lorbeer die Winde durchsäuselt,
wandelt dein Schritt, und die Erde erblüht in Freude.
Wenn dein Lächeln erscheint, da zittern die Herzen der Menschen,
selbst die Götter des Olymps blicken entzückt auf dein Antlitz.
Über die Wogen des Meers erhebst du dich herrlich im Schaum,
von den spielenden Winden getragen, sanft auf den Wellen,
dort, wo die Nymphen in Tanz und Lied dich jubelnd empfangen.
Zart ist dein Griff, und doch mächtig die Kraft deines Willens,
Krieger neigst du zur Ruh', und die Härte des Herzens erweicht sich.
Keine Seele entflieht dem süßen Netz deiner Künste,
selbst der weiseste Geist ist dir treu in Liebe verfallen.
Segne uns, Göttin, und höre den Ruf deiner Kinder,
gieße den Nektar der Gunst auf uns aus, erquicke die Seelen!
Mit dir wandeln wir froh durch die Pfade des Lebens und träumen,
eines Morgens erwacht im Licht deines ewigen Lächelns.
FÜNFTER GESANG
Ihr Nymphen von Troja, Kinder des Xanthus,
die oft auf den Sand eures Vaters die Fesseln legt,
die eure Locken und das heilige Spielzeug
eurer Hände binden, und euch für den Tanz
auf dem Ida aufreiht, kommt hierher! Ich verlasse
den klingenden Fluss und erkläre mir den Rat des Hirten,
des Richters, und sage: Woher kommt er von den Hügeln,
wo er über die ungewohnte Tiefe segelt, obgleich er
die Geschäfte des Meeres nicht kennt? Und was
die Gelegenheit der Schiffe war, die die Quelle
des Weh waren, dass ein Kuhhirte Himmel
und Erde zusammen rühren sollte; und was war
der Urbeginn der Fehde, dass ein Hirte den Unsterblichen
das Urteil geben sollten: Was war das Kleid?
Woher hörte er den Namen der Argivischen Nymphen?
Denn ihr seid gekommen und habt unter dem dreigipfligen
Steilufer des Idaäischen Phalacra Paris
auf seinem Hirtenstuhl sitzend und die Königin
der Grazien, ja selbst Aphrodite gesehen!
So wurde unter den hohen Gipfeln der Haemonier
das Hochzeitslied von Peleus gesungen, während
Ganymedes auf den Befehl von Zeus den Wein einschenkte.
Und die ganze Rasse der Götter eilte, der weißarmigen Braut,
der eigenen Schwester von Amphitrite, Ehre zu erweisen:
Zeus aus dem Olymp und Poseidon aus dem Meer.
Aus dem Land von Melisseus, vom duftenden Helicon,
führte Apollo den klar-stimmigen Chor der Musen herbei.
Zu beiden Seiten flatterte das ungeschorene Haar
mit dem goldenen Wind und dem Westwind.
Und nach ihm kam Hera, die Schwester des Zeus;
auch die Königin der Harmonie, selbst Aphrodite,
blieb nicht in den Hainen des Kentauren. Kam auch
mit einem Brautkranz, mit dem Köcher der Bogenschütze
Eros. Und Athene legte ihren mächtigen Helm
von ihrer Stirne ab und folgte der Ehe, obwohl sie
von der Ehe nichts gelernt hatte. Auch Letos Tochter Artemis,
die Schwester von Apollon, verachtete sie nicht,
so dachte die Göttin der Wildnis. Und der eiserne Ares,
so wie er ohne Helm und ohne kriegerischen Speer
in das Haus des Hephaistos kommt, in solcher Weise
ohne Brustpanzer und ohne gewetztes Schwert
tanzte lächelnd herbei. Aber der Streit ließ Cheiron,
den unehelichen, gehen: Cheiron betrachtete sie nicht,
und Peleus achtete nicht auf sie, so glücklich war er.
Und wie eine Kuh von der Weide in der Schlucht wandert
und in dem einsamen Gebüsch umherstreift, geschlagen
von der blutigen Stachelfliege, dem Stachel der Kühe,
so wanderte der Streit, von den Schmerzen der Eifersucht
überwältigt, auf der Suche nach einem Weg, das Bankett
der Götter zu stören. Und oft sprang Eris
von ihrem mit Edelsteinen besetzten Stuhl auf
und setzte sich wieder hin. Sie schlug mit der Hand
den Schoß der Erde und achtete nicht auf den Felsen.
Sie wollte die Riegel der dunklen Höhlen öffnen
und die Titanen aus der Unterwelt erwecken
und den Himmel zerstören, den Sitz des Zeus,
der in der Höhe regiert. Schwankend wollte sie
den tosenden Blitz des Feuers schwingen und doch
in ihrem hohen Alter dem Hephaistos, dem Hüter
des lodernden Feuers und des Eisens, weichen.
Und sie dachte daran, den Lärm der Schilde zu wecken,
wenn sie sich angesichts des Lärms entsetzen könnten.
Aber auch von ihrem späteren schlauen Rat zog sie sich
aus Angst vor dem eisernen Ares, dem Krieger, zurück.
Und nun dachte sie an die goldenen Äpfel der Hesperiden.
Darum nahm Eris die Früchte, die der Vorbote
des Krieges sein sollten, sogar den Apfel, und ersann
das Schema der Signalwehen. Sie wirbelte ihren Arm herum
und schleuderte in das Festmahl den Ursamen des Aufruhrs
und störte den Chor der Göttinnen. Hera,
die sich als Ehegattin rühmte und das Bett des Zeus teilte,
stand erstaunt auf und hätte ihn gern ergriffen.
Und Cypris, ausgezeichneter als alle, wünschte,
den Apfel zu haben, dafür ist er der Schatz der Liebenden.
Aber Hera gab ihn nicht auf, und Athene wollte nicht nachgeben.
Und Zeus, der den Streit der Göttinnen sah
und seinen Sohn Hermaon rief, der unter seinem Thron saß,
sprach zu ihm: Wenn du, mein Sohn, gehört hast
von einem Sohn des Priamos, einem Paris,
dem herrlichen Jüngling, der seine Herden auf den Hügeln
von Troja pflegt, gib ihm den Apfel und lass ihn
die Brauen und Augen der Göttinnen beurteilen,
und lass sie, die bevorzugt wird, die berühmte Frucht haben,
als den Preis der Schöneren und Ornament der Liebe.
Und der Vater, der Sohn des Kronos, gebot Hermaon.
Und er gehorchte dem Befehl seines Vaters
und führte die Göttinnen auf den Weg und scheiterte,
sie nicht zu beachten. Und jede Göttin wollte
ihre Schönheit erstrebenswerter und schöner machen.
Cypris nach schlauen Ratschlägen entfaltete ihr Haar
und öffnete die duftende Spange ihrer Haare
und umkränzte mit Gold ihre Locken, mit Gold
ihre fließenden Locken. Und sie sah ihre Kinder,
die Eroten, und rief sie an: Ihr göttlichen Knaben!
Der Wettbewerb ist in der Nähe, liebe Kinder!
Umarmt eure Mutter, die euch gepflegt hat.
Heute wird beurteilt die Schönheit meines Gesichts.
Ich fürchte mich, wem dieser Hirte den Apfel vergibt.
Hera nennen sie die heilige Amme der Grazien,
und sie sagen, dass sie Souveränität übt und das Zepter hält.
Und Athene nennen sie jemals die Königin der Schlachten.
Ich nur, Cypris, bin eine wertlose Göttin. Ich bin
keine Königin der Götter, führe keinen Kriegsspeer,
noch spanne ich den Bogen, aber wovor fürchte ich mich,
wenn ich als Speer gleichsam eine schnelle Lanze habe,
den honigsüßen Gürtel der Liebenden! Ich habe
meinen Gürtel, ich stehe an meinem Stachel,
ich hebe meinen Bogen, diesen Gürtel, woher Frauen
den Stachel meiner Begierde erwischen
und oft Wehen leiden, nicht aber zum Tode.
So sprach Cypris mit den rosigen Fingern und folgte ihm.
Und die wandernden Eroten hörten das Liebesgebot
ihrer Mutter und eilten ihrer höchsten Pflegerin nach.
Jetzt waren sie gerade über den Gipfel des Hügels
von Ida gegangen, wo der junge Paris unter einer
von Felsen gekrönten Klippe die Herde seines Vaters
hütete. Zu beiden Seiten der Gebirgsbachströme
pflegte er seine Herden, indem er die Herde
der überzähligen Bullen aufteilte und die Scharen
der zu fütternden Herden maß. Und ihm im Rücken
schwebte das Fell einer Bergziege, das bis an seine
Schenkel reichte. Aber sein Hirtenstecken,
der Treiber der Kühe, war zur Seite gelegt worden,
und so verfolgte er den schrillen Minnegesang
seiner Flöte. Oft, wenn er in seinem Hirtengesang sang,
wollte er seine Stiere vergessen und seine Schafe
nicht mehr beachten. Daher machte er mit seiner Flöte,
in den schönen Hirtenhäusern der Hirten Pan
und Hermaon gute Musik. Die Hunde bellten nicht,
und der Bulle brüllte nicht. Nur die windige Echo
mit ihrem ungeschickten Schrei antwortete
seiner Stimme von Idas Hügeln; und die Stiere
auf dem grünen Gras, als sie sich satt gegessen hatten,
legten sich nieder und ruhten auf ihren schweren Flanken.
So wie er schrille Musik unter dem hohen überdachten
Baldachin von Bäumen machte, sah er von fern
den Boten Hermaon. Und in der Angst sprang er auf
und suchte das Auge der Götter zu meiden. Er lehnte sich
an eine Eiche, seinen Chor aus Musikblättern,
und überprüfte seine Lage, da er noch nicht viel
gearbeitet hatte. Und zu ihm sagte in seiner Furcht
der wundersame Hermes: Wirf deinen Melkeimer weg
und lass deine schönen Herden zurück und komm her
und entscheide als Richter über die Himmelsgöttinnen.
Komm her und entscheide, welche die bessere Schönheit
des Gesichtes hat, und der Schönsten gib den Apfel.
Also sprach er. Und Paris beugte ein sanftes Auge
und versuchte leise, die Schönheit jeder Einzelnen
zu beurteilen. Er blickte auf das Licht ihrer grauen Augen,
er sah auf den Hals, der mit Gold gekleidet war,
er bemerkte die Tapferkeit von jeder; die Form
der Ferse hinten, ja und die Fußsohlen. Aber bevor er
das Urteil gab, nahm Athene ihn lächelnd bei der Hand
und sprach zu Alexander: Komm her, Sohn des Priamos!
Lass die Gattin des Zeus und achte nicht auf Aphrodite,
die Königin der Brautlaube, sondern lobe Athene,
die der Tapferkeit der Menschen hilft. Sie sagen,
dass du ein König bist und die Stadt von Troja bewahrst.
Komm hierher, und ich werde dich zum Erretter
ihrer Stadt für die Menschen machen, die schwer
bedrängt sind, damit niemals Enyo voll schwerem Zorn
auf dir lastet. Höre auf mich und ich werde dich
Krieg und Tapferkeit lehren und triumphalen Sieg.
So sprach die Athene der guten Ratschläge,
und die weißarmige Hera nahm so die Geschichte auf:
Wenn du mich auserwählst und mir die Frucht
der Schönsten gibst, werde ich dich zum Herrn
meines ganzen Asien machen. Verachte die Kriegsarbeiten.
Was hat ein König mit Krieg zu tun? Ein Prinz
gibt Befehl sowohl dem Tapferen als auch dem Unkriegerischen.
Nicht immer sind die Knappen von Athene in erster Linie.
Schnell ist das Schicksal und der Tod der Diener von Enyo!
Eine solche Herrschaft hat Hera, die den vordersten Thron hat,
anzubieten. Aber Cypris hob ihr langes Gewand
und entblößte ihre großen Brüste in die Luft
und schämte sich nicht. Und mit den Händen den süßen Gürtel
der Eroten anhebend, entblößte sie ihren ganzen Busen
und achtete nicht auf ihre schönen Brüste. Und lächelnd
sprach sie so zu dem Hirten: Akzeptiere mich
und vergiss die Kriege: Nimm meine Schönheit
und verlasse das Zepter und das Land Asien.
Ich kenne nicht die Werke des Kampfes. Was hat Aphrodite
mit Schilden zu tun? Durch Schönheit viel mehr
die Frauen übertreffen alles: Statt der männlichen
Tapferkeit werde ich dir eine sehr schöne Braut geben,
und statt des Königtums kommst du in das Bett der Helena!
Lakedaimon, nach Troja, soll dich als Bräutigam sehen.
Kaum hatte sie aufgehört zu sprechen, da gab er
ihr den herrlichen Apfel, das Angebot der Schönheit,
den großen Schatz von Aphromeneia, eine Pflanze
des Krieges, des Krieges bösen Samen. Und sie hielt
den Apfel in der Hand und hob ihre Stimme und sagte
Spottverse über Hera und die männliche Athene:
Gib mir, wie du ein Krieger bist, gib mir den Sieg.
Schönheit habe ich geliebt und Schönheit folgt mir.
Sie sagt, dass du, die Mutter von Ares, mit Mühe
den heiligen Chor der zierlichen Grazien trägst.
Aber heute haben sie dich alle verleugnet, und niemand
hat dir geholfen, dir zu helfen, sondern Königin,
nicht aber Schilde, und Amme, nicht von Feuer,
Ares hat dich nicht gefangen, obwohl Ares
mit dem Speer wütet: Die Flammen von Hephaistos
haben dich nicht gejagt, obwohl er den Feuerhauch
zur Geburt bringt. Und wie eitel ist deine Schmeichelei,
Atrtone! Die Ehe säte nicht... Die Mutter ist nicht entblößt,
aber die Spaltung des Eisens und die Wurzel des Eisens
haben dich vom Geburtshaupt deines Vaters
entspringen lassen, und wie du deinen Körper
in eherne Roben gehüllt hast, fliehst du vor der Liebe
und folgst den Werken von Ares, nicht der Harmonie,
und der Verschwendung, nicht der Eintracht.
Weißt du nicht, dass solche Athenen wie du
mehr ungeliebt sind - frohlockend in glorreichen Kriegen,
mit Gliedern in Fehden, weder Männer noch Frauen lieben dich!
So sprach Cypris und verspottete Athene.
So bekam sie den Preis der Schönheit, der der Ruin
einer Stadt war, Hera empörte sich und Athene
es abwehren sollte. Und der unglückliche Paris,
der sich mit heißer Liebe sehnte und eine verfolgt,
die er noch nie gesehen hatte, versammelte Männer,
die von der Handwerkskünstlerin Atrytone gelehrt waren,
und führte sie zu einem schattigen Wald. Dort wurden
die Eichen von Ida von vielen Baumstämmen
durch die ausgezeichnete Fähigkeit von Phereclus,
der Quelle des Weh, durchschnitten und gefällt;
wer zu dieser Zeit seinem wahnsinnigen König
den Gefallen tat, machte damit holzgeschnitze
Bronzeschiffe für Alexander. Am selben Tag wollte er es
und machte die Schiffe: Schiffe, die Athene nicht schuf.
Und jetzt hatte er gerade die Hügel von Ida
für die Tiefe verlassen, und nachdem er mit vielen Opfern
an der Küste die Gunst der Aphrodite, die ihn besuchte,
um seine Ehe zu unterstützen, begehrte, segelte er
den Hellespont über die Breite zurück vom Meer,
als zu ihm ein Zeichen seiner arbeitsamen Mühen erschien.
Das dunkle Meer sprang in die Höhe und umhüllte
den Himmel mit einer Kette düsterer Winde,
und aus der trüben Luft strömte der Regen hervor,
und das Meer war aufgewühlt, als die Ruderer ruderten.
Dann, als er Dardanien und das Land Troja passiert hatte
und, nachdem er die Mündung des Ismarischen Sees
hinter sich gelassen hatte, an den Bergen
des thrakischen Pangäons vorbeikam, sah er
das Grab von Phyllis, die ihren Mann liebte,
und den neunkreisigen Weg ihres wandernden Weges,
wo Phyllis auf der Suche nach der sicheren Rückkehr
ihres Gatten Demophoon war, als er aus dem Land
der Athene zurückkommen sollte. Dann erhob sich
plötzlich über das reiche Land der Haemonier
das blumige achäische Land, Phthia und Mykene
von breiten Straßen. Dann, an den Sümpfen vorbei,
wo der Erymanthus aufsteigt, bemerkte er Sparta
mit den schönen Frauen, der lieben Stadt
des Sohnes von Atreus, die am Ufer der Eurotas lag.
Und hart, unter einem schattigen Waldhügel aufgestellt,
blickte er auf ihre Nachbarin, die schöne Therapne.
Von dort hatten sie nicht weit zu segeln, noch hörte man
das Geräusch der Ruder, die im ruhigen Meer ruderten,
lange, als sie die Taue des Schiffes an den Ufern
eines schönen Abgrundes warfen und sie fasteten,
sogar die, deren Geschäft war die Werke des Meeres.
Und er wusch sich in dem verschneiten Fluss
und ging seinen Weg und trat mit vorsichtigen Schritten vor,
damit seine schönen Füße nicht vom Staub befleckt würden;
damit er nicht schneller eile, sollen die Winde schwer
auf seinen Helm blasen und die Locken aufwirbeln.
Und jetzt suchte er die hochgebauten Häuser
der gastfreundlichen Einwohner und die benachbarten
Tempel ab und überblickte den Glanz der Stadt;
hier das goldene Bild der einheimischen Athene selbst,
und dort am kostbaren Schatz des Carneischen Apollo
vorbei, sogar das Heiligtum des Hyacinthus von Amyclae,
den die Leute von Amyclae einmal, als er als Knabe
mit Apollon spielte, bemerkten und staunten,
ob auch er von Leto nicht von Zeus empfangen
und hingetragen wurde. Aber Apollon wusste nicht,
dass er den Jugendlichen für den neidischen Zephyr hielt.
Und die Mutter Erde machte dem weinenden König
ein Vergnügen und brachte eine Blume hervor,
um Apollon zu trösten, jene Blume, die den Namen
des herrlichen Jünglings trägt, des Lieblings der Frauen.
Und zuletzt stand er in den Hallen des nahen Sohnes
des Atreus, und er stand in seiner wunderbaren Grazie.
Nicht so schön war der liebliche Sohn, den Thyone
dem Zeus schenkte: vergib mir, Dionysos!
Selbst wenn du der Same von Zeus bist, so war auch
er schön, wie sein Gesicht schön war. Und Helena
öffnete die Riegel ihrer gastfreundlichen Laube
und ging plötzlich zum Hof des Hauses hinaus,
und als sie vor den Türen ihn sah, so bald sie sah,
so rief sie ihn bald und führte ihn ins Haus und bat ihn,
sich zu setzen auf einem neu geschmiedeten Silberstuhl.
Und sie konnte ihre Augen nicht lassen von ihm
und starrte auf ihn, dass sie auf den goldenen Jüngling
blickte, der mit Cythereia geht - und spät erkannte sie,
dass es nicht Eros war; sie sah keinen Pfeilköcher,
und oft sah sie in die Schönheit seines Gesichts
und seiner Augen und glaubte den König
des Weinstocks zu sehen. Aber keine blühende Frucht
des Weinstocks sah sie auf der Versammlung
seiner liebenswürdigen Brauen ausgebreitet.
Und nach langer Zeit erstaunte sie und erhob
ihre sanfte Stimme und sagte, mit Girren und Flöten:
Fremder, woher bist du? Erkläre mir deine gerechte
Abstammung! In der Schönheit bist du
wie ein glorreicher König, aber deine Familie
kenne ich nicht unter den Argivern. Ich kenne
die ganze Familie des tadellosen Deukalion.
Nicht im sandigen Pylus des Landes Neleus
hast du Wohnung: Antilochus wohl, ich weiß,
aber dein Angesicht habe ich nicht gesehen,
nicht in der gnädigen Phthia, der Pflegerin der Häuptlinge,
ich kenne die ganze berühmte Rasse der Söhne
von Aiakos, die Schönheit von Peleus, den ehrlichen
Ruhm von Telamon, die Sanftheit des Patroklos
und die Tapferkeit des Achilles mit den schnellen Füßen.
Also, voll Sehnsucht nach Paris, sprach die Dame
mit süßer Stimme. Und er öffnete die honigsüße Rede
und antwortete ihr: Wenn du von einer Stadt
in Phrygien gehört hast, von Ilios, dem Poseidon
die Türme und Apollon gebaut haben, wenn du
von einem sehr wohlhabenden König in Troja gehört hast,
der entsprungen ist der fruchtbaren Rasse von Kronos:
Ich bin also ein Prinz und verfolge alle Werke
meiner Rasse, ich bin der liebe Sohn des Priamos,
reich an Gold, aus der Linie des Dardanos, und Dardanos
war der Sohn des Zeus. Und die Götter des Olymp,
die mit den Menschen zusammen waren, wurden
seine Diener, obwohl sie unsterblich waren:
von denen Poseidon mit Apollo die leuchtenden
Mauern unseres Vaterlandes erbauten. Und ich,
o Königin, bin der Richter der Göttinnen! Ich entscheide
mich für die Klage der geschändeten Töchter
des Himmels und lobe die Schönheit der Cypris
und ihre schönen Brüste, und sie schwor, dass sie mir
eine würdige Belohnung für meine Arbeit geben werde,
eine herrliche und schöne Braut, die sie Helena,
Schwester von Aphrodite nennen, und es ist ihretwegen,
dass ich es ertragen habe, solche Meere zu durchqueren.
Ich schließe mich der Ehe an, da Cythereia sie
mir anbietet. Verachte mich nicht, schäme dich nicht
meiner Liebe. Ich werde nichts sagen - warum
soll ich dir etwas sagen, die weiß so viel? Denn du weißt,
dass Menelaos von einer unwürdigen Rasse ist.
Nicht so, wie du bei den Argivern geboren wurdest;
denn sie wachsen mit schlechteren Gliedern und haben
das Aussehen von Männern und sind nur Bastardfrauen.
So sprach er. Und die schöne Dame richtete
ihre schönen Augen auf den Boden, und lange Zeit
perplex antwortete sie nicht. Endlich erstaunte sie aber
und hob ihre Stimme und sagte: Gewiss, o Fremder,
haben Poseidon und Apollon in alten Zeiten
das Fundament deines Vaterlandes gebaut? Ich hätte
die listigen Werke der Unsterblichen und die schrillen
Weiden des Hirten Apollon gesehen, wo Apollon
oft durch die von Gott erbauten Vorhallen der Tore
den Kühen des schlurfenden Ganges folgte. Komm jetzt,
trage mich von Sparta nach Troja! Ich werde dir folgen,
wie Cythereia, die Königin der Ehe, es gebietet.
Ich fürchte Menelaos nicht, wenn Troja mich kennen wird.
So streckte die Frau mit dem schönen Haar
ihre Treue aus. Und Nacht, Ruhe von der Arbeit
nach der Reise der Sonne, brachte erleichternden Schlaf
und brachte den Anfang des wandernden Morgens;
und öffnete die zwei Tore der Träume: ein Tor
der Wahrheit (es glänzte mit dem Glanz des Horns)
woher springen die unfehlbaren Botschaften der Götter;
das andere das Tor der Täuschung, Amme der leeren Träume.
Und er trug Helena von den Lauben des gastfreundlichen
Menelaos zu den Ufern seiner Seeschiffe;
und in dem Versprechen von Cythereia außerordentlich
frohlockend, beeilte er sich, Ilios seine Beute zu bringen.
Und Hermine warf ihren Schleier in den Wind und heulte,
als der Morgen aufging, unter vielen Tränen.
Und oft nahm sie ihre Mägde außerhalb ihrer Kammer,
mit schrillsten Schreien hob sie ihre Stimme aus
und sagte: Mädchen! Wohin ist meine Mutter gegangen
und hat mich in schwerem Kummer verlassen,
hat jene gestern mit mir die Schlüssel der Kammer
genommen und ist in einem Bett mit mir gelegen
und ist eingeschlafen in den Armen von Morpheus?
So sprach sie weinend, und die Mädchen jammerten
mit ihr. Und die Frauen versammelten sich
zu beiden Seiten durch die Vorhalle und bemühten sich,
Hermine in ihrem Wehklagen zu trösten:
Trauerndes Kind, bleib bei deinen Klagen,
deine Mutter ist gegangen, und sie wird wiederkommen.
Du wirst, wenn du noch immer unterm Himmel bist,
sie sehen. Deine Augen sind geblendet von Tränen,
und deine blühenden Wangen sind von vielem Weinen
getrübt. Glücklich ist sie zu einer Versammlung
von Frauen in der Versammlung gegangen und steht,
vom geraden Weg abgewandert, verzweifelt,
oder sie ist auf die Wiese gegangen und setzt sich
auf die getaufte Ebene der Horen, oder sie ist gegangen,
um ihren Körper im Fluss ihrer Väter zu waschen
und an den Strömen von Eurotas zu verweilen.
Da sprach die trauernde Jungfrau: Sie kennt den Hügel,
sie hat Geschick in den Flüssen, sie kennt die Pfade
zu den Rosen, zur Wiese. Was sagt ihr zu mir, ihr Frauen?
Die Sterne schlafen, und sie ruht zwischen den Felsen;
die Sterne steigen auf, und sie kommt nicht nach Hause.
Meine Mutter, wo bist du? Auf welchen Hügeln wohnst du?
Haben dich wilde Tiere in deiner Wanderung getötet?
Aber selbst die wilden Tiere zittern vor den Nachkommen
des hohen Zeus! Bist du auf dem staubigen Boden
von deinem Wagen gefallen und hast deinen Körper
im einsamen Dickicht zurückgelassen? Aber ich habe
die Bäume der vielfaltigen Gehölze im schattigen Wald
durchsucht, ja, sogar bis zu den Blättern, aber
deine schöne Form habe ich nicht gesehen;
und den Wald beschuldige ich nicht. Hast du das glatte
Wasser in der Tiefe bedeckt, schwimmst du
in den feuchten Strömungen des murmelnden Eurotas?
Aber selbst in den Flüssen und in den Tiefen des Meeres
leben die Najaden und töten nicht die schönen Frauen.
So jammerte sie und lehnte zurück ihren Nacken
und atmete Schlaf, der mit dem Tod geht; denn wahrlich,
es war bestimmt, dass beide alle Dinge gemeinsam haben
und der jüngere den Werken des älteren Bruders
nachgehen sollte. Daher schlafen die Frauen oft
mit schmerzenden Augen, während sie weinen,
und schlafen ein. Und inmitten der Täuschungen
der Träume wanderte sie dahin, dass sie ihre Mutter sah;
und erstaunt schrie die Jungfrau in ihrer Trauer auf:
Gestern zu meinem Bedauern bist du von mir
aus dem Haus geflohen und hast mich auf dem Bett
meines Vaters schlafen lassen. Welchen Berg
habe ich allein gelassen? Welchen Hügel habe ich
vernachlässigt? Bist du also die Liebe der Aphrodite?
Da redete die Tochter von Tyndareus zu ihr und sagte:
Mein trauriges Kind, gib mir nicht die Schuld,
die schreckliche Dinge erlitten hat. Der betrügerische
Mann, der gestern kam, hat mich fort getragen!
So sprach sie, und die Jungfrau sprang auf
und sah nicht ihre Mutter, stieß einen noch durchdringenderen
Schrei aus und jammerte: Vögel, geflügelte Kinder
der Brut der Luft, geht nach Kreta und sagt zu Menelaos:
Gestern kam ein gesetzloser Mann nach Sparta und hat
die ganze Herrlichkeit deiner Hallen verschwendet!
So sprach sie mit vielen Tränen in die Luft, und suchend
nach ihrer Mutter wanderte sie umsonst. Und zu den Städten
der Ciconen und der Meerenge der Äolischen Helle,
in die Häfen von Dardanien, brachte der Bräutigam
seine Braut. Und Cassandra auf der Akropolis,
als sie die Neuankömmlinge erblickte, riss sich die Haare aus
und warf ihren goldenen Schleier weg. Aber Troja
sperrte die Riegel ihrer hoch gebauten Tore auf
und empfing bei seiner Rückkehr ihren Bürger,
der die Quelle ihres Weh war, und die schöne Helena.
SECHSTER GESANG
Tiere wilder Natur, die den Menschen im Innern erschrecken,
Zeigten sich milder und sanfter als du, mein Verräter, mir jemals;
Treulosere Hände, o Theseus, hat nie mich die Welt anvertraut.
Dieser Brief, den du liest, entsandt ich von jener Gestade,
Wo dein ruderndes Schiff mit ausgebreiteten Segeln
Mich in der Kälte verließ und dem Wind mich erbarmungslos preisgab.
Dort verriet mich der Schlaf, und auch du, du barbarischer Wächter,
Nutztest schändlich die Stunde, wo schlummernd ich nichts mehr gewahrte.
Damals war es die Zeit, da die Erde mit funkelndem Reife
Langsam sich deckt, und die Vögel, die flüchtig im Laube verweilen,
Klagten dem schwindenen Jahr die letzten, welken Gesänge.
Halb noch im Schlummer lag ich, die Arme träge gestreckt,
Um den geliebten Theseus zu finden – doch fand ich ihn nicht dort!
Zitternd zog ich die Hände zurück und suchte von neuem.
Rastlos wanderten meine Finger das Lager entlang,
Doch kein Theseus war da. Da wich der Schlaf meiner Angst.
Plötzlich sprang ich empor, aus dem Bett, das mich elend umschlang,
Riss die Glieder hinaus und schlug mit rasenden Händen
Tief in die Brust, die von Schlägen der Verzweiflung erdröhnte.
Wütend zerriss ich mein Haar, das vom Schlummer noch wirr mir herabfiel.
Mondlicht warf seine Strahlen; ich spähte umher, ob am Ufer
Irgendein Hoffnungszeichen zu sehn sei. Doch außer der Küste
Sahen die Augen nichts, wo sie suchend nach dir sich sehnten.
Hin und her lief ich, wirr, dem Ufer entgegeneilend,
Tastend mit zarten Füßen im nachgiebigen, trügerischen Sande.
Felsen rings widerhallten dem Schrei, den mein Mund in die Leere
Rief, den Namen des Treulosen, klagend von Zorn und von Kummer.
Wo ich Theseus nannte, da klang es mir wieder entgegen,
Als ob die Klippe mein Leid mit zitternder Stimme beklagte.
Nah am Ufer erhob sich ein Fels, umkränzt von Gesträuch,
Steil ragte er auf, von der brandenden Welle umspült.
Diesen erstieg ich, getrieben von rasendem Schmerz;
Von der Höhe dort sah ich hinaus auf das weite, schaurige Meer.
Und, o grausame Winde, da flog, getragen von euch,
Theseus’ Segel dahin, voll gespannt von stürmischer Südluft.
Halb erstarrt blieb ich stehen, als ich die weißen Tücher
Sah, oder zu sehen vermeinte – das Herz schien wie Eis mir zu stocken.
Doch bald löste der Kummer den Bann: Ich hob meine Stimme,
Rief in die Leere hinaus, den Namen des Flüchtigen rufend:
„Wohin fliehst du? Kehre zurück, du Falscher, du Meineidiger!
Wende das Steuer zurück; das Schiff fährt ohne Besatzung!“
So klagte ich laut, die Arme zum Himmel erhoben,
Machte durch wildes Rufen das Fehlen der Worte vergessen.
Weißes Tuch schwenkte ich, ließ es weithin leuchten im Winde,
Dass, wenn Ohren dich täuschten, die Augen noch Kunde dir brächten.
Aber ach, bald entschwanden die Segel dem Blick; da zerflossen
Tränen aus Augen, die starr vor Kummer bisher sich verweigert.
Was konnt ich tun, da dein Bild mir entschwunden, als klagen?
Oft irr ich umher, das Haar zerrauft wie die rasenden Mänaden,
Die, von bacchischem Wahn erfüllt, durch die Wälder gestürmt.
Manchmal sitz ich still, den Blick ins endlose Meer,
Kalt und starr wie der Stein, der meinen Körper trägt.
Doch dann wandre ich wieder zurück zu dem Lager der Liebe,
Küsse die Stelle, wo einst dein Körper geruht,
Wärme mein Herz an der Spur der vergangenen Glut.
Nieder werf ich mich hin und tränke das Lager mit Tränen,
Reichlich und schwer. Hier drückten wir zärtlich uns beide;
Bringe uns wieder zusammen, o treulose Stätte!
Hierher kamen wir einst; warum nicht beide auch fort hier?
Treuloses Lager, was ist aus meiner Hälfte geworden?
Was soll ich tun, wohin in Verzweiflung nun fliehen?
Kahl ist die Insel, es fehlen die Spuren von Menschen,
Keinerlei Herde, kein Vieh; das Meer umgibt mich bedrohlich.
Seemänner fehlen, kein Schiff, das mich durch die Gefahr führt.
Wär ein Schiff da mit Gefährten und lenkbaren Winden,
Was könnt ich tun? Mein Heimatland schließt mir die Pforten.
Selbst wenn ich heil die Meere des Äolus durchquere,
Wenn er die wütenden Stürme im Schlummer bändigt,
Bleib ich dennoch ein Exilant, verlassen und einsam.
Nimmer werd ich dich sehen, o Kreta, Insel der Städte,
Hundert im Glanz; wo einst der junge Zeus sich genährt hat.
Schändlich verriet ich mein Reich, das gerechte Gesetze
Lenkt, und den Vater, den Namen, der ewig mir teuer.
Dir war alles geopfert, als ich, aus Sorge, du könntest
Töricht verwirrt im Labyrinth den Tod nur entdecken,
Dir den Faden gereicht, der sicher die Schritte dir lenkte.
Trügerisch warst du, o Theseus, schworst bei den Göttern,
Dass wir vereint, solange wir lebten, immer verbleiben.
Doch wir leben, und dennoch bin ich nicht länger die Deine.
Sag, wie lebt die Verratene noch, die der Meineid dir opferte?
Hättest du grausam mich damals erschlagen mit jener
Keule, die einst den Bruder mir traf, es hätte den Eid dir
Gekündigt. Doch was blieb, ist das Joch dieses Lebens in Ketten.
Übel nur ahn ich, die kommende Not ist noch schlimmer.
Tausend Gestalten des Todes umwandeln mein Sehnen,
Leichter erscheint mir der Tod als ein elendes Leben.
Wölfe denk ich zu sehen, die mit schrecklichen Zähnen
Meine Eingeweide zerreißen; oder es wimmelt
Hier von Tigern, verborgen im Dickicht, lauernd auf Opfer.
Löwen mag die Insel wohl nähren, Seekühe die Strände.
Wie schützt mich die Wehr gegen das Schwert eines Mörders?
Oder ich werde versklavt und in schändlichem Dienste gebunden,
Hände geduckt, die doch einst nach königlichem Erbe
Strebten, Tochter von Minos und Enkelin Phoebus' zu heißen.
Alles umher bedroht mich, ob Welle, Erde, Gestade,
Nur die Gestirne des Himmels verbleiben, doch fürchte
Selbst ich dort die Gestalten der Götter, die mich verfolgen.
Rohes Getier mag kommen, zu reißen Fleisch und Gebeine.
Menschen, so hier sie wohnen, wie kann ich auf sie vertrauen?
Schon als Geprüfte hab ich gelernt, Fremden zu misstrauen.
Oh, dass Androgeos lebte und Kekrops' Athen noch
Unbelastet, nicht Sühne verlangte in Trauer und Blutbad!
Oh, dass Theseus’ Arm nicht den unholden Bruder, den Stiermann,
Einst erschlug und der Faden dir Wege zurückgab!
Kein Wunder war es, dass Sieg dir ward in der Schlacht noch gewährt,
Da das stürzende Ungeheuer mit blutigem Leib
Kretas Boden durchtränkt und niedergestreckt lag im Staub.
Solch ein gestähltes Herz, durch keine Hörner durchbohrt,
Wäre sicher geblieben, selbst wenn es nackt sich gestellt.
Hättest du, kühner Held, ihm bar mit der Brust dich genähert,
Hätte kein Schaden dir jemals drohen können im Kampf.
Feuerstein und Diamant umgaben dich tapfer zur Wehr,
Doch war’s Theseus, der härter noch war als härtester Stein.
Grausamer Schlaf, warum bindest du mich an den Tod,
Schlingst mich an Untätigkeit, wie ein träges Tier, das zerfällt?
Wär es nicht besser gewesen, dass ewige Nacht mich umfängt,
Statt dass ich hier vergebens klage und flehe zu dir?
Auch ihr Winde, so grausam und wild, habt über mich Macht,
Stürme, ihr scharfen, die bitterste Tränen aus Augen mir trieben.
O unmenschliche Hand, die die Flüche von Brüdern mir brachte,
Treue, ein leerer Name, zerbrochen durch falschen Eid!
Schlaf, Winde und Schwüre, sie alle verschworen sich gegen mich,
Täuschten ein ahnungslos Mädchen, das harmlos vertraute dem Wort.
Muss ich hier meinen letzten Atemzug seufzend entfliehn?
Muss ich den Schmerz einer Mutter in stummen Tränen erblicken,
Da, wo kein treues Geschöpf mir die Augen schließt in der Not?
Soll mein Geist sich in fremder, feindlicher Luft noch verlieren,
Ohne dass Hände ihn salben, die liebevoll Freundschaft mir boten?
Soll mein Körper verwesen, ein Fraß für gierige Vögel,
Unbegraben und einsam? Ist dies die gerechte Belohnung,
Die für Liebe und Dienste ich kläglich zurück nur empfange?
Wenn du den Hafen von Kekrops erreichst, vom Volk wohl empfangen,
Wenn du stolz die Zitadelle erklimmst und die Stadt überblickst,
Berichte von deinem Triumph über das mörderische Ungeheuer,
Das du besiegtest im Labyrinth, mit tausend verwirrenden Gängen.
Doch erzähl auch, wie du mich in ein wüstes Land hast gestoßen:
Sollte das kläglich Schicksal der Ariadne vergessen verbleiben?
Nicht Ägeus, nicht Aithra, die edle, gebar solche Härte –
Nein, aus tosendem Meer oder scharfen Felsen entsprangst du.
Hättest du mich vom Schiffsheck erblickt, verzweifelt in Tränen,
Wie ich stand, ein Bild des Kummers, mit zerzaustem Haar,
Sicherlich hätte dein Herz sich vor Mitleid sanft dir gewendet.
Doch da du mich nicht siehst, so stelle dir vor, wie ich hange,
Über Felsen gebückt, vom tosenden Meer umspült.
Schau mein zerzaustes Haar, das über mein trauerndes Antlitz fällt,
Schwer vom bitteren Regen, aus Tränen geboren, benetzt.
Zitternd steht mein Leib, wie Korn, vom Nordwind geschüttelt,
Meine Hand, sie schwankt, und die Schrift entgleitet dem Zittern.
Nicht um Verdienste fleh ich zu dir, nicht um gerechte Belohnung,
Doch welchen Grund hast du, mich so zu quälen und auszusetzen?
Wenn selbst kleinster Dienst dir nichts bedeutete, Theseus,
Hättest du dennoch vermeiden können, mein Mörder zu sein.
Sieh, die unglückliche Ariadne streckt dir die Hände,
Schwach und vom Kummer zerschlagen, über das weite Meer.
Oh, kehr zurück mit dem Schiff, noch ist es nicht zu spät,
Zieh dein Segel zurück und rette, was Liebe einst war.
Doch wenn ich sterbe, bevor dein Blick mich erreicht,
Sammle dann meine Gebeine und trage sie heim.
SIEBENTER GESANG
Mitten im Palast dort glänzt das heilige Sofa,
Festlich geschmückt für die Hochzeit der strahlenden Göttin.
Indisches Elfenbein leuchtet, purpurn gefärbt,
Glänzt in den Farben, die Murex, die Muschel, geboren.
Kunstvoll gewebt zeigt das Tuch mit den wunderbaren Mustern,
Herrlich die Taten der Götter und Menschen zugleich.
Hier sieht man die Wellen am Ufer der Insel Naxos,
Theseus flieht auf dem Schiff, von Ariadne verfolgt,
Diese, verlassen, noch voller Liebe, nicht glaubend,
Dass ihre Augen das Leid, das sie sieht, wirklich schauen.
Kaum aus dem irreführenden Schlummer erwacht,
Steht sie, fremd und allein, auf dem leeren Strand in Verzweiflung.
Doch der Held, der sie ließ, rudert flüchtig die Fluten,
Wirft sein vergebliches Wort in den Wind, der es stiehlt.
Ariadne indes bleibt stumm, schaut traurig ins Weite,
Tränen verschleiern den Blick, der die Wellen durchsucht.
Ach, wie die Schmerzen ihr Herz in den Tiefen durchwühlen!
Band nicht mehr das Gewand, das die weißen Brüste verhüllte,
Löste der Schmerz den Schleier vom goldenen Haar,
Über die Füße spielen die salzigen Wellen des Meeres,
Doch sie achtet nicht darauf, schaut nur Theseus nach.
Elend! Die strahlende Venus hat Dornen gesät,
Füllt mit ewiger Trauer das Herz der verlassenen Jungfrau,
Seit der Held, von Minerva geführt, nach Kreta gezogen,
Jenen Ort, wo das Grauen im Labyrinth lauerte tief.
Furchtbarer Fluch des Mordes an Androgeus lastet,
Göttergesandte Strafe für Athens schlimme Schuld.
Zwanzig Athener, Jünglinge zehn, zehn Mädchen als Opfer,
Sandte der König nach Kreta, das Untier zu nähren.
Doch da trat Theseus auf, der Held, mit tapferem Willen,
Lieber den Tod für Athen als unsägliches Leid.
Rasch mit dem Schiff und einem günstigen Wind,
Segelte er zum Palast des großen Minos, des Königs.
Dort, als Ariadne ihn sah, mit flammendem Herzen,
Fand die Leidenschaft Einzug in keuscher Umarmung der Seele.
Wie der Myrtenstrauch blüht am frischen Fluss des Eurotas,
So erblühte ihr Blick und ließ das Begehren entbrennen.
Ach, wie leidvoll die Liebe des Gottes, die Herzen entzündet,
Freud und Leid unzertrennlich in sterbliche Wesen gießt!
Doch was soll ich erzählen vom Helden, dem sie geholfen?
Welcher die Fäden nahm, um das Labyrinth zu bezwingen?
Wieder zur Flamme kehr ich, die mir die Verse gebietet.
Da verließ sie das Haus, mit Tränen den Vater am Herzen,
Schwestern umarmend, zuletzt auch die Mutter in Elend,
Die, obgleich sie sich freute der Tochter erhobener Liebe,
Weinte, vom Schmerz um das Los der Verlassenen gequält.
Oder sie wurde, getragen vom Schiff, zu Naxos' Gestaden,
Wo sie, allein, das Herz ihres falschen Gemahls verlor,
Der mit verschlagenem Sinn und unbarmherziger List sie,
Weinend, ließ, als die Augen im tiefen Schlummer sich senkten.
Oft erhob sie das Schreien, durchbohrt von glühender Raserei,
Riss die Klippen hinauf in der Qual unbändiger Trauer,
Wo sich die weite See in der Ferne den Blicken eröffnet,
Dann stürzte sie hin zu den Wellen, den zitternden Schaum auf,
Hielt dabei das Gewand, das sanft ihre Waden umhüllte.
Dort, in der Not, rief sie zum letzten Mal ihre Klage,
Tränenströme ergoss sie, in Schluchzen erstickte ihr Ruf:
Falscher Theseus, warum entrissest du mir das Gefilde
Meines Vaters, um mich in der Einöde schändlich zu lassen?
Treuloser Mann, so lässt du mich einsam, ohne Erbarmen,
Fern von der Heimat, entführt von den Küsten des Vaterlands?
Ach, kein Gott hat dich, verstockter Verräter, geseh’n,
Als du mit listigen Worten mein Herz in Liebe gefangen?
Gab es kein Maß in der Grausamkeit deines unheilen Geistes,
Keine Barmherzigkeit, kein Erbarmen für meine Verzweiflung?
So rief sie, doch nutzlos erschallten die Worte im Winde.
Schon entfernte das Schiff sich, das Meer verschlang seine Spuren,
Nichts von Menschen war mehr in der weiten Einöde sichtbar.
Nur die grausame See verspottete stumm ihre Klagen,
Nahm ihr selbst das Gehör für die Stimme der eigenen Qual.
Allmächtiger Jupiter, hör! Hätten die Schiffe der Griechen,
Niemals berührt Kreta, die Ufer des großen Knossos,
Waffen und Tod in den Bäuchen, geführt von treulosen Händen,
Hätten wir Frieden bewahrt in unseren Hallen des Ruhms!
Denn ein Verräter an Bord, der in Kreta den Anker befestigt,
Trägt in listigem Sinn ein grausames Werk in sich selbst.
Unter der Maske des Schönen birgt er das Unheil im Herzen,
Ruhe heuchelnd und doch Tod für unser Haus bereitend.
Wo soll ich, Verlassene, noch Zuflucht finden, wohin fliehen?
Welche verzweifelte Hoffnung erhebt sich aus dunkler Bedrängnis?
Soll ich den Hängen des Ida vertrauen, dem Heimatort suchen?
Doch das trennende Meer birgt unergründliche Tiefen,
Wellen, die gnadenlos scheiden von all meinen Lieben die Wege.
Soll ich den Schutz meines Vaters ersehnen, den ich verraten,
Fliehend, dem Mann folgend, der meines Bruders Blut trug?
Kann ich vertrauen auf Liebe, die flüchtig vom Ruder sich wendet,
Hin zu den wogenden Meeren, mich einsam hier zurücklassend?
Ach, ich lebe allein auf einer schutzlosen Insel,
Kein Entkommen im Blick, kein Ende des weiten Gewässers.
Keine Hoffnung am Horizont, kein Rettungsweg offen;
Stille umschließt mich, Leere verkündet den Untergang lautlos.
Doch nicht senken die Augen sich jetzt im Tode, nicht ehre,
Bis die Götter ihr Urteil gefällt, bis Recht mich ereilet.
Götter, hört mein Gebet! Gebt mir Gnade zur letzten Stunde,
Wahrheit und Recht aus eurer ewigen Macht hernieder!
Furien, die mit flammendem Atem die Schuldigen strafen,
Krönt eure Stirnen mit scharfen Haaren, mit Zornesgewalt.
Kommt herab zu mir, hört die Klagen der leidenden Seele,
Hört die Flammen, die tief aus meinem Knochenmark lodern!
Blind vor wütender Wut erhebe ich Stimmen des Zornes,
Flehe euch an, verfolgt Theseus mit mörderischem Rachezug.
Da sie gesprochen dies, mit Schmerz aus bebender Brust,
Nickte der Herr der Götter in unbesiegbarer Macht,
Dass Erde und Meer erbebten und Sterne in Schrecken erblassten.
Dunkel ward Theseus Geist, ein Nebel verhüllte das Denken,
Seines Vaters Mahnung entschwand, als Athen er erblickte,
Vergessen die Flaggen des Trosts, die er hätte erheben.
Denn als der Vater, Aegeus, den Sohn einst entließ,
Warnte er diesen, traurig und bang in väterlicher Sorge:
„Sohn, mein lieberer Schatz als das Leben, kehre zurück,
Denke an meine Verzweiflung, die grauenhaften Nächte,
Hebe die weißen Segel zum Zeichen glücklicher Wiederkehr.
Diese Worte an Theseus gerichtet, so spricht man, die Kunde:
Einstmals hielt er ihn stets in den Augen, mit wachsamem Blicke;
Doch wie der Schnee, der vom Winde gepeitscht auf den Gipfeln
Hoher Gebirge verweht, so schwand er aus seinem Gesichte.
Aber der Vater, sein Haupt von der Zitadelle erhebend,
Schaute mit bangem Gesicht und Tränen, die strömten, in Fülle.
Zuerst erspähte sein Blick das Segel des düsteren Stoffes,
Schwarzes Omen des Schicksals, und glaubte Theseus verloren.
Da, von unsäglicher Qual, von Trauer geschlagen, verzweifelt,
Stürzte er kopfüber herab von der ragenden Klippe,
Dachte, das Schicksal entführte den Sohn ihm zu ewiger Dunkel.
So trat Theseus ein in den Palast, bedrückt von der Nachricht,
Dass durch den Fehler des Segels der Vater das Leben verloren.
Selbst in Trauer versenkt, von Schuldbewusstsein gequält nun,
Vernachlässigte er jene, die ihm so treulich ergeben:
Ariadne, die stand, vom Felsen die Ferne betrachtend,
Wo das Schiff längst entschwand, und die Sorgen quälten ihr Inneres.
Doch der erhabene Bacchus, vom Herzen der Berge kommend,
Rief mit brennender Glut, von Liebe zu Ariadne entflammt,
Seine Schar von Silenen und Satyren, die ihm gehorchten,
Suchte das Mädchen, das dort mit den Schmerzen des Herzens verharrte.
Und mit wilder Verzückung durchrauschten die tobenden Mänaden
Berg und Tal, mit Geschrei der Evhoe-Rufe erschallend.
Manche wirbelten Thyrsusstäbe mit Spitzen verborgen,
Manche rissen die Felle von brüllenden Ochsen in Stücke,
Andere schlängelten sich in den Windungen zweier Gewürme,
Und vollzogen im Kreis die geheimnisvollen Zeremonien,
Die die Eingeweihten nur kannten, das Heilige wahrend.
Andere schlugen die Trommel mit flacher Hand in Ekstase,
Oder erhoben den Klang der Becken, klar und durchdringend.
Hörner erschallten im Takt, unablässig erklangen die Flöten,
Barbarisch und wild, die Töne durchdrangen die lauernde Stille.
ACHTER GESANG
Wir kommen nun zum Gesang, der Liebe und Leid uns enthüllet,
Wo Perseus leuchtet und Ikaros’ Tod uns berührt,
Ariadne erscheint, in prächtigen Kleidern umhüllt.
Schon lief flüsternd das Wort durch Gassen und Plätze von Athen,
Dionysos sei nah, der fröhliche Gott der Trauben,
Attika wolle der Herr mit seiner Gnade beehren.
Und die Stadt brach aus, ein wirbelnder Tanz war zu sehen:
Wilde Freuden erklangen, die Straßen leuchteten farbig,
Hände flatterten hoch, und Tücher schmückten die Wege.
Weinlaub rankte sich zierlich um Säulen und Tore der Stadt,
Wie es der Gott selbst wachsen ließ zur Ehre des Festes.
Frauen banden geheimnisvolle Metallplatten um sich,
Hingen sie über die Brust, umrahmt von schimmerndem Stoff,
Mägde flochten sich Efeu in üppiges attisches Haar,
Tanzten im Reigen und trugen Blumenkränze zur Zier.
Ilissos ließ mit lebendigem Rauschen die Wellen
Rund um die Mauern zieh’n, zu Ehren des Gottes des Weins,
Während der Kephisos die Evische Melodie brachte,
Sangesfreudig erklang sein Ruf in tanzenden Klängen.
Fruchtbar spross aus der Erde von selbst die Rebe hervor,
Schwer von Trauben, die süß an den Hainen von Marathon reiften.
Zweifarbige Rosen erblühten, Lilien entsprangen
Hügeln, Wiesen und Tälern, ein Fest der schaffenden Flur.
Phrygische Flöten antworteten Athenas Schalmei,
Doppelte Lieder erklangen im acharnischen Rohr,
Während die Bacchantinnen in Harmonie sich bewegten,
Fackeln schwangen zur Nacht und Zagreus laut verehrten,
Neben dem jüngst gebor’nen Dionysos im Chor.
Selbst die Nachtigall sang, ihr melodiöses Geklage
Wob von Philomela und Itys die Mythen der Leiden.
Unter den Dächern schwirrten Vögel, Zephyros’ Kinder,
Warfen die Tereus-Sage hinweg im Wind ihrer Flügel.
Keiner war, der nicht tanzte im Rausch des festlichen Jubels.
Bald zog Bacchus zum Haus des eifrigen Alten Icarios,
Der im Pflanzen der Bäume die Nachbarn stets übertraf.
Freudig tanzte der Greis auf töricht wankenden Füßen,
Sah er den Gott des Weins als gnädigen Gast vor der Tür.
Seine spärliche Tafel bot er dem hohen Besucher,
Während Erigone eilte, Ziegenmilch zu bereiten.
Doch Bacchus hielt sie zurück und reichte stattdessen
Schläuche, gefüllt mit heilkräftigem Wein.
Süßer Duft erfüllte den Raum, als Bacchus die Becher
Füllte und seinem Gastgeber reichen Segen versprach.
Doch siehe, das Ende nahte: Der Wein, so freundlich gereicht,
Bringt Verderben und Leid. Die Tochter trug nicht die Trauben,
Sondern die Ähre als Zeichen des kummervollen Verlusts.
Zeus selbst nahm den Alten empor zu den Sternen des Himmels,
Setzte ihn nahe der Jungfrau mit schimmernder Ähre.
Bootes leuchtet hell, der Pflüger, der Sterne beweget,
Neben ihm Sirius, der den Hasen jagt im Gefilde.
So erzählt uns die Sage, vermischt mit Lügen und Wahrheit;
Doch der höchste Kronion gab uns göttliche Zeichen:
Erigone, die Jungfrau, und ihren treuen Gefährten,
Ewig am Himmel vereint in des Sternbilds glänzendem Reigen.
Nun verließ Bacchus die Ströme des honigsüßen Ilissos,
Wandte sich Naxos zu, dem weinumrankten Bezirk.
Eros schwang dort die Flügel, und Kythereia wies ihm
Lächelnd den Weg, bevor der bräutliche Gott ihn betrat.
Denn Theseus war entflohn, Ariadne lag verlassen,
Schlafend am Ufer allein, mit Tränen umhüllt vom Verrat.
Als Dionysos die schlafende Ariadne erblickte,
Mischte sich Liebe in ihm mit Verwunderung, staunend begann er,
Seine Bewunderung sacht zu verkünden den tanzenden Mänaden:
Haltet, Bassariden, still, lasst schweigen die Tamburine,
Flöten verstummen und tanzt nicht mit stampfenden Füßen im Kreise!
Kypris soll ruhen heut Nacht; lasst Liebe den Frieden bewahren!
Doch, ach, trägt sie nicht den Kestos, Zeichen der Kypris, der Göttin.
Ist es vielleicht die Gnade, die mit Hypnos sich vermählte?
Schlauer Gedanke, wahrlich! Doch da die Dämmerung dämmert
Und uns der Morgen naht, erweckt Pasithea vom Schlummer!
Wer gab der nackten Anmut auf Naxos ein Hüllenkleid?
War es Hebe? Doch wem ließ sie den Becher der Seligen?
War es Selene vielleicht, die leuchtende Treiberin Herden?
Liegt sie am Meeresstrand, getrennt von ihrem Geliebten?
Wie soll sie schlafen getrennt vom ewigen Endymion?
Ist es die silberne Thetis, die mir am Ufer erscheint?
Nein, sie ist nicht nackt, so rosig schimmert die Gestalt.
Wenn ich wagen darf zu sagen: Es ist die Bogenschützin,
Die sich in Naxos ruht von der Mühe jagender Tage.
Ja, die Erschöpfung der Jagd, der Schweiß ist im Meer abgespült,
Denn nur die Arbeit bereitet den süßen Schlummer der Nächte.
Doch wer hat Artemis je in langen Gewändern gesehen?
Bassariden, bleibt stehen – haltet an, oh Mänaden!
Singt nicht mehr, tanzt nicht mehr, Pan, spiel leis auf der Flöte,
Damit du nicht störst den Morgenfrieden der Pallas Athene.
Aber - wo ließ Pallas den Speer, den bronzenen Helm,
Oder die Aegis, den Schild der unbesiegbaren Jungfrau?
So rief Bacchus aus; da flog der Schlaf von den Lidern,
Und die arme Ariadne erwachte aus tiefem Schlummer.
Leer war der Sand, kein Schiff, kein Gatte, der Täuscher, zu sehen!
Klagend erhob sie die Stimme mit Eisvögeln am Ufer,
Schritt das brausende Meer entlang, das alles, was blieb, ihr.
Rief nach dem Namen des Mannes, suchte zürnend die Schiffe,
Fluchte dem neidischen Schlaf und tadelte Paphos' Mutter,
Flehte zu Boreas' Wind und rief Oreithyia innig,
Dass sie den Geliebten zurück auf Naxos brächten im Sturm.
Doch Aiolos selber, hart, erhörte die flehenden Worte,
Sandte den Gegenwind aus, doch Boreas, selbst ein Verliebter,
Hörte nicht zu, ließ treiben das Schiff zum athenischen Lande.
Selbst Eros staunte und sah die Jungfrau mit Tränen,
Glaubte die Göttin zu sehen, betrübt in freudenvollem Naxos.
Schöner erstrahlte ihr Kummer, ihr Schmerz wurde zur Gnade,
Trauernd war sie gewaltiger noch als Aphrodite im Lächeln.
Neben den weinenden Augen verschwanden die Grazien selbst,
Weichend vor Ariadnes erhabenen, glänzenden Tränen.
Endlich fand sie die Stimme inmitten des Schmerzes und rief so:
Süßer Schlaf, du kamst, als Theseus fern von mir eilte,
Süßer Geliebter, o hätt’ ich mein Glück noch gefunden,
Damals, als er mich verließ! Doch im Traum sah ich die Stätte,
Wo die Stadt des Cecrops glänzt, ein prächtiges Fest dort,
Drinnen der Palast erstrahlte; ein Tanz mit Gesängen,
Und Ariadna gepriesen von jubelnden Chören der Liebe.
Meine glückliche Hand schmückte den blühenden Altar,
Üppig mit Blumen des Frühlings, den Göttern der Liebe geweiht.
Brautkränze trug ich, neben mir stand Theseus in Prunkkleid,
Opfernd der holden Aphrodite im heiligen Tempel.
Ach, was ein seliger Traum, doch er zerrann in die Lüfte,
Flog wie ein Schatten dahin, und ich blieb einsam zurück hier.
Jungfräulich verweil’ ich; verzeih mir, Peitho, die Klage!
All dieser Brautpomp, diese nebelverschleierte Pracht,
Die wie ein Fest mir erschien, ward von der Dämmerung neidisch
Schon geraubt, und erwachend fand ich nur Kummer und Leere.
Sind die Visionen der Liebe und der Erwiderung eifersüchtig?
Denn ich sah, wie ein Traum die Ehe mir hold sich vollendete,
Aber der schöne Theseus war fern, nur ein Trugbild des Schlafes.
Selbst der Schlaf, der mildeste Trost, ist grausam zu mir nun.
Felsen, sprecht, ihr Zeugen des Schmerzes, sagt es der Liebenden:
Wer entriss mir den Mann aus Athen, den Geliebten des Meeres?
War es Boreas’ Hauch? So ruf ich zu Oreithyia,
Doch sie hasst mein Geschick, denn sie stammt von Marathon her,
Heimat von Theseus, dem Liebsten, der mich verließ. Wenn Zephyros
Weht, so rufe ich Iris, die Braut und die Mutter der Sehnsucht,
Dass sie die Leidende schau’ und ihr Erbarmen gewähre.
Ist es Notos vielleicht oder kühn bläst Euro die Wellen,
So beschwer’ ich mich bei Eos, der Mutter der stürmischen Winde,
Die selbst um Liebe klagt, und flehe ihr Mitleid herbei.
Bring mir wieder den Schlaf, die trügerisch süße Gabe,
Schick mir den köstlichen Traum, der Liebe Flammen beschwöret,
Zeig mir die süße Ruhe des Lagers in Schattenspielen!
Weil nur der Traum mich noch trösten kann in meinem Verluste.
O Theseus, mein verräterischer Bräutigam, sage:
Führten die räuberischen Winde dein Schiff von Naxos?
So will ich eilen zu Aiolos, den wütenden Lüften
Strafen mit bittender Hand, dass sie nicht mehr grausam dich treiben.
War’s aber ein Schiffer, der ohne dein Wissen die Wüste
Naxos mir ließ, so möge sein Ruder niemals den Hafen
Finden in Ruhe; stürmisch sei stets sein Weg auf den Fluten.
Notos möge er fühlen, wenn Boreas heftig erhofft wird,
Euro wehe ihm wild, wenn Zephyros milde ihm nötig.
Winter sei ihm allein, wenn Frühling die Schiffe begünstigt.
Solch einen Faden begehr’ ich mir selber zu spinnen,
Dass ich der Ägäis Wogen entflieh’ und Marathon finde,
Wo ich, Theseus, dich umarmen kann, trotz deines Hasses,
Hasses auf Ariadne. Doch lass mich, o Gatte, dich halten!
Selbst als Kammermagd will ich dir treu ergeben verbleiben,
Teil’ dein Lager mit dir und sei dir Ariadne in Marathon,
Nicht mehr in Kreta; wie ein gefangenes Mädchen ertrag’ ich’s,
Dir, der Glücklichsten Braut, als Dienerin treu mich zu fügen.
Willig bewege ich den klappernden Webstuhl des Hauses,
Hebe den Krug auf neidischen Schultern, gewöhne mich mühsam
An die schwere Last und bringe nach dem Mahl deine Kleider,
Wasche sie sanft mit Händen, nur dass ich dich wieder erblicke!
Auch meine Mutter, die einst als Magd dem Bauern gedienet,
Beugte das Haupt dem Hirten und liebte den stummen Stier,
Auf der Weide ihm nah, in seltsamer Zuneigung glühend,
Gab dem wilden Tier die Liebe und zeugte ein Kalb ihm.
Nicht dem Hirten lauschte sie, spielend auf klingender Flöte,
Nein, des Stieres Brüllen war ihr das einzig Begehrenswerte.
Ich jedoch will keine Krücke, kein Joch, kein dunkles Gehege;
Aber an deiner Seite, Theseus, will ich dich hören,
Deine Stimme allein – nicht Brüllen, nicht tierische Laute.
Lieder will ich singen für deine Hochzeit, die freudige,
Selbst meine Eifersucht verberg’ ich, der frischvermählten Braut zuliebe.
Seemann, halte dein Schiff, am Ufer von Naxos verweile!
Lass mich nicht hier zurück, nimm mich mit auf deinen Fahrten!
Kommst du aus Marathon, der Heimat der Liebe und Freiheit,
Nimm dies unglückliche Mädchen mit, dass sie Athen sehe,
Die Stadt des Cecrops, Heimat des Theseus, meiner Ersehnten.
Musst du mich lassen, o harter, erbarmungsloser Verräter,
Sag ihm, Theseus, dass Ariadne klagt und ihn tadelt,
Schwer ihr Herz von Verrat und der Schwüre schwindender Liebe.
Ich weiß wohl, warum Eros, der zornige Gott der Begierde,
Theseus’ Eid nicht hielt, den er mit List dir entwandte.
Nicht bei Hera, der Göttin der Treuen, hat er geschworen,
Sondern bei Pallas, der Jungfrau, der Ehe fremd und verachtend.
Was hat Pallas, die Reine, mit Aphrodite gemein?
Dionysos trat herzu in strahlender Göttlichkeit,
Eros trieb ihn an mit funkelndem Gürtel der Liebe,
Dass er Minos’ Tochter werbe für edlere Pflichten.
Sanft sprach Bacchus, den Schmerz der Verlassenen lindernd:
Jungfrau, warum klagst du um einen Verräter aus Athen?
Theseus, der trügerische Mann, sei nicht deines Herzens Gedanke.
Dionysos, der ewige Gott, ist dein auserwählter Gemahl.
Soll ein sterblicher Jüngling den Unsterblichen überragen?
Theseus, der Minotaurus’ Blut vergoss, verdankt dir das Leben.
Dein Faden allein war’s, der den Helden gerettet im Dunkeln.
Nun sei glücklich, Ariadne! Du tauscht die Armut des Theseus
Gegen Dionysos’ Glanz, des unsterblichen Gottes Begierde.
Was könntest du Höheres bitten, als dieses Geschenk dir zu eigen?
Himmel und Heimat zugleich und den Kronion als Vater,
Hoch ist dein Los, und Kassiopeia kann dir nicht gleichen;
Selbst durch die Tochter Olympens erreicht sie nicht deine Ehren.
Perseus ließ Andromedas Ketten im Sternegewölbe,
Doch dir flechte ich Kränze, die glanzvoller prangen als alle,
Dass du die glänzendste Braut wirst des kronenliebenden Weingotts.
So sprach tröstend der Gott, und die Jungfrau horchte mit Freude,
Schlug in pochendem Herzen den Namen des Theseus nieder,
Warfen die Seufzer des Meers alle Erinnerungen hinweg,
Als sie das göttliche Wort von Bacchus' Lippen empfing.
Eros schmückte derweil das Brautgemach voller Entzücken,
Tanz erklang, und die Blumen umflochten das Lager des Paares;
Hamadryaden sangen und kränzten die Hochzeit mit Liedern,
Naiaden lobten barfuß am Brunnen die göttliche Ehe.
Ortygia jubelte laut, erhob ein Brautlied zu Lyaios,
Dem lichtstrahlenden Herrn, dem Bruder des Apollon.
Eros, der feurige Gott, flocht Blumen in schimmernde Ketten,
Rosen vermengt mit dem Glanz der Sterne, die Krone zu preisen.
Bald, umflogen von Eroten, die tanzten in göttlichen Reigen,
Trat der Vater des Goldes ins Zimmer der liebenden Braut ein,
Segnete Liebe und Saat und die künftige Frucht ihrer Einheit.
Zweitens den Kreis rollte er fort, gedachte Rhea, der Mutter,
Und verließ das heilige Naxos, noch segnend in Gnaden.
Alle Städte durchstreifte er dann im erhabenen Hellas,
Kam zum Inachos-Tal, dem Land der pferdereichen Argiver.
Doch das Volk dort wies ihn ab, um Hera nicht zu erzürnen,
Die den pelasgischen Sitz der Völker waltend beherrschte.
Frauen und Satyrn jagten sie fort, den Thyrsos verachtend,
Dass nicht Zorn aus der Hand der Gattin der Kronen die Stadt träfe.
Doch Dionysos, ergrimmt, sandte den Wahnsinn zur Strafe.
Frauen Achaias schrien, von Wahnsinn wild übermannt,
Griffen Fremdlinge an, die am Kreuzweg arglos verweilten,
Rissen das Leben von Kindern, die einst sie trugen im Schoße.
Eine hob das Schwert, erschlug den erstgeborenen Knaben,
Eine zerschmetterte blind ihr zartes dreijähriges Kind,
Eine schleuderte hoch ihren Sohn, noch suchend die Mutter.
Blut befleckte den Strom des Inachos, sterbende Kleinen
Lagen, vergessen von Müttern, die Brust schien leer ihrer Lasten.
Asterion, wo einst die Jugend als Gabe der Reife
Haare schnitt, empfing nun die Leiber der neugeborenen Kinder.
Als dann Lyaios erschien, erhob sich ein Mann aus dem Volke,
Einer der pelaskischen Lande, und rief mit höhnender Stimme:
Du, der mit Trauben tanzt, Mischling des Weingottes, höre!
Argos hat seinen Perseus, der Hera würdig und mächtig,
Braucht nicht deinesgleichen, nicht dich, den trunkenen Tänzer!
Zeus hat mir einen Sohn gegeben, ich brauche den Bacchus nicht!
Eher trittst du die Trauben im Rausch als den Ruhm in den Städten,
Unser Perseus schneidet mit scharfem Schritt durch die Lüfte!
Haltet den Efeu nicht besser als scharfe Sicheln, o Menschen,
Denn der Perseus mit seiner Sichel besiegt jeden Bacchus.
Bacchus, der einst ein Heer der Inder in Staub hat zerstäubt,
Kündet vom Ruhm; doch Perseus, der Gorgonen Bezwinger,
Wird auch den Dionysos als Indertöter verkünden.
Hat Bacchus ein Schiff, das in tyrrhenischen Wassern einherfuhr,
Fest im Felsen versenkt, den Wellen geweiht wie ein Denkmal,
So hat Perseus ein Ungeheuer, das Tiefen behauste,
Ganz in Stein verwandelt, ein Bild des Schreckens und Staunens.
Rettete Bacchus einst Ariadne vom öden Gestade,
Wo sie schlafend lag, vom leeren Meer umfangen,
Löste Perseus die Ketten der schuldlosen Andromeda,
Hoch in Lüften schwebend, getragen von Flügeln des Hermes.
Sein Geschenk war das steinerne Bild eines Seeungeheuers,
Dargebracht der befreiten Braut als herrliches Zeichen.
Nicht um Paphias willen, nicht, weil sie sehnend nach Theseus
Träumte, rettete Perseus Andromeda, rein in der Absicht;
Keusch und heilig war seine Brautnacht, nicht wie bei Bacchus,
Dessen flammendes Begehren die Mutter Semele morden ließ.
Nicht verzehrten Blitze die Seele von Danae, seiner Mutter;
Goldener Regen, ein himmlischer Gruß, war Zeus’ Geschenk ihr.
Zur Hochzeit des Sohnes kam er herab, nicht als feuriger Liebster,
Sondern in göttlichem Glanz, ein Regen goldener Fülle.
Perseus, so preise ich dich; doch halt ein, mit der Sichel
Krieg zu führen gegen den Efeu, des Weibes heiligen Kranz.
Weder besudele deine Hand mit den Blättern des Weinstocks,
Noch verächtle das Haupt mit Hades’ Tarnkappe gekrönt,
Wenn Bacchus mit Laub dich bekränzt, nicht kämpfe mit ihm.
Willst du, Perseus, dich messen, dann wappne Andromeda selber,
Und lass sie streiten gegen den göttlichen Dionysos.
Fort, Dionysos, hinweg aus Argos, den Pferden, der Heimat!
Zieh zu Thebens Frauen, mach sie toll in den Tänzen des Thyrsos.
Finde einen Pentheus zum Töten; was schert Perseus Bacchus?
Meide die Wogen des Inachos, lass Aonias Bäche
Dein werden und betritt das kühle Gefilde von Theben.
Denke, o Bacchus, an Asopos’ zürnende Fluten,
Wo der Blitz noch kocht in des Stromes schweigsamem Schoße.
So sprach der Mann und verhöhnte den donnernden Bacchus.
Währenddessen rief Hera, die Herrin von Argos, die Völker;
In Melampus’ Gestalt trat sie vor den Gorgonenbesieger,
Und mit Worten voll Zorn rief sie ihn an, wie ein Feldherr:
Perseus, trage den Helm, der Blitze verheißt, und die Sichel,
Spross der Himmlischen, stark im Kampf und mutig im Willen!
Lass nicht Frauen mit Thyrsoszweigen Argos durchziehen,
Hebe die Waffe und zeige die Kraft deines göttlichen Blutes.
Zittre nicht vor den Schlangen, die Haare der Stirn einer Frau sind,
Wenn dein Sichelstreich schon Medusas Viper gesenkt hat!
Gegen die Bassariden sei dein Arm ein blitzendes Schwert,
Und erinnere dich an Danaes kammerstillen Gewölbe,
Wo der regenreiche Zeus als Bräutigam goldener Schauer
Ihr den Schoß erfüllte mit Perseus, göttlichem Sprossen.
Lass sie nicht, die Tochter von Danae, in Sklavengefilden
Knien vor dem Dionysos, dem Niemand, verächtlich und nichtig.
Zeige, dass Kronions Blut in deinen Adern entglüht,
Zeige, dass Zeus dich goldenen Reichtums gesegnet, gezeugt hat.
Zieh in den Krieg mit der Macht der Medusa, und lasse die Satyrn
In steinernen Bildern erstarren, wie sie einst Polydectes
Hart auf Seriphos fand, zur Strafe gefesselt im Steine.
Mit dir zieht Hera, die Herrscherin, stark in den Waffen;
Argos’ Königin selbst verleiht dir den göttlichen Schutzschild.
Wehre den Satyrn die Wege, verteidige das stolze Mykene,
Und lass, Perseus, in Ariadne die Gefangene deines Sieges.
Kröne die Straßen von Inachia mit steinernen Bildern;
Statuen wie eines Künstlers Werk sollen dir preisen
Und den Ruhm der Gorgonenbezwingung ewig verkünden!
Warum erbebt ihr vor Dionysos, dem Göttlichen?
Stammt er doch nimmer von Zeus' göttlichem Lager hervor.
Sag, was könnte er tun? Wann je soll ein Fuß auf dem Boden
Einen geflügelten Läufer der Lüfte ergreifen und bannen?
So sprach mutig die Maid, und Perseus flog in die Schlacht.
Pelasgische Hörner erschollen, die Kämpfer erhoben die Waffen:
Lynkeus’ Speer, den der Recke im Streit schon lange geführt,
Phoroneus’ Lanz’ in der Hand, die älteste Waffe der Ahnen,
Pelaskos’ Klinge dazu, mit der der Stammvater focht.
Abas’ Schild aus rauer Ochsenhaut trug ein Tapfrer,
Ashes Staub und des Proitos Relikt war ein anderer Last.
Akrisios’ Köcher hob kühn ein Held auf die Schulter.
Einer, der Danaos’ Schwert noch immer im Kampfe zu schwingen
Wagte, griff keck zu der Klinge, die einst für die Töchter
Nackt erglomm und die Brautmörder-Bräute zerschlug.
Wuchtig erhob eine mächtige Hand die Axt des Inachos,
Mit der er mutig den Stirn der Opfernden Stiere zertrümmerte,
Als er der Hera heiliger Priester, der Wächter der Stadt war.
Heer der Tapferen, schritt zum Felde, die Wagen erzitterten,
Führten die Männer im Tanz, und Perseus stand vor den Scharen.
Hoch erhob er die Stimme, rief den Kriegsruf mit Macht,
Schüttelte heftig den Köcher, legte die Pfeile im Bogen,
Schwang die Sichel im Glanz, ein Herrscher im Kreise der Argiver.
Flügelnde Schuhe trugen ihn rasch durch die Lüfte, und hoch war
Das Haupt der Gorgone, das kein Auge lebend erträgt.
Doch Bacchus, der frohlockende Gott, mit den Frauen versammelt,
Lustig im Kampfe bereit, umringt von Satyren mit Hörnern,
Hielt den Thyrsos als Waffe, die Stirn geschmückt mit dem Helme,
Gefasst aus leuchtendem Stein, dem Diamant in den Schauern
Zeusens Regen getränkt und vor Gorgonenstrahlen bewahrt.
Furchtlos schritt er ins Feld, sah Perseus, den Fliegenden kommen,
Rief ihm zu mit wildem Lachen, die Worte hallten wie Donner:
Schön ist es, dich zu erblicken, mit Thyrsos und grünendem Laube!
Komm, wage den Krieg! Doch ach, was willst du mit Blättern,
Elendes Blattwerk, gegen mich streiten? Bist du ein Zeussohn,
Zeig mir die Zucht! Wenn golden Pactolos’ Wasser dir fließt,
Ich bin des Regengotts Sohn, und reich sind die Zeichen des Zeus mir.
Perseus schritt zur Schlacht. Die Hera lenkte die Reihen,
Hob das Haupt der Medusa, zerstreute die zügellose Menge.
Doch Bacchus lachte und sprach: Nicht schreckt mich dein Leuchten,
Weder dein steinender Glanz, noch das eiserne Glimmen des Blitzes!
Ich bin Dionysos, der heilige Strahl des Donners war mir,
Schirmte mich, unverwundbar blieb ich, durch Feuer gestählt.
Er sprach’s, und die Götter beugten die Waffen dem Willen der Schicksal,
Hera allein hielt Macht, und der Kampf ward zum Ende geführt.
Lyaios, der Feind, ein Spross des mächtigen Zeus' Sohn,
Dem einst Rhea die Brust, voll Leben, heilbringend bot,
Lang ist’s her, da gebar ihn die Flamme des Eh'renblitzes,
Sanfte Hebamme des Lichts, des Himmels machtvolles Kind.
Staunen der Länder, des Ostens und Westens geehrt,
Dem das Heer Indiens wich, vor Deriades Furcht,
Dem der gewaltige Orontes fiel, wie ein Riese,
Hoch, wie er ragte, gestürzt von göttlicher Macht.
Kühn war Alpos, der Sohn der Erde, doch beugte sein Knie,
Nah den Wolken erhoben, bezwungen war selbst sein Leib.
Selbst die Araber knien, und Siziliens Seefahrer singen,
Preisen die Wandlung, die einst Lyaios bewirkte im Meer.
Menschen wurden zu Fischen, Piraten, einst auf den Wellen,
Springen nun tanzend dahin, ein Spiel der ewigen Flut.
Thebens Klagen, sein Stöhnen hast du gehört, und ich rufe,
Pentheus nicht, der, im Wahnsinn, zerfetzt von Mutterhand fiel.
Argos’ Schmerz brauchst du nicht, noch Achaias trauernde Mütter,
Zeugnis geben von ihm, der die Macht des Gottes verkannt.
Nun denn, kämpfe! Doch bald wirst du Bacchus mit Kränzen bekränzen,
Sehen, wie Flügel des Fußes vor meinem Herzen vergeh’n.
Niemals wirst du die wilden Bassariden bezwingen,
Meine Flöte wird tönen, mein Speer mit Efeu geschmückt,
Treffen dein Herz, und die Sichel, die einst Medusa bezwang,
Wird von meinen Blättern bezwungen, triumphierend im Strahl.
Zeus wird dich nicht retten, noch Athene, die kluge Beschützerin,
Auch Hera, so hasserfüllt, schützt nicht vor Dionysos' Macht.
Sterben wirst du, und Mykene wird dich kopflos erblicken,
Dich, den Bezwinger der Gorgo, der stolz sich selbst erhob.
Oder ich binde dich fest und werf dich zurück in die Wogen,
Treibend wie einst auf dem Meer, das du so gut doch gekannt.
Lande, wohin du willst, auf Seriphos, felsigen Ufern,
Rufe die goldene Aphrodite, wenn sie dir hilft.
So sprach Bacchus und rief seine Diener, die rasenden Frauen,
Satyrn eilten herbei, und der Kampf entbrannte erneut.
Über dem Haupt des Bromios flog Perseus, schwingend die Flügel,
Doch Dionysos erhob sich und flog, flügellos, höher.
Näher dem Himmel, den Wolken, dem Olympos entgegen,
Seine Hand streckte er aus, ergriff die Sonne, den Mond.
Perseus bebte zurück, sah die Rechte, die alles erreichte,
Fühlte die Ohnmacht im Glanz des unsterblichen Lichts.
So ließ Perseus von Bacchus und wandte den Blick zu den Frauen,
Hob die Medusa, ihr Antlitz, das tödlich erstarren ließ.
Ariadne erstarrte, versteinert, der Braut ewige Klage,
Doch Bacchus’ Zorn entflammte, unsterblich wie seine Macht.
Argos’ Mauern hätte er niedergerissen im Sturm,
Mykene zerstört und die Heere der Danaer gemäht,
Hera selbst, die Göttin, verwundet in falscher Gestalt,
Hätte den Zorn des Bacchus gespürt, der wütend zerstört.
Doch Hermes erschien, mit goldenen Flügeln geschmückt,
Ruhigte ihn, zog sanft an den Locken des göttlichen Haares,
Sprach mit Worten des Friedens, verhinderte Tod und Verderben.
Wahrer Spross des Zeus, doch ein Bastard der eifersüchtigen Hera,
Höre, wie ich, o Gott, dich vor dem Verderben bewahrte,
Als das Feuer des Himmels fiel und dich zu vernichten drohte.
Ich vertraute dich damals den Nymphen des Lamos, dem Flusse,
Seinen Töchtern an, die sorgsam dich nährten im Kindesalter.
Später, die Arme voll Liebe, trug ich dich wieder zurück,
Hin zu der Amme Ino, die sorgsam für dich einst sorgte.
Nun, mein Bruder, zeig Dank für den Sohn der listigen Maia,
Für den Retter, der einst dein Leben dem Tod entriss!
Beende den Zwist, der das Band der Brüder zerreißen möchte –
Denn Perseus wie auch Dionysos sind Söhne des Zeus.
Mache kein Scheltwort den Menschen von Argos, noch ihrem Helden,
Perseus, der wider Willen zu diesem Kampfe gerüstet.
Hera, die Göttin des Himmels, hat ihn zum Kriege gedrängt,
Und sie erscheint in der Sehergestalt des klugen Melampus.
Weicht, und lasst ab vom Streit, o du Gott der freudigen Feste!
Sonst, unversöhnlich, wird Hera erneut dich bedrängen,
Mächtig mit ihrer Gewalt, die zuvor schon dich niederwarf.
Doch nicht umsonst, o Dionysos, lebt deine Braut,
Auch wenn sie starb in der Schlacht: Ein glorreiches Schicksal fiel ihr.
Preise Ariadna im Tod, denn selig ist sie,
Da sie den Gatten gefunden, der göttlich, vom Himmel entsprungen,
Nicht von sterblichem Fleisch, den Bezwinger der Meeresungeheuer,
Der das Haupt der Medusa, der Schlangenlockigen, schlug.
Keiner entgeht dem Faden, der fest im Gewebe des Schicksals liegt.
Elektra verschied, die Gefährtin des göttlichen Zeus,
Europa sank dahin, als sie einst dem Olymp entsprang;
Kadmos’ Schwester, die mit Zeus ihr himmlisches Lager teilte,
Auch deine Mutter verging, dich tragend im mütterlichen Schoße.
Semele fand erst nach dem Tode die himmlischen Pforten.
So wird auch Ariadna den Himmel des Zeus einst teilen,
Unter den Sternen erstrahlen und leuchten an Maias Seite,
Unter den wandernden Plejaden, die den Nachthimmel schmücken.
Was könnte Ariadna mehr begehren im Himmel,
Als von Kreta emporzusteigen und Licht der Erde zu schenken?
Nun, lass ab von dem Krieg, o Gott, und senke den Thyrsus!
Lass die tobenden Winde den Streit hinwegfegen und ordne
Ariadnas Bild, das von sterblicher Hand geformt ist,
Neben die Göttin Hera, im Tempel der himmlischen Stätte.
Argos, die Stadt, wo einst das Vieh deiner Eltern weidete,
Schone sie, o Gott, und ehre die Lande der kuhhörnigen Io.
Später wirst du die Frauen Achaia mit Preis überhäufen,
Wenn sie den Altar für Hera und deine Braut errichten.
So sprach Hermes und wandte sich ab von den Pferdereichen,
Argos, hinauf in die Hallen des ewigen Himmels kehrend.
Hera, die Göttliche, folgte, legte die sterbliche Hülle
Ab und betrat erneut den Olymp in unsterblicher Pracht.
Melampus, der weise Seher, sprach zu den Männern Ikarias,
Nachfahr des Lynkeus, der das Pelasgengeschlecht einst gründete:
Höret auf mich und schüttelt die Tamburine der Freude,
Schüttelt die Zimbeln der Rhea und tanzt für den Gott des Weines,
Dass er verschone die Stadt, die Kinder und jungen Männer,
Dass er die Frauen bewahre und Frieden dem Volke beschere!
Opfert dem Bacchus und Zeus, erweckt das Wohlwollen der Götter,
Tanzt mit den Fackeln empor, preiset Perseus und Dionysos!
Und das Volk gehorchte. Die Tänze entzückten den Himmel,
Fackeln loderten hoch, und die Tamburine erklangen.
Altar um Altar rauchte im Opfer der blutigen Stiere,
Frieden ward neu beschworen im heilgen Bund mit Bacchus,
Und das Volk von Argos erhob sich im Reigen der göttlichen Gnade.
Die Stimmen der Frauen erklangen, hallten weithin im Äther,
Sangen abwechselnd das Lied, das von Rettung erzählte.
Frauen der Inacher kamen, der Mainaden wilder Gefährten,
Warfen verblendeten Zorn in die brausenden Lüfte.
Suchend das Blut der Giganten, die Fluren Pallènes durchstreifend,
Fahndend nach jenem, der Aura, der Schlafenden, Sohn war.
Bacchus, der Gott, verließ der Rossegezüchtete Gründe,
Heimat des Phoroneus, jenes uralten Herrschers,
Ritt auf dem runden Gefährt, das Panther gezogen,
Wild durch die thrakischen Lande, wo Wälder den Himmel umarmen.
Doch die inachische Hera, voll rasenden Hasses,
Fand keinen Frieden, erinnerte sich an die Raserei jener Frauen,
Die sie einst trunken gemacht mit wütendem Wahnsinn.
Argos, die Stadt, blieb Ziel ihres brennenden Zornes.
Sie, die betrogene Göttin, hob flehend die Stimme
Zu der Allmutter Erde, der lebenspendenden Quelle,
Klagte die Taten des Zeus und die Siege des Dionys,
Der in Indien unzählige Scharen der Erde geborenen Kinder
Mit Blitz und Flamme vernichtet, den Himmel gereinigt.
Da erhörte die Mutter den Ruf und seufzte in Schmerzen,
Dachte der Söhne, die Bacchus mit Tod überschüttet,
Rüstete kampfbereite Heere, die bergischen Riesen,
Eigen Geschlecht der Erde, des schollenden Busens Geborene,
Führte die Söhne zum Krieg mit donnernden Worten:
Steht auf, meine Kinder! Erhebt euch mit Felsen und Stürmen,
Schlagt diesen Bacchus nieder, den Feind meines Schoßes,
Fangt diesen Bastardsohn, der mit Zeus sich verbündet,
Lasst nicht zu, dass er thront mit dem Donnernden, König des Himmels!
Bacchus, den Inderschlächter, den Zerstörer des Hauses,
Brecht seinen Stolz, und ich schenke Hebe dem Porphyrion,
Kythereia dem Chthonios; Athene dem Encelados sei,
Artemis soll dem Alkyoneus dienen im Schlafe!
Bringt mir den Lyaios, den Sohn der sterblichen Semele,
Kettet ihn fest, als Sklave des Speers vor meinen Augen,
Dass Zeus, wenn er blickt, verzweifelt um seinen Getreuen.
Schlagt ihn mit schneidendem Stahl, wie Zagreus gefallen,
Und ruft aus, dass die Erde zum zweiten Mal in Zorn,
Mit ihren Kindern, gegen die Kroniden gezogen!
Einst die Titanen, jetzt die jüngeren Söhne der Gaia,
Beide vereint im Hass gegen Dionys’ Erben!
So sprach die Göttin, und mächtig erhob sich die Schar der Giganten.
Einer mit riesigem Bollwerk zog auf aus den Gründen von Nysa,
Andere schleppten die Flanken der Berge, die Wolken umhüllten.
Peloreus hob mit Armen voll Steinen den Pelion selber,
Zerbrach den Fels, der dem alten Chiron zur Höhle gedient.
Zitternd bebte der Greis, ein Halbmann, Pferd in Gestalt.
Doch Bacchus schwang keine Lanze, kein Schwert aus blutigem Eisen,
Nur einen Strauß von grünen, wuchernden Ranken des Lebens.
Schlug damit furchtlos die Hände der mächtigen Gegner,
Brachte die Schlangenhäupter zu Boden, die Vipern im Staube,
Blutige Ströme ergossen sich rot durch die Täler und Schluchten,
Bis die Giganten gefallen, ihr Zorn wie Staub sich verflüchtigt.
Schwärme der irdischen Schlangen, von Schrecken ergriffen, entflohen,
Als die mit Vipern geschmückten Zöpfe des Dionysos rauschten.
Auch das Feuer ward ihm zur Waffe im kampfeswilden Getümmel:
Hoch in die Lüfte warf er die Flamme, die feindliche Horden
Tilgen sollte. Da rollte die glühende Lohe der Bacchen,
Sprang durch die Höh' und kräuselte sich, mit sengenden Funken
Traf sie die Riesenleiber, die Flammen die Glieder verzehrten.
Eine Schlange noch schlich, halb verbrannt und zischend vor Schmerzen,
Feuer im Schlund, den Rauch statt tückischem Gift sie nun spieen,
Sterbend, mit feuerverbrannter Kehle, ein klägliches Schemen.
Unendlicher Tumult erhob sich rings in den Lüften.
Bacchus erhob sich gewaltig, die kämpfende Fackel im Arme,
Hoch über die Häupter der Feinde gezückt, die gewaltig
Riesenleiber verbrannt in flammender Glut der Vernichtung,
Gleich dem Blitz, den Zeus aus der himmlischen Höhe herniederschleudert.
Feuer rollte dahin; es loderten glühende Fackeln,
Über Encelados Haupt die sengende Lohe sich wälzte,
Doch unbesiegt blieb er, der gewaltige Riese, im Aufstand,
Neigte das Knie nicht, trotz des dampfenden Erdengewölkes,
War doch sein Los für den Donnerkeil einzig bestimmt.
Alcyoneus sprang, mit thrakischen Felsen bewehrt,
Auf Lyaios zu, und erhob die ragenden Klippen
Winterlicher Höhen, gewaltig und nutzlos geschleudert,
Prallten die Felsen am unverwundbaren Leib des Lyaios,
Zerschellten in Splittern, vergeblich des Riesen Bestürmen.
Typhoeus, der himmelan ragte, mit Bergen geschmückt,
Schleuderte emathische Massen, ein jüngerer Bruder
Jenem einstigen, der Gaia’s zerrissene Erde
Aufgetürmt hatte; doch Bacchus, unerschütterlich stehend,
Warf sich auf ihn mit gezücktem Schwert, das Haupt ihm durchtrennend,
Riss die schlangengekrönte Mähne vom giftigen Schädel,
Streckt’ ihn nieder, mit zürnenden Händen und rankendem Efeu,
Stark, auch ohne die Klinge, im wilden Kampfe der Götter.
Doch nicht alle bezwang er. Sein Thyrsos, mordender Stab,
Hätte die Schar ausgelöscht, doch schonte er aus freiem Willen
Seiner Feinde den Rest, als Gabe des Siegs für den Vater.
Phrygien lockte, doch hielt ihn der Ruf der Gerechtigkeit nieder,
Einer mörderischen Brut, des grausamen Vaters von Pallene,
Ein Ende zu setzen: er, der verderblichen Liebe verfallen,
Pflegte die Tochter zu hüten und jegliche Ehe zu hemmen,
Mordend die Werber zu tausend; es schrieen die Ringe
Von Blut und Tod, bis Bacchus, der Richter, im Kampfe erschien.
Da war Pallene, die nahe der Hochzeit stand,
Und der Vater, erfüllt von sündiger Glut, der die Tochter
Hielt für sich selbst; doch Bacchus, der listige Gott, sprach vor,
Bot der Verruchten Geschenke und Liebe als Trauergabe.
Auf den Vorschlag hin lud jener, der grimmige Vater,
Bacchus zum Ringen und führte ihn hin zu dem tödlichen Platze.
Dort stand Pallene, gerüstet mit Schild und schimmerndem Speere,
Bereit, wie Cypris es wollte, zu kämpfen für ihre Vermählung.
Eros stand in der Mitte, ein Kranz in Händen, der leuchtend
Schon des Lyaios’ Triumph in glühenden Blumen versprach.
Peitho legte den zarten Leib in silbernes Linnen,
Zeichen des Sieges, das bald der Göttliche würde erringen.
Das Mädchen streifte die Rüstung, entblößte die Glieder
Stark wie die eines Kriegers, und senkte den tödlichen Speer,
Schlug sich Bacchus zur Braut, des Siegers Preis und Belohnung.
Da stand Sithons Tochter, die zierliche Jungfrau, entblößet,
Barfuß, unverhüllt, ungerüstet, ein weiblicher Anblick;
Nur ein scharlachrotes Band umschlang die wogenden Brüste,
Frei lag die glatte Haut, die Rundung des Körpers enthüllend,
Lediglich langes, wallendes Haar bedeckte die Schultern,
Fließend herab über Nacken und Rücken des jungen Mädchens.
Sichtbar waren die Schenkel, die schlanken, wohlgeformten,
Frei bis oberhalb des Knies, wo ein schneeweißes Tuch lag,
Züchtig und sanft verhüllend die Blöße der weichen Glieder.
Ihre Haut glänzte, bestrichen mit öliger Salbe, die schützend
Sich verbreitete, geschmeidig und glatt im schimmernden Licht.
So vorbereitet, entglitt sie jedwedem eisernen Griffspiel,
Sollte sie einem zu mächtigen Drucke jemals verfallen.
Mutig trat sie hervor, mit wütenden Worten den Werber
Lyaios zu tadeln, der eifrige Freier des Mädchens.
Plötzlich schlang sie die Arme, entschlossen und voller Verachtung,
Um den Nacken des Gottes; doch dieser entwand sich geschmeidig,
Schüttelte spielend die Fesseln ab und befreite die Glieder,
Warfen des Mädchens Hände zurück mit unnahbarem Lächeln.
Dann umschlang er die Taille mit seinen kraftvollen Armen,
Hielt sie sicher und schwankte mit tanzenden Schritten im Spielgang.
Eine rosige Hand ergriff er, fühlte den zarten Trost dort,
Drückte die weichen Finger und labte sich an der Berührung.
Nicht ein Stoß war sein Ziel, vielmehr das Kosen der Hände,
Spürend die reizende Haut und entzückt von der sanften Aufgabe.
Seufzend, als würde ein Sterblicher mühsam im Kampf sich erschöpfen,
Zögerte er den Sieg, gleich einem Mann im verlockenden Bunde.
Pallene jedoch versuchte, den starken Gott zu bezwingen,
Hob den Leib des Lyaios, doch scheiterte kraftlos am Werke,
Ließ die Glieder des Gottes ermattet und atemlos los.
Da ergriff er das Mädchen, und wie einen leichten Zauberstab
Hob er es hoch, warf spielend die Jungfrau über die Schulter,
Schwungvoll senkte er sie und bettete sanft auf die Erde.
Zärtlich tastete er ihre Glieder, die lockenden Formen,
Sah ihr zerzaustes Haar im Staub, das glänzend bedeckt war,
Und streichelte still die Schönheit, die vor ihm hingestreckt lag.
Doch Pallene sprang auf, voll Zorn und trotziger Stärke,
Stand erneut auf den Füßen, bereit für den weiteren Ringkampf.
Dionysos, der listige Gott, nutzte geschickt seine Künste,
Neigte das Knie gegen ihren Bauch, und mit mächtigen Armen
Griff er die schlanke Taille und suchte die Haltung zu brechen.
Doch bald ließ er los, fiel nieder, scheinbar überwältigt,
Lag auf dem Boden gestreckt, wie ein Besiegter im Staube,
Und hielt die schöne Last auf seinem eigenen Leibe.
Kosen blieb nun sein Spiel, und mit schmeichelnden, lockenden Händen
Fesselte er die Jungfrau im süßen, verlangenden Bunde.
Schließlich trat ihr Vater dazwischen, mit eilenden Schritten,
Hielt das Mädchen zurück und trennte die kämpfenden Gegner.
Zeus entschied: Der Sieger im Wettkampf war Bacchus, der Göttliche.
Eros selbst krönte den Bräutigam mit festlichem Kranze,
Rings war Jubel zu hören, und Liebe gewann ihre Hochzeit.
Es war ein Wettstreit in Wahrheit, wie jener einst, da Hippomenes,
Kühner, die fliegende Maid Atalanta zu täuschen vermochte,
Als er ihr goldene Gaben, die Hochzeit versprach, vor die Füße
Streute und so den Lauf der so flüchtigen Braut überwältigte.
Doch als Bacchus, der Gott, den Ringkampf um seine Geliebte
Endlich bestanden, vom Schweiß des kämpfenden Körpers noch triefend,
Stieß er mit scharfem Thyrsus den Mörder Sithon zu Boden,
Jenen, der grausam die Freier der Tochter ins Grab schon gesandt hat.
Tief in den Staub sank Sithon, der Vater; und Bacchus, der Sieger,
Gab der Erschlagenen Tochter den Thyrsus, sein tödliches Zeichen,
Als ein Geschenk der Liebe, ein Pfand der erkämpften Verbindung.
Hochzeit ward es mit Liedern, der Chor der Silenen ertönte,
Tanzend schwangen die Frauen der Bacchus-Weihen die Glieder,
Trunkene Satyrn sangen ein Hymnos des liebenden Bundes,
Der aus dem Siege des Gottes entsprang, und Freuden ertönten.
Unterm Isthmus' Gestade, umschwebt von Nereiden in Tänzen,
Sangen sie Hochzeitlieder, und Dionysos war König.
Nereus, der greise des Meeres, er tanzte am thrakischen Ufer,
Der einst Bromios bewirtet, mit frohen Gesängen begrüßte.
Galateia trat leicht auf den flüsternden Wellen einher,
Sang mit Pallene ein Lied, das dem Brautpaar die Liebe verkündete.
Thetis, die Jungfrau, sprang hoch, obwohl ihr die Liebe noch fremd war.
Melicertes krönte das Riff und jauchzte der Hochzeit ein Euoi!
Hamadryaden des Athos entzündeten thrakische Fackeln,
Lodernd in Lemnos‘ Glut, als ein Zeichen der bräutlichen Ehre.
Doch die Maid, sie trauerte still um den Vater, den Täter;
Da trat Bacchus heran, der Bräutigam, sprach zu der Trauernden:
„Mädchen, weine nicht mehr um den Vater, so ruchlos in Liebe!
Mädchen, weine nicht um den, der dein jungfräuliches Leben
Rauben gewollt und als Braut dich, die eigene Tochter, begehrte.
Welcher Vater, o Maid, hat je die Tochter erzeugt, die er wollte
Ehelichen? Lass ab von dem leeren Schmerz um den Frevler!
Sithon liegt tot, und mit ihm die Schande des väterlichen Wahnsinns;
Jetzt nur lacht die Gerechtigkeit, zündet die Fackeln des Hochzeitsbundes,
Singend mit jungfräulichen Händen dein heiliges Ehegelübde.
Oinomaos fiel; doch seine Tochter, die schöne Hippodameia,
Fand in der Ehe den Trost, und der Schmerz ward Freude, geboren
Neu aus dem Bund mit dem Gatten. So, Geliebte, vergiss deinen Vater,
Wende den Schmerz in die Liebe, vereine mit Bacchus die Freuden,
Jenes Weingottes, der dich der Schmach des Hauses entrissen!“
So sprach der Gott und linderte sanft den Kummer der Braut,
Stille verweilend noch, und labte sich selbst an der Liebe.
Bald jedoch wandte der Sieger die Schritte zu Rheas Gefilden,
Phrygischen Boden betrat er, wo Cybele, die reiche Gebärerin,
Hoch auf den Bergen des Dindymon thront, und Aura, die Jungfrau,
Einst mit Pfeil und Bogen die Pfade der Rhyndakos jagte.
Sie hielt sich fern den Gedanken, die unkriegerischen Mägde
Heimlich hegten im Kreis; wie Artemis, jung und unnahbar,
War sie Tochter des Lelantos, der Titan von gewaltigem Ursprung,
Welcher Periboia, des Okeanos Tochter, vermählte.
Männliche Magd war sie, der Aphrodite verborgenes Wesen
Nichts bedeutete je; sie wuchs hoch über Gleichaltrigen empor,
Rosig von Glanz und Schönheit, dem Liebreiz der Berge verschworen.
Bären erlegte sie oft mit flinker Jagd auf den Höhen,
Schoss mit der Lanze gezielt auf Löwinnen wütende Sprünge;
Doch nie richtete sie Grillen und jagte auch keine der Hasen.
Einen gelbbraunen Köcher trug sie voll tödlicher Pfeile,
Die dem wilden Getier in den Bergen Verderben bereiteten.
Aura ihr Name, wie Wind, der fliegt durch die weiten Gefilde,
Leichtfüßig, dem Hauch der Lüfte an Schnelligkeit ebenbürtig.
Eines Tages, da schien die Sonne in flimmernder Hitze,
Ruhte die Jungfrau erschöpft von den Mühen der Jagd auf dem Grase,
Lehnte das Haupt an Zweige des keuschen Lorbeers und schlummerte.
Mittag war's, und ein Traum umschlang sie mit himmlischer Ahnung:
Liebende Hochzeit sah sie in leuchtenden Bildern der Nächte.
Eros, der feurige Gott, schwang seinen brennenden Bogen,
Schoss mit zierlichen Pfeilen die Tiere, die hüpfenden Hasen,
Wandte sich lachend, Kypris, die Göttin der Liebe, anbei,
Wie sie gemeinsam jagten im Wald und die Beute genossen.
Aura, die Jungfrau, trug dabei den Köcher des Jägers,
Den sonst Artemis' Bogen gewohnt war, leicht an der Schulter.
Eros jedoch verfolgte die Spur mit immer neuem Verlangen,
Bis ihn das Bild der stärkeren Beute lockte, der Löwin.
Dann, mit dem magischen Gürtel der Göttin, fing er das Tier ein,
Bändigte stolz das Knie der wilden Natur vor Kypris.
Lachend rief er: O Mutter der Liebe, du girlandenbekränzte,
Sieh, ich bringe dir Aura, die Jungfrau, die kühle Verächterin
Deines süßen Gesetzes; sie beugt nun den widerspenstigen Willen.
Doch da erwachte die Maid, und in Zorn schimpfte sie grimmig:
Eros, den Schlaf, und den keuschen Lorbeer schalt sie mit Worten.
Daphne, was trübst du mein Herz? Was hat dein Baum mit der Liebe,
Kypris und Hochzeit gemein? Ich war getäuscht in Vertrauen,
Als ich schlief unter deinen Zweigen, den reinen und kühlen.
Hat denn Apollo, der Hirt, dich selbst mit der Hand mir gepflanzt?
Warst du nicht die Vertraute der jungfräulichen Jagd? Doch nun
Bist du zum Traume der Myrte geworden, dem Baum der Huren!
So sprach sie, zornig erglühend, und rief in der brennenden Seele
Ewigen Hader auf Lorbeer, auf Liebe, auf träumenden Schlaf.
Und einst geschah es, dass Artemis, Königin des Jagens,
Über die Hügel zog, und die Glut der sengenden Sonne
Striemen schlug auf ihre Haut, inmitten des Sommers,
Mittagszeit, als Helios lodert und mit brennender Geißel
Löwenrücken peitscht, den Himmel mit Glut überziehend.
Da, vom Feuer ermattet, bereitete sie ihren Wagen,
Kühlung zu suchen im Fluss mit den Najaden, den Nymphen,
Die zu den Bädern des Hügels eilten, der Winde zu meiden.
Jungfrau Aura bestieg den Wagen, griff Zügel und Peitsche,
Trieb mit stürmischer Hand das gehörnte Gespann durch die Lüfte.
Ungeschleierte Töchter des fließenden Okeanos,
Dienerinnen, gesellten sich eilend zur Jagenden Göttin:
Eine lief voraus mit flinker, schwebender Ferse,
Eine hob ihre Tunika hoch und hielt in der Nähe,
Eine dritte legte die Hand auf den Korb des Wagens
Und schritt nebenher mit gleichmäßig eilendem Schritte.
Strahlend leuchtete Artemis auf inmitten der Schar,
Wie Selene, die strahlend in nächtlichem Wagen emporzieht,
Wenn sie die Sterne verbirgt mit blendendem Glanz ihrer Strahlen
Und die himmlische Heerschar blass vor ihrem Gesicht wird.
So zog Artemis fort durch Wälder und wogende Täler,
Bis sie gelangte zum Fluss, dem murmelnden Sangarios,
Wo die himmlischen Wasser sich kühlend nieder ergießen.
Dort, die Peitsche gezügelt, ließ Aura den Wagen ermatten,
Brachte ihn sicher zum Steh’n am Ufer des sprudelnden Baches.
Artemis sprang hinab, und Upis nahm ihr den Bogen,
Hecaerge den Köcher, die Töchter des ewigen Meeres
Lösten die Netze, die gut gespannten, von Händen und Schultern.
Loxo zog von den Füßen die Stiefel der Göttin, und Hunde
Wurden gelenkt von geschickten Händen der eilenden Diener.
Artemis stand, jungfräulich und rein, in der Mittagsglut still,
Schritt bedächtig ins Wasser und hob ihr Gewand mit den Händen,
Ließ es von unten her steigen, bis es ihr Haupt noch umschloss,
Füße und Schenkel verborgen, den Leib mit der Glut übergossen.
Aura, die Dienerin, schaute verstohlen mit kühnen Augen,
Wagte es, frevelnd zu messen die heilige Form ihrer Herrin,
Prüfte die göttliche Schönheit, die keiner zu schauen vermag.
Neben der Göttin schwamm Aura dahin, den Körper gestreckt,
Schlug mit den Armen die Flut, und Artemis, halb aus dem Wasser,
Stand am Ufer, das Haar in Tropfen, die Finger es ringend,
Aura trat ihr zur Seite, berührte die Wölbung der Brüste,
Sprach mit frevlerisch spottendem Wort zu der Göttlichen, lästernd:
Artemis, Jungfrau? Doch trägst du die Fülle der Frauen,
Runde, weiche Gestalt, die dir Paphia selbst überlassen,
Nicht die der männlichen Stärke, wie Athene sie zeigt.
Rosige Wangen! Sag, warum du den Namen bewahrst,
Während dein Leib nach Liebe verlangt wie Cythereias?
Warum weigerst du dich, zu wählen den Bund einer Ehe?
Lass den Bogen, die Pfeile, und nimm die süßeren Waffen:
Pfeile der Liebe, die Herzen mit Flammen des Eros durchdringen.
Oder verlangst du nach Hermes? Vielleicht Ares, dem Starken?
Warum, Artemis, ringst du noch, der Leidenschaft wehrend?
Sieh mich an, Aura, die stärker, die rascher als Zephyros eilt,
Sei wie ich, ein Leib wie der Knaben, frei und unbändig!
Schau dir die Muskeln an, die sich wölben an meinen Armen,
Schau dir die Brüste doch an, wie sie rund und noch ungereift sind,
Nicht wie die einer Frau! Es scheinen die deinen fast jene,
Die mit Tropfen von Milch anschwellen im fliehenden Busen.
Warum sind deine Arme so zart und schwach, o Gefährtin,
Warum nicht voll und gerundet die Brust wie die der Aura,
Dass sie der Welt von der jungfräulichen Reinheit erzähle?
Also sprach sie im Spott, doch lauschte die Göttin in Schweigen,
Senkte das Haupt und barg in Zorneswellen den Busen.
Blitzend funkelten ihre Augen, ein Blick wie der Tod selbst.
Heraus sprang sie vom Bach, und eilends griff sie zum Kleide,
Legte den Gürtel um ihre unbefleckten Gewande,
Trotzig und tief beleidigt. Sie suchte Nemesis auf sich,
Fand sie dort auf den Höhen des Tauros, wo in den Wolken
Neben dem strömenden Cydnos die Göttin die Drohungen Typhons
Stolz niederschlug und die Übermacht ihm gebrochen.
Vor ihr drehte ein Rad, das Zeichen rächender Ordnung,
Dass sie den Stolz aus den Höhen des Lebens niederzuwerfen
Weiß mit unbarmherziger Hand. Um den Thron flog ein Greifvogel,
Schweifend, bereit, in die vier geteilten Bezirke der Erde
Hinzugelangen mit mächtigen Schwingen oder auf Beinen.
Zügelnd bezwingt sie Männer, die hochmütig sich erheben,
Keiner entrinnt dem Gebiss, das fester als Eisen sie hält.
So zeigt es das Bild; ein Rad sich drehend wie Elendspeitsche
Wälzt es die Stolzen zu Boden, vernichtet die Überheblichen.
Als nun Artemis, bleich im Antlitz, der Nemesis nahte,
Fühlte die Göttin die Spannung des Zorns in ihrem Gemüte,
Freundlich sprach sie zu ihr, die Beleidigte zu befragen:
Deine Blicke, Bogenschützin, künden von flammendem Zorne.
Sag, wer ist's, der dich reizt, o Tochter des mächtigen Zeus?
Ist’s ein zweiter Typhoeus, der aus der Erde gekrochen?
Tityos, der erneut mit gierigen Blicken sich wälzte?
Welcher Orion wagt erneut sich gegen dein Leben?
Sag, was bedrängt dich, o Göttin der silbernen Pfeile,
Wer hat's gewagt, deine Reinheit frevelnd zu schänden?
Sprich, und ich werde mit Macht an deiner Seite dir stehen,
Rache sei dir gewährt, wie sie Leto der Mutter einst wurde.
Doch Artemis sprach mit bebender Stimme die Worte:
Nicht ist es Tityos, nicht Typhoeus, nicht einer von ihnen.
Aura allein, die Tochter des Lelantos, verspottet
Frech mich mit scharfen Worten, mit Hohn und herber Beleidigung.
Ihre Schmähungen brennen wie Pfeile mir tief in der Seele;
Nie werde ich ruh’n, bis der Stolz dieser Frevlerin fällt.
So erhob sich die Göttin; ihr Antlitz war starr vor Entschlossenheit.
Oder du schwingst die Sichel aus funkelnder Bronze, sie möge
Wahnsinn bringen dem Feind! – So sprach sie, doch Artemis hörte,
Sprach mit freundlicher Mahnung: Du, keusche Tochter des Leto,
Jägerin, Schwester des Phoibos, o wisse, ich will mich
Nicht mit Sichelgewalt an einem Titanenkind rächen,
Nicht ein Mädchen zu Stein in Phrygiens Hängen verwandeln;
Denn auch ich bin selbst aus titanischer Ahnengeboren,
Und ihr Vater Lelantos, er könnte mir Vorwürfe machen.
Doch dir schenke ich Gunst, du Schützin der silbernen Pfeile:
Aura, die Jungfrau der Jagd, hat deine Reinheit verhöhnt;
Sie soll nimmermehr unberührt in den Wäldern verbleiben.
Sieh sie bald am Bach mit Tränen den Gürtel beklagen,
Der einst ihre Jungfrauschaft hielt, und der nun zerrissen.
So sprach sie, tröstend, die Göttin, und schwang sich empor auf
Hirsche, die goldbespannt, den jagenden Wagen durchlüften;
Verließ des Berges Gipfel und lenkte die Bahn nach Phrygien.
Adrasteia, die Jungfrau, verfolgt mit rasender Eile
Aura, die Feindin, voll Trotz; und unter ihr spannte die Greifen,
Schnaubend im Flug, zu einem gewaltigen Wagen gespannt.
Durch die Lüfte jagt sie, bis vor dem Antlitz der Sipylos-Berge
Stand, wo steinerne Blicke die Tochter des Tantalos wahren.
Nahe trat sie heran und schwang die schlangenumwundene Peitsche,
Schnitt den stolzen Hals des unglücklichen Mädchens mit Banden,
Und mit dem Rad der Gerechtigkeit zermalmte die Törichte.
Unbeugsam war ihr Wille, doch beugte ihn Adrasteia,
Die ihre Schlangenbänder um Aura’s Gürtel sich ranken ließ,
Und so Artemis und Dionysos Genüge bereitete,
Während der Gott, noch voll Zorn, auf ferne Rache verzichtete.
Dies ist die Liebe, die anders ist als jegliche Liebe,
Denn das Mädchen besitzt ein Wesen, das keinem sonst gleicht.
Nicht wie die anderen Mägde, die holden, beweglichen Herzen,
Ist sie geschaffen – was hilft mir gegen den brennenden Schmerz?
Soll ich versuchen, mit Nicken und zauberhaftem Winken
Ihre Gunst zu gewinnen? Ach, wann wohl wird Aura sich regen,
Augenlider bewegt und bezaubert vom Blick eines Andern?
Wer durch ein flammendes Augenspiel oder flüsterndes Werben
Könnte das Herz einer Bärin für Liebesgötter entzünden?
Wer spricht zu einer Löwin? Wer redet mit steinerner Eiche?
Hat je ein Mann einen leblosen Baum zu Liebe verführt?
Oder ein Kornelholz umarmt, ein Felsen zur Gattin gemacht?
Und welcher kühne Verführer könnte Aura betören,
Der kein Kestus, kein Gürtel die Sinne des Mädchens berührt?
Keine Versuchung, die sonst jede Jungfrau schwach macht im Herzen,
Reizt ihren Geist – oh, wer könnte die spröde Aura gewinnen?
Ach, soll ich wagen, den süßen Stachel der Liebe zu rühmen,
Gar den Namen der Kypris? Doch Athene hört eher
Meinen Gesang, und Artemis, die wilde, ist weniger spröde.
Aura bleibt stumm, entzieht sich mit prüder, eisiger Haltung.
Könnte sie doch nur flüstern, mit ihren lieblichen Lippen:
Bacchus, dein Begehren ist eitel – such nicht nach der Jungfrau!
So sprach Bacchus zur Frühlingsbrise, die Blumen umspielte,
Ging durch blühende Wiesen, den Duft der Myrte genießend.
Er ließ sich nieder, ein Baum bot Schatten der müden Glieder,
Und er lauschte dem Wispern der Westwindes weicher Berührung.
Doch da sah eine Hamadryade, verborgen im Gezweige,
Ihn und trat hervor, enthüllt wie ein jungfräulicher Morgen.
Sanft sprach sie: O Bacchus, Aura wird niemals dir folgen,
Es sei denn, du legst sie in Fesseln, grausame Banden,
Oder raubst im Schlafe die Braut, die dir niemals sich neigte.
So sprach sie und zog sich zurück in den Schutz ihres Baumes.
Bacchus, vom liebestrunkenen Wahnsinn erfüllt, blieb zurück.
Da, wie ein Traum, kam die Seele der toten Ariadne,
Nahte dem schlafenden Gott mit einem Schleier von Eifersucht,
Und sie sprach zu ihm Worte, die tief in sein Herz sich schnitten:
Dionysos, du hast mich vergessen, die erste, die Liebste!
Sehnst dich nach Aura, und Ariadne bleibt dir gleichgültig.
War es nicht Theseus, der mir das Herz brach, fortgerissen
Von Phaidra, die ihn umschlang? Und nun bist du wie er –
Ein Betrüger! Was hilft es mir, dass du mich einst erhobest?
Besser ein sterblicher Gatte, der bald des Lebens verlöre,
Als ein Gott, der wechselnd in fremde Betten sich stürzt!
Doch nimm dieses Geschenk, ein Spinnrocken, ein Faden der Liebe,
Der einst den Theseus rettete – nun sei es dein Schicksal,
Diesen Faden zu geben, der Aura zu dir hinaufzieht.
So sprach die klagende Braut, und Bacchus verstummte betroffen,
Hörte den Vorwurf, der klang wie das Wispern der alten Bäume.
Von Coronis, der Liebe, aus deren vertrautem Gemache
Stammen die Grazien drei, will ich nicht länger berichten.
Doch, o Mykenai, enthülle mein schreckliches Schicksal,
Und den grausamen Blick der Medusa, die steinernen Augen!
Ufer von Naxos, verkündet das Los der verstoßenen Ariadna,
Die durch Hass und Verrat in Liebe gezwungen ward.
Sprecht: O Theseus, Bräutigam! Hör' die Tochter des Minos,
Denn sie ruft dich im Zorn, um Rache zu fordern für Dionysos!
Doch warum schweift mein Gedanke zu Cecropia hin?
Dorthin trag’ ich die Klage von Paphos über die beiden:
Theseus, Verräter, und du, ungestümer Bacchus!
So sprach sie, und bald verflog ihr Schatten im Äther,
Wie ein Hauch, der verweht, wie der Rauch von verlöschender Flamme.
Bacchus, der tapfere Gott, erwachte vom Schlummer des Traumes,
Schüttelte Flügel des Schlafes ab und sann auf die Tränen,
Die ihm erschienen in Ariadnas kummervoller Gestalt.
Emsig suchte sein Herz nach einem geschickten Entschluss,
Der ihm zugleich ihre Gunst und die Liebe gewänne.
Da gedachte sein Geist des Bettes der alten Nymphe,
Wie er einst sie mit Trank und listigen Worten bezwungen,
Sanft zur Braut gemacht in dem süßen Rausch ihrer Träume.
Während Bacchus so listig ein neues Werk sich ersann,
Wanderte fern, von Durst bedrängt, die Tochter des Lelantos,
Aura mit leichtem Schritt, und suchte die Frische des Wassers,
Einen verborgenen Quell, den Tropfen des Regens von Zeus.
Doch Dionysos bemerkt' nicht, wie sie über die Hügel
Eilte in Hast; da sprang er selbst empor aus Gedanken,
Rammte den Stab in den Fels, und aus den Tiefen der Erde
Sprudelte purpurner Wein, ein Strom von göttlicher Fülle.
Ringsherum mit Blumen die Hügel geschmückt von den Horen,
Mägde des lichten Helios, duftender Aromen Gewinde
Webte der Wind, und das Wiesengrün trug ewige Farben.
Blüten des schönen Narziss, der einst auf Latmos' Anhöhen
Endymions Liebe entsprang, verklungen in stummen Gewässern,
Sahen mit blassem Gesicht sich selbst und starben am Spiegel.
Da sang über die Wiese die Nachtigall helle Gesänge,
Flatternd in Scharen umher, um die Blüten sanft zu begrüßen.
Durstig naht sich zur Mittagszeit die wandernde Aura,
Sucht in Eile den Quell, doch findet den Trug ihrer Sinne:
Eros selbst hatte Nebel geworfen über die Lider,
Doch als sie sah, wie der Trank sich regte im Weinbrunnen Bacchus’,
Fiel von den Augen der Schleier durch Peithos mahnenden Ruf:
Jungfrau, tritt heran! Nimm das Geschenk aus den Händen
Dieses Brunnens, und in deinen Schoß den Gott deiner Liebe!
Freudig gehorcht' sie dem Ruf, warf nieder sich an die Quelle,
Trank mit gierigem Mund die süße, berauschende Gabe.
Als sie getrunken, sprach sie mit taumelnder Stimme zum Himmel:
Welche Wunder, o Najaden, strömen herab auf die Erde?
Wer hat diesen Trank geschaffen, den Quell mit Balsam getränkt?
Gewiss, mein Fuß trägt mich nicht, und süßer Schlaf mich umhüllt.
Kaum, dass mein Mund noch Worte formen kann, schwinde ich dahin!
Stolpernd schritt sie von dannen, ein Schatten ihrer Gestalt,
Bis sie, zitternd im Schritt, an die Schulter neigte das Haupt,
Sank auf die karge Erde und gab, unbewusst, ihrer Unschuld
Ruhe im Schlummer und Schutz an die harte Brust der Natur.
Als der feurige Eros Aura mit schwerem Knie straucheln
Sah, da sprang er vom Himmel herab und sprach mit dem Lächeln
Sanfter Güte zu Dionysos, voll Liebe und Milde:
Bist du auf der Jagd, Dionysos? Sieh, die Jungfrau, sie wartet!
Dies gesagt, entfloh er mit Flügelschlägen zum Olympos.
Doch zuvor schrieb er, geflügelt, mit zarter Hand auf die Blüten:
Bräutigam, vollende die Ehe, die dir das Schicksal verliehen,
Während die Jungfrau noch schläft, und lasst uns schweigen in Eintracht,
Dass der Schlaf das unschuldige Mädchen nicht aus seinen Armen
Lasse; so möge der Bund geschlossen sein ohne Erwachen.
Da erblickte der Gott Jo-Bacchus die liegende Jungfrau,
Lag auf der nackten Erde, ein Bild der schlafenden Reinheit.
Leise schlich er sich hin, unbeschuht und lautlos, auf Zehen,
Nahte sich Aura, die lag, entrückt von Stimme und Hörsinn.
Sanft entzog er ihr zart die Köcher und Bogenschnüre,
Barg sie tief in den Felsen, dass nicht der Flügel des Schlafes
Fliehe und sie, erwacht, mit tödlichem Pfeil ihn verfolge.
Dann mit unlösbaren Banden schlang er die Füße zusammen,
Legte die Hände in Fesseln, die flüchtende Kraft zu verhindern.
Still auf den staubigen Grund bettete er die Jungfrau,
Opfer für Aphrodite, berauscht von schattigem Schlummer,
Stahl aus dem Schlafe die Frucht der Unschuld – wortlos, verborgen.
Kein Geschenk bot der Bräutigam dar; auf der Erdenscholle
Ward das unglückliche Mädchen, gebannt von schattigen Träumen,
Schwer von Dionysos' Macht in schweigender Ehe gebunden.
Sanft umfing der Schlaf mit schützenden Schwingen die Glieder,
Wurde zum Marschall des Bundes; auch er war ein Meister der Liebe,
Er, der Gefährte des Mondes in stillen nächtlichen Stunden,
Er, der im Bunde mit Eroten die heimliche Glut teilt.
So wie ein Traum schwebte die Hochzeit, im Tänzeln der Berge,
Selbst die Hamadryaden begannen zu singen und tanzen,
Doch die Echo verbarg sich, schamhaft fliehend, im Felsen,
Sich zu entziehen dem Blick auf die liebestrunkene Hochzeit.
Als vollendet die stille Verbindung, hob Bacchus behutsam
Einen Fuß, küsste leise die Lippen der schlummernden Braut.
Löste die strengen Fesseln von Händen und Füßen der Jungfrau,
Holt’ aus dem Felsen den Bogen, den Köcher, legte sie nieder.
Wandte sich ab, die Aura noch liegend, im Schlummer gebettet,
Kehrte zurück zu den Satyrn, die treuen Gefährten des Weines,
Und trug noch einen Hauch von der Braut in den flatternden Falten.
Doch erwachte die Jungfrau, erschrak im Dämmern des Traumes,
Sah die entblößten Schenkel, die schamlos entdeckte Brust,
Fühlte die Tropfen der Hochzeit, die Spuren des ehelichen Bundes,
Wahrte nicht länger den Stolz – die Wut ergriff ihre Sinne.
Rasend schloss sie den Gürtel um ihre bebende Brust neu,
Doch zu spät war die Tat; sie schrie, vom Wahnsinn ergriffen,
Stürzte hinaus und wütete, Hirten und Herden zerstörend,
Sühne zu suchen, die ihr verräterischer Gatte verdiente.
So erlag der Frieden dem Sturm, und Flammen der Rache
Brannten durch Felder und Wälder, ein Opfer der göttlichen Raserei.
Im Glauben an uralte Mythen, töteten Jäger
Sie, die gefürchtet war, denn gehört von Kephalos' Taten,
Der aus des Athene Land, dem Ort der Jungfrau,
Einst der Gatte gewesen der rosenumkränzten Eos.
Arbeiter Bacchus' sie streckte nieder, bei reicher Lese,
Diener Lyaios, die den berauschenden Saft aus Trauben
Pressten mit Händen, trunken von Wein und wankendem Schritte,
Liebhaber wild, von verlockender Leidenschaft brennend.
Dionysos’ Herz und die Listen seiner Verführung
Hatte sie nie noch gekannt, noch je den trunknen Genuss;
Doch die Berghirten vertrieb sie, ließ die Hütten verwaiset,
Tränkte die Hügel tief mit scharlachfarbenem Blute.
Rasend, von schrecklichem Wahnsinn heimgesucht und gepeinigt,
Kam sie zum Tempel der Cypris, löste den Gürtel,
Der ihr neugewobenes Kleid umschloss, mit zitternden Fingern,
Feind dem Kestos, dem Band der Liebe. Dann mit Geißeln
Peitschte sie, blind vor Zorn, den Körper der mächtigen Göttin,
Riss von dem Sockel die Statue der schönen Cythereia,
Trug sie hinab zum Strom, wo sangarische Wellen
Zwischen Najaden tanzen, ließ Aphrodite sich rollen,
Nackt, in den heiligen Fluss; und als sie verschwand,
Schlug sie die umwundene Geißel hinweg und stürzte
Wieder in waldige Flur, die tiefvertrauten Gefilde.
Dort irrte sie ohne Ziel, das Haar von Tränen umflossen,
Jagte mit Netzen wie einst und dachte klagend der Jungfrau
Reinheit, die sie verlor, und rief in bebendem Worte:
Welcher Gott hat gelöst das Band, das keusche der Mädchen?
War es des Zeus Allweisheit, die sich wandelte, trügend?
Nahm er Gestalt, um mich auf mein einsames Lager zu führen?
Sollte ich, Rhea, die Nachbarin, dir dies bezeugen,
Lass ich die wilden Tiere und ziehe gen Sternenhimmel!
War es Phoibos, der mich in schlafender Ruh' umarmte,
Werd’ ich den heilgen Ort, die Pytho, gänzlich zerstören!
Oder hat Hermes, der Kyllener, mein Bett entweihet,
Arkadien werd’ ich zerschmettern mit fliegendem Pfeile,
Und der Peitho, der süß-zungen Gattin, entreiß’ ich das Goldhaar!
Sollte Dionysos, der Listige, heimlich gekommen,
Meinen Leib geschändet, die Täuschung des Trugvermählten,
Werd’ ich zu Kybele eilen, die Hallen erklimmen,
Und den berauschten Gott vom ragenden Tmolos hinabstürzen!
Meinen Köcher des Todes trage ich auf den Schultern,
Spanne den Bogen auf Cypris, die lachende Göttin,
Richte die Pfeile auf Bacchus, des Weines Bringer.
Du, Artemis, hast mich verlassen, Schwester des Bogens,
Warum schlugst du im Schlaf nicht rein mich mit deiner Gewalt,
Oder, jungfräulich, beschütztest mich nicht vor der Schande?
So rief Aura, die traurige Jungfrau, laut in den Winden,
Die von Bacchus’ Samen schwer und doppelt belastet,
Fluchte der Bürde des Lebens, klagte den Gott an,
Wusste nicht, ob von Mann oder Gott sie gezeichnet.
Rasend wollte sie ihren Leib mit dem Schwerte zerreißen,
Dass das Kind, halbgeboren, nie das Licht noch sähe.
Doch auch die Höhlen der Löwin suchte sie auf,
Um sich dem tödlichen Zorn des Schicksals zu geben;
Doch das Tier floh voller Furcht und ließ die Jungen
Klagen allein in der leeren Höhle zurück.
Oft, in der rasenden Not, hob sie das Schwert zur Brust,
Wollte den Leib durchbohren, der Schande entfliehen,
Doch zögerte immer das Herz in zerrissener Qual.
Sehnend verlangte sie stets, ihren Gemahl zu erkennen,
Dass sie den eigenen Sohn, als Kind einer abscheulichen Ehe,
Ihrem verderblichen Mann, dem schrecklichen Gatten und Frevler,
Welcher die Kinder ermordet und grausam Liebende täuschte,
Schließlich zu Tische zu führen vermochte, damit sie die Menschen
Rühmten: Aura, die Braut des Unheils, tat gleich der Procne,
Gab ihrem Kinde den Tod, wie einst die thrakische Tochter.
Doch dort sah Artemis sie, die große Gebärerin, stehen,
Frohlockend trat sie heran, und spottend begann sie zu reden,
Schmeichelte grausam dem Herz und neckte das leidende Weib:
Hab ich den Schlaf nicht gesehen, der still des Priesters Gemächer
Heimlich durchschleicht, mit träumerischem Fluss ihn benetzt?
Hab ich die trügerische Quelle des Brunnens erblicket,
Wo jener Liebende weilt, dein zärtlicher Bräutigam, Aura?
O der Verrat! An jenem Ort, wo Jungfrauen der Gürtel,
Den sie ihr Leben lang trugen, gelöst wird, schwindend im Traume,
Wo eine Ehe, die niemals gewollt ward, plötzlich ersteht.
Ich sah den schattigen Pfad, der führt zum Brautfelsen empor,
Wo in der Stille des Schlafs die Ehe sich heimlich vollziehet,
Und auf dem Berg der Cypris, wo frevelhafte Gelüste
Mädchen berauben der jungfräulichen Gaben und fliehen.
Sprich, du Zögernde, sprich, warum schleppst du so langsam die Füße?
Einst warst flink wie der Wind, nun quälst du dich mühsam voran.
War es dein Wille, den Gatten zu finden, den Bettgenossen?
Doch du erkennst ihn nicht, und dein Herz bleibt voller Geheimnis.
Kannst du die Ehe verbergen, da Milch deine Brüste verkündet,
Zeigend die Spur eines Manns, der dich heimlich umfing?
Sprich doch, Langschläferin, Schweinehüterin, Braut ohne Freude,
Warum ist Wangenrot einem blassen Schleier gewichen?
Wer hat dein Lager entehrt, wer stahl dir die jungfrische Blüte?
Najaden mit goldenem Haar, verbirgt nicht Auras Gemahl!
Erkenne deinen Gatten, die Last, die schwer dich bedrücket.
Deine heimliche Hochzeit sah ich, obgleich du sie leugnest.
Deutlich genug ward gesehen, wie Dionysos dich fand.
Du lagst schlafend, schwer von der Last der Träume und Nacht.
Still war dein Leib, als der Gott dich nahm und zum Weibe erkoren.
Komm, lege den Bogen beiseit und verzichte auf Köcher und Pfeile,
Diene im Tanz, dem Bacchus, dem Ritus seines Wahnsinns,
Führe das Tamburin, schlag auf die tönenden Zimbeln, o Aura!
Was für Geschenke bot dir der Gott, dein erzwungener Gatte?
War’s ein Kitzfell, Sinnbild des Bette's, wo Ehe begann?
Oder gab er dir rasselnde Spielzeuggaben für Kinder?
Vielleicht einen Thyrsusstab, um die Löwen zu scheuchen,
Oder die Zimbeln, mit denen Ammen den Schmerz ihrer Kinder
Stillen und heulen zur Ruh beschwören, gleich einer Hymne?
So sprach Artemis spottend und zog in die Berge von Neuem,
Wildes Getier zu jagen, die Sorge den Lüften zu geben.
Doch Aura stand, das Mädchen, zerrissen von innerer Qual,
Zwischen den Felsen des Hochgebirgs, wo kein Auge sie sah.
Dort, verborgen dem Blick, durchlitt sie grausame Wehen.
Furchtbares Brüllen entfuhr ihrer Kehle, gleich einer Löwin,
Die in Schmerzen gebiert, und die Felsen hallten zurück,
Denn das traurige Echo, vom Leid des Mädchens getroffen,
Antwortete kreischend und dröhnte wie heulender Sturm.
Mit ihren Händen umklammerte sie ihren Schoß, wie ein Riegel,
Schloss die Geburt, die drängte, mit heftigem Willen hinab,
Hielt das Kind zurück, das reif in ihrem Leibe schon lebte.
Denn in ihrem Hass auf Artemis wollte sie nicht,
Nicht in der Not, die Göttin der Wehen um Hilfe anrufen.
Auch die Töchter der Hera, die Hebammen, wollte sie meiden,
Weil sie die Kinder von Bacchus, dem Feind, nicht sehen ertragen.
So ertrug sie allein die Schmerzen, mit stöhnendem Atem,
Bis endlich zerrissen die Stimme der Qual sich erhob:
Artemis, könntest du selber gebären, wär' es ein Trost doch,
Aura, der Mutter, die weint und die Bürde der Schmerzen beklagt.
Milch aus der Männerbrust tröpfle, du Göttin, den Frauen,
Die in Verzweiflung gebunden der Mutterschaft Joch unterliegen.
So sprach sie, weinte und klagte das Leiden der Wehen,
Während die Göttin, Artemis selbst, die Geburt ihr verzögerte,
Schmerzen verdoppelte, jenen der wartenden Braut zugefügt.
Doch Nicaia, der Lyaios’ heilige Riten vertraut sind,
Sah das Elend der Aura und sprach mit verborgener Milde:
Aura, ich litt wie du, und klagte die Schmach meiner Reinheit,
Jetzt, da mein Schoß die schmerzvolle Last der Geburt in sich trägt.
Ertrage, wie ich, was nach dem Bett dich erwartet,
Dulde das Leid, das die Brust deinem Säugling bereitet,
Warum trankst du, Aura, den Wein, der mich um den Gürtel
Meiner Jungfräulichkeit brachte, warum, o Schwester, der Trank?
Sieh, ich habe gelitten wie du, du Feindin der Ehe,
Trug auch den Schlaf, der durch List von den Eheleuten gesandt.
Täuschung war's, die uns beide in Ketten der Ehe gelegt hat;
Dein Mann war schuldig, wie meiner, und dennoch sind Kinder geboren.
Nicht mehr halte ich Bogen und Pfeil mit der Kraft einer Jägerin,
Webstuhlarbeit ist nun mein Tun, nicht mehr Amazone bin ich.
Mitleid sprach sie zu Aura, der Schwester in Leiden und Kummer,
Doch Artemis, Tochter Letos, erhob sich mit höhnischem Lächeln,
Hörte die Schreie der Nymphe und sprach mit durchbohrenden Worten:
Jungfrau, wer machte dich Mutter? Wer brach dir den Gürtel?
Wie kann in der Brust einer Jungfrau die Milch sich erheben?
Habe nie gehört, dass eine Unberührte gebiert!
Hat mein Vater die Schöpfung gewandelt, dass Ehelos Frauen
Kinder gebären, wie du, die Freundin der Jungfräulichkeit?
Hasse Aphrodite, doch siehe, du trägst ihre Bürde,
Rufst nicht mehr Artemis an in der Stunde der Wehen.
Eileithyia kam nicht, als euer Dionysos geboren,
Donnerschlag war die Hebamme, halb kam der Gott in die Welt!
Warum sollst du nicht in den Felsen gebären, Aura, die Berge
Sind dir vertraut, wie Rhea sie kennt, die Königin dort.
Sprach’s, und Aura, zornig, in Schmerz, doch beschämt vor der Göttin,
Rang mit den Wehen, gebar die Zwillinge bald aus dem Schoße.
Dindymon hieß seither der heilige Berg, wo die Kinder
Sich enthüllten im Licht, vom Schoß der Aura befreit.
Artemis sah die Knaben und sprach mit wandelnder Stimme:
Schöne Mutter, trag deinen Söhnen die jungfräuliche Brust dar,
Nähre sie, Braut eines Bräutigams, fremd und erzwungen.
Sage den Kindern, wer Vater, und nenne den Namen des Liebsten.
Diese Berge waren dein Bett, und die Rehfelle die Windeln.
Jungfräuliche Mutter, ertrag, was das Schicksal dir auferlegt hat.
Sprach’s, und der Mauersegler stürzte hinab in den Schatten,
Waldwärts eilend, verborgen vom flimmernden Dunst der Äste.
Dann rief Dionysos Nicaia, die holde Gefährtin,
Kybele’s Nymphe, und zeigte mit Lächeln zur Aura,
Die noch immer in Zorn auf das Kinderbett nieder sich schrie.
Stolz auf späte Vereinigung mit dem einsamen Mädchen,
Hub er an und sprach: Nun, Nicaia, hast du gefunden
Trost für die Liebe, die einst dir das Herz hat gebrochen.
Wiederum hab’ ich das Ehebett frech mir gestohlen,
Wiederum eine Jungfrau entweiht mit verheißenden Worten.
Sieh die waldige Aura, die Liebe stets scheute, in Furcht floh,
Jetzt vermählt in den Bergen, wie du einst, Nicaia, mich kanntest.
Nicht nur du hast den süßen Schlaf der Liebe erfahren,
Nicht nur dir raubte der trügerische Wein deinen Gürtel.
Doch ein weiteres Mal sprudelt der bräutliche Nektar,
Frisch aus dem Fels, der sich öffnet in jungfräulicher Reinheit,
Und Aura trank von der Quelle, unwissend und schicksalbeladen.
Du, die die Schmerzen der Geburt in bitterer Qual kennt,
Durch Telete, die Tochter, die Tänze zur Freude dir brachte,
Höre mich! Hebe das Kind, das mein verzweifeltes Aura
Waghalsig zu verderben sucht mit grausamer Hand!
Denn ich weiß, in rasender Wut wird einer der Knaben
Fallen durch sie – doch hilf mir, o Nicaia, beschütze
Iacchos, den Besseren, der mir die Hoffnung bewahrt hat,
Dass Telete, die Magd, dereinst dem Vater ihn nah hält!
Also sprach und zog triumphierend Bacchus von dannen,
Stolz auf die phrygischen Ehen, die ältere Frau wie die junge.
Aura jedoch, in Verzweiflung gefangen, schrie aus den Tiefen
Jenes Felsens, der Leben gebracht und Tod ihr verheißt:
Himmel, ihr Götter, nehmt diese Ehe! Nehmt die Nachkommenschaft,
Die aus meinem Schoß stieg, verraten vom falschen Gemahl!
Winde, ihr Brüder, herab zur Windjungfrau kommt,
Wie einst zur Hochzeit, so nehmt nun die Kinder, die mich betrüben!
Fort mit euch, ihr Kinder des Treulosen! Euch will ich nicht!
Frauenpflichten sind fremd mir – und wilde Jagd bleibt mein Wesen.
Komm, du Panther, spring ohne Furcht an meiner Seite!
Bären, folgt mir getrost, die Aura ist nicht mehr euer Feind.
Denn da ich Kinder gebar, sind meine Pfeile nun weiblich,
Einst noch tödlich, nun stumpf in der weiblichen Bürde gebrochen.
So sprach sie und trug die Knaben in Löwenhöhlen,
Doch eine Pantherin, weise im tierischen Geiste,
Leckte mit Liebe die Leiber und säugte die Kinder,
Bis wunderbare Schlangen den Ort der Geburt umringten,
Denn Dionysos hatte selbst sie zur Wache bestellt.
Doch in Raserei sprang Aura, die Tochter des Lelantos,
Riss ein Kind aus der gierigen Klaue und schleuderte es
Hoch in die Lüfte, dass es im Staub des Bodens zerschellte.
Doch der andere Knabe, gerettet von einer Bogenschützin,
Fand den Schutz ihrer Arme, die eilend den Wald durchquerten.
Nach des Bromios Lager, dem Rausch der Geburt entsprungen,
Wollte die Jägerin Aura dem Fluch der Hochzeit entweichen,
Da sie die Reinheit noch stets, die Jungfrauenstand ihr geboten,
Hoch in Ehren hielt und dem Eheschwur sich entzog.
Hin zu Sangarios’ Ufer begab sie sich, warf ihre Waffen,
Bogen, gekrümmt, und den Köcher, vernachlässigt, ins Wasser,
Stürzte dann mutig sich kopfüber hinein in die Tiefe,
Schamhaft das Licht des Tages mit festem Willen verbergend.
Wellen des Stroms umhüllten den Leib, und Kronion verwandelte
Aura in einen Quell; es sprangen die Strahlen der Brüste,
Wasserspeiende Formen, und Blumen wurden zum Haare.
Fluss ward ihr Körper, der Bogen ein Horn des gehörnten Stieres,
Saiten des Bogens verwandelten sich in ein Binsenseil,
Pfeile, einst zischend, erklangen im lauten Schilfrohr;
Köcher versank in den Schlamm und formte ein hohles Gewässer,
Das mit klingenden Strömen sich tief in die Erde ergoss.
So besänftigte schließlich der Zorn der Jägerin ihren
Kampf gegen Liebe und Hochzeit. Sie zog durch die Wälder der Berge,
Spurend Dionysos nach, dem Bromios, göttlichen Knaben,
Auras Kind im Arm, das Scham ihr sanft auferlegt hatte.
Als der Moment gekommen, gab sie den Sohn an den Bruder,
Dionysos selbst, und trug nicht länger die fremde Bürde.
Vater Zeus vertraute das Kind, den Sprössling der Göttlichkeit,
Nicaia an, der Nymphe, als Amme, die ihn umhegte.
Von ihrer Brust, die Lebenssaft ihm reichlich gespendet,
Wuchs er heran zum Knaben, Bacchus, dem göttlichen Namensvetter.
Klein war er noch, da nahm ihn Bacchus selbst auf den Wagen,
Trug ihn hinauf zu Athene, die Göttin der weisen Mysterien,
Wo er in Evoi-Lauten die Göttlichkeit neu verkündete.
Pallas empfing ihn selbst in ihrem heiligen Tempel,
Reichte ihm göttlichen Brei, der einst Erechtheus genährt hat,
Ließ aus jungfräulichen Brüsten die Milch in Strömen herniedertropfen.
Doch die Göttin, weise, vertraute das Kind dann den Bakchen,
Jenen Frauen von Eleusis, die heiligen Tanz noch kannten.
Marathons Schar mit Efeukränzen sammelte sich,
Iacchos, dem Knaben, geweiht, in den nächtlichen Tänzen,
Zündeten Fackeln, sangen den Gott, der jüngst erst geboren,
Ehrten ihn als den nächsten nach Persephones Kind und Bromios.
Athen selbst ließ Hymnen ertönen zu dreifachem Feste:
Zagreus, Bromios, Iacchos feierten sie in Reigen,
Während Bacchus im Herzen die Liebe zur Braut noch hielt,
Ariadne, die einst ihm gehörte und bald ihm genommen.
Krönend setzte er hoch auf den Olymp ihr Diadem,
Rund und golden, als Zeichen der ewigen Liebe der Götter.
Hoch dann stieg Dionysos empor in des Vaters Palast,
Nahm dort Platz an der Seite des Zeus, des himmlischen Herrschers.
Nicht mehr sterblichen Wein trank er aus irdischen Kelchen,
Nektar himmlischer Güte floss reichlich in goldenen Bechern.
Neben Apollon saß er, dem Sohn der strahlenden Leto,
Nähe des Hermes auch, dem Sohn des mächtigen Zeus.
NEUNTER GESANG
Phaedra von Kreta wünscht Hippolytos, dem Sohn
einer Amazone, Gesundheit, die ihr, wenn er sie ihr
nicht geben will, selbst fehlen muss. Lies wenigstens dies;
wie kann dir das Lesen eines Briefes schaden?
Vielleicht findest du darin auch einige Dinge,
die dir angenehm sind. Auf diese Weise werden
Geheimnisse über Land und Meer übermittelt.
Sogar Feinde lesen die Briefe, die sie einander schicken.
Dreimal habe ich versucht, mit dir zu sprechen;
dreimal versagte mir die Zunge; dreimal verließen mich
die Worte. Bescheidenheit ist mit Liebe zu verbinden,
soweit dies möglich und angebracht ist. Die Liebe
befiehlt mir, das zu schreiben, was ich mich zu sagen
schämte. Es ist nicht sicher, die Gebote der Liebe
zu missachten; sie herrscht unkontrolliert
und hat Macht sogar über die souveränen Götter.
Er befahl mir zuerst, als ich voller Zweifel
und Ängste war, zu schreiben. Schreib, sagte er.
Obwohl er hart wie Stahl war, wird er seine gefangenen
Hände hergeben. Sei anwesend, Liebe; und wie du
in meinen Knochen ein verheerendes Feuer nährst,
so schieße auch in seine Brust einen Pfeil,
der es mir gegenüber mildern kann. Doch werde ich
durch kein Verbrechen meine ehelichen Gelübde
beflecken. Meinen Ruhm (forsche ihn durch)
wirst du schön und makellos finden. Je später
die Liebe uns ergreift, desto mehr wütet sie.
Ich brenne innerlich; ich brenne, und meine Brust
spürt die verborgene Wunde. Wie der zarte Stier
anfangs ungeduldig mit dem Joch umgeht
und das junge Pferd nur schwer gehorsam
an die Zügel gebracht werden kann, so widersteht
mein unbesiegtes Herz den ersten Angriffen der Liebe,
und diese ungewöhnliche Last liegt schwer
auf meinem ungeübten Geist. Wenn die Liebe
von unserer Wiege an zur Gewohnheit geworden ist,
können wir durch Kunst lernen, sie zu beherrschen;
aber in unseren reiferen Jahren greift sie uns
mit Gewalt an. Du wirst die ersten Opfergaben
meiner makelloser Herrlichkeit, und die Schuld wird
in beiden die gleiche sein. Es ist ein Vergnügen,
die reifen Äpfel von beladenen Zweigen zu pflücken
und mit fleißiger Hand die frühesten Rosen zu pflücken.
Wenn meine bisher unbefleckte Keuschheit
nun durch ein ungewöhnliches Verbrechen
befleckt werden muss, ist es ein glücklicher Zufall,
dass ich mit einer edlen Flamme brenne.
Ein wertloser Partner meines Verbrechens,
etwas noch Schlimmeres als das Verbrechen selbst,
kann in meinem Fall nichts dagegen haben.
Wenn Juno ihren Bruder und Ehemann
zu meinen Gunsten aufgeben sollte, würde
wahrscheinlich sogar Jupiter im Wettbewerb
mit Hippolytus unbeachtet bleiben. Und jetzt
(was du kaum glauben wirst) führen mich meine
Neigungen zu neuen und ungewohnten Freuden.
Ich sehne mich danach, mit dir die wilde Rasse
anzugreifen; bereits die delische Göttin,
gekennzeichnet durch den krummen Bogen,
herrscht in meinen Gedanken; dein Urteil
in dieser Hinsicht bestimmt auch meines.
Ich kann es kaum erwarten, durch die Wälder zu streifen,
die Postkutsche in die Mühsal zu verfolgen
und die flinken Hunde an den Felsklippen anzufeuern
oder den zitternden Pfeil mit einem kräftigen Arm
und strecke meine müden Glieder auf einer grasbewachsenen
Böschung aus. Oft gefalle es mir, den flinken,
im Staub versunkenen Wagen zu lenken
und die keuchenden Rosse mit festem Zügel zu führen.
Jetzt bin ich wild, ich tobe wie eine Bacchantin,
wenn ich von dem inspirierenden Gott erfüllt bin,
oder wie jene, die auf dem Idäischen Hügel
mit verdoppelten Schlägen das klingende Erz antreiben;
ja, wilder als jene, die die halb göttlichen Dryaden
und gehörnten Satyrn mit Schrecken und Staunen schlagen.
Denn wenn diese Wut nachlässt, erfahre ich alles
und fühle still, wie bewusste Liebe in meiner Brust tobt.
Vielleicht treibt mich das Schicksal meines Blutes
zu dieser Liebe, und Venus fordert diesen Tribut
von unserer gesamten Rasse. Jupiter liebte Europa
(daher der erste Aufstieg unserer Familie), indem er
den Gott in die Gestalt eines Stiers verkleidete.
Pasiphae, meine Mutter, die von einem getäuschten Stier
geliebt wurde, wurde rechtzeitig von ihrer schuldigen
Last befreit. Der treulose Theseus, geleitet
vom treuen Faden, entkam mit Hilfe meiner Schwester
dem trügerischen Labyrinth. Siehe, auch ich
gebe mich den mächtigen Gesetzen meines Blutes hin,
um die Rasse des Minos nicht zu verleugnen.
Sicherlich war es unser Schicksal; ein Haus
gewann die Neigungen beider. Ich bin entzückt
von deiner Gestalt und Erscheinung; meine Schwester
gab den Reizen deines Vaters nach. Theseus
und sein Sohn haben über zwei Nymphenschwestern
triumphiert. Erhebt Trophäen eures Sieges
über unsere Rasse. Oh, wie sehr wünschte ich,
ich wäre durch die Felder Kretas gewandert,
als ich dich zum ersten Mal Eleusis, die Stadt
der Ceres, betreten sah! Vor allem damals
(und schon vorher hattest du mich bezaubert)
loderte die durchdringende Flamme der Liebe
in meinen Knochen. Weiß war dein Gewand;
dein Haar war geschmückt mit einem Kranz;
eine bescheidene Röte hatte dein anmutiges
Gesicht überzogen. Dieses Gesicht, das anderen
streng und wild erscheint, war in Phaedras Augen
edel und voll männlichen Mutes. Ich hasse junge Leute,
die sich gern kleiden und weibliche Schönheit mögen:
eine männliche Gestalt erfordert wenig Gestaltung.
Diese Strenge, diese sorglosen Locken und das edle,
mit Staub befleckte Gesicht stehen dir gut.
Ob du dich dem widerstrebenden Hals des feurigen Rosses
beugst, ich freue mich, ihn im engen Kreis kreisen zu sehen;
oder ob du mit kräftigem Arm den schweren Speer schleuderst,
meine Augen beobachten immer noch den männlichen Wurf.
Oder schwingst du den Jagdspeer aus breitspitzigem Stahl?
Kurz gesagt, alles, was du tust, bereitet mir Freude.
Lass deine Grausamkeit in den Wäldern und Bergen;
und lass mich, die ich ein solches Schicksal nicht verdiene,
nicht deinetwegen zugrunde gehen. Welche Freude
kann es bereiten, sich ganz in die Übungen
der Diana zu vertiefen und Venus die ihr gebührenden
Gelübde und Verpflichtungen zu verweigern?
Was keine Ruhepause zulässt, kann nicht lange bestehen.
Ruhe erneuert unsere Kraft und erfrischt unsere
müden Glieder. Der Bogen (und sicherlich können
die Arme deiner Lieblingsgöttin ein Beispiel
zu deiner Nachahmung sein) verliert seine Kraft,
wenn er immer gespannt ist. Kephalos war
in den Wäldern berühmt; durch seine Hand wurden
viele wilde Tiere getötet; doch er war den Freuden
der Liebe kein Feind. Aurora verzichtete weise für ihn
auf das Alter. Oft saßen Venus und Adonis
unter einer ausladenden Eiche auf dem nachgiebigen Gras.
Auch Meleager brannte für Atalante: Sie genoss
als Pfand seiner Liebe die Beute des kalydonischen Ebers.
Lass uns jetzt auch zuerst dieser glorreichen Menge
beitreten. Wenn du die Liebe verbannst, wird der Wald
in eine Wüste verwandelt, wo du selbst verschmachtest.
Ich werde die Partner deiner Mühen sein: weder
die scheußlichen Felsen mit ihren Höhlen und Grotten
noch der wilde Anblick des drohenden Ebers
werden mich erschrecken. Es gibt eine Landenge
zwischen zwei Meeren; die aufsteigenden Wogen
schlagen gegen beide Ufer. Hier werde ich dich
in Trœzen treffen, einst das Königreich von Pittheus:
Es ist mir schon jetzt viel lieber als mein Heimatland.
Der Held aus Neptuns Geschlecht ist glücklicherweise
abwesend und wird es auch lange bleiben:
Er ist jetzt im Land seines geliebten Pirithous.
Theseus (sofern wir nicht bestreiten, was offensichtlich ist)
zieht Pirithous sowohl seiner Phaedra als auch dir vor:
und das ist nicht die einzige Verletzung, die er uns
zugefügt hat; denn wir beide wurden in Angelegenheiten
von großer Bedeutung ungerecht behandelt.
Die Knochen meines Bruders, die er mit einer knotigen
Keule zerschmetterte, verstreute er auf dem blutigen Boden:
Meine Schwester wurde den wilden Tieren
zum Opfer gegeben. Du rühmst dich einer Mutter,
die der Tapferkeit ihres Sohnes würdig ist,
von herausragender Tapferkeit unter den amazonischen
Mädchen. Wenn du nach ihr fragst, Theseus
hat sie unmenschlich erstochen; und ein so großes
Versprechen konnte die unglückliche Mutter
nicht schützen. Sie wurde weder getraut
noch mit der Hochzeitsfackel empfangen.
Warum das alles, wenn nicht, um dich vom Thron
deines Vaters auszuschließen? Er hat dir außerdem
von mir Brüder hinzugefügt, die auf seinen Befehl
erzogen wurden, anstatt auf meinen. Ich wünschte,
du schönster aller Männer, das Kind, das mit dir
konkurrieren könnte, wäre bei der Geburt gestorben.
Welche Ehrfurcht kann man nach all dem dem Bett
deines Vaters schulden, das er selbst meidet
und verlassen hat? Und lass dich nicht von eitlen
Ängsten beunruhigen, dass der Handel
zwischen Sohn und Schwiegermutter schändlich ist.
Diese altmodische Frömmigkeit, die nicht lange
bestehen konnte, passte nur zum ländlichen Zeitalter
des Saturn. Jupiter hat das Vergnügen zum Prüfstein
der Frömmigkeit gemacht und uns ein Beispiel gegeben,
indem er seine eigene Schwester heiratete.
Dieses Blutsband ist am stärksten, es wird durch die Bande
der Venus gestärkt. Es wird leicht sein, es zu verbergen:
Der Name der Verwandten wird unsere Freiheiten
rechtfertigen. Wer unsere gegenseitigen Umarmungen sieht,
wird uns loben; ich werde als Stiefmutter gelten,
zärtlich gegenüber dem Sohn meines Mannes.
Keine widerspenstigen Tore dürfen nachts
aufgebrochen werden, kein wachsamer Wächter
darf getäuscht werden. Ein Haus diente uns beiden,
ein Haus wird uns weiterhin dienen. Du hast mich
offen gestreichelt, und ich tue dies auch weiterhin.
Hier wirst du in Sicherheit sein, und unsere Freiheiten
werden uns nicht der Schuld aussetzen, sondern
uns Lob einbringen. Vertreibe nur die Verzögerung
und beeile dich, unsere gegenseitige Liebe zu vollenden,
damit der Tyrann, der in meiner Brust wütet,
sich dir gegenüber als sanft erweisen kann.
Ich lasse mich herab, dich durch Gebete und Bitten
anzusprechen; wo ist jetzt mein Stolz? Wo sind
meine gewohnten Prahlereien? Ich hatte beschlossen,
lange durchzuhalten und nicht leicht einem Verbrechen
nachzugeben, wenn die Liebe zu irgendeiner
festen Entschlossenheit fähig wäre. Aber von ihrer Macht
unterworfen, wende ich mich dem Gebet zu
und umklammere mit meinen königlichen Händen
deine Knie. Liebende sind leider selten
von einem Gefühl der Anständigkeit beeindruckt:
Scham und Bescheidenheit sind geflohen.
Denke positiv über mein liebevolles Geständnis nach
und bemitleide mein Leiden. Was, wenn mein Vater
das Reich der Meere innehat und mein Urgroßvater
den schnellen Donner schleudert? Was,
wenn mein Großvater, gekrönt mit spitzen Strahlen,
den prächtigen Streitwagen des Tages lenkt?
Adel macht der Liebe Platz. Habe jedoch etwas Rücksicht
auf meine Rasse; und wenn du mich unterschätzt,
zeige dennoch Respekt vor meiner Rasse. Die berühmte
Insel Kreta fällt mir durch Erbschaft zu:
hier wird mein Hippolytus uneingeschränkt herrschen.
Besiege diese störrische Seele, mein junger Geliebter.
Meine Mutter konnte sogar einem Stier Liebe einflößen;
und du wirst grausamer sein als ein wilder Stier?
Höre also, um der Venus willen, die allmächtig ist
bei mir; mögest du niemals eine verächtliche Schönheit
lieben. Möge die schnelle Diana dich
in den entlegenen Wäldern begleiten und die Wälder
dir das beste Wild bieten. Mögen die Satyrn
und Berggötter dich beschützen und der Eber fallen,
durchbohrt von deinem zitternden Speer.
Mögen die gütigen Nymphen (obwohl man sagt,
dass du das sanftere Geschlecht hasst)
deinen brennenden Durst mit dankbaren Strömen stillen.
Viele Tränen begleiten diese Gebete; denke,
während du die Worte deiner Phädra liest,
dass du auch die Tränen aus ihren Augen strömen siehst.
ZEHNTER GESANG
Ich werde dir von Anfang an alles erzählen, wonach du fragst,
und wenn die Geschichte zu lang wird, vergib mir, Herr.
Denn nicht so leise wie früher ließ die Jungfrau
die vielstimmige Stimme ihrer Orakel erklingen,
sondern stieß einen unheimlichen, verwirrten Schrei aus
und sprach wilde Worte aus ihrem lachkauenden Mund,
die die Sprache der dunklen Sphinx nachahmten.
Was ich in meinem Herzen und in meinem Gedächtnis habe,
höre du, o König, und folge, mit weisem Verstand
nachdenkend, den dunklen Pfaden ihrer Rätsel,
auf denen eine klare Spur auf geradem Weg
durch die in Dunkelheit gehüllten Dinge führt.
Und ich werde den äußersten Faden durchschneiden,
und werde ihren Pfaden der verschlagenen Sprache folgen
und den Ausgangspunkt wie ein geflügelter Läufer treffen.
Die Morgenröte schwebte gerade über den steilen Felsen
von Phegion auf schnellen Flügeln des Pegasus
und verließ sein Bett bei Kerne. Tithonus, dein Bruder
von einer anderen Mutter, und die Seeleute
lösten bei ruhigem Wetter die Taue vom zerfurchten Felsen
und schnitten die landwärts führenden Seile durch.
Und die Tausendfüßler, die hellhäutigen, storchenfarbenen
Töchter von Phalacra schlugen die jungfräuliche Thetis
mit ihren Klingen über Calydnae und zeigten
ihre weißen Flügel, ihre Heckverzierungen, ihre Segel,
die von den nördlichen Böen des flammenden
Sturmwindes ausgebreitet wurden: Dann öffnete
Kassandra ihre inspirierten Bacchus-Lippen
auf dem hohen Hügel des Schicksals, der
von der wandernden Kuh gegründet wurde,
und begann so zu sprechen prophetischen Lallens:
Ach! Meine unglückliche Amme wurde einst
von den kriegerischen Kiefern des Löwen verbrannt,
der an drei Abenden gezeugt wurde und den der Hund
des alten Triton mit seinen gezackten Zähnen
mit seinen Kiefern verschlang. Er aber,
ein lebender Zerleger der Leber des Ungeheuers,
der im Dampf des Kessels auf einem flammenlosen
Herd brodelte, ließ die Borsten seines Hauptes
zu Boden fallen; er, der Mörder seiner Kinder,
der Zerstörer meines Vaterlandes; der seine zweite Mutter,
die unverwundbar war, mit einem schmerzhaften Pfeil
auf die Brust traf; der auch mitten auf der Rennbahn
den Körper seines Ringervaters neben dem steilen Hügel
von Kronos, wo sich das Pferdekampfgrab
des erdgeborenen Ischenus befindet, in seine Arme nahm;
der auch den wilden Hund erschlug, der die Meerenge
des Ausonischen Meeres bewachte und in seiner Höhle
fischte, die stiertötende Löwin, die ihr Vater
wieder zum Leben erweckte, indem er ihr Fleisch
mit Brandzeichen verbrannte: sie, die Leptynis
nicht fürchtete, Göttin der Unterwelt. Doch eines Tages
erschlug ihn mit schwerterloser List ein Leichnam,
ja, sogar ihn, der einst Hades bezwang; ich sehe dich,
unglückliche Stadt, ein zweites Mal beschossen
von äakeischen Händen und von solchen Überresten,
wie sie das Begräbnisfeuer in Letrina des Sohnes
des Tantalus übrig ließ, als sein Körper von den Flammen
mit den geflügelten Pfeilen des Rinderhirten
Teutarus verschlungen wurde; all diese Dinge
wird die eifersüchtige Gattin ans Licht bringen,
indem sie ihren Sohn schickt, um das Land zu zeigen,
erzürnt über die Sticheleien ihres Vaters, um ihres Bettes
willen und wegen der fremden Braut. Und sie selbst,
die Heilkundige, wird, als sie die unheilbare Wunde
ihres Mannes sieht, verwundet durch die Riesentöterpfeile
seines Widersachers, ertragen, um sein Schicksal zu teilen,
von den höchsten Türmen bis zu der frisch getöteten Leiche,
die sich kopfüber in die Tiefe stürzt, und wird,
durchbohrt von Kummer um den Toten, ihre Seele
auf den zitternden Körper aushauchen in den Äther.
Ich trauere zweimal und dreimal um dich, der du wieder
dem Kampf der Speere und der Verwüstung deiner Hallen
und dem zerstörenden Feuer zusiehst. Ich trauere um dich,
mein Land, und um das Grab des tauchenden Sohnes
der Tochter des Atlas, der einst in einem
zusammengenähten Gefäß, das einem istrischen Fischkorb
mit vier Beinen glich, seinen Körper in einen Ledersack hüllte
und ganz allein wie ein Sturmvogel von Rheithymnia
schwamm, und Zerynthos verließ, Höhle der Göttin,
der Hunde geschlachtet werden, sogar Saos,
das starke Fundament der Cyrbantes, als der Regen
des Zeus die ganze Erde mit einer Flut verwüstete.
Und ihre Türme wurden zu Boden geschleudert,
und die Menschen machten sich ans Schwimmen,
da sie ihr endgültiges Schicksal vor ihren Augen sahen.
Und auf Hafer und Eicheln und süßen Trauben
grasten die Wale und Delphine und Robben,
die sich nach den Betten der Sterblichen sehnen.
Ich sehe den geflügelten Brandstifter herbeieilen,
um die Taube zu ergreifen, den Hund des Pephnos,
den der im Wasser kreisende Geier in einer runden Schale
zur Welt brachte. Und dich, betrogener Seemann,
soll der abwärts führende Pfad des Acheron empfangen
und du sollst nicht mehr durch die Ställe der zerklüfteten
Gehöfte deines Vaters wandeln wie damals,
als du Schiedsrichter der Schönheit für die drei Göttinnen warst.
Doch statt an Ställen wirst du an den Kiefern des Esels
und Las vorbeikommen, und statt einer Krippe
mit reichlich Futter und einem Schafstall und einem
Landmanns-Schwert werden dich ein Schiff und Ruder
des Phereclus zu den beiden Durchgangsstraßen
und den Ebenen des Gytheion bringen, wo du, auf den Felsen,
die gebogenen Zähne der Anker des Kiefernschiffs
fallen lassend, um dich vor der Flut zu schützen,
von den Sprüngen ausruhen wirst, die sie
mit neun Segeln schnell machten wie der Blitz.
Und wenn du, Wölfin, die unverheiratete junge Kuh
ergriffen, sie ihrer beiden Taubentöchter beraubt
und sie in ein zweites Netz fremder Schlingen geraten
und von der Lockpfeife des Vogelfängers gefangen worden,
während sie am Strand die Erstlinge der Herden
den Nymphen der Thysade und der Göttin Byne übergibt,
dann sollst du an Scandeia und am Kap von Aegilon
vorbeirasen, ein wilder Jäger, der über den Fang frohlockt.
Und auf der Dracheninsel von Akte, im Herrschaftsgebiet
des zweigestaltigen Sohnes der Erde, sollst du dein Verlangen
von dir weisen; doch sollst du morgen keine Nachwirkungen
der Liebe sehen, in leeren Armen eine kalte Umarmung
und ein Bett im Traumland liebkosen. Für den mürrischen
Ehemann, dessen Gattin Torone von Phlegra ist, er,
dem Lachen und Tränen gleichermaßen zuwider sind
und der beides nicht kennt und verachtet; der einst
von Thrakien zu dem Küstenland reiste, das vom Ausfluss
des Triton zerfurcht wird; nicht mit einem Segelschiff,
sondern auf einem unbetretenen Pfad, wie ein Schimmel,
der einen Geheimgang in die gespaltene Erde bohrt,
bahnte er sich seinen Weg unter dem Meer,
dem Fremdentötungskampf seiner Söhne ausweichend
und an seinen Vater Gebete sendend, die erhört wurden,
nämlich, dass er ihn mit zurückkehrenden Füßen
in sein Vaterland bringen möge, woher er als Wanderer
nach Pallenia gekommen war, Amme der Erdgeborenen –
er, wie Guneus, ein Straftäter und Schiedsrichter
der Sonnentochter Ichnae, wird dich mit bösen Worten
angreifen und dich deiner Braut berauben, dich in deinem
Verlangen von deiner lüsternen Taube vertreiben:
dich, der du, ohne Rücksicht auf die Gräber von Lycus
und Chimaereus, ruhmreich in Orakeln, noch deine Liebe
zu Antheus noch das reine Salz von Aigaeon,
das von Gastgeber und Gast gemeinsam gegessen wurde,
wagtest, die Götter zu verachten und die Gerechtigkeit
zu überschreiten, den Tisch umzutreten und Themis
umzuwerfen, nach der Bärin, die dich gesäugt hat.
Vergeblich wirst du daher die lärmende Bogensehne
schwirren lassen und Melodien spielen, die weder Nahrung
noch Geld bringen; und in Trauer wirst du
in dein Vaterland zurückkehren, das vor langer Zeit
verbrannt wurde, und den Zorn des fünfmal verheirateten,
rasenden Nachkommen von Pleuron in deinen Armen halten.
Denn die lahmen Töchter des alten Meeres
mit dreifachem Faden haben beschlossen,
dass ihre Bettgenossinnen ihr Hochzeitsfest
unter fünf Bräutigamen aufteilen sollen.
Zwei wird sie sehen wie reißende Wölfe, geflügelte,
lüsterne Adler mit scharfen Augen; der dritte
entsprang den Wurzeln des Plynos und der karischen
Gewässer, ein Halb-Kreter, ein Barbar aus Epeius,
kein echter Argiver von Geburt: dessen Großvater
aus der alten Ennaia Hercynna Erinys Thuria,
die Schwertträgerin, mit ihren Kiefern Fleisch zerschnitt
und es in ihrer Kehle vergrub, wobei sie den Knorpel
seiner Schulter verschlang: dieser, der wieder verjüngt wurde
und der schweren, gewalttätigen Begierde des Herrn
der Schiffe entging und von Erechtheus in die Felder
Letrinas gesandt wurde, um den glatten Felsen
von Molpis zu schleifen – dessen Körper
dem regnerischen Zeus als Opfer dargeboten wurde –,
damit er den Freiermörder mit der unheiligen List
zur Tötung seines Schwiegervaters besiegen konnte,
die der Sohn des Cadmilus ersonnen hatte;
der seinen letzten Becher trank und in sein Grab
in Nereus eintauchte – das Grab, das seinen Namen trägt –
und einen vernichtenden Fluch auf die Rasse aussprach;
sogar er, der die Zügel der schnellfüßigen Psylla
und der Harpinna hielt, die wie die Harpyien Hufe bewegten.
Als Vierter wird sie den eigenen Bruder des herabstoßenden
Falken wiedersehen; er, so wird man verkünden,
hat im Ringen des Krieges den zweiten Preis
unter seinen Brüdern gewonnen. Und den Fünften
wird sie auf seinem Bett dahinsiechen lassen,
abgelenkt durch ihr Phantomgesicht in seinen Träumen;
den zukünftigen Ehemann der fremden Raserei-Dame
von Cyta; ihn, den eines Tages der Verbannte
aus Oenone zeugte, indem er die sechsfüßige Ameisenschar
in Menschen verwandelte – den pelasgischen Typhon,
der von sieben Söhnen als einziger in der Flamme
verzehrt wurde und der feurigen Asche entkam.
Und er wird auf seinem Heimweg kommen und die gelbbraunen
Wespen aus ihren Verstecken aufscheuchen,
so wie ein Kind ihr Nest mit Rauch stört. Und sie werden
ihrerseits kommen und den tosenden Winden grausam
die junge Kuh opfern, die den nach Krieg benannten
Sohn gebar, die Mutter, die vom Drachen von Skyrus
zur Welt gebracht wurde; nach ihr wird ihr Mann
im Salmydesischen Meer suchen, wo sie den Griechen
die Kehlen durchschneidet, und lange Zeit
auf dem weißgekrönten Felsen am Ausfluss
der sumpfigen Wasser des keltischen Stroms verweilen;
er wird sich nach seiner Frau sehnen, der sie,
nachdem sie eine Hirschkuh getötet hat, vor dem Messer
retten wird, indem sie ihr stattdessen seine eigene Kehle
anbietet. Und die tiefe Einöde in der Brandung der Wellen
am Strand soll die Jagd des Bräutigams genannt werden,
die seinen Untergang und seine vergebliche Seefahrt
betrauert und die, die verschwand und in eine alte Hexe
verwandelt wurde, neben den Opfergefäßen
und dem glänzenden Wasser und der Schale des Hades,
aus deren Tiefen Flammen sprudeln, worauf
die dunkle Dame blasen wird und das Fleisch
der Toten einkocht, wie es eine Köchin täte.
Und er wird wehklagend etwa fünf Jahre lang
durch das Land der Skythen ziehen und sich
nach seiner Braut sehnen. Und sie, neben dem Altar
des ersten Propheten Kronos, der die unreifen Jungen
mit ihren Müttern verschlingt, sich selbst durch das Joch
eines zweiten Eides bindend, werden das starke Ruder
in ihre Arme nehmen und ihn anrufen, der sie
in ihren früheren Leiden gerettet hat, nämlich Bacchus,
den Umstürzer, dem der Stiergott eines Tages
im Schrein neben der Höhle von Delphinius,
dem gewinnbringenden Gott, dem Herrscher
über tausend Schiffe, einer städteplündernden Armee,
ein geheimes Opfer darbringen wird. Und als unerwartete
Vergeltung für seine Opfergaben wird der Gott
von Phigaleia, der lustvolle Fackelgott, den Löwen
von seinem Bankett abhalten, indem er seinen Fuß
in Weiden verfängt, sodass er das Kornfeld der Menschen
weder völlig zerstört, noch es mit Zähnen
und verschlingenden Kiefern verzehrt und verwüstet.
Seit langem sehe ich die Spirale des Leids,
die in der Salzlake dahinzieht und gegen mein Vaterland
zischt, schreckliche Drohungen und feuriges Verderben.
Hätte doch Kadmus im meerumgürteten Issa
dich nie zum Führer der Feinde gezeugt, Vierter
in der Nachkommenschaft des unglücklichen Atlas,
dich, Prylis, der du geholfen hast, deine eigenen
Verwandten zu stürzen, Prophet, der sich des besten
Glücks am sichersten ist! Und hätte doch mein Vater
die nächtlichen Schrecken des Orakels des Äsakos
nicht verschmäht und hätte er um meines Vaterlandes
willen die beiden in einem einzigen Gericht umgebracht
und ihre Körper mit lemnischem Feuer verascht.
Dann wäre nicht solches Leid übers Land hereingebrochen.
Und nun sieht Palaemon, dem die Babys erschlagen werden,
die graue Titanidenbraut des Ogenus, die von den Möwen
mit den Schnüren wimmelt. Und nun werden zwei
Kinder zusammen mit ihrem Vater erschlagen,
dem mit dem harten Mühlstein auf das Schlüsselbein
geschlagen wird, ein Omen für einen guten Anfang;
jene Kinder, die zuvor entkamen, als sie in einer Arche
in den Tod geworfen wurden, durch die Lügenrede
des Pfeifers, auf den der mürrische Metzger
seiner Kinder hörte – er, der von Möwen aufgezogen wurde,
gefangen in den Netzen der Fischer, Freund
der Strandschnecke und der gespaltenen Meeresschnecke –
und seine beiden Kinder in eine Truhe sperrte.
Und damit wird der Elende, der nicht daran dachte,
den Befehl der Göttin Mutter zu überbringen, sondern
in Vergesslichkeit irrte, auf seinem Gesicht sterben,
seine männliche Brust vom scharfen Schwert durchbohrt.
Und nun stöhnt Myrina an den Küsten und wartet
auf das Schnauben der Pferde, wenn der wilde Wolf
mit seinem pelasgischen Fuß schnell auf den letzten
Strand springt und die klare Quelle aus dem Sand
sprudeln lässt und Quellen öffnet, die bisher
verborgen waren. Und nun heizt Ares, der Tänzer,
das Land an und leitet mit seiner Muschel den Gesang
des Blutes. Und das ganze Land liegt verwüstet
vor meinen Augen, und wie Kornfelder strotzen
die Felder vor glänzenden Speeren. Und in meinen Ohren
klingt eine Stimme der Klage von den Turmspitzen
bis zu den windstillen Sitzen der Luft, mit stöhnenden
Frauen und zerreißenden Gewändern, die Kummer
über Kummer erwarten, Wehe über Wehe.
Dieses Leid, o mein armes Herz, dieses Leid
wird dich wie die Krönung des Kummers treffen,
wenn der dunkle, schwertbewehrte, helläugige Adler
tobt und mit seinen Flügeln das Land markiert –
die Spur, die von den gewundenen, krummen
Schritten gezogen wird – und mit seinem Mund
seinen misstönenden und kalten Schrei ausstößt,
den liebsten Säugling aller deiner Brüder hochträgt,
der dir und seinem Vater, dem Herrn von Ptoön,
am liebsten ist, und seinen Körper mit Kralle
und Schnabel blutig macht und das Land, Sumpf
und Ebene, mit Blut befleckt, wie ein Pflüger,
der eine glatte Furche in die Erde reißt. Und nachdem er
den Stier getötet hat, nimmt er den Preis dafür,
gewogen auf der strengen Waage. Aber eines Tages
wird er zur Belohnung ein gleiches Gewicht
des weit glänzenden Metalls des Paktolus
in die Waage gießen, und in den Kelch des Bacchus steigen,
um den die Nymphen weinen, die das klare Wasser
des Bephyras und den hohen Sitz des Throns über Pimpleia
lieben; sogar er, der Leichenhändler, der, im Voraus
sein Schicksal fürchtend, es ertragen wird,
ein Frauengewand über seinen Körper zu binden,
das lärmende Weberschiffchen am Webstuhl zu bedienen
und der Letzte sein wird, der seinen Fuß in das Land
des Feindes setzt, und der im Schlaf vor deinem Speer kauert.
O Schicksal, was für eine Säule unseres Hauses
wirst du zerstören, indem du ihr die Hauptstütze
aus meinem unglücklichen Vaterland entziehst!
Doch nicht ungestraft, nicht ohne bittere Mühsal
und Kummer wird die Piraten-Truppe der Dorer lachen
und über das Schicksal der Gefallenen jubeln;
sondern am Heck, das die letzte Runde des Lebens dreht,
werden sie zusammen mit den Schiffen aus Kiefernholz
verbrannt werden, und oft zu Zeus, dem Herrn
des Fluges, rufen, er möge den Untergang
eines bitteren Schicksals ersparen. An jenem Tag
werden weder Schützengräben noch Verteidigungen
von Marinestationen, noch Palisaden mit Pfählen,
noch Gesimse oder Zinnen helfen. Doch wie Bienen,
verwirrt von Rauch und Flammengewitter
und dem Schleudern von Fackeln, werden viele Taucher
von Deck auf Heck, Bug und Sitzbänke springen
und den fremden Staub mit Blut beflecken.
Und viele Häuptlinge und viele, die die erlesensten
Beutestücke davontrugen, die Hellas errungen hatte,
und Ruhm in ihrer Geburt, werden deine mächtigen
Hände zerstören, voll Blut und kampfeslustig.
Aber nicht weniger Kummer werde ich ertragen
und dein Begräbnis beklagen, ja, mein ganzes Leben lang.
Denn jämmerlich, jämmerlich wird dieser Tag
für meine Augen sein und die Krönung all meiner Leiden,
die die Zeit, die den Mond umkreist, herbeiführen wird.
Ja! Auch ich, die die schöngezüchtete Blume war,
stöhne, oh junger Löwe, süßer Liebling deiner Verwandten,
der du mit dem feurigen Zauber der Pfeile
den grimmigen Drachen erschlugst und den Geschlagenen
für einen Augenblick ohne Lieblosigkeit
in der unentrinnbaren Schlinge fesseltest, während
du selbst von deinem Opfer unverletzt wurdest:
Du sollst dein Haupt verlieren und deines Vaters
Altargrab mit deinem schwarzen Blut beflecken.
O ich Unglückliche! Die beiden Nachtigallen
und ihr Schicksal, armer Hund, beweine ich. Eine,
mit Stumpf und Stiel, wird den Staub, den ihr
die Geburt gab, gähnend in einer geheimen Spalte
verschlingen, wenn sie die nahenden Füße
des beklagenswerten Schicksals sieht, selbst dort,
wo der Hain ihrer Vorfahren ist und wo die junge Kuh
der geheimen Braut in einem Grab mit ihrem Jungen liegt,
bevor sie je die süße Milch trank und bevor sie
sie mit frischem Wasser vom Schmutz des Wochenbetts
reinigte. Und dich zu grausamen Braut- und Hochzeitsopfern
wird der mürrische Löwe, Kind des Iphis, führen,
die Lustrationen seiner dunklen Mutter nachahmend;
über dem tiefen Eimer wird der furchtbare, schlachtende
Drache dir die Kehle durchschneiden, als wäre es
eine bekränzte Färse, und dich mit dem dreimal
herabgestiegenen Schwert von Candaon töten,
und das Blut des ersten Schwuropfers für die Wölfe
vergießen. Und dich, wiederum, ein alter Gefangener
am hohlen Strand, gesteinigt vom öffentlichen Arm
der Doloncier, aufgeweckt durch die schimpfenden Flüche,
wird ein Gewand mit einem Steinregen bedecken,
wenn du die zobelschwänzige Gestalt von Maira anziehst.
Und er, erschlagen neben dem Altargrab des Agamemnon,
wird den Sockel mit seinen grauen Locken schmücken –
er selbst, der als armer Gefangener, der für den Schleier
seiner Schwester freigekauft wurde, in sein
vom Feuer verwüstetes Land kam und seinen früheren
Namen in trübe Dunkelheit hüllte – zu der Zeit,
wenn die wilde Schlange mit dem Kamm, die Verkäuferin
des Landes, das sie gezeugt hat, die schmerzliche
Fackel anzündet und die Bauchbinden zieht
und den mühseligen, schrecklichen Hinterhalt entfesselt,
und wenn der eigene Vetter des listigen Fuchses,
Sohn des Sisyphos, sein böses Leuchtfeuer entzündet
für diejenigen, die fort segelten zum engen Leukophrys
und zu den beiden Inseln des kinderfressenden Porceus.
Und ich, die Unglückliche, die die Ehe ablehnte,
verbarg meinen Körper im Gebäude meines steinernen,
jungfräulichen Gemachs ohne Decke in der offenen
Wohnung meines dunklen Gefängnisses. Ich, die ich
aus meinem jungfräulichen Bett den Gott
Thoraios verschmähte, den Herrn von Ptoön,
den Herrscher der Jahreszeiten, als einen,
der die ewige Jungfräulichkeit bis ins höchste Alter
als mein Teil erachtet hatte, in Nachahmung derjenigen,
die die Ehe verabscheut, nämlich Pallas, die Beutetreiberin,
die Wächterin der Tore. An jenem Tage werde ich
wie eine Taube zum Horst des Geiers in Raserei
heftig mit krummen Klauen gezerrt werden. Ich,
die ich oft die Jungfrau, die Ochsengespannführerin,
die Möwe anrief, um mir zu helfen und mich
vor der Ehe zu schützen. Und sie wird bis zur Decke
ihres aus Holz geschnitzten Schreins ihre Augen
erheben und zornig sein auf das Heer, selbst auf sie,
die vom Himmel und vom Thron des Zeus fiel,
um ein überaus kostbarer Besitz für meinen Urgroßvater,
den König, zu sein. Und wegen der Sünde eines Mannes
wird ganz Hellas die leeren Gräber von zehntausend
Kindern betrauern – nicht in Gefäßen aus Knochen,
sondern auf Felsen thronend, noch in Urnen verborgen,
die einbalsamierte letzte Asche aus dem Feuer,
wie es das Ritual der Toten ist, sondern ein mitleiderregender
Name und Legenden auf leeren Steinhaufen, getränkt
mit den brennenden Tränen der Eltern und Kinder
und der Trauer der Ehefrauen, die schlagen die Brüste.
O Opheltes und Zarax, der du die geheimen Orte der Felsen
und Klippen bewahrst, die Trychanten und den schroffen
Nedon, und all ihr Gruben des Dirphossus und Diacria
und du, Schlupfwinkel des Phorcys! Welches Stöhnen
werdet ihr hören von Leichen, die mit entzweigebrochenen
Decks an die Oberfläche geworfen werden, und welchen
Tumult der Woge, der man nicht entgehen kann,
wenn das schäumende Wasser die Menschen in seinen
wirbelnden Fluten zurückzieht! Und wie viele Thunfische
mit den Nähten ihrer Köpfe platzen auf der Bratpfanne!
Sie werden vom herabstürzenden Blitz in der Dunkelheit
verschlungen, während sie umkommen: wenn der Zerstörer
sie führen wird, ihre Köpfe noch immer gewölbt
aus der Ausschweifung, und eine Fackel anzünden wird,
um ihre Schritte in der Dunkelheit zu leiten,
während sie an seiner schlaflosen Kunst sitzen.
Und einen, wie einen tauchenden Eisvogel, wird die Welle
durch die schmale Meerenge tragen, einen nackten,
gefräßigen Fisch, der zwischen den doppelten Riffen
gefangen ist. Und auf den Gyrae-Felsen, wo er seine
Federn trocknet, die vom Meer tropfen, wird er
einen zweiten Schluck der Salzlake trinken, die
von der dreiklauenbewehrten Lanze vom Ufer
geschleudert wurde, womit dieser furchtbare Bestrafer,
Der einst ein Sklave war, ihn schlagen und zwingen wird,
sein Rennen zwischen den Walen zu laufen, wobei er
wie ein Kuckuck seine wilden Schimpfwörter ausstößt.
Und sein eiskalter Delphin-Tod, ans Ufer geworfen,
wird die Strahlen des Sirius verdorren. Und,
verfaulter Mumienfisch, zwischen Moos und Seetang
wird ihn Nesaias Schwester aus Mitleid verstecken,
sie, die die Helferin des mächtigsten Herrn
von Cynaetha war. Und sein Grab neben der Wachtel,
die zu Stein wurde, wird zitternd der Brandung
des Ägäischen Meeres zusehen. Und verbittert
wird er in der Unterwelt die Göttin von Kastellion
und Melina mit bösen Beschimpfungen beschimpfen,
die ihn in den unentrinnbaren Maschen der Begierde
gefangen halten wird, in einer Liebe, die keine Liebe ist,
sondern ihm die todbringende Schlinge der Erinnyen zuwirft.
Und das ganze Land wird Wehklagen hören – alles,
was Aratthos und die unpassierbaren Leibethrischen Tore
von Dotion umschließen: bei all diesen, ja, sogar
an der Küste von Acheron wird meine Braut
lange betrauert werden. Denn in den Mäulern
vieler Seeungeheuer wird der zahllose Schwarm
begraben sein, verschlungen von ihren Kiefern
mit vielen Zahnreihen; während andere, Fremde
in einem fremden Land, ohne Verwandte,
ihre ewig beweinten Gräber erhalten werden.
Denn ein Bisaltier Eion am Strymon, der dicht
mit den Apsynthiern und Bistoniern marschierte,
nahe bei den Edoniern, wird die alte Amme der Jugend,
runzelig wie eine Krabbe, verbergen, bevor
er jemals Tymphrestus' Felsen erblickt: ihn, den sein Vater
von allen Menschen am meisten hasste, der die Lampen
seiner Augen durchbohrte und ihn blind machte,
als er das Bastardbett der Turteltaube betrat.
Und drei Möwen werden die Lichtungen von Kerkaphus
begraben, nicht weit von den Wassern von Aleis:
die eine den Schwan von Molossus Cypeus Coetus,
der die Zahl der Jungen der Brutsau nicht erraten konnte,
als er seinen Nebenbuhler in den listigen Wettkampf
der wilden Feigen hineinzog und selbst, wie das Orakel
vorhersagte, irren und den vorherbestimmten Schlaf
schlafen wird; die nächste, wiederum, ist die vierte
in der Nachkommenschaft von Erechtheus,
dem eigenen Bruder von Aethon in der Geschichte;
und drittens der Sohn dessen, der mit der strengen Hacke
die hölzernen Mauern der Ektenes pflügte, der Gongylates,
den Ratgeber, den Müller, erschlug und ihm
mit seiner fluchvertreibenden Peitsche den Kopf
zerschmetterte, als die jungfräulichen Töchter
der Nacht diejenigen bewaffneten, die die Brüder
ihres eigenen Vaters waren, aus Lust am Verhängnis,
das ihnen gegenseitig zugefügt wurde von den Moiren.
Und zwei an der Mündung der Flüsse von Pyramus,
Hunde des Deraenus, werden durch gegenseitiges
Abschlachten getötet und kämpfen ihre letzte Schlacht
am Fuße der Türme der Tochter von Pamphylus.
Und eine steile, vom Meer umspülte Festung,
nämlich Mabarsus, wird zwischen ihren heiligen
Steinhaufen stehen, so dass sie, selbst wenn sie
zu den Wohnstätten der Toten hinabgestiegen sind,
nicht die blutigen Gräber der anderen sehen können.
Und fünf werden zur Gehörnten Insel der Wespen
und des Satrachus und in das Land des Hylates kommen
und neben Morpho, der Herrin von Zerynthus, wohnen.
Einer wird es sein, der durch die Hohngelächter seines Vaters
aus der Höhle des Kychreus und den Wassern
des Bokarus verbannt werden wird; er, mein Vetter,
als uneheliches Geschlecht, das Verderben seiner Sippe,
der Mörder des Füllens, das vom selben Vater
gezeugt wurde; der seine mit dem Schwert gejagte
Raserei an den Herden ausließ; den die Haut des Löwen
durch das Erz im Kampf unverwundbar machte
und der nur einen Weg zum Hades und zu den Toten besaß –
den, den der Köcher der Skythen verdeckte, als der Löwe,
ein brennendes Opfer für Komyrus, sein Gebet
an seinen Vater richtete, das erhört wurde, während
er das Junge seines Kameraden in den Armen wiegte.
Denn er wird seinen Vater nicht überzeugen,
dass der lemnische Blitz von Enyo – er, der mürrische
Stier, der sich nie zur Flucht wandte – seine eigenen
Eingeweide mit der Gabe seines erbittertsten Feindes traf,
in traurigem Sprung auf die Schwertschneide stürzte,
in selbstverschuldetem Gemetzel. Weit weg
von seinem Vaterland wird sein Vater Trambelus‘
Bruder vertreiben, den meines Vaters Schwester gebar,
als sie ihn gab, der die Türme als Erstlingsfrucht
des Speers zerstörte. Sie war es, die der Schwätzer,
der Vater von drei Töchtern, im Rat seiner Stadtbewohner
forderte, als dunkles Festmahl für den grauen Hund
geopfert werden sollte, der mit salzigem Wasser
das ganze Land in Schlamm verwandelte, Wellen
aus seinen Kiefern spuckte und mit wilder Flut
den ganzen Boden überschwemmte. Doch statt des Spechts
verschluckte er einen Skorpion und beklagte sich
bei Phorkos über die Bürde seiner schlimmen Mühsal,
um in seinem Schmerz einen weisen Rat zu finden.
Der zweite, der auf die Insel kommt, ist ein Landsmann
und Bauer, der sich von einfacher Nahrung ernährt,
einer der Söhne der Eiche, der wolfsähnlichen Fresser
des Fleisches von Nyctimus, eines Volkes,
das vor dem Mond existierte, und das im tiefsten Winter
sein Grundnahrungsmittel, das Eichenbrot, in der Asche
des Feuers erhitzte. Er wird nach Kupfer graben
und aus dem Graben den Boden ziehen und jede Grube
mit der Hacke ausgraben. Seinen Vater tötete der Stoßzahn
von Oeta und zerquetschte seinen Körper
in den Bauchregionen. In Trauer, der elende Mann,
erfuhr er die Wahrheit des Sprichworts, dass das alles
planende Schicksal der Menschen so manches
zwischen das Leben und den Schluck des Kelches wirft.
Derselbe Stoßzahn, ganz mit glitzerndem Schaum bedeckt,
übte nach seinem Fall Rache an seinem Mörder
und traf mit einem unausweichlichen Schlag
den Knöchel des Tänzers, der tanzte wie Gott.
Und der dritte ist der Sohn dessen, der aus der Felshöhle
die Arme des Riesen nahm; er nämlich, in dessen
geheimes Bett sich jene junge Kuh von Ida
selbst eingeladen haben wird, die lebendig
in die Unterwelt hinabsteigen wird, erschöpft von Wehklagen,
die Mutter des Munitus, den eines Tages, während er jagt,
eine Viper von Crestone töten wird, indem sie ihm
mit einem wilden Stich in die Ferse beißt; zu der Zeit,
in die Hände seines Vaters die Mutter dieses Vaters,
gefangen genommen, das junge Junge legen wird,
das im Dunkeln aufgezogen wurde: sie allein,
der die Wölfe, die das Volk von Acte plünderten,
das Joch der Sklaverei auferlegten, um die vergewaltigte
Bacchantin zu rächen, jene Wölfe, deren Kopf
eine gespaltene Eierschale bedeckt, um sie
vor dem blutigen Speer zu schützen; alles andere
bewacht das wurmzerfressene, unberührte Siegel
in den Hallen, ein großes Wunder für die Menschen
des Landes. Diese Dinge werden eine Leiter
zur Spur der Sterne für die Zwillings-Halbunsterblichen
errichten. Den darfst du, o Retter Zeus, niemals
gegen mein Vaterland schicken, um dem zweimal
vergewaltigten Wachtelkönig zu helfen, noch dürfen sie
ihre geflügelten Schiffe ausrüsten und vom Heck
aus ihren nackten, schnellen Fuß in den Landeplatz
der Bebrycen setzen! Auch jene anderen, die mächtiger
sind als diese Löwen, die unnahbar tapfer sind,
die Ares liebt, und die göttliche Enyo und die Göttin,
die am dritten Tag geboren wurde, Boarmia Bia.
Die Mauern, die die beiden Handwerker Drymas
und Prophantus, Herr von Cromna, für den König
errichteten, der seinen Eid brach, würden
keinen Tag gegen die reißenden Wölfe ausreichen,
um ihren schweren, verheerenden Angriff abzuwehren,
selbst wenn sie vor den Türmen den mächtigen
Canastraern, den einheimischen Riesen, als Riegel
gegen die Feinde hätten, der begierig darauf ist,
mit einem gezielten Pfeil den ersten Angreifer
der Herde zu treffen. Sein Speer soll einen kühnen Falken
mit der ersten Hand treffen, der einen schnellen
Sprung ausführt, der beste der Griechen, für den,
wenn er tot ist, die bereite Küste der Doloncier
von alters her ein Grab baut, sogar Mazusia,
das aus dem Horn des trockenen Landes ragt.
Aber wir haben einen, ja, einen, auf den wir nicht hoffen können,
als gnädigen Kämpfer, nämlich den Gott Drymnius
Promatheus Aethiops Gyrapsius, der, wenn sie,
denen es bestimmt ist, schreckliche und unerwünschte
Dinge zu erleiden, in ihren Hallen ihren verhängnisvollen
Gast empfangen, den gierigen Räuber, den wandernden
Orthanes, und wenn sie bei Bankett und Fest
den unerbittlichen Herrn von Cragos zu besänftigen suchen,
mitten in ihre Gespräche schweres Gezänk einbringen wird.
Und zuerst werden sie sich gegenseitig mit Worten
mit den Zähnen zerreißen und sich mit Hohngeschrei
verbittern; aber dann werden die eigenen Vettern
den Speer schwingen, eifrig darauf bedacht,
die gewaltsame Vergewaltigung ihrer Vetternvögel
und die Entführung ihrer Verwandten zu verhindern,
aus Rache für den Handel ohne Geschenke des Werbens.
Sicherlich wird der Strom von Cnacion viele Pfeile sehen,
die von den kühnen Adlern geschleudert werden,
unglaublich und wunderbar für die Pheraer zu hören.
Einer wird mit seinem Speer aus Kornelkirsche
einen des Paares töten – einen Löwen, der
mit einem Stier kämpft. Der andere wiederum
wird mit seiner Lanze die Seite des Ochsen durchbohren
und ihn zu Boden bringen. Aber gegen ihn
wird der unerschrockene Widder einen zweiten
Schlag ausführen und den Grabstein des Amyklaer-Grabes
schleudern. Und bronzene Speere und Blitze
werden zusammen die Stiere zerschmettern –
von denen einer eine solche Tapferkeit besaß,
dass selbst Sciastes Orchieus, Herr von Tilphossa,
sie nicht verachtete, als er seinen Bogen im Kampf spannte.
Und das eine Paar wird der Hades empfangen,
die anderen werden die Wiesen des Olymps
jeden zweiten Tag als Gäste willkommen heißen,
Brüder der gegenseitigen Liebe, unsterbliche und tote.
So wird Gott ihren Speer für uns einschläfern
und uns eine kurze Linderung unseres Elends gewähren.
Doch eine Wolke anderer, unnahbar in ihrer Macht,
wird er erwecken – deren Wut nicht einmal der Sohn
von Rhoeo einschläfern oder aufhalten wird,
obwohl er ihnen befahl, neun Jahre lang auf seiner Insel
zu bleiben, überzeugt von seinen Orakeln, und obwohl
er versprach, dass seine drei Töchter allen, die bleiben
und den Cynthius-Hügel neben Inopus durchstreifen,
die ägyptischen Wasser des Triton trinken,
tadellose Nahrung geben werde. Diese Töchter lehrte
der lustvolle Problastus, wie man gemahlene Nahrung
zubereitet und Wein und fettes Öl herstellt – sogar
die Tauben-Enkelinnen von Zarax, die geschickt
darin sind, Dinge in Wein zu verwandeln. Diese
werden den großen und vernichtenden Hunger
der Schar der fremden Hunde heilen, die eines Tages
zum seligen Grab der Tochter von Sithon kommen.
Diese Dinge wirbeln die alten Jungfrauen mit rauschendem
Faden auf ehernen Spindeln weiter. Doch Kepheus
und Praxandrus, keine Fürsten einer Seemacht,
sondern eine namenlose Brut, werden als Fünfter und Vierter
in das Land der Göttin, Königin von Golgi, kommen;
von denen der eine eine lakonische Truppe
aus Therapna anführen wird; der andere aus Olenus
und Dyme wird sein Heer der Männer von Bura anführen.
Ein anderer wird Argyrippa gründen, ein daunisches
Anwesen neben dem ausonischen Phylamus,
da er das bittere Schicksal seiner Kameraden
in geflügelte Vögel verwandelt sieht, die ein Leben
im Meer annehmen werden, nach Art der Fischer,
in der Gestalt den Schwänen mit den hellen Augen ähnlich.
Sie werden den Laich der Fische mit ihren Schnäbeln
fangen und auf einer Insel wohnen, die den Namen
ihres Anführers trägt, auf einer theaterförmigen Anhöhe,
und in Reihen ihre eng beieinander liegenden Nester
aus festen Holzstücken bauen, nach Art des Zethus.
Und gemeinsam werden sie sich auf die Jagd begeben
und sich nachts im Tal ausruhen, wobei sie all
der fremden Menschenmenge aus dem Weg gehen,
aber in Falten griechischer Gewänder werden sie
ihren gewohnten Ruheplatz aufsuchen, Krümel
aus der Hand und Kuchenstücke vom Tisch essen,
angenehm murmelnd, sich, ihr Unglücklichen,
an ihre frühere Lebensweise erinnernd. Seine Verwundung
der Herrin von Troizen wird zum Teil daran liegen,
dass seine wilde, lüsterne Hündin im Ehebruchsbett
rasend wird. Doch das Altargrab von Hoplosmia
wird ihn vor dem Schicksal bewahren, wenn es bereits
zur Schlachtung vorbereitet ist. Und im Tal von Ausonia
wird er wie ein Koloss stehen und seine Füße
auf den Felsblöcken abstützen, den Fundamenten
von Amoebeus, dem Erbauer der Mauern,
wenn er die Ballaststeine aus seinem Schiff geworfen hat.
Und enttäuscht vom Urteil seines Bruders Alaenus
wird er einen wirksamen Fluch auf die Felder legen,
damit sie nie wieder den üppigen Kornkolben
von Deo hervorbringen, wenn Zeus mit seinem Regen
den Boden nährt, außer wenn einer, der sein Blut
aus seiner eigenen ätolischen Abstammung bezieht,
das Land bestellt und die Furchen mit einem
Ochsengespann spaltet. Und mit Säulen, von denen
sich kein Mensch rühmen wird, sie durch seine Kraft
auch nur ein wenig bewegt zu haben. Denn wie auf Flügeln
werden sie wieder zurückkehren und mit spurlosen
Schritten die Terrassen durchqueren. Und ein hoher
Gott wird er von vielen genannt werden, sogar
von denen, die in der höhlenartigen Ebene von Io leben,
wenn er den Drachen tötet, der die Phaiaken heimsuchte.
Und andere werden zu den vom Meer umspülten
gymnesischen Felsen segeln – krabbenartig,
in Felle gehüllt – wo sie ohne Mantel und ohne Schuhe
ihr Leben fristen werden, bewaffnet mit drei
zweigliedrigen Schleudern. Ihre Mütter werden
ihren jungen Sprösslingen die Kunst des Weitschießens
durch abendessenlose Disziplin beibringen.
Denn keiner von ihnen wird Brot mit seinen Kiefern kauen,
bis er mit einem gut gezielten Stein den Kuchen
gewonnen hat, der als Ziel über dem Brett steht.
Diese werden die rauen Küsten betreten, die die Iberer
nahe dem Tor von Tartessus ernähren – ein Geschlecht,
das aus dem alten Arne hervorgegangen ist,
Häuptlinge der Temmiken, die sich nach Graea
und den Klippen von Leontarne und Scolusa
und Tegyra und Onchestus‘ Sitz und der Flut
von Thermodon und den Wassern von Hypsarnus sehnen.
Andere werden an der Syrtis und den libyschen Ebenen
umherwandern und an der Engstelle der Tyrrhenischen Meerenge
und am für die Seeleute verhängnisvollen Beobachtungsposten
des hybriden Ungeheuers, das einst durch die Hand
des Mekistios starb, des in Fell gehüllten Spatenmanns,
des Viehtreibers, und der Felsen der harpyienartigen Nachtigallen.
Dort wird Hades, mein Heer, sie alle, roh verschlungen,
ergreifen, zerrissen durch allerlei böse Beschimpfungen;
und er wird nur einen übrig lassen, der von seinen
abgeschlachteten Freunden berichtet, nämlich
den Mann mit dem Delphingerät, der die phönizische
Göttin stahl. Er wird die Wohnung des einäugigen
Löwen sehen, und diesem Fleischfresser in seinen Händen
den Kelch des Weinstocks als Nachtisch anbieten.
Und er wird den Rest sehen, der durch die Pfeile
des Keramynten Peuceus Palaemon verschont blieb.
Dieser Rest wird alle wohlgeformten Schiffsrümpfe
in Stücke reißen und ihre böse Beute mit Schilf
durchbohren, als wären es Fische. Unglückliche Arbeit
nach Arbeit wird ihn erwarten, jede noch unheilvoller
als die vorherige. Welche Charybdis wird nicht
von seinen Toten essen? Welcher halbjungfräuliche
Furienhund? Welche unfruchtbare Nachtigall,
Bezwingerin der Zentauren, Ätolerin oder Kuretide,
wird sie nicht mit ihrer abwechslungsreichen Melodie
dazu verleiten, durch Nahrungsverzicht dahinzusiechen?
Welche tiergestaltende Drachin wird er nicht sehen,
die Drogen mit Mehl vermischt und tiergestaltiges
Verderben bringt? Und sie, die Unglücklichen,
die ihr Schicksal beklagen, werden in Schweineställen
fressen und Traubenkerne zermalmen, die mit Gras
und Ölkuchen vermischt sind. Aber ihn wird die schläfrige
Wurzel vor Schaden und der Ankunft von Ctaros retten,
dem hellen dreiköpfigen Gott von Nonacris.
Und er wird auf die dunkle Ebene der Verstorbenen kommen
und den alten Seher der Toten suchen, der die Paarung
von Mann und Frau kennt. Er wird warmes Blut
für die Seelen in einen Graben gießen und, sein Schwert
vor sich schwingend, um die Toten zu erschrecken,
wird er dort die dünne Stimme der Geister hören,
die von schattigen Lippen kommt. Danach wird ihn
die Insel empfangen, die der Rücken der Riesen
und der wilde Sturm des Typhon zerschmetterte,
wenn er allein reist: eine Insel, die in Flammen brodelt,
auf der der König der Unsterblichen eine hässliche
Affenrasse gründete, zum Spott über alle, die
den Söhnen des Kronos den Krieg erklärten.
Und vorbei am Grab von Baius, seinem Steuermann,
und den Wohnstätten der Kimmerer und der Acherusier,
an den in wogender Brandung anschwellenden Wassern
und an Ossa und dem Viehpfad, den der Löwe erbaut hat,
und dem Hain von Obrimo, der Jungfrau,
die unter der Erde wohnt, und dem Feurigen Strom,
wo der schwierige Hügel Polydegmon sein Haupt
zum Himmel streckt; aus den Tiefen dieses Hügels
entspringen alle Ströme und alle Quellen im ganzen
Ausonischen Land; und er wird den hohen Abhang
des Lethaeon und den See Aornus, der von einer Schlinge
umschlossen ist, und die Wasser des Kokytos,
wild und dunkel, den Strom des schwarzen Styx, verlassen,
wo Termieus den Schwursitz für die Unsterblichen
errichtete und das Wasser in goldenen Trankopferbecken
schöpfte, als er im Begriff war, gegen die Riesen
und Titanen vorzugehen – er wird Daeira
und ihrem Gefährten ein Geschenk darbieten,
indem er seinen Helm an der Spitze einer Säule befestigt.
Und er wird die dreifachen Töchter des Sohnes
der Tethys töten, die die Klänge ihrer melodischen
Mutter nachahmten: selbstgeschleudert von der Spitze
der Klippe tauchen sie mit ihren Flügeln in das Tyrrhenische
Meer, wohin der bittere Faden, den die Schicksale
gesponnen haben, sie ziehen wird. Eine von ihnen
wird an Land gespült, der Turm von Phalerus wird sie
empfangen, und Glanis wird die Erde mit seinen Strömen
benetzen. Dort sollen die Einwohner ein Grab
für die Jungfrau errichten und mit Trankopfern
und Ochsenopfern jährlich die Vogelgöttin Parthenope
ehren. Und Leucosia soll an den vorspringenden Strand
des Enipeus geworfen werden und lange Zeit den Felsen
heimsuchen, der ihren Namen trägt, wo der reißende
Is und der benachbarte Laris ihre Wasser ausschütten.
Und Ligeia wird an Land gehen bei Tereina
und die Welle ausspucken. Und die Seeleute werden
sie am steinigen Strand nahe den Wirbeln des Ocinarus
begraben; und ein Ares mit Ochsenhörnern
wird ihr Grab mit seinen Strömen überschwemmen
und mit seinen Wassern den Grund derjenigen reinigen,
deren Kinder in Vögel verwandelt wurden. Und dort
wird eines Tages zu Ehren der ersten Göttin
der Schwesternschaft der Herrscher der gesamten Flotte
von Mopsops für seine Seeleute ein Fackelrennen
veranstalten, einem Orakel gehorchend, das eines Tages
das Volk der Neapolitaner feiern wird, selbst jene,
die auf steilen Klippen neben Misenums geschütztem
Hafen leben werden, ungestört von den Wellen.
Und er wird die tobenden Winde in der Haut eines Ochsen
einschließen, und in den Qualen, die auf und ab gehen,
umherirren. Er, die Möwe, wird von der Peitsche des Blitzes
verbrannt werden, sich an den Zweig eines wilden
Feigenbaums klammernd, damit ihn die Welle,
die die sprudelnde Charybdis in die Tiefe zieht,
nicht in der Brandung verschluckt. Und nach kurzem
Ehevergnügen mit der Tochter des Atlas wagt er es,
seinen Fuß in sein fremdes Schiff zu setzen , das nie
eine Werft kannte, und, der arme Kerl, das Schiff zu steuern,
das seine eigenen Hände gemacht und vergeblich
mit Dübeln in der Mitte des Kiels befestigt haben.
Von dort wird Amphibaeus ihn hinauswerfen, als wäre er
der winzige, unflügge Nachwuchs einer Halcyonen-Braut,
und ihn mit Mittelbalken und Deck zusammen kopfüber
wie einen Taucher in die Wellen werfen, in den Seilen
verstrickt und schlaflos, in die geheimen Orte des Meeres
getrieben, wird er bei den Bürgern des thrakischen
Anthedon wohnen. Und wie ein Kiefernzweig
wird ihn ein Windstoß nach dem anderen wie einen Korken
hin und her werfen und mit ihren Böen auf ihn einspringen.
Und kaum wird ihn Bynes Stirnband vor der bösen Flut retten,
mit zerrissener Brust und Fingern, mit denen er
die fleischergreifenden Felsen umklammern
und von den vom Meer durchbohrten Stacheln
mit Blut befleckt werden wird. Und wenn er zu der
von Kronos verabscheuten Insel hinübergeht – der Insel
der Sichel, die seine Schamteile abtrennte – wird er,
ein mantelloser Bittsteller, der von schrecklichen
Leiden plappert, seine erfundene Leidensgeschichte
herausschreien und den Fluch des Ungeheuers büßen,
das er geblendet hat. Ach! Noch nicht, noch nicht!
Möge Melanthus, der Herr der Pferde, nicht in einen
solchen Schlaf des Vergessens versinken. Denn er wird
kommen, er wird zu Rheithrons schützendem Hafen
und den Klippen von Neriton kommen. Und er wird sehen,
wie sein ganzes Haus von lüsternen Frauendieben
von seinen Grundfesten zerstört wird. Und die zimperlich
kokette Füchsin wird seine Hallen leeren und beim Festmahl
den Reichtum des armen Kerls ausschütten. Und er selbst,
der arme Schmarotzer, wird Schwierigkeiten sehen,
die über das hinausgehen, was er an den Toren
von Skäa ertragen musste; er muss es ertragen,
mit unterwürfigem Rücken die mürrischen Drohungen
seiner eigenen Sklaven zu ertragen und mit Hohn
bestraft zu werden; er muss es auch ertragen,
Faustschläge und das Werfen von Tonscherben zu ertragen.
Denn nicht fremde Striemen, sondern das großzügige Siegel
von Thoas wird auf seinen Seiten bleiben, mit Stäben
eingraviert: Striemen, die er, unser Zerstörer, ohne Murren
in sich eingravieren lassen wird, indem er freiwillige
Striemen auf seinen Körper legt, damit er die Feinde
mit Spionagewunden und mit Tränen, die unseren König
täuschen, umgarnen kann. Er, den einst der Temmicianer
Hügel von Bombyleia erwie als unseren größten Fluch –
er allein von all seinen Seeleuten, dieser Unglückliche,
wird sicher nach Hause gelangen. Und schließlich,
wie eine Möwe, die die Wellen durchstreift, vom Salzwasser
wie eine Muschel umhergetragen und seine Besitztümer
beim Festmahl der Pronier von der lakonischen Dame
in tödlicher Raserei verschluckt sehend, wird er,
alt wie eine Krähe, mit seinen Waffen aus dem Schutz
des Meeres fliehen und in runzligem Alter
neben den Wäldern von Neriton sterben. Der tödliche,
schwer zu heilende Stachel des sardischen Fisches
wird seine Seiten mit seinem Stachel verletzen
und ihn töten; und sein Sohn wird der Schlächter
seines Vaters genannt werden, jener Sohn, der der Cousin
der Braut von Achilles sein wird. Und im Tod
wird er vom eurytanischen Volk und von den Bewohnern
der steilen Wohnstätte von Trampya als Seher bekränzt,
wo eines Tages danach der Tymphäische Drache,
der König der Äthiken, bei einem Fest Herakles
vernichten wird, der aus dem Samen von Äakos
und Perseus hervorgegangen ist und dem
das heilige Blut des Temenus nicht fremd ist.
Wenn er gestorben ist, wird Perge, der Hügel der Tyrrhener,
seine Asche im Land Gortyn empfangen; wenn er dann
sein Leben ausatmet, wird er das Schicksal seines Sohnes
und seiner Frau beklagen, die ihr Mann töten
und dann selbst in die Unterwelt hinabsteigen wird,
seine Kehle durchgeschnitten von den Händen
seiner Schwester, der Cousine von Glaukon und Apsyrtos.
Und nachdem er solch einen Haufen Elend gesehen hat,
wird er ein zweites Mal in die ewige Unterwelt
hinabsteigen, nachdem er in seinem ganzen Leben
keinen Tag der Ruhe erlebt hat. O du Elender!
Wie viel besser wäre es für dich gewesen, in deiner Heimat
zu bleiben und Ochsen zu treiben und weiterhin
den Arbeitshengst, den Esel, vor das Joch zu spannen,
rasend vorgetäuscht von blühendem Wahnsinn, als
die Erfahrung solchen jämmerlichen Elends zu leiden!
Und er wieder – der Ehemann, der nach seiner tödlichen Braut
sucht, die ihm entrissen wurde, nachdem er Gerüchte
gehört hatte, und der sich nach dem geflügelten Phantom sehnte,
das in den Himmel entfloh – welche geheimen Orte
des Meeres soll er nicht erforschen? Welches trockene Land
soll er nicht kommen und erkunden? Zuerst
soll er den Beobachtungsposten des Typhon besuchen,
und die alte Hexe, die zu Stein geworden ist,
und die vorspringenden Ufer des Erembi, die von Seeleuten
verabscheut werden. Und er soll die starke Stadt
der unglücklichen Myrrha sehen, die von einem verzweigten
Baum von den Wehen der Geburt befreit wurde;
und das Grab von Gauas, dessen Tod die Musen herbeiführten –
beweint von der Göttin der Binsen, Arenta, der Fremden:
Gauas, den der wilde Eber mit weißen Stoßzähnen erschlug.
Und er wird die Türme des Kepheus besuchen und den Ort,
der von Hermes Laphrios Fußtritten ausgesetzt wurde,
und die beiden Felsen, auf die der Sturmvogel
auf der Suche nach Nahrung sprang, aber statt einer Frau
den Adlersohn des goldenen Vaters in seinem Rachen davontrug –
ein Männchen mit geflügelten Sandalen, das seine Leber
zerstörte. Durch die Klinge des Ernters wird der verhasste Wal
zerstückelt getötet: die Erntende, die von ihren Geburtswehen
bei Pferd und Mensch das steinäugige Wiesel befreite,
dessen Kinder aus ihrem Hals entsprangen. Er wird
die Menschen von Kopf bis Fuß zu Statuen formen
und sie in Stein hüllen – er, der die Lampe
seiner drei wandernden Führer heimlich stahl.
Und er wird die Felder besuchen, die im Sommer trinken,
und den Bach des Asbystes, und das Lager auf der Erde,
wo er zwischen übelriechenden Tieren schlafen wird.
Und alles wird er ertragen um der Ägyptischen Hündin willen,
sie von drei Ehemännern, die nur Mädchen gebar.
Und er wird als Wanderer zum Volk der Japygen kommen,
und der Jungfrau der Beute Geschenke anbieten,
sogar die Rührschüssel von Tamassus, und den Schild
aus Ochsenhaut und die pelzgefütterten Schuhe seiner Frau.
Und er wird nach Siris kommen, und in die Winkel
von Lacinium, wo eine junge Kuh einen Obstgarten
für die Göttin Hopolosmia anlegen wird, mit Bäumen bestückt.
Und es soll für alle Zeiten eine Verordnung für die Frauen
des Landes sein, den neun Ellen großen Helden zu betrauern,
den dritten in der Nachkommenschaft von Aiakos
und Doris, den Orkan des Schlachtenkampfes,
und ihre strahlenden Glieder nicht mit Gold zu schmücken,
noch sie in fein gesponnene, mit Purpur gefärbte
Gewänder zu kleiden – weil eine Göttin einer anderen Göttin
diesen großen Landstrich als ihren Wohnort anbietet.
Und er wird in die unwirtliche Ringarena des Stiers kommen,
den Kolotis gebar, sogar Alentia, Königin der Nischen
von Longuros, die den Sprung der Sichel des Kronos
und das Wasser von Concheia, und Gonusa und die Ebenen
der Sikaner umrundet, und das Heiligtum des gefräßigen
Wolfes, der in das Fell eines wilden Tieres gehüllt ist,
das der Nachkomme des Kretheus, als er sein Schiff
vor Anker gebracht hatte, mit seinen fünfzig Seeleuten
errichtete. Und der Strand bewahrt noch immer
die öligen Abschürfungen der Körper der Minyer,
weder die Wellen der Salzlake noch das lange
Reiben des Regenschauers reinigen sie irgendwann.
Und andere Küsten und Klippen bei Taucheira trauern,
geworfen auf die öde Wohnstätte des Atlas, und grinsen
über die Spitzen ihrer Wrackteile: wo Mopsus von Titaeron
starb und von den Seeleuten begraben wurde,
die über dem Sockel seines Grabes eine zerbrochene
Klinge vom Schiff Argo als Besitz der Toten aufstellten, –
wo der Kinypheische Strom Ausigda mit seinen Wassern mästet,
und wo die Kolcherin dem Triton, dem Nachkommen
des Nereus, die breite, aus Gold gearbeitete Mischschüssel
zum Geschenk machte, dafür zeigte er ihnen
den schiffbaren Weg, auf dem Tiphys sein Schiff
unbeschädigt durch die engen Klippen leiten sollte.
Und der zweigestaltige Gott, Sohn des Meeres, erklärt,
dass die Griechen die Herrschaft über das Land
erlangen werden, wenn das Hirtenvolk Libyens
es seinem Vaterland entreißt und einem Hellenen
das Geschenk der Heimkehr gibt. Und die Asbyter
werden aus Angst vor seinen Gelübden den Schatz
in den Tiefen der Erde vor den Augen verbergen,
worauf die Winde des Boreas mit seinen Seeleuten
den unglücklichen Anführer der Männer von Cyphos
und den Sohn des Tenthedron aus Palauthra, den König
der Amphrysier von Euryampus, und den Herrn
des Wolfes werfen werden, der die Sühne verschlang
und in Stein und die Felsen von Tymphrest
verwandelt wurde. Von ihnen sehnen sich einige
unglücklich nach ihrem Vaterland Ägoneia, andere
nach Echinos, andere nach Titaros und nach Iros
und nach Trachis und dem Perhaebischen Gonnos
und Phalanna und den Feldern der Olossonier und Castanaia,
auf den Felsen zerrissen, und werden ihr Schicksal
beklagen, dem die Riten einer Bestattung fehlen.
Einen weiteren werden die Ströme von Aesarus
und die kleine Stadt Krimisa im Land Oenotria empfangen:
sogar den von einer Schlange gebissenen Töter
des Feuerbrandes; denn die Trompete selbst wird
mit ihrer Hand seine Pfeilspitze führen und die schrillende
maiotische Bogensehne loslassen. An den Ufern von Dyras
verbrannte er einst den kühnen Löwen und bewaffnete
seine Hände mit dem krummen skythischen Drachen,
der mit unausweichlichen Zähnen harfte. Und Krathis
wird sein Grab sehen, wenn er tot ist, seitlich
vom Schrein des Alaeus von Patara, wo Nauaethus
seewärts rülpst. Die ausonischen Pellenier werden ihn töten,
wenn er den Führern der Lindier hilft, die der wilde Hund
Thrascias weit weg von Thermydron und den Bergen
von Karpathos in die Irre schicken wird, um in einem fremden
und unbekannten Land zu leben. Aber in Macalla
werden die Leute des Ortes wiederum ein großes Heiligtum
über seinem Grab errichten und ihn mit Trankopfern
und Ochsenopfern als ewigen Gott und Herrn verherrlichen.
In den schützenden Armen von Lagaria wird der Erbauer
des Pferdes wohnen. Aus Angst vor dem Speer
und der ungestümen Phalanx büßt er für den falschen Eid
seines Vaters bezüglich der mit dem Speer gewonnenen Herden,
der elende Mann, als die Türme von Comaetho
von der Armee im Namen einer liebevollen Ehe
gestürzt wurden, wagte er, bei Aloetis Cydonia Thraso
und beim Gott von Crestone Candaon oder Mamertus,
dem kriegerischen Wolf, zu schwören. Er kämpfte
schon im Mutterleib mit Handschlägen hasserfüllt
gegen seinen Bruder, während er noch nicht das helle Licht
von Tito erblickte und noch nicht den schweren Schmerzen
der Geburt entgangen war. Und für seinen falschen Eid
ließen die Götter seinen Sohn zu einem feigen Mann
heranwachsen, einem guten Boxer, aber einem Schleicher
im Getümmel des Speers. Durch seine Künste
hat er dem Heer am meisten geholfen; und bei Ciris
und den klaren Wassern von Cylistanus wird er
als Fremder fern von seinem Vaterland leben;
und die Werkzeuge, mit denen er Land eroberte,
wird er im heiligen Schrein von Myndia weihen.
Und andere werden im Land der Siker wohnen
und zu der Stelle wandern, wo Laomedon,
von den Verwüstungen des gefräßigen Seeungeheuers
gestochen, den Seeleuten befahl, die drei Töchter
des Phoenodamas auszusetzen, damit sie von gefräßigen
wilden Tieren verschlungen würden, dort weit weg,
wo sie in das Land der Laestrygonen im Westen kamen,
wo immer reichliche Verwüstung herrscht. Und diese
Töchter wiederum bauten ein großes Heiligtum
für die zerynthische Mutter des Ringers, als Geschenk
an die Göttin, da sie dem Schicksal und dem einsamen
Wohnen entronnen waren. Von diesen nahm der Fluss
Krimisos in Gestalt eines Hundes seine Braut an:
und sie gebar dem Halbtiergott einen edlen Welpen,
Siedler und Gründer von drei Orten. Dieser Welpe
wird den Bastard, den Spross des Anchises, führen
und ihn bis an die äußersten Grenzen der dreihalsigen
Insel bringen, indem er von dardanischen Orten aus reist.
Unglückselige Aegesta! Dir wird durch die Erfindung
der Götter die größte und jahrhundertelange Trauer
um mein Land zuteil, wenn es vom Atem des Feuers
verzehrt wird. Und du allein wirst lange stöhnen,
unaufhörlich den unglücklichen Sturz ihrer Türme beklagen
und beklagen. Und all das Volk, gekleidet
in das schwarze Gewand des Bittstellers, schmutzig
und ungepflegt, wird ein trauriges Leben führen,
und das ungeschorene Haar ihrer Köpfe wird ihre Rücken
schmücken und die Erinnerung an alte Leiden bewahren.
Und viele werden auf den Feldern von Siris
und Leutarnia wohnen, wo der unglückliche Kalchas liegt,
der wie Sisyphos die unzähligen Feigen zählte
und von der runden Geißel auf den Kopf geschlagen wurde –
wo Sinis‘ schneller Strom fließt und das reiche Anwesen
von Chonia bewässert. Dort werden die unglücklichen
Männer eine Stadt wie Ilios bauen und die Jungfrau
Laphria Salpinx quälen, indem sie im Tempel der Göttin
die Nachkommen von Xuthus töten, die früher
die Stadt bewohnten. Und ihr Bild wird seine blutleeren Augen
schließen und die hasserfüllte Vernichtung der Ionier
durch die Achäer und das verwandte Abschlachten
der wilden Wölfe sehen, wenn der Ministersohn der Priesterin
stirbt und den Altar mit seinem dunklen Blut befleckt.
Und andere werden die steilen Hügel von Tylesia
und das vom Meer umspülte hügelige Vorgebirge von Linos,
das Gebiet der Amazonen, mitnehmen und das Joch
einer Sklavin auf sich nehmen, die als Dienerin
der in Messing gepanzerten, ungestümen Jungfrau
die Welle in ein fremdes Land tragen wird:
Sklavin jener Jungfrau, deren Auge, das ihr im letzten
Atemzug getroffen wird, der affengestaltigen Ätolischen Pest,
die vom blutigen Pfeil verwundet wird, das Verhängnis
bringen wird. Und die Männer von Kroton werden
die Stadt der Amazonen plündern und die unerschrockene
Jungfrau Clete vernichten, Königin des Landes,
das ihren Namen trägt. Aber vorher werden viele
von ihrer Hand niedergestreckt und mit den Zähnen
in den Staub beißen, und nicht ohne Mühe werden
die Söhne von Laureta die Türme plündern.
Andere wiederum werden in Tereina wohnen, wo Ocinarus
die Erde mit seinen Strömen benetzt, die von klarem Wasser
sprudeln, und werden ermüdet sein vom Umherwandern.
Und ihn, wieder, der den zweiten Preis für Schönheit
gewann, und den Eberführer aus den Strömen von Lycormas,
den mächtigen Sohn von Gorge, werden einerseits
die thrakischen Winde, die auf straffe Segel fallen,
in die Sande Libyens tragen; andererseits wird der Wind
des Südwindes sie von Libyen wieder zu den Argyrini
und den Lichtungen von Ceraunia tragen, und das Meer
mit schwerem Orkan hüten. Und dort werden sie
ein trauriges Wanderleben sehen und das Wasser
von Aias trinken, das aus Lacmon entspringt.
Und das benachbarte Krathis und das Land der Mylaken
werden sie in ihren Grenzen aufnehmen, um in Polae
zu wohnen, der Stadt der Kolcher, die der zornige Herrscher
von Äa und Korinth, der Ehemann von Eiduia, aussandte,
um seine Tochter zu suchen, indem er dem Kiel folgte,
der die Braut entführte; sie ließen sich am Dizerus nieder.
Andere Wanderer werden auf der Insel Melita wohnen,
in der Nähe von Othronus, um die die Wogen von Sicania
neben Pachynus schwappen, und das steile Vorgebirge
streifen, das in späteren Zeiten den Namen des Sohnes
des Sisyphos tragen wird, und das berühmte Heiligtum
der Jungfrau Longatis, wo Helorus‘ Strom mündet.
Und in Othronus wird der Wolf wohnen, der seinen
eigenen Großvater erschlug, und sich in der Ferne
nach seinem angestammten Fluss Coscynthus sehnen.
Auf den Felsen im Meer stehend wird er seinen Landsleuten
den Pakt der Segelarmee verkünden. Denn niemals
wird der Verbündete der Gerechtigkeit, der Telphusier-Hund,
der an den Flüssen von Ladon lebt, dem Mörder erlauben,
sein Vaterland mit seinen Füßen zu berühren,
wenn er nicht ein langes Jahr im Exil verbracht hat.
Von dort wird er vor dem schrecklichen Krieg
des schlangenförmigen Ungeziefers fliehen
und in die Stadt Amantia segeln und sich dem Land
der Atinter nähern, direkt neben Practis wird er
auf einem Hügel wohnen, das Wasser des Polyanthes trinken.
Und nahe dem ausonischen Scheingrab des Kalchas
wird einer der beiden Brüder eine fremde Erde
über seinen Gebeinen haben, und den Männern,
die in Schafspelzen auf seinem Grab schlafen,
wird er im Traum seine unfehlbare Botschaft
für alle verkünden. Und Heiler der Krankheiten
wird er von den Dauniern genannt werden,
wenn sie die Kranken mit dem Wasser des Althaenus
waschen und den Sohn des Epius zu Hilfe anrufen,
damit er Menschen und Herden gnädig werde.
Irgendwann wird für die Gesandten der Ätoler
ein trauriger und verhasster Tag anbrechen, wenn sie
in das Land der Salangi und die Sitze der Angaesi
kommen, werden sie die Felder ihres Herrn erbitten,
das reiche Erbe guten Bodens. Lebendig in einem dunklen
Grab in den Tiefen einer hohlen Spalte werden
die Wilden sie verbergen; und die Dauniter werden ihnen
ein Totendenkmal ohne Begräbnisritus errichten,
überdacht mit aufgeschichteten Steinen, und ihnen
das Land geben, das sie zu haben begehrten, das Land
des Sohnes des Ebers, der die Hirne der Feinde verschlang.
Und die Seeleute der Nachkommen von Naubolus
werden nach Tecmessa kommen, wo das harte Horn
des Hipponischen Hügels sich zum Meer von Lampeta neigt.
Und an der Stelle der Grenzen von Crisa werden sie
mit von Ochsen gezogenen Pflugscharen die krotonischen
Felder jenseits der Meerengen bestellen,
sich nach ihrer Heimat Lilaea und der Ebene von Anemoreia
und Amphissa und dem berühmten Abae sehnen.
Armes Setaea! Denn auf den Felsen wartet
ein unglückliches Schicksal, wo du, erbärmlich
ausgestreckt mit ehernen Fesseln an deinen Gliedern,
sterben wirst, weil du die Flotte deiner Herren
verbrannt hast: In der Nähe von Crathis wirst du
deinen Körper beklagen, der hinausgeworfen
und aufgehängt wurde, damit ihn die blutigen Geier
verschlingen können. Und diese Klippe, die auf das Meer blickt,
wird in Erinnerung an dein Schicksal nach dir benannt werden.
Und wieder andere werden neben den pelasgischen Strömen
von Membles und der Insel Cerneatid weitersegeln
und jenseits der Tyrrhenischen Meerenge
die lametischen Gewässer der leukanischen Ebenen besetzen.
Und Kummer und mancherlei Leiden werden das Los
dieser sein, die ihr Schicksal beklagen, das ihnen
nicht erlaubt, nach Hause zurückzukehren,
weil sie in einer unglücklichen Ehe sitzen.
Auch werden diejenigen, die nach vielen Tagen
freudig nach Hause kommen, nicht die Flamme
des Votivopfers aus Dankbarkeit an Kerdylas Larynthius
entzünden. Mit solcher List wird der Igel ihre Häuser
zerstören und die Haushühner, die gegen die Hähne
verbittert sind, in die Irre führen. Auch werden
die Schiffe-verschlingenden feindlichen Leuchtfeuer
nicht ihren Kummer über seinen zerschmetterten
Spross lindern, den eine neu gegrabene Behausung
im Gebiet von Methymna vor allen verbergen wird.
Einer im Bad, während er nach den schwierigen
Ausgängen des Geflechts um seinen Hals sucht,
das in einem Netz verfangen ist, soll mit blinden
Händen die Fransennähte absuchen. Und unter
die heiße Decke des Bades tauchend soll er Dreifuß
und Becken mit seinem Gehirn besprengen,
wenn er mit der wohlgeschärften Axt mitten
in den Schädel geschlagen wird. Sein erbärmlicher Geist
soll seinen Weg zu Taenarus nehmen, nachdem er
die bittere Haushaltsführung der Löwin gesehen hat.
Und er soll neben dem Bad auf dem Boden liegen,
zerschmettert vom chalybdischen Schwert.
Denn sie wird mich zerreißen – breite Sehne und Rücken –
so wie ein Holzfäller in den Bergen einen Kiefernstamm
oder einen Eichenstamm spaltet – und, eine Sandviper,
die sie ist, wird meinen ganzen kalten Körper
in Blut zerreißen und ihren Fuß auf meinen Nacken setzen
und ihre beladene Seele mit bitterer Galle sättigen,
in böser Eifersucht unerbittliche Rache an mir nehmen,
als wäre ich eine gestohlene Braut und keine
mit einem Speer gewonnene Beute. Und ich werde
meinen Herrn und Ehemann anrufen, der nichts mehr hört,
und seiner Spur auf den Flügeln des Windes folgen.
Aber ein Welpe, der Rache für das Blut seines Vaters sucht,
wird mit seiner eigenen Hand sein Schwert
in die Eingeweide der Viper stoßen und
mit Bösem die böse Befleckung seiner Rasse heilen.
Und mein Mann, der Herr einer Sklavin,
wird von den listigen Spartanern Zeus genannt werden
und von den Kindern des Oebalus höchste Ehren erhalten.
Auch soll meine Verehrung unter den Menschen
nicht namenlos bleiben und nicht in der Dunkelheit
der Vergessenheit versinken. Aber die Häuptlinge
der Daunier werden mir ein Heiligtum am Ufer
der Salpe errichten und auch jene, die die Stadt
Dardanus bewohnen, neben den Wassern des Sees.
Und wenn Mädchen dem Joch der Jungfrauen
entfliehen wollen und Männer mit Locken wie Hektor
als Bräutigam ablehnen, die aber einen Makel
an Gestalt oder einen Tadel an Geburt haben,
werden sie mein Bild mit ihren Armen umarmen
und den mächtigen Schutzschild gegen die Heirat
gewinnen, nachdem sie sie in das Gewand
der Erinnyen gekleidet und ihre Gesichter
mit magischen Heilkräutern gefärbt haben.
Von diesen Stab tragenden Frauen werde ich lange
eine unsterbliche Göttin genannt werden.
Und vielen Frauen, denen ihre unverheirateten Töchter
geraubt wurden, werde ich künftig Kummer bereiten.
Lange werden sie den Anführer beklagen,
der gegen die Gesetze der Ehe gesündigt hat, den Piraten
der zypriotischen Göttin, wenn sie ihre unverheirateten
Töchter in das unfreundliche Heiligtum schicken werden.
O Larymna und Spercheius und Boagrius und Cynus
und Scarpheia und Phalorias und Stadt Naryx
und lokrische Straßen von Thronium und Pyrnoeische
Lichtungen und das ganze Haus von Ileus, Sohn
des Hodoedocus – ihr werdet um meiner gottlosen
Ehe willen Buße bei der Göttin Gygaea Agrisa tun,
indem ihr tausend Jahre lang eure unverheirateten Töchter
durch das Los bis ins hohe Alter pflegt. Und sie,
Fremde in einem fremden Land, werden ohne Begräbnisriten
ein Grab haben, ein trauriges Grab in wellenumspültem Sand,
wenn Hephaistos die Glieder der Göttin, die von Trarons
Gipfeln abstirbt, mit unfruchtbaren Pflanzen verbrennt
und ihre Asche ins Meer wirft. Und um den Platz
derer einzunehmen, die sterben werden, werden andere
nachts auf geheimen Pfaden zu den Feldern
der Tochter Sithons kommen und ängstlich blicken,
bis sie in das Heiligtum von Ampheira stürmen
wie Bittsteller, die Stheneia mit ihren Gebeten anflehen.
Und sie werden den Boden der Göttin fegen und ordnen
und ihn mit Tau reinigen, nachdem sie dem lieblosen
Zorn der Bürger entkommen sind. Denn jeder Mann
von Ilios wird nach den Jungfrauen Ausschau halten,
mit einem Stein in seinen Händen oder einem
dunklen Schwert oder einer harten Stiertötungsaxt
oder einem Schaft aus Phalacra, begierig darauf,
seine nach Blut dürstende Hand zu sättigen.
Und das Volk soll dem, der dieses schändliche Volk tötet,
keinen Schaden zufügen, sondern ihn preisen
und seinen Namen durch Verordnung eingravieren.
O Mutter, O unglückliche Mutter! O Mutter!
Auch dein Ruhm soll nicht unbekannt sein,
aber die jungfräuliche Tochter des Perseus,
die dreigestaltige Brimo, soll dich zu ihrer Dienerin machen
und mit deinem Bellen in der Nacht alle Sterblichen
erschrecken, die die Bilder der zerynthischen Königin
von Strymon nicht mit Fackeln anbeten, und die Göttin
von Pherae mit Opfern besänftigen. Und der Inselvorsprung
von Pachynus soll dein schreckliches Kenotaph bergen,
das von den Händen deines Meisters aufgeschüttet wurde,
veranlasst durch Träume, als du die Todesriten
vor den Strömen von Helorus erhalten hast.
Er soll Opfergaben für dich ans Ufer schütten, Unglückliche,
aus Angst vor dem Zorn der dreihalsigen Göttin,
denn er soll den ersten Stein auf deine Steinigung werfen
und das dunkle Opfer für den Hades beginnen.
Und du, o Bruder, Liebster meines Herzens, Stütze
unserer Hallen und unseres ganzen Vaterlandes,
nicht umsonst sollst du den Altarsockel mit Stierblut röten
und ihm, dem Herrn von Ophions Thron,
viele Opfergaben darbringen. Aber er soll dich
in die Ebene seiner Geburt bringen, jenes Land,
das von den Griechen über alle anderen gepriesen wird,
wo seine Mutter, im Ringen bewandert, die frühere Königin
in den Tartarus geworfen und sie in den Wehen
einer heimlichen Geburt von ihm gebar, dem kinderfressenden,
unheiligen Fest ihres Gemahls entgehend; und er mästete
seinen Bauch nicht mit Nahrung, sondern verschluckte
stattdessen den Stein, gewickelt in eng anliegende Windeln:
wilder Kentaur, Grab seiner eigenen Nachkommen.
Und auf den Inseln der Seligen sollst du wohnen,
ein mächtiger Held, Verteidiger der Pfeile der Pest,
wo das ausgesäte Volk von Ogygus, überredet
durch die Orakel des Arztes Lepsius Termintheus,
dich aus deinem Steinhaufen in Ophryneion heben
und dich zum Turm von Calydnus und in das Land
der Aonier bringen wird, um ihr Retter zu sein,
wenn sie von einer bewaffneten Heerschar bedrängt werden,
die ihr Land und das Heiligtum des Tenerus plündern will.
Und die Häuptlinge der Ektenen werden mit Trankopfern
deinen Ruhm in der Höhe feiern, selbst die Unsterblichen.
Und nach Knossus und in die Hallen von Gortyn
wird das Leid meines Unglücklichen kommen,
und das ganze Haus der Herrscher wird gestürzt werden.
Denn nicht ruhig wird der Fischer reisen,
sein Zweiruderboot rudernd, um Leucus, den Wächter
des Königreichs, aufzuwiegeln und Hass
mit lügnerischen Listen zu weben. Er wird weder
die Kinder der angetrauten Frau Meda in der Wut
seines Geistes verschonen, noch die Tochter Kleisithera,
die ihr Vater unglücklicherweise der Schlange
verloben wird, die er selbst aufgezogen hat.
Alle wird er mit gottlosen Händen im Tempel töten,
misshandeln und missbrauchen im Graben von Onkaia.
Und der Ruhm des Geschlechts meiner Vorfahren
wird künftig durch ihre Nachkommen in höchstem Maße
erhöht werden, die mit ihren Speeren die erste Krone
des Ruhms gewinnen und das Zepter und die Monarchie
von Erde und Meer erlangen werden. Auch in der Dunkelheit
der Vergessenheit, mein unglückliches Vaterland,
sollst du deinen verblassten Ruhm nicht verbergen.
Ein solches Paar Löwenjungen wird ein gewisser Verwandter
von mir hinterlassen, eine Rasse von herausragender Stärke:
der Sohn von Castnia, auch Cheiras genannt – im Rat
am besten und im Kampf nicht zu verachten.
Er wird zuerst kommen, um Rhaecelus neben
dem steilen Felsen von Cissus und den gehörnten Frauen
von Laphystius zu besetzen. Und von Almopia aus
wird Tyrsenia ihn auf seinen Wanderungen empfangen,
und Lingeus, aus dessen heißem Wasser ein Strom sprudelt,
und Pisa und die Lichtungen von Agylla, reich an Schafen.
Und mit ihm wird sich ein einstiger Feind
einer befreundeten Armee anschließen und ihn
durch Eide und Gebete und Kniestöße gewinnen:
sogar der Zwerg, der auf seinen Streifzügen
jeden Winkel des Meeres und der Erde erkundete;
und damit die beiden Söhne des Königs der Mysier,
dessen Speer eines Tages vom Hausgott des Weines
gebogen wird, der seine Glieder mit verdrehten
Ranken fesseln wird; sogar Tarchon und Tyrsenus,
gelbbraune Wölfe, die aus dem Blut des Herakles
hervorgegangen sind. Dort wird er einen Tisch
voller Essbarem vorfinden, der später von seinen Dienern
verschlungen wird und an eine alte Prophezeiung
erinnert. Und er wird an den Orten der Boreigonii
ein besiedeltes Land jenseits der Latiner und Daunier gründen –
sogar dreißig Türme, wenn er die Nachkommen
der dunklen Sau gezählt hat, die er in seinem Schiff
von den Hügeln von Ida und den Orten von Dardanus
bringen wird, die eine solche Anzahl von Jungen
bei der Geburt aufziehen wird. Und in einer Stadt
wird er ein Bild dieser Sau und ihrer säugenden Jungen
aufstellen, sie in Bronze darstellend. Und er wird
ein Heiligtum für Myndia Pallenis bauen und darin
die Bilder der Götter seiner Väter aufstellen. Er wird
seine Frau und seine Kinder und all seine reichen
Besitztümer beiseite legen und diese zuerst ehren,
zusammen mit seinem alten Vater. Er hüllt sie
in seine Gewänder, wenn die Speerkämpfer
alle Güter seines Landes durch Lose verschlungen haben
und ihm allein die Wahl überlassen wird,
welches Geschenk er aus seinem Haus nehmen
und mitnehmen will. Deshalb wird er, selbst
von seinen Feinden als der Frömmste beurteilt,
ein Vaterland von höchstem Ruhm im Kampf gründen,
einen Turm, gesegnet in den Kindern späterer Tage,
bei den hohen Lichtungen von Circaeon und dem großen
Hafen von Aietes, dem berühmten Ankerplatz der Argo
und den Wassern des marsionidischen Sees von Phorce
und dem titonianischen Strom der Spalte,
die in unsichtbare Tiefen unter der Erde sinkt,
und dem Hügel von Zosterius, wo sich die grimmige
Behausung der Jungfrau Sibylla befindet, überdacht
von der höhlenartigen Grube, die sie beherbergt.
So viel und schwer zu ertragendes Leid werden
die erleiden, die mein Vaterland verwüsten.
Denn was hat die unglückliche Mutter des Prometheus
mit der Amme des Sarpedon gemeinsam? Die das Meer
der Helle und die aufeinanderprallenden Felsen
und Salmydessus und die unwirtliche Woge,
die den Skythen benachbart ist, mit starken Klippen spalten
und Tanais mit seinen Strömen teilt – Tanais,
der unbefleckt die Mitte des Sees spaltet , der
den Maeotiern, die um ihre Frostfüße trauern, am liebsten ist.
Mein Fluch zuerst über die karnitischen Seehunde!
Die Handelswölfe, die das ochsenäugige Mädchen,
die Stierjungfrau, aus Lerne entführten, um dem Herrn
von Memphis eine verhängnisvolle Braut zu bringen,
und die das Leuchtfeuer des Hasses für die beiden
Kontinente entfachten. Denn später versuchten
die Kureten, idäische Eber, die Vergewaltigung
durch ihre schwere Gewalttat zu rächen, und entführten
die saraptische Färse gefangen in einem stierförmigen
Schiff in den Palast der Diktäer, um sie zur Braut
von Asteros, dem Herrn von Kreta, zu machen.
Und sie waren nicht zornig, als sie Gleiches
mit Gleichem genommen hatten; sondern schickten
Teucer und seinen draukischen Vater Scamandrus,
eine vergewaltigende Armee, zum Wohnsitz der Bebrycen,
um gegen Mäuse zu kämpfen; aus dem Samen
dieser Männer zeugte Dardanus die Urheber meiner Rasse,
als er die edle kretische Jungfrau Arisba heiratete.
Und zweitens schickten sie die atrakischen Wölfe,
um für ihren Anführer der einzelnen Sandale
das Vlies zu stehlen, das durch das wachsame Auge
des Drachens geschützt wurde. Er kam nach Libyen-Kytäa
und betäubte die viernasige Schlange mit Schmalz
und handhabte den gebogenen Pflug der feuerspeienden
Stiere und ließ seinen eigenen Körper in einem Kessel
in Stücke hauen und ergriff nicht freudig die Haut
des Widders. Aber die selbst eingeladene Krähe
trug er davon – sie, die ihren Bruder erschlug
und ihre Kinder vernichtete – und setzte sie
als Ballast in den schnatternden Eichelhäher,
der eine sterbliche Stimme aus chaonischer
Wohnstätte von sich gab und gut zu eilen wusste.
Und wiederum er, der seines Vaters Schuhe,
Schwertgürtel und Schwert vom Felsen nahm,
der Sohn des Phemius, an dessen traurigem Grab –
wohin er ohne Begräbnisritus geschleudert wurde –
unter dessen zischenden Abgründen der steile Scyrus
lange Wache hält – er ging mit dem wilden Tier,
dem Eingeweihten, der die milchige Brust
der feindlichen Göttin Tropaea auszog und den Gürtel stahl
und eine doppelte Fehde entfachte, indem er
den Gürtel wegnahm und von Themiscyra
die Bogenschützin Orthosia wegführte; und ihre Schwestern,
die Jungfrauen des Neptunis, verließen Eris,
Lagmus und Telamus und den Strom des Thermodon
und den Hügel von Aktaion, um Rache zu nehmen
und unerbittlich zu missbrauchen. Über den dunklen Ister
trieben sie ihre skythischen Stuten und schrien
ihren Schlachtruf gegen die Griechen und die Nachkommen
des Erechtheus. Und sie plünderten ganz Acte mit dem Speer
und verwüsteten mit Feuer die Felder von Mopsopia.
Und mein Vorfahr verwüstete die Ebene von Thrakien
und das Land der Eordi und das Land der Galadraei
und befestigte seine Grenzen neben den Gewässern
von Peneius, indem er sie mit einem strengen Joch fesselte,
das er ihnen um den Hals legte, im Kampf ein junger Krieger,
der herausragendste seiner Rasse. Und sie schickte
als Gegenleistung für diese Dinge ihren Champion,
den Fahrer des Ochsen, ihn von den sechs Schiffen,
hüllte sie in ein Fell, und legte mit dem Spaten
ihren steilen Hügel in Schutt und Asche; und ihn
wird Gorgas, wenn sie ihre Meinung ändert,
in den Stand der Götter weihen, sogar sie,
die die Hauptursache für sein schreckliches Leid war.
Und die Falken brachen ihrerseits von Tmolus und Cimpsus
und den goldhaltigen Flüssen des Pactolus und den Gewässern
des Sees auf, wo die Gemahlin des Typhon in der verborgenen
Nische ihres schrecklichen Bettes ruht, und drangen
in das ausonische Agylla ein und lieferten sich
in Speerschlachten einen schrecklichen Kampf
mit den Ligurern und jenen, die die Wurzel ihres Geschlechts
aus dem Blut der sithonischen Riesen bezogen.
Und sie nahmen Pisa ein und unterwarfen das ganze
mit Speeren eroberte Land, das in der Nähe der Umbrer
und der hohen Felsenklippen der Salpier liegt.
Und schließlich weckt die Feuerscholle den alten Streit
wieder auf, indem sie das alte Feuer, das bereits schlief,
seit sie sah, wie die Pelasger fremde Krüge in das Wasser
des Rhyndacus tauchten, erneut mit Flammen entzündet.
Die anderen aber werden in einem Rausch der Rache
das Unrecht drei- und vierfach vergelten und die Küste
des Landes jenseits des purpurnen Meeres verwüsten.
ELFTER GESANG
Orpheus wanderte durch die Lande, in einer resignativen
Stimmung, bereit sich seinem Schicksal zu überlassen,
dem dreifaltigen Schicksal sich auszuliefern, bereit,
hinzugehen, wohin es ihn führte, und so irrte er,
nichts suchend, über die Hügel, immer spontanen
Eingebungen folgend, sich da und dorthin wendend,
bis er zum Fuß des Rhodopegebirges kam. Er betrachtete
die herrlichen Berge, die wie Treppen von Himmlischen
in den Äther stiegen, in dem die heilige Sonne waltete
mit goldenem Zepter, die heilige Allerfreuerin.
Hinan zog es ihn, hinan zu steigen die ewigen Treppen,
höher hinauf, in den reinen Äther, dort an den Tischen
der Himmlischen zu erfragen den Inhalt des Kosmos,
den Inhalt der Geschichte, den Sinn seines Herzens.
Er sehnte sich nach heiliger Liebe. Die berauschenden
Leidenschaften hatte er schon in seiner törichten Jugend
als schal und leer erkennen müssen; nicht danach
stand ihm der Sinn seines Liebe-bedürftigen Herzens.
Urania! rief er, du vom Himmel gezeugte, du Liebe
mit dem Geist von Sternen, du himmlische Jungfrau,
himmlisches Mädchen mit den blauen Augen,
flehe zum Höchsten für mich und sende, wie dem Paris
du Helena sandtest, mir die heilige Geliebte,
mit der ich mich zusammenfinden kann
zu einem ganzen Menschen! Denn, so lehren es
die alten Dichter, im Anfang des Goldenen Zeitalters
waren wir eins, Mann und Männin, und erst
die Gewalt der Zeit trennte und teilte uns, wir aber
sehnen uns nach unserm Widerpart, nach der Gefährtin
der Seele, auf dass wir eins werden in der Seele,
ein vollkommenes Ebenbild der himmlischen Liebe,
die dich so reich gesegnet, himmlische Jungfrau
Urania, Tochter des ewigen Vaters im Himmel!
Unter diesen Gebeten war er die gewundenen
Felsenpfade hinangestiegen. An den unteren Berghängen
standen Rebstöcke, weiter in der Höhe auf den Felsenplateaus
weideten stumme Hirten ihre Zicklein, höher hinauf
wurden die Berge umwunden von den keuschen Schleiern
der Wolken, in die hinein Orpheus trat. Der leise Wind
zog durch die Saiten seiner Lyra. Sperlinge,
gefiederte Boten der Urania, pfeilten zwitschernd
durch die Lüfte und sangen ihre lustigen Lieder vom Glück.
Oben auf dem erhabensten Berge befand sich
ein uralter Kiefernwald, in dessen Dunkel Orpheus tauchte.
Er schritt an seinem Wanderstabe durch den Kiefernwald,
die letzten Strahlen Hyperions sanken goldenrot
durch das dichte Dunkelgrün und vergoldeten
in mystischer Alchemie den Waldboden.
In diesem Zauberlicht und Zauberschatten wandelte
Orpheus über den weichen braunen Boden,
wie auf Teppichen, schwebend halb dahin.
Um ihn ward es dunkel. Er sah durch die hohen Wipfel
der Kiefern Luna heraufkommen, die Unschuld-weiße
Lieblingin des Himmels, die weiße Frau, gekleidet
in einem silberweißen Schleier, blickte sie
mit tiefblauen Augen auf die nächtliche Landschaft.
Orpheus kam zu einer Lichtung, silbrig vom Mondlicht.
Über der Lichtung schwamm die runde Luna
wie ein silberner Granatapfel dahin, sie ließ
ihren schimmernden Tau in reichen Segnungen fallen
auf die dunkelgrünen Gräser der Lichtung. Inmitten
der Wiese lag ein runder Teich, ein makelloser Spiegel
der Herrlichkeit Phöbes. Die himmlische Jungfrau
besah ihre schneeweißen Wangen in dem Spiegel,
ließ ihre elfenbeinweißen Perlenzähne schimmern
in dem Kristall des Wassers, und der Tau ihrer blauen Augen
war reiner als der Tau des schimmernden Teiches.
Phöbus Apollon hatte seine weißen Schwäne
aus seinem Triumphwagen ausgespannt,
die ihn vom Lande der Hyperboräer, nördlich Germaniens,
gezogen hatten nach Delphi, nun aber war er im Westen,
westlich von Hesperien, in den atlantischen Hallen
untergegangen und bettete seine goldenweißen Glieder,
in den Purpurmantel gewoben, in ein Schlafgemach
am Grunde des Meeres, daselbst ruhte er
in den feuchten Umarmungen Amphitrites.
Hier aber badeten seine weißen Schwäne
ihre schaum- oder schneeweißen Glieder, ließen
ihre engelgleichen Schwingen ruhen auf dem Kristall
des Teiches, tunkten ihr prophetisches
Sängerhaupt in den weißen Wein des Sees.
Die Schwäne rührten eben das Wasser ein wenig auf
zu unruhigen Wellen, als am Ufer des Teiches
sich aus dem dunklen Gras drei Nymphen erhoben,
eine schöner als die andere, die Mittlere aber die Schönste.
Sie trugen alle weiße lange Gewänder, feingewoben,
mit goldenen Gürteln, und bestickt mit schönen
Blumenmustern. In den Haaren trugen sie Myrtengirlanden,
umwunden mit Rosenkränzen. Da erkannte Orpheus,
dass diese drei Nymphen der Urania geweiht waren.
Er brauchte keine Scheu vor ihnen zu haben,
sie waren keine Keren, keine Todesgeister,
sie waren liebliche Nymphen, wahrscheinlich melische,
die am Anfang der Schöpfung vom Himmel
im schäumenden Meere gezeugt worden waren.
Orpheus trat zu ihnen. Seine Lyra begann zu klingen.
Ich bin Charissa, sagte die eine mit einer leisen
dünnen Stimme. Sie hatte schwarze Locken,
die sich ihr im Nacken hübsch kräuselten. Ihre Augen
waren braun und lagen in tiefen traumhaften Grotten,
wie versunken in die Träume Endymions, wenn
der Schäfer und Schläfer im Traume Luna liebkoste.
Wenn du willst, lieber Orpheus, du heiliger Poet,
will ich dich die Geheimnisse der Weisheit lehren.
Ich kenne alte heilige Überlieferungen, deren geheimer
Sinn mir ebenfalls nicht unbekannt ist. Charissa war schlank,
wie eine Linie, ihr Antlitz war charaktervoll,
es hatte nicht die gleichmäßige Hoheit und das jungfräuliche
Ebenmaß der Nymphe an ihrer Seite, die zu Orpheus
sprach mit einem Lachen: Ich bin Doris, ich will dir
ein Geschenk des Himmels sein, und mit mir
als Geschenk wirst du zu einem Fürsten werden,
zu einem Herrscher über dich selbst und zu einem König
von Thrakien, der mit der Lyra im Arme die Barbaren
wird bezwingen und kultivieren in einem utopischen Staat.
Doris hatte rote Locken, die ihr lang hinunter
in den Rücken fielen. Ihr Kleid war besonders bunt bestickt,
fast wie der Schweif eines Pfauen. Ihre Augen blickten stolz
und kühl. Ihr Lachen war ebenso stolz wie ihre Augen.
Beide Nymphen wurden überblendet von dem himmlischen
Schimmer der dritten Nymphe. Die hatte feines
goldenblondes Haar, ein milchweißes schmales
und weiches Gesicht und Augen wie blaue Morgenhimmel.
Ihre Lippen waren wie junge Rosenblätter, auf denen
der Tau der Morgenröte erwacht. Ein scheuer Hauch
von Röte huschte zärtlich über ihre weißen Wangen.
Aus ihren Augen flogen zärtliche Blicke, nicht wie
die Blitze Joves, sondern wie die diamantenen Strahlen
des Sternes der Venus. Ihr Gewand war rein und weiß,
aber von ihren goldenen Haaren fiel ein rosenroter
Schleier. Sie war, als wenn eine Rose eine Metamorphose
erfahren hätte und wäre zu einer Nymphe geworden.
Sie war, als hätte sich Urania selbst nicht entscheiden
können, ob sie in Gestalt einer Nymphe oder
in Gestalt einer Rose dem Orpheus erscheinen wollte.
Ich bin Eurydice, Orpheus, und ich habe dir nichts zu geben
als meine Liebe, sagte sie schlicht, mehr hauchend,
mehr lispelnd, mehr seufzend, als sprechend
wie ein realer Mensch. Sie war wie der Hauch Zephyrs
und Auras, wenn er im Lenz durch Myrtenhaine flüstert.
Von ihr ging ein süßer Duft aus, süß wie die Bienenfreundin,
die goldengrüne Melisse. Orpheus trat auf sie zu.
Eurydice, sagte er leise und ein wenig bang, dein Name
wurde mir von den Parzen in meine Windel gestickt,
du sollst mein Schicksal sein. Da hielt er ihr seine Hand hin,
und sie legte ihre weiße Hand in seine gebräunte,
ihre Hand sank leicht wie eine Schneeflocke
und leicht wie ein wollener Blumensamen
in seine männliche Hand. Er hielt die Hand wie einen Traum
von Glück, wie einen Traum von Liebe. Und sie blickte
ihn an mit den klugen Augen einer reinen Taube.
Zusammen wandelten sie fort von den beiden anderen
Nymphen, dem Teich und den Schwänen, der Lichtung
und dem Wald, dem rosigen Morgenlicht entgegen.
Sie kamen am Fuße des Rhodopegebirges in die herrlichsten
Gefilde. Orpheus schien die Erde verwandelt
in einen elysischen Garten, die Liebe hatte
mit ihrem Zauberstab die alte Gäa verjüngt und verschönert,
und wie Selige, Innigliebende wandelten Orpheus
und Eurydice durch die weichen goldenblühenden Gräser.
Die schöne Sonne lachte vom lichtblauen Himmel heiter
in die schönsten Limonengärten hinein, an deren Saum
sich weite Beete von duftenden Violen erstreckten,
dahinter aber auf der Wiese weidete eine Herde
junger Schimmel, die alle den Frieden der Erde
zu verkörpern schienen, in die himmlischen Lüfte
schnupperten und zärtlich schnaubten. Sie neigten
ihre Köpfe und lauschten der Stimme Eurydices,
die wie der Gesang einer Seligen zärtlich war.
Mein lieber Orpheus, du Sänger des heiligen Himmels,
du kennst die schöne Ode der seligen Sappho,
die diese auf den schimmernden Thron der Liebe dichtete?
Spielst du mir diese Melodie, diese süße innige Melodie
von der Insel Lesbos auf deiner Lyra? Ich will
dir ein Lied dazu singen, dass ich von einem alter
Pilger gelernt habe, der in den Wäldern Indiens
einst gehaust, aber in seine griechische Heimat
zurückgekehrt war, als er das Ende seines Lebens
nahen fühlte. Es ist ein wunderschönes Liebeslied.
Und Eurydice sang, während Orpheus leise,
leise, um ihre Stimme zu hören, die Lyra strich:
Jene Gottheit, welche die Welt erhalten und gewogen
sanft in den Vaterarmen, sanft in Mutterarmen,
in Meereswogen, magisch verschleiert, jene Gottheit
liebte die Menschen alle, die so töricht irrten,
asketisch darbend, in den dunklen Wäldern
und Schlangenhöhlen, darum beschloss sie weise,
zu den Menschen niederzukommen, leisen Schrittes
unter Menschen zu wandeln, darum ließ sie ihre Hallen,
die dreiunddreißig himmlischen Hallen, trat mit leichtem Fuß
auf den schneebedeckten Gipfel des Himalaya,
fror ein wenig auf der kalten Erde, und eilte nieder
in die besonnten Haine, da die Hirtinnen bei den Brunnen
traurig tränkten traurige Tiere, weinend, daß sie so gefangen
im Zauberschleier ewigen Trugs. Als ein Hirte
nahte die Gottheit aber, wählte aus den Hirtinnen
Eine Hirtin sich zur süßen Lieblingin seiner Seele,
küsste sie sanft, sanft sie überschattend mit seinen Augen,
nannte seine Nachtigall sie und seine Mango,
seinen Sandelbaum ohne Schlangen, seine Gazelle.
Sie ward sehr betört von den süßen schönen heiligen
Empfindungen seiner Liebe, und zur Hirtenflöte,
der schlichten, sang sie Lobpreis der reinen Liebe.
Da erkannte sie in dem schönen Hirten jene Gottheit,
alles erhaltend, schaffend, aus der Liebe schaffend,
vernichtend, aber neu wieder schaffend. So pries sie
im Jüngling, dem schönen Hirten, der die Schlange
täuschender Lust bezwungen, Liebe, unsichtbare,
die unsichtbare Liebe, sichtbar geworden als Mensch!
Wie schlich sich ihr Gesang in das Ohr des Poeten,
wie tröpfelte der Gesang den süßen Nektar der Götter
in die Seele, wie kam auf den Flügeln ihres Gesanges
ihre schöne Seele in die seine, wie wohltätig heilend!
Ihre Seele war schön, ihre Seele durchwaltete ganz
die Erscheinung, eine reine unschuldige Erscheinung.
Dieser tiefe kluge, ja weise Blick aus ihren himmelblauen
Augen leuchtete den Frieden ihrer Seele
durch die Pforten seiner Seele tief in sein Herz hinein.
Nicht Begierde erzeugte die Klarheit ihrer Augen,
sondern den Frieden des Himmels, eine ruhige
Begeisterung zum Licht des Äthers. Diese Augen
waren sanft wie blaue Maienabende, tief wie Teiche,
in denen sich die Sterne spiegeln, diese Augen
waren lebendige Funken eines olympischen Feuers,
in ihnen leuchtete das ewige Licht des Lebens.
Ihre Leidenschaft war eine göttliche, heilige
Leidenschaft für die höchste und ewige Liebe!
Ihre Lippen waren von der Seele gestaltet. Das sanfteste,
mildeste Lächeln lag in ihren Mundwinkeln, wie Amor
in einer Rosenblüte. Dieses Lächeln war niemals
ein Lächeln des Spottes, niemals ein Lächeln von Ironie
oder Sarkasmus, war auch kein betörendes verführerisches
Lächeln einer Phryne, sondern es war das Lächeln
der Güte einer himmlischen Jungfrau. In ihre lächelnden
Lippen kleidete sich die Güte und Sanftheit ihrer Seele.
Wenn sie sich freute, wurde sie nicht fröhlich wie die Toren,
sondern zeigte eine tiefe Freude in ihren Augen
und auf ihrem ganzen Antlitz, welches glänzte
von der inneren Freude der Seele. Wenn sie sich freute,
dann war sie niemals fröhlich über Nichtigkeiten,
vergängliche Dinge, sondern sie freute sich
an der unsterblichen Seele, am Licht des Himmels,
an der heiligen Liebe, die ihr ewiges Licht
nie wird erlöschen lassen selbst in den Kammern
des bräutlichen Todes. Selbst wenn sie vom Tode sprach,
der doch allen Menschen ein Schrecken und ein Unheil ist,
lag ein himmlischer Friede auf ihrem glänzenden Angesicht.
Sie glaubte an ein Gericht über die Lebenden und die Toten,
und ihre Liebe, ihre heilige Liebe zu allem Himmlischen
beruhigte sie über den Totenrichter, sie war voller Hoffnung,
dass sie aus den Kammern des Hades würde aufsteigen
dürfen zu den Inseln der Glückseligen. Woher
sie diese Hoffnung hatte, konnte sie nicht in Sprache,
nicht in menschlichen Worten ausdrücken. Aber
ein tiefes Geheimnis, eine heilige Liebe des Himmels
drückte ihre Seele aus, wenn sie sang, dann erreichten
ihre Töne, die Töne ihres ganzen Wesens,
Orpheus’ Mittelpunkt und machten ihn unerschütterlich gewiss,
dass sie unsterblich war und ewige Freuden genießend.
Sie schien ihm überhaupt mehr eine Selige von den Inseln
der Glückseligkeit zu sein, überschattet von dem bräutlichen
Tode, als eine gewöhnliche sterbliche Frau.
Nichts war gewöhnlich an ihr, alles war von den Geheimnissen
des Jenseits verschleiert, ein unergründliches Geheimnis
ruhte in ihrer Seele. Sie war aus einem Mysterium
geboren, sie war wie eine vom Himmel Gezeugte.
Kaum war sie sich ihrer fleischlichen Schönheit bewusst,
kaum erreichte sein Lob ihrer Wangen, ihrer Haare
jemals ihr Ohr, ihre Seele. Wenn er allerdings
von dem Widerhall sprach, den ihr ganzes Wesen
in seinem Herzen auslöste, wenn er sie sein Echo nannte,
die unsichtbare Nymphe, die den ganzen Sinn seiner Seele,
wenn er ihn auszusprechen versuchte, ihm
mit deutlicheren Worten wiedergab, dann lächelte sie
mit einer stillen, tief geheimen inneren Freude.
Sie war ein Engel aus den Regionen der Schönheit,
eine Botin der himmlischen Jungfrau, ein reines
unbescholtenes Ebenbild der heiligen Liebe.
Und das reine Feuer ihres Wesens, diese stille Glut
der Reinheit, erzeugte in der Seele des Poeten
ein himmlisches Verlangen nach ewiger Liebe,
die durch die Kammern des bräutlichen Todes hindurch
ihre Unsterblichkeit feierte, wie Helena in Elysium.
Der reine Wohlklang ihres Wesens drückte sich
am vollkommensten in der Musik, im Gesang
ihrer Stimme aus. Orpheus, der Wortreiche,
fand keine Worte für die vollendete Schönheit ihrer Stimme.
Sie lehrte ihn das Wesen der Musik, die Geheimnisse
der Lieder, das Lob der heiligen Liebe zuerst verstehen
und singen. Ihre Liebe war seine Initiation.
Sie war seine Mysterienmeisterin, durch die er
zum wahren Poeten gekürt ward. Sie war sein Lorbeerbaum,
sie war sein guter Genius, sie war seine Muse.
Ein einziger Kuss von ihr, und er begann
die folgende, erste wahre Ode seines Lebens zu singen:
O wahre Güte! heilige Liebe! O Herrlichkeit
der ewigen Schönheit! Du bist meines Lebens inneres Leben,
Du der Unsterblichkeit süßes Siegel! Ich will dich singen,
heilige Liebe, dich, du pflanztest in mein Herz
die Unsterblichkeit, und Hoffnung auf die tiefen Freuden
einst der elysischen Inselgärten! Du stimmtest meine Lyra
zum Lobgesang, ja, gabst mir meine Stimme
zum Preisen erst, du bist die Weisheit meines Liedes,
dein ist die Schönheit der Lobgesänge. Dein Kuss
ist mehr als lieblicher Lippen Kuss, dein Kuss
ist die Berührung des Herzens mir mit wonnesamen
Seligkeiten, ist das Verzücken zu Himmelswonnen!
Ich werde dich im bräutlichen Totenreich verherrlichen
mit himmlischem Schmuck und dich einst in Elysium
lobpreisen, wenn du mit Helena preist die Liebe,
die Liebe, die dein Wesen, die heilige, die deines Herzens
Herz und dein Innerstes, der alle Götter untertan sind,
die soll als liebende Gottheit meine Huld empfangen!
Als er so gesungen, trat Eurydice zu einem Lorbeer
und pflückte sich Zweige, aus denen sie eine schöne
Krone für ihn flocht, drückte ihm den Lorbeerkranz
in die Locken und sagte: Liebe soll unser Leben atmen,
Liebe sei unsre Seligkeit! und küsste ihn keusch und zart.
ZWÖLFTER GESANG
Am Hange eines grünen, fruchtbaren Hügels weidete
eine Ziegenherde, stoßende Böcke darunter,
gescheckte Zicken und hüpfende Zicklein.
Ihr Hirte war Aristäus, ein hoher hagerer Mann
mit langen schwarzen Haaren und schwarzem Bart,
brennenden braunen Augen. In seiner knöchernen Hand
hielt er einen knorrigen Stecken, mit welchem er
die übermütigen Zicklein oft auf den Weideplatz trieb.
Er liebte seine Zicken. Er war ein wortkarger,
aber gedankenreicher Mann. Nicht dass er hätte
philosophiert, aber sein Leben lebte er in seiner Phantasie.
Oft dachte er an den Tod, und ihn schauerte.
Er fürchtete den Andrang der Schattennacht und die tödliche
Leere des Hades. Aus solchen Gedanken riss er sich
gewaltsam mit einer gewaltigen Lebensgier. O dies Leben
müsste noch ausbeutbar sein, diesen armen,
dahinschleichenden Tagen müsste noch ein Glück
entrissen werden können. Aber welches Glück?
Es war die tolle Zeit, da die Natur die Stunde
der Fruchtbarkeit geläutet, und die Böcke
hatten ihre Kämpfe ausgetragen. Da war ein besonders
Starkstoßender siegreich hervorgegangen aus dem Kampf
mit einem Schmalergebauten. Dieser gewaltige Bock,
meckernd, sprang auf eine Zicke und begattete sie
unter lauten Brunstschreien. Aristäus ward bis ins Mark
seiner Knochen erschüttert. Welcher Triumph
der Lebensgewalt! Wie schrie die Kraft des Lebens!
Wie setzte sich das Gesetz der Fruchtbarkeit
in dieser tollen Zeit mit Allgewalt durch! Da war Leben,
da war Überwindung des Todes! Hier herrschte
kein leerer, blutloser Schatten in ewig seufzenden
Dämmernebeln, sondern hier blühte Lust des Lebens!
Auf, Aristäus! sagte sich der Ziegenhirte, erbeute dir
ein gleiches Glück! Lass alle deine Kräfte des Lebens
sich sammeln und im höchsten Kraftakt der fruchtbaren
Natur dich fortzeugen in das ewige Leben,
das fortdauert im immer irdischen Dasein, von Jahr zu Jahr,
von Leben zu Leben, siegreich fortgepflanzt,
weil die Geschlechter, wie der Marathonläufer
die olympische Fackel, die Wollust und die Zeugungslust
und die Fruchtbarkeit der Natur überlieferten!
Dazu Freudengeschrei, hymnisches Jauchzen
von jungen schönen Menschen! Lauter Jubel
nackter Menschen, gekränzt mit den Myrtenzweigen
der Göttin der Wollust! Preis der Göttin Pandemos,
der Göttin der Wollust! Preis dem Gotte Pan,
dem Ziegenfüßigen, dass er den toten Mann
in solche Schule der Lebensgier genommen!
O es müsste ein Weib her, es müsste das schöne Leben
des schönen Geschlechts sich ihm ergeben, dass er leben kann
und sich fortzeugen in das Leben der Zukunft.
Aber woher käme ihm ein Weib, denn welche besuchte
schon einen stinkenden Hirten von riechenden
Ziegenböcken? Da war nur die Töpferin,
die im kleinen Dörflein unten am Fuße des Hügelhanges
mit einem kleinen Bastard lebte. Die war schön,
die war ein Weib von blühender Gesundheit,
eine wahre Jüngerin der Pandemos! Sie schien ihm
geeignet und ihre Schönheit geschaffen, einen Erfolg
zu verheißen, seine Zukunft und sein Überleben
zu sichern! Alles Irdischen Glück und eitle Wonne
lag an ihrem Busen beschlossen, an ihren Lippen!
Gnida hieß die Töpferin, sie wischte sich gerade
den roten Ton von den Händen. Einen bauchigen
Krug getöpfert hatte sie, den Aristäus mit bittersüßer
Wollust betrachtete: Rundungen! Und ließ seinen Blick
schweifen auf die Gestalt der Gnida. Ihre Augen
waren groß wie Monde, ihre Pupillen waren blaue Veilchen
in einem See von mütterlicher Milch. Ihr Gesicht
war schlank und schön, ihre Lippen aber lang und voll.
Da begehrte Aristäus Küsse, sinnliche saugende Küsse.
Küsse mich! sagte er, direkt wie ein Bock. Nein,
ich küsse niemals wieder einen Mann, nachdem
der Vorige mich mit einem Bastard zurückgelassen
und sich zu den Hadesschatten gestohlen
durch eine Schlinge am Baum, der Verräter!
O rede nicht vom Tode, rede nicht vom Hades,
du bist das blühende Leben! Deine Brüste
ein Granatapfelpaar, reicher Fruchtbarkeit!
Deine Augen Teiche, in denen nackte Nymphen baden!
Deine Lippen Schwellen rosiger Muscheln
aus dem Meere der Pandemos! Komm, küss mich,
als seist du die Göttin selbst, sei ihre Priesterin
und lass mich das Leben genießen, wie eine Biene trunken wird
am olympischen Nektar einer rotglühenden Rose!
Er umschlang ihre schlanke Hüfte mit seinem markigen Arm
und zog sie an sich. Widerstrebend ließ sie sich
an seine Brust gleiten. Er tastete ihre Gestalt ab
und fand die Weiblichkeit vollkommen. Er hielt sie
in dem Taumel seiner Triebe für die Göttin Pandemos selbst,
und sich für den Ziegenfüßigen Pan, und eine
olympische Buhlerei ging vonstatten. Sie ließ es
über sich ergehen, wie ein Brett liegend unter
dem arbeitenden Mann. Kalt wie eine Marmorstatue,
kalt und leblos wie ein Götzenbild lag sie da,
er aber merkte es nicht. Er hatte wie ein Bock
seiner Herde dem Drang der Natur Genüge getan
und sich ausgeschüttet und mit dem Saft die Liebe.
Entleert stand er auf. O Nichtigkeit, wie quältest du
mit Hadesleere seine Seele. Das war das Leben?
Ach war denn all überall der Tod mit seinem verzehrenden
Schattenwesen gegenwärtig? Wie war solch ein blühendes
Leben zu einem kalten Winterschatten geworden?
Wie hatten solche blühenden Lippen derart bitter
sich verziehen können? Wie hatte solch ein lockender Schoß
so gleichgültig bleiben können? Wie konnte
solch eine leibhaftige Göttin der Wollust mit ihm sein
wie ein kaltes irdenes Götzenbild von Stein?
Aber da fing das Götzenbild zu reden an: Du Hund
von einem Mann! Hast du nun deinen Spaß gehabt,
so sorge auch für meinen Unterhalt nun! Wie willst du,
ein stinkender Ziegenhirte für meinen Unterhalt
und den meines Bastards sorgen? Werde Kaufmann,
besuche die Inseln alle, handle mit Perlen, bring Silber heim
und indische Edelsteine! Nein, schweig, ich mag
deine Stimme nicht mehr hören! Erst schmeichelt
ihr Männer, als wäret ihr Apollon, wenn er um Daphne wirbt,
aber dann, wenn ihr euer Mark habt ausgeschüttet,
dann seid ihr die Sklaventreiber des Weibes
und sein Untergang! Willst du dich auch aus deiner Pflicht
fortstehlen in den Hades? Wie willst du überleben?
Du hast ja kein Leben in dir! Eine einzige Langeweile
bist du, ein nutzloser Träumer! Geh nur zurück
zu deinen Zicken, mit denen magst du sodomitisch
deine Wollust haben, das passt besser zu dir,
du liebst deine scheckigen Zicken mit den prallen Eutern
ja doch mehr als mich, eine arme, verlassene Witwe,
eine Zurückgebliebene, eine durch den Staub
schleichende, schlecht bezahlte, hungernde Töpferin
brüchiger Töpfe! Fort mit dir, du Hungerlöhner,
stinkender Bock, und such dir deine Lust woanders!
Mich wirst du nie mehr dürfen begatten, du Hurensohn!
Aristäus wandte sich ab. Er verfluchte Gnida,
er verfluchte die Göttin Pandemos, den Ziegengott Pan,
sich selbst und die Jahreszeit. Er wandte sich
zu einem alten Mann namens Philipp und trank
mit ihm eine Menge Weinschläuche mit dem besten Weine
von Chios leer. Trunken am Abend kehrte die Wollust zurück,
und da er zuvor geflucht hatte, da segnete er Gnida.
Er irrte noch eine Zeit lang durch die Nacht,
deren Sterne begierig am Busen der Nacht
die Milch der Mondin sogen, die Wollust ließ ihn
alles triebhaft erblicken. Dieselbe Wollust,
die sich in allem Leben und Weben der Natur
ihm offenbarte, erniedrigte auch seinen verletzten Stolz,
unterwarf mit diesem Stolz den letzten Rest der Selbstachtung
und zündete in seinen Gliedern ein verzehrendes Feuer,
und dessen Flammen schrien alle nur Gnida! Gnida!
Es war weit vorgeschrittene Nacht, als er zur ihrer Hütte trat.
Sie wusste, dass er kam, ihr Dämon hatte ihr gesagt,
er werde wiederkommen. Sie wusste, er war gepackt
von der Gier nach ihrem Fleisch, mit ihren Gliedern
hatte sie seine Seele gekettet. Cupido hatte
mit stachligen Rosenfesseln seine triebhafte Seele
gefesselt und schleifte ihn zu den Füßen
seiner Imperatorin, dass sie ihren stolzen Fuß
auf seinen Nacken setze, die Domina der Pandemos.
Er trat in die Hütte. Auf dem Holztisch standen
zwei tönerne Weinkelche, beide halb gefüllt.
Der kleine Bastard war noch auf und sah ihn
aus hungrigen Augen schelmisch an. Gnida blickte
ihn mit dämonischer Süße, verführerischem Liebreiz an
und umgarnte ihn. Da sagte er, auf die beiden
Becher blickend: War jemand bei dir? Und der Schierlingstrank
der Eifersucht stürzte brennend durch seine Glieder.
Nein, nein, zu mir darf keiner kommen als du, mein Süßer,
lispelte sie lieblich, zu süß. Da trat der magere Bastard
zu Aristäus und flüsterte ihm ins Ohr: Mama
hat hinter der Hütte im Myrtenstrauch einen Mann versteckt.
Die Glut der Hölle schoss durch seine Seele und seine Glieder,
als träfe ihn ein Blitz aus der Faust des Donnerers.
Im gleichen Augenblick bekam der Bastard
von seiner zornig blickenden Mutter eine Ohrfeige.
Das bestätigte Aristäus den eifersüchtigen Verdacht.
Er stürzte aus der Hütte, sprang zum Myrtenstrauch
und bog seine Zweige auseinander. Tatsächlich,
da hockte Philipp und grinste ihn spöttisch an.
Aristäus war ein brausendes Meer in des Sturmes Gewalt.
Was soll das?, schrie er Gnida an, erklär mir das,
warum tust du mir das an? Sie sah ihn
mit den hübschesten Augen an, die Lippen lieblich lächelnd,
wie ein blühender Mai und lispelte süß wie Maienhonig:
Ach komm, mein lieber Aristäus, mein süßer Aristäus,
ach komm doch. Er aber trat zornig gegen die Hütte
und schrie, immer aufgebrachter: Erklär mir das!
Sie aber lächelte um so lieber, zog ein kindlich-trauriges
Gesicht und sah ihn verführerisch an: Komm zu mir,
mein süßes Schätzchen. Sei mir wieder gut, mein Herz.
Da riss ihm der letzte Faden der Geduld, und zornig
stürmte er fort. Für immer und ewig sei Gnida
aus seinem Gedächtnis gerissen, ausgebrannt und ausgemerzt
jede Erinnerung an sie. Diese Hure aus der Pandemos
Hurenhaus! Diese Verräterin seiner Liebe!
Dieses personifizierte Laster! Diese Geißel des Zeus!
Fort mit ihr, sei ihr Name auf immer verbannt
aus den Windungen seines Hirnes und ihr Bild
gemordet hinter seiner Stirn! Fluch über sie,
Fluch aller tausend Götter über sie! Fluch der Pandemos!
Fluch dem Philipp! Fluch ihm selbst, dass er so närrisch
gewesen war! Fluch dem Cupido und Fluch der Wollust!
Und es war ihm, als schrien die schreienden Raben
durch die Nacht ein dämonisch-endgültiges Nimmermehr!
Aristäus schwor seiner Herde ab, schwor dem Lande
Mazedonien ab und wanderte, immer irrer werdend,
durch alle hellenischen Lande als ein Bettler.
Von den Almosen der Barmherzigen lebend,
von den Brosamen der Armen, denn die Reichen
gaben nichts, und so kam er bis ans Mittelmeer.
Wie unter einem Fluche stehend (vielleicht weil er
sich selbst verflucht hatte) kam er von den Gedanken
an Gnida nicht los. Immer schöner, immer lieblicher
wurde sie in seinen Träumen. Er wanderte in den Nächten,
am Morgen sich sein Brot bettelnd und legte sich
dann an das rauschende Mittelmeer schlafen.
Sei es, dass der rauschende Schaum des Mittelmeeres
ihm die flüsternde Muschel der Aphrodite
in seine Träume tönen ließ, sei es, dass er
unter dem eigenen Fluche stand, sei es, dass
seine Seelentriebe an Gnida geleimt worden waren
bei ihrem einmaligen Akt, sie stieg als eine rauschende
Pandemos nackt aus dem Meere seiner Träume
und lächelte ihn lieblich, süß verführerisch
wie beim letzten Male an. Erwachte er von diesen Träumen,
merkte er, daß im Schlaf ihm der Samen abgegangen war.
Er hasste sich selbst dafür. Im Schlaftraum liebte er
Gnida über alles, nein, er begehrte sie mehr als alles,
aber in seinen Nachtwachen verachtete er sie.
Ja, er ging soweit, alle schöne Körperlichkeit zu verachten.
Er wollte nun nichts als eine Seele lieben, eine reine,
von allem Fleisch entblößte Seele. Aber in seinem Schlaf
rauschte wieder der schmutzige Schaum seiner verfluchten
Wollust auf. Er floh das Meer, dem er einen unguten Einfluss
auf sein Hirn zuschrieb mit dem Rausch seiner Gischt.
So kam es, dass Aristäus nach Thrakien kam. Und es geschah,
dass er eines Nachts in den Limonenhain trat,
da die Hütte des Orpheus und der Eurydice stand.
Diese hatte nicht schlafen können, hatte Orpheus
weiter ruhen lassen und war in die Nacht hinausgegangen.
Das Licht der Sterne und des Mondes fiel verherrlichend
auf die schlanken Stämme und gab einen romantischen
Zauber. Wie in einer andern Welt, wie in Hesperiens
Gärten, lebte, atmete der Hain. Die Veilchen
verströmten ihren bezaubernden betörenden Duft
der Lieblichkeit. Sie trug ein feines weißes Gewand,
durch das ihre Gestalt schimmerte, sie wähnte sich allein.
Aber im Gebüsch hatte sich der Ziegenhirte, der Bettler
versteckt, die Schöne zu beobachten. Das silberne
Mondlicht fiel auf ihre weißen Wangen, ihre Rosenblütenlippen
dämmerten süß verlockend zu ihm herüber. Ihre Augen
strahlten wie Sterne, wie Diamanten durch die Nacht.
Er sah, wie sich bei jedem Atemzug der Busen
unterm leichten Gewand hob. Dieser dünne weiße Schleier
offenbarte mehr als er verbarg. Da warf sich der Schaum
der Träume, der Rausch des Schlafes, der Trieb
in den Gliedern des Aristäus mit neuer Lebenshoffnung
auf das schöne Bild, und all sein Begehren flog
wie ein Pfeil Cupidos auf die reizende Eurydice.
Da trat er aus seinem Versteck. Eurydice erschrak,
da sie ihn sah. Zum einen in ihrer Einsamkeit
und in der Nacht einen Mann zu sehen erschreckte sie,
und dazu so einen verwilderten, mit langem ungepflegten
Bart, abgemagerter Gestalt und hungrig flackernden Augen,
da entsetzte sie sich. Er aber, inspiriert von seiner Wollust,
hob an mit schmeichelhaftester Flatterei zu sprechen:
Schönste, wie ist dein Name? - Eurydice heiß ich,
aber wer bist du, und wo kommst du her?
Wo ich herkomme, ist ganz ohne Bedeutung,
ich habe alle meine Vergangenheit glücklicherweise
vergessen können in diesem Augenblick, da ich
dich erblickte, Liebreizende! - Lass das meinen Orpheus
nicht hören, er liebt mich und würde mich mit keinem teilen.
Orpheus? Verhasster Name, und so beneidenswerter Mann!
Ist er der Deine? Ja? Aber glaubst du, dass die Alten
gelehrt hätten, ein Weib dürfe einen Mann allein nur lieben?
Ist Liebe nicht frei? Sollten die Götter geboten haben,
du dürftest dem Zauber und Liebreiz solch einer Nacht
und solch einer wundersamen Begegnung mit deinem
Schicksal dich nicht ergeben und hingeben? Siehe,
Liebreizende, meine Liebe ist reich, sie ist unergründlich
wie das Meer und voller Perlen. Aus diesen Perlen
würde ich dir eine Kette machen. Sie ist voller Gestein,
weiß und rein und gewaschen von den Fluten,
daraus würde ich dir die Statue deines herrlichen
Leibes machen. Ich würde dich verherrlichen
als die Allerschönste, als die menschgewordene Aphrogenea!
Unter dem Segen der Aphrogenea stehen wir,
und sie liebt die Nacktheit und die gesetzlose Liebe!
Lass uns ihrem Gebot der freien Liebe folgen,
und die Göttin wird dich, du bezaubernde Nymphe,
an den Himmel versetzen! Denk doch, es gäbe ein Sternbild
der Eurydice, zu dem ich beten könnte! Lass mich
dich anbeten, denn durch meine Liebe wirst du zur Göttin!
Fort mit Aphrogenea, die aus dem Meere stammt,
denn nun kenne ich die Göttin Eurydice, die von ihrem Sternbild stammt!
Sie blickte ihn gleichgültig an. Diese Flatterei
berührte ihr Herz nicht, es schien ihr nichtig
wie schmutziger Meeresschaum. Die Liebe des Orpheus
war treu wie eine junge Ulme, an der die Weinrebe
ihrer Liebe hinauf ranken konnte. Sie wollte sich eben
abwenden von Aristäus und zu ihrem Orpheus
in die Hütte gehen, als Aristäus gierig zu ihr trat
und begehrte, mit seiner Göttin Unzucht zu treiben.
Es gelang ihm, einen Kuss auf ihren kalten gleichgültigen
Mund zu pressen, einen Kuss, der seine Begierde
nicht stillte, sie aber umso mehr anheizte. Da schlang er
seine Arme um sie, zog sie gewaltsam an sich
und drückte sich an sie, als wollte er in sie eindringen.
Mit mehr als weiblicher Kraft machte sich Eurydice
von ihm los und floh. Das Entsetzen hatte ihre Kehle
verschlossen, es war als würge die Angst sie
mit eiskalter Faust. Sie wollte zu Orpheus um Hilfe rufen,
aber sie konnte es nicht. Da rief sie immer nur
in ihrem Geiste: Orpheus! Orpheus! Aber es entrang sich
ihr kein menschlicher Laut. Aristäus setzte ihr nach,
er war von dem wüsten Dämon der zügellosen Begierde
gehetzt wie ein Besessener. Dies Weib musste er haben!
Schneller floh sie. Innen in ihrem Geiste schrie sie
verzweifelt: O Genius meiner Liebe! O guter Genius
meines Orpheus! O heiliger Genius, allmächtiger Gott
der Liebe, rette mein Leben! Wenn ich sterben muss -
o ich fürchte, ich muss sterben von des Feindes Hand -
dann stirb du meinen Tod mit mir und lass mich nicht allein
in der Todesangst! Allmächtiger Genius der Liebe!
Eile mit mir in meinen Tod, führe mich ins Reich der Schatten,
lass mich die Seligkeit sehen und Elysium! Lass mich
eintreten in den Idealen Staat, da Zeus das Zepter führt
und sein vergöttlichter Sohn, den Zeus aus dem Tode
auf den Olymp entrückt hat! O Retter meiner Seele,
Namenloser, Unbekannter! in dieser Stunde des Todes
sei du bei mir, du zerrissener Dionysos der Todesangst!
Prophetisch hatte sie gebetet. Aber nicht von der Hand
des Aristäus sollte sie sterben, ungeschändet
sollte ihre jungfräuliche Seele bleiben. Die Angstgetriebene
war schneller gewesen als der Wollustgeschwächte.
Aber in dem Augenblick, da sie den letzten verzweifelten
Ruf ihres Gebetes getan, da schoss aus der feuchten Wiese
herauf eine Pythonschlange, schlug ihren giftigen Zahn
in die schlanke Ferse Eurydice und spritzte ihr den Tod
ins Blut. Sie fiel und blieb in Todeskrämpfen liegen.
Aristäus sah es und floh entsetzt. In der letzten Todesangst
ward Eurydices Kehle frei, wie befreit von der Hand
eines Gottes, und sie schrie aus sterbender Leibeskraft: Orpheus!
DREIZEHNTER GESANG
Aristäus sah die schöne Nymphe sterben, entsetzte sich
und floh davon. Die Furien hatten seinen Geist gepackt
und sich seiner bemächtigt, dass er vollends
in die finsteren Abgründe des Wahnsinns abirrte.
Er eilte den Hang des Rhodopegbirges hinauf,
in die höheren Wälder, durch deren Nachtschatten hindurch,
verirrte sich im Dorngestrüpp des Gipfels und hing
am obersten Gipfel, einem gespaltenen Felsen.
Daselbst hing er in entsetzlicher Todesangst
und wollustvoller Todesgier, in sich zerrissen
zwischen Gäa und Hades, Pandemos und Persephone.
Er hielt sich an einem letzten dürren Baumstrunk fest,
der aus der Felsspalte hervorragte und schaute
in den schauerlichen Abgrund. Hinab! hinab!
schrien all seine zerrissenen Seelenkräfte.
O Gnida! Gnida! du Furie im Gewand der Liebesgöttin!
Du Pythondrache aus dem Acheron, verkleidet
als eine Götterbotin! Jetzt will ich hinab, dich im Orkus
zu umarmen, dich als ein Schatten in der Wollustglut
des Phlegeton zu umarmen und all meine Lust
in dir zu stillen, du Todin! In dich stürz ich mich,
in den Abgrund wie in deinen höllischen Schoß!
schrie sein Geist in ihm, da ließ er den letzten Strunk fahren
und warf sich in die schaudernde Tiefe, an deren
felsigen Grund er zerschellte und in die Glut
des Phlegeton fuhr, dort seine Qual zu vollenden!
In der Zwischenzeit hatte Orpheus die Hilfeschreie
Eurydices gehört und war erschrocken aufgefahren
aus seinem tiefen Schlaf. Er folgte den Schreien,
die immer schwächer und röchelnder wurden
und kam zu der jämmerlich im Grase liegenden Braut.
Eurydice, Geliebte! Was ist mit dir? - Der Pythondrache
verwundete mich zu Tode! Ich muss sterben! -
Wie? Nein, Eurydice, du musst nicht sterben!
Bei allen Göttern, du darfst nicht sterben! Wie sollt ich leben?
Wie ohne dich, Geliebte? O bei der heiligen Liebe,
die unsern Bund gesegnet, das darf nicht wahr sein! -
Es darf nicht... aber es wird geschehen...
O komm uns eine Hilfe von den Bergen! aus der Höhe!
Uranos vom Himmel, komm und erlöse vom Tode Euyrdice! -
Sei nur still, Orpheus, es ist Zeit, meine letzte Stunde naht.
Ich bin bereit… Wie, Eurydice! Wie, bereit!
war denn unser Liebesleben schon vollendet?
Haben wir nicht eben erst den März unsrer Liebe genossen,
den ersten Lenzbeginn? Wo sind Sommer und der reife Herbst
und der würdige weise Winter? Nein, Euyridice,
rufe deine Kräfte herauf und komm zurück!
Entschwinde mir nicht! - Ich sehe... Orpheus, ich sehe...
Was siehst du, Euyrdice? Nein, schau nicht hin!
Verschließ deine schönen Frauenaugen den abgründig-
schrecklichen Visionen des Todes! Komm, du mein Leben!
komm ins Leben zurück! Warte, ich will Heilkräuter holen,
ich werde dich retten! Bleib ruhig, gleich bin ich wieder da!
Damit stürmte er fort, zitternd an allen Gliedern,
rasend pochenden Herzens, den Puls im Halse würgend,
die Schläfen heiß, Angst benahm ihm den Atem,
sein Geist ward dumpf und schwarz umwölkt. Dennoch,
wie von eines heiligen Gottes Hand gelenkt, fand er
den Weg zu dem Beet mit den heilsamen Kräutern.
Dort sammelte er, was er brauchte. Er stürzte in die Hütte,
goss Wasser und Öl und Wein in einen irdenen Krug
und legte die Kräuter hinein. Dann nahm er
einen Linnenwickel und tränkte ihn in dem heilsamen Sud.
Damit eilte er wieder zurück zu Eurydice.
Komm, Geliebte, den Wickel will ich dir auf die Wunde legen! -
Es hat doch keinen Sinn mehr. Ich stehe im Buch der Schatten.
Das Schicksal, mächtiger als die Götter, das uralte Schicksal,
nach dessen Gesetzen Leben und Tod vonstatten gehen,
mein Schicksal, es wird mir begegnen. Ich werde sehen...
Nichts wirst du sehen! Blindheit ist des Todes Gesetz!
Nur auf Erden kannst du sehen, Eurydice! den blauen Himmel
der Liebe! die schönen Veilchen der zartesten Lust!
Die Meermuscheln auf dem Berggipfel, Euyrdice,
die wir so bestaunten, und unsern Küssen verglichen,
die sollst du sehen, und mich, mich lass nicht
aus deinem Auge! Eurydice, halte wach dein Auge,
halt offen deine Lider, komm zurück ins Leben!
Orpheus... hauchte sie, Unsterblichkeit... Orpheus,
Minos, der Richter über die Toten... Orpheus,
was steht auf der ehernen Tafel des Schicksals:
des Phlegeton Feuerfluten oder Elysiums Gärten
und Athenes himmlische Burg?... Orpheus, ich weiß es nicht…
Lieber, wem soll ich vertrauen von all den Göttern? -
Traue der heiligen Liebe, die uns gesegnet und uns
als einen einzigen Menschen erschaffen! -
Orpheus, bei unsrer Liebe, Orpheus... Bei der heiligen...
Der Dichter war sprachlos vor Schmerz. Weinend
warf er sich zu Füßen, zu den wunden Füßen
der Geliebten und netzte ihre wunden Füße
mit seinen Tränen. Mit stummen Küssen bedeckte er
ihre Füße. Nein, nein, bei Zeus! sie durfte nicht tot sein.
Er musste sie ins Leben wieder rufen! Für Eurydice
durfte es keinen Tod und kein Totenreich geben,
sie war für die Liebe und das ewige Leben geboren!
War nicht seine Leier, durch die geliebte Muse,
mächtig gewesen, wilde Tiere zu zähmen? Konnte er
nicht den Tod bezwingen? Er sprang in die Hütte
und holte seine Leier, und schlug die verstimmte
mit schrecklichem Misston, seine Seele quälend!
Nein, bei der himmlischen Harmonie, die allein
den Misston des Todes überwinden kann, Orpheus,
beherrsche dich! Er stimmte seine Leier, schluchzte hervor,
bezwang sich und fing, von Schluchzen unterbrochen,
leise, dann mächtiger, verzweifelt wilder zu singen an.
Bei aller Götter Gott, beim wahrhaftigen, dem einzigen,
der Sieger im Wettkampf ist und trägt den Lorbeer,
vor dem Tode, trägt den unsterblichen Kranz des Sieges!
Bei dir, du Namenloser, du Schrecklicher, beschwöre ich
den Himmel, Eurydice zu halten an der Brust der Erde,
Odem des Lebens in sie zu hauchen! Sieh an das Veilchen
und den Limonenbaum, sie leiden, weil die liebliche
Herrin stirbt, der Mondtau, wie Blutstropfen, fällt
in den nächtlichen Garten weinend. Und alle Nymphen
raufen die Haare sich, die Liebesgöttin schlägt
an den Busen sich, die Musen streuen Asche auf
die traurig-unsterblichen Lockenhäupter. Und alles weint,
und heilige Tränen sind des Meeres Fluten,
heilige Tränen sind die Sterne all am schwarzen Himmel,
und meine Augen sind schwarze Tränen! O Vater Äther,
nimm du mein Leben an, Dionysos, reiß mir aus der Brust
das Herz, o Genius der Liebe, lass mich für sie sterben!
Von dem schauerlichgewaltigen Nachspiel seiner stürmenden,
himmelstürmenden, todbeschwörenden Leier geweckt
aus ihrem Hinüberdämmern, schlug Eurydice leicht
die zitternden Lider auf und flüsterte: Myrrha, bist du da? -
Eurydice! Du lebst! Ich bins, dein Orpheus! Evoe, du lebst! -
Myrrha, wo ist denn Orpheus? - Hier bin ich, Liebe! -
Ruft mir meinen Sohn, ihr Mädchen, ruft mir
meinen lieben kleinen Sohn… Da merkte Orpheus,
dass die Kinderlose irre sprach. Er hielt ihre Hand
und strich sie leise mit der seinen. Er strich ihr
die goldene Locke aus der Stirn, wischte ihr
einen Schweißtropfen von der Stirn, küsste ihre Stirn.
Ich sehe meinen Sohn... Ist er es nicht, der da kommt
mit dem Kranz und spielt ein lustiges Mailied? -
Ach Eurydice, ich bin ja bei dir, ruhe dich nur aus,
meine Liebe. Du bist ins Leben wiedergekommen.
Dank sei Zeus! Nun bist du nur noch etwas schwach,
aber das legt sich, ruh dich nur aus im Bett der Erde.
Als ob sie es verstanden hätte, schloss sie
die schwachen Lider wieder über ihre matten Augen.
Ein letzter Seufzer floh von ihren erblassenden Lippen:
Sohn - - - Damit gab sie ihren Geist in die Hände
ihres ewigen Schicksals. Orpheus sah, dass sich
ihre Brust nicht mehr hob, er legte sein Ohr an ihren Mund,
da lispelte kein Lebensodem mehr. Es war zu Ende.
Das Leben war aus. Die Sterblichkeit des Menschen
hatte ihr Recht gefordert. Hier lag die schöne Hülle,
die geliebte Hülle, aber die geliebtere Seele
war an andern Orten. Da fiel der Schatten des Saturn,
des Gottes der Schwermut, auf die Seele des Sängers.
Ihr nach! war sein ganzer Gedanke. Aiaiaiai! Sie ist tot!
Sie ist tot! Das schöne Leben ist hin! Aiaiaiai! Wehe, Wehe!
Schreckliches Schauergeheul entrang sich Orpheus’ Brust.
Besinnungslos und irr vor Schmerz wankte er
in das nahe Wäldchen, dort sich in noch tieferer Nacht
zu bergen. Er ertrug kein Licht, nicht einmal
die Tränenblumen der Sterne, den balsamischen
Tau der Luna nicht. Finsternis und Grab sollte
sein Zuhause sein. Des Saturnus Sense hatte ihn gemäht,
der Gott der Schwermut hatte seinen Ring um sein Herz gelegt.
Orpheus klaubte sich aus dem Waldboden einen
berauschenden Pilz und kaute den. Dann legte er sich
weinend, unter Schluchzen stammelnd in den Humus:
Euyrdice! Tot! Aiaiaiaiai! Wehe, wehe! Weh mir!
Als der Morgen zu grauen begann - keine schöne Morgenröte,
sondern ein heraufkriechender feuchter Dunst - meinte
Orpheus, die Seele der Geliebten als Hauch zu spüren.
Sie ist hier! Ihre Seele umschwebt mich! Eurydice,
die selige Eurydice, ihr unsterblicher Genius
umschwebt mich! Heilige Eurydice, unter deiner
Siegesfahne will ich leben, sei du das Banner
der Liebe über mir! Dir nach, Selige, dir nach hinauf
zu den Sternen und ihren Geistern, hinauf, dir nach,
du Selige, durch die endlosen Meere des Äthers
soll wallen meine Seele, eine Pilgerin auf dem Wege
zu Athenes Burg inmitten des elysischen Gartens,
wo ich dich treffe, und wo ich mit dir, wie Menelaos
mit Helena, tafeln werde den uralten Wein von Chios,
den schon der Mäonide getrunken, und werden ewig,
ewig feiern die Unsterblichkeit der heiligen Liebe!
Da überwältigte eine unsagbare Mattigkeit Orpheus,
sein Geist verlor sich irrend im Äther, sein Leib sank l
ebensmüde zur Erde, er vergrub sich im Staub, presste
seinen Mund in den Staub und schwor: Nur dir, Geliebte,
und unsrer Gottheit soll fortan geweiht sein meine Leier!
Du aber, Selige, umschwebe mich mit deinem Segen
und führe mich durch diese Irrsal des roten Staubes!
VIERZEHNTER GESANG
Und Orpheus‘ Liebe wallet nieder zum Acheron.
Unendliche Einsamkeit hatte Orpheus in jenen Tagen befallen.
Der lichte Sommer war ihm unter schwarzen Wolken
hingegangen und den Tränen des Himmels,
da nahte der Herbst. Er sah nicht den goldenen Glanz
des Laubes, das rotwangige Lachen der Früchte,
die süße Reife des Weines; er sah nur das Vergilben
und braune Welken der Blätter, er sah die seufzenden Nebel,
er sah die Wetterwolken wie ein Schicksal
über Thrakien hängen. Seine Seele war welk
wie das Laub, sein Gemüt seufzte wie der Nebel,
auf seinem Geiste lastete die schwarze Unheilswolke
des Schicksals. Er fühlte sich von allen guten Göttern
verlassen und meinte, böse Dämonen lasteten
seiner Seele zu schwere Joche und Lasten auf.
Seine einzige Hoffnung war die, Eurydice wiederzusehen.
Da die Geliebte aber im Reiche der Schweigenden war,
musste er hinab. Er wusste, dass er sich entsündigen musste,
bevor er den Abstieg zum König der Schweigenden
wagen durfte. Darum wanderte er ins attische Land,
ins heilige Eleusis. Dort ließ er sich von den Priestern entsündigen.
Sein Herz aber stand in voller Sehnsucht nach dem dunklen Gott
des Wahnes, denn Orpheus wusste, dass er vom Wahnsinn
befallen war. Darum begab er sich wieder nach Thrakien
zu einer kleinen Dionysosgemeinde, die in einer Felsenhöhle
das Mysterium feierte. Vor allem reizende junge Weiber
waren versammelt in jener Gemeinde. Ekstatischen Lobpreis
sangen sie dem Herrlichen, schlugen die Zithern und Zimbeln
und tanzten mit nackten Füßen, klatschten in die Hände
und riefen: Heil dir, du herrlicher Opferstier!
Sie begrüßten mit leidenschaftlichen Umarmungen
den irren Dichter, den sie aufforderten, mit seiner Leier
einen Preisgesang für Dionysos zu schaffen.
Da pries Orpheus den Gott, den rasenden, den tanzenden:
Heil dir! Heil dir! du Opferstier, blutiger, der du die Sühne
bringst mit Rebenblut und mit der goldnen Frucht der Ceres,
dir, dir erhebe ich die Hände, Jacchus! O Ba-Ba-Bacchos,
heiliger Vater du vom Orient, du Schöpfer der Rebe
und ihr Stab, an dem die Rebe aufwächst, herrlicher
Herrscher du über Satyrn! O Ja-Ja-Jacchos,
triefender Thyrsos-Stab, du Herzverzücker,
der du gestorben bist und wiederkamst mit deinem Schiffe
her fliegend über dem Mittelmeere! Dionysos,
du Gott über Dia und du wunderstarker Bräutigam,
der du riefst die einsam-schöne Ariadne, du warst ihr Trost
und ihr Herzverzücker! O Sohn der Jungfrau Semele!
Sohn des Zeus! Du Menschenjüngling, Evier!
wahrer Gott! O komm zu uns im Blut der Rebe,
komm vom Olympos zu uns Mänaden und Bacchanten!
Nach diesem Lobpreis ward Orpheus in die Tiefe
der dunklen Höhle geführt. Um einen Altar standen
Jünglinge mit goldenen Locken, in weißen Kleidern
und roten Unterkleidern, die brennende Pinienfackeln
hielten. Ein reifer Priester teilte den geschlachteten
Opferstier aus und trank den efeulaubgekränzten Becher
mit dem Blut der Traube leer. Orpheus aß
vom Götzenfleisch, denn er aß den Götzen, Orpheus
trank vom Trankopfer des Götzen, denn er trank den Götzen.
Mit bacchantischem Jubel priesen die Jünglinge, Mänaden
und der trunkene Dichter den Einzug des Vaters Bacchus
in sein Heiligtum! Unter Zimbelklang traten sie hinaus
in die offene Nacht. Ein runder Vollmond hing
am Firmament und erleuchtete die Nacht. Orpheus
war erfüllt von Begeisterung und Todesmut.
Er war bereit, hinabzusteigen in die stygische Tiefe.
Er wanderte zur Pforte von Tainaron, dort war das Tor
zum Dunkel der Tiefe. Es war Nacht. Er war
in jenem schattigen Hain, umstanden von hohen Schwarzerlen,
und sah die silbernen Dünste aufsteigen aus dem Schlund.
Nachdem er ein weißes Lämmlein geopfert der dritten Person
der Dreiheit, die in der Tiefe waltet, sah er drei Tauben
herbei schweben und sich niederlassen in der Schwarzerle
über ihm. Er vertraute sich seinem holden Genius an,
dass dieser ihn nicht verlasse, wenn er in das unholde
Reich der Dunkelheit und der blutleeren Schatten hinabsteige.
Er trat an die Bucht des Cocytus, da die nächtlichen Fluten
des Tartaros heran spülten. Nichtiger Nebel lag über der Flut.
Scharfe Dünste des Avernus umdrangen Orpheus.
Die Flut des Cocytus drang hinab in einen gähnenden Schlund.
Orpheus ließ sich hinunter, den Aornos hinab,
um in den stygischen Hain des Erebus zu gelangen.
O bei der heiligsten Gottheit und den schweigenden Schatten,
die uns umgeben!, betete Orpheus, sei mein Genius bei mir
mit seiner lichten Fackel, trete ich in die Räume des Schweigens!
Dunkel wanderte seine einsame Seele durch den nächtlichen
Raum, bis er zum ersten Schlund des Orkus kam,
da am Ufer der Acherusische See begann. Am Ufer
lag die schwarze Gondel des Totenfährmanns Charon.
Dieser war ein Alter, alt an Tagen, mit langen weißem Bart
und feuersprühenden Augen. In seiner Hand hielt er
eine lange Stange, mit der er die Gondel
über den Acherusischen See lenkte. Bei der Jungfrau
der Schweigenden! (begann Charon) du bist
eine lebende Seele, im Leibe wandelnd, was beginnst du
hier im Reiche der blutleeren, schweigenden Schatten?
Im Namen der heiligen Liebe komm ich, aus dem Reich
der Schatten, wenn es möglich ist, meine Geliebte,
die selige Eurydice heraufzuholen an den Tag der Oberwelt.
Wenn das dein Beginnen ist, so zweifle ich am Erfolg,
denn Hades ist ein schrecklicher Fürst der Finsternis,
der keinen gehen lassen mag und alle eines Tages holt,
wissen sie die Stunde auch nicht, denn so ists
den Menschen verhängt vom allwaltenden Schicksal.
Orpheus bestieg die Gondel, die gefährlich tief einsank
in den Acherusischen See, und Charon lenkte die Gondel
mit seiner langen Stange an das andere Ufer.
Dort trat Orpheus an den schwarzen Strand.
Nah am schwarzen Strande begann eine Wiese,
auf der Asphodelenblumen blühten. In den Blumen
lag der jüngere Bruder des Todes, der Schlafgott Morpheus,
und schlummerte. Seine Lider waren niedergesunken
und zitterten, denn er träumte. Seine Glieder zuckten,
er wälzte sich von einer Seite auf die andere und kippte
dabei das Horn um, das neben ihm stand, und aus dem Horn
floss die weiße Milch der wilden Mohns, mit welchem
Morpheus Träume träufelte in die Hirne Schlafender.
An Morpheus vorbei ging Orpheus und drang vor
in die Tiefe des stygischen Haines. In der Mitte des Haines
stand ein herrlicher Pfirsichbaum, die Früchte
verhießen schöne Unsterblichkeit und süße Wonne,
und ein Mann lag unter dem Baum und versuchte,
die Früchte zu pflücken. Aber weil er in seinem Leben
auf der Erde die Götter nie gefürchtet, hatte das Los ihm
beschieden, ewig hungernd unter unerreichbaren Pfirsichen
der Unsterblichkeit zu darben: Tantalos war sein Name.
In der Ferne begann ein Berg. An dessen Fuße
saß ein Mann seufzend neben einem Felsblock.
Aufs Neue muss ich beginnen, den Felsblock hinaufzuwälzen,
aber mir ist das Los gefallen, dass der Felsblock
vom Gipfel wieder zurückrollen wird an den Fuß des Berges,
wo ich von Neuem werde beginnen müssen.
Ach Vergeblichkeit aller Mühsal! Ach ewiges Streben
nach Leerem! Ach ein vergebliches Schmachten des Geistes
ist alles Mühen im Reich der Schatten!, seufzte Sysiphos.
Orpheus wanderte weiter. Aus der Ferne drang
schreckliches Hundegebell durch die Dicke der Nacht.
Nicht wenig schauerte Orpheus vor dem Gebrüll.
Da sah er auch schon des Untiers feuerflammensprühende
Augen durch die Schwärze dringen. Sein Atem
war Schwefelstank. In seinem Maul die Zähne waren lang
und scharf wie Eberhauer. Sein Leib war der eines Drachen,
sein Schwanz war der einer Schlange. Grässlich
brüllte das Höllenuntier und wollte sich auf Orpheus stürzen.
Dieser aber strich einige betörende Töne auf seiner Lyra,
mit deren weichen Melodie er das Untier einschläferte.
Vor ihm tat sich ein hohes Tor auf, über dessen Architrave
ein Schild angebracht war, eine erzene Tafel,
in welche mit diamantenem Griffel geschrieben war:
Wer hier hereintritt, der lasse alle Hoffnung fahren!
Orpheus machte seine unglaubliche Liebe todesmutig.
Er war bereit, alle Hoffnung fahren zu lassen, ja
seine eigene Unsterblichkeit und Seligkeit Elysens
fahren zu lassen, wenn er nur die Geliebte,
die Braut aus dem schrecklichen Hades befreien konnte!
Orpheus trat durch die Pforte, die aus edelstem Achat
gebildet war, da sah er vor sich: die erhabene,
heilige Herrscherin der Schweigenden! O Persephone,
wie schrecklich-schön war ihre jenseitige Erscheinung!
Ganz Schatten, ganz Jenseits, ganz Vergeistigung!
Ihre Augen blitzten wie dämmernde Sterne
aus den tiefen dunklen Augenhöhlen! Sie war
in ein langhinwallendes schwarzes Linnengewand gekleidet,
auf welches blaue Cyanenblumen gestickt waren.
Ihr Haar ward verhüllt von einem ebenfalls schwarzen Schleier,
der aber ihr Gesicht frei ließ. Es war von einer milchigen Blässe,
aus welcher die schwarzen Augenhöhlen tief und traurig
hervorschauten. Ihre Augen schimmerten feucht
von holder Traurigkeit. Ihre Lippen waren schmal,
ein wenig blass, von einer zarten violettrosa Farbe.
Was begehrst du, Sterbling, von der Königin der Schatten?,
fragte Persephone ihn mit einem traurigen Flüstern.
Ist denn dir, erhabene Königin, die Liebe fremd?
Denn dann kann ich mein Anliegen nimmer vor dich bringen,
du würdest nimmer mich verstehen im lieblosen Geist.
Ach, die Macht der Liebe hält kein Achat-Tor zurück,
sie dringt bis in die Reiche der Schatten und des Schweigens.
Nein, Sterbling, sei nicht bange: Die Liebe ist im Jenseits bekannt!
Liebst du selbst, erhabene Königin? Ist dir dies unselig-
selige Gefühl der Sterblinge selbst zutiefst vertraut?
Nicht wie die Sterblinge lieb ich, aber wie die Königin
der Schweigenden lieben muss. Du sollst es erfahren,
denn wenn du von hier scheidest, wirst du aus der Lethe
Wassern trinken und vergessen, was ich dir insgeheim
offenbaren werde. Den Allerschönsten unter den Halbgöttern,
den schönen Syrischen Adon, den Sohn der Myrrha,
den lieb ich mit heiliger Liebe! Ihm lag auch die schöne
Anadyomene zu seinen Füßen, als er verblutete,
da weinte sie die Tränen, aus denen die Rosen erblühten,
die Tränen, aus denen die Bernsteinpforten ihres Palastes
gebaut sind. Den Sohn der Myrrha, den Syrischen Adon,
den lieb ich, nicht weniger als die freie Anadyomene
mit den aufgelösten goldenen Lockenfluten
und dem leichten weißen Kleide. Wen aber von uns
beiden der schöne Adonis mehr liebt, die reizende
Anadyomene in dem wallenden Hemde oder
die traurige Königin der Schatten im schwarzen Schleier,
das vermag nur der König der Götter zu sagen.
Nun weißt du, wie es um meine Liebe bestellt ist.
O Persephone, heilige Herrscherin mit dem Antlitz
voller Trauer, Königin der Schmerzen! Wie geschah es,
dass solch eine Liebende in das Reich der Schatten kam?
Ist sie nicht bestellt zum leichten Leben in Licht
und Luft und Lust und jugendlich-lustiger Liebe?
Du stellst törichte Fragen für einen Dichter,
ja ich weiß wohl, wer du bist, Orpheus!
Nicht für Licht und Luft und Lust und Liebe geschaffen
ist die Königin der Schweigenden, sondern besiegelt wars
von der Vorsehung, aber meine eigene Torheit,
dass ich von dem verderblichen Granatapfel aß,
seine sieben Samen nicht verschmähte. Beim Uhu!
Es blieb nicht verborgen, und darum bannte mich
die allgewaltige Vorsehung aus dem Reiche der Lebenden
in die Schattenunterwelt, wo ich weilen muss.
Was soll ich sagen? Soll ich reden wie Achill und sagen:
Ich wär lieber eine Magd im Leben als eine Königin
in der Unterwelt? Sich fügen in sein Schicksal, das ist weise.
In meiner Trauer, o Sterbling, ward ich doch eine Braut
der geheimnisvollsten Person der göttlichen Dreiheit,
welche da herrscht über Griechenland und die ganze Ökumene,
welche da richtet über alle Toten, ob ihnen Phlegeton
mit seinen Feuerfluten beschieden oder das selige Elysium
und das unsterbliche Glück auf den Inseln der Seligen!
Nun denn, o Königin, erbitte den schrecklichen Herrscher,
der furchtbar ist und Finsternis zu seinem Gezelt macht,
dass er mir freigibt meine geliebte Braut Eurydice!
Ich will ihn bitten, und für dich, o Dichter, bewirk ich,
dass du vor den Schrecklichen selber treten darfst.
Ihn magst du bitten. Und mag der Gott des Lebens,
mag der Gott der Liebe mit dir sein, der Herr des Todes!
Damit offenbarte sich vor Orpheus ein Weg,
der aus schwarzen Onyxsteinen gepflastert war
und direkt zum Thron führte. Der Thron war hell
wie ein Blitz, umwunden von siebenfarbigen Schlangen,
überwölbt von einem smaragdnen Baldachin.
Der König der Toten war aber nicht zu sehen.
Dennoch tönte seine Stimme wie Donnergrollen.
Du begehrst die geliebte Braut, die Nymphe Eurydice
zurück aus dem Schweigenden Lande? Nun denn,
so vernimm, o Sterbling in deiner Hoffahrt!
Sie darf dich begleiten den Weg zurück auf die Erde.
Mein Bote wird euch geleiten. Du wirst vorangehen,
wie es sich ziemt für den Mann. Du wirst wandeln
auf das Licht zu. Sie wird dir folgen, denn sie wird
bereit sein, Elysen zu opfern um deiner Liebe willen -
ein Opfer ist die heilige Liebe - aber du darfst
nicht zurückschauen. Schaust du zurück, bevor
ihr das reine Licht des Morgensternes schaut,
das eurer Liebe Segen spenden soll, so wird die Braut
dir entschwinden in das wesenlose Nichts, in dessen Stille
sie vor den Richter der Toten wieder treten wird,
um ihr ewiges Urteil zu empfangen, welches
nicht den Sterblichen mehr angehören wird. Nun geh,
der Bote wird dich geleiten, und vertrau, dass sie dir folgt!
Damit entließ die furchtbare Majestät den zitternden Sänger.
Zu diesem trat der Bote, dessen Flügel rauschten,
selbst dessen Sandalen geflügelt waren, in seiner Hand
hielt er einen Stab und geleitete Orpheus die Wege
von den Thronen zurück, in Richtung auf das Licht zu.
FÜNFZEHNTER GESANG
Orpheus vertraute sich seinem Führer an, in dessen Wesen
er heilige Züge der Gottheit erkannte. Während sie
den Weg durch die Schatten gingen, pries er ihn
und sprach ihn an: Der du der Erfinder der Lyra
und der Flöte bist, darf ich es wagen, als sterblicher Dichter
auch auf unsrer Wanderung durch die Schattenwelt dein Lob zu singen?
Darauf entgegnete der Führer: Kannst du andres singen
als das Lob deiner Geliebten, und sei sie auch ein Schatten?
Ist es doch das schönste Liebeslied für die
nun bald Gerettete, wenn ich die Gottheit preise,
die uns aus dem Totenreich herauf ans Leben führt!
So preise! Darauf stimmte Orpheus seine Lyra und sang:
O Hirte, aus dem Lande Arkadien, das jeglicher Vollkommenheit
Heimat ist! Du Sohn der Maja! in der Höhle göttlichgeborener
den Pelasgern! Du trägst den Caduceus, o du Hirtengott,
an welchem jene eherne Schlange hängt! Im Zeichen
jenes Caduceus führ du aus dem Totenreich deinen Preiser!
Du Gottesbote! Führer der Seelen du, o Psychopompus,
Gott der Poeten du, weil du der Meister bist des Wortes:
Nichts ist gewaltiger als das Wort, das Gott ist, ist!
Der Seelenführer lächelte in seiner idealen Schönheit.
Wie ein Kranich flog er stolzen Flug ins Licht,
wie ein Hirte am Stabe wanderte er mit Orpheus,
wie ein Hirtenhund die Schafe bewachte er
die Seelen der ihm Anvertrauten auf der Wanderung.
Sie kamen an das Ufer der Lethe. Wie die Königin
der Schweigenden geboten, musste Orpheus hier
von dem Wasser des Vergessens trinken. Aber
Psychopompus unterwies ihn, nur seine Zunge
mit wenigen Tropfen zu benetzen, dass er zwar die Worte
der Persephone vergaß, nicht aber die Weisungen
des Königs der Toten. Sonst wäre es gewiss gewesen,
dass Orpheus nach Eurydice geschaut und sie verloren hätte.
Orpheus war ein Dichter, und wie die Weisen lehren,
tranken alle Künstler und Weisen nur wenige Tropfen
aus dem Wasser der Lethe, wenn sie aus der göttlichen
Heimat alles Vollkommenen in ihre sterblichen Leiber
kämen in der Stunde der Zeugung und Geburt.
Alle andern Menschen wären, trunken vom Lethenass,
ganz vergessen alles Vollkommenen aus der göttlichen
Ideenwelt, nicht so die Weisen und Künstler, diese
hätten noch Erinnerung an die schöne Wahrheit,
an das einzig Gute und die Schönheit der Herrlichkeit.
Orpheus quoll in der Seele eine hohe Hoffnung auf
und er sprach begeistert vor dem Führer seines Herzens
Hoffnung aus: Welchem Sterblichen, außer dem König
der Athener, ist es gelungen, aus dem Totenreiche
wieder heraufzukommen? Nun soll es nach dem Willen
der Liebe und der Gottheit, der ich mich weihte, gelingen!
Leben, Leben ist es, was uns Thrakier, uns Hellenen,
uns antikische Menschen zu schönen Menschen macht!
Nieder mit dem Tod, er habe keine Macht mehr über uns!
Schön soll die Liebe sein, schön in dem Land der Lebendigen,
in von der Sonne Schein vergoldeten Leibern,
in von den himmlischen Lüften geküssten Leibern
sollen wohnen unsterbliche Seelen, welche den Tod sahen,
aber seinen bitteren Granatensamen nicht schmeckten!
Nicht mehr länger im Reiche der Schatten werden wir weilen,
nicht mehr vegetieren im Wesenlosen, im Nichtigen,
in den seufzenden Nebeln der Unterwelt; sondern hinauf
und hinan! an die Sonne des Lebens, o du goldene,
mit deinem Jünglingsangesicht der ewigen Jugend
und himmlischen Wonne! Freude soll inmitten unsrer Hütten
wohnen und den heiligen Palast unsrer Liebe, den Palast
in unsern Herzen, bewohnen, die schöne Tochter Elysens,
welche so oft so innige Freudentränen weint!
O die holde, gütiggeschäftige Hoffnung hat mich nicht verlassen,
wenn ich auch ihr Angesicht nicht sah in den Tagen
meines Todesschmerzes und meiner Totenklage,
aber sie umschwebte mich wie ein himmlischer Genius,
sie verließ mich nicht am Tage, da ich klagte,
und nicht in der Nacht, da ich ins Land der Toten stieg,
denn siehe! begeistert von ihren Segnungen
führ ich meine Braut aus dem Reich der Toten herauf,
dass wir in der Hütte Zeus’ auf Erden unsre Hochzeit
feiern werden! Seliges Leben, da allein das allwaltende Gesetz
der Liebe mit ihren befreienden Pflichten und ihren
beseligenden Rechten uns gilt! Wahrlich, die heilige Liebe
lässt ihre Diener nicht im Tode, sondern die, in deren Herzen sie,
die schöne, lebt, die werden von Thanatos nicht entführt
in die schwefligen Schlünde des feuerspeienden Phlegeton!
sondern, siehe, mein Seelenführer, unter deiner Leitung,
inspiriert von der heiligen Liebe, und begleitet
von den Genien der allerschönsten Hoffnungen,
kehren die Geliebte und der Liebende, der ja ein Geliebter
nicht minder ist, in das himmlische Zelt auf Erden,
da unsre Liebe lebt und nimmer endet für Äonen!
Dunkle, seufzende Schatten drängten sich an Orpheus
und suchten ihn hinabzuziehen, denn Neid
quoll in ihren verlorenen Seelen. Nicht einen Lobgesang
auf das Leben vermochten sie zu hören, ohne dass
die Begierde in ihnen erwachte, den Preisenden
mit hinabzuziehen in die Hoffnungslosigkeit
und ewige Verlorenheit ihrer todgeweihten Schattenseelen.
Sie hauchten Orpheus an mit kaltem, hasserfülltem Atem.
Ihn schauerte. Ängste flogen an sein Herz,
wie Geier an die Leber des gefesselten Prometheus.
Weh mir, ich Unseliger, wenn alle meine Hoffnungen
Lug und Trug sein sollten! Zeigen sich die Götter hold?
Ist Dionysos mächtig genug, durch die Kraft seines Fleisches
und des Rebenblutes mich heraufzuziehen und mit mir
Eurydice? Kann ich dem Schicksal des Todes entrinnen?
Vermag meine Liebe, in mich gepflanzt von der Mutterhand
der heiligen Liebe, Eurydice ans Tageslicht zu heben?
Welche Macht hat doch der Tod! Kann ich mich,
der ich nichts bin als ein Dichter, nur Dichter, nur Narr!
kann ich mich vergleichen mit dem heiligen König
der Athener? Ihn schließlich befreite Zeus’ Sohn
aus dem Totenreich! Mich aber, mich Unseligen!
wer befreite mich aus den Fängen des Pluton,
unternahm ich es nicht aus eigener Kraft? Was vermag
eine geringe Kraft eines armen Sterblichen gegen das Wirken
der Gottheiten, was vermögen selbst diese gegen das Wirken
des Schicksals, und was vermag ein Sterblicher
gegen sein Schicksal, dass er leben muss, einmal,
und dann sterben und treten vor Minos’ Richterstuhl?
Wo ist Hilfe? Wen aus der Himmlischen Kreis ruf ich an
als meinen Retter? Wer ist der Retter aus dem Tod?
Er bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen und weinte
in seiner Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Aber in der Tiefe
seiner Traurigkeit sah er mit seinem inneren Auge
das Antlitz Euyrdices, wie sie ihm zum ersten Mal
begegnet war. Und um Eurydices willen überwand er
alle Skepsis, alle Zweifel, alle Angst und wanderte weiter,
auf das Licht zu, denn wenn auch keine Hoffnung war,
so musste er doch hoffen um Eurydices willen!
Eurydice, hörst du mich? Ich hoffe gewiss, ich trau darauf,
Eurydice, dass du mir folgst, dass du mit mir
und unserm Seelenführer heraufsteigst aus dem Totenreiche.
Siehe, Geliebte, wir wollen ein schönes Leben
der Liebe führen! Wohin sollen wir gehen? Sollen wir
ins schöne Paphos gehen, nach Cyprias Eiland,
dort an Salamis Ufern oder in Marion leben,
von Myrten gekränzt, von Tauben umrauscht,
da uns die Nachtigall singt aus den schimmernden Oleandern
ihr süßes Lied? Wir wollen baden im Pedhieos
und unsre Lämmer weiden zwischen den Myrten
am Hang des Olympos! Oder liebe Braut, willst du
nach Chios, dass wir pilgern auf den Spuren
des blinden Dichters? Willst du mit mir in Athen
in den heiligen Hallen den Weisen lauschen? Sollen wir
Weisheit trinken von der Gottheit Mutterbrust,
wie lautere Milch? Ach meine Liebe, ich geh mit dir,
wohin du willst! Welchen Gott du verehren willst,
ich will auch ihn verehren! Unter welchem Volk
du leben willst, ich will das selbe! Willst du
ins indische Nyssa und ruhen in Mangohainen,
kosen bei Sandelholzbäumen? Willst du nach Byblus
unter den Himmel des Zamen? Willst du
in die fruchtbaren Gauen von Mizraim? Wollen wir
die heiligen Überreste von Atlantis suchen auf Seefahrt?
Ich werde das Segel unsrer Liebe im Boote
unsrer Ehe spannen, und der Mast, das sei die heilige Treue!
Mit dir, o meine Eurydice, reit ich auch auf den Rücken
schneeweißer Delphine nach Lesbos, dort
in den Gymnasien Tänze zu tanzen, wie Sappho und Phaon!
Willst du den Ölbaum Orthygias, einen Sohn
mir gebärend, umschlingen auf Delos, dem meerumgürteten,
dem Zufluchtsort der Schwanin? Wohin auch immer
unsre Liebe uns führt: wir werden gemeinsam wandern!
Hymenäus soll die Fackel tragen, Eros niesen
bei jedem unsrer Küsse: glückverheißendes Niesen!
Ach ich Narr, ich nur Narr, nur Dichter, aber weise werd ich,
Eurydice, wenn du mich lehrst die heilige Liebe!
Ohne dich bin ich im Tageslicht ein wesenloser Schatte!
mit dir selbst im stygischen Hain ein Mann des Lebens,
denn wo die Liebe ist, unsre Liebe, da ist das Leben,
es sei im Diesseits in schönen Rosen gebettet,
oder im Jenseits auf blauen Blumen und Asphodelenwiesen:
Liebe ist unser Gott! Liebe ist unser Genius! Im Namen
dieser herrlichen Macht beginnen wir ein geheiligtes Leben
in den Armen der guten Mutter Erde! Eurydice,
ich werde Epen dichten! Eurydice, wir werden
unsre Zicken melken und Käse machen, unsre Bienen züchten
und Honig ernten, unsre Felder bestellen
und die Cerealien ernten, wir werden den Weinstock setzen
und keltern die Trauben unter Sang und Tanz! Kinder
sollen uns umschwärmen, Lucina sei unsre Hebamme selbst,
denn Eurydice, Kinder sind ein Segen Zeus’
und Leibesfrucht ein Geschenk Joves! Eurydice,
gleich sind wir da, siehe, ist da nicht ein Dämmer?
oder täusch ich mich, nein, es war ein Flirren
auf meiner Netzhaut. Aber gleich, Geliebte,
nicht mehr lang, o Braut, und unsre Erlösung naht!
Geduld, mein Orpheus! sprach der Seelenführer,
der schöne Bote. Ich will dir die Zeit verkürzen,
dass dir die Wanderung durch die Schattenlande nicht
zu lang werde, und werde dir erzählen von Admetos.
Und der Bote berichtete: Admetos erfuhr
durch eine Prophezeiung, dass er das Zelt
seines irdischen Leibes nun bald würde verlassen müssen,
er sei dem Hades mit seinen unterirdischen Rechten
anheimgefallen; wenn nicht ein anderer Mensch,
von heiliger Liebe beseelt, sich für Admetos, stellvertretend,
in den Tod gebe. Admetos liebte das Leben. Er klagte,
dass er sterben solle. Darum ging er umher bei seinen Eltern,
die aber das sterbliche Dasein lieber hatten als die Seele
ihres Sohnes, bei seinen Freunden, die das Leben
an den Brüsten ihrer Weiber, den Kelch des Weines
in der Hand, noch auskosten wollten und nicht sterben
für einen andern. Aber größerer Liebe hat niemand,
als dass er sein Leben lasse für einen Menschen,
und solche Liebe hatte Alkestis, des Admetos Frau.
Sie war bereit, für ihren geliebten Mann den Tod zu sterben.
Kaum hatte sie sich derart bereit erklärt, den Geliebten
zu erlösen, als auch schon aus den Pforten des Orkus
der schwarze Schatten des Thanatos an sie herantrat,
sie ergriff und in das Schattenreich herunterführte.
Sie rief im Scheiden nach dem Zeussohn, dem Gott
des Lebens: Verlass mich nicht, verlass mich nicht!
Aber sie musste hinab, um Admetos erlösen zu können.
Admetos weinte bittere Tränen um den Tod seiner Geliebten.
Drei Tage trauerte er, als am dritten Tage der starke Sohn
des Zeus in sein Haus trat und den Grund der Betrübnis
erfragte. Admetos schüttete vor dem Sohn des Zeus
sein Herz mit Tränen und Schluchzen aus. Der mächtige Sohn
des Zeus beschloss, zu retten! Retten wollt er,
und die Gestorbene wieder in das Haus ihres liebenden Mannes
führen. Darum ging er an das Grab, an die Felsenhöhle,
und wartete, dass Thanatos herbeigeschlichen käme,
die Opfergaben für die Seele der Toten sich zu erhaschen
mit gierigem Geist. Der Sohn des Zeus rang mit Thanatos,
schließlich überwand er den tödlichen Dämon.
Am Mittag des Tages trat der Zeussohn mit der Auferweckten,
die verschleiert war, in das Haus des Witwers.
Dieser hatte seiner Braut versprochen, keine andere Frau
auch nur noch anzusehen, sondern ewig im Gedenken
an sie zu leben die Tage seines Daseins, und sei es auch
in immerwährender Traurigkeit. Darum wollte Admetos
die Hereingeführte nicht anblicken, selbst nicht
die Verschleierte. Der Zeussohn lenkte aber seine Blicke
auf ihre Erscheinung, da fand er im Wesen ihrer Erscheinung
eine verblüffende Ähnlichkeit mit seiner geliebten Alkestis,
ja, sie schien ein wenig graziöser noch zu sein.
Er verbot sich diesen Gedanken, der Gedanke schien ihm
an den Grundfesten seiner unsterblichen Treue zu rütteln.
Aber der Retter öffnete ihm nicht nur die Augen
seines Fleisches, sondern auch die Augen seines Herzens,
dass Admetos erkannte: Es war Alkestis, eine verklärte,
in den Zwischenwelten geläuterte Alkestis, die
zurückgekehrt war ins Leben. Er hob ihren Schleier
und sah ihr in die reinen strahlenden Augen,
deren Schimmer das ganze weiße Gesicht vergoldete,
er getraute sich aber nicht, sie zu umarmen, denn er hielt sie
für eine selige Göttin oder unsterbliche Nymphe.
Da trat Alkestis nah an ihn heran und umarmte ihn
mit ihren weichen Frauenarmen im reinen weißen Gewand
und zog ihn an sich; und er, er fühlte, dass ihr Herz schlug,
da wachte er auf aus seinem Traum der Traurigkeit
und küsste Alkestis: Wiedergefunden, schöner
als ich je dich sah! stammelte er und weinte Freudentränen.
Leise schied der Sohn des Zeus zurück zum Olymp.
Lobpreis der Geretteten klang ihm frohlockend nach.
Während der Seelenführer dieses Gleichnis erzählte,
schien es Orpheus doch, als wäre das Morgengrauen
hereingebrochen; oder war es nur ein Bleichen der Nacht?
Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber
wie prophetisch schimmerte ihr Abglanz von ferne
in matten Schatten über dem Horizont auf. Sie selbst
befanden sich aber noch in tiefer Nacht. Keine Sterne,
kein Mond war zu sehen, denn sie befanden sich
immer noch in den acherusischen Welten. Die Gebüsche
waren von schwarzseidiger Schwermut, die Schatten
seufzten um sie, ängstliche Schatten, die flohen,
wenn Orpheus, der Lebende, ihnen nahekam, sie flüchteten
mit einem bangen Wispern, mit einem verzagten Flüstern.
Orpheus sehnte sich nach dem Licht, vielleicht
mit einer solchen Sehnsucht, wie kein zweiter
in Griechenland sie zu dieser Stunde hatte: O Morgenstern!
Komm herab aus dem Schoß deiner Mutter Nacht!
Tritt mit deinen goldenen Füßen auf die griechische Erde,
du heller Morgenstern, und zünde dein Feuer
in meinem sehnsuchtsseufzenden Herzen! O Morgenstern
aus deinem ewigen Reich der Himmel! komm, o komm,
und erlöse Eurydice vom Tode, führe uns
mit deiner ewigen Fackel ins Brautgemach,
führ uns nach Korinth, dass wir dir dort das Lied
der Liebe singen, führ uns nach Marion in Cypern,
dass wir dir von der ewigen Liebe jauchzen! Komm herab,
du heller Morgenstern, und gehe auf überm Helikon,
dem Quell des Parnassus, die Musen werden dir folgen,
und ich in ihrer Mitte, denn dein Musensohn,
o göttlicher Morgenstern, will deinen Glanz preisen!
Komm, o göttlicher Morgenstern, aus den ewigen Hallen
der dunklen Gottheit, komm herbei mit deinem
welterleuchtenden Licht und befreie mich
von der Angst und Eurydice mit mir! Soter!
Da schien dem von Sehnsucht nach dem Licht verzehrten
Orpheus, dass das Morgengrauen schon der Glanz
des Morgensternes war. Es drängte alles in seiner Seele,
endlich Eurydice zu erblicken. Von dem Gleichnis
des Seelenführers, dem Mythos von der verherrlichten
Alkestis, an der Seele angerührt, erhoffte Orpheus,
Euyrdice in göttlicher Vollkommenheit aus dem Totenreiche
aufsteigen zu sehen! O sie war ihm eine Selige
schon auf Erden gewesen, die heilige Nymphe,
aber vom Tode geläutert, erhoffte er, eine Braut zu erblicken,
die eine Göttin genannt zu werden verdiente, weil
an sie ergangen war das Wort des Gottes, der Leben verhieß,
des Gottes des Lebens! Wer aber war dieser, o Muse?
War es nicht jener, unter dessen Segen sie standen,
dem sich Orpheus vor dem Abstieg in das Totenreich
geweiht hatte mit der Teilnahme am Mysterium,
mit dem Verzehr seines Fleisches? Er war der Gott,
dessen Zerrissenwerden, dessen Opferfleisch,
vor allem dessen Wiederkehr den Sieg über die Schatten
des Todes verhieß! In seinem Namen stimmte Orpheus
die Leier und begrüßte den Moment, da er
die verherrlichte Braut zu schauen wagen durfte,
mit einem Lobpreis des zerrissenen Gottes Jacchos:
Mein Eleleus! du Herrlicher! der du Tod
im Schwermutgarten starbest! dein Blut wie Wein
ausgossest in den Opferungen, die im Mysterium
Weiber feiern! Mein Eleleus! Du Kehrender!
der du kommst, umschwärmt von Lerchensang
in der Frühlingszeit, du goldne Osterglocke Nyssas,
feuriger Jubel des Maienmondes! Mein Eleleus!
vom Morgenstern goldgekränzt und in den Locken
heiliges Rebenlaub, kommst du herbei
mit Meereswolken, Himmlischgewaltiger! Blitzgezeugter!
Mein Eleleus! Dir widme ich Eurydice und heiliges
poetisches Leben dir und alles Leben meiner Liebe
dir, du geheiligter Liber! Zeus Sohn und wahrer Theos!
Da ward die Sehnsucht des Orpheus zu groß: Was Zeit,
die in den Händen der dunklen Gottheit steht?
Jetzt ist die Zeit! Das ist Freiheit des Menschen,
seine Zeit sich selbst zu wählen! Hinabgeschaut
in den Schlund des Todes in diesem Augenblick,
zu erschauen das geliebte Angesicht! Nach dem geliebten
Angesicht, nach dem Antlitz der heiligen Liebe,
ergriff Orpheus solche Sehnsucht, dass er das Gesetz
vergaß, das Gebot der Stunde übertrat und sich wendete!
SECHZEHNTER GESANG
Die Argonauten sahen die Gipfel des Kaukasus ragen
über dem Meere, von denen immer noch der gequälte Schrei
des Prometheus widerhallte. Sie kamen in die Mündung
des Phasis-Flusses, da lag zur Linken die Hauptstadt
des Kolcherlandes, das weiße Kytäa, zur Rechten aber
der Hain der Drachensamen mit dem verfluchten Aresbaum,
der heiligen Eiche mit dem goldenen Vlies. Darunter
lag der Drache mit wachen Augen und suchte,
wen er verschlingen könne. Die Argo legte an
in einer schattigen Bucht des Flusses, ging da vor Anker,
die Argonauten stiegen aus und errichteten sich
ein Zeltlager am Ufer, zur Ruhe in der einsamen Nacht.
Jason aber, der Erste der Schar, ging zum König der Kolcher.
Von der Zinne der Burg aber schaute die Tochter des Königs,
die schöne Medea. Sie sah Jason und schrie auf: Herrlicher!
Nach den Alten war Eros, der Gott der Liebe,
der Älteste aller Götter und Schöpfer aller Himmlischen.
Aus Liebe, in Liebe und auf die Liebe hin
war alle Welt erschaffen, der herrliche Schmuck des Kosmos,
der zauberhafte Gürtel des Meeres, die mütterliche Erde,
die jungfräulichen Birken, die blauaugigen Veilchen
und der verschleierte Jungfraustern mit den Plejaden.
Eros aber galt als Kind der Aphrodite, bewaffnet
mit einem Bogen, auf dem er die Sehne der Sehnsucht
spannte, auf dem er den Pfeil des Verlangens spannte.
Diesen schoss er in Medeas Herz. Er hatte ihn zuerst
in Honig getaucht, den er aus einer Rosenblüte
mit seinen Schwestern, den Bienenköniginnen,
gesammelt hatte. Medeas Herz ward verwundet,
und diese Wunde schmeckte süß, ja es war eine Süßigkeit
in ihrem Herzen, dass dieses aufblühte wie eine Rose,
in deren Kelch der Nektar der Götter gesammelt lag.
In ihrem Herzen war ein heiliger Freudenhain der Aphrodite,
da die Eroten mit den Charitinnen liebkosende Spiele spielten,
umschwärmt von milden Bienen und zarten Schmetterlingen.
Die Veilchen trieben Wolken von betörenden Düften umher
und die Linden breiteten darüber ihr mütterliches Gewölbe.
Aber nicht genug, dass Eros ein Gott der Herzenssüßigkeit war,
er war auch ein gewaltiger schrecklicher Herrscher,
den Diotima vor Sokrates einen Dämon nannte. Daher,
und die Götter allein wussten zu welchem Zweck,
spannte er erneut seinen Bogen, legte erneut einen Pfeil an.
Diesen allerdings hatte er in einen Schierlingsbecher getaucht.
Den schoss er nun ab und traf direkt in Medeas Herz.
Da schrie sie auf: Herrlicher! denn in ihrem Schmerz der Liebe
hatte sie die höchste Herrlichkeit des Geliebten erkannt!
Da war sie schwach, ihre Seele war betrübt bis zum Tode,
aber Eros wollte sie nicht sterben lassen, darum
zündete er seine Pinienfackel am olympischen Feuer an,
dem Lebensgeist des Zeus, und warf die rauchende Fackel
in den Hain des Herzens der Medea. Daselbst brannte
nun ein lodernder Waldbrand: reine Lebenskraft,
die sich ausbreitete in wilden Rasereien, göttliches Feuer
in grenzenlosen Stürmen brausend. Da verlor Medea
ihre Besinnung, und in Raserei der Leidenschaften
stürmte sie von der Zinne der Burg herunter auf den Vorhof,
daselbst den Herrlichen einmal umarmen zu können,
einmal küssen zu dürfen, ja verschlingen zu dürfen
den Heißgeliebten mit Haut und Haaren, sein Fleisch
in sich aufzunehmen wie bei der Kommunion des Jacchus!
Jason begehrte vom König das Goldene Vlies,
der aber wusste, dass vom Besitz des Goldenen Vlieses
sein Leben abhinge. Da ging Jason wieder zum Zeltlager
der anderen Argonauten, unverrichteter Dinge.
Medea aber saß in ihrer Kammer und sprach vor sich selbst
und schüttete ihr Herz aus bei sich selbst und redete:
O Triformis, du dunkle Gottheit meines Lebens!
Du hältst die Schlüssel zum Hades, zum glücklichen Leben
auf der Erde und zum Himmel in deinen Händen!
Schließe mir auf ein glückliches Leben auf der Erde!
Dies muss sein an der Seite Jasons, des Herrlichen,
denn niemand und nichts anderes begehre ich
von deiner Güte. Was das Schicksal ihm verhängt hat,
weiß ich nicht, wer vermag schon zu lesen in den Tafeln
des Schicksals? Aber wie sein Schicksal auch aussieht,
und sei es, dass ein Fluch darauf laste, ich will es
mit ihm teilen. Er erscheint mir ganz wie ein Halbgott,
und dennoch meiner Hilfe bedürftig. Lieb ich ihn,
wie eine Frau einen herrlichen Heros liebt? oder lieb ich ihn
nicht auch, wie eine Amme oder eine Mutter
ein hilfsbedürftiges Kind liebt? Wir sind von Eros
geschaffen, auf Eros hin, denn in deinem Herzen,
Triformis, waltet Eros! So laß mich alles tun, um ihn zu retten!
In der Nacht träumte Medea auf ihrem Lager:
Jason war gekommen mit einem fliegenden Schiff,
er ließ sich nieder mit dem Schwan von einem Schiff
auf dem Phasis-Strom und schwamm zur Mündung fort.
Daselbst floss in ihrem Traum der Strom in den Tempel
der Gottheit Triformis, welcher weiß und mit einer runden
Kuppel mitten in Kytäa stand. Der Hohepriester
der Gottheit Triformis sprach in ihrem Traume:
Ihr seid auf Eros hin geschaffen, denn Eros ist der Älteste
der Götter, und Triformis ist in Wahrheit Eros!
O dunkle Gottheit, schließe auf mit deinem Schlüssel
den Himmel der Liebe! sprach der Priester im Traum:
denn wo das Goldene Vlies hängt, da ist in Wahrheit Medea,
und wenn Jason das Goldene Vlies sucht, so wird
die Jungfrau Medea ihn zum Goldenen Vliese führen.
Siehe, er wird erwachen aus seinem Traum, in dem er
von den Legenden der Götter träumt, und wird
in seinem Herzen nur einen Gedanken haben: Medea,
Medea! Denn am Anfang seiner Suche nach
dem Goldenen Vlies stand die abgrundtiefe Liebe
zu Medea! So träumte die verliebte Kolcherin.
Aber am Morgen erwachte sie mit den trübsten Gedanken:
Nein, er ist zu herrlich! dachte sie, ich werde nie
seine Liebe erreichen! Allein nach dem heiligen
Goldenen Vlies strebt seine Seele, nimmer
nach meiner fraulichen Liebe! Was wieg ich mich
weiter in nichtigen Träumen? Soll ich denn allein
ein Traumbild lieben? Einen Augenblick nur sah ich ihn,
und liebte ihn, und werde verzehrt vom giftigen Feuer
dieser Liebe. Liebe ist schrecklich wie der Tod
und Leidenschaft unüberwindlich wie der Hades!
Fort mit meinem elenden Dasein! Herbei mit dem tödlichen
Schierlingstrank, herbei mit dem verfluchten Hanfstrick,
dass ich mich am nächsten blitzgespaltenen
Baum erhänge! Widerliches Leben, dass du
aus dem giftigen Meere der Verzweiflung auftauchst
und den Schaum der Nichtigkeit an deinen dürren
Gliedern trägst: du sollst die Liebe sein? Dein Kuss
ist süß wie die Mohnmilch des Thanatos, dein Schoß
ist der dunkle Raum des Hades, aus deinen Brüsten
will ich trinken den Selbstmord meiner Verzweiflung!
Aber die liebreiche Göttermutter umschwebte sie
wie eine blühende Rose und ließ Perlen mildesten Trostes
auf die Lippen ihrer Seele träufeln. Sie erschien ihr
mit dem milden gütigen Gesicht der Mutter,
da legte die Himmelskönigin ihren mütterlichen Finger
auf den Mund Medeas und stillte sie mit dem süßen Hauch
des himmlischen Trostes. Umgeben von Pfauen
und in goldenen Sandalen herrlich wandelnd,
kehrte die Himmelskönigin zu ihrem Aufenthalt
vor dem Throne des Zeus zurück, dort den König
der Götter anzuflehen für die arme Seele Medeas.
Medea war getrost und fand sich drein in alle Schickungen
des dreifaltigen Schicksals. Sie wusch sich im reinen Wasser,
legte sich frisches weißes Linnen an und salbte sich
mit dem besten Myrrhenöle. Dann schritt sie
aus der Burg von Kytäa ins Offene unter dem Himmel.
Sie begab sich in den Tempel der dunklen Gottheit
Triformis mit den Schlüsseln. Sie schritt
durch die hohe weiße Pforte in den Säulengang des Tempels,
da stand ihre Schwester Chalkiope. Diese hatte
langes braunes Haar, dichte dunkle Augenbrauen,
eine Nase wie der Aar des Zeus, dennoch
ein weiches unschuldiges kindliches Gesicht.
Sie lachte gern, sie lachte wie ein glückliches Kind.
Auch jetzt sang sie zur Zither die süßesten Lieder
der Gottheit: Siehe die Berge, Parnass und Helikon,
siehe Athos und Rhodope und den schneebedeckten
Olymp und den phrygischen Ida, alle sind aufgeworfen
worden von der uralten Mutter Erde zu deinem Lob,
Triformis! Siehe die Flüsse, Pedhieos der Kypris,
den asiatischen Skamander, den Hebrus, sie alle
rauschen zu deinem Lob, denn Poseidon lässt
ihren Sang erschallen zu deinem Ruhm, Triformis!
Siehe die Vögel, die süßschluchzende Philomele
und den prophetischen Schwan, den Wiedehopf
und den Kuckuck, die Eule der Athene und die Tauben
und Sperlinge Aphrodites, sie alle rufen Triotriotrio
zu deinem Preis, o Triformis! So sang Chalkiope.
Medea hatte, wie ihre Schwester, langes braunes Haar,
aber in Locken fallend, und graublaue Augen,
welche wie Blitze glänzten. Ihre Lippen waren
hochgeschwungen und von verführerischer Süße,
dennoch schauten sie melancholisch, wie ihr ganzes Antlitz
von einer Wolke der Schwermut beschattet lag.
Leise stimmte sie mit ein in den Preis der Gottheit,
ihre Stimme glich mehr einem flüsternden Hauch,
wie Aura gesäuselt, als Dionysos ihr genaht war
im Lustgarten am Feiertage des Lenz zur Vergewaltigung.
Aber Medea war nicht innig beteiligt am Lobe
der Gottheit, denn ein Sterblicher hatte ihr Herz
den Göttern entwendet, der herrliche Jason. An ihn alleine
dachte sie, und ihr Denken war getragen auf den glühenden
Flügeln der Sehnsucht. Alle Wolken des Abends
sehnten sich nach Hesperien und den westlichen Ufern
der atlantischen See, wo die Gärten blühen
wie India schön, daselbst war der Garten der Liebe,
in welchem sie kosen und turteln wollte mit Jason,
der ihr einem Halbgott, einem Göttersprößling gleich schien.
Aber wo war er, der Herrliche? Alles atmete
seine Schönheit, alles lebte zum Gleichnis ihrer Liebe,
die allein auf ihn hin geschaffen war, er war das Ziel
ihrer Sehnsucht, ohne ihn war Hesperien nicht Hesperien
und Elysium nicht Elysium. Er war der Bote
der Gottheit, er war der fleischgewordene Eros.
O komm!, seufzte ihre Seele einzig, o komm und nahe,
Herr meiner Seele und überwältige mich mit deiner Liebe,
dass ich in deinen Armen in ewigen Verzückungen
aufjauchze! Küsse mich mit dem Kuss deines Mundes,
mit dem heiligen Kuss der Liebe küsse mich, dass ich
ins schönere Leben erwache durch den Kuss deiner Seele!
Sie schaute immer aus der weißen Tempelpforte
in den grünen Hain vor den Toren des Tempels.
Jeder Lufthauch, der ein Blatt bewegte, jedes
freudige Hüpfen eines Sperlings, jeder Sonnenstrahl
schien ihr den Geliebten anzukündigen. Für ihn allein
wollte sie vergessen Volk und Vaterhaus und in seinen
thessalischen Elfenbeinpalast in der fernen Heimat fahren,
daselbst an seiner Seite Hochzeit zu feiern. O sie würden
ein Lamm opfern der gewaltigen Gottheit,
wenn sie sie vereint hätte! Dürfte sie ihn doch endlich schauen!
In ihrer Seele lebte sein Bild, wie es aus ihrer Erinnerung
gespeist sich gebildet hatte, aber sie begehrte,
endlich jeden Zug seines Angesichts, jeden Winkel,
jeden Schnitt, jedes Haar seiner Wimpern, die ganze Linie
seiner Lippen und vor allem tief und abgrundtief
die schönsten Augen zu erblicken! Darin vergehen,
in diesen Spiegeln seiner Seele, darin zugrunde gehen
und sich auflösen in seine Seele, war all ihr Verlangen.
Da nahte Jason. Die Charis hatte ihn schön gemacht.
Er trug das schwarze Pantherfell um seine starken Schultern.
Seine langen herrlichen Locken fielen ihm auf die Schultern.
Sein männlicher Bart verkündete Männlichkeit
seines Herzens, Beherztheit auch in der Liebe.
O diese holde Wildheit, diese sanfte Stärke,
o diese Gott untertänige Unbezähmbarkeit! Er war frei,
frei wie Athen, er war geistreich, weise wie Nestor,
er war schön, schön wie die Insel der Kypris,
er war stark, mächtig wie Herakles oder Achill,
er war voller Huld, wie die Himmelskönigin.
Medea besprach sich mit Jason und erzählte ihm
von ihrem Plan. Jason erschauderte vor der jungen
Priesterin der dunklen Gottheit, denn der Weg,
den sie ihm vorschlug, war ein Weg der Bitterkeit
und des Opfers. Sie selbst war bereit, ihre Heimat
zu verlassen und in der Fremde, in der Ferne,
im Königspalast ihres Geliebten das wahre Glück
zu finden (wenn ihr Glück beschieden sei, denn
das allmächtige Schicksal teile Glück und Unglück
nach unergründlichen, unentschleierbaren Gesetzen aus).
Jason und Medea gingen aus der Königsburg
und begaben sich in die Nacht. Die Argonauten,
Jasons Brüder, schliefen am Ufer des Flusses,
sie konnten ihm nicht helfen. Er allein hatte die Aufgabe
erhalten, das Goldene Vlies in seine Heimat zu bringen.
Sie kamen in ein Myrtenwäldchen, wo Medea
dem Jason einen Grasplatz zeigte, da er sich
niedersetzen sollte. Sie pflückte einige giftige Kräuter,
Belladonna und Schierling und Wermut und Alraune,
und bereitete aus dem Saft dieser Pflanzen einen bitteren Sud,
den sie mit Wein in einem irdenen Kruge mischte.
Triformis!, flehte Jason, du waltende Gottheit
über dem schweigenden Geheimnis der Nacht,
in deren Weiten du die unermessliche Schar der Sterne
gesät hast! höre mich! denn hier, nach dem Ratschluss
deiner Priesterin, sitze ich und schaudre
vor deiner Unergründlichkeit und deinem
unerforschlichen Geheimnis. Aber wenn es so sein soll,
und wenn es geschrieben steht auf der Tafel des Schicksals,
und wenn Moira es mir vorgesehen hat, dies
Schoßkind Jovis, dann, o Triformis, bin ich bereit,
diesen giftigen Krug zu leeren. Sie, die dich kennt,
erklärte mir, dass unter deinem Segen der Fromme selbst
Schlangen anfassen kann und Giftiges trinken,
denn du verwandelst Bitteres in Süßwein und Gift
in Nektar und Ambrosia! Siehe, so will ich mich
dir anvertrauen und bin bereit, selbst zu sterben,
wenn es dein Wille sein soll, gewaltige Gottheit,
aber gib nur, daß das Goldene Vlies sein Licht verbreite
in meiner Heimat. Zu diesem Berufe will ich alles,
auch meines Lebens inneres Leben, einsetzen.
Mit diesen Worten leerte er den giftigen Sud.
Er taumelte ein wenig und sank auf den Boden,
aber da er schwach im Grase lag, hatte er eine Vision
von einem goldenen Schlüssel, der sich aus der Höhe
des Himmels herniedersenkte und ihm die Seele aufschloss,
da sah er durch eine Pforte von hohen attischen Säulen
und herrlichen Marmorarchitraven für einen Augenblick
Elysium - unendliche Wiesen aus weißen Lilien,
in Schnee gewandete Genien mit goldenen Flügeln,
Jubelbäume wie Blitze - dann aber ward alles überschattet
von dem beschatteten Antlitz Triformis’, da erwachte Jason.
Medea hielt ihm einen anderen Krug vor, der
aus geläutertem Golde war, und reichte Jason ein Messer.
Damit schnitt er sich in den linken Unterarm und ließ
einige Tropfen seines Blutes in den Becher fallen.
Medea hielt diesen Kelch in die Höhe und weihte
das kostbare Lebensblut der dunklen Gottheit Triformis
und sprach: Siehe, o Triformis, hier ist das Opfer
unsres Lebens, denn in Jasons Leben ist auch
mein Leben beschlossen, und so halten wir dir es hin.
Und hiermit flehen wir dich an, dies Blut im Angesicht
des Goldenen Vlieses zu weihen mit deinem Genius,
dass es werde ein Tod dem Drachen. So, o Triformis,
wollen wir unter deinem Schirm mit dem Goldenen Vlies,
in Liebe von Mann und Frau, in die Heimat fahren.
Sie gingen zum Feld der Drachensamen, zum verfluchten
Aresbaum, der durch das Goldene Vlies
zu einer heiligen Eiche geworden. Medea besprengte
mit dem geweihten Blute Jasons den Rachen des Drachen,
der im selben Augenblick, in letzten Zuckungen, starb.
Jason hob das Goldene Vlies vom Baum und trug es
mit Medeas Hilfe zu seinem Zelt, wo er es
in einer Truhe barg. Diese heilige Truhe trugen
die Argonauten auf ihr Schiff, und am frühen Morgen
segelte die Argo klammheimlich aus dem Kolcherlande
fort, und Medea folgte Jason in des Königssohnes Heimat.
Die Argonauten kamen auf ihrer Fahrt ins Land
der sanften Phäaken, deren König Alkinoos
sie freundlich willkommen hieß. Er bewirtete
die Argonauten mit den köstlichsten Speisen
und besten Weinen und sagte: Manche Irrfahrt
habt ihr hinter euch und manche Irrfahrt vor euch,
und euer Leben ist wie ein Windhauch, der weht,
der weht, der sich dreht, der sich dreht, und ihr wisst nichts
anderes, als dass er euch in den Schlund des Totenreichs
hinunterbläst. Euer Leben, ihr Argonauten auf Meerfahrt,
ist wie eine kleine Blume, welche am Morgen blüht,
am Mittag stolz ihr Haupt erhebt, am Abend aber
ihr Köpfchen hängen lässt, dann wird es welk
und wird geschnitten vom Schnitter. Und wenn ihr
auch Weizen seid und kein Unkraut, ihr Freunde
des Goldenen Vlieses, so werdet ihr doch
wie das Unkraut abgemäht vom Gott der Sense.
Was aber bleibt, ihr Helden Griechenlands, von eurem Leben?
Ist es dies, dass man an den Lagerfeuern kommender
Generationen von euren Heldentaten erzählt?
Was berührt die Schatten im Schattenreich der Ruhm
bei kommenden Generationen? Nein, das Totenreich
wird eure Seelen erben. Nur dies bleibt
nach meinem Dafürhalten: Dass man Kaninchen brät
und Wein aus Smyrnos genießt und freut sich
an den Brüsten der Weiber und an gebogenen Lenden!
Jason sah zu Medea. Durch ihr violettes Purpurkleid
blickten die Spitzen ihrer Brüste. Ihre braunen Locken
fielen an den errötenden braunen Wangen entlang
und sanken auf die Brustspitzen. Ihre Blicke blitzten
ihn an wie feurige Hesper-Sterne über den Fluten
von Kytherea. Ihre Gestalt war eine schöngeschwungene
lesbische Lyra. Ihre Stimme war wie das Lispeln
der luftigen Aura, als sie Jacchus ihre Liebe gestand,
so ergeben, so voller demütiger Liebe und völliger Hingabe.
Und das Feuer ihrer Liebe fiel in seine Seele und erweckte
in seinem Herzen Feuer der Liebe. Da begehrte er sie
zur Frau seines Alters und zur Bettgenossin seiner Jugend.
Er gestand dies Medea, und diese hauchte
mit ihrer Hauchstimme: O Jason, das ist so schön,
dass du, gerade du mir solches sagst! Ja, ich will
dein Weib sein und die Genossin deiner Nächte
und die Freundin aller deiner Tage des Lebens!
Da freuten sich mit Jason und Medea alle Argonauten,
der König Alkinoos und die Königin Arete
und (wie es Medea schien) die Sonne und die Blumen.
An einem Freitag - der Liebe geweiht - zogen sie
abends alle in eine Felsengrotte. Die phäakischen Mädchen
hatten Bienenwachskerzen in der Grotte aufgestellt
und Blumenkränze um die Säulen geschlungen.
Jason trug sein schwarzes Pantherfell umgeschlungen,
aber in den langen Locken einen Kranz von Myrten.
Medea trug ein feines Gewand, dass die Königin Arete
ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, ein weißes Gewand,
in das mondensilberne Fäden eingeschlungen waren,
und in den langen braunen Locken trug sie
Zyperblumenkränze. Kleine phäakische Kinder
trugen Pinienfackeln vor den beiden her und geleiteten sie
in die Grotte. Daselbst stand der König Alkinoos
in seinem Königsgewand und vermählte
in einer feierlichen Zeremonie die beiden Liebenden:
Glückseligkeit und ehelihche Treue, segnete er sie.
Dann küsste Jason die reizende Medea, führte sie
in den Saal, wo sie beide der Tafel vorsaßen,
auf der die erlesensten Speisen aus dem phäakischen
Lande standen. Alle Argonauten lachten und genossen
großzügig den köstlichen Wein. In der Nacht
führte Jason Medea in seine Kammer und wohnte ihr bei.
Orpheus aber saß die Nacht, melancholisch vom Wein,
unterm Firmament und hielt Ausschau nach der Jungfrau.
SIEBZEHNTER GESANG
Die Argo segelte weiter übers weite Meer, das tosende,
auf dem Weg in die Heimat. Um die Masten züngelten
blitzende Flämmchen, die Sterne wiesen dem kundigen
Steuermann den Weg, aber das Schicksal wollte,
dass die Sterne ihm einen Irrweg zeigten, und so irrte
die Argo durch die Fluten, Tage und Nächte, Stürme
und Wogen hindurch, bis sie aufs Westmeer kamen,
ohne zu wissen, dass sie auf der See von Atlantis waren.
Da tanzte die Argo ihren stürmischen Wogentanz
auf den Gipfeln und in den Tälern der Fluten
und nahte den sirenusischen Inseln von verführerischer Süße.
Daselbst lebten an den Ufern der Inseln die Sirenen,
verlockende Weiber. Aglaopheme, das heißt Glanzstimme,
hieß die eine, Thelxiepea, das heißt Zaubergesang,
hieß die andere, und die weiteren waren Pisionoe,
Ligea und Leucosia. Diese Sirenen tanzten auf den Wellen
und badeten ihre nackten Leiber in den Fluten,
schlugen die Wasser stürmisch auf mit ihren irisierenden
Flügeln. Da hörten die Argonauten sie singen ihre Lieder.
Und Aglaopheme sang: Höre, du Mann, du, den ich meine,
höre und sieh, denn hier ist Schönheit, hier ist
schöne Zauberei der Liebe, der lichten Lust
und des frohlockenden Lebens! Komm und schau,
wie voller himmlischer Wollust das Leben
an den seligen Ufern zu sein vermag in den Armen
geflügelter Sirenen! Hier sind Küsse, wie Venus sie
mit Mars gewechselt, hier sind Küsse, wie Venus sie
mit Anchises gewechselt, hier sind Küsse, wie Venus sie
mit Adonis gewechselt. Hier ist das Leben an den Quellen
des Lebens, an den Brüsten berauschender Weiber
frischester Jugend. Hier ist der Schoß, aus dem Eros
ans Leben trat, der aphrodisische Schoß der Liebe,
eine Perlmuttpforte, eine Muschelgrotte, in welcher
der Fisch des Mittelmeeres eine Perle auf der Zunge trägt!
Komm und genieße, du einziger Mann, den ich
einweihen will ins bräutliche Geheimnis der Wollust!
Lass uns den blinden Erosknaben leiten, den Pfeil
in den Honigkelch der Rose zu tauchen. Komm
und trinke von den Lippen den Tau der bestrickenden
Schönheit! Lass dich fangen in meinem Fischernetz
einer Zauberin und laß dich verzaubern von dem Zauberspruch
einer Circe, dass du mir werdest ein Adonis auf dem Kissen,
ein Paris auf den seligen Inseln in den Armen
der schönsten Helena! Komm, o komm, denn ich erwarte dich
mit offenen Armen, durstigen Lippen, so komm!
Da wurden die Männer der Argo toll und töricht.
Ihre Triebe loderten in ihnen auf, ihre Begierde
nach zügelloser Wollust wurde in ihnen aufgereizt,
sie vergaßen ihre Weiber, die zuhause auf sie warteten,
sie vergaßen ihre Kinder, die sich nach den Vätern sehnten,
sie vergaßen ihr Vaterhaus und ihre Vaterstadt
und ihr Vaterland und wollten ewig an den süßen Ufern
der sirenusischen Inseln leben unter dem Nektarlicht
der Liebessonne, in den Gärten der feurigen Wollust.
Da begann Thelxiepea zu singen: Komm herbei,
du schöner Mann, denn du bist der Schönste und sollst
sterben in den Armen einer ambrosianischen Schönen.
Denn siehe, hier liegen an den Ufern die bleichen Gebeine
vieler Männer, die alle den Zauberkelch der Lust geleert
und seligen Tod starben, festgebannt an die Arme
einer Sirene. Lass dich locken in die Wollust des Todes,
in den berauschenden Tanz des Unterganges, denn ich
will dein Tod sein, der dir eine Hochzeit ist,
ich will dein Sterbelager sein, auf dem Eros und Hymen
dir Haupt und Füße streichen und ich als dein Thanatos
dir das Leben aus den Gliedern sauge. Hast du Lust
auf den Untergang in den Schoß der Nacht? Hast du Lust
auf den Scheiterhaufen der Liebe? Hast du Lust,
von meinen begehrlichen Armen erwürgt zu werden?
Hast du Lust, dass ich mit meinen Perlenzähnen dir
die Halsschlagader küsse? Dann komm und küsse
deinen Tod, deine Todin, deine geliebte Mörderin,
die dich in das Feuerbett des Hades, auf das Kissen
des flammenden Phlegeton, in die Hölle
der taumelnden Wollust zieht, hinab, hinab, in meinen Schoß,
du todestrunkener, denn ich bin deine Hure Todin!
Die Männer verstanden den Sinn dieses Hymnus nicht,
sondern wurden allein betört von der Musik,
von dem bestrickenden Wohllaut dieses Liedes,
und alle verliebten sich in die honigsüße Stimme
der gefährlichen Sirene. Die Argonauten standen
an der Bordwand der Argo und wollten sich eben
in die Fluten stürzen, um zu den Sirenen zu schwimmen,
trunken wie Selbstmörder. Da sah Orpheus die Gefahr
für die Argo, für den Führer der Argonauten
und für das Schicksal des Goldenen Vlieses,
und da schlug er seine Leier und sang eine Ode
mit seiner Stimme, die er von der Muse Calliope,
der Tochter der Mnemosyne geerbt hatte (und wenn
die Sirenen auch schön zu singen wussten, so waren
die Musen doch von jeher die Meisterinnen
allen Gesanges, und der dem sie es verliehen).
Die Argonauten hatten der Gewalt der Lyra
des Musensohnes gelauscht und waren taub geworden
für die irdische oder gar höllische Wollust der Sirenen,
und ihre Herzen waren nun erfüllt von den hohen
Idealen reiner Liebe zu einer himmlischen Jungfrau.
So hatten Aphrodite Pandemos und die Zeustochter
Cynthia, Cynthus’ Schwester, mit einander
im Wettstreit gelegen, aber in den edlen Griechenseelen
der Argonauten hatte, durch Vermittlung des Musensohnes,
die höhere Liebe über die niedere sieghaft triumphiert.
Nur der Sohn des Teleon war taub für den Triumphgesang
erhebender Liebe. Während Orpheus Gesang
an ihm bedeutungslos vorüberrauschte, hatte er
zu den sirenusischen Inseln geschaut. Daselbst war
die Königin der Sirenen, Parthenope, erschienen.
Sie war Jungfrau, denn wenn sie einen Sohn geboren hatte,
so badete sie in ihrem magischen Teich mitten auf ihrer Insel
und erneuerte durch dieses Bad ihre Jungfräulichkeit.
Während ihre sirenusischen Mägde Wollust gesungen hatten,
Genuss und Untergang in der Wollust, hatte sie
mit dem Geheimnis ihrer Augen unterm transparenten Schleier
gewunken, mit den grünen Vollmonden ihrer Augen.
Der Wind wehte in ihre braunen Locken, die unter
ihrem weißen Schleier hervorquollen. Und der Sohn
des Teleon hatte nur eine einzige Begier: in diesen Locken
gefangen zu liegen und ewig in diese grünen Augen
zu schauen. Darum riss er sich aus den Armen seines Freundes los
und stürzte in die See. Er wäre an den Ufern
des sirenusischen Inselreichs zerschollen, seine Gebeine
hätten im Sande gebleicht, seine Seele wäre
in den Hades abgeirrt, wenn ihn nicht die himmlische Liebe
der Göttin Urania aus dem dritten Himmel
zu Hilfe gekommen wäre und hätte ihn in einem Feuersturm,
in ihrem himmlischen Feuerarmen hinaufgerettet,
durch die Lüfte gerissen hinan, hinan, das ewige Weib
zog ihn hinan, an ihren himmlischen Busen,
wo er die unsterblichen Wonnen Elysiums genoss!
Die Argonauten aber, befreit durch den Musensohn,
fuhren weiter auf ihrer Meerfahrt. Die Sterne lenkten sie
östlich, bis ein widriger Sturm sich erhob und sie
im libyschen Meer ergriff und die Argo an das Sandwüstenufer
der afrikanischen Syrten verschlug. Dort strandeten
die Argonauten. Hilflos und wie Schatten Gestorbener
irrten sie im Sandwüstenland umher, halbverdurstend.
Sie nahmen die Truhe mit dem Goldenen Vlies
und irrten durch die Wüste, auf der Suche nach einer Quelle
oder Oase, denn sie starben nahezu vor Hunger und Durst.
Orpheus ging den Wanderern durch die Wüste voran.
Da sah er in der Ferne, sei es, dass es ein Wüstentruggespenst war
oder ein wirkliches Wesen, eine schöne weibliche Gestalt.
Da er aber näher kam, war es eine der Hesperiden,
die Edelste der sieben Töchter der Hoffnung: Mela,
die einem goldenen Apfel vom Baum Hesperiens
an Schönheit glich. In unvordenklichen Vorzeiten
hatten die Menschen unter diesem Geschenk der Mutter
Erde für den Göttervater gelebt und von den Äpfeln
des Baumes gelebt (damals aßen die Menschen noch nichts
Lebendes). Aber als die Menschen hochmütig geworden waren,
hatte der Göttervater den Baum mit den goldenen Äpfeln
auf die ferne und nahezu unerreichbare Insel
der Hesperiden gesetzt und die sieben Töchter der Hoffnung
zu ihren Wächterinnen. Allein Zeus Sohn Herakles
war zu diesem Baum mit den Äpfeln der Hesperiden gekommen.
Nun aber kam eine der sieben Töchter der Hoffnung,
die wunderschöne Mela dem Orpheus entgegen.
Sage mir, o herrliche Nymphe, wo ist hier Wasser,
um unsern Durst zu löschen?, fragte Orpheus die Nymphe,
die er für eine Nymphe des Tritonischen Sees hielt,
sie nicht als Hesperide erkennend. Mela nahm Orpheus
bei der Hand und führte ihn zu einem Felsen.
Mit einem kleinen Stück Holz schlug sie an den Felsen,
da sprang aus dem Felsen eine Quelle bitteren Wassers hervor.
Abermals berührte sie mit dem Stückchen Holz den Felsen
und das Wasser, da ward das bittere Wasser zu süßem Wasser,
und Orpheus stillte seinen Durst an diesem Wasser
der Hoffnung. Er rief seine ihm von ferne folgenden Brüder,
und alle löschten ihren brennenden Durst an diesem Wasser.
Schließlich aber, nach weiteren Abenteuern, waren
die Argonauten glücklich gelandet im Hafen von Jolkos.
Jason zog mit Medea in den Palast von Jolkos. Aber
nach einiger Zeit sah er sie anders an. Er sah
ihre dunkle Schwermut auf dem erröteten Antlitz,
die schwarzseidigen Augenbrauen waren ihm welkes
Herbstlaub, das Feuer auf ihren Wangen schien ihm
dämonischer Zauber der Hekate zu sein, ihre braunen Locken
schienen ihm Fesseln und Netze zu sein, in deren
wollüstigem Locken und Fangen er gefangen lag.
Ihre Lippen, schön geschwungen seinen Sinnen einst,
schienen ihm wollüstig und stolz aufgeworfen.
Der Honig des Eros war ihm zu Galle geworden.
In jenen Tagen sah er die korinthische Prinzessin Glauke.
Sie war jünger als Medea, sie schien ihm alle frischen Reize
der Jugend zu besitzen. Nicht war ihr Antlitz
solch ein dunkles Feuer des Herbstes, nicht waren
ihre Augen tief beschattet von dämonischer Schwermut,
sondern Licht war all ihr Wesen, ihre Haare golden
(und auch nicht gelockt zur Lockung), ihr Antlitz weiß
und hellblickend aus blauen königlichen Augen.
So wie Medea ihm das Abendfeuer auf dem Weg
zur Nacht war, so war Glauke ihm der junge frische Morgen,
wenn Phöbus in seiner Jugend mit seinen goldenen Locken
sportlich den Gipfel des Firmaments ersteigt.
Da ward Eros abermals rege, der gesetzlose wilde,
und entflammte in Jasons Herz eine Liebe zu Glauke,
der Tochter des korinthischen Königs Kreon.
Er warb um sie, und da er selbst ein König war,
schien dem Korinther seine Tochter dem Jason wert.
Darum willigte Kreon ein und die Hochzeit ward beschlossen.
Jason trat nach jenem geheimen Bündnis zu Medea,
welche schwermütig auf ihren vielen Samtdecken lag
und im verdunkelten Zimmer den Tag und die Heiterkeit
und ihr eigenes Leben und ihr Heil verachtete.
Medea, sagte Jason mit harter Stimme, du zehrst
an meinem Leben mit deinem dunklen Gemüt.
Allen Lebensmut und alle Lebensfreude saugst du
aus meinem Leben aus. Gib mich frei. Gönne mir
mein Glück. Wenn du mich wirklich liebst, gönnst du mir
mein Glück und gibst mich frei, denn alle Hoffnungen
meines Lebens sammeln sich vor dem taghellen Antlitz
der jungen Prinzessin Glauke. Sie will ich
zu meiner Gefährtin meiner Lebenstage machen,
denn mit ihr lacht mir wieder die Sonne des Lebens.
Ich bitte dich also und fordere dich auf, in die Scheidung
zu willigen, auf die Ehe mit mir zu verzichten
und meinem Glück nicht länger im Wege zu stehen.
Medea war stumm vor Zorn und Scham. Sie hasste
ihr Leben noch mehr als bisher, aber sie ertrug
diese Menge Selbsthass nicht mehr, da wandte sich
all ihre Aggression in Zorn, und zornig rief sie:
Bei allen guten Göttern! Gedenkst du nicht mehr
des Treueschwurs? Bist du ein Meineidiger?
Solch einen verachten die Götter! Besinne dich
und lass von deiner vorübergehenden Leidenschaft und bleib
bei mir, der du den Bund fürs Leben geschworen hast!
Aber Jason war vom blinden Gott verblendet worden
und vermählte sich mit der jungen weißen Glauke.
Medea sah den Hochzeitszug durch Jolkos ziehen,
als sie aus dem Fenster ihres Gemaches auf die untere
Straße schaute. Weinend barg sie ihr Antlitz
in den vielen Samtkissen, zog die Vorhänge wieder zu
und wandte sich der Nacht und ihren Geistern zu:
Wehe mir! Welches Unglück haben die Himmlischen
auf mein Haupt beschworen! Ich Verfluchte und Unselige!
Der Gott des Tages, der Gott des Lebens, der Gott
des Himmels, kein Gott steht mir bei, sondern allein
die Rachegöttinnen aus dem finsteren Orkus erheben sich,
um meinen Zorn anzustacheln. Wohin mit meinem Zorn?
Gegen mich selbst muss ich Unselige all meinen Zorn wenden
und wünsche mir den Dolch! Komme Thanatos
mit seinem giftigen Becher und entseele mich!
Nehme der Hades meine gottverfluchte Seele auf,
dass ich ewig als ein wesenloser Schatte mein Unheil
beweinen und bejammern kann in den dunklen Hallen
beim Feuerstrom! Ich verfluche die Stunde,
da meine Mutter rief: Ein Mädchen, ein Mädchen!
Besser als geboren zu werden, ist freiwillig
sich in den Abgrund zu stürzen! Hab ich gesündigt
gegen die himmlischen Gesetze? Nein! Ich war treu!
Jason ist untreu, gegen ihn wende sich die Göttin
der Vergeltung, die strenge Nemesis, und alle Furien
mögen sich erheben aus dem Abgrund, meine Rache
zu vollziehen! Besser als sich selbst in den Tod zu stürzen,
ist es, Rache zu üben am Übeltäter, am Übertreter
der himmlischen Gesetze! In seinem Blute will ich
mich baden, und aus seinem Blute neue Lebenskraft
mir trinken! Möge die schreckliche Gerechtigkeit
Jason und seine junge blonde Hure ewig verderben!
Sie trat, an ihrem Geiste vor Schmerzen wahnsinnig geworden,
erneut vor Jason. In ihrem beschatteten Geist
war ein Plan gereift, der ihr, während sie ihre Schritte ging,
immer klarer wurde. Ihre Rache dämmerte herauf
wie ein schrecklicher Tag des Gerichts. Sie bat Jason,
wenigstens ihr Kind, das kleine Baby, bei sich zu behalten,
damit es königlich erzogen werde. Sie aber werde
freiwillig gehen, um seinem Wohl nicht länger
im Wege zu stehen. Damit deine neue Braut auch
unser Kind bei sich aufnimmt und für das Kleine sorgt
als wäre es ihr eigenes, überlass ich ihr diese Geschenke
aus meiner Schmuck- und Kleiderkammer. Möge sich
ihr junges Herz daran freuen, wie ich mich einst
daran gefreut habe. Nicht bitter will ich reden, Jason,
sondern wünsche dir und deiner Braut das Glück auf Erden,
in treuer Liebe zu leben und selig zu sterben!
Damit überreichte sie Jason ein herrliches Goldgewand,
kostbaren Schmuck und einen Lorbeerkranz
aus goldgearbeiteten Lorbeerblättern. Damit ging sie
aus der Burg. Einige Stunden später lief ihr
ein treuer Knecht nach und rief: Medea, Medea,
eile fort von hier, denn die neue Gemahlin Jasons
ist gestorben! Sie kam in den Königspalast,
und die Dienerinnen übergaben ihr deine Geschenke.
Als sie die Geschenke sah, lachte sie vor Freude,
schloss auch gleich das Baby ins Herz und war in allem
herzig und goldig wie ein von den Göttern gesegnetes Kind.
Aber als sie das Goldgewand anlegte, den Schmuck umtat
und den Goldkranz aufsetzte - sie war eine Schönheit
von der Herrlichkeit der Aphrodite Urania, direkt
vom Himmel auf die Erde herabgestiegen - da wurden
ihre Lippen blau, sie waren vorher so rosig gewesen,
da wurden ihre Augen matt und dunkel, sie waren
vorher so leuchtend und himmelblau gewesen,
da riss sie sich die Haare aus vor Schmerz, die feinen
goldenen Haare, da schlug sie sich vor Schmerz
und Elend laut schreiend an die Brüste, an diese herrlichen
Äpfel von Brüsten, und sank zu Boden. Röchelnd
verstarb sie, und schwarzes Blut quoll aus ihrem Munde.
Die Hochzeitsgeschenke waren Zaubergeschenke,
waren Todesbeigaben geworden. Der Vater Kreon,
König von Korinth, kam herein, sah die Tochter verendend
und schon tot auf dem Boden, in ihrem schwarzen Blute
liegend, da warf er sich auf sie, als könne er sie
mit der Wärme seines Leibes noch beleben, aber
er berührte damit das Innere des Mantels, ward infiziert
vom Gift und starb gleich neben seiner Tochter,
der herrliche Mann ein entstellter Leichnam. So ist
das Ende aller Dinge und der Ausgang des Ehebruchs.
Medea triumphierte. Die Furien der Hölle rasten
in ihren Sinnen und entflammten sie zur Vollendung
ihres Zornes. Sie eilte, mit schwarzem Geist,
zur Königsburg des Jason, in die Gemächer des Kindes
und stellte sich vor diesem auf, das sie mit liebendem Blick
und zugleich erschrocken anstarrte. Die Verfluchte
wird ihren Fluch vollenden, rief sich Medea selbst zu,
die Unselige wird den Verhassten aller Seligkeit berauben!
Die Frucht unsrer Liebe soll nun Opfer meines Hasses werden.
Nein, nicht mehr mag ich dich sehen, du Bastard
einer Ausgeburt des finstersten Orkus! Damit stieß sie
ihren Dolch in das Herz des Babys, das unschuldig starb
und von der heiligen Liebe in Elysium aufgenommen ward.
In dem Augenblick trat Jason in das Gemach. Er sah Medea
mit dem bluttriefenden Dolch überm entseelten Leichnam
ihres Kindes stehen und irrgeworden lachen. Ihm grauste
und er entsetzte sich vor dieser Furie, der Besessenen
und Rasenden. Tödlicher Hass ergriff ihn, aber größer
als der Hass war die Verzweiflung. Dies Baby war ihm alles
gewesen, sein Thronnachfolger, seine Sonne,
seine Unsterblichkeit, und nun lag es hingemordet
von der Mörderin. Daran war niemand anders schuld
als er selbst, und in tiefem Bewusstsein seiner eigenen Schuld
und Sünde ertrug er das Leben nicht mehr und floh
vor dem schrecklichen Gott des Lebens in die Schärfe
des Schwerts, und brach blutend zusammen. Seine Seele
verließ seinen Leichnam mit banger Erwartung des Gerichts.
Medea aber schrie auf, ob vor Unglück oder vor Glück,
ob lachend oder vor Schmerz, war nicht zu entscheiden.
Und die Dienerinnen im Königspalast, ein abergläubisches
Geschlecht, behauptete später, sie hätten Medea auf einem
von Drachen gezogenen Wagen gen Himmel fahren sehen.
ACHTZEHNTER GESANG
Aber die himmlische Mutter, besorgt um des Sohnes Gefahren,
Sann auf List und betrübte sich schwer ob des drohenden Schicksals.
Doppelzüngige Tyrier fürchtete sie und das Haus, das
Tückisch regierte, von Hera geschützt, der Feindin des Helden.
Einen Plan fasste die Göttin in Herz und in klugem Verstande:
Eros, der mächtige Sohn, solle die Gestalt eines Knaben,
Askanios' Bild, annehmen und heimlich in Karthago wandeln.
Dido, so hoffte sie, würde den holden Jungen umfangen,
Zärtlich ihn herzen und küssen beim Schmause in königlichem Prunkhof.
Eros jedoch, der mit unsichtbarer Flamme die Herzen
Lenkt, sollte heimlich ihr Herz in süßes Begehren entflammen.
Folgend dem Ruf seiner Mutter, entledigte Eros der Flügel
Schnell sich, wandelte froh in der Gestalt des Knaben Askanios,
Schritt an der Hand des Achates, der nichts von dem Truge bemerkte,
Rasch zur Stadt, die Königin Didos Pracht nun empfing.
Echter Askanios schlief indes in duftenden Schatten,
Hin zur Idalionhöhe von Aphrodite getragen,
Ruht’ er in Kühle des Hains, umkränzt von würzigen Kräutern.
Bald war Karthagos Palast mit Götterkunst ihm erschlossen;
Dido thronte erhaben auf goldenem Sitz in der Mitte,
Reich geschmückt mit Gewebe, das köstlich die Purpurfäden
Zierlich umflocht, während rings die Tische gedeckt schon bereitstanden.
Aineias saß samt seinen troianischen Helden,
Diener eilten geschäftig, mit Krügen das Wasser zu reichen,
Brot aus Körben zu holen und Becher gefüllt zu verteilen.
Reihen von Mägden standen an flammenden Herden der Küche,
Hundert zählten die Diener, die goldene Platten erhoben,
Speisen trugen sie rasch herbei und stellten sie dar auf den Tafeln.
Auch die Tyrier strömten herbei, der Königin Ruf gehorchend,
Setzten sich rings und blickten begierig auf glänzende Gaben,
Die Aineias gesandt; auch schien der Knabe, der hold lächelnd
Täuschend echt dem Askanios glich, ein köstlich Geschenk.
Dido jedoch, schon längst von göttlichem Wahnsinn ergriffen,
Blickte entzückt auf den Jungen, umfangen vom milden Verlangen,
Konnte sich nimmer sattsehen an lieblichem Glanze der Augen.
Täuschend klug umschlang der kleine Gott den vermeintlichen Vater,
Küsste den Mund und sprach mit Worten voll süßer Bedeutung,
Doch bald löste er sich und wandte sich Dido entgegen,
Die ihn arglos empfing und zärtlich auf ihren Schoß nahm.
Nichts ahnend, herzte die Königin ihn, doch Eros entfachte
Heimlich das Feuer der Liebe, gehorchend mütterlicher List.
Längst war das Bild des verstorbenen Gatten aus ihrem Geiste
Sanft gewichen, und neues Begehren entglomm in der Brust ihr.
Später, da Tische geleert und Krüge mit Wein nun gefüllt waren,
Lärm erfüllte den Saal, doch golden die Lampen erstrahlten,
Rief sich die Königin endlich den ehrwürdigen Becher,
Schwer von Gold und Juwelen, den Könige selbst oft benutzten,
Hielt ihn hoch in der Hand und sprach mit erhobener Stimme:
Zeus, Behüter der Gäste, sei gnädig heut unsrer Versammlung!
Freude schenke uns Bacchus, und Hera, die Schutz uns gewährt hat!
Möge der heutige Tag durch lange Jahrhunderte leuchten!
So sprach Dido und goß das Opfer des Weins auf die Tafel,
Nippte den ersten Schluck und reichte den Becher dem Nächsten.
Rasch ging der Pokal umher, und frohes Geplauder erscholl rings,
Doch ein Sänger erhob sich und stimmte zur goldenen Zither
Weisheitstiefen Gesang: von der Erde Ursprung und Wesen,
Von der Menschen und Tiere Geschick, das Götter gelenkt haben.
Als das Lied verklang, da wandte sich Dido erneut hin
Zu Aineias, vernahm mit pochendem Herzen die Worte,
Schluckte begierig den Hauch von Liebe, die süß sie betörte.
NEUNZEHNTER GESANG
Also die Generäle, die ihre Lager beim Nachbarn aufgeschlagen haben
Auf den Höhen, Gedanken auf den Kampf gerichtet, die Armeen standen sich gegenüber,
Und die Götter starrten auf die Zwillingskämpfer. Cäsar, verächtlich,
Eine griechische Stadt nach der anderen einzunehmen und sich weigernd, einen weiteren Sieg zu akzeptieren
Vom Schicksal, außer dem Sieg über seinen Verwandten, hat mit allen gesucht
Die Kraft des Gebets, die Stunde, schicksalhaft für die Welt, in der alles
Auf dem Spiel stehen würde, die Wahl des Würfelwurfs, der muss
Zerstören den einen oder anderen Anführer. Zeigt sich nie
Rückständig auf der Suche nach dem Untergang Roms, dreimal entfaltete er
Seine Schwadronen mit ihren bedrohlichen Standarten auf den Hügelkuppen.
Aber als er sah, dass Pompeius im Vertrauen auf seine Verteidigungswerke,
Nicht durch eine Machtdemonstration zum Kampf verleitet werden konnte, schlug er das Lager auf
Und marschierte schnell durch bewaldetes Land, das seinen Plan verbarg,
Die Festung von Dyrrachium zu erobern. Pompeius kam seinem Umzug zuvor,
Indem sie der Küste folgen und auf dem Hügel das Lager aufschlagen,
Die Taulantier nennen ihn Petra, um diese Korinther-Kolonie zu verteidigen,
Eine von ihren Klippen geschützte Stadt. Keine alten Befestigungen
Umgeben es, keine Steine, die von sterblicher Hand erhoben wurden, die jedoch
Heben ihre Strukturen hoch und sehen, wie sie eine leichte Beute werden
Bis zur Belagerung oder der alles zerstörenden Zeit:
Seine natürlichen Abwehrkräfte allein bleiben bestehen
In den Bastionen, die keine Belagerungsmaschine zerschmettern kann. Umgeben von einer Tiefe
Des Meeres auf allen Seiten nahe der Küste und durch Klippen, die zurückschleudern
Die Wellenbrecher, nur eine erhöhte Landzunge von mäßiger Größe
Die Halbinsel bildet eine Insel. Ihre Mauern hängen über Abgründen
Von Felsen, von Seeleuten gefürchtete Abgründe, wo südliche Stürme wehten,
Die wütenden ionischen Wellen erhebend, schleudern ihre Gischt hoch oben
Bis zu den höchsten Dächern, erschüttern die Wände von Häusern und Tempeln.
Hier wurde Caesars Verstand von einem kühnen Plan gefangen genommen:
Obwohl die feindliche Streitmacht über einen weiten Bereich verstreut war
Von Hügeln, plante er, sie mit einer Reihe von Fernbelagerungen zu umgeben,
Verschanzungen ohne ihr Wissen. Er hat an einer Umfrage teilgenommen
Vom Boden mit bloßem Auge, und nicht nur zufrieden,
Sofort Mauern aus bröckelndem Rasen zu errichten, waren riesige Felsen erforderlich
Und Bruchsteinblöcke dorthin gebracht, die Überreste
Von Häusern und zerschmetterten Mauern. Eine Struktur erhob sich, dass
Weder ein starker Rammbock noch eine gewaltige Kriegsmaschine könnten sie zerstören.
Die Berge wurden durchbohrt, und Cäsar errichtete eine Mauer
Auf der identischen Höhe über die Hügel: er öffnete Gräben, stellte
Wehrtürme in Abständen entlang seiner Länge auf; ein Kehren
Der Grenze eingeschlossener Hochlandweiden, bewaldetes Ödland,
Wälder, und fangend die wilden Kreaturen in einer einschließenden Schlinge.
Pompeius hatte Ebenen genug und Weiden im Überfluss,
Verlagerung seines Lagers innerhalb von Caesars einkreisenden Linien; dort
Viele Bäche stiegen auf, um sich zu erschöpfen, und verschwanden,
Während Caesar beim Betrachten ferner Werke zur Ruhe gezwungen war,
Müde, mitten in den Feldern. Jetzt lass die Legende singen
Die Mauern von Troja, und sie den Göttern zuschreiben, und lass
Die fliegenden Parther auf dem Rückzug schreien Verwunderung über Babylons
Umlaufende Backsteinmauer. Ein so großer Raum, wie er begrenzt ist
Durch den Tigris oder den schnellen Orontes, einen, der groß genug ist, um zu halten
Ein Königreich von Assyrern im Osten, siehe, hier eingeschlossen
Durch Werke, die unter den Erfordernissen des Krieges hastig errichtet wurden.
So eine vorübergehende Anstrengung! Diese Arbeit könnte Sestos verbunden haben
Mit Abydos, Erde aufhäufend, bis der Hellespont überbrückt war;
Oder Korinth könnte vom Reich des Pelops getrennt worden sein
Durch den Kanal, was Schiffen die lange Strecke um Kap Malea erspart;
Oder Menschen könnten sich anderswo der Natur widersetzt und verändert haben
Eine andere Region zum Besseren. Aber dort das Kriegsfeld
Zusammengezogen, da Blut vergossen wurde, um danach zu fließen
Über jedes Land; dort die Opfer von Pharsalia und Thapsus
Wurden geschrieben; ziviler Wahnsinn, der in einem schmalen Pfund wütet.
Der Aufstieg dieser Werke blieb zunächst unbemerkt von Pompeius,
Wie ein Mann, der im Herzen Siziliens lebt, nicht hören kann
Das Kläffen von Skyllas Hunden oder wie die Briten im Norden
Die tobenden Wellenbrecher nicht hören, wenn die Gezeiten im Kanal sind
Am Südufer. Aber wenn man seine Position sieht
Umgeben von breiten Verschanzungen, führte er seine Streitkräfte nach unten
Aus Petras Festung und verstreute sie über alle
Hügel, um Caesars Truppen zu erweitern und sie zu überdehnen,
Sie versuchten eine Blockade mit spärlich geordneten Linien.
Für sich selbst beanspruchte er ebenso viel Land, das er verteidigte
Mit einer Palisade, wie sie das berühmte Rom von Aricia trennt,
Dessen Hain der mykenischen Diana heilig ist; das Gleiche,
Als liefe der Tiber von Rom unbeugsam direkt zum Meer.
Kein Kriegsschrei ertönt, Raketen fliegen willkürlich hin und her,
Und Verletzungen werden oft nur durch das Testen der Entfernung verursacht.
Dringendere Probleme halten die Führungskräfte davon ab, sich zu engagieren.
Pompeius wurde durch Futtermangel behindert: die Kavallerie
Hatte es zerstört, Hufe pflügten die grasbewachsenen Ebenen.
Schlachtrösser verhungerten verächtlich auf kurzgeschorenem Boden,
Die Krippen von importiertem Heu, und wiehern nach frischem Gras,
Mit zitternden Hüften im Akt des Drehens stehen bleibend,
Und zum Sterben zusammenbrechend. Als ihre Leichen verfaulten, Gliedmaßen
Um Gliedmaßen ab, stieg die stehende Luft in einer dunklen Pestwolke auf
Voll Fäulnis. Das ist die Ausatmung, aus der Nisida hervorgeht,
Seine vulkanischen Felsen, während Typhons Tiefen Wahnsinn atmen
Und Tod. Die Truppen wurden getroffen, und das Wasser noch
Saugfähiger als Luft der Fäulnis, verhärtete nun ihre Eingeweide
Mit seinen Übeln. Die gestraffte Haut wurde steif und ließ ihre
Augen beginnen aus ihren Höhlen, und die feurige Pest, heiß
Von Fieber, ihre Gesichter entzündet, ihre Hälse unfähig zu tragen
Das Kopfgewicht. So langweilte der schnelle Tod zunehmend alle
Zuvor; keine Krankheit trennt Leben und Tod,
Tod kommt mit Infektion; und die Masse der Opfer
Verschlimmerte die Pest, da unbestattete Leichen lagen neben
Den Lebenden. Alles, was die Begräbnismänner geben konnten, war zu werfen
Die Leichen ihrer betroffenen Landsleute jenseits der Linie
Von Zelten. Doch ihre Übel wurden durch das Meer gemildert,
In ihrem Rücken die Luft, die von den Nordwinden, von denen Schiffe bewegt werden,
Voll beladen mit fremdem Getreide, mit Zugang zum Ufer.
Auch Caesars Heer, obwohl auf offenen Höhen gelagert, frei,
Um das Land zu durchstreifen, ungestört von schlechter Luft oder stehenden Brunnen,
Litt immer noch unter Hungersnöten, als wären sie selbst belagert.
Das Getreide war noch nicht reif genug für die Ernte, so elend
Männer wurden gesehen, wie sie flach auf dem Boden lagen und wie Tiere weideten,
Das Laub von Bäumen und Sträuchern zupfend, zweifelhaft schneidend
Blätter von unbekannten Wurzeln. Obwohl sie die Wohlgenährten belagern,
Die feindliche Armee, sie kämpften um Nahrung, was immer sie konnten
Über dem Feuer brodeln lassen, mit den Zähnen zerfetzen, schlucken
Mit abgeschürften Kehlen, viele Dinge, die Menschen für ungenießbar hielten.
Als sich Pompeius zum ersten Mal frei fühlte, die Grenzen zu sprengen und aufzutauchen,
Er erlaubte sich, sich weit zu bewegen, und suchte nicht nach dem Geheimnis
Dunkel der Nacht, verschmäht, einen Marsch zu stehlen, während der Feind ruhte.
Er versuchte stattdessen, einen breiten Durchbruch zu erzwingen
Und ihre Wälle dem Erdboden gleichzumachen.
Zu werfen ihre Türme nieder und sich jedem Feind auf einem Weg zu stellen, der
Blutvergießen öffnen muss. Ein Abschnitt der Befestigungsanlagen in der Nähe
Schien Gelegenheiten zu bieten, offen gelassen von der Festung des Minicius,
Während gebrochener Boden ihn mit einer dicken bewaldeten Decke abschirmte.
Dort marschierte er mit seinen Männern, ohne Staub aufzuwirbeln, und seine Armee
Erreichte die Stadtmauern ohne Vorwarnung. Nun, seine römischen Adler
Im Nu glitzerten auf der Ebene, jetzt ertönten alle seine Trompeten.
So dürfte sein Sieg weniger dem Schwert, mehr dem plötzlichen Alarm zu verdanken sein,
Das verwirrte den Feind. Was Tapferkeit tun konnte, taten sie; absterbend
Auf ihren Posten, wo die Pflicht sie hinstellte. Der Sturm der Speere
War verschwendet, da ihm jetzt ein Feind fehlte, dem solche Wunden zugefügt werden könnten.
Dann wurden Brandpfeile geschleudert, fielen und rollten in rauchenden Flammen;
Da zitterten die hallenden Türmchen und drohten einzustürzen,
Wälle, die im Hagel der Schläge von hämmerndem Holz erklingen.
Dann passierten die Adler des Pompeius den Gipfel des hohen Hügels,
Ihm das Kommando über die Freiräume zu gewähren. Obwohl das Vermögen
Schien sich mit diesen tausend Schwadronen verschworen zu haben,
Obwohl Caesar den Platz nicht halten konnte, schnappte sich doch ein Mann
Es von den Eroberern und weigerte sich, es zu fangen, solange er noch
Führte Waffen und wurde noch nicht niedergelegt, um Pompeius zu verleugnen.
Scaeva war sein Name: Er hatte schon früher in den Reihen gedient,
Die wilden Stämme der Rhone wurden zuerst angetroffen und befördert
Dafür, dass er sein Blut vergoss und den Weinstock mit dem Rang des Hauptmanns trug,
Zu allem bereit, nicht erkennend, dass Tapferkeit abscheulich ist
Ein Verbrechen im Bürgerkrieg. Zu sehen, wie seine Kameraden ihre Waffen erden
Und suche Sicherheit in der Flucht, rief er: Wohin treibt dich die Angst,
Diese elende Angst, die Cäsars Heeren fremd ist? Willst du
Dem Tod den Rücken kehren? Soldaten, schämt ihr euch dessen nicht?
Du fehlst in den Leichenbergen, hast nicht gesucht
Die Leichen? Wenn die Pflicht fern scheint, wird Ärger zumindest nicht sorgen.
Bleibst du standhaft? Das feindliche Heer wählt uns aus der ganzen Armee,
Aus den Reihen zu stürmen. Dieser Tag wird Pompeius nicht wenig kosten, sondern
Eine Menge Blut. Ich würde die Farbtöne eher suchen,
Wo Caesar sieht zu: aber da das Schicksal hat mir das verweigert, lasst Pompeius
Loben meinen Fall. Schlage gegen ihre Waffen, bis sie zerbrechen,
Und stumpfe ihren Stahl mit deinen Körpern ab. Weit entfernt steigt der Staub auf,
Während das Gebrüll der Zerstörung ertönt und dieses Waffengeklirr
Trifft Caesars ahnungslose Ohren. Wir erobern, Kameraden:
Und er wird kommen, um die Festung zu beanspruchen, wo wir sterben. -
Seine Rede löste größere Begeisterung aus als der erste Knall
Der Kriegstrompete. Die Soldaten staunten über Scaeva,
Eifrig zuzusehen, zu folgen, zu sehen, ob Mut, zahlenmäßig unterlegen
Und umgeben, kann mehr bieten als der Tod. Unter den Seinen
Auf dem bröckelnden Wall stehend, rollte er zuerst des Feindes
Leichen aus den erstickten Türmen und begrub seine Feinde darunter,
Ihre Körper. Die einstürzenden Strukturen wurden zu Waffen,
Er bedrohte den Feind mit Holzbalken, Steinblöcken,
Oder seinem eigenen Körper. Jetzt mit Pflöcken, jetzt mit starken Stangen
Er stieß seine Widersacher von der Wand. Sein Schwert hat abgetrennt
Hände, die die Zinnen ergriffen. Er hat den Schädel eines Mannes zerquetscht
Mit einem Felsen, der das Gehirn schlecht geschützt verstreut
Aus seiner brüchigen Knochenschale: er fraß einem anderen Haar und Bart
In Flammen, die Flammen knisterten, als die Augenhöhlen versengt wurden.
Der Haufen Toter stand auf gleicher Höhe mit der Wand. Dann sprang er
Über die feindlichen Stacheln in ihre Mitte, schnell und sicher
Wie ein Leopard über die Spitzen der Speere der Jäger springt.
Eingekeilt zwischen dem Feind, umkreist von einer ganzen Armee,
Er tötete Männer in seinem Rücken, bis seine Klinge nicht mehr diente
Mit der Funktion eines Schwertes, so abgestumpft
Durch Blut verletzte es, verwundete aber nicht. Jede Hand und jeder Speer
Wurde ihm zugewandt; keine Lanze, kein Pfeil verfehlt sein Ziel,
Und Fortuna erlebte etwas Neues im Krieg, einen Mann
Gegen eine Armee. Sein harter Schild läutete zu endlosen Schlägen,
Sein hohler Helm, jetzt zerschmettert, verwundete die Stirn, die er bedeckte,
Und nichts bedeckte seine lebenswichtigen Organe außer den Speerschäften,
Die fest in seinem Fleisch steckten und bis zu seinen Knochen reichten.
Verrückte, warum verschwendet ihr eure Speerwürfe und Pfeilschüsse,
Das wird das Leben nicht erreichen? Um ihn zu fällen, musst du
Verwenden eine angetriebene Rakete oder das wandtrotzende Gewicht
Von einem riesigen Felsen; ein eiserner Rammbock oder ein Katapult
Allein wird ihn von der Schwelle des Tores vertreiben.
Er steht, keine zerbrechliche Mauer, die Cäsar verteidigt, und hält
Pompeius in Schach. Aus Angst, dass sein Schildarm gedacht wird
Untätig, oder dass er versucht hat zu überleben, er nicht mehr
Hütet seine Brust, nackt stellt er sich den verletzenden Schlägen,
Ein Dickicht von Speeren in seinem Fleisch tragend, in seiner
Müdigkeit ein Feind, der im Tod zermalmt wird. Also ein afrikanischer Elefant
Von einer dichten Menge angegriffen, deren Raketen abprallen
Von seiner dicken Haut, zuckt die klammernden Speerspitzen aus seinem Fleisch,
Seine lebenswichtigen Substanzen sicher geschützt, damit die Speere, die durchbohren
Und halten, ziehen wenig Blut aus dem Tier, die Wunden
Von den unzähligen Speeren und Widerhaken, die zu schwach sind, um ihn zu töten.
Siehe, ein kretischer Pfeil, der aus der Ferne auf Scaeva geschossen wurde
Zielgerichteter als erwartet, traf ihn am Kopf,
Durchbohrte seinen linken Augapfel. Scaeva zog sich tapfer zurück,
Der Klammerpfeil mit dem Augapfel und seinen Bändern,
Und auf Auge und Pfeil zertrampelt. Also in der Arena,
Wenn der Libyer seinen Speer aus der Schleuder geschleudert hat,
Ein pannonischer Bär, wahnsinnig von der Wunde, dreht sich um
Von der Verletzung, greift wütend den Pfeil an, der wirbelnd getroffen hat,
Und jagt den Speerstiel, der mit ihm kreist.
Wut verkrampfte Scaevas Züge, sein verstümmeltes Gesicht
Eine Masse blutenden Fleisches. Ein Schrei seiner Sieger
Zum Himmel aufgestiegen; ein wenig Blut von einer Wunde auf
Caesars Selbst hätte sie nicht mehr erfreut.
Scaeva unterdrückte dann seine Gefühle und verbarg sie tief
In seinem Herzen und verbannte kriegerischen Eifer aus seinen
Gesichtszügen, sagte milde: Erspart mir, Landsleute,
Wendet euren Stahl ab. Wunden können nichts mehr bringen
Über meinen Tod. Es werden nur keine Speere mehr benötigt
Als die Zeichnung derer, die mich bereits durchbohrt haben.
Hebt mich hoch und lasst mich immer noch in Pompeius' Lager leben.
Tut eurem Führer diesen Dienst; lasst mich ein Beispiel sein
Der Desertion von Cäsar, nicht des glorreichen Todes. -
Aulus, unglücklich, glaubte dieser schlauen Rede,
Nicht sehend, dass Scaevas Schwert bereit war,
Und war dabei, Gefangene und Klinge zusammen zu heben,
Als Scaeva ihn blitzschnell voll traf
In der Kehle. Scaevas Eifer stieg, der Tod seines Feindes
Belebt ihn. Wer auch immer Scaeva gedacht hat,
Wenn er fertig ist, soll den Preis zahlen, rief er.
Pompeius senkt den Kopf und senkt die Standarte
Vor Cäsar, wenn er will, dass dieses Schwert ruht.
Vielleicht denkst du, ich bin wie du, voll Angst zu sterben?
Die Sache von Pompeius und dem Senat geht dich weniger an
Als dieser Tod mich. - Auch als er sprach, eine Wolke
Aus Staub zeigte Cäsars Kohorten sich nähern,
Allein diese Tatsache bewahrte Pompeius vor Schande
Der Niederlage und dem Vorwurf, dass seine ganze Armee
War allein vor dir geflohen, Scaeva. Als Feind
Zog er sich zurück, der Held brach zusammen, Blut floss
Von ihm; nur der Kampf hatte ihm Kraft verliehen.
Als er fiel, fing ihn eine Menge seiner Freunde auf,
Froh, seinen schlaffen Körper auf ihre Schultern zu heben.
Sie beteten die Kraft an, die zu leben schien
In diesem verstümmelten Rahmen, eine noch atmende Ikone
Dieser edlen Gottheit. Sie wetteiferten mit
Einander, Speere aus deinem Fleisch zu reißen,
Schmücken die Brust des nackten Mars und Statuen
Der anderen Götter mit deiner Rüstung, Scaeva,
Glücklicher in diesem Anspruch auf Ruhm, als wenn du
Zähe Iberer, die Kantabrier mit ihren kurzen
Speere oder die Germanen mit ihren langen besiegt hättest.
Aber du kannst niemals den Schrein des Donnerers schmücken
Mit deinen Trophäen, noch wirst du vor Freude schreien
Im Triumph. Unglücklicher Mann, wie groß du bist
In Tapferkeit, die einem Tyrannen nur den Weg ebnete!
Obwohl an diesem Punkt seiner Zeilen zurückgeschlagen, Pompeius
Ruhte nicht hinter seiner Verteidigung oder verzögerte den Vormarsch,
Nicht mehr als das Meer ermüdet, obwohl es getrieben wird
Gegen die Klippen, die seine Flut durch aufsteigende Winde aufhalten, seine Wellen
Nagen an den hohen Landzungen, die sich so auf ihren
Eigenen späteren Ruin vorbereiten. Er suchte die Burgen vor ruhigen Buchten,
Greift sie gleichzeitig zu Land und zu Wasser an, und er
Breitete seine Armee weit und breit aus und dehnte seine Streitkräfte aus
Auf die weite Ebene und nutzte diese Gelegenheit, um seinen Boden zu verändern.
Der angeschwollene Po, seine Mündungsflut, wird also überlaufen
Seine zu Deichen aufgehäuften Ufer und überschwemmen die Felder.
Wenn die Deiche nachgeben und fallen und der Kraft nicht standhalten
Des tosenden Wassers, platzt der Fluss durch Ertrinken
Der Ebenen, die ihm fremd sind; hier fliehen einige aus ihrem Land, während sie dort
Gewinnen neue Felder durch das Geschenk des Flusses. Jetzt war Caesar
Kaum sich des Kampfes bewusst, da wurde ihm die Nachricht übermittelt
Durch ein Signalfeuer von einem Wachturm. Er fand die Wände
Bereits unten, der Staub kalt und fest, alle Zeichen des Verfalls
Uralt. Die Friedfertigkeit entzündete seinen Zorn,
Gerührt vom Müßiggang der Pompejaner, ruhend nach der Niederlage
Caesar. Er ging voran, auch wenn es der Katastrophe entgegenging,
Solange es ihre Freude störte. Er beeilte sich zu drohen
Torquatus, der sich beim Anblick seiner Truppen aufregte
Wie ein Seemann, der jedes Segel auf den zitternden Mast rollt,
Vor dem Wind von Circeii. Er brachte seine Männer hinterher
Zur Vorhangfassade, um sie in einem engen Kreis anzuordnen.
Cäsar hatte den äußersten Verteidigungsring bereits passiert,
Als Pompeius seine Truppen aus allen Höhen lancierte,
Seine Kräfte gegen den eingekreisten Feind zu ergießen.
Caesars Soldaten fürchteten sich mehr als die Talbewohner
Von Enna tun, wenn der Süden weht und der Ätna verliert
Feuerströme über die Ebene, aus seinen Abgründen; erschüttert
Vor der Schlacht von den Wolken aus blendendem Staub, demoralisiert
Durch Angst, auf der Flucht, die sie zum Feind schickt, eilend
Zum Tod in Panik. Der Bürgerkrieg hätte dort enden können,
Frieden nach dem letzten Blutvergießen, aber Pompeius hielt zurück
Seine Armee in ihrer Wut. Hätte dort ein Sulla gesiegt,
Rom hätte vielleicht selbst regiert; glücklich frei von Tyrannen!
Schmerzlich ist es und wird es immer sein, dass du, Cäsar,
Gewonnen durch dein schwerstes Verbrechen,
Indem du dich einem patriotischen Feind widersetztest.
Grausames Schicksal! Libyen und Spanien hätten nicht nachgetrauert
Der Katastrophen von Utica und Munda; der Nil auch nicht,
Beschmutzt von abscheulichem Blutvergießen, hat diesen Leichnam edler getragen
Als den eines Pharaos. Der nackte Körper von König Juba hätte nicht
Belastet den afrikanischen Sand, noch besänftigte Metellus Scipio
Der Karthager tot mit seinem Blut; noch die Lebenden haben
Verloren ihren tugendhaften Cato. Dieser Tag könnte dir beendet haben
Alle Übel Roms und löschte Pharsalia aus der Schicksalsrolle.
Caesar verließ den Ort, den er gegen den Willen besetzt hatte
Des Himmels und machte sich mit seinem zerschlagenen Heer auf den Weg nach Thessalien.
Pompeius entschied sich dafür, die Streitkräfte
Seines Schwiegervaters zu verfolgen, wohin auch immer
Sie gingen, und wurde von seinen Offizieren gedrängt, seine Pläne zu ändern,
Und kehre in seine Heimat Italien zurück, jetzt war sein Feind abwesend,
Er antwortete: Ich werde niemals wie Cäsar in mein Land zurückkehren,
Rom wird mich nicht wiedersehen, bis meine Streitkräfte aufgelöst sind.
Ich hätte Italien vielleicht halten können, als der Streit begann, wenn ich gewählt hätte,
Krieg in den Schreinen Roms anzuzetteln, bereit gewesen wäre,
Mitten im Forum zu kämpfen. Ich würde hinausgehen
Über die entferntesten Regionen der skythischen Kälte, jenseits des Brennens
Des Sandes, um den Krieg aufzugeben. Rom, soll ich, der geflohen ist, dich verschonen,
Du widerstreitest, raubst dir jetzt den Frieden, da ich der Sieger bin?
Ach, lieber soll Cäsar, um dir das Leiden in diesem Kampf zu ersparen,
Dich sein nennen. - Also sprach Pompeius und führte seine Truppen an
Nach Osten, einer gewundenen Route folgend, wo Illyrien tief ist
Und die Schluchten öffnen sich, und erreichte das für den Krieg bestimmte Schicksal Thessaliens.
Der Kamm des Berges Pilion begrenzt Thessalien in dem Viertel, wo
Die Wintersonne geht auf, der Berg Ossa, wo im Hochsommer
Sein Schatten behindert die Strahlen von Phoebus, die in der Morgendämmerung aufsteigen;
Während das bewaldete Othrys die Flammen des südlichen Himmels vertreibt,
Im Hochsommer, sich der Stirn des alles verschlingenden Löwen entgegenstellend;
Und der Pindus, der Westwinde und Nordwestwinde überragt,
Wo das Tageslicht abebbt, eilt der Abend herbei; während diejenigen, die leben
Am Fuße des Olymp, ohne die Nordwinde zu fürchten, wissen
Nichts von den Sternen des Großen Bären, der leuchtete eine ganze Nacht lang.
Die tief liegenden Ländereien in der Region zwischen diesen Bergen
Waren einst mit endlosen Sümpfen bedeckt; seit die Ebenen
Behielten das Wasser, und das Tal von Tempe war unzureichend,
Um das Meer zu erreichen, da bildeten sie ein durchgehendes Sumpfland,
Und ihr einziger Weg war, sich zu erheben. Aber als Herkules aufhob
Ossas Gewicht, vom Olymp entfernt, spürte das Meer einen plötzlichen Ansturm
Der Wasser wie Thessaliens Pharsalos, das Reich des Achilles
Des Helden, geboren von einer Meeresgöttin, erhob sich über die Oberfläche,
Ein Reich, das besser für immer ertrunken wäre. Es ist auch aufgestanden Phylace,
Dessen König als erster im Krieg bei Troja landete; Pteleos;
Dorion, der den Zorn der Musen und die blinde Thamyris beklagt;
Trachis; Meliboea, deren Philoctetes den Bogen des Herkules erhielt,
Um den Scheiterhaufen dieses Helden anzuzünden; Larissa, mächtig
Einmal; und die Orte, an denen der Pflug jetzt vorbeifährt, sind berühmt,
Argos, wo einst Echions Theben stand, zu der Agave
Heulend trug den Kopf von Pentheus, die ihn zur Beerdigung gab
Auf dem Scheiterhaufen und trauerte, keinen anderen Teil seines Fleisches fortgetragen zu haben.
So wurde der Sumpf entwässert und bildete eine Vielzahl von Flüssen. Von
Dort läuft der Aeas, klar in seiner Strömung, aber von geringem Volumen,
Nach Westen zum Ionischen Meer gleitet der Inachus nicht mehr
Mächtig eine Strömung (er war der Flussgott, Vater der entzückten Io)
Noch der Achelous (er gewann fast Deianeira, Oineus' Tochter)
Das die Echinaden-Inseln verschlammt; dort, der Euhenos, gefärbt
Wie mit Nessus' Blut, das durch Meleagers Calydon fließt;
Dort trifft der schnelle Strom von Spercheos auf die Welle des Malischen Golfs,
Und die reinen Tiefen des Amphrysos bewässern diese Weiden,
Wo Apollo Vieh hütete. Dort beginnt der Asopos seinen Fluss,
Und der Schwarze Fluss und der Phönix; dort die Anauros,
Frei von feuchten Dämpfen, taugetränkter Luft, launischer Brise.
Es gibt auch die Flüsse, die nicht selbst das Meer erreichen,
Sondern Nebenflüsse des Peneus: Apidanus, seines Flusses beraubt,
Der Enipeus eilt nie, bis er Peneus findet, und Titaresos,
Der allein, wenn er sich mit diesem Fluss trifft, seine Wasser intakt hält,
Gleitet an der Oberfläche, als ob der größere Fluss trockenes Land wäre,
Denn die Legende besagt, dass sein Strom aus dem Teich von Styx fließt, und so,
Eingedenk seiner Quelle, mit Verachtung, die sich mit gewöhnlichem Wasser vermischt,
Immer noch jene Ehrfurcht vor seiner Strömung weckend, die die Götter selbst empfinden.
Einst waren die Wasser abgeflossen und hinterließen trockenes Land, der fruchtbare
Boden wurde von den Pflügen der Bebrycen gefurcht; die Arbeit
Von Lelegen trieb den Anteil tief; der Boden war durchgebrochen
Von Aeoliden und Dolopiern, von magnesischen Pferdezüchtern,
Schiffsbauern der Minyae. Dort in den Höhlen von Pelethronium
Die von Ixion imprägnierte Wolke trug die zweigestaltigen Zentauren,
Monychus, der Pholoes harten Felsen mit seinen Hufen zerschmetterte;
Der kühne Rhoecus, der entwurzelte Eschen als Speere verwendete,
Unter Oetas Gipfel konnten die Nordwinde Bäume nicht umstürzen;
Pholus, der den großen Herkules unterhielt; er, anmaßend
Nessus, der Reisende über den Fluss brachte und dem Untergang geweiht war,
Die Pfeile des Herkules spürend; und du, alter Chiron, dessen Sterne,
Die des Schützen schimmern am Winterhimmel, wenn sie zielen
Ihren thessalischen Bogen am größeren Sternbild Skorpion.
In diesem Boden ging die Saat des grausamen Krieges auf. Von ihrem Felsen,
Getroffen vom Dreizack des Meeres, tauchte zuerst der Thessalier
Streitross auf, drohender schlimmer Konflikt; hier hat er zuerst gekämpft
An dem Stahlgebiss, ungewohnt an das Zaumzeug seines Lapithen-Meisters, das
Ließ ihn vor dem Mund schäumen. Die Argo, das erste Schiff,
Um die Wellen zu schneiden, wurde von den Ufern von Pagasae zu Wasser gelassen,
Männer, Geschöpfe des Landes, hinaus in die unbekannte Tiefe zu schicken.
Dort hämmerte Ionos, König von Thessalien, als erster geschmolzenes Wasser
Wie Metall in Form bringend, Silber in den Flammen schmelzend, Gold formend
In Münzen und das Schmelzen von Kupfer in riesigen Öfen. Da
Gewährte man den Menschen, ihren Reichtum zu zählen, und verführte sie zum Bösen
Des Krieges. Auch aus Thessalien die Python, die größte aller Schlangen,
Glitt nach Süden nach Delphi; damit die Lorbeeren für die Pythischen Spiele
Werden von dort bezogen. Und von dort der rebellische Aloeus
Seine Riesensöhne gegen die Götter ausstieß, als der Berg Pilion,
Auf den Olymp gestapelt, fast die Sterne erreicht, und der Berg Ossa,
Eingreifend in die Umlaufbahnen der Planeten, behinderte ihren Kurs.
Einst hatten die Generäle in diesem verfluchten Land ihr Lager aufgeschlagen,
Alle Gemüter wurden von Kriegsahnungen beunruhigt; es war
Klar, dass die schicksalhafte Stunde, das endgültige Ergebnis, gekommen war,
Und dieses Schicksal rückte näher. Die Feiglinge zitterten,
Das Schlimmste erwartend; andere stärken sich,
Dem Unbekannten zu begegnen, erfahren Hoffnung wie auch Angst,
Während unter diesem unsicheren Wirt Sextus, Pompeius‘
Unwürdiger Sohn, dem späteren, war verbannt, Skyllas Wasser befleckte
Mit der sizilianischen Piraterie, die den Ruhm der Marine seines Vaters trübt.
Ungeduldig der Verzögerung und beunruhigt von dem, was kommen würde,
Angst trieb ihn dazu, Vorwissen über den Lauf des Schicksals zu suchen,
Aber es waren weder die delischen Dreifüße noch die Höhlen von Delphi,
Dass er es versuchte, noch kümmerte er sich darum, zu fragen, was zum Problem klingt
Aus Jupiters Kessel bei Dodona, dessen Eichen
Lieferten die erste Nahrung des Menschen; er fragte nicht den,
Der aus Opfereingeweiden die Zukunft ablesen konnte,
Der interpretiere den Flug der Vögel, die Blitze am Himmel,
Oder die Sterne mit babylonischen Überlieferungen zu untersuchen, vermied er,
Das Wissen, das, obwohl geheim, doch erlaubt war.
Er suchte wilde Riten der Hexerei, die die Götter
Verabscheuen, und diese Bestattungspraktiken auf grimmigen Altären.
Er verehrte Dis und die Schatten unten, ein Elend,
Überzeugt, dass die Götter oben zu wenig wussten. Der Platz,
Das Lager der Armee schürte seine falsche und grausame Täuschung,
In der Nähe der Wohnungen dieser thessalischen Hexen zu sein,
Die keine Beschwörung eingebildeter Schrecken überbieten kann,
Und deren Künste alles betreffen, was für unmöglich gehalten wird.
Außerdem bringen Thessaliens Höhen viele unheilvolle Kräuter hervor,
Seine Felsen zeugen von Zauberern, die tödliche Zaubersprüche singen.
Dort wächst eine Vielzahl von Pflanzen mit numinosen Kräften;
Die Kolchierin Medea pflückte Kräuter aus thessalischem Boden,
Sie übers Meer zu tragen. Die gottlosen Zauber dieses Schreckens
Als Kohorte erreichen die Ohren der Götter, taub für so viele
Nationen und Völker. Allein ihre Stimmen dringen durch
Die tiefsten Tiefen des Himmels, Worte tragend,
Die binden die widerstrebenden Mächte an deren Pflicht gegenüber
Dem Himmel, und das sich drehende Firmament lenken nicht ab
Ihr Zuhören. Wenn die thessalischen Hexen dunkel sind,
Ihr Gemurmel erreicht die Sterne, die Götter werden gelockt
Von anderen Altären, obwohl das persische Babylon
Und das arkane Memphis öffnet jeden Schrein ihrer Vorfahren
Und Weisen. Durch ihre Zauber eine nicht vorherbestimmte Liebe
Stiehlt sich in widerspenstige Herzen und schwere Altersverbrennungen
Mit unerlaubter Leidenschaft. Nicht ihre unheilvollen Tränke
Allein die Macht haben, nicht sie stehlen die Haare von
Fohlen, ein Zeichen dafür, dass die Stute ihren Nachwuchs lieben wird,
Das Tuch, das sich mit Wasser füllte, verhüllt seine Stirn;
Denn selbst wenn sie nicht von üblen giftigen Zugluft betroffen sind,
Der Geist der Menschen wird durch ihre Beschwörungen zerstört.
Die kein Heiratsversprechen noch Verlockung der Schönheit
Binden, werden von der wirbelnden Magie angezogen
Und ihren Fäden. Die natürliche Ordnung hört auf, das Tageslicht wird zurückgehalten
Durch die endlose Nacht; der Äther missachtet alle Gesetze,
Das rasche Firmament stockt beim Klang ihres Gesangs,
Und Jupiter, der die fliegenden Himmel auf ihnen vorantreibt
Auf ihrer Achse, wundert sich, warum sie immer noch fallen. Jetzt diese Hexen
Tränken die Welt mit Regen und verhüllen die brennende Sonne
Mit Wolken, und der Himmel klingt, Jupiter ist ahnungslos;
Jetzt zerstreuen sie mit Zaubersprüchen das wässrige Blätterdach
Und die zerzausten Locken der Gewitterwolken.
Der Ozean steigt, obwohl die Winde still sind; oder
Stattdessen ist es verboten, den Sturm zu spüren, wenn er fällt
Still, während der Süden tost, obwohl Segel
Beschleunigen die Schiffe und schwellen gegen die Brise an.
Jetzt hört der Wasserfall auf der steilen Felswand auf;
Der Fluss fließt, aber folgt nicht auf seinem abwärts gerichteten Lauf.
Die Sommerüberschwemmung des Nils schlägt fehl; Mäander
Begradigt seinen Kanal; die Saône treibt
Die träge Rhone; die Berge senken ihre
Gipfel und ebnen ihre Grate; Olympus findet jetzt,
Die Wolken sind hoch oben; und skythischer Schnee
Bei winterlicher Kälte, trotz fehlender Sonne, taut auf.
Wenn die Flut unter dem Mond anschwillt, die Zauber
Von thessalischen Hexen werden gegossen, verursachen seine Ebbe, bewachen
Die Küste. Auch die schwerfällige Masse der Erde wird erschüttert
Auf ihrer Achse vom Druck, der in Richtung ihres Zentrums wirkt
Erleichtert, die große Kugel öffnet sich, getroffen vom Zauber,
Und gibt den sich drehenden Himmel darunter frei.
Jede Kreatur mit der Macht, den Tod zu verursachen, geboren
Zu schaden, fürchten die thessalischen Hexen und beide
Versorgt ihre Künste mit einem Mittel der Zerstörung.
Der wilde Tiger, der wilde und edle Löwe, das Kitz
Lecken ihre Hände; die Schlange entwindet sich,
Ihre kalten Windungen dehnen sich in voller Länge auf die Kälte auf
Dem Boden; Knotennottern lösen sich und vereinen sich wieder,
Und die Schlange stirbt, durch Menschengift vernichtet.
Warum bemühen sich die Götter, diese Zaubersprüche zu ermächtigen?
Und Kräuter, fürchtend, sie zu verachten? Was für ein gegenseitiger
Pakt schränkt sie ein? Müssen sie gehorchen, oder tun sie es
Mit Freude daran? Belohnen sie etwa Frömmigkeit
Uns unbekannt oder beugen sie sich stillen Drohungen?
Hat Hexenmacht Gewalt über alle Götter, oder sind
Diese tyrannischen Zauber nur auf einen gezielt, der
Kann die Welt zwingen, wie er selbst gezwungen wird?
Von ihnen wurden zuerst die Sterne herunter gepflückt
Der sich schnell bewegenden Himmel, ebenso der klare Mond
Angegriffen von den schrecklichen Übeln der Beschwörung, erloschen
Und glühte mit einem dunklen irdischen Licht, als ob
Die Erde trennte Luna von der Herrlichkeit ihres Bruders,
Einen Schatten werfend, die Feuer des Himmels blockierend.
Sehr beunruhigt, wird Luna von Magie heruntergezogen,
Bis sie Gischt auf nahegelegene Pflanzen unten vergießt.
Die Hexe Erichtho hatte diese Bösen verachtet,
Diese Riten und Praktiken einer verfluchten Rasse, wie immer noch
Nicht ausreichend, und ihre abscheulichen Künste in Riten verwandelt,
Unbekannte. Es war ihr ein Verbrechen, zu beschützen
Einen bösen Kopf unter einem Dach bei einem Stadtherd, sehr geehrt
Von den Gottheiten vom Erebus lebte sie verlassen
In den Gräbern, und es spukten die Gräber, von denen
Geister waren vertrieben worden. Weder die Götter
Oben, noch dass sie eine der Lebenden war,
Hielt sie davon ab, die stillen Schatten zu belauschen,
Oder das stygische Reich kennend und ungesehen
Des Dis Geheimnisse. Das Gesicht der Hexe hager,
Abscheulich vor Vernachlässigung, ihr schreckliches Antlitz
Von einer höllischen Blässe, befrachtet mit ungekämmten
Locken, ist den reinen Himmeln oben unbekannt;
Aber wenn schwarze Wolken und Stürme ertränken
Die Sterne, sie wird aus leeren Gräbern auftauchen
Und fangen nächtliche Blitze ein. Ihr Profil verdirbt
Die Saat in den reichen Feldern, ihr Atem vergiftet
Die reine Luft. Sie betet nie zum Himmel,
Beschwört keine göttliche Macht mit flehenden Hymnen,
Weiß nichts von den Opfereingeweiden; sie
Hat Freude daran, Trauerfeuer auf den Altären zu entfachen,
Weihrauch zu verstreuen, der einem brennenden Scheiterhaufen entrissen wurde.
Die Götter gewähren jeden Schrecken beim ersten Schrei
Ihrer Stimme und fürchten eine zweite Beschwörung.
Lebende Geister, die immer noch die Kontrolle über ihren Körper haben,
Sie begräbt sie im Grab, und während das Schicksal noch
Schuldet ihnen Jahre, der Tod schlägt sie gegen ihren Willen;
Oder indem sie den Ritus umkehrt, bringt sie die Toten zurück
Aus dem Grab, ihre Leichen erwachen zum Leben.
Sie schnappt sich die verkohlten Knochen und rauchende
Asche der Kinder aus der Mitte des Scheiterhaufens,
Und die eigentlichen Fackeln aus den Händen ihrer Eltern;
Sie sammelt die Fragmente der Totenbahre,
Und die flatternden Grabtücher wurden zu Asche,
Und die Asche stinkt nach Leichen. Und wenn
Die Toten werden in einem Sarkophag versiegelt, der trocknet
Die innere Feuchtigkeit, absorbiert die Korruption
Der Markknochen und macht den Leichnam steif,
Dann lässt sie ihre Wut eifrig an ihren Gliedern aus,
Steckt ihre Finger tief in die Augenhöhlen,
Die verfestigten Augäpfel vor Freude ausschöpfend,
Nagt an den vergilbten Nägeln verdorrter Hände.
Sie verstümmelt den erhängten Leichnam, zerschneidet die tödliche
Schlinge mit den Zähnen, kratzt am Gekreuzigten,
Tränen an Regen-gegerbtem Fleisch und verbrannten Knochen
Durch die sonne. Sie stiehlt durchbohrte Nägel
Der Hände, der geronnene Bluterguss und die schwarzen Rückstände
Von Fäulnis, die über alle Glieder sickerte;
Und hängt ihr Gewicht an Sehnen, die Widerstand leisten
Ihren Zähnen. Sie hockt sich neben jede freigelegte Leiche
Auf dem Boden, bevor Vögel oder Bestien ankommen,
Die Gliedmaßen nicht mit bloßen Händen durchtrennend
Oder einem Messer, aber warten darauf, dass Wölfe reißen
Das Fleisch, bereit, die Bissen daraus zu reißen
Mit ihrem ungelöschten Kiefer. Sie zögert auch nicht,
Um Leben zu nehmen, wenn warmes Blut benötigt wird, das fließt,
Wenn eine Kehle durchgeschnitten wird, und ihre gruseligen Feste
Fordern immer noch zitterndes Fleisch. So durchbohrt sie
Die Gebärmutter und extrahiert das Kind, nicht als Natur
Bestimmt, um es in die Altarflammen zu legen.
Und wenn ein grausamer und mächtiger Geist gesucht wird,
Sie nimmt sich selbst das Leben. Der Tod eines jeden Mannes
Ist an der Reihe. Sie reißt die Blüte aus dem Gesicht
Auf dem Körper eines Jugendlichen, ihre linke Hand schneidet
Eine Haarsträhne vom Kopf des Sterbenden. Häufig
Auch, wenn ein geliebter Mensch begraben wird, die schreckliche
Hexe wird über dem Körper hängen, indem sie ihn küsst,
Verstümmelt den Kopf, öffnet den geschlossenen Mund,
Beißt mit ihren Zähnen in die Spitze der trägen Zunge
Im trockenen Mund, durchströmt die kalten Lippen mit
Murmelndem Ton, und sendet eine böse und
Arkane Botschaft bis zu den stygischen Schatten.
Sextus hörte lokale Geschichten von Erichtho und machte
Seinen Weg zu ihrer Wohnung, als die Nacht den Himmel beherrschte,
Zur Stunde in jenen verlassenen Feldern, wenn die Sonne aufgeht
Und ist im Zenit für diejenigen auf der anderen Seite der Erde.
Der Führer und die treuen Diener ihrer Bosheit
Suchten sie zwischen den leeren Gräbern und Grüften,
Bis sie sie weit entfernt auf einer hohen Klippe sitzen sahen,
Wo die Balkanberge nach Pharsalia abfallen.
Sie versuchte einen Zauberspruch, der Zauberern unbekannt war
Oder die Kräfte der Zauberei, die einen Zauber erschaffen
Für einen neuartigen Zweck. Sie fürchtete die Armeen,
Die wechseln zu einer anderen Seite, und Thessalien verpasst etwas
Vom mächtigen Gemetzel; also verbot die Hexe dem Krieg,
Sich von Pharsalia zu entfernen, verdunkelt von ihren Zaubern
Und besprenkelt von ihren schädlichen Verbindungen,
So würden alle Toten ihr gehören und all das Blut,
Dort vergossen, sie zu beschäftigen. Sie hoffte, zu verstümmeln
Die Leichen erschlagener Könige, zu plündern die Asche
Des römischen Volkes und der Gebeine der Adligen,
Und beherrsche die Geister der Großen. Ihre einzige
Arbeit und Leidenschaft war es, welchen Teil zu ergattern,
Sie konnte es, von Pompeius‘ ausgestrecktem Leichnam,
Stürzte sich auf was von Caesars Gliedern sie haben könnte.
Der unwürdige Sohn des Pompeius sprach zuerst und sagte:
O berühmte Thessalierin, mit der Macht zu enthüllen
Die Zukunft für sterbliche Menschen, und den Kurs zu ändern
Von Ereignissen, ich bete, dass mir Gewissheit gewährt wird,
Wissen über den Ausgang der bevorstehenden Schlacht.
Ich bin nicht der Geringste unter den Römern, ein berühmter Sohn
Von Pompeius, ein Herr der Welt oder der Erbe des Untergangs.
Mein Herz bebt, geschüttelt von Ungewissheit, noch
Bereit, sich auch bekannten Gefahren zu stellen. Entnehme
Ereignisse die Macht, sich plötzlich auf uns zu stürzen
Und blind. Beunruhige die Götter oder verlasse
Sie, erpresse die Wahrheit von den Schatten unten.
Enthülle die elysischen Reiche und beschwöre den Tod
Selbst: Zwinge ihn zu zeigen, wer von uns sein ist.
Es ist keine leichte Aufgabe: aber auch für deine eigenen Zwecke
Es lohnt sich zu wissen, wie der Würfel fallen wird. -
Stolz auf ihren großen Ruhm, die thessalische Hexe
Erwiderte: Wenn es dir ein geringerer Schicksalsschlag wäre,
Den suchtest du zu ändern, junger Mann, es wäre
Leicht, die Götter zu jedem gewünschten Kurs zu zwingen.
Wenn die Planeten in ihren Aspekten den Tod ankündigen
Für einen allein, können unsere Künste eine Verzögerung heraufbeschwören.
Auch wenn alle Sterne lange Jahre vorhersagen,
Wir können ein Leben durch die Verwendung von Zauberkräutern verkürzen.
Aber manchmal ist die Ereigniskette festgelegt
Seit Anbeginn der Welt; wenn wir suchen,
Eine Änderung vorzunehmen, werden alle Schicksale geändert, alle,
Die Menschheit wird von einem einzigen Schlag getroffen,
Und der ganze thessalische Zirkel gesteht dann
Die größeren Mächte des Schicksals. Aber wenn man es vorher weiß,
Ereignisse beinhalten viele und einfache Wege
Zur Wahrheit: Erde, Himmel, Abgrund, Meer, Ebene,
Die Klippen vom Rhodope werden sprechen. Und da
Gibt es eine Fülle von jüngsten Schlachtungen, der einfachste
Weg ist, eine Leiche vom thessalischen Feld zu stehlen;
Die Lippen eines frischen, noch warmen Leichnams werden sprechen
Laut, kein düsterer Schatten, Glieder verdorrt
Von der Sonne, die uns vage ins Ohr plätschert.
So sprach sie: dann, von ihrer Kunst doppelt verfinsterte Nacht,
Ihr schattiger Kopf war in abscheulichen Nebel gehüllt, sie verirrte sich
Zwischen den verstreuten Leichen von Toten, denen die Beerdigung verweigert wurde.
Die Wölfe flohen sofort, die Geier steckten sie in die Scheide
Der Klauen und ungesättigt flog, wie die Hexe feststellte,
Ihr Prophet, der die innersten Organe tödlich kalt stupst
Auf der Suche nach einer Leiche, deren Lungen fest und unverwundet sind,
Deren starre Säcke vielleicht noch Ausdruckskraft besitzen.
Das Schicksal einer Vielzahl von Erschlagenen hängt nun in der Schwebe:
Welche wird sie wählen, um sie wieder zum Leben zu erwecken? Wenn sie es versucht hätte,
Eine ganze Armee auf dieser Ebene zu erheben, um noch einmal zu kämpfen,
Die Gesetze vom Erebus hätten in der Schwebe geruht, ein Heer
Vom Stygischen Avernus, durch ihre monströsen Kräfte herbei gebracht,
Hätte wieder gekämpft. Schließlich entschied sie sich für einen Kadaver,
Einen Haken durch eine um den Hals gebundene Schlinge steckend,
Dann den elenden Leichnam schleppend, dazu verdammt, wieder zu leben,
Entlang über Felsen, durch Geröll, zu ihrem Versteck unter einer Höhe
Von Klippe dieses höhlenartigen Berges, die der grausamen Erichtho
Für ihre Riten bestimmt war. Dort fiel der Boden steil ab
Am Abstieg, um fast die unsichtbaren Höhlen von Dis zu erreichen.
Dunkle Bäume mit krummen Ästen säumten ihn, Eiben,
Das Sonnenlicht drang nie ein, ihre Spitzen meiden den Himmel.
In den Höhlen herrschten schwache Schatten und bleicher Verfall
In endloser Nacht; kein Licht, das sie erleuchtet, sondern nur durch Magie.
Sogar in der Schlucht von Taenarus ist die Luft weniger stagnierend; hier war
Die düstere Grenze der unsichtbaren Welt und unserer; damit
Die Götter des Tartarus keine Angst davor hatten, die Toten dorthin zu lassen.
Denn obwohl die thessalische Hexe Macht über die Schicksale hat,
Es ist ungewiss, ob sie die toten Seelen dadurch befragt,
Sie zu ihr ziehen oder zu ihnen herabsteigen. Jetzt hat sie
Verschiedene mehrfarbige Gewänder angezogen, die für einen Teufel geeignet sind
Zu tragen, warf ihr Haar zurück und enthüllte ihr Gesicht, bindend
Ihre schrecklichen Locken mit Schlangenkränzen. Sextus sah
Gefährten vor Angst zitternd und er selbst ängstlich,
Als sie ihre fixierte Glasur und ihre blutleeren Gesichtszüge sah, rief sie:
Legt die Ängste ab, die euer ängstlicher Verstand hegt; jetzt
Das Leben in vertrauter Form wird zu ihm zurückkehren, damit sogar
Die Ängstlichen ihn sprechen hören. Obwohl ich zeigen sollte
Die Teiche von Styx, an deren Ufern jedoch Flammen brüllen,
Mit meinen Befehlen könnt ihr die Freundlichen oder Cerberus sehen,
Der schüttelte seine Schlangenmähne, oder die angeketteten Gestalten der Riesen,
Warum, ihr Feiglinge, fürchtet ihr diese Schatten, die selbst mich fürchten?
Dann begann sie damit, frische Wunden in der Brust zu füllen
Dieser Leiche mit warmem Blut und wusch die Eingeweide
Frei von Blut, das vom Mondgift in sie strömt.
Darin war alles vermischt, was die Natur falsch trägt;
Die Gischt tollwütiger Hunde, die Eingeweide eines Luchses, ein übler
Höcker einer Hyäne und das Mark eines schlangengefütterten Hirsches;
Die Windsbraut war da, das Eis, das Schiffe ergreift
Und hält sie bewegungslos mitten im Ozean durch den Wind
Und füllt ihre Segel; und die Augen der Drachen und die Steine
Machen dieses Geräusch, wenn es von einem nistenden Adler erwärmt wird; die fliegende
Schlange von Arabien und die am Roten Meer geborene Viper,
Die Perlenaustern bewacht; die Haut der gehörnten Libyer-
Schlange wird lebend vergossen; die Asche des Phönix,
Der sich in den Flammen des östlichen Altars verbrennt.
Zu dem sie allgemein bekanntes Unkraut hinzufügte
Und Blätter, die mit unaussprechlichen Zaubersprüchen und Kräutern durchtränkt sind,
Die ihr eigener tödlicher Mund hatte bei der Geburt angespuckt, vor allem
Das Gift, das sie selbst der Welt gegeben hatte. Dann
Ihre Stimme, mächtiger als jedes verzaubernde Kraut
Und die Mächte von Lethe, begann dissonante Schreie auszustoßen,
Weit entfernt von jeder menschlichen Sprache. Das Jaulen des Hundes,
Das Heulen des Wolfes, waren da, das Heulen der unruhigen Schleiereule
Und der Ruf der Kreischeule, das Heulen und Kreischen der Tiere,
Das Zischen von Schlangen, sie drückten sich alle darin aus;
Und das Rauschen der Wellen, die auf die Felsen schlagen, des Waldes
Stöhnen, der Donner durch einen Riss in der Wolke, alle
Solche Dinge bildeten diese eine Stimme. Als nächstes begann sie
Einen thessalischen Zauberspruch mit Akzenten, die den Tartarus durchdrangen:
Ihr Furien und ihr stygischen Schrecken, ihr Qualen
Der Schuldigen, und du, Chaos, bereit zu verwirren
Unzählige Welten in Trümmern; und du, Herrscher der Welt
Unten, ein Gott, den der verweilende Tod quält
Lange Jahrhunderte; und Styx, und das Elysium, das keine thessalische
Hexe verdient; und Persephone, die ihre Mutter meidet
Im Himmel; und die dritte Form unserer Schutzpatronin, Hekate,
Durch die die Schatten und ich uns schweigend unterhalten;
Und der Hausmeister des weiten Reiches, der Männer wirft
Wie Fleisch dem wilden Hunde vor; und die Schwestern, die müssen
Den Faden des Lebens neu spinnen; und du, alter Fährmann
Der feurigen Welle, des Ruderns müder Schatten, komm zurück zu mir:
Erhöre mein Gebet! Wenn ich euch mit ausreichendem Übel beschwöre
Und gottlosen Lippen; wenn ich diese Zaubersprüche nie fastend singe
Aus Menschenfleisch; wenn ich diese Brüste oft aufgeschlitzt habe,
Erfüllt mit Wahrsagung, und überschwemmte sie mit warmen Gehirnen;
Wenn irgendein Säugling, dessen Kopf und Organe auf euren Körper gelegt wurden,
Die Toten mögen bei euch obsiegen, gewährt mir meine Bitte.
Ich verlange nicht nach einem, der in den Tiefen des Tartarus lauert,
Lange an die Dunkelheit gewöhnt, aber für einen absteigenden Geist,
Der vor dem Licht flieht; einer, der sich an die Schwelle klammert
Immer noch des düsteren Orcus, der jetzt meinen Zaubern gehorchen wird,
Ich gehe nur einmal unter die Schatten. Wenn dieser Bürgerkrieg
Verdient eure Gunst, lasst den Schatten eines Pompejers,
Neuerdings unter uns, prophezeien alle Dinge dem Sohn des Pompeius.
Dabei hob sie mit Schaum vor dem Mund den Kopf,
Den Schatten der unbestatteten Toten dicht neben sich zu finden.
Er fürchtete den leblosen Körper, die abscheuliche Gefangenschaft
Seines ehemaligen Gefängnisses; er schreckte davor zurück, in das Klaffende einzudringen
Der Brust, das Fleisch und die Eingeweide zerstört von der tödlichen Wunde.
O elendes Gespenst, sündhaft des finalen Todes beraubt
Und seines Geschenks, das heißt: nicht mehr zu sterben! Erichtho staunte über dieses Schicksal,
Das konnte so verzögert werden, und wütend über die Toten peitschte sie
Die leblose Leiche mit einer lebenden Schlange und durch die Spalten,
Wo die Erde von ihren Zaubersprüchen gespalten worden war, knurrte sie
Wie ein Hund in den Schatten unten und die Stille erschütternd
Ihres Reiches rief sie: Tisiphone und Megaera, unbekümmert
Von meiner Stimme, wollt ihr nicht den unglücklichen Geist treiben
Mit euren grausamen Peitschen aus der Leere des Erebus? Oder soll ich
Beschwören euch bei eurem geheimen Namen, Hündinnen der Hölle, und
Machen euch hilflos im Licht oben; da, um euch fernzuhalten
Von Gräbern und Beerdigungen; ich verbanne euch aus Gräbern,
Treibe euch aus Urnen der Toten. Und du, Hekate, ganz blass
Und verwelkt in der Form, die dein Gesicht vor dir malen,
Besuche die Götter oben, ich werde ihnen zeigen, wie du bist,
Und verhindern, dass du deine höllische Form änderst. Ich werde sprechen
Laut über das Essen, das Proserpina unten einschließt
Und das gewaltige Gewicht der Erde oben, bei welcher Kompaktheit sie liebt
Der düstere König der Finsternis, welche Befleckung erlitt sie,
So dass Ceres sich nicht an sie erinnern würde. Ich werde deine
Höhlen auseinander sprengen, Herrscher der Unterwelt, und Licht einlassen
Sofort, um dich zu sprengen. Wirst du mir gehorchen? Oder soll ich anrufen
Einen, bei dessen Namen die Erde immer erbebt
Und zittert, der den Kopf der Gorgone ohne seinen
Schleier sieht, der die kauernde Furie mit ihrer eigenen Peitsche peitscht,
Der wohnt im Tartaros jenseits deiner Sicht, für den
Sind die Götter oben, die Meineide auf Styx schwören
Bei sich selbst. - Sofort wurde das geronnene Blut warm und erhitzte
Die fahlen Wunden, die durch Venen und Extremitäten liefen
Der Gliedmaßen. Die lebenswichtigen Organe, aufgeregt, aufgeregt in der Kälte
Des Fleisches; und ein neues Leben, das durch die betäubten Eingeweide sich stiehlt,
Hat mit dem Tod gekämpft. Jedes Glied zitterte, Sehnen spannten,
Und der Tote erhob sich, nicht Glied für Glied, sondern hüpfend,
Schnell und sofort aufrecht stehend. Sein Mund stand weit offen,
Seine Augen öffneten sich, noch nicht mit dem Aussehen eines Lebenden,
Aber schon halb lebendig. Bleiben Blässe und Starrheit, er
War benommen von seiner Rückkehr in diese Welt. Und des Gefesselten
Mund sprach keinen Ton aus: Stimme und Zunge waren gewährt
Ihm, aber nur für eine Antwort. Sprich, was ich befehle, rief die Hexe,
Und groß wird dein Lohn sein, denn wenn du wahr sprichst,
Ich werde dich für alle Zeiten gegen die thessalischen Künste immun machen;
Ich werde deinen Körper auf einem solchen Scheiterhaufen und mit solchem Brennstoff verbrennen,
Mit solchen stygischen Gesängen, dass dein Geist taub sein wird
Allen Zaubersprüchen. Lass es sich lohnen, wieder zu leben:
Und noch einmal gewähre ich dir den Tod, kein Kraut oder Zauber soll
Brechen deinen langen lethäischen Schlaf. Rätselhafte Prophezeiungen können
Passen zu den Priestern und Dreistühlen der Götter; aber du musst es lassen,
Jeder Mann, der die Wahrheit aus den Schatten sucht, ist mutig genug,
Um sich den Orakeln des wilden Todes zu nähern, mit Gewissheit fortzugehen.
Missgönne dies nicht, ich bete: Gib den Akten einen Namen und einen Ort,
Eine Stimme gib, durch die sich mir das Schicksal offenbaren kann.
Dann wirkte sie einen Zauber, der dem Schatten die Macht gab, zu wissen
Alles, was sie fragte. Das traurige Fleisch sprach, seine Tränen flossen:
Vom hohen Ufer des stillen Flusses gerufen, sah ich
Nichts vom traurigen Spinnen des Schicksals, aber da war ich
Fähig, von der Menge der Schatten zu lernen: dieser wilde Streit
Erweckt die römischen Geister, gottloser Krieg zerbricht den Frieden
Der höllischen Regionen. Die großen Römer, von diversen
Seiten, kamen aus elysischen Gefilden und dem düsteren Tartarus.
Sie machten deutlich, was das Schicksal beabsichtigt. Die gesegneten Toten
Trugen traurige Gesichter. Ich sah die Decii, Vater und Sohn,
Leben gereinigt im Kampf, Camillus und Curius, weinend;
Und Sulla schimpft gegen dich, Fortuna. Scipio trauerte,
Dass sein unglücklicher Spross auf libyschen Boden fallen sollte; Kato
Der Zensor, ein noch erbitterter Feind Karthagos, betrauerte
Den Tod, den sein Nachkomme der Sklaverei vorziehen würde. Unter
Allen frommen Schatten sah ich nur dich, Brutus, jubelnd,
Dich, Roms erster Konsul nach der Absetzung der Tyrannen.
Aber als er Catilina bedrohte, schnappte und zerbrach seine Ketten,
Und jubelte, mit dem wilden Marius und bloß bewaffnetem
Cethegus; und ich sah Drusus den Demagogen und
Gesetzgeber, fröhlich, und die Gracchi, die Wagemutigen.
Hände, gebunden durch ewige Stahlglieder in Dis' Gefängnis,
Klatschten vor Freude, und die Gottlosen suchten die Ebenen auf
Der Gesegneten. Der Herr dieses blutleeren Reiches warf
Weit sein bleiches Reich und mit steilen, zerklüfteten Klippen
Und hartem Stahl für Ketten bereitete seine Strafe vor
Für die Sieger. Sextus, tröste dich damit:
Die Toten sehen aus, um deinen Vater und sein Haus willkommen zu heißen
An einem Ort des Friedens, der eine helle Region für sich behält
Im Reich für sie. Lass keine kurzlebigen Siegesprobleme zu
Dir: Es kommt die Stunde, die alle Feldherren gleich macht.
Ihr Stolzen, mit eurem hohen Herzen, eilt zum Sterben,
Dann steige aus einem so erbärmlichen Grab herab, um zu trampeln
Über die Geister der vergötterten Römer. Von wem
Wird gegraben der Nil oder durch wen der Tiber fließen wird,
In Frage steht dennoch der Konflikt der Generäle,
Das regelt nur ihren Bestattungsort: von deinem eigenen Schicksal
Suche nichts, das Schicksal wird es dir sagen ohne meinen
Spruch, da dein Vater, Sextus, ein sicherer Prophet ist,
Der wird dir alles im Land Sizilien erzählen, obwohl sogar
Er ist sich nicht sicher, wohin er dich rufen soll oder was,
Um dich zu warnen, welche Regionen, welche Gefilde er sollte
Dir befehlen zu vermeiden. Fürchte Europa, Afrika und Asiens
Erbärmliches Haus! Fortuna teilt eure Gräber unter
Die Kontinente auf, über die ihr triumphiert habt. O Unglückliche,
Nirgendwo auf der Welt ist es sicherer als in Pharsalia! -
So beendete er seine Prophezeiung und stand traurig da
Mit stillem Gesicht, bereit, wieder zu sterben. Kräuter und Magie
Vor dem Kadaver wurden noch einmal für Zaubersprüche benötigt,
Da er fallen könnte, da der Tod all seine Macht ausgeübt hat
Einmal, konnte er diesen Geist selbst nicht zurückgewinnen. Dann
Die Hexe baute einen hohen Scheiterhaufen aus Holz; und der tote
Mann näherte sich dem Feuer. Erichtho ließ ihn sich strecken
Hinaus auf den brennenden Haufen, damit er endlich sterben kann.
Sie begleitete Sextus zum Lager seines Vaters, als
Der Himmel nahm die Farbe der Morgenröte an, aber auf ihren Befehl
Die Nacht hielt den Tag zurück und erzeugte einen Schleier der Dunkelheit
Für sie, bis sie einen Fuß in Sicherheit zwischen den Zelten setzten.
ZWANZIGSTER GESANG
Er, der zuerst ein Schiff machte und damit in der Tiefe
die Klage begabte, das Wasser mit grob behauenen Rudern
belästigte, der es zuerst wagte, seine Erlenbarke
den unsicheren Winden zu vertrauen, und der
durch seine Geschicklichkeit einen naturverbotenen Weg
ängstigte, zuerst versuchte er glatte Meere und umarmte
die Küste in einem unerfreulichen Verlauf. Aber bald
begann er, die breiten Buchten zu überqueren, das Land
zu verlassen und seine Leinwand dem sanften Südwind
zu breiten; und als nach und nach sein wachsender Mut
ihn weiterführte und als sein Herz die betäubende Furcht
vergaß, jetzt auf freiem Fuß segnend, brach er
zur offenen See auf und ging mit den Zeichen des Himmels,
die ihn führten, triumphierend durch die Stürme
der Ägäis und des Ionischen Meeres, des weinroten.
Mein volles Herz bittet mich, kühn die Pferde des Rächers
aus der Unterwelt zu singen und die Sterne verdunkelt
vom Schatten seines höllischen Wagens und die düsteren
Gemächer der Höllenkönigin. Komm nicht, Nacht,
da ihr euch vereinigt. Jetzt hat der göttliche Wahnsinn
alle sterblichen Gedanken aus meiner Brust getrieben,
und mein Herz ist mit Phoebus' Inspiration erfüllt;
jetzt sehe ich, wie die Schreine und ihre Fundamente
wanken, während die Schwelle mit strahlendem Licht leuchtet
und sagt, dass der Gott da ist. Und jetzt höre ich
ein lautes Getöse aus den Tiefen der Erde, der Tempel
von Kekrops hallt wider und Eleusis winkt
mit seinen heiligen Fackeln. Die zischenden Schlangen
von Triptolemus heben ihre schuppigen Hälse,
die vom geschwungenen Kragen sind, und strecken sich,
wenn sie sanft dahin gleiten, ihre rosigen Hügel hinab
mit Gesang. Von weitem sieht Hekate mit ihren drei
verschiedenen Köpfen auf und mit ihr kommt Iacchus,
glatt von Haut, seine Schläfen mit Efeu gekrönt.
Dort kleidet ihn das Fell eines parthischen Tigers,
dessen vergoldete Krallen zusammengebunden sind,
und der lydische Thyrsus führt seine trunkenen Schritte.
Ihr Götter, denen das zahllose Heer der Toten
im geisterhaften Avernus dient, in dessen gierigen
Schatzkammern alles, was auf der Erde vergehen wird,
bezahlt wird, dessen Felder die fahlen Ströme
des ineinander verschlungenen Styx umgeben,
während Phlegethon seine Stromschnellen sprüht,
fließt mit dampfenden Wirbeln durch sie hindurch -
enthüllt mir die Geheimnisse eurer heiligen Geschichte
und die Geheimnisse eurer Welt. Sprecht, mit welcher Fackel
der Gott der Liebe den Dis überwunden hat, und erzählt,
wie Proserpina in ihrem ersten Stolz gestohlen wurde,
um das Chaos als Verliererin zu gewinnen; und wie
durch viele Länder Ceres, beunruhigt, in ihrer ängstliche
Suche die Tochter verfolgte; woher der Mais
dem Menschen gegeben wurde, wobei der Mensch
seine Eichelnahrung beiseite legte, und die neu
gefundene Ähre machte nutzlos Dodonas Eichen.
Es war einmal der Herr von Erebus, der in wachsendem Zorn
aufloderte und den Göttern mit Krieg drohte, weil er
allein war und die Jahre im kinderlosen Zustand
lange verschwendete und nicht mehr die Freuden
der Ehe hatte und des Ehemannes Glück vermisste,
noch nie den lieben Namen des Vaters hörte.
Jetzt stürmen alle Monster, die in der Hölle Abgrund lauern,
in kriegerischen Banden zusammen, und die Furien
binden sich mit einem Eid gegen den Donnerer.
Tisiphone, und die blutigen Schlangen, die sich
auf ihrem Kopf zusammenballten, schüttelte die grelle Fackel
und lud das gespenstische Lager zu den bewaffneten Schatten.
Fast hatten die Elemente, die wieder mit der widerstrebenden
Natur im Krieg waren, ihre Verbindung gebrochen;
die Titanenbrut, ihr tiefes Gefängnishaus, das geöffnet wurde,
und die ihre Fesseln ablegten, hatten wieder
das Himmelslicht gesehen; und wieder der blutige Aegaeon,
der die geknoteten Seile, die seine riesige Form begrenzen,
zerriss, hatte mit hundertfachen Schlägen gegen
die Blitze des allmächtigen Jove Krieg geführt.
Aber die schrecklichen Parzen brachten diese Drohungen
umsonst und fürchteten aus Furcht vor der Welt
ihre grauen Locken vor den Füßen und dem Thron
des Höllenfürsten und berührten seine Knie
mit ihren Händen, diese Hände, in die die Herrschaft
alle Dinge gelegt sind, deren Daumen den Faden
des Schicksals drehen und die langen Zeitalter
mit ihren eisernen Spindeln drehen. Die erste war Lachesis,
die Haare ungepflegt und ungeordnet, sie rief
so den grausamen König an: Großer Herr der Nacht,
Herrscher über die Schatten, auf dessen Befehl
unsere Fäden gesponnen werden, der das Ende
und den Ursprung aller Dinge anordnet und den Wechsel
bestimmt von Geburt und Zerstörung; Schiedsrichter
von Leben und Tod, denn was auch immer entsteht,
ist es durch das Geschenk, dass es erschaffen ist
und sein Leben dir verdankt, und nach einem festen Zyklus
von Jahren die ältesten Seelen noch einmal
in sterbliche Körper versinken, suche nicht zu brechen
den festgesetzten Friedensvertrag, den unsere Ahnen
gesponnen haben und dir gegeben, und nicht den Bürgerkrieg
zwischen dir und deinen zwei Brüdern, nicht den Bürgerkrieg!
Warum erhöhst du die ungerechten Standarten des Krieges?
Warum befreist du die fauligen Titanen an die frische Luft?
Bitte Jupiter; er wird dir eine junge schöne Frau geben.
Sie hatte gesprochen, als Pluto aufhörte, beschämt
von ihrem Gebet, und sein grimmiger Geist wurde mild,
wenn auch wenig gebremst: selbst der so große Boreas,
bewaffnet mit schrillen Schlägen und stürmisch
von erstarrtem Schnee, seine Flügel vom Getischen Land
hagelvereist, während er die Schlacht sucht, droht er,
das Meer, die Wälder und die Felder mit klingendem Sturm
zu überwältigen; aber sollte Aeolus die trostlosen Türen
gegen ihn verschließen, stirbt seine Wut, und seine Stürme
ziehen sich in ihr ehernes einsames Gefängnis zurück.
Dann bittet er Mercurius, den Sohn von Maja,
diese flammenden Worte zu Jove zu tragen.
Sofort steht der Flügelgott von Cyllene an seiner Seite
und schüttelt seinen schläfrigen Zauberstab,
seine Heroldmütze auf seinem Kopf. Pluto selbst sitzt
auf seinem zerklüfteten Thron, furchtbar in grenzenloser
Majestät; mit altem langem Staub ist sein mächtiges Zepter
begabt; bombardierende Wolken machen seinen hohen Kopf
grimmig; Unpünktlichkeit ist die Steifheit
seiner fürchterlichen Form; Wut erhöhte den Schrecken
seines Aspekts. Dann donnert er mit erhobenem Haupt
diese Worte, während, da der Tyrann spricht,
seine Hallen zittern und still sind; der Hund,
der Wächter des Tores, hält das Bellen
seines dreifachen Kopfes zurück, und Cocytus sinkt zurück,
seine Quelle der Tränen unterdrückend; Acheron ist stumm
mit stiller Ehrfurcht, und die Ufer von Phlegethon schweigen.
Enkelkind des Atlas, arkadisch-geborene Gottheit,
die die Hölle und den Himmel kennt, du allein
hast das Recht, jede Schwelle zu überschreiten,
und bist Vermittler zwischen den zwei Welten, geh schnell,
spalte die Winde und trage diese meine Worte
zum stolzen Jove. Hast du, grausamer Bruder,
so vollkommene Autorität über mich? Hat mir
ein schädliches Vermögen Macht und Licht geraubt?
Weil der Tag von mir zurückgeworfen wurde, verlor ich
deshalb Stärke und Waffen? Denkst du mich demütig
und eingeschüchtert, weil ich keine von den Zyklopen
geschmiedeten Bolzen schleudere und nicht die leere Luft
mit Donner erfülle? Ist es nicht genug, dass ich
des angenehmen Tageslichtes beraubt bin, so unterziehe
ich mich dem Unheil der dritten und letzten Wahl
und diesem abscheulichen Reich, während dich
der Sternenhimmel schmückt und der Mond
mit funkelndem Glanz umgibt, sollst du auch
meine Hochzeit verbieten? Amphitrite, die Tochter
von Nereus, hält Neptun in ihrer meergrauen Umarmung;
Juno, die Schwester und die Frau, nimmt dich
an ihren Busen, wenn du dich müde von deinen Blitzen
zu ihr legst. Was muss ich von deiner geheimen Liebe
zu Lato oder Ceres oder der großen Themis erzählen?
Wie mannigfaltig war deine Hoffnung auf Nachkommen!
Jetzt umgibt dich eine Menge glücklicher Kinder.
Und soll ich in diesem leeren Palast, ohne Freude,
ohne Ruhm, kennen keine Kinderliebe,
keine Vater-Sorgen haben? Ich werde kein so dumpfes Leben
führen. Ich schwöre bei der elementaren Nacht
und den unerforschten Untiefen des Stygischen Sees!
Wenn du dich weigerst, auf mein Wort zu hören,
werde ich die Hölle öffnen und ihre Monster herbeirufen,
Saturns alte Ketten brechen und die Sonne
mit Dunkelheit umhüllen. Die Gestalt der Welt
soll gelockert werden und die leuchtenden Himmel
vermischen sich mit des Avernus leeren Schatten.
Knapp hatte er gesprochen, als sein Bote zu den Sternen trat.
Der Vater hörte die Botschaft und diskutierte lange
mit sich selbst, wer eine solche Ehe wagen würde,
wer die Sonne gegen die Höhlen von Styx tauschen wollte.
Er würde gern entscheiden, und endlich wuchs sein fester Plan.
Ceres, deren Tempel bei Henna ist, hatte
eine jugendliche Tochter, ein lang betendes Kind;
denn die Göttin der Geburt gewährte keine zweite
Nachkommenschaft, und ihr Leib, der durch diese
ersten Wehen erschöpft war, wurde unfruchtbar.
Noch stolzer ist die Mutter über alle Mütter,
und Proserpina soll viele ersetzen. Die Sorge ihrer Mutter
und ihr Liebling ist sie; nicht liebevoller streichelt
die wilde Kuh ihr Kalb, das noch nicht über die Felder
rennen kann und dessen wachsende Hörner sich
noch nicht mondförmig über ihrer Stirn beugen.
Als die Jahre sich erfüllten, war sie reif für die Ehe,
und die Gedanken an die Fackel der Ehe weckten
ihre mädchenhafte Bescheidenheit, aber während
sie sich nach einem Ehemann sehnt, fürchtet sie doch,
sich trauen zu lassen. Die Stimme der Freier
ist im ganzen Palast zu hören; zwei Götter
werben um die Jungfrau, Mars, geschickter mit dem Schild,
und Phoebus, der mächtigere Bogenschütze.
Mars bietet Rhodope, Phoebus würde Amyclae und Delos
und seinen Tempel bei Claros geben; in Rivalität
wollten Juno und Latona sie zur Frau ihrer Söhne.
Aber die goldhaarige Ceres verachtet beide und befürchtet,
dass ihre Tochter gestohlen werden könnte (die Hacke
ist blind für die Zukunft). Sie vertraut heimlich ihr Juwel
dem Land von Sizilien an, überzeugt von der Sicherheit dieses Verstecks.
Trinacria war einst Teil von Italien, aber Meer und Gezeiten
veränderten das Gesicht des Landes. Der siegreiche
Nereus bremste seine Grenzen und durchflutete
die zerklüfteten Berge mit seinen Wellen, wodurch
ein schmaler Kanal nun diese verwandelten Länder trennt.
Die Natur schiebt jetzt die dreischiffige Insel ins Meer hinaus,
abgeschnitten vom Festland, dem sie einst gehörte.
An einem Ende schleudert das Vorgebirge von Pachynum
mit vorspringenden Felsen die wütenden Wellen
des Ionischen Meeres, ringsum ein anderes
brüllendes afrikanisches Meer, das an den geschwungenen
Hafen von Lilybaeum schlägt, zum dritten schüttelt sich
die tyrrhenische Flut, ungeduldig bei der Zurückhaltung
und dem Hindernis von Kap Pelorus. In der Mitte
der Insel erheben sich die verkohlten Klippen
des Aetna, eloquentes Denkmal von Joves Sieg
über die Giganten, das Grab von Enceladus,
dessen gefesselter Körper aus seinen brennenden Wunden
endlose Schwefelwolken atmet. Wenn seine rebellischen
Schultern ihre Last nach rechts oder links verlagern,
wird die Insel von ihren Fundamenten erschüttert
und die Mauern wankender Städte schwanken hier und dort hin.
Die Gipfel von Aetna musst du allein durch die Sicht erkennen;
zu ihnen kann kein Fuß herankommen. Der Rest
ist mit Laub bekleidet, aber den Gipfel füllt kein Landwirt.
Jetzt sendet er heimatlichen Rauch aus und verdunkelt
mit pechschwarzen Wolken den Tag und unterdrückt ihn
mit schrecklichem Regen, er bedroht die Sterne
und füttert seine Flamme mit der schrecklichen Frucht
seines eigenen Körpers. Aber obwohl er kocht
und mit so großer Hitze ausbricht, weiß er doch,
mit dem Schnee einen Waffenstillstand zu beobachten,
und zusammen mit glühender Asche wird das Eis hart,
geschützt vor der großen Hitze und gesichert durch Kälte,
so dass die harmlose Flamme leckt den benachbarte Frost
mit dem Atem, der seine Kompaktheit behält.
Welcher riesige Motor schleudert diese Felsen;
welche gewaltige Macht stapelt Felsen auf Felsen?
Woher fließt dieser feurige Strom? Ob der Wind,
der sich an versteckten Barrieren vorbei zwingt,
inmitten der zerklüfteten Felsen wütet, die seinen Weg
versperren wollen, und auf der Suche nach einem Fluchtweg
die zerbröckelnden Höhlen mit ihren wandernden Explosionen
in ihrem Streben nach Freiheit weg fegt, oder
dass das Meer, das durch die Eingeweide des schwefelhaltigen
Berges fließt, in Flammen aufbricht, wenn sein Wasser
zusammen gepresst wird und Felsen wirft, weiß ich nicht.
Als die liebevolle Mutter ihre Verantwortung der Geheimhaltung
den Leuten von Henna anvertraut hatte, ging sie,
von der Pflege befreit, um die turmgekrönte Kybele
in ihrem phrygischen Haus zu besuchen, mit einem
von Schlangen gezogenen Wagen, der die durchlässigen
Wolken auf ihrem Flügelkurs spaltete und Flecken
von harmlosem Gift hinterließ. Der Schlangen Köpfe
sind gekrönt und grüne Flecken sprudeln auf ihren Rücken,
während glitzerndes Gold zwischen ihren Schuppen glitzert.
Jetzt schwimmen sie kreisend durch die Luft,
jetzt überfliegen sie die Felder mit schwachem Kurs.
Die vorbeifahrenden Räder säen ins Ackerland
goldenes Korn und ihre Spur wird vom Mais gelb.
Sprießende Stiele bedecken ihre Spuren
und begleitende Pflanzen kleiden den Pfad der Göttin.
Jetzt ist der Aetna zurückgelassen, und ganz Sizilien
versinkt in der Ferne. Ach, wie oft kannte sie es,
bevor sie krank wurde, ihre Wange mit Tränen quellend;
wie oft schaute sie mit solchen Worten auf ihr Haus zurück:
Sei glücklich, liebes Land, teurer als der Himmel,
zu deiner sicheren Aufbewahrung ich empfehle dir
meine Tochter, meine einzige Freude, die geliebte Frucht
meiner Wehen. Es soll dir keine verderbliche Belohnung sein,
denn du sollst keine Hacke leiden, noch soll
das grausame Eisen der Pflugschar deinen Acker aufwühlen.
Unbesäte Felder werden Früchte tragen, und obwohl
deine Ochsen nicht pflügen, wird ein reicherer Bauer
die selbst gepflückte Ernte mit Erstaunen betrachten.
So sprach sie und erreichte den von ihren Schlangen angeflogenen Berg.
Hier ist der königliche Sitz der Göttin und in ihrem heiligen
Tempel die heilige Statue, überschattet von den dicken Blättern
des Kiefernwaldes, die, obwohl kein Sturmwind
den Hain schüttelt, mit ihren kegeltragenden Zweigen
ein Knarren hervorbringen. Im Innern sind
die Schreckensbanden der Eingeweihten, mit deren wilden
Rufen der Schrein läutet; der Ida ist laut heulend
und der Gargarus bückt sich vor Angst. Sobald Ceres erscheint,
halten die Trommeln ihr Rasseln zurück; die Chöre sind still
und die Corybanten bleiben still mit der Blüte ihrer Messer.
Pfeifen und Becken sind still, und die Löwen senken
ihre Mähnen zum Gruß. Kybele freut sich im Schrein
und beugt ihren turmhohen Kopf, um ihren Gast zu küssen.
Lange hatte Jove dies angesehen, von seinem hohen Sitz,
und Venus beobachtend, so umfasste er die Geheimnisse
seines Herzens: Göttin von Kythera, ich werde dir
meine verborgenen Schwierigkeiten mitteilen;
vor langer Zeit habe ich beschlossen, dass Proserpina
dem Herrn der Hölle in die Ehe gegeben werden sollte;
das ist Atropos' Gebot, eine alte Prophezeiung
der alten Themis. Jetzt, da ihre Mutter sie verlassen hat,
ist es Zeit zu handeln. Besuche die Grenzen Siziliens,
und führe Ceres' Tochter mit Waffengewalt zum Spiel
in die Höhe, auf welcher die Morgenröte, die rosige Aurora
sich entfaltet hat; verwende jene Künste, mit denen du
alle Dinge entflammen willst, oft sogar mich selbst.
Warum sollten die Unterkönige nicht die Liebe kennen?
Lass kein Land frei sein und keine Brust, auch nicht
in den von der Venus ungebrannten Schatten. Endlich
fühlt der düstere Wahnsinn den Stich der Leidenschaft,
und der Acheron und das stählerne Herz
des strengen Dis werden von Liebespfeilen zärtlich.
Venus beeilt sich, sein Gebot zu erfüllen; und auf Geheiß
ihres Vaters schließen sich ihr Pallas und Diana an,
deren gebückter Bogen alle Abhänge des Mänalus durchzieht.
Unter ihren göttlichen Füßen leuchtete der Pfad hell,
wie ein Komet, der mit dem Vorwurf der Übel erfüllt ist,
kopfüber hin fällt, ein glühendes Zeichen blutroten Feuers;
kein Seemann darf darauf schauen und leben,
keine Menschen sehen es an, sondern nur zu ihrer Zerstörung;
die Nachricht seines drohenden Schwanzes ist Sturm
für Schiffe und feindlicher Angriff auf Städte.
Sie erreichten den Ort, an dem Ceres‘ Palast stand,
der von den Händen der Zyklopen fest gebaut war;
die eisernen Mauern emporragend, Eisen die Tore,
und Stahlstangen sichern die massigen Türen.
Weder Pyragmon noch Steropes bauten eine Arbeit
mit so großer Mühe, und nie blähten Blasebälge
solche Explosionen aus, noch strömte die geschmolzene
Metallmasse in einen Strom, der so tief war,
dass die Öfen sich mühten, ihn zu erhitzen. Die Halle
war mit Elfenbein ummauert; das Dach wurde
mit Bronzebalken verstärkt und von Säulen aus Elektron gestützt.
Proserpina selbst, beruhigend das Haus mit süßem Lied,
nähte vergeblich ein Geschenk für die Rückkehr ihrer Mutter.
In dieses Tuch stickte sie mit ihrer Nadel die Vereinigung
der Atome und die Wohnung des Göttervaters
und stellte dar, wie Mutter Natur das elementare Chaos
ordnete und wie die ersten Prinzipien der Dinge
auseinander sprangen, jedes an seinen richtigen Platz.
Jene, die als Lichter waren in der Höhe geboren,
die schwereren in die Mitte fallend. Die Luft wurde hell
und das Feuer wählte den Pol zum Sitzplatz. Hier floss
das Meer; dort hing die Erde schwebend. Viele waren
die Farben, die sie auftrug, die Sterne mit Gold
und das Meer mit Purpur. Das Ufer, das sie mit Edelsteinen
prägte und schlaue Arbeit verwendete, hob die Fäden an,
um die anschwellenden Wogen zu imitieren. Du hättest
vielleicht gedacht, du sähest den Seetang gegen die Felsen
schlagen und hörst das Rauschen der zischenden Wellen,
die den durstigen Sand überfluten. Fünf Zonen
fügte sie hinzu; mit rotem Garn darauf hinweisend:
ihre Wüstengrenzen sind ausgedörrt und der Faden,
den sie benutzte, wurde von der unerschöpflichen Hitze
der Sonne getrocknet. Auf beiden Seiten lagen
die beiden bewohnbaren Zonen, die mit einem milden,
für das Leben des Menschen geeigneten Klima
gesegnet waren. Oben und unten stellte sie die beiden
gefrorenen Zonen dar und schilderte den ewigen
Winterschrecken in ihrem Weben und die Dunkelheit
der nie endenden Kälte. Weiter stickte sie
den verfluchten Sitz ihres Onkels Dis und der Untergötter,
ihrer Schicksalsgefährten. Das Omen passierte auch nicht
unbemerkt, denn für die Zukunft prophezeite es Tränen.
Als nächstes begann sie, des Ozeans glasige Untiefen
am äußersten Rand des Wandteppichs zu verfolgen,
aber in diesem Moment öffneten sich die Türen,
sie sah die Göttinnen eintreten und ließ ihre Arbeit
unvollendet. Eine glühende Röte, die sich auf ihre klaren
Wangen legte, erfüllte ihr blondes Antlitz und entzündete
die Fackeln von reiner Keuschheit. Nicht einmal
das Leuchten von Elfenbein, das eine lydische Magd
mit Sidons scharlachroter Farbe gefärbt hat, ist so schön.
Jetzt wurde die Sonne in den Ozean eingetaucht,
und nebelhafter Nachtschlaf hatte Sterblichen mit Leichtigkeit
und Muße in seinen schwarzen zweistreifigen Wagen gebracht;
als Pluto, von seinem Bruder gewarnt, seinen Weg
in die Luft fand. Der furchtbare Zorn Alectos
jagt dem Streitwagen die zwei wilden Rossepaare entgegen,
die des Cocytus Ufer bevölkern und die dunklen Meere
des Erebus durchstreifen, und trinkende Trümmer
der trägen Lethe trinken, dunkle Dunkelheit
von ihren schlummernden Lippen tröpfeln lassen
Orphnaeus, der Wilde und Schnelle, Aethon,
schneller als ein Pfeil, der große Nycteus, stolzer Ruhm
der Rosse der Hölle, und Alastor, gebrandmarkt
mit dem Zeichen des Dis. Diese standen angespannt
vor der Tür und schlürften wild am Gebiss, das begierig
darauf war, dass der Morgen ihre Beute genoss.
Als Orpheus Ruhe suchte und sein Lied in den Schlaf legte,
hatte er seine vernachlässigte Aufgabe lange beiseite gelegt,
die Nymphen beklagten sich, dass ihre Freude
von ihnen zurückgewichen war und die traurigen Flüsse
den Verlust seiner melodischen Lieder betrauerten.
Die Wildheit der Natur kehrte zurück, und die junge Kuh
im Schrecken des Löwen suchte vergeblich nach Hilfe
von der jetzt stimmlosen Leier. Die zerklüfteten Berge
beklagten sein Schweigen und die Wälder,
die so oft seiner thrakischen Laute gefolgt waren.
Aber nachdem Herkules, vom Inachischen Argos
herkommend, die Ebenen von Thrakien auf seiner Mission
des Heiles erreichte und die Ställe von Diomedes zerstörte,
die Pferde des blutigen Tyrannen auf dem Gras speiste,
da war es, dass der Dichter sich freute über das glückliche
Schicksal seines Landes, er nahm sofort die melodischen
Saiten seiner lange beiseite gelegten Lyra auf
und berührte die leeren Akkorde mit der glatten Feder
und spielte das berühmte Elfenbein mit festlichen Fingern.
Kaum hatten sie ihn gehört, als der Wind und die Wellen
still waren; der Hebrus floss träger mit widerwilligem Strom,
der Rhodope streckte seine Felsen aus, die alle
auf das Lied eifrig sind, und Ossa, sein Gipfel
wenig erhöht, schüttelte seinen Mantel des Schnees ab.
Die große Pappel und die Kiefer, begleitet von der Eiche,
verließen die Hänge des baumlosen Haemus, und sogar
der Lorbeer kam, angelockt von der Stimme des Orpheus,
obwohl er Apollos Kunst verachtete. Molossische Hunde
züchteten spielerisch die furchtlosen Hasen,
und das Lamm machte Platz für den Wolf an seiner Seite.
Er war mit dem gestreiften Tiger in Freundschaft gesegnet,
und die Hirschkuh hatte keine Angst vor der Löwenmähne.
Er sang die Stiche einer Stiefmutter Zorn
und die Taten von Herkules, die Monster,
die durch seinen starken rechten Arm überwunden sind;
wie er noch als Kind der erschrockenen Mutter
die erwürgten Schlangen gezeigt und gelacht hatte,
furchtlos solche Gefahren zu verachten. Weder du,
noch der Stier, der erschütterte die Städte Kretas,
als er brüllte, noch die Wildheit des Höllenhundes;
nicht der Löwe, bald ein Sternbild am Himmel,
noch das Wildschwein, das Erymanthus berühmt machte.
Du hast der Amazone ihrer Gürtel ausgezogen,
die Vögel von Stymphalos mit deinem Bogen erschossen
und das Vieh der westlichen Gegend heim getrieben.
Du hast die vielen Glieder des dreiköpfigen Monsters
überwunden und bist dreimal von einem einzigen Feind
siegreich zurückgekehrt. Vergiss die Sünden von Antaeus,
eitel ist das Keimen der neuen Köpfe der Hydra.
Seine geflügelten Füße dienten dazu, Dianas Hirschkuh
nicht aus deiner Hand zu retten. Cacus' Flammen
wurden gelöscht und der Nil wurde reich von Busiris‘ Blut.
Pholoes Pisten rochen nach dem Abschlachten
der in der Wolke geborenen Kentauren. Da dachte
der gekrümmte Schuh von Libyen in Ehrfurcht;
der mächtige Ozean sah dich erstaunt an, als du die Welt
zurücklegtest; am Hals des Herkules war der Himmel
sicherer; die Sonne strömte über deine Schultern.
So sang der thrakische Barde. Aber du, Florentinus,
bist ein zweiter Herkules für mich. Du lässt meine Feder
schwanken, du störst sie, die lange schlafende Musenhöhle,
und führst ihre sanften Bänder in den Mädchen-Tanz.
Noch hatte kein heller Tag mit Heroldstrahlen
die Wellen des Ionischen Meeres getroffen; das Licht
der Morgendämmerung schimmerte auf den Wassern
und der streunende Glanz flackerte über das tiefblaue Meer.
Und jetzt sucht die kühne Proserpina, die die eifersüchtige
Sorge ihrer Mutter vergisst und durch die List der Venus
versucht wird, das vom Strom gespeiste Tal.
So war das Dekret des Schicksals. Dreimal hörten
die Türen einen warnenden Ton, als die Scharniere sich drehten;
dreimal rollte der prophetische Aetna traurig
mit schrecklichen Donnerschlägen. Aber sie kann kein Omen,
kein Omen. Die Schwestergöttinnen trugen ihre Begleitung.
Zuerst geht Venus jubelnd und inspiriert von ihrer großen Mission.
In ihrem Herzen berücksichtigt sie den bevorstehenden Raub;
bald wird sie das fürchterliche Chaos regieren, bald,
dem Dis einmal untertänig, wird sie das Heer
der Geister führen. Ihr in viele Locken gescheiteltes Haar
ist um den Kopf geflochten und mit einer zyprischen Nadel
gesichert, und eine von ihrem Gatten schlau fabrizierte
Brosche stützt ihren mit violetten Juwelen besetzten Mantel.
Hinter ihr beeilt sich Diana, die schöne Königin von Arkadien,
und Pallas, die mit ihrem Speer die Zitadelle von Athen schützt,
Jungfrauen beide; Pallas, die grausame Göttin des Krieges,
Diana, der Fluch der wilden Kreaturen. Auf ihrem braunen Helm
trug die Tritonen-getragene Göttin eine geschnitzte Figur
von Typhon, dessen oberer Teil seines Körpers leblos war,
die unteren Glieder sich noch windend, teils tot,
teils schnell bewegt. Ihr schrecklicher Speer,
der die Wolken durchdrang, als sie ihn schwang,
ähnelte einem Baum; nur den zischenden Hals
der Gorgone versteckte sie in der Ausbreitung
ihres glitzernden Umhangs. Aber sanft war Dianas Blick
und so, wie ihr Bruder sie ansah; Phoebus hatte
an ihre Wangen und Augen gedacht, ihr Geschlecht
allein offenbarte den Unterschied. Ihre leuchtenden Arme
waren nackt, ihre streunenden Locken flatterten
in der sanften Brise, und der Akkord ihres ungespannten
Bogens hing untätig, ihre Pfeile hinter ihrem Rücken.
Ihre kretische Tunika, die mit dem Gürtel
zu beiden Seiten zusammengerafft ist, fließt
zu ihren Knien hinab, und auf ihrem wehenden Kleid wandert
und dehnt sich Delos, umgeben von einem goldenen Meer.
Zwischen den zweien das Kind der Ceres, jetzt der Stolz
ihrer Mutter, so bald ihr Kummer zu sein, tritt das Gras
mit der gleichen Geschwindigkeit, ebenso wie sie
in der Statur und Schönheit; Pallas, du hättest sie vielleicht
gedacht, wenn sie einen Schild getragen hätte, Diana,
wenn einen Speer. Eine Brosche aus poliertem Jaspis
sicherte ihr umgürtetes Kleid. Nie hat Kunst
der Geschicklichkeit der Schneider ein glücklicheres
Thema gegeben; niemals war Stoff so schön gemacht
oder Stickerei so lebensecht. Darin hatte sie die Geburt
der Sonne aus dem Samen des Hyperion, die Geburt
des Mondes hervorgebracht, obwohl ihre Form
verschieden war, die von Sonne und Mond,
die den Sonnenaufgang und die Nacht brachten.
Tethys gibt ihnen eine Wiege und beruhigt in ihrem Schoß
ihr Säuglingsschluchzen; das rosige Licht ihrer Pflegekinder
strahlt auf ihre dunkelblauen Ebenen aus.
An ihrer rechten Schulter trug sie den Säugling Titan,
noch zu jung, um mit seinem Licht zu plagen,
und seine umlaufenden Strahlen noch nicht gewachsen;
er wird in diesen zarten Jahren als sanfter Knabe dargestellt
und entlässt aus seinem Mund eine weiche Flamme,
die seine Schreie begleitet. Der Mond, seine Schwester,
trug Tethys auf der linken Schulter, sie saugt die Milch
dieser Brüste, die Stirn mit einem kleinen Horn markiert.
So ist das Wunder von Proserpinas Kleid. Die Najaden
tragen ihre Gesellschaft und auf beiden Seiten drängen sie sich
um sie, diejenigen, die ihre Ströme, Crinisus,
und Pantagias felsigen Strom und Gela verfolgen,
der der Stadt seinen Namen gibt; jene, die Camerina,
die Unbewegte, in ihren seichten Sümpfen nährt,
deren Heim die Flut von Arethusa ist, oder der Strom
von Alpheus, ihr fremder Liebhaber; das höchste
ihrer Werke ist Cyane. Also bewege sie sich
wie die schöne Bande der Amazonen und die schwingen
ihre mondförmigen Schilde, zu welcher Zeit
die Jungfrauenkriegerin Hippolyte, nachdem sie
die Gebiete des Nordens verwüstet hatte, ihre gerechte
Armee nach der Schlacht heim führt, ob sie
den Gelbhaarigen erlegt haben, den Geter, oder
den gespaltenen gefrorenen Tanais mit der Axt
ihres heimischen Thermodon; oder wie die lydischen
Nymphen die Feste von Bacchus feiern, die Nymphen,
deren Vater der Hermus war, entlang dessen Ufer
sie mit seinem goldenen Wasser spritzen: der Flussgott
freut sich in seinem Höhlenheim und gießt
die Überschwemmungsurne mit großzügiger Hand aus.
Henna, die Mutter der Blüten, hatte die Gesellschaft
der Göttin von ihrem grasbewachsenen Gipfel aus erblickt
und sprach Zephyrus an, der im sich windenden Tal
lauerte: Gnädiger Frühlingsvater, du regierst
immer mit wehender Brise und strömendem Regen
über meine Wiesen auf dem Sommerlande
mit deinem unaufhörlichen Atem, siehe diese Gesellschaft
von Nymphen und Joves großen Töchtern,
die sich dazu entschließen, sich auf meine Wiesen zu tragen.
Sei anwesend, um zu segnen, ich bete. Gewähre,
dass jetzt alle Bäume voll mit frisch angebauten Früchten sind,
dass das fruchtbare Hybla eifersüchtig sein
und das Paradies übertreffen kann. All die süßen Lüfte
von Panchäas Weihrauchwäldern, all die erheiterten
Gerüche von Hydaspes‘ fernem Strom, all die Gewürze,
die von den am weitesten entfernten Feldern
des langlebigen Phönix gesammelt werden, die neue
Geburt im Wunsch nach dem Tod suchend - - verbreite du
all dies durch meine Venen und mit großzügigem Atem
erfrische mein Land. Möge ich würdig sein,
von göttlichen Fingern geplündert zu werden, und Göttinnen
wollen mit meinen Girlanden geschmückt werden.
So sprach sie, und Zephyrus schüttelte seine Flügel
mit frischem Nektar und tränkte den Boden
mit seinem lebensspendenden Tau. Wohin er auch fliegt,
der Frühling folgt dem Glanz. Die Felder wachsen üppig
mit Grün und die Kuppel des Himmels scheint
wolkenlos über ihnen. Er malt die hellen Rosen rot,
die Hyazinthen blau und die süßen Veilchen lila.
Welcher Gürtel von Babylon, bindend die königlichen Brüste,
ist geschmückt mit solchen mannigfaltigen Juwelen?
Welche Flecke sind so in dem reichen Saft der Myrrhe gefärbt,
wo die bronzenen Türme von Tyrus stehen? Nicht
die Flügel von Junos eigenem Vogel zeigen solche Farben.
Nicht so überspannen die vielen sich ändernden Farben
des Regenbogens den Himmel des jungen Winters,
wenn in einem geschwungenen Bogen sein regnerischer Pfad
bunt zwischen den sich teilenden Wolken glüht.
Noch schöner als die Blumen auf dem Land! Die Ebene
mit sanftem Wellengang und allmählichen Abhängen
erhob sich zu einem Hügel; aus dem lebendigen Felsen
sprudelnde Bäche bedeckten ihre grasbewachsenen Ufer.
Mit dem Schatten seiner Zweige mildert ein Wald
die heftige Hitze der Sonne und auf der Sommerhöhe
macht er die Kälte des Winters. Dort wächst die
für die Seefahrt nützliche Kiefer, der Kornbaum
für Kriegswaffen, die dem Jupiter freundlich gesonnene Eiche,
die Zypresse, die Wächterin der Gräber,
die mit Waben gefüllte Steineiche und der Lorbeer,
der die Zukunft kennt; hier weht der Buchsbaum
seine dicke Blätterkrone, hier kriecht der Efeu,
hier kleidet die Rebe die Ulme. Nicht weit von hier
liegt ein See, der von den Sicaniern Pergus genannt wird,
umgeben von einem dichten Laubwald, der sich
um seine bleichen Gewässer zieht. Tief drinnen
sieht das Auge das, was man sehen kann,
und das überall durchsichtige Wasser lädt
zu einem ungehinderten Blick in seine öden Tiefen ein
und verrät die äußersten Geheimnisse
seiner luciden Abgründe. Hierher kam ihre Gesellschaft an,
mit dem blumigen Aufstieg sehr zufrieden.
Venus bittet sie, Blumen zu sammeln. Kommt, Schwestern,
während noch die Morgensonne durch die feuchte Luft scheint,
und während Luzifer, mein Vorbote der Morgendämmerung,
doch seine taufrischen Rosse treibt und das helle Feld
bewässert. So sprach sie und sammelte die Blume,
die ihr eigenes Wehe bezeugte. Ihre Gefährtinnen
reichten die verschiedenen Blumen. Man hätte
glauben können, ein Bienenschwarm sei auf den Flügeln,
begierig darauf, seine Süße aus dem Hybläschen Thymian
zu sammeln, wo die Königsbienen ihre in Wachs
untergebrachten Heere ausschickt und das honigtragende Heer
aus dem hohlen Stamm der Buche heraus summt
um seine Lieblingsblumen. Die Wiesen sind
ihrer Herrlichkeit beraubt; diese Göttin webt Lilien
mit dunklen Veilchen, eine andere schmückt sich
mit geschmeidigem Majoran, eine dritte schritt hervor
mit Rosen, eine andere mit weißem Liguster gekrönt.
Dich auch, Hyacinthus, sie sammeln, deine Blume
ist mit dem Wehe eingeschrieben, und auch Narzissus,
einst lieblicher Knabe, jetzt der Stolz des blühenden Frühlings.
Du, Hyacinthus, bist in Amyclae geboren, Narcissus
war des Helicon Kind; du warfst den irrenden Diskus;
er verliebte sich an sein vom Bach reflektiertes Gesicht;
denn du weinst, Delos' Gott mit trauernder Stirn,
um ihn an des Cephisus zerbrochenen Schilfen.
Aber außer ihren Gefährtinnen brannte sie,
die eine Hoffnung der Mais-tragenden Göttin,
mit einem heftigen Wunsch, Blumen zu sammeln.
Jetzt füllt sie mit der Verwüstung der Felder
ihre lachenden Körbe, die aus Weiden geflochten sind;
jetzt schnürt sie einen Blumenkranz und krönt sich damit,
wenig sieht sie darin eine Vorahnung des Hochzeitsschicksals,
das für sie bereit steht. Selbst Pallas, die Göttin
der Trompeten und der Waffen des Krieges, widmet
den sanfteren Bestrebungen die Hand, mit der sie
das Heer der Schlacht überwindet und dicke Tore
und Stadtmauern nieder wirft. Sie legt ihren Speer ab
und krönt ihren Helm mit weichen Blumen, seltsame Aureole!
Die eiserne Spitze ist bunt, überschattet das heftige
kriegerische Glitzern, und die Federn nicken jetzt mit Blüten.
Auch Diana, die mit ihren scharf duftenden Hunden
den Berg Parthenius durchkämmt, verachtet
diese Gesellschaft, möchte aber ihre freifließenden
schwarzen Locken mit einer blumigen Krone binden.
Aber während die Jungfrauen sich so herumtreiben,
durch die Felder wandern, wird ein plötzliches Gebrüll gehört,
Türme brechen nieder und Städte, geschüttelt
zu ihren Grundlagen, wanken und fallen. Niemand weiß,
woher der Tumult kommt; Paphus' Göttin erkannte allein
den Klang, der ihre Gefährtinnen in Staunen versetzte,
und Angst, die mit Freude gemischt ist, füllt ihr Herz.
Fürs Erste streckte der König der Seelen seinen Weg
durch das düstere Labyrinth der Unterwelt und zermalmte
Enceladus, stöhnend unter der Last seiner massigen Rosse.
Seine Wagenräder durchtrennten die monströsen Glieder,
und der Riese kämpft, indem er neben Pluto
auf seinem belasteten Hals Sizilien trägt und kraftlose
Versuche macht, die Räder mit seinen müden Schlangen
zu bewegen und zu verwickeln; noch immer
über seinen lodernden Rücken geht der rauchende Wagen.
Und wie die Pioniere ihren ahnungslosen Feind hervorbringen
und auf einem kleinen Pfad unter den Grundmauern
des durchtunnelten Feldes unbemerkt hinter den
von Feinden befallenen Städten hindurchgehen,
um als siegreiche Partei in die Zitadelle der Untergetauchten
auszubrechen, der scheinbar von der Erde entsprungene Feind,
der dritte Sohn des Saturn, durchkämmt die hinterhältige
Dunkelheit, wohin auch immer sein Gespann ihn zieht,
alle begierig, unter dem Himmel seines Bruders
hervorzukommen. Keine Tür steht offen für ihn;
Felsen blockieren seinen Ausgang auf jeder Seite
und halten den Gott in seinem ausweglosen Gefängnis fest.
Er duldete nicht die Verzögerung, sondern schlug
zornig die Felsen mit seinem balkenartigen Stab.
Die Höhlen von Sizilien donnerten, die Insel Lipares
war verwirrt, Vulcanus verließ seine Schmiede voll Erstaunen
und die Zyklopen ließen ihre Blitze aus Angst fallen.
Die aufgestauten Bewohner der gefrorenen Alpen
hörten den Aufruhr und er, der auf deine Welle schwamm,
Vater Tiber, deine Brauen noch nicht mit der Krone
der italienischen Triumphe geschmückt; dort hörte er,
wer seine Barke den Fluss von Padus hinunter reißt.
Als der von Felsen umschlossene See, ehe des Peneus
Welle seewärts rollte, ganz Thessalien bedeckte
und nicht zuließ, dass seine untergetauchten Felder
bebaut wurden, schlug Neptun mit seinem Dreizack
den gefangenen Berg. Dann spaltete sich der Gipfel
des Ossa, gespalten vom mächtigen Strom,
vom verschneiten Olymp ab; eine Passage wurde gemacht
und die Wasser wurden freigegeben, wobei das Meer
seine nahrhaften Ströme zurück gewann
und der Landmann seine Felder, die fruchtbar waren.
Als Trinacria unter Plutos Schlägen ihre felsigen Fesseln löste
und mit einer höhlenartigen Spalte weit gähnte,
ergriff plötzliche Angst den Himmel. Die Sterne
verließen ihre gewohnten Bahnen; der Große Bär
badete im verbotenen Ozean; voll Terror eilte
schleppend Bootes zu seiner Einstellung; Orion zitterte.
Atlas wurde blass, als er das Wiehern hörte;
ihr rauchiger Atem verdunkelt den hellen Himmel,
und die Sonnenkugel haben sie so lange gedrängt,
bis sie von der Dunkelheit genährt ward. Sie standen da
und bückten sich an der Bordsteinkante, erstaunt
über die hellere Luft, und kämpften darum,
den Wagen umzudrehen und schnell weiter zu eilen,
um das Chaos zu fürchten. Aber bald, als sie die Peitsche
auf ihrem Rücken spürten und lernten, die Helligkeit
der Sonne zu ertragen, galoppieren sie schneller
als ein Winterbach und flotter als der rasende Speer;
schneller als der Pfeil des Parthers, die Wut des Südwinds
oder der flinke Gedanke an ängstliche Ereignisse.
Ihre Flanken sind warm von Blut, ihr Todeshauch steckt
die Luft an, der Staub ist mit ihrem Schaum vergiftet.
Die Nymphen fliehen in alle Richtungen davon;
Proserpina ist im Wagen davon geeilt und beschwört
die Hilfe der Göttinnen. Jetzt enthüllt Pallas den Kopf
der Gorgone, Diana spannt ihren Bogen und beeilt sich
zu helfen. Weder gibt sie der Gewalt ihres Onkels nach;
ihre Jungfräulichkeit zwingt sie zum Kampf
und setzt sie bei dem Verbrechen des scharfen Räubers ein.
Pluto ist wie ein Löwe, wenn er eine Kuh ergriffen hat,
den Stolz des Stalls und der Herde, und mit seinen Klauen
das wehrlose Fleisch zerrissen hat und seine Wut
an allen ihren Glieder gesättigt hat, und so steht alles
mit geronnenem Blut und mit Blut beworfen schüttelt er
seine Mähne und verachtet die schwache Wut der Hirten.
Herr der kraftlosen Toten, rief Pallas, der schlimmste
der Brüder, welche Furien haben dich mit ihren Stöcken
und verfluchten Fackeln erregt? Warum hast du
deinen Sitzplatz verlassen und wie kannst du die obere Welt
mit deinem höllischen Gespann verschmutzen?
Du hast die abscheulichen Flüche, die anderen
Gottheiten der Hölle, die schrecklichen Furien,
jede von ihnen wäre eine würdige Partnerin für dich.
Verlasse das Reich deines Bruders, geh aus dem einem
anderen Herrn zugeteilten Königreich. Geh fort;
lass dir deine eigene Nacht genügen. Warum mischst du
den schnellen Fuß mit den Toten? Warum träumst du
von unserer Welt, ein unwillkommener Besucher?
So rief sie mit ihrem drohenden Schild die Pferde,
die vorrückten und ihren Weg mit der Masse
ihres Angriffs versperrten, stieß sie mit dem zischenden
Schlangenhaar von Medusas Kopf zurück
und überschatte sie mit ihren ausgestreckten Federn.
Sie war bereit, ihre Asche zu werfen, deren Strahlkraft
Plutos schwarzen Wagen traf und erleuchtete.
Fast hätte sie sie geworfen, hätte nicht Jove
aus der Höhe des Himmels seinen roten Donnerkeil
auf friedliche Flügel geschleudert und seinen neuen
Sohn anerkannt; mitten in den zerrissenen Wolken
donnert der Hochzeitspäan und bestätigende
Feuer bestätigen die Vereinigung der Brautleute.
Alle, die nicht bereit waren, gaben nach, die Göttinnen,
und die weinende Diana legte ihre Waffen beiseite
und sprach: Lebewohl, ein langer Abschied;
vergiss uns nicht. Verehrung für unseren Vater
verbot unsere Hilfe, und gegen seinen Willen
können wir dich nicht verteidigen. Wir erkennen
die Niederlage durch eine Macht an, die größer ist
als unsere eigene. Der Vater hat sich gegen dich
verschworen und dich an den Bereich der Stille verraten,
nicht mehr, ach, siehst du dir die Schwestern
und Gefährtinnen an, die dich sehen wollen.
Welches Schicksal hat dich aus der Oberschicht abgelöst
und die Himmel zu so tiefer Trauer verurteilt?
Jetzt können wir uns nicht mehr freuen, den Parthenius
mit Netzen zu begehen, noch den Köcher zu tragen;
im Großen und Ganzen fängt er das Wildschwein
und den Löwen brüllend, ohne dass er es ihnen
sagen müsste. Du, Taygetus' Wappen, die Höhe
des Maenalus soll weinen, ihre Jagd beiseite gelegt.
Lange sollst du essen, an den steilen Hängen der Cynthia
weinen. Das Heiligtum meines Bruders in Delphi
wird nicht mehr sprechen, die Pythia verstummt.
Inzwischen wird Proserpina im geflügelten Wagen
weggetragen, ihr Haar strömt vor dem Wind,
sie schlägt ihre Klagelieder und ruft eitel Widerspruch
zu den Wolken hinan: Warum hast du nicht
auf mich geschleudert, Vater, von den Zyklopen
geschmiedete Blitze? War es dein Wille, deine Tochter
zu den grausamen Schatten zu bringen und sie für immer
von dieser Welt zu vertreiben? Bewegt dich Amor
überhaupt nicht? Hast du nichts von dem Gefühl
eines Vaters? Welche schlechte Tat von mir hat solchen Zorn
in dir erregt? Als Phlegra mit dem Wahnsinn des Krieges
tobte, trug ich keinen Widerstand gegen die Götter;
ich hatte keine Kraft von mir selbst, als der eisige
Ossa den gefrorenen Olymp unterstützte. Für welchen Versuch,
welches Verbrechen, für die Mittäterschaft mit welcher Schuld
bin ich in die Hölle des Abgrundes verbannt?
Glückliche Mädchen, die andere Räuber gestohlen haben;
sie genießen wenigstens das allgemeine Tageslicht,
während ich zusammen mit meiner Jungfräulichkeit
die Luft des Himmels verliere; von mir gestohlen ist
Unschuld und Tageslicht. Voll Bedürfnisse muss ich
diese Welt verlassen und eine gefangene Braut
weggeführt werden, um dem Tyrannen der Hölle zu dienen.
Ihr Blumen, die ich in so böser Stunde geliebt habe,
oh, warum habe ich die Warnung meiner Mutter verachtet?
Zu spät habe ich die List der Venus entdeckt. Mutter,
meine Mutter, ob in den Tälern des phrygischen Ida
die Panflöte über deine Ohren mit lydischen Tönen erklingt,
oder du bist auf den Dindymus-Gebirgen, heule
mit selbstverstümmelten Eunuchen-Priestern
der Großen Mutter, und siehe die nackten Schwerter
der Cureten, hilf mir in meiner bitteren Not;
frustriere Plutos wahnsinnige Wollust und halte
die gruseligen Zügel meines wütenden Rausches.
Ihre Worte und jene, die zu Tränen wurden,
meisterten dieses unhöfliche Herz, als Pluto zuerst lernte,
die Sehnsucht der Liebe zu fühlen. Die Tränen,
die er mit seinem trüben Umhang wegwischte,
beruhigten ihren traurigen Kummer mit diesen
beruhigenden Worten: Hör auf, Proserpina, dein Herz
mit düsteren Sorgen und grundloser Angst zu ärgern.
Ein stolzeres Zepter soll dein sein, du solltest nicht
die Ehe eingehen mit einem Mann, der deiner unwürdig ist.
Ich bin der Spross des Saturn, dem der Kosmos gehorcht,
dessen Macht sich durch die grenzenlose Leere erstreckt.
Denke nicht, du hättest das Licht des Tages verloren;
andere Sterne sind meine und andere Kurse;
in ein reineres Licht sollst du mit einem Ehemann eingehen,
der deiner würdig ist. Andere Sterne sind meine
und andere Kurse; ein reineres Licht wirst du sehen
und dich eher über Elysiums Sonne und ihre gesegneten
Bewohner wundern. Es gibt ein reicheres Zeitalter,
eine goldene Rasse hat ihre Heimat dort, und wir besitzen
für immer, was die Menschen nur einmal gewinnen.
Weiche Meder werden dir nicht fehlen, und immer
blühende Blumen, wie sie Henna nie hervorgebracht hat,
atmen sanfte Zephire. Es gibt außerdem einen kostbaren Baum
in den Laubwäldern, dessen geschwungene Äste
mit lebendem Erz glänzen, einen Baum, der dir geweiht ist.
Du sollst Königin des gesegneten Herbstes sein
und dich immer mit goldener Frucht bereichern.
Nein, mehr noch; was auch immer die klare Luft umarmt,
was auch immer die Erde nährt, die Salzmeere fegen,
die Flüsse rollen, oder die Sumpfländer füttern,
alle Lebewesen werden sie dir unterwerfen, alles,
sage ich, was unter der Kugel des Mondes ist,
der der siebte der Planeten ist und in seiner ätherischen
Reise die sterblichen von den unsterblichen Sternen trennt.
Zu deinen Füßen werden die Könige in Purpurkleidern
kommen, die ihrer Pracht entkleidet sind und sich
mit der ungesalbten Menge vermischen; denn der Tod
macht alle gleich. Du sollst den Schuldigen die Schuld geben
und den Tugendhaften ewige Ruhe geben.
Vor deinem Gerichtsthron müssen die Bösen
die Verbrechen ihres bösen Lebens bekennen.
Lethes Strom soll dir gehorchen und die Parzen
sollen deine Mägde sein. Dein Wille geschehe!
So spricht er auf seinen triumphierenden Rossen
und tritt in milderer Weise in den Tartarus ein.
Die Schirme versammeln sich, dicht wie die Blätter
der stürmische Südwind von den Bäumen herunter wirbelt,
dicht wie die Regenwolken, die er zermalmt, zahllos
wie die Wellen sich kräuseln oder der Sand am Ufer
des Meeres. Die Toten aller Zeiten drängen sich
mit dem Fuß, eine so berühmte Braut zu sehen.
Bald tritt Pluto selbst mit freudiger Miene ein
und unterwirft sich dem sanften Einfluss
des angenehmen Lachens, ganz anders als sein früheres Selbst.
Bei der Ankunft seines Herrn und seiner Geliebten
erhebt sich der riesige Phlegethon; sein borstiger Bart ist nass
von brennenden Bächen, und Flammen schießen über sein Gesicht.
Es ist bald das Paar zu begrüßen, das aus der Zahl
gewählt wurde. Einige legen den hohen Wagen weg,
nehmen die Gebisse aus den Mäulern der arbeitslosen Pferde
und bringen sie auf ihre gewohnten Weiden. Einige
halten die Vorhänge zurück, andere schmücken die Tür
mit Ästen und befestigen gehäkelte Behänge im Brautgemach.
In keuschen Gruppen drängen sich die Matronen von Elysium
zu ihrer Königin und verbannen mit süßem Geplauder
ihre Furcht; sie sammeln und flechten ihr zerzaustes Haar
und legen den Hochzeits-Schleier auf ihren Kopf,
um ihr beunruhigtes Erröten zu verbergen.
Freude füllt dieses graue Land, die begrabene Menge
hält ein hohes Fest, und die Geister tragen sie
am Hochzeitsfest. Die blumengekrönten Manen sitzen
zu einem freudigen Festmahl, und ein ungewohntes Lied
unterbricht die düstere Stille; alles Jammern ist totgeschwiegen.
Der Hölle Nebel zerstreut sich gerne und leidet
unter der Dunkelheit der alterslangen Nacht,
um weniger undurchdringlich zu werden. Minos‘ Urteilsurne
wirft keine zweideutigen Lose; das Geräusch von Schlägen
ist nicht zu hören, denn die Strafen werden unterbrochen.
Ixion wird nicht mehr gefoltert von dem sich ständig
drehenden Rad, an das er gebunden ist; von Tantalus‘ Lippen
ist das fliegende Wasser nicht mehr weggezogen.
Ixion wird befreit, Tantalus erreicht den Strom,
und Tityus richtet endlich seine riesigen Glieder auf
und deckt neun Morgen fauligen Boden auf, so groß
war seine Größe, und der Geier, der sich träge
in die dunkle Seite eingräbt, wird von seiner müden Brust
fort geschleppt gegen seinen Willen, klagend, dass nicht mehr
das verschlungene Fleisch für ihn erneuert wird.
Die Furien, vergessend Verbrechen und schrecklichem Zorn,
bereiten die Weinschüssel vor und trinken davon
in großen Mengen. Nun, mit sanftem Gesang
werden ihre Drohungen beiseite gelegt, sie strecken
ihre Schlangen zu den vollen Bechern und entzünden
die Festfackeln mit ungewöhnlicher Flamme.
Dann flogen die Vögel unverletzt über den nun lodernden
Strom des giftigen Avernus, und der Amsanktus-See
überprüfte seine tödlichen Ausdünstungen; der Bach
wurde zurückgehalten und der Strudel wurde still.
Sie sagen, dass da die Quellen von Acheron verändert
und mit neuer Milch gefüllt wurden, während der Cozytus,
von Efeu umrankt, in Strömen von süßem Wein floss.
Lachesis schnitt nicht den Faden des Lebens ab,
noch läutete Trauergesang den heiligen Gesang.
Der Tod ging nicht auf die Erde und keine Eltern weinten
neben dem Scheiterhaufen. Die Welle brachte
dem Seemann weder Zerstörung noch der Speer dem Krieger.
Städte blühten und kannten nicht den Tod, den Zerstörer.
Charon krönte seine ungekämmten Locken mit Segen,
und Gesang packte seine schwerelosen Ruder.
Und nun hatte sein eigener Abendstern auf die Unterwelt
geglänzt. Das Mädchen wird in die Brautkammer geführt.
Die Nacht in sternenklaren Gewändern steht ihr
als ihre Brautfrau zur Seite; sie berührt das Bett
und segnet die Ehe mit einer Bindung, die nicht gebrochen
werden darf. Die gesegneten Schatten erheben ihre Stimmen
und unter dem Palastdach von Dis, so ist ihr Lied
mit schlaflosem Beifall: Proserpina, Königin unseres Reiches,
und du, Pluto, der Bruder und der Schwiegersohn von Jove,
dem Donnerer! Sei es die Verbindung des verbundenen
Beischlafs; versprecht die gegenseitige Treue,
wie ihr einander in den ineinander verschlungenen Armen
haltet. Glücklicher Nachwuchs soll euer sein;
die fröhliche Mutter Natur erwartet Götter,
die noch geboren werden. Gebt der Welt eine neue
Göttlichkeit und Ceres Enkelkinder, nach denen sie sich sehnt.
Unterdessen bittet Jove die wolkenumgürtete Iris,
die Götter aus dem ganzen Universum zu sammeln.
Sie übertrifft die Brise in ihrem Regenbogenflug,
ruft zu den Meeresgottheiten, tadelt die Nymphen
für ihre Verspätung und ruft aus ihren feuchten Höhlen
nach den Flussgöttern. Sie eilen in Zweifel und fürchten,
was diese Störung ihres Friedens bedeuten könnte
oder was einen so großen Umbruch verursacht hat.
Der Sternenhimmel wird geöffnet und die Götter
werden aufgefordert, Platz zu nehmen nach Verdienst,
nicht nach Zufall. Die ersten Stellen werden
den himmlischen Mächten zugesprochen, als nächstes
kommen die Ozeangottheiten, der ruhige Nereus
und der grauhaarige Phorcus, der letzte
der doppelgestaltige Glaucus und Proteus,
für diesmal in unveränderlicher Form. Auch die alten
Flussgötter dürfen ihre Plätze einnehmen; die anderen
tausend mal tausend starken Flüsse stehen für die Jugend
einer irdischen Versammlung. Tropfende Wassernymphen
lehnen sich an ihre feuchten Bullen und Faune schweigen
über die Sterne, die teilnahmslos schön sind.
Dann begann der ernste Vater von seinem Sitz
auf dem hohem Olymp so: Noch einmal haben sich
die Angelegenheiten der Menschen mich gekümmert,
Angelegenheiten, die seit dem Blick auf die Ruhe
der Regierung von Saturn lang vernachlässigt sind
und die Verstocktheit dieses stagnierenden Zeitalters kannten,
als ich die Menschenrasse, die durch die träge Herrschaft
meines Vaters lange Zeit in Lethargie versunken war,
mit den Ängsten des ängstlichen Lebens bedrängt hatte,
wobei ihre Feldfrüchte in den unbebauten Feldern
und noch im Wald nicht mehr zur Reife heranreifen wollten,
Bäume nicht träufeln mit Honig, Wein fließt nicht
aus den Quellen, noch strömt jeder Bach in die Becher.
Nicht, dass ich ihnen den Segen missgönnte, Götter
mögen nicht beneiden oder verletzen, sondern weil
der Luxus ein Feind für ein gottesfürchtiges Leben ist,
und vieles lindert die Gedanken der Menschen;
deshalb bat ich die Not, die Mutter der Erfindung,
provozierte ihren trägen Geist und suchte nach und nach
nach den verborgenen Spuren der Dinge;
die Industrie gebiert die Zivilisation, die Praxis nährt sie.
Jove fuhr fort: Die Natur, die sich jetzt unaufhörlich
beschwert, bittet mich für die menschliche Rasse,
nennt mich einen grausamen und unversöhnlichen Tyrannen,
erinnert mich an die Jahrhunderte meines Vaters
und beschimpft mich mit ihrem Reichtum, denn ich hätte
die Welt zur Wildnis gemacht und das Land
mit Gestrüpp bedeckt und würde das Jahr ohne Früchte lassen.
Sie beschwerte sich darüber, dass sie, die einst die Mutter
der Lebewesen gewesen war, plötzlich die verhasste Maske
einer Stiefmutter angenommen hatte. Welchen Nutzen
hat dieser Mensch von oben her für seine Intelligenz
gewonnen, dass er seinen Kopf zum Himmel erhoben hat,
wenn er wie Tiere durch weglose Orte wandert,
wenn er mit ihnen Eicheln zum Essen zermalmt?
Kann ein solches Leben ihm Glück bringen, verborgen
in den Waldlichtungen, ununterscheidbar vom Leben
der Tiere? Da ich so oft solche Beschwerden
von den Lippen der Mutter Natur ertrug, erbarmte ich mich
endlich der Welt und entschloss mich, den Menschen
von seinem Eichenbaumessen abzuhalten; darum habe ich
angeordnet, dass Ceres, die jetzt, unwissend
über ihren Verlust, die Löwen des Berges Ida,
ihre schreckliche Mutter begleitend, in ängstlichem Kummer
über Meer und Land wandern lässt, bis, zu ihrer Freude,
die Spuren ihrer verlorenen Tochter zu finden,
sie gewährt dem Menschen die Gabe des Kornes,
und ihr Wagen wird durch die Wolken getragen,
um sich unter den Ohren der Völker vor dem Unbekannten
zu zerstreuen, und die stahlblauen Schlangen unterwerfen sie
dem attischen Joch. Aber wenn einer der Götter es wagt,
Ceres über den Räuber zu unterrichten, schwöre ich
bei der Unermesslichkeit meines Reiches, bei dem festen
Frieden in der Welt, sei er Sohn oder Schwester,
Gatte oder eine meiner Töchter, beschimpfend ihre Geburt
wie mit meinem eigenen Kopf, dieser soll den Zorn
meiner Arme, den Schlag des Donnerschlages fern fühlen,
und bedauern, dass er als ein Gott geboren wurde
und um den Tod beten. Dann wird er, wund verwundet,
meinem Schwiegersohn, Pluto selbst, zur Strafe
in jenen Gegenden übergeben werden, die er verraten wollte.
Dort soll er erfahren, ob die Hölle der Sache ihres Monarchen
treu ist. So ist mein Wille; also lasst die unveränderlichen
Parzen mein Gebot erfüllen. Er sprachs und schüttelte
die Sterne mit seinem schrecklichen Nicken.
Aber weit entfernt von Sizilien beunruhigte
kein Zweifel über den Verlust, den sie erlitten hatte, Ceres,
wo sie lange friedlich und sicher unter dem felsigen Dach
der klingenden Höhle gewohnt hatte. Träume verdoppelten
ihre Angst und eine Vision von Proserpina vertrieb
ihren Schlaf. Jetzt träumt sie, dass der Speer eines Feindes
ihren Körper durchbohrt, jetzt, oh Entsetzen,
dass ihre Kleidung sich verändert hat und schwarz
geworden ist, jetzt, dass die infektiöse Asche
mitten in ihrem Haus knospet. Außen stand ein Lorbeer,
der vor allem den Hain liebte, der mit jungfräulichem Laub
die jungfräuliche Laube von Proserpina überschattete.
Diesen sah sie bis auf die Wurzeln umgehauen,
die verstreuten Äste mit Staub verschmutzt,
und als sie nach der Ursache dieser Katastrophe fragte,
sagten die weinenden Dryaden ihr, dass die Furien ihn
mit einer Axt der unteren Hölle zerstört hätten.
Als nächstes erschien ihr Ebenbild in den Träumen
der Mutter und kündigte auf unzweifelhafte Weise
ihr Schicksal an. Sie sah Proserpina in den dunklen Grenzen
eines Gefängnishauses eingeschlossen und mit grausamen
Ketten gebunden. Doch nicht so hatte sie sie
den Feldern Siziliens vertraut, nicht so, als hätten
die wundersamen Göttinnen sie in Ätnas Blumenwiesen
gesehen. Grau war jetzt dieses Haar, schöner früher als Gold;
die Nacht hatte das Feuer in ihren Augen gedämpft,
und der Frost verbannte die Rosen von ihren blassen Wangen.
Die anmutige Röte ihrer Haut und jener Glieder,
deren Weiße dem Raureif entsprach, werden gleichfalls
in höllisch-tinktiertes Korn verwandelt. Als sie nun
endlich ihre Tochter erkennen konnte, wenn auch
mit zweifelhaftem Blick, rief sie: Welches Verbrechen
hat diese vielen Strafen verdient? Woher kommt diese
schreckliche Verschwendung? Wer hat Macht,
solche Grausamkeit auf mich zu richten? Wie haben
deine weichen Arme Fesseln aus hartnäckigem Eisen verdient,
die nur für Bestien geeignet sind? Bist du
meine Tochter oder täuscht mich ein eitler Schatten?
So antwortete sie: Grausame Mutter, vergessend
des Schicksals deiner Tochter, schwerer von Herzen
als die gelbbraune Löwin! Könntest du so unachtsam sein?
Hast du mich dafür billig gehalten, dass ich bin
deine einzige Tochter? Liebe, was ist dir der Name
der Proserpina, die jetzt in dieser gewaltigen Höhle,
wie du siehst, von Qual geplagt ist! Hast du Lust zu tanzen,
grausame Mutter? Kannst du durch die Städte
von Phrygien schwelgen? Wenn du die Mutterliebe
nicht von deinem Busen verbannt hast, wenn du, Ceres,
wirklich meine Mutter bist und kein hyrkanischer Tiger
mich geboren hat, rette mich, ich bitte dich,
aus diesem Gefängnis und bringe mich in die obere
Welt zurück. Wenn die Parzen meine Rückkehr verbieten,
dann komm wenigstens zu mir und besuche mich.
So sprach sie und bemühte sich, ihre zitternden
Hände zu halten. Die rücksichtslose Kraft des Eisens
verbot es, und der Klang der Ketten erweckte
ihre schlafende Mutter. Ceres, steif vor Entsetzen
über die Vision, freut sich, dass es nicht wahr ist,
trauert aber, dass sie ihre Tochter nicht umarmen kann.
Voller Angst stürzt sie aus der Höhle und spricht Cybele an:
Ich werde nicht länger im Land Phrygien verweilen,
heilige Mutter; die Pflicht, meine liebe Tochter zu beschützen,
ruft mich nach so langer Abwesenheit zurück,
denn sie lebt in einer Zeit, die vielen Gefahren
ausgesetzt ist. Ich vertraue meinem Palast
nicht vollständig, obwohl er mit Eisen
aus dem Zyklopenofen gebaut wurde. Ich befürchte,
dass Gerüchte ihr Versteck verraten und Sizilien
zu leicht mein Vertrauen missbraucht. Der Ruhm
dieses Ortes, der im Ausland ausgebrochen ist,
alarmiert mich; für meine Bedürfnisse muss ich
woanders einen besseren Wohnsitz finden.
Unser Gespräch muss wegen des Lärms von Enceladus
und der Nachbarflammen in allen Menschensprachen sein.
Auch illusionäre Träume mit verschiedenen Visionen
lassen mich oft innehalten, und kein Tag vergeht,
sondern er bringt etwas Unglückliches. Wie oft
ist meine Krone aus goldenen Ähren von selbst abgefallen!
Wie oft ist Blut aus meinen Brüsten geflossen!
Meine eigenen Tränenströmen laufen mir die Wangen entlang
und ungebeten schlagen meine Hände meine erstaunten Brüste.
Würde ich die Flöte in die Luft jagen, ist die Note
todtraurig; schüttele ich die Becken, die Zimbeln,
so hallt der Klang der Trauer wider. Ach! Ich fürchte,
es gibt Ärger in diesen Vorzeichen. Dieser lange
Aufenthalt hat meinem Herzen bitteres Weh gemacht.
Möge der Wind deine vergeblichen Worte weit weg tragen,
antwortet Kybele, es gibt so viel Sorgfalt des Donnerers,
dass er seinen Riegel in der Verteidigung seiner Tochter
schleudern würde. Doch geh und kehre zurück,
bestürzt von nichts Bösem. Dich trifft kein Unheil.
Dies sagte sie, und Ceres verließ den Tempel;
aber keine Geschwindigkeit ist genug für ihre Eile;
sie beklagt sich darüber, dass sich ihre trägen Drachen
kaum bewegen, und nun, da sie jetzt die Flügel
dieser und jener, obwohl sie es wenig verdienen, peitscht,
hofft sie, dass sie Sizilien noch außer Sichtweite
des Ida erreichen kann. Sie fürchtet alles und hofft nichts,
ängstlich wie der Vogel, der seine unausgereifte Brut
einer niedrig wachsenden Esche anvertraut hat
und abwesend Nahrung sammelt, viele Ängste hat,
dass der Wind das zerbrechliche Nest
nicht vom Baum geweht hat, damit seine Jungen
nicht ausgesetzt werden zum Diebstahl
von Menschen oder der Gier von Schlangen.
Als sie sah, wie die Torwächter geflohen, das Haus unbewacht,
die verrosteten Angeln, die gestürzten Türpfosten
und den elenden Zustand der stillen Gänge, blieb sie stehen,
um das Desaster nicht noch einmal zu betrachten,
sie zerriss ihr Gewand und riss die zerschmetterte
Kornähren zusammen aus ihren Haaren. Sie konnte
weder weinen noch sprechen noch atmen, und ein Zittern
erschütterte das Mark ihrer Knochen. Ihre stockenden Schritte
wackelten. Sie schleuderte die Türen auf und wanderte
durch die leeren Räume und verlassenen Hallen,
erkannte die halb zerstörte Kette mit ihren ungeordneten Fäden
und die abgebrochene Arbeit des Webstuhls. Die Arbeit
der Göttin war zu nichts gekommen, und was noch
getan werden musste, war, dass die kühne Spinne
mit ihrem sakrilegischen Netz es beendete.
Sie weint nicht und beklagt die Übel nicht; nur küsst sie
den Webstuhl und erstickt ihre stummen Klagen
inmitten der Fäden, die sich an ihren Busen schmiegen,
als wären sie ihr Kind, die Spindeln, die die Hand
ihres Kindes berührt hatte, die Wolle, die sie beiseite
geworfen hatte, und all die Spielzeuge, die im Jungfraunspiel
verstreut waren. Sie schaut das jungfräuliche Bett,
die verlassene Couch und den Stuhl, auf dem Proserpina
gesessen hatte: wie eine Herde, die der unerwartete Zorn
eines afrikanischen Löwen oder einer Bande
marodierender Bestien angriff, hat er den verlassenen Stall
in Erstaunen versetzt und zu spät kommt der Hirte zurück,
wandert durch die leeren Weiden und ruft traurig
nach den unversöhnlichen Ochsen, den sturen.
Und dort, in den innersten Teilen des Hauses liegend,
sah sie Electra, die liebende Amme von Proserpina,
am besten bekannt unter den alten Nymphen des Ozeans;
sie, die Proserpina liebte wie Ceres. Sie, die, als Proserpina
ihre Wiege verlassen hatte, sie an ihrem liebenden Busen
getragen und das kleine Mädchen zum mächtigen
Jove gebracht und sie auf dem Knie ihres Vaters
spielen ließ. Sie war ihre Begleiterin, ihr Vormund,
und konnte als ihre wahre Mutter angesehen werden.
Dort, mit zerrissenen und zerzausten Haaren,
die allesamt mit grauem Staub verschmiert waren,
klagte sie über den Raub ihres göttlichen Pflegekindes.
Ceres näherte sich ihr, als endlich ihr Kummer
ihrem Seufzen freien Lauf ließ, sagte sie: Welcher Ruin ist hier?
Von welchem Feind werde ich das Opfer? Herrscht
mein Ehemann noch oder halten die Titanen den Himmel?
Welche Hand hat das gewagt, wenn der Donnerer noch lebt?
Hat Typhon die Schultern hochgezogen oder läuft
Alcyoneus zu Fuß durch das Etruskische Meer,
nachdem er die Fesseln des Vesuvs gesprengt hat?
Oder hat der benachbarte Ätna seine Kiefern gegraben
und Enceladus vertrieben? Vielleicht hat Briareus
mit seinen hundert Armen mein Haus angegriffen?
Ach, meine Tochter, wo bist du jetzt? Wohin flohen
meine tausend Diener, wohin Cyane? Welche Gewalt
hat die geflügelten Sirenen vertrieben? Ist das dein Glaube?
Ist das der Weg, um den Schatz eines anderen zu schützen?
Die Schwester zitterte und ihre Sorge gab der Schande Platz;
wäre sie gestorben, hätte sie dem Blick dieser unglücklichen
Mutter so entgehen können, und lange blieb sie
bewegungslos stehen und zögerte, den mutmaßlichen
Verbrecher und den allzu sicheren Tod preiszugeben.
So knapp konnte sie sprechen: Hätte die wütende Bande
der Riesen diese Ruine gemacht! Einfacher zu tragen
ist eine gemeinsame Menge. Es sind die Göttinnen,
und, obwohl du es selten genug wolltest, deine eigenen
Schwestern, die sich zu unserem Verderben
verschworen haben. Du siehst die Geräte der Götter
und die Wunden, die durch die Eifersucht der Schwestern
zugefügt wurden. Der Himmel ist ein grausamerer Feind
als die Hölle, denn die Liebe der Götter ist grausam.
Still war das Haus, das Mädchen wagte es nicht,
über die Schwelle zu treten, noch die grasbewachsenen
Weiden zu besuchen, dicht an deine Befehle gebunden.
Der Webstuhl gab ihr Arbeit, die Sirenen mit ihren Liedern
Entspannung, bei mir unterhielt sie angenehme Unterhaltung,
bei mir schlief sie; sichere Freuden waren ihre
in den Hallen. Dann kam plötzlich Cytherea,
wer ihr den Weg zu unserer versteckten Bleibe zeigte,
ich weiß es nicht, und damit sie unseren Verdacht
nicht weckte, brachte sie Diana und Minerva mit,
die sie auf beiden Seiten betreuten. Mit strahlendem
Lächeln setzte sie einen freudigen Schein auf,
küsste Proserpina oft und wiederholte den Namen
der Schwester und beschwerte sich über diese
hartherzige Mutter, die sich entschloss, diese Schönheit
zur Gefangenschaft zu verurteilen und sich damit
zu beschweren, dass sie ihren Umgang
mit den Göttinnen verbiete, sie hätte sie weit weg
vom Himmel ihres Vaters entfernt. Meine unwissende
Anklage freute sich über diese bösen Worte
und ließ ein Fest mit reichlich Nektar ausbreiten.
Jetzt zieht sie Dianas Waffen und Kleid an und versucht,
sich mit ihren weichen Fingern zu verbeugen.
Jetzt, da sie von Pferdehaaren gekrönt ist, zieht sie
den Helm an, Minerva empfiehlt sie und sie strebt danach,
ihren riesigen Schild mit der schrecklichen Fratze zu tragen.
Venus war die erste mit einem arglosen Vorschlag,
die Felder und das Tal von Henna zu erwähnen.
Schlau horcht sie auf die Nähe des blumigen Honigweins,
und als ob sie es nicht wüsste, fragt sie,
was den Platz rühmt, indem sie vorgibt, nicht zu glauben,
dass ein harmloser Winter die Rosen blühen lässt,
dass die kalten Monate mit Blumen nicht richtig leuchten
und dass die Frühlingsdickichte noch dort den Zorn fürchten.
Mit ihrem Erstaunen, ihrer Leidenschaft,
die Stelle zu sehen, überzeugt sie Proserpina.
Ach! Wie leicht irrt die Jugend auf ihren schwachen Wegen!
Welche Tränen habe ich nicht zwecklos verschüttet,
was für eifriges Flehen haben meine Lippen
nicht ausgesprochen! Sie floh und vertraute dem Schutz
der Schwestern. Die zerstreute Gesellschaft
von begleitenden nackten Nymphen folgte ihr.
Sie gingen zu den mit unbändigem Gras bekleideten Hügeln
und sammelten Blumen in der Dämmerung,
als die stillen Matten weiß sind vom Tau und Veilchen
die vereinzelte Feuchtigkeit trinken. Aber als die Sonne
am Mittag zur höheren Luft gestiegen war, siehe,
die dunkle Nacht verbarg den Himmel, und die Insel
bebte und zitterte unter dem Hufschlag der Pferde
und dem Rumpeln der Räder. Wer der Wagenlenker war,
konnte niemand sagen, ob er der Vorbote des Todes
oder der Tod selbst war. Düsterkeit breitete sich
auf den Wiesen aus, die Flüsse blieben auf ihren Bahnen,
die Felder waren verpestet, nichts lebte, das einmal
vom Atem dieser Pferde berührt worden war.
Ich sah die Nelken blass, die Rosen verblassen,
die Lilien verdorren. In seinem brüllenden Kurs
drehte der Fahrer seine Rosse in die Nacht zurück,
die er mit dem Wagen mitbrachte, und das Licht
wurde in die Welt zurückgebracht. Proserpina
war nirgendwo zu sehen. Ihre Gelübde war erfüllt,
die Göttinnen waren zurückgekehrt und blieben nicht länger.
Wir fanden Cyane halb tot inmitten der Felder;
da lag sie, eine Girlande um ihren Hals und die geschwärzten
Kränze verblassten auf ihrer Stirn. Sofort näherten wir uns ihr
und erkundigten uns nach dem Vermögen ihrer Herrin,
denn sie war Zeuge der Katastrophe gewesen.
Was wir gefragt haben, war der Aspekt der Pferde;
wer ist ihr Fahrer? Nichts sagte sie, aber verdorben
von irgendeinem versteckten Gift, aufgelöst in Wasser.
Wasser kroch in ihr Haar; Beine und Arme schmolzen
und flossen weg, und bald wusch ein klarer Bach unsere Füße.
Der Rest ist weg; die Sirenen, Achelous' Töchter,
die sich auf dem schnellen Flügel erhoben, haben
die Küste des sizilianischen Pelorus besetzt
und im Zorn über dieses Verbrechen nun ihre Leiern
dem menschlichen Untergang zugewandt,
der nun melancholisch ist. Ihre süßen Stimmen
bleiben den Schiffen hörbar, aber sobald dieses Lied
gehört wird, können sich die Ruder nicht mehr bewegen.
Ich bin allein im Haus, um ein altes Zeitalter
der Trauer hinaus zu scheuchen. Weg, du Melancholie!
Ceres ist immer noch eine Beute der Angst; halb verstört
fürchtet sie alles, als ob alles noch nicht vollbracht wäre.
Sie dreht ihren Kopf und ihre Augen zum Himmel
und rast mit wütender Brust gegen seine Bewohner;
so wie der hohe Niphates vor dem Gebrüll
der Hyrkanischen Tigerin wütet, deren Junges
der erschrockene Reiter zu den Spielsachen
des persischen Königs getragen hat. Schneller
als der Westwind, der ihr Liebhaber ist, eilt die Tigerin,
Wut in ihren Streifen, aber gerade als sie
den verängstigten Jäger in ihrem geräumigen Maul
verschlingen will, wird sie von dem Spiegelbild
ihrer eigenen Gestalt erschreckt und kontrolliert.
So wütet die Mutter von Proserpina über den ganzen Olymp
und schreit: Gib sie zurück; kein wandernder Strom
gab mir die Geburt; ich entspringe nicht
dem Dryaden-Gesindel. Die Große Mutter Cybele
gebar mich dem Saturn! Wo sind die heiligen
Handlungen der Götter, wo die Gesetze des Himmels?
Wer fängt an, ein gutes Leben zu führen? Siehe, Cytherea
wagt ihr Gesicht (bescheidene Göttin!) selbst
nach ihrem Lemnischen Schmied! Der keusche Schlaf
und eine trostlose Couch haben ihr diesen Mut gegeben!
Das ist, denke ich, die Belohnung jener jungfräulichen
Umarmungen! Kein Wunder, dass sie nach so einer Schande
nichts Schändliches beichtet. Ihr Göttinnen,
die keine Ehe gekannt haben, ist es also, dass ihr
die Ehre wegen der Jungfräulichkeit vernachlässigt?
Habt ihr euren Rat so geändert? Geht ihr jetzt mit Venus
und ihren Komplizenräubern verbündet? Jede von euch
ist es wert, in skythischen Tempeln und Altären,
die nach menschlichem Blut verlangen, verehrt zu werden.
Was hat solch großen Zorn verursacht? Welcher von euch
hat meine Proserpina in ihrem kleinsten Wort
Unrecht getan? Zweifellos hat sie dich, die Göttin
der Delier, von ihnen getrieben, weil sie die Wälder liebten,
oder dich, Triton-geborene, eines Kampfes beraubt.
Hat sie dich mit Reden geplagt? Unhöflich, deine Tänze
zu unterbrechen? Nein, damit sie dir nicht zur Last fiel,
wohnte sie weit weg in den Einöden Siziliens.
Was hat ihre Ruhe getan? Kein Frieden
kann den Wahnsinn bitterer Eifersucht stillen.
So tadelt sie sie alle. Aber sie gehorchen dem Wort
des Vaters, schweigen oder sagen, sie wissen nichts
und machen Tränen zu ihrer Antwort auf die Fragen
der Mutter. Was kann sie tun? Sie hört auf, schlägt
und steigt zum demütigen Flehen. Wenn die Liebe
einer Mutter zu stark anschwoll oder wenn ich
etwas Kühneres getan habe, als es dem Elend entspricht,
dann vergib! Ein Flehen und Elend schleudere ich mich
zu deinen Füßen; gewähre mir, mein Schicksal
zu ertragen; gewähre mir wenigstens so viel
sichere Kenntnis meiner Leiden. Feig würde ich
die Art dieser Krankheit wissen; wie viel Glück
du auch immer an mir haben magst, dass ich es ertragen
und Rechenschaft darüber ablegen werde,
nicht mit Unrecht. Gewähre einer Mutter den Anblick
ihres Kindes; ich bitte sie nicht zurück. Wer auch immer
du bist, besitze in Frieden, was deine Hand genommen hat.
Die Beute ist deine, fürchte dich nicht. Aber wenn
der Verräter mich vereitelt hat, dich durch irgendeinen
Schwur bindend, so sollst du wenigstens Latona
seinen Namen nennen; von dir hat Diana ihr Wissen.
Du hast Geburt, Angst und Liebe für Kinder gekannt;
deine Nachkommen hast du geboren; das war
mein einziges Kind. Mögest du immer die Locken Apollos
genießen, damit du eine glücklichere Mutter lebst als ich.
Reiche Tränen bedeckten dann ihre Backen. Sie fuhr fort:
Warum diese Tränen? Warum diese Stille? Wehe mir!
Alle verlassen mich! Warum versuchst du nichts?
Siehst du nicht den Krieg mit dem Himmel? Wäre es
nicht besser, deine Tochter auf See und Land zu suchen?
Ich werde mich umgürten und die Welt durchkämmen,
unermüdlich werde ich jede Ecke durchdringen,
auf meiner Erde bleiben, mich nicht ausruhen
oder schlafen, bis ich meinen verlorenen Schatz finde,
ob sie im Spanischen Ozeanbett liegt oder in den Tiefen
des Roten Meeres. Weder der eisige Rhein
noch alpiner Frost sollen mich aufhalten; die verräterischen
Gezeiten der Syrten sollen mir keine Pause machen.
Mein Ziel ist es, die Echtheiten des Südens zu durchdringen
und das verschneite Haus von Boreas zu betreten.
Ich werde den Atlas am Rande des Sonnenuntergangs
besteigen und den Strom von Hydaspes
mit meinen Fackeln erleuchten. Lasst den bösen Jupiter
sehen, wie ich durch Städte und Länder wandere,
und Junos Eifersucht wird mit dem Untergang
ihrer Rivalin gesättigt. Habt euren Spaß mit mir,
triumphiert im Himmel, stolze Götter, zelebriert
euren erlauchten Sieg über der Ceres eroberte Tochter.
So sprach sie und gleitet auf Ätnas vertrauten Abhängen hinab,
um Fackeln zu machen, um ihren Wanderarbeiten zu helfen.
Es war ein Wald, hart am Acis-Bach, den die schöne
Galatea häufig vor dem Ozean auswählt und im Schwimmen
mit ihren verschneiten Brüsten spaltet, ein Wald
dicht mit Laub, der sich auf allen Seiten des Ätnas
mit ineinander verwobenen Zweigen schließt.
Dort soll Jove seinen blutigen Schild abgelegt
und seine erbeutete Beute nach der Schlacht
hingelegt haben. Der Hain glänzt von Trophäen
aus der Ebene von Phlegra und Zeichen des Sieges
kleiden jeden Baum. Hier hängen die klaffenden Rachen
und monströsen Häute der Riesen; an den Bäumen
befestigt, drohen ihre Gesichter noch immer furchtbar,
und auf allen Seiten häufen sich die riesigen Knochen
geschlachteter Drachen. Ihre steif werdenden
Schuppen rauchen vom Schlag vieler Donnerkeile,
und jeder Baum rühmt sich eines erlauchten Namens.
Dieser Spärliche stützt auf seinen nach unten gebogenen
Zweigen die nackten Schwerter des hunderthändigen
Aegaeon; jener glüht von den dunklen Trophäen
von Coeus; ein dritter trägt die Waffen von Mimas;
der verwöhnte Ophion wiegt diese Zweige.
Aber höher als alle anderen Bäume ragt eine Fichte empor,
ihre schattigen Zweige breiten sich weit aus
und tragen die stinkenden Waffen von Enceladus selbst,
des mächtigen Königs der von der Erde getragenen Riesen;
sie wäre unter der schweren Last gefallen, hätte nicht
eine benachbarte Eiche ihr ermüdetes Gewicht getragen.
Daher weht der Ort Ehrfurcht und Heiligkeit;
niemand berührt den alten Hain, und es ist ein Verbrechen,
die Trophäen der Götter zu verletzen. Kein Zyklop wagt es,
dort seine Herde zu weiden oder die Bäume zu fällen,
Polyphem selbst flieht aus dem heiligen Schatten.
Ceres blieb darum nicht stehen. Die Heiligkeit des Ortes
entfacht ihren Zorn; mit zorniger Hand schwingt sie
ihre Axt, bereit, Jove selbst zu schlagen. Sie zögert,
Fichten zu fällen oder niedrige knotenlose Zedern
umzulegen, sucht wahrscheinliche Stämme
und hohe Bäume ab und schüttelt ihre Zweige
mit kräftiger Hand. Selbst wenn ein Mann, der Waren
über ferne Meere tragen will, ein Schiff
auf trockenem Land baut und bereit ist, sein Leben
dem Sturm auszusetzen, schlägt er Buchen und Erlen
und markiert die mannigfaltige Nützlichkeit
des noch wachsenden Waldes; der erhabene Baum,
den er für das schwellende Segel auswählt; den Starken
bevorzugt er als Mast; der Weichling wird gute Ruder
machen; der Wasserdichte ist für den Kiel geeignet.
Zwei Zypressen im Gras hoben ihre unverletzten Köpfe
zum Himmel auf; der Simois sieht in den Felsen
von Ida nicht so verwundert aus, und auch der Orontes
bewässert nicht, der Orontes, der Apollos Hain füttert
und reiche Städte an seinen Ufern birgt. Du würdest sie
als Schwestern erkennen, denn sie sind gleich groß
und blicken auf den Wald mit den Zwillingsspitzen.
Diese würde sie als ihre Fackeln haben; sie attackiert sie
mit kräftigen Schlägen, ihr Kleid ist zurückgeschlagen,
ihre Arme sind mit der Axt gefesselt und bewaffnet.
Zuerst schlägt sie, dann die andere, und regnen mit Macht
und Hauptschlägen auf ihre zitternden Stämme.
Zusammen stürzen sie zu Boden, legen ihr Laub in den Staub
und liegen auf der Ebene, schreien von Faunen
und Waldnymphen. Sie ergreift beide so, wie sie sind,
hebt sie an und klettert mit hinter ihr ausströmendem Haar
keuchend an den Hängen des Berges hinauf,
geht über die Flammen und unzugänglichen Abgründe hinaus
und tritt die Lava, die keinen tödlichen Schritt bläst:
wie die grimmige Megära beeilt sich, Eiben anzuzünden,
um sie zum Verbrechen zu bringen, beschleunigt
ihre Reise zu den Mauern der Stadt von Cadmus
oder bedeutet, ihre Teufelei im Thyestischen Mycenae
zu wirken; die Dunkelheit und die Schatten geben ihr
den Weg frei, und die Hölle läutet auf ihren eisernen Lauf,
bis sie neben des Phlegethon Wellen stehenbleibt
und ihre Fackel aus ihren vollen Wellen abfeuert.
Als sie zur Mündung des brennenden Felsen gerade
gestiegen war, ihren Kopf beiseite schiebend, stieß sie
die Zypressen in die innersten Tiefen, so in die Höhle
auf allen Seiten verschließend und den lodernden
Ausgang der Flammen stoppend. Der Berg donnert
mit unterdrücktem Feuer und der Vulkan ist
in einem schweren Gefängnis eingeschlossen;
der eingeschlossene Rauch kann nicht entweichen.
Die kegeltragenden Spitzen der Zypressen blasen
und der Ätna wächst mit neuer Asche; die Zweige knistern,
mit Schwefel angezündet. Dann, damit ihre lange Reise
sie nicht zum Scheitern bringen sollte, sagt sie,
die Flammen würden niemals sterben, noch schlafen,
und den Wald mit dieser geheimen Droge durchnässend,
womit Phaëthon seine Rosse und Luna ihre Stiere benetzt.
Die stille Nacht hatte jetzt ihrerseits ihr Geschenk
des Schlafes auf die Welt gesandt. Ceres beginnt
mit ihren verletzten Brüsten mit ihrer langen Reise
und spricht, als sie sich aufmacht, wie folgt:
Ich habe nicht geglaubt, Proserpina, solche Fackeln
wie diese zu tragen. Ich hatte gehofft, was jede Mutter hofft;
auf Heirat und festliche Fackeln und ein Hochzeitslied
im Himmel... so war meine Erwartung. Sind wir
Gottheiten also das Spiel des Schicksals? Lächelt
Lachesis mit ihrer Milz auf uns wie auf die Menschheit?
Wie erhaben war aber jetzt mein Gut, umgeben
von unzähligen Freiern um die Hand meiner Tochter!
Wie für eine Mutter vieler Kinder, aber wegen meiner
einzigen Tochter hätte sie meine minderwertige
sein können? Du warst meine erste Freude
und meine letzte; ich wurde fruchtbar genannt,
weil ich dich geboren habe. Du mein Ruhm, mein Trost,
du liebes Objekt des Stolzes einer Mutter; mit dir
lebendig war ich tatsächlich Göttin, mit dir war ich
sicher Juno gleich. Jetzt bin ich eine Ausgestoßene,
bettelnd. Es ist der Wille des Vaters. Warum aber
macht Jove dich für meine Tränen verantwortlich?
Ich, die ich dich so grausam geboren habe, ich gestehe es,
denn ich habe dich verlassen und dich unbedacht
den bedrohlichen Feinden ausgesetzt. Zu tief
war ich in unvorsichtigen Genuss von schrillen
Stimmungen verstrickt, und, glücklich unter dem Lärm
der Waffen, ich Phrygische Löwin, während du
weggetragen wurdest. Siehe doch die Bestrafung,
die über mich gekommen ist. Mein Gesicht
ist mit Wunden übersät und lange Furchen furchen
meine blutigen Brüste. Mein Leib, vergessend, dass er dich
geboren hat, wird mit fortwährenden Schlägen geschlagen.
Wo unter dem Himmel soll ich dich finden?
Unter welchem Viertel des Himmels? Wer soll
den Weg weisen, welcher Weg soll mich führen?
Welcher Wagen? Wer war dieser grausame Räuber?
Ein Bewohner von Erde oder Meer? Welche Spuren
seiner Flügelräder kann ich entdecken? Wohin
auch immer meine Schritte mich führen, oder wohin
ich gehe, dorthin gehe ich. Auch wenn Diona
verlassen sein und nach Venus suchen sollte!
Wird meine Arbeit erfolgreich sein? Soll ich jemals
wieder mit deiner Umarmung gesegnet werden,
meine Tochter? Bist du noch schön? Glüht immer noch
die Helligkeit deiner Wangen? Oder werde ich
dich vielleicht sehen, wie du in meiner nächtlichen
Vision kamst; als ich dich in meinen Träumen sah?
So sprach sie und vom Ätna zuerst zieht sie ihre Schritte ab
und verflucht seine schuldigen Blumen und die Stelle,
wo Proserpina verwüstet wurde, folgt den streunenden
Spuren der Wagenräder und untersucht die Felder
im vollen Licht ihrer gesenkten Fackel. Jede Furche
ist nass von ihren Tränen; Sie weint bei jeder Spur,
die sie auf ihren Wanderungen über die Ebene erblickt.
Sie gleitet wie ein Schatten über das Meer,
und der fernste Strahl des Feuers ihrer Fackeln
trifft die Küsten Italiens und Libyens. Das toskanische
Ufer wird hell und die Syrten glänzen mit entzündeten
Wellen. Das Licht erreicht die ferne Höhle von Scylla,
von deren Hunden einige zurückweichen und immer noch
in dämlicher Verblüffung sind, andere, die
noch nicht in die Stille entsetzt sind, bellen weiter.
EINUNDZWANZIGSTER GESANG
Sagenumwoben und wild, durch Jahrhunderte hallend,
klingen die Lieder der Griechen von Kriegerinnen des Ostens.
Rätselhaft bleibt ihr Ursprung, verworren die Mythengeflechte,
und woher die Gedanken, die jene Geschichten beleben.
Groß ist der Streit der Gelehrten, die dieses Geheimnis erforschen,
denn in den Tiefen der Sagen verschwimmen die Spuren der Wahrheit.
Nicht Griechenland nennt diese Frauen die eigenen Kinder,
fern in Asiens Landen, wo Flüsse wie Thermodon rauschen,
lag ihr Reich, ein stolzes Gefüge von herrschenden Frauen,
bar jeder Männergewalt, ein Reich, das die Waffen erhebt.
Einsam thronte die Königin dort, gebieterisch scharfblickend,
während im Bann ihrer Macht die Männer versklavt und entmachtet.
Ihre Hände, verstümmelt, trugen kein Schwert und kein Schild mehr,
denn sie sollten dem Kriegsgeschick der Frauen nicht trotzen.
Priamos, König von Troja, einst jung, ein mutiger Streiter,
zog in den Kampf mit den Phrygern gegen die Frauen des Ostens.
Homer singt von den Taten, die lang in der Zeit schon verwehen,
und von Bellerophons Sieg, als Lykien bebte im Schlachten.
Mythos um Myrine hallt, ihr Grab in den Ebenen Trojas,
Zeichen der Toten, doch groß in der glorreichen Dichtung geblieben.
Krieg war ihr Leben, und rastlos erbrausten die Heerschar’n,
über die Fluten des Tanais bis hin zu den thrakischen Feldern,
bis zu Syriens Glut und zurück in das Herz von Kleinasien.
Helden wie Theseus fanden im Kampf mit den Frauen ihr Schicksal,
Athens Mauern erklangen vom Stolz der besiegten Krieger.
Speer in der Hand und geschwungen den Halbmondschild wiegend,
bogen die Frauen das Haupt keinem Gott als Ares und Artemis.
Jagd war ihr Spiel, und die Übung im Krieg war den Töchtern Gesetz.
Doch die Söhne, gezeugt im Frühling, wenn Liebe erblühte,
waren des Lebens beraubt oder fort in die Fremde gesandt.
Fern blieb ihr Land den Griechen, ein rätselhaft fremder Gedanke,
barbarisch schien ihr Tun, doch künden die ältesten Sagen
von ihrer unbändigen Macht, von mutigen Kriegerinnen.
Seht, wie sie marschieren, die Amazonen, ein Volk ohne Gleichen,
Zeugen des Geistes der Dichtung und Flammen der Freiheit im Kampf.
In den Ländern der Erde, wo wilder Thermodon fließet,
Stand einst mächtig und stolz Themiskyra, die Stadt der Amazonen,
Töchter des Ares, gezeugt in den Schluchten des heiligen Haines,
Dort, wo die Harmonia einst den Kriegsgott umfing mit Verlangen.
Doch nicht allein war dies ihr Hort: Noch andere Stätten
Hießen sie Heimat, in drei Stämme geteilt, so erzählt uns
Pherekydes: Es lebten sie auch in Chadesia stolz
Und in Lykastia, Städten mit weitreichenden Grenzen.
Doch wie kamen sie einst in das Land des fließenden Stromes?
Männer, gestählt von Skythiens Wind, zogen gen Süden,
Starben im Kampf, und hinterbliebene Frauen erhoben
Kriegerisch Helm und Schild, des Thermodon mächtige Herrscher.
Diodor sagt: Einst töteten sie ihre Männer im Aufstand,
Andere wurden verjagt, und die Frauen herrschten alleine.
Von Ares gestärkt, bauten sie Städte, eroberten Länder,
Vom Bosporus her bis hin zum strahlenden Ägypten.
Doch nicht lang war dies Reich, denn Herakles, großer Bezwinger,
Brachte Vernichtung; die Griechen, getrieben von Mut und von Ruhm,
Stürmten die Städte der Amazonen und brachen die Heere.
Ein Rest entkam, und jenseits des Pontos, im weiten Skythien,
Mischten sie Blut und Geschlecht mit skythischen Jünglingen freier Art.
Dort gründeten sie, so berichtet Herodot, Stämme der Sauromaten,
Weit im Norden des Kaukasos, wo kalte Winde nun herrschen.
Doch nicht nur dort, im Norden, erzählt man von ihren Geschichten:
Auch im Süden, im heißen Gefilde von Libyens Wüsten,
Lebten Amazonen, geführt von der Königin Myrine.
Von der Insel des Tritonsees aus führten sie Züge
Gegen Städte und Reiche, und keine Mauer hielt stand.
Doch fiel Myrine im Kampf, geschlagen vom Thraker Mopsos,
Und ihr Volk kehrte heim in die Wüste, besiegt, doch ungebrochen.
So ranken die Sagen sich weit, von Norden nach Süden,
Von Thrakien bis zum Ozean, wo die Wellen sich brechen.
Werden sie fabeln, die Völker, von Macht und von Mut jener Frauen,
Die, Ares' Kinder, in schwerem Geschick die Welt überzogen?
Oder wird man von ihnen erzählen wie Staub, der verweht ist,
Während die Jahre entschwinden in fernes, erinnerungsloses Dunkel?
Höret, ihr Menschen, die Kunde vom wandernden Volke der Krieger,
Weiblicher Stärke geweiht, die der Götter Geheiß einst erfüllten.
Fern im Osten entsprang ihr Geschlecht an des Thermodon Strömen,
Wo die Wälder des Pontos die kämpfenden Frauen umschlangen.
Doch nicht gebunden blieb lang ihr Mut an die heimatlich' Stätte;
Weit durch die Lande des Asiens trugen sie Waffen und Ruhm hin.
Mythos durchzieht ihre Spur bis hinab in die Tiefen der Zeiten,
Städte erstanden von ihnen, durch Taten und Namen gezeichnet.
Myrine, die tapfere Fürstin, vor Ilion ruht sie im Grabe,
Zeuge des Ruhms, der die Aiolis weit in die Ahnenzeit rückt hin.
Städte, so heißt es, sie gründeten viele, von Herrinnen benannt,
Kyme die eine, ihr Name von einer Amazonin entlehnt ward.
Gryneia schuf durch die Sage sich Bilder von Apollons Gewaltakt,
Mytilene und Pitane verkünden amazonische Führung.
Smyrna, die Stadt, die Ionier später den Aiolern entrissen,
Trug, so berichten die Alten, den Namen von stolzer Königin.
Ephesos, heiliger Ort, wo die Göttliche Artemis thront,
Wurde von Frauen gestiftet, die Göttin verehrend mit Opfern.
Flüchtend vor Herakles einst oder Dionys’ zornigen Scharen,
Fanden die Weiber vom Thermodon Asyl im erhabenen Tempel.
Ihre Legenden verweben sich tief mit dem Kult der Altäre,
Penthesileias Geschlecht ward als Hüter des Heiligtums gepriesen.
Nicht nur Ephesos selbst, auch die Städte der nahen Gefilde
Sprechen von Amazonenspur, wie Anaia und Pygela lehren.
Samos erzählt von den Heldinnen, Latoreia singt von den Kriegern,
Weiter entlang der Gestade des Kleinasiens hallt ihre Sage.
Bis zu den Hallen von Nikaia, der Nymphe geweihten,
Hört man von Frauen, die kämpfen, und Städten, die Namen von ihnen.
So verweht keine Zeit die Geschichten der wandernden Amazonen,
Denn in den Städten des Ostens lebt fort ihre Herrlichkeit ewig.
Amastris, die Stadt in den Landen Paphlagoniens,
Gründet’ einst eine Fürstin, die Amazonen ihr folgten,
Legte den Namen, der bleibt, und herrschte mit starkem Gesetze.
Sinope, die Tochter von Miles, am strömenden Meere,
Trägt noch immer die Sagen der Kämpferinnen des Nordens.
Hekataios erzählt in den Liedern von mächtigen Taten,
Zeugen sind Schriften, und sie, die Schüler, zitieren die Weisen.
Doch nicht Griechenlands Städte verkünden Amazonen als Gründer.
And’re Geschichten erzählt uns das Land von Heroengräbern:
Attikas Hügel bewahren die Spuren der tapferen Frauen,
Thessaliens Täler, umrankt von des Myrtenbaums Schatten,
Bergen von Skotousa zeigen die Ruhestätten der Krieger.
In Boiotien steht noch das alte Heiligtum da,
Chaironeia nennt es die Kunde, die Reisegelehrten.
Megara führt uns zurück zu den Gräbern und stillen Legenden,
Auf der Peloponnes die Städte von Troizen bis Pyrrichos,
Alle bezeugen die Sage von jenen, die kämpften und fielen.
Selbst nach Italien gelangt’ ihr Ruhm in den Liedern der Völker,
Amazonen, genannt als eponyme Heldinnen dorten,
Stephanos wusste zu schreiben, Lykophron sang ihre Namen.
Als Penthesileia, die Tochter des Kriegers Ares,
Helfend den Troern kam, vom Norden herab in die Schlachten,
Sank sie vor Troja, gefallen durch Achilleus’ Klinge,
Zeugen die Bilder, gemalt, und die Worte, die Dichter bewahrten.
Hera gebot, und Eurystheus schickte den mächtigen Heros:
Hol mir den Gürtel der Königin fort aus den Hainen der Amazonen!
Thermodons Fluss war das Ziel, das Land der Skythen die Bühne.
Herakles zog mit Gefährten oder allein durch die Lande,
Hippolyte ward genannt, die Herrin, deren Geschmeide
Ziel seiner Reise war, auch Melanippe, die Schwester.
Städte in Kleinasien künden von blutigen Kämpfen,
Miles und Megara stifteten Sagen aus diesen Geschichten.
Doch weder Homer noch Hesiod sangen von diesen Ereignissen,
Späterer Dichter und Künstler Gedanken formten die Bilder,
Stellten die Taten dar in Stein und Goldene Schriften.
Hier, in den Zeilen, lebt die Erinnerung weiter,
Amazonen, von Helden geliebt, und gehasst in den Kriegen,
Zeugen des Ruhms und der alten Geschichten vergangener Zeiten.
Klangvoll kündet die Sage von Taten, kühnen Begegnungen,
Helden, die kämpfend errangen, was Ruhm und Ewigkeit schenkt.
Sieh, wie Theseus, der Könige Fürst, von Athens stolzen Mauern,
Segelnd den Kurs gen Osten ersann, wo Amazonen regierten.
Kriegerinnen, die wild und stolz im Gefilde herrschten,
Frei und unnahbar dem Mann, mit der Macht der Göttinnen weihnend.
Antiope, Königin mutig, ward ihm zum begehrten Ziel,
Doch nicht nur Liebe, das Begehren nach Macht trieb den Helden.
Listig nahte er, lockend mit Kunst und blendendem Worte,
Bis er die Herrscherin raubte und heim nach Athen sie entführte.
Doch das stolze Volk ließ dies nicht ungerächt auf sich ruhen:
Mit Rache im Herzen zogen die Amazonen nach Attika.
Schwertschlag hallte, das Echo der Schlacht drang weit durch die Täler,
Blut tränkte die Erde, wo Amazonen mutig sich stellten.
Doch trotz ihres Kampfes und trotz des Zorns ihrer Königin
Fiel die tapfere Antiope, sei’s durch Theseus’ Klinge,
Oder durch Freunde des Helden, die sie im Streit übermannten.
Lange dauerte der Kampf, bis Athens Mauern bestanden.
Hegemon Theseus hielt nun Gericht über die Besiegten,
Doch nicht endete dort die Wirren des kühnen Abenteuers:
Phaidra, des Minos Tochter, ward Theseus’ nächste Gemahlin,
Doch Eifersucht lodert im Herzen der Königin einstens.
Mit Waffen stürmte sie selbst das Hochzeitsmahl in Athen,
Und mit ihr Amazonen, die treu an ihrer Seite gekämpft.
Blutig die Hochzeit, das Fest ward ein Mahnmal der Rache,
Bis schließlich Antiope fiel, durch Verrat oder Klingen.
So verblasste der Glanz dieser tapferen Königin schmerzlich,
Doch unsterblich bleibt ihr Name in Heldenliedern gepriesen.
Höret die Kunde, die alt und von Helden durchdrungen,
Widerschein ferner Gestalt aus der Sage des Landes,
Wo sich das Meer mit der Wiege der Mythen vermählt.
Dort, wo die Winde die Küsten des Saronischen Meeres
Peitschen, da kamen die Kriegerinnen Asiens her,
Trugen den Glanz einer Stärke, die wild und unbändig,
Drohend den Städten des Westens die Waffen entbot.
Doch welche Ursache führte die Amazonen herbei?
War es der Raub durch Theseus, die schöne Antiope selbst,
Die sich mit Liebe dem Sieger ergab und das Tor ihm erschloss?
Oder war’s Rache, die sie aus ihrer Heimat vertrieb?
Fraget, o Sänger, doch schwerlich lässt sich bestimmen,
Welches Ereignis zuerst in den Liedern erklang.
In Themiskyra begann jene verhängnisvolle Begegnung,
Da Theseus kam mit Herakles, dem gewaltigen Helden.
Stadtmauern stürzten, der Schutz fiel durch List und Verrat,
Denn Antiope, verzaubert vom Glanz des attischen Fürsten,
Öffnete freiwillig die Tore der Griechen und sprach:
Führt mich, o Herr, in das Land, das ich nur von Ferne erträumte!
So ward sie geraubt, doch nicht im Hader, vielmehr in Liebe,
Band sich der Bund zwischen Feind und Gefährtin zugleich.
Doch ihre Schwestern, die Amazonen, hörten vom Frevel,
Sammelten Heere, den Raub zu vergelten mit Krieg.
Wie die Gewitterwolken am Himmel zusammen sich ballen,
So stürmten die Kriegerinnen heran auf die attische Erde.
Antike Mythen erzählen, der Kampf wogte im Feld,
Dort, wo heute der Areopag die Hügel beherrscht.
Rings um Athen schlugen die Reiterinnen die Zelte,
Brachen den Widerstand mit Pfeil und gezücktem Schwert.
Doch Theseus rief seine Männer, und Artemis selber
Neigte den Kampf zu den Griechen, dem alten Gesetz gehorchend.
Stolz feierten diese den Sieg, und so ward das Gedenken
Alter Schlachten in Festen bewahrt, die die Zeit überdauern.
Doch nicht nur Siege und Kriege prägten das Lied der Amazonen.
Penthesileia, die Königin, trug eine dunkle Geschichte:
Blut klebte an ihren Händen, der Mord einer Schwester.
Um ihre Seele zu sühnen, zog sie in die Ferne,
Kämpfte bei Troja mit Ehre, die Schuld zu vergessen.
Doch die Sage verband sie mit Griechenlands heiliger Erde,
Wo einst Areopag und Amazonengrab zu finden,
Zeugnisse alter Zeiten und ihrer Heldentaten.
Sagen von Angriff und Rache, vermischt mit den Liedern
Von Persern und Griechen, die anders die Schlachten erzählten.
Doch bleibt die Wahrheit verborgen, ein flüchtiger Schimmer,
Der in den Tiefen der Mythen aufleuchtet und schwindet.
So lehrt uns der Name der Amazonen, dass ferne Gestalten
Leben in Liedern und Festen, die Zeiten durchdringen.
Huldigt der Sage, ihr Dichter, und feiert die Kunde
Von jenen Kriegerinnen, die ewig im Geiste bestehen.
Fern im Osten, wo Flüsse in goldene Täler hinabfließen,
Da, wo die Sonne die Steppe umarmt mit glühendem Atem,
Wohnet ein Volk von Frauen, dem Kriegsruf ewig ergeben.
Amazonen nennt man sie, vom schrecklichen Ares gezeugt,
Jener, der Blut und Stahl auf der Erde mit Freuden gebietet.
Doch nicht nur Schwert und Schild, auch List und Stärke des Geists
Zieren die Häuptlinge, Frauen von ungezähmtem Gemüte.
So nahten sie eines Tages, geführt von der tapferen Antiope,
Mit unbezwingbarem Drang an die Mauern der Stadt der Athene.
Über das Meer, das schäumend die Schiffe der Kriegerinnen trug,
Kamen sie her, wie ein Sturm, der die Wälder erzittern lässt.
Nicht aus Beuteverlangen allein, noch nur aus Rache,
Zog sie der Weg zum Areopag, dem heiligen Hügel des Ares.
Dort, wo der Kriegsgott wacht, wollten sie Zeichen setzen,
Zeugen der Stärke des Stamms, der Ares’ Erbe bewahrte.
Auf dem Felsen, der schützend sich vor die Akropolis hob,
Schlugen sie Lager, errichteten dort ihre heiligen Altäre.
Dem Vater Ares brachten sie Opfer mit heiligem Feuer,
Und der Stein erhielt seinen Namen vom Donner des Gottes.
Von diesem Ort nun stürmten sie gegen die Mauern der Stadt,
Wie ein unaufhaltsamer Strom, der die Ufer zerschmettert.
Doch Theseus, der Held, der von Athen das Volk einst beschützte,
Rief seine Krieger herbei und schritt zum rettenden Angriff.
Von der Musenhöhe herab, wo die Lieder der Weisheit ertönen,
Stürmten die Männer heran, durch die Reihen der Feinde sich schneidend.
Blutrot färbte die Erde sich dort, wo Speere zerbrachen,
Und in der Schlachtesglut bebte der Fels vor den Schreien der Krieger.
Amazonen, vereint in ihrem Mut, doch erschüttert vom Zorn
Jener, die Heimat und Heiligtum mit dem Leben verteidigten,
Rückten erneut voran, doch erlagen den wütenden Hieben.
Längst schon sangen die Sagen vom Mut der gefallenen Frauen,
Antiope, niedergerungen von Molpadias Speer,
Fand ein ehrendes Grab an der Grenze der Göttin der Erde.
So ruhen die Toten, verstreut um die Mauern der Stadt,
Zeugen des wilden Kampfes, des Ruhms und der schrecklichen Schlacht.
Doch blieb auf den Hügeln, den Altären, dem Felsen des Ares,
Immer die Spur der Taten, die Götter und Menschen bewegen.
Denn der Areopag, wo die Opfer der Amazonen einst loderten,
Trägt bis heute den Namen des kriegerischen Vaters Ares.
Und noch immer erinnern die Lieder an Frauen und Männer,
Die mit Blut und mit Mut einst den Boden der Götter geweiht.
Höret die Sage von Amazonen, den kühnen Gefährtinnen,
die im Kriegsglanz standen, getrieben vom Willen der Götter.
Ares, der donnernde Gott des Gefechts, ihr mächtiger Ahnherr,
lenkt ihre Schwerter und Schilde, die schreckenbringenden Waffen.
Penthesileia, die Heldin, entsprang seinem göttlichen Samen,
führte die Scharen mit Mut und mit Ruhm in die finstere Schlachtzeit.
Eine Insel im Schwarzmeer, geheiligt dem Donner des Ares,
trugen sie Tempel empor, um dem Ahnherrn Opfer zu bringen.
Auf dem Felsen des Ares, im Herzen der stolzen Athene,
lag ihr Lager, durchströmt von den Sagen der ewigen Zeitläuf’.
Weiß war das Ross, das sie schlachteten, blutrot des Feuers Glimmen,
dargebracht jenem Gott, der die Frauen zu Kämpfern erkoren.
Auch in Argos erhoben die Frauen dem Ares die Ehre,
den sie als göttlichen Hüter der Weiber im Leben gepriesen.
Feiern begingen sie dort, die den Männern stets untersagt blieben,
in Tegea genannt das Fest der Frauen allein nur.
Artemis, Tochter der Nacht, war inniger noch mit den Kriegern
verbunden, die Nordlandsfurien, wild wie die Pfeile der Jagd.
Sie stifteten einst an Kaystros’ Mündung das hehre Heiligtum,
wo sie im Tanz und Gesang die Göttin der Jagd stets verehrten.
Ephesos nannte die Göttin ihr Heim, und die Kriegerinnen,
zogen in Mythen herbei als Gefährtinnen jener von Schatten.
In Pyrrichos trug sie den Namen Astrateia, heilig,
Amazoninnen begründeten dort das schimmernde Standbild.
Tod war ihr Schattengefährte, so wie die Göttin der Gräber,
Artemis, todbringend gleich, und die Männer ein ewiges Ziel.
Grabkulte verbanden ihr Leben mit düsteren Mythen,
Särge und Hügel erhoben die Legenden der Frauen.
Dunkel erscheint Apollon, der Zwiespalt ihm eigen geblieben,
schützte er doch die Helden, die gegen die Kriegerin stritten.
Doch als Herakles nahm vom Thermodon die glühende Beute,
weiht’ er sie jenem zu Delphi, dem strahlenden Gott des Orakels.
Gryne, die Amazone, genannt nach des Gottes Gewaltakt,
schuf ihren Namen der Stadt, die nun im Windhauch erklinget.
Dionysos, Herr der Lüste und Kämpfe, war wechselnder Feind oft,
mal vereinte er sich mit den Weibern in trunkenem Reigen,
mal aber schlug er sie nieder, verwandelt in rasende Mänaden,
deren Tanz nur das Grauen und Blut durch die Lande verbreitete.
Opfer erbrachten sie vielmals, doch nah waren ihnen die Gräber,
denn sie ehrten die Toten der Sippe wie göttliche Ahnen.
In Athen stand ein Fest, dem Theseus geweiht, den sie achteten,
wo man Amazonen im Herbst eine Opfergabe entrichtete.
Weit in der Zeit, da die Mythen den Menschen gehörten, entstiegen
Weiber, den Männern gleich, den antiken Gedanken des Ostens.
Amazonen genannt, ihr Name gewebt aus Legenden,
Vielerlei Ursprung trägt er, doch keiner die Wahrheit enthüllt hat.
Manche behaupten: Die Brust sei verstümmelt gewesen im Mädchen,
Links oder rechts, auf dass sie den Bogen stärker gespannet.
Andere sprachen: Nicht Mutterbrust nährte die Krieger,
Hernach geformt durch der Götter eigene Hände.
Unentschieden blieb, ob Männer gleich oder feindlich,
Wie Pindar und Homer ihre Ehre und Namen bedichteten.
Artemis, Herrin des Waldes, und Ares, der Gott aller Kriege,
Wurden gepriesen von ihnen; im Tod nur, wie Menschen, geehrt sie.
Kein Kultus hob sie empor, kein Tempel hielt ihre Seelen,
Und doch blieb die Erinnerung wach durch die Schriften der Alten.
Antike Geister sahen in ihnen ein Volk aus der Fremde,
Kriegerisch, anders als Hellenens Sitten und Brauchtum.
Männer hassten sie stets, so wie Männer sie fochten im Kampfspiel;
Siegten die Frauen, so wurden die Männer zu Knechten des Hauses.
Diodoros berichtet, und Aristarch deutet die Namen,
Homer singt von der Schnelligkeit Myrinês im Sprunge,
Aischylos schildert sie hart, als Männer verachtend und hassend,
Herodot nennt sie die Männermörder mit blutigem Haupte.
Und wo einst Alexanders Heer in den Osten gezogen,
Blieb, so behauptet die Sage, der Blick auf die Frauen des Krieges.
Stämme des Pontos und tief in den inneren Ländern Asiens
Trugen die Kunde der Kämpferinnen bis in die Neuzeit.
Doch wer waren sie wirklich, die Schatten, die durch die Geschichten
Wandern und sich dem Geiste der Alten in Bildern entrücken?
Menschlich waren sie, sterblich und dennoch geformt durch den Hass,
Der die Geschlechter entzweit, bis die Frauen den Sieg sich erstritten.
Gleichwohl blieb eine Frage verborgen im Nebel des Alten:
Ob diese Weiber als Volk oder Mythengebilde geboren?
Wird die Antwort auch nie unsre Lippen erreichen, so bleibt doch
Ihre Geschichte lebendig, ein Spiegel vergangener Zeiten.
So erklingen die Worte des Lieds von den Töchtern des Ostens,
Die uns mahnen, die Macht der Legenden stets neu zu durchdenken.
Singe, o Muse, das Lied von den Töchtern des Ares, den Kühnsten,
Amazonen genannt, die Herrschaft der Frauen verteidigend, mutig.
Von den Gestaden des Pontos, den weiten Ebenen Skythiens,
Stürmten sie fort mit gewaltigen Scharen, gen Kleinasien ziehend,
Über das Meer und Europas Gestade, wo Heldensang tönt.
Längst schon erzählen Legenden von Sitzen im Süden, in Libyen,
Wo die Königin herrschte und Männer beugten das Haupt vor den Frauen.
Nicht ist es Zufall, o Hörer, dass Sagen dies Gleichnis bewahren:
Denn in den Ländern des Nordens wie Südens fanden sich Zeichen,
Wie sie den Mythen zugrunde gelegt: Völker der Frauen,
Die mit dem Scepter die Männer regierten, das Reich wohl gelenkt.
Herodot singt uns von ihnen, den stolzen Sauromaten,
Die Männermörderinnen hieß ihr Name, oiorpatai, grausam,
Doch stark in der Schlacht, die Pfeil und Ross wie Götter verehrten.
Auch berichtet die Kunde von Ares' Opfer am Feuer,
Von Rossen geschlachtet, ein heiliges Mahl dem kriegerischen Gott.
Rosse lenkten die Frauen mit Meisterhand in den Schlachten,
Hufen scharrten den Grund, und ihre Waffen erklangen gewaltig.
Gynäkokratie ward ihr Gesetz, die Frauenherrschaft,
Die in den Sagen vom Pontos bis hin zu den Libyensanden
Erscheint als Grundzug des Wesens, das diese Mythen umhüllt.
Dort in den Ländern des Südens, in Libyens Glut, sagt die Sage,
Waren die Frauen den Männern erhoben und führten das Leben.
Selbst die Ehe ward anders geschlossen, die Braut ward Gebieterin,
Und der Gemahl versprach, ihr zu gehorchen in allem.
Doch nicht allein am Pontos noch tief im Süden der Wüste,
Auch in Kleinasiens Ländern ertönen ähnliche Lieder.
Lykien, uraltes Land, wo Bellerophon, der Bezwinger,
Kämpfte mit Frauen, die Waffen trugen und ihn herausforderten.
Dort, so erzählen die Alten, war Mutterrecht oberstes Gesetz,
Erbten die Töchter das Land, die Söhne schwiegen dem Urteil.
Sarpedon, Enkel der mütterlichen Linie, erhielt den Vorrang,
Obgleich Glaukos, des Helden Nachfahr im Vaterstamme, lebte.
So sei denn gepriesen das Reich der Amazonen und Frauen,
Die mit Göttern und Männern wetteiferten, kühn und entschieden.
Ihre Legenden, in Nord und Süd verwoben, erzählen
Von einem goldenen Zeitalter, das Macht den Frauen verlieh.
Weitab der Küsten des Karerlandes, wo Lüfte sich strecken,
Wo das matriarchale Gesetz den Bund der Familien
Formte nach mütterlich’ Erbgang und heil’gen Altären,
Dort, an den Gräbern der Ahninnen, blühte das Erbe:
Weibliche Macht, die den Sippen das Leben gewährte,
Mütter regierten den Kult und den Tausch ihrer Namen.
Kos, die Insel, gekrönt von den Wogen des Ägäischen,
Trug einst Zeugen der Ordnung, in Stein und Schrift zu erkennen:
Listen von Namen, durch Frauen geboren, erhoben
Teil am Kult der Vorzeit, ein Erbe uralter Gesetze.
Nicht nur Karien stand in der Spur dieser ehrwürd’gen Pfade:
Lydiens Städte, durch Mythen verklärt, zeigten Ähnlich’s.
Dort, wo Omphale thronte und Herakles’ Waffen verlangte,
Sich der Held wie ein Knecht in die Fäden der Weiber verstrickte,
Spiegelte sich, was die Sagen der Urzeit bezeugen:
Weiberherrschaft, die Männer zu dienen verdammte und knechtete.
Auch die Herrscher des Landes, in Lydiens goldenen Tempeln,
Folgten der Linie der Frauen in ältester Zeiten Gesetzen.
Hin zu den Grenzen des Meeres, zu Lemnos, der blutigen Insel,
Wo die Frauen, vom Mord an den Vätern und Gatten befleckt,
Herrschten in Schrecken, der Männer entleertes Gefilde,
Loderten Flammen der Amazonen, der mächtigen Töchter.
Hypsipyle, die Königin, Wettkampf suchte mit Helden,
Führte das Reich wie einst Myrine, der vielgepries’nen,
Die in den Liedern des Homer das Grabmal besaß,
Dort, wo Ilions Hügel die Kunde bewahren der Ahnen.
Myrine, Königin, Schöpferin Städte und Sagen,
Lebte in Lemnos erneut, mit Sitten von fernher vereinet:
Männer flohen den Dolchen, doch Fremde wurden berufen,
Weil der Bund der Geschlechter nach alter Sitte sie forderte.
Argos’ Helden, in Schiffen, erreichten die Insel der Frauen,
Wagten den Kampf und verbanden sich gleich mit den Herrschern.
Denn die Sitten des Landes, der Amazonen des Ostens,
Spiegelten sich im Blut der lemnischen Frauen, die mordend
Thronen erbauten auf Leichen, doch Dionysos, der Gott,
Trotzte dem Wahne und schützte Thoas vor ihrem Verrat.
So, in den Sagen verwoben, sind Völker und Zeiten:
Lydiens Fürsten, die Leleger, die Küsten Tyrrheniens,
Alle in matriarchalen Gebräuchen geformt und geordnet.
Gegen die Amazonen, vereint mit den Phrygern, zog Priamos einst,
Wie es die Ilias sang, ein Bund wider die Mächtigen Frauen.
Doch in den Thrakern des Nordens, im Wahnsinn rasender Mänaden,
Fand sich die Spur jener Amazonen, der tapfer’n Gestalten.
So erhebt sich die Sage von Frauen, den kühnen und freien,
Die in den Mythen und Liedern der Helden das Echo bewahren,
Zeugnis uralter Gewalt, von Göttinnen selbst wohl gesegnet,
Kämpfend, regierend, verewigt in Steinen und Liedern der Ahnen.
Hört nun die Kunde der Völker, versunken in Zeiten, die fernen,
Wo an den Küsten des Meeres, des aegaeischen, einst
Stämme der Frauen herrschten, die mutig im Kampfe bestanden,
Ihren Rang und die Macht mit dem Schwert zu bewahren suchten.
Weiber des Krieges, ihr Erbe, ein Spiegel vergangener Kräfte,
Zeugt von den Tagen, da einst sie die Inseln beherrschten im Glanze.
Doch durch Jahrhunderte rang Hellenens Geist mit dem Fremden,
Bis er verschlang, was blieb, von jenen stolzen Geschlechtern.
Kulturell fremd und barbarisch erschienen sie griechischen Augen,
Obgleich ihr Erbe, verstreut, in den Stämmen der Aioler,
Auch in Ionern, verborgen, ein Rätsel der alten Geschichte,
Weiterlebte im Geist, wenn auch verschmolzen im Wandel.
Wahrlich, kein Dichter, kein Schreiber hat Kunde bewahrt, die uns ordnet
Das, was in jener Vorzeit die Völker bewegt und geleitet.
Nur in den Sagen verweilt noch ein Bild jener Kämpfe, der Leiden,
Die um Erhaltung und Macht die Gedanken der Menschen durchglühten.
Hört von den Amazonen, die Reiterinnen mit Bogen,
Deren Gestalt in den Künsten der Alten ein Denkmal gefunden.
Schmückend zuerst, ohne Fabel, erschienen sie schlicht auf den Urnen,
Doch bald rief der Mythos die Bilder zu reicher Bedeutung.
Erinnert euch jener Figuren aus Bronze, die Ostgriechen schufen,
Kleine, reitende Krieger, mit Pfeilen im Rausch der Bewegung,
Gefunden in Italiens Erde, ein Erbe aus Cumaes Händen,
Wo sie geschaffen, in Form aus Chalkis' Vorbildern stammend.
Seht auf den Vasen gemalt, wie der Hoplit verfolgt eine Reiterin fliehend,
Mit dem Bogen im Rücken noch treffend, trotz hastiger Flucht.
Achilleus und Penthesilea, so deutet der Forscher die Szene,
Zugleich ein Beweis für die Macht und die Kunst jener Vorzeit.
Doch nicht alle Male des Tons oder des Eisens bezeugen
Diese Gestalten als Frauen: oft täuscht uns der Schein.
So bleiben die Scherben ein Rätsel, ein Fragment der Erinnerung,
Ein Bild aus der Tiefe der Zeit, das uns mahnt und belehret.
O du, der suchst nach dem Ursprung der Macht dieser sagenhaften Frauen,
Erweitre den Kreis der Gedanken, erblicke das Bild im Ganzen.
Nicht nur im Mythos allein, auch in Kunst und Kultur sei zu finden
Das, was einst lebte, verklungen, doch fortwirkt in alter Bedeutung.
Wo der Künstler erglühte und Helden schuf aus den Mythen,
trat in den Taten der Frauen ein Spiegel der Männer hervor.
Skythischer Bogen, geführt von zielsicheren Händen,
zeuge, dass einst in der Steppe die Reiterinnen gekämpft.
Aus dieser Vorlage, so wird es erzählt von Herodot selbst,
nahm der Typus Gestalt für die Schilderung mächtiger Frauen,
Amazonen genannt, den Nachbarn der wilden Skythen,
die sich mutig erhoben, in Rüstung dem Kriege geweiht.
In ionischem Kreise, wo Vasen und Bronzebilder prangen,
sieht man kämpfende Frauen in Stürmen der Schlachten vereint:
eine mit spitziger Mütze, die knieend den Bogen gespannt hält,
mischt sich in Männergefechte, ein göttlich bestimmtes Geschick.
In Daphnae’s Scherben bewahrt, im Museum von Britanniens Hallen,
ruht dieser Kampf als ein Bruchstück, von Kennern bewahrt und verehrt.
Schwarzfigurige Vasen, gezeichnet mit Kunst und mit Stärke,
zeugen aus ältester Zeit: vom sechsten Jahrhundert die Spuren.
Ohne spezifischen Mythos geformt, doch in immer den Szenen:
kämpfend und fliehend, auf Wagen, zu Pferde, die Waffen gespannt.
Sieh die Amazone, wie sie ihr Roß zum Niederknien leitet,
um emporzusteigen, ein Bild der Beherrschung und Macht.
Stephani rühmte das Bild in Berichten vergangener Tage,
auch Benndorf sprach von der Kunst, die Pferde zu diesem zu lehren.
Skythische Tracht zieht ein, in die Tafel der rotfigur' Maler:
hohe, spitzige Mützen, mit Ärmeln und Hosen gekleidet,
Bogen und Pfeil in der Hand, ein Erbe des pontischen Landes,
wo das Wissen von Amazonen durch Athen schon klang.
Herakles tritt ihnen gegenüber, in Mythen besungen,
packt die Fliehende, greift mit der Linken den Helm oder Arm,
wirft sie nieder und schwingt mit der Rechten das Schwert oder Keule,
wie es die Vasen der Alten in Bildern bewahren.
Auf diesen Gefäßen vermehrt sich die Schlacht durch Figuren:
Krieger, Genossen des Herakles, treten herbei,
während die Amazonen in Eile sich sammeln zur Rettung.
Reihen von Kämpfen, die fügen sich ein zu lebhaften Bildern,
reichen von einfachen Szenen bis hin zur figurenreichen Pracht.
Ältere Amphoren aus attischen Händen geformt,
werden den Tyrrheniern zugeschrieben, doch irrt man wohl hier.
Sie in Beziehung zu bringen mit Korinths strenger Gestaltung
bleibt ein verfehltes Bemühen, der ionischen Kunst näher stehend.
Streifen von Schlachten erscheinen, wo Einzelkampfgruppen verbunden,
zeugen von Kämpferkunst, bewahrt in Gsell’s Nécropole.
So sei dies Lied ein Zeugnis von Taten der mutigen Frauen,
deren Gestalt und Geschichte im Kunstwerk der Alten bewahrt.
Ob nun der Amazonenkampf in einzelnen Zügen begonnen,
Daraus später sich dann die Gruppe als Haupttypus hob,
Oder ob jene Gestalt als Ursprung allen gemeinen
Bildes diente, bleibt doch die Frage unsicher heut.
Sicher jedoch wird offenbar durch die Schau der Denkmäler,
Daß nicht dichterische Kraft noch fester Mythos allein
Formen schufen, die wir als Urbild späteren Denkens
sehen; vielmehr ward ein fertiger Typus geprägt.
Erst allmählich traten hervor die fremden Gewänder,
Zeugend, wie neu das Bild aus älteren Wurzeln entsprang.
Wenig helfen die Werke, den Quell der Dichtung zu finden,
Doch ein Name verweist: Herakles’ Gegnerin heißt
Andromache häufig, und später taucht dieser Name
Auch für andere auf – Hippolyte bleibt jedoch aus.
Telamon steht oft ihm zur Seite, wie auch der Name
Glauke erscheint, vielleicht aus älterem Liedgut erwacht.
Corey jedoch, der ein solches Sagenlied vermutete,
Täuscht, denn schwach stützt sich der Schluss, den er zog, auf die Kunst.
Zwei verschiedene Arten sind aus dem Grundtypus erwachsen:
Corey zählt sie siebzehn Typen und ordnet sie neu.
Manche sind reich vertreten durch Vasen, deren Exempel
Mehr als zehn zählen, wie ein Dreifuß aus Berlin zeigt.
Später wird reicher das Bild: Kampfszenen von Herakles,
Wie mit Geryon einst, spiegeln sich wieder darin.
Amazonen knien oft, sinken erschöpft und gebrochen,
Doch erkennt Furtwängler hierin eine Deutung des Laufs.
Im rotfigurigen Stil tritt Herakles’ Kampf zurück,
Wenig Werke verbleiben, doch schließen die Formen sich enger
An den schwarzfigurigen Stil, der Tradition stets treu.
Hervorzuheben bleibt ein Kantharos, den Duris schuf,
Wo noch griechische Tracht die Amazonen bekleidet.
Doch verdrängt diese bald die skythische Kleidung, die Waffen
Mischen sich oft; auf Vasen wird dies klarer gezeigt.
Einen Fund korinthischer Kunst gilt es hier noch zu nennen:
Neu entdeckt, ein Alabastron, zeigt in schwarzfigurer Manier
Hoplitengestalten und Frauen, die Waffen erheben.
Herakles’ Name ist klar, sein Schild zeigt das Löwenhaupt,
Seine Gegnerin wird Andromeda dort benannt.
Iolaos folgt ihm, und Namen von Amazonen
Wie Alkinova zieren das Werk in klarer Schrift.
Lang noch rühmte die Kunst, wie Herakles den Gürtel gewonnen,
Friedlich, so zeigen es Vasen, mit Bildern der späteren Schöpfung,
Attisch geformt und oft auch in italischen Ländern gedeutet.
Doch was Klügmann vermutet, es knüpf' an die Sagen der Dichter,
Scheint unhaltbar: Der Form nur, nicht einer Geschichte verpflichtet,
Wird die Szene uns hier als künstlerisch-frei gestaltet erscheinen.
Achill kämpft auf den Vasen mit Penthesileia, der Kühnen,
Name und Bild auf der schwarzen Amphore fest eingeschrieben:
Hier durchbohrt er sie mit der Lanze, der Blick bleibt nach oben
Traurig gewandt, vom Sterben des Mutes gezeichnet, zurück noch.
Oftmals sah man das Schema, den Kampf von Mann und Amazone,
Doch mit Namen bedacht blieb einzig dies eine Gefäß uns.
Ein anderes zeigt die beiden auf bäumenden Rossen im Kampfe,
Lanzen bereit und im Sprung, dazwischen die tote Gefährtin,
Doch ohne Namen bleibt dieses Gefäß und lässt uns die Deutung
Vorsicht üben, bis deutliche Zeichen die Mythen verknüpfen.
Spät erst, so zeigt uns die Kunst, erschienen die Amazonen
Reitend im Bild der attischen Form, in Hopliten-Gestalten,
Unbeeinflusst von skythischen Zeichen, von Pfeilen im Fluge,
Wie sie rückwärts geschossen das Volk der Steppe verherrlicht.
Hier jedoch steht die Gestalt ganz frei im attischen Schaffen,
Tüchtig zu Fuß wie zu Pferd, wie die Jugend im Kampfe geübt ward.
Rotfigur wies keinen festen Typus, doch eine Schale
Stilvoll, wenngleich fragmentiert, aus edler Künstlerschule,
Knüpfte an frühere Formen und fügte Geschicklichkeitsmerkmale
Eigen hinzu: Achill und Penthesileia im Streite.
Späteren Zeiten entstammt die berühmte Vase von Ruvo,
Reich verziert und vom mikonischen Vorbild schon beeinflusst.
Schwarz auf den Vasen gemalt, kein Kampfe des Theseus mit ihnen,
Nichts vom Gefechte, nur Raub: Antiope führt er im Wagen,
Zweimal allein abgebildet auf späten Gefäßen des Stils.
Rot auf Figuren des strengen Gesetzes die Schale bezeugt ihn,
Kachrylions Werk, und im Vorbild auf Wiener Tafeln zu schauen.
Früher jedoch schon die Amphore zeigt ihn, Mon. d. Inst. verzeichnet,
Fünfter des Jahrhunderts Beginn: Dort trägt er die Königin fort,
Armen umfasst, mit Perithoos treu an seiner Seite.
Selten ist Kampf abgebildet, doch finden wir später ein Beispiel:
Hydria, Ruvo entdeckt, zeigt Theseus ringen mit Mut,
Während Gefährten im Wagen die feindliche Heldin entführen.
Stilisch verziert, doch verpfuscht durch vielfache fremde Ergänzung.
Weiterer Vasen Bericht und Fund will später erfolgen.
Herakles schwindet im Rot der Figuren des fünften Jahrhunderts,
Theseus tritt in das Bild, verdrängt den Ruhm des Herakles’ Taten.
Kämpfende Amazonen erscheinen in immer neuem Gewande,
Zeugen des Stils, wie das Volk der Griechen die Mythen besingt.
Monumentale Bedeutung gewann der Streit mit den Frauen,
Als die Erinnerung wuchs an Persers Kriege und Siege,
Symbol für die Freiheit Athens, vom Joch der Feinde befreit.
Zwei große Bilder in Athen, die Amazonenschlacht festhaltend,
Theseion eins und Stoa Poikile, beide berühmt.
Mikon, der Meister, erschuf Reiterinnen in voller Bewegung,
Lysistratas Worte bezeugen: Die Amazonen hoch zu Ross.
Vasen, beeinflusst stark von Mikons schaffender Macht,
Zeigen den Kampf: Auf Erhöhungen steht Theseus, erhaben,
Nackt, mit Schild und Schwert, im Ringen mit Frauen zu Pferd.
Namensinschriften der Helden zieren das Bild, die Gegner
Tragen stets attische Namen, den Ursprung des Stils enthüllend.
Zwei Gruppen von Vasen sich heben besonders hervor:
Einmal der Sieg des Theseus, dann Amazonen im Triumphzug.
Schilde erscheinen, halbmondförmig, die pelten geformt,
Streitäxte erstmals gehoben, der thrakischen Mode entlehnt.
Kämpfende Frauen, in fremder Tracht, mit Mützen der alten
Phryger versehen, doch thrakischer Form schon angepasst.
Mikon bleibt Vorbild für Stile, die später dem Kampf Bild verleihen,
Zeitlose Epen des Ruhms, in Keramik gefasst, die beständig.
Hier, wo Gjölbaschis steinerne Wände die Sagen bewahren,
Zeigt sich das große Gemälde, geboren in Mykons Gedanken:
Amazonen im Streit, auf Rossen die Lüfte durchschneidend,
Gegen die Griechen zu Fuß, die trotzig die Freiheit erstreben.
Zwei Friese sind's, die sich längs der Wände des Heroons ziehen:
Einer erzählt, so scheint es, von Trojas heroischen Tagen,
Doch der andere, kleiner und zart, zeigt einen anderen Reigen,
Amazonomachie, wie sie einst in Attikas Kunst galt.
Bogen und Speere blitzen, die Streitaxt schwingt ihre Schneide,
Schilde wie Monde geformt, beschützen die kämpfenden Helden.
Phrygische Mützen, die thrakischen gleich, schmücken die Häupter,
Eng sind die Kleider anliegend, bereit für den wütenden Ansturm.
Doch ein Bild bleibt haften im Strom der kriegerischen Gruppen:
Eine Amazone, besiegt, neigt sich dem Feind mit Demut.
Weit streckt sie den Schild, das Ross kniet nieder zur Erde,
Lasst sie absteigen und ruhen, gebrochen von schicksalhaftem Kampf.
Achill sei’s, der hier triumphiert, Penthesileia, die Königin,
So deutet Benndorf das Bild, doch Zweifel bleiben beständig.
Denn auf anderen Friesen, in gleicher Haltung geordnet,
Kehrt diese Szene zurück, wie ein Echo vergangener Mythen.
Welcker vermutet, die Reiterinnen seien Teil der Gesänge,
Dichtend von Amazonen im Kampf, wie sie Homers Epen bereichern.
Loeschcke verfolgt die Spur, die von Bildern zu Mythen sich windet,
Doch ungewiss bleibt der Schluss: Sind es Legenden der Dichtung,
Oder bloß Kunstwerke, leer von mythischer Bedeutung?
Schlachten erklingen im Lied, von Penthesileas Tapferkeit raunt es,
Kämpfend zu Fuß auf dem Feld, da stand sie, die Herrin der Amazonen,
Nicht auf dem Rücken der Rosse, wie später die Sagen es schildern.
Erst auf den Schilden des Ruhms, geformt durch die Hände des Meisters,
Zeigt sich der Kampf ihrer Schwestern in wirbelnden Stürmen der Schlachtkunst.
Kühne Gestalten, mit Pelta und Axt, die in Händen sie führen,
Trugen den kurzen Chiton, der frei ließ die Stärke der Brust bloß,
Stiefel, die thrakisch geformt, für den Schritt durch den Staub sie bestärkten.
So auch die Tafel erzählt, die Künste der alten Iliaca,
Wo ihre Heldin zu Fuß in den Kampf mit den Helden der Griechen
Stürzte, mit loderndem Mut, den ihr Volk in den Herzen bewahrt hat.
Ewig ertönt ihr Gesang durch die Jahrhunderte künstlerischer Stimmen,
Rufend den Namen der Frau, die im Tod doch den Ruhm noch erlangte.
Dunkel gezeichnet von Zeiten, der Amazonen Geschichte,
Ruhmreich im Kampfe geformt, doch vielfach durch Künstler zerronnen.
Schlachten erklingen im Lied, von Penthesileas Tapferkeit raunt es,
Kämpfend zu Fuß auf dem Feld, da stand sie, die Herrin der Amazonen,
Nicht auf dem Rücken der Rosse, wie später die Sagen es schildern.
Erst auf den Schilden des Ruhms, geformt durch die Hände des Meisters,
Zeigt sich der Kampf ihrer Schwestern in wirbelnden Stürmen der Schlachtkunst.
Kühne Gestalten, mit Pelta und Axt, die in Händen sie führen,
Trugen den kurzen Chiton, der frei ließ die Stärke der Brust bloß,
Stiefel, die thrakisch geformt, für den Schritt durch den Staub sie bestärkten.
So auch die Tafel erzählt, die Künste der alten Iliaca,
Wo ihre Heldin zu Fuß in den Kampf mit den Helden der Griechen
Stürzte, mit loderndem Mut, den ihr Volk in den Herzen bewahrt hat.
Riefen die Dichter nach Bildern, so sahen sie klar in den Vasen,
Korinthisch gemalt, wo der Fußtritt das Schlachtfeld entschied, nicht der Hufschlag.
Doch in den Werken der Ionier, später mit rüstigen Rosse,
Fand sich die Form, die das Epos umarmte mit neuen Gestalten.
Nichts mehr war nötig, die Heldin aus Liedern der Alten zu schöpfen,
Denn aus der Kunst, die sich wandelte, wuchs ihr verwandeltes Antlitz.
Seht, wie die Künstler die Pelta mit Schnitten und Kanten verzierten,
Schilde der Stärke gestaltet, die leicht in den Händen zu führen.
Zeigt euch die Tafel von Ilium ihre Gestalt ohne Zügel,
Lediglich Fäuste und Füße, die stürmisch die Gegner erschüttern.
Wandeln wir weiter zum Werke des Phidias, Meister der Götter,
Schild seiner Göttin geschmückt mit dem Kampf der Athener und Amazonen.
Hügel um Hügel erhob sich die Szene des streitenden Lebens,
Mächtig verwirrt, doch geordnet im Aug‘ des kunstvollen Schöpfers.
Sieh, wie das Zerren der Haare und Fallen des Sturzes zur Erde
Ewig die Kunst fortschrieb bis hinab zu den marmornen Gräbern.
Helden, in Waffen gerüstet, als Theseus mit Herakles streitete,
Fanden die Amazonen erneut ihren Platz an des Thrones Umrandung,
Immer zu Fuß, auf dem Feld, wo die Berge das Drama begrenzen.
Schreiben wir weiter die Sage, durch Bilder und Dichter getragen,
Künden von Frauen, die mutig die Ketten der Männer zerbrachen.
Töchter von Ares, gebunden an keine Pflicht außer der ihren,
Sterbend im Lichte des Ruhms, wo das Schwert ihren Namen verzeichnet.
Ehren wir Werke von Epidaur, die, halb lebensgroß,
Amazonen im Ritt und Gefechte auf Giebelhöhe verherrlichten.
Kunstvolle Falten der Kleider bezeugen den Stil Timotheos’,
dessen Geschick einst Halikarnassos' Prunk belebte,
als mit Skopas, Bryaxis und Leochares er wirkte.
Spätere Kunst rühmt Magnesias Fries von Artemis’ Tempel,
dessen Schönheit, doch auch rohe Gestalt an den Mäander
führt uns die Zeit zurück in den Hellenismus des Wandels.
Meister Hermogenes schuf, was stilvoll doch unbekannt bleibt.
Hör, o Muse, das Lied von den Taten der kühnen Amazonen,
Wie sie auf Sarkophagen, in steinerner Pracht sich erheben,
Kämpfend und streitend in Formen, die Kunst uns bewahrt hat durch Zeiten,
Gleich ob der Sage Attikas oder den Mythen entnommen,
Ob sie, befreit von Geschichten, in reinem Gebilde erscheinen.
Achilleus und Penthesileia kehren zurück stets aufs Neue,
Fesseln den Blick des Betrachters mit ewigem Streben und Ringen.
Sarkophage des Zweiten Jahrhunderts, von Griechen geschaffen,
Folgten dem attalischen Vorbild, das Gaben geweiht hat.
Robert beschreibt in den Schriften die Wandlung der Typen der Kunstwelt,
Michaelis ergänzt, wie die Sagen der Amazonen sich wandelten.
Höre nun weiter von Statuen, die erste, ein Torso,
Kniende Bogenschützin, geformt aus dem Marmor der Inseln,
Fand man in Rom, ein Werk, das aus archaischer Meisterhand stammte.
Petersen sprach es an, erkannte die Gruppe des Giebels,
Die von den Tempeln Augusts uns vielleicht ist geblieben im Bruchstück.
Zweifel erhob er an Bupalos, Athenis’ Werken als Urbild,
Zeigte doch Stil, dass es später entstand, um die Zeit der Perser.
Eine andere Statue, die Wiener Amazone genannt wird,
Zeugt von der Kunst einer Gruppe, verbunden mit Spuren an Stützen.
Deutlich zu sehen ist dies: Am Oberschenkel und Gluteus
Ragen Ansätze hervor, die von einer Figur einst erzählten,
Einer Verbindung, wie London uns zeigt auf einem Kameo.
Wenden wir uns nun den Wunden der heldenhaften Gestalten,
Statuen, die Artemis ehrten in heiliger Stadt Ephesos.
Plinius schrieb davon, und Jahn entwirrte die Worte,
Michaelis folgte und ordnete Typen und Formen.
Berliner Amazone, mit Pfeiler gestützt auf der einen,
Lässt ihre Rechte sinken, ermattet, aufs Haupt der Erschöpfung.
Kurz ist ihr Chiton, gegürtet, enthüllt die rechte der Brüste.
Formen, die Polyklet zeugen, des Meisters der strengen Balance.
Harmonie und erhabene Haltung verleiht ihr die Kunst doch,
Bleibt ein Hauch von Pose, der sie in der Tiefe beschränkt hält.
Größeren Eindruck mag dennoch die capitolinische Statue
Hinterlassen, die Schimmer von Polyklets Bronze uns zeigt noch.
So bewahrt uns die Kunst, die Taten der Frauen von einst,
Ihre Kämpfe und Leiden, geformt in erhabenen Bildern.
Lauschet, ihr Hörer, von Taten der Amazonen zu künden,
Kriegerinnen, die wild wie der Sturm mit der Stärke des Donners
Kämpften, doch auch in der Kunst voll edler Gestalten erstrahlten.
Römische Hallen bewahren die Spur ihrer Schönheit in Bildern,
Steinern gemeißelt, des Geistes Triumph und des Leibes Erhaben.
Siehe, die edle Gestalt im Museum zu Rom, eine Zeugin,
Schönheit gepaart mit dem Schmerz, der die Stirn ihr gezeichnet.
Sanft sich neigt das Haupt, von der Wunde erschöpft, und der Mantel
Ziert den Chiton, während der Speer ihre Rechte stützt.
Leise entblößt die Linke das blutende Fleisch, wo die Ferse
Kaum noch den Boden berührt, und doch steht sie in Würde verharrend.
Künstler der attischen Schule, mit Myrons Griffel vertraut,
Prägten der Amazone Antlitz und Züge des Schmerzes.
Formen von edler Gestalt, die des Leidens Tragik erheben,
Fanden mit Recht oft Lob und den Preis der Vollendung im Werke.
Doch was die Hände schufen, die Seelen erkannten und lobten,
Blieb ohne Namen; in Zweifel versanken die Väter der Kunst.
Pheidias? War es sein Werk, das die Amazonen erschuf?
Oder war Kresilas der Meister, der Schmerz und die Schwäche verbanden?
Plinius führt sie an, doch bleibt sein Urteil vernebelt.
Nahe verwandt im Typus, doch fern in der Seele, da stehen
Polyklets Werke und jene der attischen Meister gereiht.
Zweifel verbleiben; die Köpfe verfließen im Schleier des Alters.
Wie soll die Forschung entscheiden, was Bilder des Schönen uns zeugen?
Hört auch vom dritten Typus, der Rätsel in Marmor gebar.
Keiner sah je ihr Haupt, und die Form bleibt ein Flüstern des Windes.
Stand sie im Sprung, oder stützte der Schmerz ihre Glieder?
Heldenhaft trotzt sie dem Zweifel der Zeiten und Geister.
Ewig umschweben die Amazonen die Mythen der Menschen,
Kämpferinnen und doch von des Lebens Mühsal gezeichnet.
Kunst ist der Spiegel, in dem wir die Seele der Kriegerin sehen,
Still, doch erhaben, von Wunden und Würde erzählend zugleich.
Fern in Verona ruht, im Museum, die glänzende Statuette,
Bronze geformt, und von Schönheit, die alte Geschichten durchströmt.
Sie, eine Amazone, hält in den Händen geheimnisvoll doppelt
Ringähn'ge Dinge, wohl Waffen, des Kampfes Geschmeide, vielleicht.
Schlank ist der Köpfchen-Typus, doch früheste Zeiten verrät er:
Erst im vierten Jahrhundert geboren, nach klassischer Kunstform.
Doch auch diese Figur, obzwar sie an Klarheit gewinnt, bleibt
Rätselhaft uns; denn noch ungelöst sind die brennenden Fragen.
Wahrlich, der Frisur, wie sie trägt, gleicht jener auf Steinen,
Zeugnissen feiner Gemmen; sie stützt der Echtheit Gewicht.
Dennoch, im Wechsel der Motive, erwachsen Probleme:
Was schien klar, führt erneut zu Verwirrung des forschenden Geists.
Häufig gepriesen ward die Gestalt der kämpfenden Jungfrau,
Krieg und Stärke vereint mit dem Hauch von weiblicher Zier.
Doch ob Künstler der Zeit gezielt dies Streben verfolgten,
Bleibt uns verborgen, die Werke allein sprechen stumm nur zu uns.
Keiner, der Amazonen formte, ließ Aphrodite erstehen;
Kunstwerke jener sind rar zum Vergleich, wo Weiblichkeit glänzt.
Mag es doch sein, dass der Charakter der Werke nicht Amazonen
Allein eigen, vielmehr dem Stil des Meisters gehört.
Zeugen der späteren Kunst sind jene herrlichen Statuen,
Die man einst den Attalern als Weihgeschenke verdankt.
Neapels Säle bergen die Sterbende, leblos in Schönheit,
Liegend, tragisch erhaben, ein Wunder der Form und des Geists.
Daneben einst ein Säugling gefunden, zunächst bezweifelt,
Später bestätigt: Es fügt sich das Bild zum geschlossenen Ganzen.
Epigonos wird genannt, als Meister jener Gestaltung,
Zeugnis von Plinius‘ Worten und Forschern neu aufgezeigt.
Auch die reitende Frau, die am Boden die Feinde bezwinget,
Borghese nennt sie ihr Eigen, doch zweifelhaft bleibt das Detail.
Warnung tönt in der Stimme der Kenner: Schlecht ist das Stück hier,
Kaum erlaubt es den Blick auf die wahre Bedeutung des Ganzen.
Später schmücken Amazonen den Kampf in dekorativer
Kunst, mit Greifen vereint, in Zierde und schönem Relief.
Eine Grabstele aus Apollonia zeigt solche Szenen,
Heldenmut, der das Auge des Betrachters mit Ehrfurcht erfüllt.
Kämpfend erscheint die Frau, der Gegner ein Schild in den Händen,
Fehlgedeutet, doch klar bleibt der Streit, der sie ewig erhebt.
So lebt die Amazon’ in der Kunst und den Sagen der Alten,
Fern uns in Zeit, doch nahe im Schimmer vergangener Pracht.
ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG
Meine Freundin, begabt, die Lüste zu dulden und sühnen,
Gibt den Männern das, was sie heftig im Innern begehren.
Nach der Kunst der Liebe nennt man sie Hetaeren,
Nicht gemeines Gesindel, wie schmutzige Huren und Tand.
Liebst du die Hetaere, bist du ihr Kater am Morgen?
Ja, Bruder, sie ist weise und schön, bei Gott dem Vater!
Sei gewarnt, oh mein Platoniker, lasse dich niemals verleiten,
Knabenliebe zu suchen, die wider die Ordnung der Natur ist,
Und so die Göttin zu kränken, die Göttin der echten Begierde,
Denn solches befleckt nur die Seele, die tief in der Brust wohnt.
Wahrlich, die Knaben sind schön, die Jünglinge herrlich im Städtchen,
Noch ohne Bart und so zart wie die lieblichsten Mädchen erscheinen,
Aber sie sind nicht mehr schön, wenn der Bart sie zu Männern gemacht hat.
Einst offenbarte es Glykere mir mit weisendem Worte.
Mag es sein, dass einige Hörer, die mir hier lauschen,
Staunend fragen mit Recht, wie's wohl geschehen vermochte,
Ob im weiten Gefild des guten attischen Landes
Je eine Frau, ein Werber sie je erblickte,
Ob eine Frau in Attika je den Namen Mania trug?
Das wäre Schande (bei Hagia Sophia beschwöre ich's!),
Denn dies ist der Name einer phrygischen Fremden!
Wenn eine Hetäre in Athen solch einen Namen erwählte,
Wär' es ein Schandmal, geboren aus törichter Torheit,
Wenn nicht die Stadt Athen dies strengstens verboten hätte.
Denn Athen ist ein Ort, wo Männer geprüft und gewogen,
Wo auch Ketzerei der Weisen gepriesen wird unter den Klugen!
Philyra liebte in jugendlicher Schönheit die Freuden,
Wurde jedoch später ein Muster von tugendhaftem Betragen.
So auch Scione, so auch Hippophesis folgten,
Auch Theokleia, die stolz auf festlichen Leib war.
Im Alter ehrbar, die schöne Theokleia wandelte sittsam,
So auch Psamathe, und ebenso wandelte Antheia.
O meine Hetäre, mein Weib, o Nais, die Harfe zu führen,
Kennst du die Dirne, die trügerische Antikyra wohl,
Die falsches Zeugnis sprach und das Lügen liebte?
Wie bleich war ihr Blick, dumpf und träge ihr Auge!
Oia hieß sie in Wahrheit, das meldet Aristophanes,
Der von der Frau einst schrieb, die Verrat und List mochte.
Doch nannte man sie Antikyra, weil sie gern trank
Mit einem Mann, der in Wahn und lüsternen Rausch sank,
In Leidenschaft hin zu einem Bett der Genüsse,
Denn Antikyra trank Wein und berauschte den Trinker!
Sanft wohnet bei mir im Hause die kluge Sophrosyne,
Auch die Gerechte bei mir, die Frau, die Dikaiosyne.
Arete wohnt bei mir, die fromme und tugendhafte,
Andreia geht mit mir, so stark und voller der Stärke,
Akesis meistert mit Kunst die Disziplinen der Liebe.
Alle Frauen bedienen mich mit ihrem Zauber und Gnade.
Freund, wie brennt in mir die schärfste, die feurige Eifersucht!
Gib mir eine, ach, nur ein junges Mädchen zum Preise!
Auch eine Sklavin würd’ ich umwerben mit zärtlicher Neigung,
Sind doch Frauen am Ende nur weibliche Sklaven? –
Doch Apollonius sprach, der das Zepter der Urteilskraft
Über diese Frauen mit scharfer Hand hat gebrochen:
Nein, diese Frauen sind keine gehorsamen Sklaven,
Nicht kannst du, neidischer Freund, ein Mädchen umwerben.
Nein, ehrwürdig sind diese Damen! Jedes Mädchen,
Es ist Herrscherin selbst über heilige Glorie des Himmels!
Kam je ein guter Mann in Kummer und schwerem Betrüben,
Hat die Hetaere ihn abends, am Morgen begrüßt
Mit liebendem Blick, ihn befreit vom Gram und dem Leide,
Hat die Seele mit schmeichelnder Sanftheit ihm leise gestreichelt,
Und ihn geküsst. Doch die Küsse sind nicht nur umsonst,
Seine Seele zu saugen wie feindlichster Feind – o nein,
Hetaerenküsse sind zart wie das Nicken der Taube.
Seht, wie sie girrt, wie sie schnappt mit dem Schnabel, so leise,
Sitzt mit ihm am Tische, sie speisen gemächlich vereint,
Reden weise und fromm, ohne Langeweile und Stille,
Nimmt ihm die Qualen hinweg mit bezauberndem Lächeln,
Macht ihn mit süßem Geplapper aufs Neue so glücklich.
Auch die nackte Dirne darf den Namen tragen der Sphinx,
Jener herrlichen Sphinx aus fernem Land in Theben.
Schwatzt nicht, redet nicht, noch plaudert sie mit dem Munde,
Spricht nur in Rätseln, verkündet verborgene Weisheit:
Wie süß Liebe sei, wie lodernde Flammen emporleckend,
Wie froh sie kommt, zu lieben im Bund mit dem Freund.
Spricht sie in Rätseln, so lächelt die Sphinx und spricht leise:
Vier Beine trägt das weite und liebende Lager,
Auf einem dreibeinigen Stuhl ruht Pythia stolz,
Zwei Beine sind schlank und zierlich wie junge Mädchen.
Kenne Hetaeren, die prahlen mit reizender Schönheit,
Andere stolz auf Bildung und feine Erziehung.
Pedantische Hetaeren sprechen so gern mit den Weisen,
Mit Sophisten, mit Dichtern, um selber zu lernen und wachsen.
Sie kennen die Namen der Sterne am himmlischen Zelte.
O weiser Sokrates, sprach Aspasia glühend zu ihm,
Sehnsucht hast du nach Knaben, den liebreichen, treuen Jünglingen,
Die dein Herz so sehr beißen mit ungestümer Begierde!
Doch höre mein Wort und verachte nicht weisliche Mahnung:
(Mein Leib brennt auf im Strahlstrom des Glückes, verzehrend,
Doch wie Tau hängen die Tränen an Wimpern des Blicks.)
Stärke dein Herz, und diene mit Mut den Musen des Lebens,
Sie verleihen dir Kraft und geben dir neue Begierden.
Vertraue dem Busen, dem treuen Herzen der Freundin,
Ich helfe dir, den Sohn wiederzusehen, im Glanze
Auf seinem heiligen Thron bei den Göttern des Himmels!
Die Muse hilft dir allein, die Muse der Liebe,
Flüstert Worte von Sehnsucht und leitet dein Herz in den Jungen.
Freudiger Anfang von allem ist Kunst der heiligen Muse:
Mit ihrem Rat erwächst das Feuer erneut in dem Geiste,
Weckt die Seele des Knaben mit klugen, spielenden Scherzen,
Gibt ihm des Herzens Wort, mit Liebe erfüllt in die Ohren.
Philaenis schrieb dieses Buch: Gib Weisheit und Wissen,
Teile sie frei, doch nicht die Begierden der Wollust!
Der olympische Held kam siegreich zur Hetaere
Und sprach zu der Schönen: O Ehre der Schönheit geziemt dir!
Sieh, wie der Nacken des starken Bocks zerbricht,
Vom zaubernden Reiz des Gewands der jungen Maid überwunden!
O meine Mutter, bei jenem Vater des Lichtes,
Wie sollt’ ich nehmen ins Lager den Nichtsnutzigen,
Der alle Mädchen begehrt in seinem Bette zu einen,
Dass sie ihm alle zugleich das Brot der Wollust bereiten?
Zieh einen anderen Weg, o grauhaariger Alter!
In der Stunde des Todes gedenke nicht sinnlicher Lust
Mit der Frau eines Weibes von niederem Stand! Willst du Gott dich
Weihen, so sterbe nicht hin mit dem Ruf nach Genuss!
Gnathaena lud mich ein, wir tranken vom roten Weine.
Diphilos, sprach sie, jetzt sind wir zwei hier allein.
Gnathaena, sprach ich, wie kalt ist der Rand deines Bechers,
An dem die Lippen des Trinkers gefrieren! – Da sprach sie,
Lächelnd mit Blick, das ist dir zur Strafe gegeben,
Weil du so oft mich verhöhnt in deinen Stücken der Bühne.
Gnathaena fürchtete stets, dass jemand die Künste erlernte,
Mehr in den Gaben der Liebe an Reichtum gewänne als sie.
Diphilos strafte sie so: Er gab ihr ein glänzendes Antlitz,
Zeigte die Frau in seinen Stücken der Welt.
Nun sag mir, o Dichter, warum schreibst du solche Verse?
Fort, ihr Sünder, die ihr derart böses betreibt!
Euripides stand da, erstaunte, wie selten, und murmelte
Leise im Bart: Du Dirne, bist du nicht die, die es tut?
Warum erstaunst du, wenn ein Dichter davon dir erzählet?
Sprach da die Dirne: Dichter, ich gebe den Leib dir zur Lust,
Böse jedoch wird’s nur denen, die selbst Böses denken!
O bei Athene und allen Göttern der Freuden,
Wie kalt sind die Wasser in deiner tiefen Fontäne!
Doch Strafe ist’s, dass dein Wort mich betrogen und ließ
Mich sprechen, verwirrt, in dem törichten Eingang des Spiels.
Ein Fremder, ein Krieger, ein Held aus fernem Gefilde,
Der sich im Siege gewiss bei allen Kämpfen gewähnt,
Kommend nach Athen, schaute ringsum und sandte
Mania einen Boten: Er wollte die Phrygerin haben,
Gold wollt’ er zahlen und geben, was immer sie wünsche.
Ladend zum Mahl, rief er einen Freund, den Trunkenbold,
Einen Gefährten, der gern mit wildem Wahnsinn im Wein sich
Schmeichelnd ertränkt und entgleitet vom schmalen Pfad des Erbarmens.
Unser Mann fragt ihn: Mein Bruder, sag mir, was wohl
In dieser Welt das schnellste Wesen sei?
Rätselhaft und gewitzt war die Frage, die Antilope
Jagend zu stellen, wie schwarze Panther sie hetzen.
Mania stand im Raum, war schöner als jeder Traum,
Tritt’ ein und aus beim Gelage; dann sprach sie gewitzt:
Das schnellste Tier? Du selbst, o Krieger!
Das schnellste Wesen von allen bist du, Sieger!
Denn ich erinn’re mich wohl, Gast meiner Seele,
Wie einst im Kriege deinen Schild du fallen ließest!
Mania lächelt und spricht: „O Geliebter, bei Propheten,
Lernen will ich allein von olympischen Männern, den Athleten,
Die den Diskus stoßen, Stoß auf Stoß wie Götter sich messen!
Also stoße auch du in der Nacht in meinem Schoße!“
Einst sprach Callisto, die Dirne, die lüsterne Buhlerin, frech so:
„Sokrates, Mann mit der Stirn, von Furchen so tief wie die Wahrheit,
Mit der Rede lockst du keinen Jüngling von mir hinweg,
Der nach Callistos schmutzigem Lohn je lüstern verlangte!“
Sokrates aber entgegnet der Hure der Huren mit Weisheit:
„Götter sind bei dir, Eroten, nackt, wie der Himmel sie schuf,
Du hast es leicht, dein Weg ist gepflastert mit Blumen und Lichtern,
Weit steht offen das Tor, das führt in die Sünde und Schmach!
Doch ich führe die Meinen hinauf zu himmlischen Höhen,
Über den schmalen Pfad, der durch Dornengestrüpp zur Erlösung weist.
Breit ist der Weg, der hinab führt durch Gassen der Huren,
Dorthin zieht's die Massen, den Pöbel der sinnlosen Toren.
Steil ist der Pfad der Tugend, arm an fleischlichem Reiz,
Wenig sind jene, die wagen, den Weg des Kreuzes zu gehn.“
Einst sprach Thais, die Buhlerin, zu Euthydemos mit Lächeln:
„Was ist der Sophist, der mit A und O uns belehret,
Wenn nicht eine Hetaere, die willig dem Mann sich ergibt,
Immer bereit, wenn er will, und nach schnödem Lohn nur verlanget?
Wie die Hetaere strebt auch der Sophist nach Mammon und Gunst,
Reichtum und Ansehen sucht er, nicht nach der Wahrheit im Geist.“
Solon, der Weise, sah in Athen die Männer in Scharen,
Kundig in allem und voll von Geisteskraft und Begierden,
Doch es fehlte das Weibliche, Reiz und weibliche Zärtlichkeit.
Solon pflanzte daher in die Stadt die reinen Hetaeren,
Solches Gewerbe, das nützt und Lust dem Manne verschafft.
Nackt und bloß, sie standen auf Märkten, bereit zur Versuchung,
Ließen prüfen den Mann, ob er taugt für die Tat der Natur.
„Mann aus Griechenland, quälen dich Sorgen, des Lebens Beschwerde?
Fort mit dem Gram! Tritt ein in die Kammer der Lust und Vergessenheit!
Gib nur deinen Denar, selbst wenn dein Beutel voll ist,
Wird sie lieben, wie du willst, nach deiner Begierde sich fügen!“
Zeusvater kennt es wohl, ihr alten Frauen mit Klagen,
Huren tragen kein silbrig Haar in schamloser Pracht.
Nicht malen sie rot ihren Mund und Blau um die Augen,
Wenn auch die Sonne brennt, sie weinen nicht Tränen wie Tinte.
Nicht mischt sich Rot mit Blau in den Farben der Scham.
Nicht zittern sie vor dem Tod, nicht graut ihr dünnes Haar.
Junge Gestalten sind sie, fern von greisen Gebrechen,
Nicht wie die Witwen mit Strähnen so matt und so grau.
Ach, nur für das Rauben des Nächsten gibt sich die Taube
Lieblich wie Lieb' und flicht ein Netz wie die Spinne voll Hunger.
Ach, alle Hetaeren sind anders, als sie erscheinen,
Nackte Wahrheit ist selten, verbirgt sich hinter Gewändern.
Eine ist klein, doch streckt sich auf hohen Sohlen der Schuhe,
Breit ist des andern Leib, der Gürtel formet die Hüften,
Schmal ist der Blick, doch malt ein Pinsel die feurige Lippe,
Dass jedermann sie küssen will, berauscht von dem Rot.
Eine hat Brüste so klein, da formt sie sich prächtige Kissen,
Füllt die Gewänder aus, dass Männer träumen von Fülle.
Eine hat Hüften zu breit, sie hüllt sie in wallende Röcke,
Dass kein Bock an ihr merkt, wie schwer sie an Reizen gebricht.
Doch wenn ein Teil wohlgestaltet, enthüllt sie ihn nackt,
Zeigt die Brust wie Schaum auf schäumenden Wogen des Meeres.
Schneeweiß glänzen die Zähne, dann lacht sie oft, um zu zeigen,
Wie die Perlen sich reihen und ihre Schönheit bestärken.
Und wenn sie traurig scheint, dann will sie gekitzelt sein,
Lässt den Dichter als Narren sie mit seinem Witz ergötzen,
Dass die Zähne erneut wie Perlen im Lichte erstrahlen.
Kunstvoll in jeder Täuschung ist jede Hure der Welt.
Einst sprach Diogenes, der zynische Hund, voller Spott,
Hin zu Aristippos, dem Schüler des weisen Sokrates:
„Armer Aristippos, du liebst eine frevelnde Dirn?
Wende dich ab und folge der reinen Lehre des Hunds,
Werde wie ich, ein Zyniker, arm und frei von Besitz!“
Lächelnd erwiderte da Aristippos mit scharfer Zunge:
„Lebst du nicht schlecht in der Welt, wo schon viele gehaust?“
Darauf Diogenes sprach: „Für mich ist schlecht dies nicht!“
Aristippos erwidert: „Hat nicht auch einer das Recht,
Mitzufahren im Schiff, das viele zuvor schon trug?“
Doch Diogenes fragt: „Und wie ist's bestellt mit den Dirnen?“
Aristippos sprach: „Dann will ich mich freuen daran,
An der Frau, die mit süßem Leib uns allen gewährt,
Was sie mit Freude den vielen in Schattenwelt gab.
Auch ich will der nackten Dirne mich lustvoll ergeben!“
Wie sie speist, die Dirne, welch edler Anblick beim Mahl!
Roh verschlingt sie das Fleisch nicht, wie Männer es oftmals tun.
Nie zerreißt sie mit Zähnen, was Jäger ihr Netzwerk bringt,
Nimmer mit Wolfsgier beißt sie ins duftende Wild.
Nein, mit Maß und Sitte, wie fromme Jungfrauen es tun,
Dient sie dem Mahl, ein Vorbild der Anmut und Harmonie.
Schön verzehrte die Dirne den goldbraun gebratenen Erpel.
Singe, o Muse, von Frauen und ihrer wandelnden Art,
So wie ich sie erblickte auf Erden, in allen Gestalten.
Eine voll Kraft, wie Männer, die heftig sich Gaben erringt,
Eine von Lust erfüllt, sie saugt Mark aus dem süßesten Knochen.
Eine ist klug und weise, fast nennen die Menschen sie weise,
Andere streng und rau, so richtet sie alles mit Härte.
Eine vertreibt den Freier, der treulich sie liebt und verehrt,
Nimmt doch das Opfergeschenk und lächelt dabei verschmitzt.
Sokrates sprach zur Hetäre, Theodote war ihr Name:
„Dein Körper birgt die Seele, die ewig strebt nach dem Licht.
Diese lehrt dich, wie Schönheit den Menschen Freuden verleiht,
Wie das Wort aus deinem Herzen von Weisheit durchdrungen strahlt,
Wie du die Gäste des Geistes empfängst mit reiner Verehrung,
Doch den Schlechten meidest und hassest mit ganzer Glut.
Kommst du zu Kranken, den Freunden, und hältst ihre Hände fest,
Dankbar preisen die Götter, die Liebe in dir erkannt.
Finden sie Glück, so teile die Freude im Lobe des Höchsten,
Kommt ihnen Kummer, so sei ihr Trost in freundlichem Lächeln.“
Einst sprach die Mutter, den Finger erhoben, zur Tochter:
„Diphilus sprach mir, ein Ahnungsschauer beschlich ihn:
Dass du mit Männern getrunken, im Reigen mit ihnen getanzt,
Dass du mit Reizen alle bezaubert und freudig gesungen,
Mit dem Klang der Zymbeln die Blicke der Männer gefesselt,
Und am Ende hast du den Freund mit Küssen bedacht.“
Sokrates sprach über Theodote, schön wie die Göttin:
„Aphrodites Zier war sie, ein Geschenk für die Welt,
Die Männern gab, wonach sie begehrten, mit reichem Herzen.
Einst sah ein Maler die Maid, da wollte er sie gestalten,
Denn Uranias Glanz umwob sie mit göttlichem Schein.
Dann wurde sie Muse; er sah, was nackt die Tugend erlaubt:
Die holdeste Frau, wie strahlend sie war, des Paradieses Bild.“
Praxiteles schuf die Gestalt des Eros im Stein,
Offenbarte so Macht des Eros, die unsichtbar lebt,
Zeigte zugleich als Künstler die Demut, die ihn bewegte,
Was er erlitten durch Eros' allmächtigen Bann.
Nach seinem inneren Maß gab er die Form dem Marmor
Und schenkte sie Phryne, sein Liebespfand, ganz und gar.
Nicht mehr von Waffen kommt nunmehr Eros’ Verlockung,
Sondern vom Bilde, das Kunst mit Liebe erschuf.
Die Göttin der Liebe, entblößt in herrlicher Nacktheit,
Steht als Knidia nun mit enthüllter Brust im Altar.
Dort, wo ein jeder sie sehen darf, Männer wie Kenner,
Mit Blicken, wie Aphrodite selbst es gebietet, bewundern.
So wird, was Lust gebiert, in reinem Marmor verewigt:
Von vorn und hinten zeigt sich die Göttin in aller Pracht.
Schön ist sie überall, die Göttin, die Nackte!
Phryne, die Liebste, war ihr lebendiges Bild.
Cythere, von Paphos kommend, wandelt durchs Meer,
Um zum Tempel zu schreiten in Knidos, der heiligen Stätte.
Dort schaut sie ihr Abbild, das Marmorbild, wunderschön,
Seufzt leise und haucht mit liebendem Klang in die Luft:
Praxiteles, Freund, sag, wie soll ich das nur verstehen?
Wann hast du Kythera, die Göttliche, nackt je gesehen?
Da sprach Phryne, die Freundin, mit lächelndem Mund zum Künstler:
Fürchte dich nicht, mein Freund. Es scheint, du hast es erfasst:
Die Göttin in ihrer Nacktheit, einzig und unvergleichlich,
Die Königin der Liebe, wie keiner sie je gesehen.
Du hast durch deine Kunst sie als Göttin neu erschaffen,
Denn keusch ist dein Werk und doch voll göttlicher Glut.
Ich, Phryne, war die Muse für Aphrodites Gestalt,
Du sahst mich, dein Modell und dein Streben, enthüllt.
Phryne, die fünfzig Jahre zählte, dein Vorbild,
Wird hier als Göttin im Tempel verehrt für alle Zeit.
Einst stand Phryne vor Richtern und ihren strengen Gesetzten,
Schon waren sie bereit, das Urteil zu sprechen im Saal.
Da, für die Nachwelt bestimmt, was sie damals bewegte,
Riss sie das Hemd von ihrem Busen, entblößte die Brust.
Vor den Anwälten und Richtern, inmitten der Menge,
Stand sie nackt und erhob stolz ihre göttliche Form.
So offenbarte sie, was Natur in Schönheit schuf,
Und laut jubelte jeder vor fleischgewordener Lust!
Ihr Verteidiger sprach: „Seht die Göttin auf ihrem Thron,
Die Priesterin ihrer Lust, wie sie selbst Gnade gewährt.
Die Königin allen Begehrens hat Phryne erhört,
Und ihr Urteil ist gütig: der Göttlichen sei geweiht!“
Mit Recht erhebt man die Tempel für jene, die lieben,
Die Hetaeren, geweiht in der Ehre der Frauen des Ruhms.
Doch in Griechenland sieht man nirgendwo, niemals,
Einen Tempel, den Männer für ihre Gattinnen stiften.
Doch nennt man die Hetaeren stets nur die Freundinnen,
Geweiht der Göttin der Liebe allein, Aphrodite.
Diese, Urania selbst, die als Mythos gepriesen,
Schuf den schönen Bund, der Männer und Frauen vereint.
So währt die Freundschaft im Kuss und in mancher Umarmung,
Mit Gnade gesegnet durch Aphrodites Macht.
In den Häfen von Korinth folgt man ehrwürdigen Sitten,
Dort betet das Volk zur schaumgeborenen Königin.
Die Männer flehen mit inbrünstigem Herzen die Göttin,
Dass sie die Gunst der Hetaeren gütig gewähre.
So, im Kult der Aphrodite, schenken sich jene,
Die Lust im Opfer zu nähren, den betenden Männern.
Die Buhlerinnen bringen ihre Gaben voll Liebe,
Opfern die Freuden, die Aphrodite gebot.
Junge Mädchen, ihr Diener der Liebe, ihr Töchter Peithos,
Herrscherinnen des Drangs, die Lust als Königin führend!
Räucherwerk brennt ihr auf Altären der großen Göttin,
Sprechend heiße Gebete mit inniger Glut zu der Mutter.
Zugesichert sei euch, dass man im erraubten Gemache
Mit den schönsten Zweigen des Eros wild sich umfange!
Doch ich frage mich leise: Was wird der Vatergott sprechen,
Hört er dieses Lied? Wird er’s höhnisch mit Spott überschütten,
Dass ich mit süßem Gesang und honigsprudelnder Zunge
Sang von der Liebe zu Jungfrau'n, zärtlich und rein?
O Hafen von Korinth, o Hafen der Glückseligkeit,
In dem Tempel will ich ruh'n bei tausend Dirnen der Liebe.
Tausend und abertausend Hetaeren schmücken den Hafen,
Priesterinnen der Lust, so schön und sinnlich die Mädchen!
Reich ward die Stadt durch sie, denn Männer aus aller Welt
Ziehen nach Korinth, Sehnsucht im Herzen, Freude im Sinn,
Und ein Seemann naht, und ein Kapitän kommt begierig,
Paradiese zu schauen, hier auf der Erde erschaffen!
In Korinths Hafen ein Fest der Liebe lodert empor,
Ein Fest der freien Begierden, ein Rausch, ungezähmte Gelüste!
Keine Bürgerin naht, kein Gattin des freien Mannes,
Doch die Sklavinnen tanzen in heißer, schamloser Glut,
Spielgesellinnen lachen, und Freier sind trunken vor Lust!
Oh, selig, wer berauscht an des Busens Quelle noch trinkt!
Einst König Gyges, der Herrscher von Lydiens Reichen,
War besessen vom Leib der Jungfrau Uranias Heiligtum.
Ganz seinem Triebe verfallen, war er der Liebe ein Narr,
Schenkte der Frau die Hälfte des Reichs, ein törichter Jünger.
Noch nach dem Tode liebte er diese Göttin des Fleisches,
Baute ihr Denkmal aus Marmor, ein ewig währender Zeuge,
Dass er von jenem Schoße der Schöße einst war umfangen!
So gewaltig das Denkmal, so hoch und weit es emporragt,
Dass man vom Gipfel des Tmolus es heute noch kann erblicken.
Groß war Harpatus, der Held aus Makedoniens Landen,
Einst sah er Pythionike, begehrte die schöne Hetaere,
Gab ihr Reichtum und Ehre, sein Gold und die Kraft seines Lebens.
Doch war die Frau nichts mehr als eine gewöhnliche Dirne,
Trotz ihres Glanzes ein Mädchen des Tempels, Hure der Lust.
Als sie verschied, erbaut’ er ein Denkmal, hoch und gewaltig,
Dass alle Welt in lodernder Glut aufblickt zu dem Tempel!
Als sie im Grab versank, da bliesen Flöten zum Abschied,
Und ein Chor sang laut, dass Pythionike im Himmel
Nun weile, bei den Göttern, in ewiger Lust vereint!
Auf der heiligen Straße zur heiligen Stadt der Athene
Ragt in der Ferne ein Tempel, sichtbar von weitem die Säulen.
Dort steht ein Denkmal, geschmückt und von Kennern geachtet,
Als ein Werk von Verstand, ein Zeichen des weisen Perikles.
Doch bei näherem Blick enthüllt sich die rätselhafte Wahrheit:
Nicht ein Mann ist geehrt, sondern ein Mädchen der Freude.
Pythionike, so war ihr Name, ein Tempel der Liebe.
Ihr zu Ehren schuf ein Freund dieses gewaltige Werk.
In Athen, geheiligt, der Weisheit Nabel der Götter,
Steht ein Denkmal, das selbst auch Tochter Babel bezeugt.
Dieses errichtete einst der Freund Alexanders,
Schönstes Monument der alten Welt.
Pythionice, der Liebe Lust war sie Zeichen,
Einen Tempel erbaut’ ihr der Freund, zu Ehren geweiht.
Pythionice, wo Freier sie suchten im Flehen,
War wie Venus begehrt, erhoben im Gebet!
Großer Harpatus gebot den Menschen des Reiches,
Mit des Königs Machtgebot ihm die Krone zu weih’n.
So sollt’ die Welt, durch die Göttin des Morgensterns gütig,
Erst das Diadem, das reine, den Edlen bringen.
Huldigt der Herrscherin, der nackten, schönsten Geliebten,
Denn wie der König erhaben im Geiste regiert’,
So war die Herrin die Königin über das Reich.
Die Nackte war groß, die Basilissa genannt,
Des Reiches Kronenträgerin, Aphroditens Magd!
Achtet das Gebot, ihr Männer, mit Sorgfalt und Ehre,
Mehr als der Mutter die Königin liebt und die Frau!
Ach, die schönste der Frauen, das süßeste Weibchen,
Die sich im Tempel der Götter teilt mit Eros das Haus,
Die war Liebe selbst, in göttlicher Pracht ein Vorbild!
Worin mag die Frau mit Magie die Freier bedrängen,
Dass sie in Fesseln die Herzen und Sinne bezwingt?
Ich sah das Bildnis der Hetäre, der Cottina aus Marmor.
Blick’ ich auf Marmor, entzündet sich Flamme der Lust.
Cottina, begehrt vom ersten Blick! Der Busen schimmert,
Leuchtend wie Schnee! Ihr Name ruft schon Freudenhausbilder,
Dicht bei Colona, wo oben ein Tempel des Dionys thront.
Dort ist ein Freudenhaus, bekannt in der kleinen Gemeinde,
Wo Frauen reifen und Jungfrauen erstaunt lernen zu dienen.
Selbst Athene bezeugt Cottinas Brust wie des Rindes
Voller Euter, verhüllt in himmlischem Glanz.
Einst war eine Frau, die schön wie die kleine Thais,
Gleich an Anmut wie Lais, der Hürde gleich!
Zu Alexander sprach die Dirne Thais:
„O Alexander, komm mit nach Persien schnell!
Feuer und Wein berauschen die Frauen im Taumel,
Dass sie im Rausch mit Händen, wild und entschlossen,
Stürzen die Tempel Persiens zur Rache für Aphroditens
Hain, den einst die Perser gestürmt!“
Und so geschah es. Die Jünglinge, Weise im Trunke,
Rauchend vom Weine, im Dunst des Rausches gelehrt,
Frauen in Ekstase, zerstörten die Tempel in Bogen,
Stürzten die Steine im Wahn und flammender Glut!
Tanzend das Becken der Frau, bebend die Brust!
In Abydos einst lauerten schlau die dienenden Sklaven,
Hetaeren eroberten Mauern mit listigem Geist.
Drangen hinein in die Stadt, die Flammen entzündend im Dunkel,
Töteten Männer und Knaben in nächtlichem Schlaf.
Weihten sodann die glühende Stadt, im Feuerschein leuchtend,
Ihr, der Göttin der Lust, der holden Aphrodite!
Als Perser fielen aus düsterem Osten in Griechenlands Stätten,
Heil'ges Land zu verderben im frommen Abendland,
Flehten die Dirnen zur Göttin, der holden Aphrodite,
Dass sie schütze den Westen, der Schönheit blühenden Baum.
Weihten Hetaeren das Griechenland ihr, der Himmelskönigin,
Legten in treuer Hand das weise Hellas zur Hut,
Athen, die festen Burgen des Geistes, voll Vertrauen.
Beten erhob sich empor aus himmlischem Freudenhaus!
DREIUNDZWANZIGSTER GESANG
Phryné, die Blühende, strahlend im Glanze der göttlichen Schönheit,
Wandelte kühn durch die Hallen der Stadt, die Athene geweiht war.
Hoch aus Thespiai stammte sie, wo die Musen noch singen,
Zog dann nach Athen, wo Reichtum und Macht ihre Pfade belebten.
Mnesareté ward ihr Name, der Tugend gedenkend im Worte,
Doch als Phryné war sie bekannt, dem schillernden Kosenamen,
Der ihr verliehen, wohl scherzend, nach einem gemeinen Geschöpfe,
Doch wer sie erblickte, vergaß, dass sie einst nach der Kröte benannt ward.
Mächtige Männer, von Sehnsucht getrieben, umfingen ihr Lager,
Gab ihr Gold und Juwelen, von deren Glanz sie umflutet.
Selbst ein reicher Patrizier, der Schiffe auf Meere entsandte,
Sank vor ihr hin, als tränk' ihn die Charybdis hinunter,
Wie Anaxilas berichtet in Worten der bitteren Spötter.
Doch ihr Ruhm war nicht bloß das Spiel um den Glanz und die Schätze,
Sondern das Urteil, das einst über sie gesprochen zu werden bestimmt war.
Euthias, der Kläger, bezichtigte sie der sündigen Taten,
Dass sie den Göttern getrotzt und das Heiligtum frevelnd entweiht hätt'.
Hypereides, ihr Redner, gewandt in der Kunst der Verteidigung,
Stritt für ihr Leben mit Worten, so scharf wie das Eisen der Krieger.
Doch als das Wort nicht genügte, enthüllte er ihre Gestalt ganz,
Löste den Saum ihres Kleides, enthüllte der Schönheit Gewaltkraft.
Staunen ergriff die Richter, die Weisheit mit Würde verhießen,
Denn wer so göttlich geschaffen, kann frevelnd den Göttern entsagen?
Also erging das Urteil, sie sei von Schuld zu entbinden,
Und so verließ sie den Ort, unberührt von den Ketten des Schicksals.
Doch in den Hallen der Künste blieb ihre Gestalt unvergessen,
Gérôme malte ihr Bildnis, das Auge der Welt zu betören.
Noch in Geschichten und Sagen lebt sie, die göttliche Phryné,
Die durch die Schönheit gewann, wo Worte allein nicht genügten.
Weithin leuchtet der Name der schönen Phryne in Hellas,
Thespiens Tochter, gepriesen von Liedern und Lobpreis der Männer,
Doch nun steht sie gerichtet vor Athens gestrenger Areiopag,
Angeklagt von Euthias, der einst ihr Gunstlied gesungen.
Doch warum klagt er die Frau, die er vormals liebend umworben?
War es verschmähte Begierde, die ihn zur Anklage trieb?
Oder der Eifer des Frommen, der frevlerische Missetat sühnt?
Denn er sprach: Ich zeige euch Phryne, die frevlerisch sündigt,
Kühne Prozessionen geführt, ein fremdes Götzenbild ehrend,
Männer und Frauen vereint in verbotenen nächtlichen Reigen.
Isodaitēs, der Fremdling, ward nun der Grund ihrer Klage,
Gott der geheimen Mysterien, Jünger des dionysischen Rausches.
Dunkel blieb seinen Richtern, was wirklich im Heiligtum geschah,
Doch der Verdacht wog schwer, ihr drohte Athens härteste Strafe.
Hypéride, ihr Anwalt, erhob nun das Wort zur Verteidigung,
Doch sein Redefluss, sein kunstvoll geflochtener Wortstrom,
Schien nicht zu rühren die Richter, die streng auf das Urteil blickten.
Schon war das Urteil zu fällen, der Spruch des Gerichts zu vernehmen,
Als er, getrieben von letzter Verzweiflung, ein Wunder vollbrachte:
Phryne, die schöne, enthüllt, ließ schimmern die göttliche Anmut,
Zeigte den Richtern das Werk, das Aphrodite geschaffen.
Staunen ergriff die Versammlung, und Ehrfurcht mischte sich in sie,
Denn wer solch Schönheit besaß, konnt' nicht von Göttern verstoßen sein!
So ward durch göttliche Gnade, durch Schönheit, die Herzen berührte,
Phryne gerettet vom Tod, befreit aus dem eisernen Urteil.
Euthias verstummte, verklang, verklagte fortan nie mehr einen,
Denn seine Worte zerschellten an Aphrodites Erbarmen.
Singt nun, o Musen, das Lied von Phryne, der blendenden Schönen,
Die nicht durch Worte, durch Kunst, durch Tugend allein ward gerettet,
Sondern durch himmlische Schönheit, ein Zeichen der Götter auf Erden!
Hoch in Athen, wo die Marmorhallen des Tempels erglänzten,
Lebte Phryné, die Schöne, gepriesen von Künstlern und Weisen.
Nicht durch Gewandung enthüllt' sie ihr prächtiges königliches Antlitz,
Nie in den Bädern erschien sie, verborgen blieb stets ihre Schönheit.
Doch als die Feste Poseidons riefen und Eleusis sang,
Trat sie hervor, entkleidete mutig den leuchtenden Körper,
Löste die Locken, die goldenen, glänzenden Fluten der Haare,
Tauchte hinab in die See, und Griechenland staunte in Ehrfurcht.
Apelles erblickte sie strahlend und malte die Göttin,
Aphrodite, entsteigend den schäumenden Wogen des Meeres.
Praxiteles, vom Eros entflammt, erschuf aus dem Marmor
Jenes Bild, das noch heute in Tempeln die Menschen entzücket.
Doch nicht allein war sie Hure, die edelste unter den Schönen,
Priesterin war sie der Liebesgöttin, geweiht Aphrodite,
Trug in den heiligen Händen die Zeichen erhabener Weihen,
Schaute die Richter mit Augen, die glühten in heiliger Wahrheit.
Als dann Anklage erscholl, als finstere Stimmen erhoben,
Führte man sie vor das hohe Gericht der erhabenen Richter.
Hypereides stand auf, der Beredsamste unter den Rednern,
Kannte die Kunst der Worte, doch Worte genügten ihm nicht.
Zog ihr das Linnen herab, entblößte die schimmernden Brüste,
Strahlend, als sei sie die Tochter des Zeus und des goldenen Lichts.
Staunend verstummten die Richter, ergriffen von göttlicher Ehrfurcht,
Schwiegen, verneigten sich tief und sprachen den Freispruch.
Nicht durch die Worte des Redners, nicht durch die List des Verstandes,
Sondern durch Anmut und Glanz, die höchste Gewalt der Natur.
So ward ihr Name besungen von Dichtern, von weisen Historikern,
Durch die Gassen Athenes, von Marktplatz zu Marktplatz getragen,
Phryné, die Schöne, die Hohe, Geliebte der Himmlischen selbst.
Hoch ragt Phryne, die Schöne, vor Athens ehrwürdigen Richtern,
Sorglos stehend im Glanz der Gestalt, die Götter beseelte.
Drohend wankte der Spruch, das Wort der Gesetze war härter,
Doch als fallend ihr Kleid den blendenden Körper enthüllte,
Standen die Männer betört, und Gnade schied aus den Lippen:
Solch ein Wundergebilde verdammte kein sterbliches Urteil!
Hécuba, Mutter des Helden, der Achills Speere erwarten
Sollte im leidvollen Kampf, flehte mit bebenden Worten,
Riss mit zitternder Hand die Falten des purpurnen Gewandes,
Bot ihm bebend den Schoß, der einst seine Kindheit genährt hat,
Während die Tränen, wie Bäche von Bergen, die Wangen hinabflossen:
Hector, mein Sohn, achte dies Mahl der früheren Liebe!
Weinend ragte Antigone auf, die Schwester der Toten,
Löste die Bänder des Haars, das fiel auf die Schultern in Wellen,
Riss von der schimmernden Brust die safranfarbige Hülle,
Schreitend im Klagelied für die, die in Blut sich verströmten.
Klagend rief sie hinaus, wo der Vater mit blinden Pupillen
Lauschte dem Jammergesang, der leise im Winde verwehte.
Orestes hört aus Clytaimnestras Lippen die Bitte,
Hält nicht inne den Stahl, den Racheschwur auszuführen.
Sieh, o mein Sohn! Dies ist die Brust, die einst dich genährt hat!
Doch sein Herz bleibt kalt, da Gerechtigkeit höher als Liebe
Wiegt in den Augen des Manns, der Blutschuld sühnen muss ehern.
Iphigenie steht vor dem Altar, des Messers gezückter
Stahl glänzt schaurig im Licht der geweihten hölzernen Täfelung.
Hebt die Stimme und spricht: Hier, Jüngling, triff, wo du treffen
Willst, denn mein Leib ist bereit, dem Heere das Zeichen zu geben.
Sank sie mit Anmut dahin, noch sorgend, dass nichts sich entblöße,
Während das Blut aus der Wunde die Erde berührte mit Tropfen.
So ward das Antlitz der Zeit von Göttergestalten gepräget,
Wo die enthüllte Brust nicht Scham, doch flehende Bitte,
Nicht nur Reiz, doch Mahnung an uralte heilige Rechte
War in den Zeiten, da Menschen den Göttern näher noch lebten.
Mit erzitternder Stimme, von Angst und von Schrecken umfangen,
Stand dort Iphigenie, jung, in den Händen der finsteren Priester.
Betend erhob sie die Hände zum Vater, dem Herz doch versteinert,
Denn die Gier nach dem Krieg überwog des Erbarmens Gebote.
Götter sie riefen, doch Artemis schwieg in den lichten Gefilden,
Während der Vater befahl, sie zu binden, die Arme zu knebeln,
Dass sie nicht fliehe, nicht spreche, nicht klage in schreiendem Jammer.
Gleich einer Geiß, die zum Opfer geführt wird, am Altar erhoben,
Schwanden die Kräfte ihr bald, nur der Blick in verzweifelter Bitte
Rief nach Erbarmen, das keins mehr fand in der Runde der Männer.
Leise entglitt ihr das Tuch, sank nieder in schimmerndem Safran,
Hüllte den Boden in Gold, doch enthüllte die bebenden Formen.
Schweigend umstanden sie all, die entblößte, die flehend in Scham war,
Doch sie erbarmten sich nicht, denn die Opfer verlangten die Götter.
Schicksal entschied, doch die Unschuld fleht, dass das Unrecht nicht siege.
Artemis hörte den Ruf und entwand sie den mordenden Händen,
Ließ an der Stätte des Blutes ein sanftes Geschöpf nur zurück.
Nicht nur in Zeiten der Mythen, in Dramen und tragischen Sagen,
Bleibt uns erhalten das Bild jener göttlichen heiligen Geste.
Siehe, in Mantineia, einst, als die Stadt ward bezwungen,
Wankten die Frauen, gerissen aus Heim und aus Tempel und Leben.
Hände zum Himmel gestreckt, im Sturm ihrer Tränen und Klagen,
Rissen sie Kleider entzwei, um zu flehen, die Brüste entblößend.
Nicht mehr die Königin nur, nicht allein die Heroen der Dichtung,
Nein, auch die Mütter, die Bräute, die Kinder, die Greise im Weinen.
So ward das Flehen gezeigt, mit dem heiligsten Zeichen der Ohnmacht.
Einst war die Geste geweiht, doch die Zeiten verändern das Heiligtum.
Pélée rief es heraus, mit zorniger Stimme in Klage:
Feigling, du Mörder der Tochter, du Stifter des elenden Krieges!
Hättest du Helena, jene Verräterin, wahrlich gerichtet,
Doch nein! Kaum erblicktest du sie, ihr funkelndes Antlitz,
Sanken die Waffen, und glühend empfingst du den Kuss der Verfluchten.
So ward das Heilige Schmach, und die Geste zur niedersten List nun.
Seht nun Phryne, die Schöne, zum Tode verdammt durch das Urteil,
Fühlt sie die Stunde schon nah, den finsteren Spruch der Gerichte.
Doch in der Stunde der Not, in verzweifeltem Ringen um Rettung,
Reißt sie die Kleider entzwei und zeigt die erhabenen Formen.
Nicht aus Lüsternheit, nicht aus täuschender List, nicht in Frevel,
Nein, es war heiliger Fleh, es war alter und ehrfester Brauch.
Bebend verstummte der Rat, und das Urteil versank in den Schatten,
Denn was die Sinne erkannt, war geweiht und entzogen dem Scheiter.
So ward das Flehen zur Kunst, zur Geste der Menschen im Weinen,
Dort, wo die Ohnmacht regiert, spricht der Körper in heiliger Wehmut.
Doch auch entweiht und gebrochen, als List und als frevelnde Schande,
Bleibt uns die Geste bestehen, in Schriften, in Sagen, in Liedern.
Denn wo der Mensch sich erhebt in verzweifeltem Kampfe ums Leben,
Dort wird der Körper zum Wort, das kein Richter der Erde zerreißen kann.
O du ewige Muse, gewähre den Fluss meiner Rede,
Dass ich erzähle von Phryné, der schönen, der klugen,
Die vor Richtern einst stand, bedrängt von finsterem Schicksal.
Nicht der Vergehen, nicht der Sünde ward sie bezichtigt,
Sondern des Frevels am Heiligtum, frevelnder Läster.
Doch dort stand sie nun flehend, mit Tränen in goldenen Augen,
Nicht mehr die Hohe, die Stolze, die Göttergleiche,
Sondern ein Weib in Not, von Angst umfangen, von Schrecken.
Hypéride war’s, ihr Berater, ihr Freund und Geliebter,
Der nun kämpfte mit Worten, die klangen wie Blitze des Zeus.
Doch es genügte nicht Rede noch List, noch beredtes Verhandeln,
Also enthüllte er Phryné, entblößte den göttlichen Körper.
Stille ergriff das Gericht, die Luft stand schwer in den Hallen,
Und der Anblick der Schönheit durchbohrte die Seelen der Richter,
Dass sie nicht wagten, die Zierde der Welt zu verdammen.
War’s kluger Betrug oder List? War’s heiliger Wille?
Athene selbst vielleicht führte des Redners Hände,
Denn die Geschichte ward weitergereicht, verklärt durch die Zeiten,
Nicht mehr war Phryné die Flehende, bebend in jammerndem Weinen,
Sondern die Hohe, die Weise, die Göttliche, die Unerschütterte.
So ward das Wort umgestaltet, von Zunge zu Zunge gewandelt,
Und Hypéride galt als der Retter, als kühnster Verteid'ger.
Phryné jedoch, sie lächelte bloß, in ihrer Kammer,
Wo sie mit sanfter Stimme die List mit ihm einst beschloss:
Lass sie’s glauben, mein Freund, so bleibst du erhaben und ich.
Und so erglänzt ihre Schönheit im Wort wie im Lied durch die Zeiten,
Nicht als die Flehende, nein, als die Hohe, die Ewige, Stolze.
VIERUNDZWANZIGSTER GESANG
Jetzt, da ich scheide von dir, so will ich dir schildern
Eine Geschichte von Liebe, die ich von Diotima vernommen,
Mantineias Tochter, der klugen und weisen Gelehrten,
Die, so sagt man, einst durch Gebete und Opfer den Bürgern
Athens die drohende Pest um ein Jahrzehnt lang entzog.
Diese war meine Lehrerin, sie lehrte die Kunst mir der Liebe.
Und was sie sprach, das will ich dir nun nach meinem Vermögen
Wiederholen und so die Rede Agathons greifen,
Die fast denselben Gedanken in ähnlicher Weise enthielt.
Denn dies scheint mir der leichteste Weg, um darzustellen
All das, was einst zwischen uns in Reden verhandelt.
Zuerst, Agathon, wie du rietest, will ich die Liebe
Selbst besingen, ihr Wesen und Sein, sodann ihre Werke.
Einst begann ich, der Frau dieselben Worte zu sprechen,
Die ich dir jetzt wiederhole, indem ich sagte: Die Liebe
Ist wahrlich mächtig und schön, und darum ein großer
Gott. Doch da zeigte sie mir, wie ich nun auch dir es beweisen,
Dass die Liebe weder gut noch wahrhaft schön sei im Wesen.
Was meinst du, Diotima, sprach ich, soll Liebe dann böse,
Schlecht und hässlich sein? Doch sie lächelte und sprach:
O nein, Sokrates, halte ein! Was nicht schön ist, ist darum
Noch lange nicht hässlich, und was nicht gut ist, ist darum
Nicht schlecht. Es gibt ein Mittleres, zwischen diesen beiden.
So erkläre es mir, sprach ich, was mag das Mittlere sein?
Richtige Meinung, so gab sie zur Antwort, die wahre Erkenntnis
Doch ohne Gründe bleibt. Sie ist weder Wissen noch Torheit;
Denn Wissen bedarf der Vernunft, Torheit fehlt jeder Wahrheit.
Zwischen den beiden jedoch steht die rechte Meinung.
Doch, sprach sie weiter, glaube nicht, dass, weil die Liebe
Nicht gut ist und nicht schön, sie darum schlecht sei und hässlich.
Sie wandelt vielmehr inmitten von Gutem und Bösem.
Und sage mir, Sokrates, meinst du nicht, dass die Liebe
Von allen für einen großen Gott gehalten wird? –
Gewiss doch, sprach ich, das wird doch jedermann sagen.
Ah, sprach sie, und wie kann es sein, dass ein Gott
Etwas entbehrt? Denn Liebe, wie du selbst sagtest, verlangt
Das Schöne, das Gute, und dies nur, weil es ihr mangelt.
Kannst du dann noch behaupten, dass Liebe ein Gott ist?
Da sprach ich: So sage mir doch, was ist Liebe? Ist sie
Sterblich oder ein Gott? Welchen Platz nimmt sie ein?
Keines von beiden, sprach sie, doch sie ist ein Daimon,
Ein Mittler zwischen den Göttern und sterblichen Menschen.
Er bringt Botschaften hin und her, die Gebete der Sterblichen,
Ihre Opfer den Göttern dar, und von den Göttern die Worte,
Weisungen und Antworten zurück zu den Menschen.
So steht er dazwischen und schafft das Band der Verbindung,
Dass die Welten sich fügen. Durch ihn wird das Prophetische
Kunst und das Priesteramt, die Opfer und alle Geheimnisse
Offenbart, und durch ihn spricht Gott im Traum zu den Menschen.
Denn ein Gott selbst mischt sich nicht mit Sterblichen ein,
Nur durch Liebe geschieht aller Austausch zwischen den Welten.
Als ich dies hörte, fragte ich weiter: Und sag mir, Diotima,
Wer sind die Eltern der Liebe? Woher stammt sie? Da sprach sie:
Die Geschichte ist lang, doch ich will sie dir gerne erzählen.
Am Tage, da Aphrodite das Licht der Welt erblickte,
Feierten die Götter ein Fest. Da war Poros, der Sohn
Der Klugheit, zugegen, und als das Festmahl vorüber,
Sank er voll des Nektars, da Wein noch unbekannt war,
Schwer in den Schlaf. Und da nahte Penia, die Armut,
Um zu bitten. Sie legte sich neben Poros im Garten,
Ward von ihm schwanger, und so gebar sie die Liebe,
Die ein ewiger Begleiter der schönen Aphrodite blieb,
Geboren an ihrem Tag und stets ein Diener des Schönen.
So sprach Diotima, und ich bewahrte ihre Worte im Herzen.
Wie auch immer sein Ursprung, so ist auch sein Wesen beschaffen.
Er ist stets arm und doch zart und schön in dem Anblick der Menschen;
Rau und elend zugleich, besitzt weder Schuhe noch Wohnung,
Liegt auf nackter Erde, entblößt unter himmlischen Weiten,
Vor den Türen der Häuser und ruht, wo ihn Müdigkeit findet.
Und wie seine Mutter lebt er beständig in bitterer Not.
Seinem Vater zugleich ist er ähnlich: Immer aufs Schöne,
Immer aufs Gute bedacht, ein Kämpfer mit mächtigem Willen,
Unternehmend und stark, ein Jäger des Lebens in Fülle,
Kühn, nach Weisheit zu streben, ein Meister listiger Künste,
Zu jeder Zeit ein Philosoph, und auch wie ein Zauberer wirkend,
Schrecklich und weise zugleich, ein Meister der Rede und Fragen.
Weder sterblich ist er von Natur, noch unsterblich, o Sokrates,
Blühend und lebendig jetzt, im nächsten Moment schon verderbend,
Dann wiedergeboren im Wechsel des väterlichen Erbes.
Was er empfängt, das rinnt ihm auch gleich wieder davon,
Daher ist er nie in Fülle noch jemals in völliger Armut.
Nicht in der Dunkelheit wohnt er, doch auch nicht im Lichte des Wissens,
Sondern im Zwischenraum schwebt sein Geist, ein Sucher der Wahrheit.
Kein Gott, Sokrates, strebt nach Weisheit – sie sind ja vollkommen.
Auch der Weise sucht nicht, da er schon das Wissen besitzt.
Doch der Tor sucht nicht, denn er glaubt, er wüsste bereits alles.
Zwischen den beiden jedoch, o Sokrates, stehen die Liebenden,
Die, die das Schöne begehren und Weisheit zu eigen sich wünschen.
Denn das Schönste ist Weisheit, und Liebe strebt stets nach dem Schönen,
Daher, Sokrates, ist auch die Liebe stets ein Philosoph,
Immer ein Liebender, suchend die Weisheit im Schoß des Verlangens.
So ist, o Freund, aus der Ehe von Mutter und Vater geboren
Jene Natur der Liebe, die stets sich im Mangel erhebt,
Nie ganz arm, nie reich, ein Mittler im Reigen der Welten.
Nun, so fragst du mich, was bringt uns die Liebe, o Sokrates?
Siehe, das Streben nach Gutem und Schönen verleiht uns das Glück.
Denn das Glück ist Gewinn der guten und herrlichen Dinge,
Und was der Mensch ersehnt, ist immer sein eigenes Wohlsein.
Doch nicht jeder, o Freund, erkennt, dass Liebe der Trieb ist,
Welcher das Leben bewegt, in vielerlei Namen verborgen.
Wie der Dichter ein Schöpfer ist, indem er das Nichtsein gestaltet,
Und wie Kunst aus der Leere das Sein immer wieder erschafft,
So ist Liebe die Kraft, die formt, was das Leben ersehnt,
Und in vieler Gestalt führt sie zum Ziel das Verlangen.
Nicht allein in der Weisheit, auch im Gymnast und im Händler
Findet die Liebe sich, doch nennt man sie anders mit Namen.
Jene allein, die nach Schönheit und Liebe benannt sind, verkörpern
Offen den Trieb, den doch allen das Leben gemeinsam verleiht.
„Ich wage zu sprechen“, so hub ich an, „dass du wahrlich
Recht hier hast, o Freundin.“ Sie sprach: „Das Gleiche, so höre,
Spricht auch das Volk, dass Liebende stets nach der Hälfte verlangen;
Doch ich sage: Nicht suchen sie Teile noch Ganzes von sich selbst,
Außer es wäre zugleich das Gute in jenem verbunden.
Würden sie Hände und Füße, die schlecht sind, vom Körper abschneiden?
Doch nur das Eigen‘ ist wert, geliebt zu werden, wenn es
Gutes enthält, das einem gehört, und Schlechtes von fremder Hand stammt.
Denn nichts lieben die Menschen so wie das Gute. Erkennst du
Etwas, das mehr geliebt wird?“ „Nein“, so sprach ich daraufhin.
„Dann ist die Wahrheit, dass alle das Gute lieben.“ „Das, ja, füge
Ich hinzu, dass sie wünschen, das Gute zu besitzen.“ „Das, ja,
Muss hinzugefügt sein.“ „Nicht nur Besitz, doch ewigen solcher
Gaben.“ „Auch dieses sei hinzugefügt.“ „Dann kann die Liebe“,
Sprach sie, „beschrieben werden als Wunsch nach ewigem Guten.“
„Das ist höchst wahr.“
„Doch sage mir, wenn dies wahr ist: Was dann verfolgen
Die Menschen, die Liebe genannt wird? Wohin führt dieses Verlangen?
Was ist das Ziel, dem diese Begierde folgt? Antworte, Sokrates!“
„Nein, Diotima, das weiß ich nicht; darum ja kam ich
Zu dir, um Weisheit zu hören.“ „Höre nun, ich will es dir lehren:
Geburt ist das Ziel, in Schönheit, sei es in Körpern oder
Seelen. Menschen gebären in beiden; dies ist die Wahrheit.
Die Sterblichkeit strebt nach Zeugung, in schöner Gestalt, niemals
In Hässlichkeit, denn das Schöne ist Göttlichkeit nah und das Hässliche fern.
Jenes ist harmonisch, dies bleibt fremd der himmlischen Ordnung.
Darum ist Schönheit das Schicksal, die Göttin, die bei der Geburt wacht.
Nur in ihrem Antlitz bringt der Mensch hervor und erschafft;
Schreckt vor Hässlichem ab, zieht sich zurück und leidet.
Denn die Liebe, Sokrates, ist mehr als Streben nach Schönem.“
„Was ist sie dann?“ fragte ich. Sie sprach: „Es ist die Begier
Nach Fortpflanzung im Schönen, nach Geburt, die das Sterbliche
Unsterblich macht, da im Zeugnis des Guten Ewigkeit lebt.“
All dies lehrte sie mich zu verschiedenen Zeiten, von Liebe erzählend,Als ich, Sokrates, hörte, was Diotima mir sagte:„Was ist die Ursache der Liebe und auch des Verlangens?Spürst du nicht, wie die Tiere und Vögel getrieben,Zeugen zu schaffen, entzündet vom Trieb der Begierde?Schau, wie sie leiden, die Liebe sie zwingend zur Einheit!Sorge um Nachwuchs treibt selbst die Schwächsten ins Kämpfen;Mutig trotzen sie Stärkeren, sterben, wenn’s darum geht,Ihre Jungen zu schützen und Leben für sie zu bewahren.Warum handeln sie so? Ist's bloß Vernunft, die sie leitet?Doch wieso Tiere? Sag, kannst du die Antwort mir geben?“
Wiederum sagte ich ihr, dass ich nichts davon wisse.Da sprach sie: „Und willst du ein Meister der Liebeskunst werden,Ohne dies zu begreifen? Denn wie könntest du lehren?Ich entgegnete ihr: „Diotima, genau dies bekenneIch: dass ich unwissend bin und darum zu dir kam,Da ich spüre, ein Lehrer sei nötig für meine Erkenntnis.Nun, so zeige mir bitte die Ursachen von Liebe und Sehnsucht.“
Lächelnd sprach sie darauf: „Bestaune das nicht, wenn du glaubst,
Dass die Liebe unsterblich sei, wie oft wir es sagten und dachten.
Sterbliches Wesen begehrt nach dem ewigen Leben zu streben,
Soweit es vermag, und dies geschieht einzig durch Zeugung.
Alles erzeugt ein Neues, das Alte verlässt seine Stelle,
Ewig besteht es allein durch die fortwährende Folge.
Selbst im Leben des Einzelnen herrscht diese Nachfolge;
Sieh, wie Fleisch, Blut, Knochen und Haare sich stetig verwandeln,
Doch nennt man denselben den Mann, obgleich er sich ändert,
Wechselt im stillen Verlauf zwischen Jugend und Alter sein Wesen.
Gilt dies allein für den Körper? Nein, auch für die Seele:
Sitten und Wünsche, die Freuden, die Schmerzen, Ängste des Menschen,
Alles wandelt sich fort, kein Augenblick bleibt wie der vorige.
Wissen auch, wie wundersam es erscheint, bleibt nicht beständig;
Vielmehr verliert sich Erinnerung stets und wird doch erneuert,
Dauer gewährend allein durch das Neue, das Altes ersetzt.
Nichts, was sterblich ist, bleibt absolut gleich oder ewig,
Sondern erneuert sich stets und bewahrt so den Fortgang des Lebens.
Doch was göttlich ist, bleibt immer dasselbe und ewig.
So, Sokrates, teile der Mensch und das Tier an dem Ewigen,
Doch in anderer Art als das Göttliche selbst es besitzt.
Liebe, die Nachkommenschaft ersehnt, entspringt dieser Sehnsucht:
Unsterblichkeit zu erlangen durch fortgesetzte Erzeugung.
Wundere dich also nicht, dass die Liebe dies Ziel stets verfolgt hat.“
Ich erstaunte bei ihren Worten und fragte: „Ist dies wirklich wahr,
Weise Diotima?“ Sie sprach mit der ganzen Autorität eines Meisters:
„Davon sei sicher, Sokrates! Denke an menschlichen Ehrgeiz.
Menschen riskieren ihr Leben und vieles, um Ruhm zu erlangen,
Ruhm, der unsterblich besteht, so hoffen sie, über die Zeiten.
Stelle dir vor, Alcestis wäre gestorben, um Admetos
Aus Liebe zu retten, und Achilles für Patroklos gefallen;
Codrus opferte sich, um das Reich seinen Söhnen zu sichern.
Wäre dies denkbar, wenn nicht die Erinnerung an Tugend,
Die unsterbliche, sie zum Handeln triebe und rufe?
Nein, ich bin sicher: Der Mensch tut alles in Hoffnung auf Ehre,
Ehre, die unsterblich sei und seinen Namen bewahre.
Denn er ersehnt das Unsterbliche, gleich, wie er handelt.“
Wenn er zur Reife gelangt, dann drängt ihn das Sehnen zu zeugen,
Neues zu schaffen, das schön ist, wie sein Herz es verlangt.
Stets wandert er suchend umher, von Schönheit getrieben,
Denn nur im Ebenmaß sprießt, was sein Geist sich ersinnt.
Nie wird Deformität ihm ein Werk des Geistes gebären,
Darum umarmt er das Schöne, das ihm die Natur offenbart.
Findet er ferner jedoch in dem Leibe die Seele gerechter,
Edler Natur und gepflegt, so ergreift er beides zugleich:
Leib und Geist in Einklang, in der Gestalt einer Person,
Welche die Tugend erhebt und das Gute des Lebens erstrebt.
Ihm zur Seite, beginnt er den Jüngling zur Weisheit zu leiten,
Spricht von der Tugend und dem Ziel, das ein guter Mann kennt.
Berührt er Schönheit, die tief in sein Innerstes dringt,
Selbst in der Ferne erstrahlt sie noch vor seinem Gedächtnis.
Dann bringt er Frucht, die seit langem in seinem Geist schon gereift,
Und mit dem Freunde gemeinsam formt er das Neuerschaffene.
Fester als je wird die Bindung, die sie von Tugend zusammenführt,
Größer die Freundschaft als jene, die fleischliche Kinder hervorbringt.
Denn was sie schaffen, sind Kinder des Geistes, unsterblich und rein,
Gerechter und wertvoller als jedes vergängliche Kind.
Wer, so frage ich dich, würd' Homer oder Hesiods Kinder
Nicht den gewöhnlichen Kindern vorziehen in Ruhm und Gestalt?
Wer würde nicht nacheifern denen, die Werke erschaffen,
Die das Gedächtnis bewahrt und unvergänglich gemacht?
Lykurg, Schöpfer der Ordnung von Sparta, der Hellas errettete,
Solon, Vater der Gesetze von Athen, ewig geehrt.
Viele, Hellenen und Barbaren, erschufen die Tugend,
Gaben der Welt Werke des Edelmuts, niemals vergänglich.
Tempel erhoben sich ihnen zum Preis ihrer Kinder des Geistes,
Nie jedoch für sterbliche Nachkommen allein.
Wer würde wohl, sag an, nicht Kinder wie Lykurg lassen fahren,
Die da Retter nicht nur Lakedämons, sondern von Hellas,
Wie man spräche, sein könnten? Auch Solon ist es gewesen,
Welcher der Vater genannt wird der ehrwürdigen athischen Rechte.
Viele andere gab es, verstreut in hellenischen Landen,
Wie auch unter Barbaren, die Welt mit Werken des Adels
Segnend, Eltern von Tugenden aller Art, so erhab'n sie.
Ihnen zu Ehren baut man Tempel, prächtig und herrlich,
Nicht zu Ehren sterblicher Kinder, die Menschen gebären,
Doch, ihr Gedächtnis zu wahren, den ewigen Ruhm ihnen bringend.
Schaut, wer lässt solche Kinder wie Lykurg freudig zurück,
Nicht nur Retter von Sparta zu sein, auch Hellas zu schützen?
Solon, der Vater der Rechte Athens, wird ewig gepriesen.
Und an so vielen Orten sind viele Edle entsprungen,
Hellenische wie fremde Gestade zieren die Namen,
Deren Werke den Geist der Tugend fruchtbar bereichern.
Ehre baut sich ihr Ruhm, und Kinder der Menschheit erbauen
Tempel, nicht für Vergängliches, sondern für Tugend und Weisheit.
Hat der Mensch erst dies erkannt, wird Liebe, die stürmische, milde,
Wird er verachten, was einst ihn an äuß'rer Schönheit gebunden.
Ehrfurcht vor Schönheit des Geistes erfasst ihn dann in den Tiefen.
Tugendvolle Gemüter, sie reifen in edlem Gedank’n,
Die da suchen und finden, was höher das Leben erleuchtet.
Bald wird er forschen nach Schönem in Bräuchen und strengen Gesetzen,
Wird sie schauen und merken, dass Schönheit von einer Natur ist,
Nicht nur körperlich glänzt, doch auch in Wissenschaft ruht sie.
Dann, wenn er diese erfasst, wird weit ihm das Meer sich eröffnen,
Schöpfend Gedanken in Liebe zur Weisheit, klar und erhaben.
Bis er zuletzt, am Gestade der Wahrheit, staunend die Eine,
Schönheit, die einzig erhaben und göttlich ist, wird erblicken.
Schönheit ist einfach und ewig, bleibt ohne Vermehrung,
ohne Verlust, unberührt von wandelnden Kräften der Dinge,
die, je größer sie scheinen, doch verderben im Fluss der Erscheinung.
Wer von solchen, geführt von wahrer Liebe, emporstrebt,
wahrzunehmen beginnt, was rein und vollkommen sich zeiget,
naht schon dem Ziel, dem Ende des suchenden Pfades der Liebe.
Dieses ist Ordnung und Weg: Von irdischen Reizen zu scheiden,
um die höhere Schönheit zu suchen und aufwärts zu steigen.
Irdische Formen des Schönen, sie dienen dem Geist als Stufen,
führen von einer zur zweiten, von zweien zu allen Gestalten,
weiter zu schönen Gebärden, zu schönen Gedanken und Bildern,
bis er am Ende den reinen Begriff der Schönheit ergreifet,
wahrhaft erkennt, was Wesen und Ursprung der Schönheit bedeuten.
Dies, o Sokrates, sprach der fremde Mensch aus Mantineia,
sei das Leben, das über allen anderen Höhen sich stelle,
wenn der Mensch einzig der Schönheit Betrachtung widmet, der wahren.
Solcher Anblick, einmal erschaut, entzieht den Gelüsten
nach dem Glanz von Gold und Gewändern, dem Schimmer von Jugend.
Nicht mehr sehnt sich der Geist nach irdischer Nähe und Speise,
wünscht nur, zu schauen, die Schönheit allein und bei ihr zu verweilen.
Aber bedenke, wenn Augen den göttlichen Ursprung erschauten,
die wahre Schönheit, rein und unverhüllt vor dem Geiste!
Dann erst wird jener befähigt, Wirklichkeiten zu gebären,
nicht nur Schatten und Bilder, nein, die Tugend der Wahrheit,
die, genährt in solch göttlicher Schau, ihn zum Freund des Göttlichen machet.
Unsterblich wird er, so sterblich er ist, der dies darf erfahren.
Sage mir, wäre dies ein niederes, schändliches Leben?
So, o Phaidros, vernahm ich, und nicht nur dir sei gesprochen,
sondern auch allen, die lauschen, die Worte der weisen Diotima.
Und ich bin sicher, dass Wahrheit in diesen Worten sich zeiget.
Darum bemühe ich mich, auch andere davon zu überzeugen:
Niemals findet die menschliche Seele einen besseren Führer
auf dem Weg zum Ziel als Liebe, die helfende Kraft.
Darum ehre ich Liebe, wie ich es selbst auch gelobet,
wandel auf ihrem Pfad und ermahne die anderen dazu,
preise den Geist der Liebe mit allem Vermögen des Wortes,
jetzt wie in Ewigkeit fort, nach bestem Streben und Können.
Diese Rede, o Phaidros, du magst sie nennen, wie immer
es dir beliebt: als Encomium, Hymnus, oder was immer dir einfällt.