DIE WANDERUNG


VON TORSTEN SCHWANKE


ERSTER GESANG


Nach ihrer Rettung aus dem Meer durch Gott

begann der Weg der Wüste durch das Land.

Sie zogen weiter, wie das Wort es sprach,

durch ödes Land, durch Hitze, Staub und Durst.

Der Weg durchs Ödland, fern der Heimat Bahn,

erstreckt sich über viele lange Jahre.

Erzählt wird dies in Mose's zweitem Buch,

und weiter auch in Numeri berichtet,

wie Israel durch Steppe, Sand und Stein

zum heilgen Berg und wieder aufbrach dann.

Nach diesem Weg kam bald der nächste Schritt:

Die Eroberung im Ostjordanland.

Zwei Könige besiegten sie im Kampf –

der eine war Sihon, Og war der zweite –

und so begann das Werk der Landnahme.

Doch erst in Moab, bei des Jordans Flut,

begann ein neuer Teil der großen Reise.


Der Weg war ungewiss und nicht bekannt.

Der Zug durchs öde Land war oft umstritten.

Einmal umgingen sie das Land Edoms,

wie Numeri berichtet, deutlich klar,

ein andermal erlaubt Deuteronomium

den Durchzug durch das edomit’sche Land.

Die Orte, die genannt, sind schwer zu fassen.

Von Kadesch abgesehn – vielleicht bekannt –

sind alle anderen kaum zu fixieren.

Selbst was das Buch der Zahlen dort erzählt,

das lange Register aller Lagerstätten,

ist wohl nicht älter als der letzte Schreiber,

der alles ordnete im Pentateuch.

Er fügte Wüstenüberlieferung

zu alten Wegen, Handelsrouten wohl,

die von Ägypten her nach Osten führten,

zum Hafen Ezjon-Geber und darüber

durch Araba nach Transjordanien hin.


Die Zeit in Wüste zählte vierzig Jahre.

Das sagt das Buch, das „zweite Gesetz“ genannt,

die Feder der Deuteronomisten wohl.

Denn in der frühen Kundschaftergeschichte

hat Gott der alten Schar das Land versagt.

Sie fürchteten das Land und seine Macht

und weigerten sich, es zu betreten.

Nur Kaleb durfte weiterziehn und hoffen.

Vierzig, das Maß der Zeit des Wanderns war,

weil eine Menschenlebenszeit verstrich.

So wurde vierzig Jahre nun die Zahl,

die auch die Priesterquelle übernahm:

Denn Mose war beim Auszug achtzig Jahre

und starb mit hundertzwanzig – wie geschrieben.


Zehn Murrgeschichten prägen das Bild Israels.

Die Schriften schildern Israels Unmut,

sein Murren gegen Mose, gegen Gott.

Drei vor dem heil’gen Berg von Sinai:

Das bittere Wasser dort bei Mara,

dann Manna, Wachteln – Speise in der Not –

und Wasser aus dem Fels bei Rephidim.

Doch nach dem Aufbruch von dem heil’gen Berg

beginnt erneut das Murren und das Klagen.

Das Volk beklagt sich über seine Last,

es sehnt sich nach den Töpfen Ägyptens.

Ein Aufstand folgt, von Aaron, Mirjam gar,

dann Korach, Datan, Abiram im Zorn.

Auch wieder fließt das Wasser aus dem Stein,

und Schlangen töten jene ohne Glauben.


Es zeichnen sich in diesen alten Schriften

die Wege Israels durch Trostlosigkeit.

Und in den Murrgeschichten zeigt sich klar:

Das Bild des Volks ist dunkel, ungestüm.

Nicht immer wird das Wort „murren“ dort genannt,

doch stets ist Klage, Trotz und Widerstand

gegen den Mann, den Gott zum Führer setzte.


Drei Murrgeschichten sind vor Sinai zu finden:

Zuerst in Mara – bitter war das Wasser,

doch Gott erhörte Mose und es wurde

durch Holz gewandelt in gesunde Quelle.

Dann regte sich erneut das Volk in Zorn:

Es hungerte in Elims stiller Weite.

Da sandte Gott das Manna auf die Erde

und Wachteln flogen her aus fremder Luft.

Und schließlich war erneut kein Wasser da,

da stritt das Volk mit Mose an dem Ort,

den man dann Massa und Meriba nannte.


Doch nach dem Aufbruch vom Gesetzesberg

kam neue Unzufriedenheit ins Volk.

Sie murrten über Mangel, über Wege,

über das harte Leben dieser Zeit.

Ein Feuer brach hervor aus Gottes Zorn,

und Mose bat – da hielt das Feuer ein.

Dann wünschten sie sich Fleisch statt Manna nur,

und Gott gab Wachteln, doch auch seinen Grimm:

Ein Ort ward „Grab der Gier“ genannt seither.


Dann Miriam und Aaron – selbst sie zweifeln,

ob Moses Führeramt von Gott allein

gegeben sei. Doch Gott allein bestimmt,

und Miriam wird von Krankheit kurz gezeichnet.

Auch hier tritt Mose bittend für sie ein.

Dann aber kam die große Kundschaft aus

dem Land der Hoffnung, Kanaan genannt.

Sie schauten Frucht – und Riesen, Furcht und Macht.

Und Israel erschrak und wollte weichen.

Da sprach der Herr: Ihr werdet nicht hinüber!

Nur Kaleb, treu im Geist, darf weitergehn.


Ein Aufstand folgte unter Datan, Korach,

mit zweihundertfünfzig Männern stark.

Sie lehnten sich empor gegen den Priester,

gegen den Führer, gegen Gottes Ordnung.

Da tat sich auf die Erde und verschlang

die Widersacher samt den Zelten ganz.

Ein Priestertext fügte hinzu: Auch Feuer

verzehrte jene, die sich aufgelehnt.

So ward in einer späteren Redaktion

die doppelte Geschichte eng verwoben.


Noch einmal klagt das Volk in Zin nach Wasser,

und Gott befiehlt: „Sprich zu dem Fels, dass er

sein Wasser gebe wie ein treuer Knecht.“

Doch Mose schlägt, nicht spricht – aus Ungeduld.

Da sagt der Herr: „Ihr glaubt nicht fest genug;

darum betretet ihr das Land nicht mehr.“

Trotzdem gibt Gott dem Volk das Wasser wieder.


Zuletzt, als sie erneut in Angst geraten

und Schlangen kamen, Sand und Tod verbreitend,

da ließ der Herr durch Mose eine Schlange

aus Erz bereiten, hoch auf einen Stab.

Wer auf sie schaut, bleibt heil – wer nicht, verliert.


Man kann zwei Arten Murrens unterscheiden:

Das eine ruft aus echter Not zu Gott –

aus Hunger oder Durst, aus Lebensangst.

Dann hilft der Herr, er gibt, was nötig ist,

und richtet nicht – sein Erbarmen zeigt sich klar.

Doch wenn das Murren aus Verachtung kommt,

aus Hochmut, Angst, Verweigerung des Glaubens,

dann straft der Herr – und Mose muss beschwichtigen.


So zeigt sich Gott in seiner Doppelnatur:

Geduldig, wenn das Volk in Not gerät,

doch heilig, wenn es ihn verächtlich macht.

Und nie verzieh er Angriff auf den Mann,

den er berufen hatte aus dem Dornbusch.

Denn Mose war sein Werkzeug und sein Diener,

und wer ihn schmähte, stellte sich dem Herrn.


Kein Götzendienst in dieser frühen Zeit.

Noch fiel das Volk nicht ab zu fremden Göttern.

Erst nach dem goldnen Kalb bei Sinai

ward klar: Das Volk kann leicht sich selbst verführen.

Und wieder ganz am Ende in Moab,

beim Baal-Peor, fiel es tief erneut.

Doch in der Wüste war noch Gottesfurcht,

kein Götzendienst, nur Zweifel, Not und Trotz.


Auch Hosea beschreibt, wie Israel

zum ersten Mal dem fremden Gott sich neigt,

am Baal-Peor, an des Landes Rand,

nach seiner Ankunft dort – so spricht sein Wort

im neunten Kapitel, zehnter Vers belegt.

Kein Murren in der Wüste nennt er dort,

kein Zwist, kein Groll – vielmehr ist ungetrübt

das Band, das JHWH und sein Volk vereint,

in jener frühen, stillen Übergangszeit.

So zeigt sich's auch im dreizehnten Kapitel,

Vers vier bis sechs: Die Treue stand und hielt.


Ein Wort der Gnad’ im zweiten Kapitel spricht:

Wie einst“, so wird das Volk aufs Neu’ „erwidern“,

wenn JHWH’s Ruf es wieder in die Wüste

zurückführt, um von dort das Land zu geben.


Jeremia greift in Kapitel zwei

dies Bild wohl auf: In jenen Tagen war

das Volk in Treu' verbunden mit dem Herrn,

beschützt von ihm in öder, weiter Flur.

Doch setzte sich dies Bild nicht durch – verhalten

verhallt die Sicht in späterer Erinnerung.


Im achten Kapitel Deuteronomium

spricht JHWH zum Volk, in Einzahl angesprochen:

Ich prüfte dich, ich hab’ dich auferzogen

in jener Wüste, all die langen Jahre.“

Als Wohltat nennt der Text in Vers fünfzehn

das Wunderwasser, das aus Felsen brach,

wie einst in Exodus, Kapitel siebzehn.


Doch später, in Kapitel sechs, Vers sechzehn,

klingt andres an: Dort wird das Volk gewarnt,

den Herrn, wie einst in Massa, nicht zu prüfen.

Hier spricht der Text zum Volk im Pluralton.


Kapitel neun, Vers sieben folgend, zeigt

ein später Teil, von andrer Hand gefügt,

wie Israel in jener Wüstenzeit

sich immerfort dem göttlich’n Ruf entzog.

Man nennt die Orte, die den Bruch belegen:

Der Tanz ums goldne Kalb in Exodus –

die Abkehr, der Verrat am ew’gen Bund.


Auch Psalm fünfundneunzig mahnt eindringlich:

Verhärtet nicht die Herzen“, wie es war

in Massa und in Meriba zur Zeit,

da sie in ihrer Prüfung Gott versuchten.

Dies Bild bleibt fest in heil’ger Überlieferung.


In später Dichtung, Psalm einhundertsechs

und achtundsiebzig, zeigt sich klar erneut:

Das Volk war ungehorsam in der Wüste.

Doch Psalm 106 legt mehr Gewicht darauf

und dehnt die alten Bilder weiter aus,

indem er Szenen neu interpretiert.


Doch Nehemia, im neunten Kapitel,

berichtet, wie das Volk sich abgewandt,

als es das Land verschmähte, das verheißen.

Auch das Götzenbild, das goldne Kalb,

wird hier genannt – doch anders ist der Ton:

Die Gabe Gottes wird herausgestellt –

das Manna, Wasser aus dem Felsenquell,

wie auch das Wunder bei Kadesch erneut.


Psalm hundertfünf erwähnt nicht Ungehorsam,

doch Gaben JHWHs: Wachteln, Manna, Wasser –

als Zeichen seiner Treue in der Not.


So wurden später Murr-Geschichten teils

als Sünde, teils als Zeugnis göttlich’ Pfleg’

betrachtet – beide Deutungsweisen stehen.

Wie er einst Wasser in der Wüste schenkte,

so wird er’s wieder tun, so spricht Jesaja –

in Kapitel dreiundvierzig kündet er’s,

und achtundvierzig trägt die Hoffnung fort:

Auf heil’ge Wege leitet Gott sein Volk.


Ein Bild, wie es kein andres Schriftwort zeigt,

entwirft der Seher Ezechiel sodann

im zwanzigsten Kapitel, klar und hart.

Das Volk, so spricht er, war in jener Zeit

dem Herrn nicht treu. Es hielt nicht seine Satzung,

missachtete die Rechte seines Gottes,

entweihte seine Sabbate bewusst.


Und dennoch, so bezeugt der Vers fünfzehn,

bezieht sich auch der Prophet auf die Zeit

der Wüstenwanderung – doch nur bedingt.

Denn was dort sonst erzählt wird, bleibt hier aus:

Kein Wasserwunder, keine Manna-Gaben,

nur das Gericht – die Weigerung des Herrn,

dem ungehorsam Volk das Land zu geben.

Die Wüste bleibt ein Ort des Ungehorsams,

durchdrungen nicht von heil’ger Gegenwart.


Im ersten Brief des Paulus an Korinth

erscheint die Wüstenzeit in neuem Licht.

Die Väter, sagt er, wanderten im Geist

und tranken aus dem Fels, der Christus war.

Die Wanderschaft wird hier zum Gleichnisbild

für alle, die als Christen heut’ noch ziehn

auf Gottes Wegen durch das Erdental.

Ein Typos ist das Volk von einst geworden –

zur Mahnung wie zur Hoffnung gleichermaßen.


Der Hebräerbrief, in drittem Kapitel,

beginnt mit einem Zitat aus Psalm neunzig:

Verhärtet nicht die Herzen“, mahnt das Wort.

Es folgt ein tiefer Blick in Gottes Ruh,

die denen winkt, die glauben und sich fügen.

Der ganze vierte Abschnitt weitet dies

und deutet jene Zeit als heil’ges Zeichen,

dass Gottes Ruhe denen offensteht,

die treu verbleiben auf dem Pfad des Herrn.




ZWEITER GESANG


Nach Trojas Fall, dem zehnjähr’ Krieg vorausging,

begab sich Odysseus mit zwölf Schiffen heim,

wie es der Sänger Homer einst besang

in seiner großen Dichtung „Odyssee“.

Schon in der Zeit der Alten wurden viel

Gedanken angestellt, wo wohl das Land,

die Inseln, Berge, Städte zu verorten,

die der Poet mit Worten bannte, sei’n.

Die meistverbreiteten antiken Thesen

berichtend nennt man sie bei jeder Stätte,

wohin der Listenreiche einst gelangte.


Zahlreiche Prüfungen und Leid erfuhren

Odysseus und sein tapfres Männerheer.

An manchem war ihr eigner Trotz die Schuld,

an anderm wirkte göttlicher Verdruss —

vor allem Poseidons grimmer Zorn.

Erst nach zehnjähr'ger, weiter, schwerer Fahrt

gelang dem König, einsam, ohne Freunde,

die Rückkehr in sein heimisch’ Ithaka.


Von Ismaros zu den Lotophagen


Als erstes Ziel, von Troja kaum entfernt,

erreichten sie Ismaros an Thrakiens Küste,

wo das Geschlecht der Kikonen siedelnd wohnte.

Die Stadt eroberte der Held im Sturm,

doch Maron, Priester Apollons, ließ er leben,

mit seiner Frau; zum Dank erhielt er Wein,

der stark berauschte, süß und tief betäubte.

Doch griffen bald die Krieger jener Stadt

zurück mit Macht — und viele Männer fielen.

So zwang der Sturm sie weiter über See.


Neun Tage trieb der Nordwind sie davon,

bis an das Land der friedlichen Lotophagen.

Dort aßen Kundschafter den süßen Lotos

und wollten nie zurück in ihre Welt.

Vergessend all ihr Ziel und ihre Pflicht,

musst’ Odysseus mit Gewalt sie holen,

aus jenem Traum der sanften Blätterfrucht.


Die nächste Küste barg ein düst'rer Ort:

Das Kyklopenland, in alter Zeit

an Siziliens Gestade oft vermutet.

Zunächst verharrten sie auf einer Insel,

wo nur Ziegen lebten, wild und zahlreich.

Dann fuhren sie hinüber ans Festland

und fanden dort die Höhle des Polyphem,

des einäugigen, grausamen Giganten.

Er kehrte heim, fand Männer bei den Schafen,

verschloss den Eingang mit gewalt’gem Stein

und fraß sogleich sechs Männer, ohne Gnade.

Doch Odysseus, mit Mut und Klugheit reich,

ließ jenen durch den Priesterwein betrunken

und nannte sich in List den Namen „Niemand“.

Da stach er ihm das Auge glühend aus,

und als der Riese schreiend um sich rief:

Mich hat geblendet Niemand, helft mir, Brüder!“

verharrten sie in Zweifel, gaben auf.

Am Morgen dann, als Widder aus der Höhle

in Reihen traten, tastet’ er ihr Fell,

doch unter ihren Leibern klebten fest

die Männer, so entkam die Schar der Flucht.

Doch rief der Kyklop, wütend, ihren Namen

und schleuderte noch Steine nach dem Boot.

Er bat Poseidon, seinem Vater, dann,

dem Mann aus Ithaka den Weg zu wehren —

so nahm das Leid des Odysseus seinen Lauf.


Dann segelten sie fort nach Aiolia,

der Insel, wo der Windgott Aiolos

sein gastlich Haus auf hohem Fels erbaut.

Ein Monat lang gewährte er Quartier,

dann gab er einen ledernen Behälter,

darin die Stürme, tosend und entfesselt,

verschlossen ruhten, auf sein Wort gebannt.

Nur Westwind ließ er frei, auf dass die Schiffe

mit Rückenwind das Heimatland erreichten.

Doch als das Ziel schon fern im Dunst erschien,

da öffneten in Torheit seine Leute

den Schlauch, in dem sie Gold vermutet hatten.

Die Winde brausten auf, es hob der Sturm,

und wieder wurden sie nach hinten fort

auf hohe See und bis zur Insel selbst

zurückgetrieben. Aiolos, voll Zorn,

verjagte sie und sprach: „Der Götter Hass

liegt offenbar auf dir – nun fort von hier!“


Sie irrten weiter sieben Tag’ und kamen

nach Telepylos, wo Antiphates herrscht,

der König der gewalt'gen Laistrygonen.

Drei Männer sandte Odysseus ins Land,

doch nur ein einz'ger kehrt mit Not zurück:

Die andern wurden grausam aufgespießt,

ein Mahl für Kannibalen. Rasch sodann

ergreift das Volk mit Gier die fremden Schiffe

und schleudert Fels auf Fels herab vom Fels.

Nur eines, das nicht im Hafen lag,

entging dem Wüten jener wilden Riesen.

So starben viele, Odysseus entkam

als einz’ger Führer einer kleinen Schar.


Dann landeten sie auf Aiaia,

wo Kirke wohnte, Tochter Helios’,

der Götter Zauberin mit trügischem Blick.

Ein Teil der Männer ging in ihr Gemach,

wo sie mit süßem Trank sie freundlich labte,

doch in Gestalt von Schweinen ließ sie sie

nach kurzer Zeit im Gehege grunzend wühlen.

Ein Gott erschien — Hermes, der flinke Bote —

und gab dem Helden Kraut mit starker Kraft,

das ihn bewahrte vor dem Zaubertrunk.

So zwang er Kirke, seine Männer frei

zu geben, und gewann sie sich zur Frau.

Ein Jahr verweilten sie in Lust und Ruh,

bis endlich seine Sehnsucht ihn ergriff,

den Weg zur Heimat weiter fortzusetzen.


Zur Insel Aiaia lenkt’ er nun den Kurs,

wo Kirke wohnte, Zauberin voll Macht,

die oft man an Italiens Küste setzt,

wo Circeos erhabner Felsen ragt,

doch andre meinten, östlich, fern in Kolchis,

sei ihre Heimat – dunkler war das Wort.


In zwei Parteien teilte nun der Held

die Schar der treuen Männer, die ihm blieb.

Die eine zog mit Eurylochos fort

und traf das Haus der Kirke, schön und trügerisch.

Sie sprach mit süßem Wort, sie bot den Wein,

doch rührte dann mit ihrem Zauberstab

die Männer an – da wurden sie zu Schweinen.

Nur Eurylochos, vom Argwohn still geführt,

entwich dem Trank und kehrte rasch zurück.


Da rüstet sich Odysseus selbst zur Tat.

Doch Hermes trat ihm auf dem Pfad entgegen,

gab ihm das Moly, weiß und wundersam,

das vor dem Zauber Kirchens Schutz ihm gab,

und wies ihn an, wie er sich halten solle.

So trat er mutig in die Hütte ein.

Die Kirke bot den Trank – er trank und stand.

Ihr Zauber wirkte nicht. Er zog das Schwert

und zwang die Göttin, bei den Göttern selbst

zu schwören, ihm nicht weiter Leid zu tun.


Sie wandte seinen Freunden die Gestalt

zurück, und bald umfing sie ihn in Lust.

Ein Jahr verweilt' der Held an ihrer Seit’,

bis seine Männer laut ihn baten, fort

zu ziehn gen Heimat, fern am Rand der Welt.

Da sprach die Kirke: »Suche erst den Hades,

denn nur Teiresias, der Seher, kennt

den rechten Weg nach Ithakas Gestad’!«


So fuhr er aus, den Ozean entlang,

und kam zum düstern Land der Kimmerer,

wo nie die Sonne scheint, kein Morgen lacht.

Dort opferte er dunklen Trank und Blut.

Die Schatten kamen, blass, mit leeren Blicken.

Und Teiresias sprach mit Grabeslaut:


»Du wirst die Heimat sehn, doch nur, sofern

du heil den Rindern Helios entgehst.

Sonst kehrst du spät, allein, auf fremdem Kiel

zurück, in Ithaka – und findest dort

der Gattin Freier, viele, stolz und frech.

Sie wirst du töten, Rache dir zum Recht.

Dann aber sollst du weiter wandern gehn

und fern, wo Menschen nichts vom Meer noch wissen,

das Ruder tragen wie ein fremd Gerät.

Wo man es Schaufel nennt, da opfre dann

dem blauen Gott, dem Herrscher über Flut.

Erst dann wird dir ein sanfter Tod zuteil.«


Darauf begegnet’ er der Mutter Geist,

der still ihn segnete mit leiser Hand.

Achilleus sprach er, Agamemnon auch,

der einst durch Klytaimnestras Ränke fiel.

Er sah den Tantal, Durst im tiefen See,

und Sisyphos, der stets den Fels hinauf

und wieder stürzend mühsam rollen muss.

Dann floh er schnell, zur Erd’ zurück, zum Licht.


Er kehrte heim zur Kirke, die bereit

den Elpenor bestatten ließ, den Freund,

der unbestattet dort geblieben war.

Sie sprach vom neuen Weg, vom neuen Leid:

von Sirenen, Skylla, Charybdis tief.


Am nächsten Morgen brachen sie erneut

von Aiaia auf in blauen Grund.

Nach Kirkes Wort verstopft’ er seinen Männern

die Ohren fest mit Wachs – doch seine ließ

er frei, vernahm den süßen Todesklang

der Sängerinnen, deren Lockung stets

die Männer in den Abgrund stürzen ließ.

Er ließ sich fest am Mast des Schiffs binden

und bat die Freunde, ihn nicht loszumachen,

so sehr er flehte, bat und schrie nach Land.

Sie fuhren weiter, bis der Zauber starb.


Dann mied er jene Felsen, Flammen speiend,

die Plankten hießen, wild und sturmumweht,

und steuerte durch engeres Gefild,

wo Skylla lauerte und Charybdis sog.

Dreimal am Tag verschlang die Letzte Meer

und spie es aus in tosender Gewalt.

Doch hielt sich Odysseus, wie geraten,

nah bei der Skylla, griff zu Speer und Schild

und rang um jedes Leben seiner Männer.

Doch sechs zerriss das Ungeheuer dort –

ein Opfer, das kein Heldenmut verhütet’.


Zum Eiland Thrinakia lenkt’ der Kurs das Schiff,

wo Helios' heil’ge Rinder weiden durften.

Gewarnt von Kirke wie von Teiresias,

dass keines dieser Tiere man berühre,

wollt’ Odysseus die Insel fliehn im Bogen.

Doch seine Männer, müd und meuternd schon,

erzwangen Rast und trieben ihn ans Land.

Ein ganzer Monat nährt’ sie Kirkes Vorrat,

in dem sie treu dem Schwur Gehorsam leisteten.

Doch weil die Winde feindlich wehten fort,

verweilten sie in Not an jener Küste.

Und Eurylochos, verführt vom Hunger,

verlockte sie zum Frevel wider Götter:

Sie schlachteten, da Odysseus im Schlaf,

die Herden Helios’, des Sonnenherrn.

Der zürnte, fordernd Rache von den Göttern.

Und Zeus gehorchte: Als das Schiff erneut

das Meer befährt, entbrennt ein Sturm, ein Orkan,

der Mast und Kiel in tausend Stücke reißt.

Der Mannschaft Tod verschlang die tiefe See –

nur Odysseus entkam dem Fluch allein.

Ein Floß, gezimmert aus den Trümmern selbst,

trug ihn durch Nacht und Wellen in die Weite.

Charybdis sog das Floß in ihre Gier,

doch hielt er sich am Feigenbaum des Felsens.

Als aus dem Schlund das Fahrzeug wiederstieg,

ließ er sich fallen, griff die Ruder rasch

und floh aus jenem Schlund des Untergangs.

Zehn Tage trieb er auf dem weiten Meer,

bis ihn das Schicksal nach Ogygia führte –

wo Kalypso in ihrer Höhle wohnte.


Die Nymphe hieß ihn freundlich in der Flur

und bot ihm Unsterblichkeit und ew’ge Jugend,

sofern er bei ihr bleibe ewiglich.

Sie war ihm hold, er lag in ihrem Bett

und blieb für sieben Jahre in der Grotte.

Doch zog sein Herz zurück nach Ithaka,

zu Penelope, seiner treuen Frau.

Er wäre nimmermehr zurückgekehrt,

hätt’ nicht Athene selbst am Götterthron

für ihren Schützling Fleh’n erhoben laut.

Da Poseidon in Äthiopien weilte,

bewegte sie den Vater Zeus zum Spruch.

Und dieser sandte Hermes mit Gebot,

Kalypso möge den Gefangnen freigeben.

Widerwillig doch gehorchte sie

und gab ihm Beil und Werk zur Schiffsbemastung.

So baute er sein Fahrzeug und verließ

den Ort der Lust, der ihn doch fesseln wollte.

Man sagt, sie schenkte ihm gar Söhne selbst –

wie Nausithoos und auch Nausinoos –

doch andernorts wird Kirke als die Mutter

dieser erwähnt, die ihm auf Aiaia hold war.


Telemach ging als Erster in den Saal,

wo bald darauf auch Eumaios sich erhob,

und mit dem Bettler, den er führte, ging.

Es war Odysseus selbst, doch unerkannt.

Am Wege schrie der Ziegenhirt Melanthios

sie höhnend an – er hatte längst verraten

den einstgen Herrn und diente nun den Freiern.

Odysseus aber hielt den Zorn zurück;

noch war die Stunde der Vergeltung fern.

Am Tor lag Argos, treu in seinem Leid,

der Hund, den Herrn erkannt – und dann verstarb.


Odysseus trat hinein und bat um Brot.

Die Freier saßen prahlend in der Halle.

Die meisten gaben, was sie spenden mochten,

doch Antinoos traf ihn mit einem Schemel.

Ein andrer Bettler, Iros, forderte

ihn höhnisch zum Gefecht, doch fiel er schnell.

Penelope erschien und sprach zur Schar:

Da ich so lang des Gatten harrend blieb,

so will ich nun entscheiden, wen ich wähle.

Die Magd Melantho höhnte ihn sodann,

ihr Liebster, Eurymachos, tat es gleich.

Ein Wortgefecht entbrannte voller Spott,

bis Amphinomos das Feuer dämpfte.


Als dann die Freier gingen, schloss sich ihm

sein Sohn erneut. Gemeinsam schleppten sie

die Waffen fort, versteckten sie im Kammerraum.

Später war Odysseus allein bei ihr,

der Königin, die klug und zweifelnd sprach.

Er gab sich als ein kretischer Adliger

mit Namen Aithon aus, gewann ihr Ohr

und sprach von jenem Mann, den sie vermisste.

Er würde bald zurückkehren, so schwor er.

Beim Waschen seiner Füße stutzt’ die Magd –

es war Eurykleia – und sie sah

die Narbe, einst vom Eber ihm geschlagen.

Sie kannte ihn. Doch schwieg, wie er befahl.


Am nächsten Tag nach reichem Mittagsmahl

sprach Penelope: „Ein Wettkampf soll entscheiden.

Wer diesen Bogen spannt und einen Pfeil

durch zwölf der Äxte schießt, erhält mein Wort.“

Es war der Bogen Eurytos’, den einst

Odysseus selbst von dessen Sohn empfing.

Kein Freier konnt’ das mächtige Gerät

auch nur bezwingen, mochte wie er wollte.

Der Bettler bat, man möge ihm erlauben

zu schießen, was sie alle ihm verwehrten.

Doch Penelope beharrte – und ihr Sohn

gewährte schließlich still das freie Recht.

Da nahm der König Bogen, Sehne, Pfeil –

und spannte ihn mit Leichtigkeit und Kraft.

Der Pfeil durchfuhr die zwölf gestellten Äxte.


Dann tötete er Antinoos zuerst,

durchbohrte ihn mit pfeilschneller Gewalt.

Auch Eurymachos fiel im selben Zug.

Ein Kampf begann, so wild wie eh und je.

Doch war Odysseus nicht allein im Streit:

Sein Sohn stand ihm zur Seite, treu und stark,

und auch die beiden Diener, Philoitios

und Eumaios, folgten seinem Ruf.

Melanthios schlich und trug den Freiern Waffen,

doch wurde bald entdeckt, gefesselt, weggesperrt.

So kämpften sie inmitten blutger Stürme,

bis alle Freier tot zu Füßen lagen.

Athene selbst erschien, die schirmend stand.


Die Dienerinnen, die sich abgewandt

vom Herrn, die treulos schalten, spotteten,

die zwang man, jene Halle auszuwischen,

die blutig war von Tod und Schlacht und Schuld.

Dann wurden sie von Telemach erhängt.

Auch Melanthios fand sein bitteres Ende.

Dann rief Eurykleia ihre Herrin

aus festem Schlaf und sprach: Der König kam!

Doch Penelope blieb kalt und glaubte nicht,

bis Odysseus ihr etwas anvertraute,

ein Zeichen, das nur sie und er nur kannten.

Da sank sie weinend an des Gatten Brust.


Noch suchte er, vom Heimweh tief bewegt,

den Vater auf, der alt und gramgebeugt

in einer Hütte fern vom Hofe lebte.

Er prüfte ihn mit listigem Verstand

und gab sich dann mit Freude zu erkennen.

Der Mord an Freiern aber hatte Zorn

geweckt im Volk – es kam zum letzten Streit.

Die großen Häuser schwangen schon die Waffen.

Da schritt Athene ein und legte Hand

auf alle Schwerter, alle Wut versank.

Ein Friede ward geschlossen, wie von Göttern.

Odysseus herrschte wieder über Ithaka.



DRITTER GESANG


Im Jahr, da sechzig war vom Herrn gezählt,

da brachen Niccolò und Maffeo

vom Handelshaus zu Venedig auf zur Fahrt,

nach Osten zogen sie, dem Fernen zu,

um Edelsteine feilzubieten dort,

wo Wolgas Wasser in das Meer sich gießen.

Sie reisten über Konstantinopel fort

nach Soldaia, dem Ort auf Krims Gestad,

wo Marcos Onkel, Marco der Ältere,

ein Kontor führte, eifrig, fest im Handel.

Sie folgten einer alten, weisen Spur –

der Rubruk nahm im Jahre drei und fünfzig

derselben Pfad, auf päpstlich hohem Auftrag.


Schon André, Mönch von Longjumeau, zuvor,

und Carpini, der Bruder aus dem Orden,

zogen im Dienst des Papstes Innozenz

zum fernen Hof des mächt’gen Mongolkhans.

Auch Wilhelm war von Ludwig, König, ausgesandt.

Sie kehrten heim mit Chronik, Federwerk,

und zeichneten die Wunder jener Welt.


Die Polos aber, weiter als die andren,

sie zogen bis ins Reich der Goldnen Horde.

Ein Jahr verweilten sie an Berkes Hof,

dem Enkel jenes großen Dschingis Khan.

Doch Krieg erschütterte das Reich am Fluss,

und trieb sie ostwärts übern Uralstrom,

entlang des nördlich zieh’nden Seidenpfads

bis hin nach Buchara, dem alten Ort.


Dort hemmten Kriegswirren die Heimkehr schwer,

so blieben sie zurück für drei voll Jahre.

Dann schloss sich ihnen eine Fahrtgesellschaft

von Persens Hofe an, zum großen Khan

Kubilai, Herrscher über Ostens Weiten.

Im Winterjahr, da sechs und sechzig stand,

erreichten sie nach einem müden Jahr

den Hof zu Khanbaliq, der Kaiserstadt,

vom Polo Kambaluk benannt, in China.

Dort wurden sie vom Khan mit Gunst empfangen.

Er gab ein Païza – golden war das Schild,

das ihnen freies Geleit und Schutz verlieh

im Reich des Großkhans, durch das sie nun zogen.


Auch trug er ihnen auf, gen Rom zu gehen,

um dort dem Papst Bericht und Bitte zu

überbringen – Öl vom Grab des Herrn zu bringen,

und hundert kluge Männer, Christensöhne,

die lehren sollten Christi heil’ge Botschaft.

So zogen sie zurück nach Venedig,

und kamen um das Jahr sechzig und neun.

Inzwischen war der Papst verschieden, tot,

und neu gewählt noch keiner seines Amts.

Auch Marcos Mutter war derweil gestorben.


Papst Clemens war dahin, im Jahr achtundsechzig,

zu Viterbo verschied er, fern von Rom.

Und Streit, der in den Kardinälen wuchs,

ließ leer den Stuhl des Petrus lange Zeit –

bis in den Herbst des Jahres einundsiebzig

blieb Rom ohne ein Haupt der Christenheit.

Doch Niccolò und Maffeo, voll Entschloss,

vermochten nicht, noch länger abzuwarten.

Dem Großkhan, der ihr Wort vernommen hatte,

sollt’ nicht durch Zögern sein Vertrauen schwinden.

So brachen sie erneut gen Osten auf,

nun mit dem Jüngling Marco an der Seite,

der siebzehn Jahr gezählt, voll Wissbegier.


In Akkon, wo sie Asiens Tor betraten,

erschien dem Marco neu und wundersam

die Welt aus Sand, aus Hitze, aus Gebeten.

Dort trafen sie den Legaten der Kirche,

Tebaldo war sein Name, edel, fromm,

aus Piacenza stammend, Archidiakon,

und hörig noch dem Papst, der nicht mehr war.

Sie baten um die Reise nach Jerusalem,

denn dort, im Grabeslicht, das heilige Öl

wollten sie schöpfen für den Großkhan fern.

Der Wunsch ward ihnen willig dargebracht,

und sie gelangten bald an heil’ger Stätte,

wo sie das Öl empfingen, unverwehrt.

Zurück nach Akkon kamen sie mit Gabe.


Und Tebaldo, bewegt von ihrem Ernst,

verfasste einen Brief an jenen Khan,

worin er Zeuge ward der Polos Treue

und sprach: „Ein neuer Papst ward nicht gewählt,

doch sind sie redlich, und in rechter Pflicht.“

Mit diesem Schriftstück zogen sie sodann

entlang des Pfads, der durch Kilikien führte,

nach Laias an der Küste Kleinasiens.

Dort kam die Kunde wie ein Donnerschlag:

Tebaldo selbst war Papst nun, Gregor Zehn,

und hatte, kaum gewählt, der Brüder Sinn

vernommen und gesegnet ihr Beginnen.

Ein Brief erreichte sie in später Nacht:

Kehrt um!“, so sprach der neue Pontifex,

und nehmt den Segen mit auf eure Fahrt!“


So wandten sie zurück nach Akkons Tor,

empfingen dort erneut den hohen Auftrag.

Nun reisten sie im Namen Petri fort,

der Papst entsandte zwei gelehrte Mönche,

Bruder Nicolao aus Vicenza stammend

und Wilhelm, weis’ aus Tripolis herkommend.

Sie sollten lehren, predigen, bezeugen

des Kreuzes Wort im fernen Mongolenland.

Doch kehrten bald die Mönche ängstlich um,

vermochten nicht das Werk zu vollenden.


Die Polos aber zogen weiter aus

nach Täbris, wo die Basare voller Farben

den jungen Marco staunen ließen lang.

Dann ging die Reise weiter bis nach Saveh,

wo, so der Glaube, Könige geruht,

die einst dem Kind im Stall Geschenke brachten.

Von dort gelangten sie nach Yazd, der Stadt,

wo Wasserläufe durch Qanaten ziehn,

und Seidenstoffe glänzen wie aus Licht.

Er sprach: „Hier webt man Jasdi, Seide fein,

die Händlern reichen Gewinn einträgt im Markt.“


Und weiter ging es, unermüdet schritt

ihr Weg nach Kerman, wo man Perlen tauscht

und edle Steine gegen Kamelhaar.

Die Pferde wurden hier vertauscht mit Kamelen –

für Wüstensand war festes Tier vonnöten.

Dann kamen sie nach Rajen, wo das Eisen

zu blankem Stahl geschmiedet wird mit Kunst,

und weiter bis nach Qamadin, dem Ort,

wo Pfefferzüge enden aus dem Süden.

Doch war die Stadt schon öfters heimgesucht

von wilden Horden aus dem Steppegriff.


Zuletzt erreichten sie Hormus am Meer,

wo Minab heute still in Trümmern liegt.

Dort trafen sie auf Märkte, reich an Glanz –

an Elfenbein, an Seide, Stein und Duft.

Und Marco sprach: „Die Wunder dieser Welt

versammeln sich in einem einz’gen Hafen.“


Nach weiter Fahrt durch Hitze, Staub und Felsen,

durch Steppe, Wüste, Oasen, Städte, Flüsse,

gelangten sie an Ziel, das kaum zu fassen:

das Reich des Großkhans – Zentrum aller Welt.

Dort lag Khanbaliq, die Kaiserstadt im Osten,

von Marco Kambaluk genannt im Werk.

Ein Sitz der Macht, so groß wie tausend Städte,

mit Mauern, Türmen, Märkten ohne Zahl,

mit Gärten, die aus Mythen hätten stammen

und Hallen, reich an Gold und Brokatstoff.


Der Khan empfing sie würdevoll, mit Gunst,

erinnernd sich an ihre erste Reise.

Er fragte, ob die Bitten wohl erfüllt,

ob Papstes Brief und heil’ges Öl gebracht.

Da legten sie ihm, was sie trugen, vor:

die Schrift des Papsts, die Ölung aus Jerusalem,

und Zeugnis, dass sie treu im Dienste standen.

Der Khan war froh – doch mehr noch staunte er

über den jungen Marco, dessen Rede

so klar, so weise und gewandt erschien.

Er nahm ihn bald in seinen Rat der Weisen

und sandte ihn auf mancher Mission.


Von Ländern sprach er, die kein Christ je sah,

von Bräuchen, die den Westen fremd geblieben.

Er reiste bis ans Randgebiet des Reichs,

zu Inseln voller Gold, zu Wäldern voller

Gewürze, Tiere, Menschen seltsam’ Sitte.

Er sah Paläste, die aus Jade schimmerten,

und Tempel, wo sich Rauch zum Himmel wand.

Die Brücke über jenen Fluss in Zaytun

beschrieb er lang – aus Stein und kühn gebaut,

von Händlern überquert aus aller Welt.


Er sah, wie klug das Reich verwaltet ward:

mit Listen, Kanzleien und Siegeln fest,

mit Briefverkehr und Routen voller Eile,

mit Reitern, die von Poststation zu Post

die Kunde trugen durch das weite Land.

Ein Reich, das Ordnung kannte, Maß und Zahl –

so fremd, so fern, und dennoch voller Glanz.


So diente Marco lange Zeit dem Khan,

erforschte Land um Land, von Süd bis Nord,

und hielt in seinem Geist die Bilder fest,

die später er zu einem Buch geformt.

Der Khan, dem wohlgefiel des Jünglings Geist,

hielt ihn in Ehren und gewährte frei

ihm Raum, zu sehen, lernen und zu fragen.

So ward er Zeuge einer andern Welt,

wie keiner vor ihm aus dem Abendland.


Die Jahre flogen wie der Falke schnell,

und Marco ward ein Mann mit klarer Stirn.

Im Dienst des Großkhans lernte er die Welt,

wie kaum ein andrer Mensch vor ihm gesehn.

Doch eines Tags, da rief sie heim das Herz.

Die Väter alt, das Heimweh stark geworden,

so baten sie den Khan um Abschiedswort.


Nur zögernd gab der Herrscher seine Gunst,

denn lieb war ihm der kluge junge Mann.

Doch ließ er sie mit Ehren ziehen fort

und schenkte ihnen eine goldene Tafel,

ein Païza – gleichsam Pass und Freibrief groß –,

das sicheres Geleit versprach durchs Land

und Speis’ und Schutz in jedem Ort des Reichs.

So brachen sie auf neuen, fremden Wegen

zurück in jene Welt, aus der sie kamen.


Der Heimweg war beschwerlich, weit und schwer,

durch Länder, die der Krieg verwüstet hielt,

durch Regen, Sand und Hunger, Pest und Sturm.

Doch endlich, nach vier Jahren auf der Reise,

erreichten sie die Tore Venedigs.


Doch niemand kannte sie in jener Stadt.

Die Kleider fremd, die Sprache seltsam klingt’

nach all den Jahren in des Ostens Reich.

So mussten sie sich neu beweisen dort,

enthüllten Schätze, die sie mitgebracht:

Smaragde, Seide, goldne Münzen, Perlen –

und dann erst glaubte man, wer sie wohl waren.


Der junge Marco, reich an Welt und Bildern,

ließ bald sich fangen in den Krieg der Städte.

Gefangen nahm ihn Genua auf dem Meer,

und in der Zelle, hinter dunklen Mauern,

begann er, was die Zeiten überdauerte:

Er sprach, und ein Gefährte schrieb es nieder –

ein Werk, das bald durch alle Lande klang.


Il Milione“ nannte man das Buch,

ein Weltbericht, so fremd, so kühn, so reich.

Er schildert dort die Wunder Asiens,

von Menschen, Städten, Kaisern, Bräuchen, Tieren,

von Reichtum, Macht und Ordnung ohne Gleichen,

von allem, was das Abendland nicht kannte.

Und mancher hielt’s für Lügen, Phantasie,

doch andre ahnten: Hier begann ein Blick

in eine Welt, die größer war als Traum.


So ward der Mann, der einst als Jüngling zog,

ein Zeuge zwischen Erdteilen, ein Bote,

der Brücken schlug mit Worten über Meere.

Sein Name lebt, wo ferne Länder rufen,

wo Abenteuer lockt und Fernweh klingt.



VIERTER GESANG


Nicht völlig klar ist bis zum heutigen Tag,

weshalb man ihn zum Führer auserkor,

zum Oberhaupt der Fahrt nach Ostindien.

Die Chronisten jener Zeit – de Barros

und auch de Góis – sie deuten an, dass er

des Vaters Erbe fortzuführen strebte.

Denn dieser stand in König Johanns Dienst

und war ein treuer Kämpfer jener Sache:

den Seeweg um Afrika her zu finden,

der endlich Portugal nach Indien führe.


Gewiss ist dies: Er stand in hoher Gunst

bei König Manuel, dem Erben des

Johann’schen Throns, der seit dem Jahr ’95

die Krone trug. Ihm war da Gama treu,

und auch das Gegenteil war wohl der Fall.

Der König hob ihn in den Ritterstand

des Christusordens, zeugend von Vertrauen.


Dass Vasco da Gama keine große Kunst

der Seefahrt eigens innegehabt,

wird manchmal eingewandt – doch stets entkräftet.

Denn ihm zur Seite gab man weise Lotsen,

die Wind und Strömung wohl zu deuten wussten,

so weit man’s in den Küsten Portugals

bereits durch Forschung und durch Fahrt verstand.

Und selbst der kühne Bartolomeu Dias,

der einst das Kap der Hoffnung überwand,

begleitete die Flotte bis zum Westens

Gestade bei den Kapverdischen Inseln.


Jedoch – so meinen manche, ganz im Gegenteil –

sei Gama früh als Seemann schon bewährt,

als kund’ger Kapitän auf weiter Fahrt.

Denn obgleich Dias längst das Kap umschiffte,

vertraute man nicht ihm, nein, Gama gab

der König selbst den Auftrag jener Reise:

den letzten Teil der Handelsroute finden,

der Indien mit dem Westen sollte einen.


Schon achtzig Jahre war dies Ziel verfolgt,

seit Heinrich, „Seefahrtsfürst“ genannt, es wagte,

den Ozean zu deuten und zu tasten,

den Zwischenhandel fremder Reiche störend,

von Arabern, Persern, Osmanen gar

und Venezianern reich betrieben einst.


Da Gama fuhr am achten Julitag

des Jahres vierundneunzig und dazu

noch sieben aus dem Hafen von Restelo,

am Tejo, wo die Segel sich entfalt’n.

Sein Flaggschiff war die Nao São Gabriel,

ein Schiff von hundertzwanzig Tonnen Maß.

Die Nao São Rafael fuhr ihm zur Seit’

und stand dem Bruder Paulo da Gama an.

Die Nao Bérrio, teils Santa Fé genannt,

führte Nicolao Coelho mit Geschick.

Ein viertes Schiff, bestimmt für Last und Vorrat,

ward Gonçalo Nunes unterstellt.


Sie waren wohl an hundertfünfzig Mann,

nach andern Zählungen gar siebzig mehr,

die jenen kühnen Weg gen Osten nahmen.

Erfahrene Piloten führten sie,

den Strömungsplänen kundig und dem Wind,

vor allem, was im Südatlantik herrscht.

Pêro de Alenquer, ein Mann mit Ruf,

stand auf dem Flaggschiff treu an Gamas Seite;

die São Rafael lenkte João de Coimbra,

die Bérrio fuhr Pêro Escolar.

Der Segelmeister war Gonçalo Álvares,

er war schon einst mit Diogo Cão

auf dessen zweiter Reise ausgefahren.


Mit weit ausholendem, geschwungenem Kurs

verließ man bald die Küste Portugals,

um bessere Bedingungen zu nutzen –

den östlich zieh’nden Wind im weiten Meer.

Am vierten Tag des dunklen Novembers

erreichte man Sankt-Helena’s Bucht im Süden,

am Rand des kühlen, westlichen Gefilds.

Dann nahm man Kurs gen Süden, quer durchs Meer,

umschiffte in gewaltigem Gewölb

das Kap der Guten Hoffnung mit Bedacht

und landete am fünfundzwanzigsten

des Monats in der Bucht von Mosselbaai.


Am sechzehnten Dezember sahen sie

den Fluss, genannt den Great Fish River dort,

wo einst der große Dias geendet hatte.

Sie zogen weiter, folgten Ostafrikas

Gestade, bis sie Mombasa erreichten,

am siebten Tag des Monats April gar.

Dort fanden sie arab’sche Kaufleute,

die ihre Fahrt zu hindern suchten klug,

doch Vasco wich und suchte weiter aus.

Er segelte gen Norden, wo Malindi,

der alten Handelsstadt Mombasa feind,

ihm freundlich Hilfe an die Seite stellte.

Ein Mann ward ihm gegeben: kund’ger Lotse,

ein Araber, der vieles besser kannte

als selbst die besten Steuerleute Portugals.

Ahmad ibn Majid nannte man ihn dort.


Am zwanzigsten des Monats Mai sodann

erreichte Vasco da Gama jenes Land,

das man nur über viele Meere fand:

Indien, bei Calicut an der Küste

des Malabar, ein fernes, fremdes Ziel.

Zum ersten Mal – so schrieb es sich in Erz –

erreichte nun ein Schiff aus Europas Hand

das Reich des Ostens auf dem Seeweg ganz,

indem es Afrika umsegelt hatte.


Doch nicht nach Wunsch verliefen die Gespräche

mit dem Zamorin, Herrscher jener Stadt.

Man hatte hohe Hoffnung mitgebracht,

Gewürze, Gold und Handelsrecht zu sichern –

doch ward man kalt empfangen und misstraut.

So kehrte Vasco, doch mit reicher Last,

am neunundzwanzigsten August zurück.

Die Schiffe waren voller Kostbarkeiten,

die aus dem ind’schen Land erworben waren.


Am neunzehnten September warf die Flotte

den Anker bei der Insel Angediva,

um Wasser und auch Holz an Bord zu nehmen

für jenen Teil des Rückwegs über See.

Am zehnten Tag des Juli ‘neunundneunzig

erreichte Nicolao Coelho heim

die Küste Portugals als erster Mann.

Da Gama selbst, zurückgehalten nur

vom Leiden seines Bruders auf den Azoren,

erschien am neunten Tag des Monats September

im Hafen Lissabons. Ein Ruf erscholl:

der Held ist heimgekehrt! Ein Triumphzug folgte.


Zu Weihnachten des gleichen Jahres noch

verlieh der König ihm das Lehen Sines,

wo einst der Vater als Verwalter wirkte.

Doch diese Gabe rief den Widerstand

der Santiagoritter und der Herren

des Hauses Noronha, die im Orden Macht

und altes Recht gefährdet sah’n und klagten.


Doch weitere Ehrungen ließ man folgen:

Der König sprach ihm feierlich das Recht,

den edlen Titel „Dom“ zu führen, zu,

ein Vorrecht, das auch seine Brüder traf

und ihre Kinder, auf Jahrhunderte.

Zwei Jahre nach der ersten großen Fahrt

ward ihm der Rang des Admirals verliehen:

Des Indischen Meeres wurde er genannt –

als Antwort auf Kolumbus’ gleichen Ehrentitel,

vom span’schen König einst verliehen ihm.


Das Logbuch jener ersten großen Reise,

bewahrt in Portos öffentlicher Bibliothek,

ward Jahr zweitausenddreizehn noch geadelt:

Als Erbe der gesamten Menschheit gilt

das Zeugnis dieser ersten weiten Fahrt.


Die Gabe, die der König ihm erwies –

die Stadt Sines als Lehen und Besitz –,

entzündete sogleich den Widerstand.

Denn dort, so sprach der Santiago-Orden,

sei längst das Recht von anderer Hand besessen.

Ein alter Zwist entflammte neue Glut:

Die Herren von Noronha, hochgeboren,

gehörten zu dem mächt’gen Ritterorden

und wollten diese Königstat nicht dulden.

Sie sah’n darin den Eingriff in ihr Recht,

in alte Pflichten und in heil’ge Schranken,

die nur dem Orden zu bezeichnen stünden.


Da Gama aber hatte Macht gewonnen –

denn nicht mehr war er bloß ein kühner Mann,

ein Steuermann auf hoher, weiter Fahrt:

Ein Held war er, vom ganzen Land verehrt,

ein Name, der in Lied und Buch erklang.

Und König Manuel, noch voller Dank

für jenen Dienst, den Gama ihm erwiesen,

entbot ihm weitere, erhab’ne Gaben.


Er hob ihn auf, verlieh den Namen „Dom“ –

ein Adelstitel mit besonderm Klang.

Nicht nur ihm selbst ward dieser Ehr’ zuteil,

auch seine Brüder durften sich so nennen,

und selbst die Nachgebor’nen durften tragen

den Ehrennamen, wie aus Fürstenhaus.


Dann kam das Jahr des Herrn fünfzehnhundert

und zwei dazu – ein neues Ehrenwort

ward ausgesprochen: Admiral der Meere,

der indischen Gefilde ward er nun.

Ein Gegenzeichen wohl zur Ehr, verliehn

an Kolumbus durch das span’sche Königspaar,

das ihn zum Herrn des Ozeans gemacht.


Ein Schlussstein ward gesetzt dem großen Werk,

der erste Schritt getan, der Weg gelegt,

der später zu Kolonien und Macht,

zu Ruhm und Reichtum für das Reich geführt.

Und seine Fahrt – bewahrt in Wort und Schrift,

im Logbuch seiner ersten großen Reise –

ward aufgenommen in das Welterbe,

zum Zeugnis einer Wende unsrer Zeit.



FÜNFTER GESANG


Von Portugals Historikern bezeugt,

Aus jenen Tagen, da das Reich sich dehnt,

Berichtet Barros, Albuquerque spricht,

Und auch das Archiv Torre do Tombo zeugt:

In Indien war Magellan früh zu Haus,

Seit fünfzehnfünf, zur Zeit der ersten Flotten.

Er kämpfte einst bei Mombasas Eroberung,

Wo jetzt das stolze Kenia sich erhebt,

Und war wohl auch bei Kannurs Schlacht dabei.

Im Jahr darauf sah man ihn wiederum

An Ostafrikas Küsten, Kilwa, Ilha

De Moçambique, wo Portugals Banner

Zum ersten Male über Mauern weht.

Dann, neun, bei Diu, in jener Seeschlacht,

Die Indiens Zukunft jäh veränderte,

Erstritt er Ruhm auf wilder Flut, und zog

Gen Malakka, das reiche Drehscheibtor

Des Ostens, doch vergebens war der Zug.

Dort schloss er Freundschaft mit Serrão, der dann

Sich niederließ auf fernen Molukkeninseln

Und von Gewürzen schrieb, von Reichtum, Duft,

Von Nelken, die dort üppig wuchsen, blüh’n.

Zweimal, so heißt es, rettet’ er ihm Leben.

Zehn macht’ er sich im Winter auf zur Heimkehr,

Verunglückte bei Bassas de Pedro

Und kam zurück, nach Kannur, schwer geprüft.

Doch bald erneut, auf Albuquerques Schiff,

Zog er gen Malakka, nahm die Stadt im Sturm.

Danach verliert sich seine Spur im Land.

Man mutmaßt, ob er weiterzog nach China

Oder mit Abreu Banda noch besuchte –

Jedoch kein Zeugnis macht Gewissheit fest.


Im dreizehnten Jahr war er zurück,

Denn schon im Spätsommer desselben Jahres

Führt’ ihn ein Feldzug nach Azemmour,

Wo ihn ein Pfeil am Knie traf, da sein Ross

Im Kampf verloren ging; von da an hinkt er.

Er diente nun dem Hofe treu in Marokko

Und zog zu Kriegszwecken in fremde Lande.

Doch auch am Hof des Königs Manuel

Bezog er Lohn und Anteil an Geschäften.

Er stritt mit Abraldez um Gewinn

Aus einem alten Handel, rechtens wohl,

Denn über zweihundert Cruzados war’n

Der Lohn für Pfeffer, der ihm zugestand.


Nicht war’s sein Ziel, die Erde zu umrunden.

Der Vertrag mit Karl, dem König Kastiliens,

Vom März im Jahr fünfzehn und achtzehn,

Verbot gar diesen Plan, da sonst verletzt

Des Onkels Rechte, Manuels von Portugal.

Wie einst Kolumbus, suchte er den Westweg,

Der in den Osten führe, um zu finden

Ein neues Tor zum Reich der Duftgewürze.

Geheimnis blieb der Ort der Molukkeninseln,

Da Portugal die Karten streng verwahrte.

Der Landweg war durch viele Herrscher blockt:

Inder, Perser, Araber, Osmanen,

Und auch Venedigs Händler griffen zu.

Seit Gama war der Seeweg Portos Erbe,

Und Malakkas Fall im Jahre elf

Ermöglichte den Vorstoß bis zum Ziel.

Die Abreuexpedition zum Ziel

War jenen Inseln bald schon auf der Spur.


Doch war nicht klar, wem jene Inseln fielen –

Dem Reich Kastiliens oder Portugals?

Ein Vertrag von Tordesillas trennte

Die Welt in zwei: ein Meridian

Bestimmte, was nach Osten Portugal,

Was westlich war, Kastilien gehören sollte.

Schon achtundneunzig war Gama im Osten,

Und Portugal begann, das Meer zu zähmen.

Doch Westen schien blockiert: Amerika

Verwehrte jenen Weg, so war es lange.

Der Bischof Fonseca, klug und kühn zugleich,

Mit Pinzón, der Kolumbus’ Schiff befehligt,

Und Vespucci, des Himmels Kartenkund’ger,

Entwarfen Pläne, Südwärts durchzubrechen.

Denn fünfzehn sah man Panama erschlossen,

Zwei Jahre nach Balboas kühnem Marsch.

Doch Solís, der die Durchfahrt suchte, fiel –

Am Platafluss verlor er Kampf und Leben.


Zur gleichen Zeit, da Haro, Kaufmann reich,

aus Burgos stammend, Lissabon als Stützpunkt,

zwei Schiffe sendet nach Amerikas Küsten,

mit Auftrag, dort das edle Holz zu kaufen,

samt Sklaven, und das Land zu kartografieren –

da bringt ein Blatt, die Newe Zeytung, Kunde,

wie jene Schiffe bei vierzig Grad Süd

am Ufer eine Meerenge entdeckten,

gleich jener, die bei Gibraltar sich öffnet,

und jenseits liegend Asien verheißt.


Der Gelehrte Schöner, aus Karlstadt stammend,

trug bald dies Meerestor auf seinem Globus

von fünfzehnhundertfünfzehn neu ein.


Magellan muss in Lissabon vernommen

die Kunde jener Fahrt und ihrer Frucht.

Dort traf er wohl, im Jahr fünfzehn und sechzehn,

den Haro, jenen Händler und Patron.

Im Sommer dann empfing er aus den Fernen

der Molukken die Briefe Serrãos,

der dort sich niedergelassen und berichtet,

die Inseln lägen östlich weit von Malakka –

so sehr, dass sie im kastil’schen Bereich

nach seiner Meinung liegen müssten, fest.


Dies glaubte auch der Kosmograph Faleiro,

der gar behauptet, er besäß ein Mittel,

den Längengrad verlässlich auszumessen.

Gemeinsam schmiedet man den kühnen Plan,

dem König Spaniens sich anzubieten,

um westwärts hin die Molukken zu erreichen

und sie für Kastilien zu reklamieren.


Indes verlässt auch Haro Portugals Boden –

Geschäfte, Zwist mit Krone trieben ihn,

zurück nach Kastilien, im Frühjahr siebzehn.


Am zwanzigsten des zehnten Monats erschien

Magellan endlich in Sevilla selbst.

Er wohnte dort im Hause Diogo Barbosas,

des Portugiesen und Exilbeamten,

der Schlösser, Werften treulich dort verwaltete

für einen Herrn aus Braganz’ hohem Haus.

Dort hatte auch, im selben Bau gelegen,

die Casa de la Contratación

ihr Amt und Sitz, das kastil’sche Gremium

für übersee’schen Handel, Zoll und Reise.


Mit dessen Faktor, Juan de Aranda,

nahm bald Magellan dort Kontakt sodann.

Der Mann versprach, beim König selbst Gehör

zu schaffen für Magellan und Faleiro,

derweil der Hof in Valladolid verweilte.

Als Lohn für seine Dienste forderte

Aranda Anteil an dem Unternehmen –

ein Handelsvertrag ward geschlossen bald.


Dann reisten sie, vereint, nach Valladolid

und wurden um den zwanzigsten empfangen

vom Rat des Königs, auch von Bischof Fonseca

und Jean le Sauvage, Kanzler Karls des Ersten.

Magellan selbst berichtet später, auch

der König habe ihn dort angehört.

Im Vorraum jenes Kanzlers traf er jenen

Bartolomé de las Casas, Missionar,

der später schrieb: „ein kleiner, schlichter Mann,

doch tapfer in Gedanken, kühn zum Tun“ –

die einzig zeitgenössische Beschreibung.


Sie legten ihre kühnen Pläne vor,

worauf der Kanzler forderte, ein Schriftstück

zu überreichen mit den Konditionen.


Auf diese Schrift gestützt, vollzog der König

am zweiundzwanzigsten des März den Akt:

Die sogenannte Kapitulation,

die beiden Männer zu Vertragspartnern macht.

Sie sollten, auf dem westlich Teil der Welt,

Inseln entdecken, Länder, Reichtum, Würze –

doch niemals Portugals Gebiet betreten.


Als Lohn für ihre Müh’ und das Risiko

versprach der König ihnen einen Fünftel

vom Reingewinn aus ihrer Expedition,

und ferner noch die Statthalterschaft

für jedes neu entdeckte Reich und Land.

Ein Zwanzigstel der Steuer aus dem Neuen

sollte fortan auf ihr Konto fließen.

Auch jährlich tausend steuerfreie Dukaten

durften sie künftig frei im Handel nutzen.


All diese Rechte sollten auch den Kindern

vererbt sein – falls kastilisch sie geboren

und mit Kastilierinnen einst vermählt.


Die Meerenge, so war bestimmt im Text,

sollte auf zehn vollkommene Jahre hin

für sie allein zur Fahrt reserviert sein.


Fünf Schiffe sollten ihnen beigegeben,

zwei mit einhundertdreißig Tonnen Raum,

zwei mit neunzig, eines sechzig Tonnen.

Zweihundertvierunddreißig Mann Besatzung,

dazu Gerät, Artillerie, Proviant

für eine Fahrt von zwei gelebten Jahren.


Am gleichen Tag, in eig’ner Urkunde,

ernannte Karl die beiden zu Kapitänen

zu Land wie Meer – mit jährlich fünfzigtausend

Maravedís an festem Ehrensold.

Er setzte auch den Tag der Ausfahrt fest:

der fünfundzwanzigste August im Jahr.


Die Flotte stand in schwerer Reparatur,

fünf Schiffe, die Magellan selbst befehligt’.

Bis in das Frühjahr Tausendfünfhundert

und neunzehn zog die Arbeit sich dahin.

Sie wurden neu getakelt, neu geflickt,

mit frischen Segeln und Geschütz bestückt:

Mit Bombarden, mit Falkonetts und Versos,

der kleinen Schwester jenes Falkonetts.

Man schaffte Vorrat an für weite Fahrt:

Zweitausend Quintal Zwieback, Wein in Fässern,

Fünfhundertacht davon, fünfzig Fanegas

an Bohnen, neunzig an Kichererbsen,

zwei für die Linsen, Öl zum Kochen, Essen –

achtundvierzig Quintal davon im Ganzen.

Zweihundert Fässer Fisch, Anchovis, Trockenfleisch,

sieben lebende Kühe, Käse, Wasser,

einundzwanzig Arrobas Zucker,

zweihundert Essig, Knoblauch in Zöpfen,

achtzehn Quintal Rosinen, etwas Feigen,

Mandeln, getrocknet Pflaumen, Mehl und Honig,

dazu noch Salz, Senf, Reis – ein Schatz an Gaben,

wie ihn die See wohl selten je gesehn.


Im Frühling jenes Jahres, neunzehn eben,

ward’s Unternehmen plötzlich knapp an Mitteln.

Der Grund: Der König Karl, der sich bewarb

um Roms Kaiserkrone, brauchte Gold.

So hielt man ein, bis Hilfe kam heran:

Cristóbal de Haro trat nun auf

als Kaufmann und zugleich als Kapital.

Er zahlte für den Handel Waren ein –

Kleidung, Stoff, Perlen, Kämme, Glas und Messer –,

zum Tausch für Pfeffer, Zimt und Muskatnüsse

auf jenen fernen, reichen Molukkeninseln.

Auch steuerte er weiteres Gerät

zur Ausrüstung der Flotte mutig bei.

Ein Fünftel war’s, was er allein bestritt

vom Ganzen: acht Millionen Maravedis,

ein Wert von zweiundzwanzigtausend Dukaten.

Viel spricht dafür, dass Haro nicht allein,

sondern für andere als Strohmann handelte.

Dass auch die Fugger – Augsburger Geschlecht –

sich mit dem Kaiser an die Flotte banden,

bleibt bis zum heutigen Tag unbewiesen.


In jenen Tagen ordnete man weiter

die Leitung und die Ämter in der Flotte:

Juan de Cartagena, streng bestellt

zum Aufseher und Herr der „San Antonio“.

Antonio de Coca, Buchhalter,

Luis de Mendoza, Schatzmeister der Fahrt,

der auch zugleich das Schiff „Victoria“ führte.

Gaspar de Quesada ward Kapitän

der „Concepción“ – vier Männer, hochgestellt.


Doch kam es bald zu neuer Schwierigkeit:

Im Sommer, als man weiter segeln wollt’,

erschien die Zahl der Freiwilligen klein.

Denn wenig Lust verspürten Spaniens Söhne,

sich auf ein Wagnis einzulassen, das

an Mut und Kraft das Äußerste verlangte.

So füllte Magellan die leeren Ränge

mit Landsleuten aus Portugal – ein Schritt,

der bei den spanischen Geldgebern Zorn

und Misstraun weckte. Schnell ward festgelegt,

wie viele Portugiesen man erlaubt.

Doch Magellan, fest in seinem Willen,

behielt die Oberhand im Streit. Er siegte –

wenn auch zu einem Preis. Denn um des Friedens

und seines Rufs willen, opferte er

den treuen Kompagnon Rui Faleiro.

Der zweite Kapitän, gleich ihm ernannt,

ward abgesetzt, vom ganzen Zug entbunden.

So schwand ein kluger Kopf aus seiner Seite.


So kam der Tag, da alles nun bereit,

und endlich stach die Flotte in das Meer.

Am zehnten Tag des Augusts segelt’ sie fort

von Sevilla, doch ohne ihren Herrn.

Denn Magellan, noch in der Stadt verweilend,

verfasste spät sein Testament – am vierundzwanzigsten.

Indessen fuhren seine fünf Galeonen

den Guadalquivir hinab, zum Meer.

Bei Sanlúcar, dort wo der Strom sich weitet,

verweilten sie wohl fünf, gar sechs Wochen lang.

Denn tief im Wasser lagen ihre Bäuche,

zu schwer zum Fahren durch den flachen Strom.

Die Ladung – Tauschgut, Vorräte, Gerät –

ward nach und nach per Boot hinabgebracht.

Erst als dies alles sicher war verladen,

verließ das Schiffsgeschwader Spaniens Fluss.

Am zwanzigsten September dieses Jahrs,

des fünfzehnhundertneunzehnten, begann

die große Fahrt hinaus in weite See.


Zuerst ging’s südwärts, zu den Inseln hin,

den Kanaren. Auf Teneriffa selbst,

am sechsundzwanzigsten des September,

nahm man erneut noch Vorräte an Bord.

Dann segelte die Flotte weiter westwärts,

der afrikanischen Gestade folgend,

bis sie bei acht Grad nördlich schließlich lag.

Vor Sierra Leones dunkler, heißer Küste

verlor der Wind sich plötzlich in der Weite.

Wochen vergingen in der lähmenden Flaute.

Da wuchs der Unmut unter den Kapitänen.

Sie stellten offen den Generalkapitän

zur Rede – wagten Wort mit frecher Stirn.

Magellan aber sah darin Verrat

und Zügellosigkeit des Zungenwerks.

Am ärgsten trat Juan de Cartagena

hervor, der sich als gleichgestellt verstand,

als „conjunta persona“, wie man’s nannte.

Der forderte die Macht des Admirals,

sprach ihm das Recht zum Befehl ab und rang

mit Worten, die als Angriff gelten mussten.

Da ließ Magellan ihn gefangensetzen,

entzog ihm Schiff und Würde ohne Zagen.

Die „San Antonio“, sein bisheriges Kommando,

gab er in neue, treuere Hände:

Antonio de Coca trat an seine Stelle.


Trotz aller Hindernisse, Flauten, Streit,

gelang der Sprung durch jene weite See.

Am sechsten Tag des Monats Dezember

erblickten sie das lang ersehnte Land –

die Küste jenes neuen Kontinents.

Und eine Woche später, am dreizehnten,

warfen die Schiffe Anker in der Bucht,

die heute Rio de Janeiro heißt.

Magellan nannte sie „Santa Lucía“,

nach jener Heiligen des Tages, mild

und lichtvoll wie das Land, das sie empfing.


Schon war vor siebzehn Jahren diese Bucht

von Portugiesen angelaufen worden,

die sie für einen Fluss gehalten hatten,

und ihm den Namen Januarius gaben –

nach dem Patron des Neujahrstags genannt.

So wohnt in jenem Namen noch Erinnerung

an jenen ersten Irrtum in der Ferne.


Die Tupí, die das Ufer bewohnten dort,

erschienen staunend, freundlich und bewegt.

Pigafetta berichtet, sie glaubten gar,

die Fremden seien göttlicher Gestalt.

Denn just mit ihrer Ankunft kam der Regen,

der lange ausgeblieben war im Land.

Mit Staunen, Gaben, Reden und mit Tausch

empfing das Volk die Männer von dem Meer.


Zwei Wochen weilte man in jener Bucht,

dann hob man Anker – es war Dezember,

am siebenundzwanzigsten des Monats.

Die Schiffe nahmen Kurs auf Süden hin,

dem Munde jenes großen Stroms entgegen,

der heute Río de la Plata heißt.

Damals benannt nach Solís, dem Entdecker,

erreichte man die Flussmündung sodann

am zehnten Tag des jungen Jahres zwanzig.


Man hoffte, dort die Meerenge zu finden,

die aus dem Ozean in Westen führe.

Doch war der Strom gewaltig, breit und tief,

ein Delta voller Inseln, Sand und Nebel –

und ohne Durchgang in das andre Meer.

Ein Monat ging verloren mit der Suche,

mit Messen, Segeln, Schauen, Kursen, Wenden.

Dann gab man auf und segelte erneut

die Küste südlich weiter, unermüdlich,

ließ keine Bucht, kein Vorgebirg’ unkund.

Man folgte jedem Lauf, dem jedes Wasser

ins Meer sich öffnete, mit wachsamem Blick,

getrieben von der Hoffnung auf den Pfad.


Am dreißigsten des Märzes endlich dann

erreichte man, südlich vom neunten Grad,

den Ort, den man fortan San Julián nannte.

Die Jahreszeit war weit bereits voran,

und Magellan beschloss, dort zu verweilen

und in der Bucht den Winter abzuwarten.


Der Winter kam, mit Sturm und bittrer Kälte,

die Vorratskammern wurden mager, leer.

Magellan ließ die Rationen kürzen,

doch mit dem Hunger wuchs auch der Verdruss.

Am ersten Tag des April brach der Aufstand:

Drei Schiffe wandten sich gegen den Befehl.

Der Anstifter war Gaspar de Quesada,

gemeinsam mit Cartagena, der einst

schon offen wider seinen Führer stand,

und Luis de Mendoza, Kapitän

der „Victoria“, ein kühner, stolzer Mann.


Sie übernahmen das Kommando rasch

auf „San Antonio“ und auf „Victoria“.

Das Lager schwankte, Männer zögerten,

und Ungewissheit lastete wie Blei.

Doch Magellan, erfahren in Gefahr,

war nicht geneigt zu dulden oder weichen.

In einer Nacht, voll Tücke und Entschlossenheit,

ließ er die „Victoria“ entern,

mit treuen Männern, mutig, klug geführt.

Im Kampf fiel Mendoza, kalt und schnell.

Nun stand die „Victoria“ ihm zu Diensten,

und zwei Schiffe gehorchten seinem Ruf.


Der Aufstand war gebrochen. Streng und ruhig

sprach Magellan das Urteil über jene,

die seine Macht bedroht und sie verraten.

Quesada, Hauptmann der „Concepción“,

ward hingerichtet – das Gesetz war streng.

Cartagena jedoch, mitsamt dem Priester

Sanchez de la Reina – oder, wie

andere sagen, Bernard Calmette –

ward ausgesetzt am Ufer der Bucht,

als sich die Flotte wieder auf den Weg

in Richtung Süden machte, unbeirrt.

Von beiden ward nie mehr ein Wort vernommen.


Bald nach dem Aufruhr, der bezähmt war,

ward Santiago südwärts ausgesandt,

die Küstenlinien gründlich zu erforschen.

Doch scheiterte sie, als am zweiundzwanzigsten

des Maien sie im Munde eines Stroms,

des Santa Cruz, zerbarst in wildem Meer.

Zwei Matrosen kehrten über Land

mit schlimmer Kunde heim, den andern ward

erst Wochen später Heimkehr still gewährt.

In Puerto San Julián, wo sie verweilten,

kam’s erstmals zu Begegnung mit dem Volk,

das späterhin als Patagonier galt –

wohl nach dem Helden Patagón benannt,

der in dem Ritterbuch Primaleón

von Vázquez einst beschrieben worden war.


Dann kam die große Fahrt zur Meeresspaltung.

Vier Schiffe waren’s, die am vierundzwanzigsten

des Augusts, nach dem Winterquartier,

den Hafen von San Julián verließen.

Man suchte jede Bucht und jeden Fluss

nach jenem paso, der noch unentdeckt.

Und endlich, am einundzwanzigsten Tag

des Oktober ward ein Vorgebirg’ erreicht,

das Magellan das „Kap der Jungfrau’n“ nannte –

ein östlich Tor zur Straße, die nach ihm

fortan benannt, der Welt bekannt geworden.

Die San Antonio und die Concepción

begaben sich auf neue Erkundung,

und sie entdeckten schließlich die Passage.


Doch eh man in die Strömung weiterfuhr,

rief Magellan die Kapitäne auf,

zu sagen, ob sie heimwärts kehr’n, ob nicht.

Nur Estevão Gomes sprach sich dafür

aus, heimzukehren. Und man trennte sich.

Ein Boot, zwei Schiffe sandte man hinaus,

den Pfad zu prüfen. Eines kehrt’ zurück

mit Kunde, dass der Strom nach Nordwest führe –

das Südmeer sei erreicht, der Weg sei offen.

Doch nur die Concepción kam wohlbehalten,

denn auf der San Antonio war erneut

ein Aufruhr ausgebrochen. Gomes selbst

ließ Mesquita, den neuen Hauptmann, fassen.

Das größte Schiff, mit Vorrat reich beladen,

entzog sich heimlich und fuhr heim nach Spanien.


So blieben drei, die nun die Meerenge

befuhren, die wir heut Magellanstraße

zu nennen pflegen. Und am achtundzwanzigsten

des Novembers fanden sie das stille Meer.

Magellan nannte es Mare Pacificum,

weil plötzlich alle Stürme sich gelegt.

Und weil die Fahrt auf Allerheiligen fiel,

nannte er die Passage fromm und schlicht

Estreito de Todos los Santos.


Drei Monden lang und zwanzig weitere Tage

durchquerten sie das leere Weltgewässer.

Kein Land war zu erspähen, außer zweien –

klein, unbewohnt, von Öde überzogen.

Der Skorbut kam. Die Nahrung ging zur Neige.

Nur Zwieback gab es noch, von Wurm zerfressen

und Rattenkot befallen. Hungernd fraß

man lederne Umhänge, kochte Späne

zu Suppe auf. Und Ratten waren Gold –

ein halber Dukat für einen Bissen Leben.

Neunzehn Matrosen starben auf der Fahrt.


Am sechsten Tag des Märzen aber kam

die Flotte zu den Inseln Marianen.

Vor einer, wohl Guam, ließ man Anker sinken.

Doch als die Eingebornen ein Beiboot

zu rauben suchten, schlug Magellan hart

zurück, ließ töten, ihre Hütten brennen.

Die Inseln nannte er, vom Zorn getrieben,

Islas de los Ladrones – Diebesinseln.


Bald nach dem Inselbild der Marianen

erreichten sie ein südlich Eilandmeer,

wo grüne Küsten friedlich sich erhoben.

Am sechzehnten des März im Einundzwanzigsten

des sechsten Jahrhunderts – so schreibt Pigafetta –

gelangten sie zum Archipel der Inseln,

die später als Philippinen bekannt.


Zwei Männer wurden ausgeschickt an Land,

um Kundschaft einzuholen. Und sie fanden

ein Volk, das freundlich war, dem Handel offen.

Bald kamen Boote, reich mit Gaben voll:

mit Speisen, Früchten, Hühnern und mit Reis,

mit Goldgeschmeide, Stoffen und Gewürzen.

Ein Bündnis wurde rasch mit Häuptling Humabon

geschlossen, der in Cebú sein Reich besaß.

Er ließ sich taufen, seine Leut’ mit ihm –

ein Siegeszug für Spaniens Kreuz und Krone.


Doch auf der Nachbarinsel Mactan lebte

ein Häuptling namens Lapu-Lapu, stolz

und widerborstig, trotzig dem Gehorsam.

Magellan, der sich schon als Herrscher fühlte,

entschloss sich, diesen Frevler zu bezwingen

und nahm mit fünfundvierzig Mann das Boot.

Er landete bei Nacht am fremden Strand.


Doch als der Morgen graute, war das Ufer

mit Kriegern überlaufen. Speere flogen.

Die Spanier, im Wasser bis zum Knie,

verloren bald die Ordnung und den Mut.

Ein Pfeil traf Magellan ins Gesicht.

Ein Speer durchbohrte ihm das Bein. Er sank.

Da stürzten sich die Inselkrieger auf ihn

und töteten den Führer der Armada.

So fiel Magellan, fern von seinem König,

für Ruhm und Glauben, für ein Weltreichstraum.




SECHSTER GESANG


Indien galt als Quell von Reichtum, Glanz und Duft,

aus China kamen Seide, Zimt und Pfeffer.

Für Europa waren diese fernen Länder

ein Hort von Luxus, der das Herz verlockte.

Doch als das Reich der Osmanen emporstieg

und sich als Mittler zwischen Ost und West erhob,

versperrte es die alten Karawanen.

Die Landstraßen, einst offen, waren dicht,

und hohe Zölle fraßen manchen Gewinn.

Da wandten sich die klugen Portugiesen

dem Ozean zu, suchten neue Wege.

Sie wollten Indien fahrend übers Meer

um Afrika, südostwärts, dort entlang.

Sie tasteten sich an der Küste vor,

bis schließlich Vasco da Gama, unbeirrt,

im Jahre vierzehnhundertachtundneunzig

Indiens Gestade selber sah und landete.


Kolumbus aber hielt das andre Ziel

vor Augen, das der Westen ihm verhieß.

Er glaubte, was der Weise Aristoteles

gelehrt: Der Ozean sei rasch zu queren

von Herakles’ Säulen bis nach Asien.

Ein Strom von Tagen – und man sei am Ziel.

Auch andre Geister teilten diese Sicht:

Pierre d’Ailly war unter jenen Namen,

ein Kirchenmann und kluger Kosmograph.

Roger Bacon hatte schon im dreizehnten

Jahrhundert diese Meinung aufgestellt,

berief sich auf Seneca, Plinius

und Aristoteles mit klarem Blick.

Ein Buch, das „Imago Mundi“ hieß,

lag Kolumbus zur Hand und war durchdrungen

von Anmerkungen seiner eignen Feder.

Er schrieb an Paolo Toscanelli Briefe,

und dieser sandte eine Karte mit,

die eine Westfahrt bis nach China wies.

Ein Satz aus einem Schreiben Toscanellis

lautet: „Der Weg ist möglich, wahr und sicher.“


Kolumbus las mit Eifer Marco Polos

Bericht, den „Milione“ benannt,

und schrieb am Rand mit sorgsam prüfend’ Hand

Gedanken nieder, Einwände und Fragen.

Er hatte von den Nordfahrten gehört,

die Wikinger einst nach Amerika

gewagt, so hieß es unter Seefahrern,

doch war er selbst nicht bis nach Island vorgedrungen.

Auch war ihm eine fromme Schrift bekannt,

die „Navigatio Sancti Brendani“ –

ein Mönch, der westwärts auf dem Ozean

ein Land entdeckte, das von Wundern sprach.


Ein Sturm trieb einst ein Schiff weit in den Westen,

wo man ein seltsam rotgefärbtes Holz

entdeckte, fremd, bearbeitet, wie aus

der Hand geschickter Menschen jenseits kam.

Auch andre Hölzer trieb das Meer heran,

fremde Gewächse spülten auf die Küsten

der Inseln Madeira und von Porto Santo.

Auf Flores, so verlautete das Wort,

sei gar ein Paar von Leibern angeschwemmt,

die fremdartig erschienen – aus dem Westen.

Von all dem hörte Kolumbus zur Zeit

auf Porto Santo, als er sich beriet

mit Seeleuten und las die Papiere

des Perestrelo, seines Schwiegervaters.

Dort fand er Roteiros – Logbücher,

geheim, in denen Wind und Strom vermerkt,

der Atlantik aufgeschlüsselt war für ihn.

So reifte, was zunächst Idee nur war,

zum Plan: Man müsse erst zu den Kanaren,

denn dort weht stetig aus dem Osten Wind,

und dann nach Westen, quer durchs weite Blau.

Auch wusste er, seit seiner Fahrt nach England,

dass in den hohen Breiten, Jahr für Jahr,

der Westwind weht, verlässlich wie der Ost,

nur spiegelbildlich in entgeg’nter Richtung.

So segeln heut noch viele Schiffe aus

von den Kanaren in die Neue Welt

und kehren heim auf nördlicheren Bahnen.


Die Erde galt den Weisen schon seit langem

als Kugel, und das lehrten auch die Alten.

Im Mittelalter stritt man selten ernst

darüber; selbst die Kirche wies das nicht

zurück. Zwar fanden sich auch andre Bilder,

von flacher Erde war zuweilen die

Rede, doch blieb dies ohne größ’ren Einfluss

auf jene kühn entworf’ne Westidee.

Die Schwierigkeit lag einzig in dem Maß:

Wie weit war Asien entfernt von Spanien?


Seit Ptolemäus nahm man an, die Welt

sei halb umspannt vom Menschenland – die andre

Hälfte unbewohnt, geheim, verborgen.

Doch Pierre d’Ailly wagte mehr zu dehnen:

Er sprach von fünfundvierzig Grad darüber,

also von fünfundzwanzig mehr als sonst.

Kolumbus übernahm dies freudig blind.

Er rechnete die Weiten viel zu klein:

Statt zwanzigtausend misst der Ozean

von Ost nach West kaum viertausendfünfhundert,

so glaubte er, von den Kanaren aus.

Die Wirklichkeit jedoch war viel gewalt’ger.


Er hielt die Inseln, die er dann entdeckte,

für Vorposten des großen Reichs Cipango

und für Chinas Gestade, dicht davor.

Und Toscanellis Karte von dem Jahr

vierzehnhundertvierundsiebzig wies

genau an jener Stelle, wo er landete,

ein Inselreich aus vielen Punkten aus –

ein Trugbild, das den Irrtum noch bestärkte.


Im Dienst der Krone Kastiliens zog

Kolumbus viermal aus auf große Fahrt,

zu suchen, was der Welt verborgen war.

Was er erlebt, hielt er in Schriften fest,

in einem Bordbuch, das uns nur zum Teil

erhalten blieb in späterer Kopie,

verfasst von Bartolomé de las Casas.

Die Karten, die er nutzte, sind verlor’n.


Die erste Reise, die ihn westwärts trug,

begann im Jahre vierundneunzig zwei,

im heißen August und währte bis zum März.

Mit zwei Millionen Maravedís war

die Fahrt bezahlt, ein kleiner, karger Schatz,

verglichen mit den späteren Unternehm’n.

Den Großteil gab die „Heilige Gemein“,

die für die Sicherheit im Lande stand.

Santángel war der Schatzverwalter dort,

ein Mann des Hofes, kundig, wohlgesinnt.

Mit ihm verband sich Pinelo, ein Kaufmann

genues’scher Herkunft, der Kolumbus kannte

und durch Verbindungen zu Kaufleut’ Genuas

noch Viertelmillionen Maravedís

beschaffte – eingeschrieben auf den Namen

des Mannes, der zur See gen Westen zog.

So stützte sich die Reise auf das Wohlwoll’n

von Freunden, Gönnern und von Arbeitgebern.


Am dritten Tage jenes Augustmonats

lief aus der Hafenstadt Palos de la Frontera

die kleine Flotte in das große Blau:

Die Santa Maria, stolze Karacke,

geführt von ihm, dem Admiral der Fahrt,

dazu die Niña und die schnelle Pinta,

gezügelt von den Brüdern Pinzón, die aus

Palos gebürtig stammten, seemannsreich.


Ein Bruch des Ruders zwang die Pinta bald,

zurückzubleiben auf La Gomera,

wo sie ein Monat lag zur Reparatur.

Auch ward der Niña’s Segel dort getauscht:

Ein Dreieck wich dem Rahsegel, das voll

dem Passatwind gehorchte, kräftig blähte

und besser rückwärts trüge, was man braucht’,

wenn man das Meer erneut durchqueren muss.

Denn Kolumbus, erfahren, kannte wohl

den Windverlauf, die Wellen dieser Gegend,

und wusste schon, wie Nordwinde ihn heim

zu span’schen Küsten leiten würden bald.


Nach heil’ger Rast und gründlicher Reparatur

hob sich der Anker neuerlich zum Zug:

Am sechsten Tag des Monats September

verließen sie die Küste der Kanaren

und trieben ostwärts, tief ins weite Blau.

Die Fahrt ward schwer. Kolumbus selbst berichtet

von Angst und Zweifel, die das Volk befielen.

Denn ungewiss war all ihr Unternehmen,

und nichts als Himmel, Wind und Wasser rings.

Der Mut begann zu wanken, selbst bei jenen,

die Offiziersrang trugen auf dem Schiff.

Die Mannschaft, aufgebracht, sprach Meuterei,

und einer, Kapitän der Pinta, sann

auf List und Umkehr, trüb von Missgunst blind.

Ein jedes Wetterzeichen ward zum Mahn,

zum schlimmen Omen in den dunklen Köpfen:

Ein Rauch am Horizont – ein ferner Berg,

der Teide, speiend Feuer in dem Jahr –

erschien wie Höllenzeichen manchem Mann.


Kolumbus sah, wie Furcht das Herz befiel,

drum fasste er einen entschloss’nen Plan:

Was täglich sie an Meilen segelten,

das gab er nicht in Wahrheit mehr bekannt.

Seit jenem neunten Tag im Monat galt

ein Maß, das kleiner war als jenes, das

die Ruder trugen in die neue Welt.

So hoffte er, die Zeit zu überlisten

und still die Hoffnung wachzuhalten noch.

Er schwieg die Wahrheit bis zum Ziel hinweg.


Doch kam der dreizehnte September nah,

und brachte neue Schrecken auf das Deck.

Die Nadel wich vom Norden ab – das Ziel,

der Kompass, ward zum rätselhaften Bild.

Denn niemand wusste um Magnetenkräfte,

um Pole, um die Drehrung dieser Welt.

Man glaubte, dass die Ordnung sich verlor,

dass selbst das Meer nun fremden Regeln folgte.

Ein Drängen ward laut: »Zurück! Zur Heimat! Jetzt!«


Doch als Verzweiflung tobte, stand er auf,

Kolumbus, und er zeigte auf den Himmel.

Ein Vogel zog herüber überm Mast,

ein Zeichen, das den Geist der Männer bannte:

Denn nie, so sprach er, fliegt ein solcher weit

von Land, das irgendwo im Dunkeln ruht.

So hielten sie noch aus, so zogen sie

durch flaches Wasser, sahen Blätter treiben

und Astwerk, das vom Lande zeugte fern.

Doch Tag um Tag verging, das Ziel blieb stumm,

und Hoffnung schwand wie Dunst im heißen Licht.


Dann kam der zwölfte Tag des Monats zehn,

und endlich rief ein Matrose vom Ausguck:

»Land!« rief er laut, und Hoffnung ward Gewissheit.

Ein Eiland lag im Meer, von grüner Pracht,

von Menschen bewohnt, die Guanahani

das Land benannten in der eignen Zunge.

Kolumbus nannte es San Salvador,

zum Lob des Heilands und zur Ehr der Krone.


Auf jener Insel hörte Kolumbus bald

von vielen andern, die in Nähe lagen.

Am vierzehnten des Monats segelt er

um Guanahani, dann, am nächsten Tag,

zur südwestlich gelegenen Insel fort,

der er den Namen Santa María gab,

der Concepción geweiht, wie er sie nannte.

Sie wurde später, wie ein Forscher meint,

mit Rum Cay, einer Bahamainsel, gleich.

Noch weiter westlich stieß er dann sodann

auf jenes Eiland, das Long Island heißt

und das zu Ehren Ferdinands er taufte

auf Fernandina – freundlich war das Volk,

das ihm mit Wasser half, das er ersehnte.

Am siebzehnten, so meldet das Logbuch,

nennt er zum ersten Mal die Eingebornen

mit jenem Namen, der uns heut geläufig:

Indios“ schreibt er – daraus wurde bald

Indianer“, wie wir’s heute noch verstehen.


Am einundzwanzigsten, so schreibt er selbst,

glaubt er, südlich von Cipango zu sein,

was heute unter „Japan“ bekannt uns ist.

Und westlich wünscht er weiter vorzudringen,

zur Stadt Quinsay, an Chinas östlich' Küst'.

Er schreibt: „Dort werd ich dem Großkhan die Briefe

Eurer Majestät persönlich übergeben

und Antwort auf sie suchen, sie zu bringen.“


Er kam noch weiter, fand auch große Inseln,

die man als Kuba und Hispaniola kennt.

Vor jener letzteren, da strandet dann

am Weihnachtstag sein Schiff, die Santa Maria.

Er ließ aus ihrem Wrack ein Fort errichten

und nannte dieses dann La Navidad.

So ward dies erste span’sche Festung dort,

in jenem Neuland, das sie nun besaßen.

Und Kolumbus, vom König eingesetzt,

ward dort zum Vizekönig und Statthalter.


Die ersten Treffen mit den Arawaken,

die dort lebten, verliefen friedlich meist.

Sie boten Baumwollballen ihnen an

und nahmen Perlen, Glas, als Gegengabe.

Kolumbus hielt sie für ein schlichtes Volk

und lobte ihre Güte: „Was sie haben,

das wollen sie mit jedem teilen frei.“

Doch sah er in den Leuten, die er fand,

nicht Freunde, sondern künft’ge Untertanen.


Am sechzehnten des Januar im Jahr

vierzehnhundertdreiundneunzig, ging

Kolumbus heimwärts, mit nur zwei der Schiffe.

Ein Teil der Mannschaft blieb zurück im Fort,

weil ja das dritte Schiff verloren war.

Doch bald gerieten sie in Streit und Mord,

versklavten, töteten die dorten Menschen –

und kamen selbst durch Gegenwehr ums Leben.


Ein Sturm ergriff das Schiff des Admirals,

als er den Raum der Azoren durchfuhr.

Er fürchtete, das Meer verschling’ ihn ganz

und schrieb auf Pergament Bericht und Namen,

verschloss die Rolle in ein festes Fass

und warf dies schließlich mutvoll in die See.


Doch überstand die Niña Wind und Wogen,

erreichte Lissabon am vierten März.

Von dort aus fuhr Kolumbus weiter heim

und kam am fünfzehnten in Palos an.

Zufällig kam die Pinta dort zugleich.


Er ward empfangen wie ein siegreich Held,

mit Ehr’ und Festzug zog er durch das Land.

Man gab ihm Macht, Privilegien und Rang,

der Papst bestätigte Kastiliens Recht

auf jene Länder westlich jener Linie,

die hundert Meilen westlich von Kap Verde

gedacht war. Später kam, im Vertrag

von Tordesillas, eine neue Teilung,

von Portugal als rechtens anerkannt.


Und kaum zurück, begann Kolumbus schon

zu planen eine neue Expedition,

die Gold beschaffen und Gebiete sichern

und noch mehr Länder für Kastilien finden sollte.


Er sprach von Asien, nannte es entdeckt,

das war in Wahrheit nur die Insel Kuba.

Hispaniola hielt er für Chinas Rand,

als wär’s ein Vorgebirg des fernen Ostens.

Dem Königspaar versprach er Gold in Massen

und Sklaven, so viel wie das Reich begehre.


Man rüstete ihm siebzehn große Schiffe

mit etwa tausendfünfhundert Gefährten.

Am fünfundzwanzigsten des Monds September

verließ er Cádiz, um erneut zu segeln.

Die Küsten, die er kundgetan, zu füllen

mit Siedlern, die das fremde Land besitzen.


Zuerst erschien die Insel Dominica,

doch stieg er nicht an Land. Der Zug ging weiter

zu jenen Eilanden der Antillen,

die er für Kastiliens Krone nahm.

Er nannte sie und schrieb sie in die Karte:

Montserrat, Antigua, Guadeloupe, Nevis.


Im November fuhr er auf Hispaniola

zu jener Festung, die er einst gegründet.

Doch fand er nur noch Trümmer, Blut und Tod –

das Fort La Navidad war ganz zerstört.

Die Arawak, vom ersten Trupp gequält,

hatten die fremden Männer niedergemacht.


So wählte Kolumbus im Dezember

ein neues Lager an der Inselküste

und nannte es La Isabela stolz.

Dort blieb die Flotte bis zum Frühlingsende,

während der Admiral im Landesinnern

nach Gold und Schätzen unermüdlich suchte.


Im Monat April, als das Jahr verstrich,

verließ er mit den Seinen Isabela,

denn jenseits, westlich fern, vermutete

er Asiens Festland hinter Inselketten.

Er segelte an Kubas Südgestaden,

das er, in seinem Irrtum, Asien nannte.

Er sah die Wälder, Flüsse, dunklen Hügel,

doch nicht das Reich des Kaisers in der Ferne.


Er kam an Jamaikas grüne Küste,

die unberührt vom fremden Fuß noch lag,

und sah das Eiland Puerto Rico leuchten.

Doch Mittelamerika blieb ihm verborgen;

das Festland ließ sich nicht vom Schiff erblicken.


Zurück in Isabela, im September,

erschien ihm das, was einst Kolonie hieß,

als Ort des Streits, des Jammers und der Gier.

Die Siedler waren in Zwietracht entbrannt,

getrieben von Begierde, Neid und Zorn.

Und auch das Volk der Taíno, das zuerst

noch freundlich war, begann sich abzuwenden.

Die Misshandlung durch fremde Hände wuchs –

nun wurde aus dem Gast ein Feind dem Volk.


Da rüstete Kolumbus sich zum Feldzug.

Er zwang die Einheimischen in den Dienst,

versklavte sie, trotz königlichen Willens.

Denn Ferdinand und Isabella hatten

ihm aufgetragen, dass er milde sei,

dass er die Menschen als künft’ge Christen achte.


Doch dennoch ließ er fünfhundert und fünfzig

Gefangne auf das Schiff nach Spanien laden.

Die Überfahrt war Tod – fast die Hälfte

verlor das Leben auf dem weiten Meer.

Die andern ließ die Königin entbinden,

zurück ins Land der Heimat heimzubringen.


Im Oktober, als das Jahr verging,

erschien in Isabela eine Flotte.

Ein königlicher Auftrag war ihr Ziel –

man schickte eine Kommission, um streng

die Führung des Kolumbus zu erforschen.

Die Kunde seiner Grausamkeit war laut,

die Unzufriedenheit der Siedler groß.


Da übergab er seinem Bruder Bartolomé

das Kommando über die Kolonie

und bestieg am zehnten März das Schiff zur Heimkehr.

Er trug Bericht dem Königspaar zu Füßen.

Am elften Juni landete er wieder

auf spanischem Gebiet nach harter Fahrt.


Er suchte ihre Gunst erneut zu finden

und sprach von neuen Plänen, neuer Hoffnung.

Doch was er einst versprach, blieb unerfüllt –

kein Gold floss reichlich aus den fremden Ländern,

obwohl die Hände jener, die’s nicht fanden,

als Strafe grausam abgehackt worden.


Zwei Jahre lang vergingen ohne Fahrt –

die dritte Reise ließ sich schwer gestalten.

Denn wirtschaftlicher Glanz war nicht zu sehen.

Nicht mehr das Königspaar allein gewährte

die Mittel für den nächsten Zug nach Westen.

Es waren Kaufleute, die nun bezahlten:

Spinola aus Sevilla, und dazu

Francisco Cataino, Riberole,

die mit Berardi einst Kanaren nahmen

für Kastiliens sich vergrößernde Krone.


Am dreißigsten Mai, des Jahres neunzehn,

trat Kolumbus in den weiten Ozean,

wählte ein südlicheres Ziel als zuvor,

an den Kapverdischen Inseln zog er vor.

Vom Atlantik aus nach Westen lenkend,

ging er auf unbekannte Wasser aus,

die Küsten des Südens neu zu finden,

und jenseits sah er das verheißene Land.


Am ersten Tag des Juli, überm Meer,

entdeckte er die Insel Trinidad,

die er sogleich in seinen Karten schrieb,

dann weiter segelte zu Tobago’s Ufern,

das er Bella Forma taufte voller Stolz.

Die Expedition zog weiter und entdeckte

die Ströme des Orinoco, die dort flossen,

und als er Land in Ferne sich erblickte,

konnte er nicht fassen, was er nun sah.


Zunächst hielt er es für das unbekannte

Asien, das zu Europa sprach,

ein neuer Teil der Welt, in dem er herrschte –

doch bald war er sich wieder nicht mehr sicher,

ließ sich von Zweifeln quälen, suchte Trost

und fand, dass auch dies Teil von Asien sei.


Er segelte weiter bis zur Insel Hispaniola,

erreichte Santo Domingo im August,

die Stadt, die Bartolomé einst gründete.

Doch diese Kolonie war in Aufruhr,

der Bruder Bartolomé gesellte sich

zu jenen, die in Rebellion aufbegehrten.

Kolumbus, der die Streitigkeiten schlichten wollte,

versuchte, Unmut und Zorn zu besänftigen.

Gleichzeitig suchte er das Gold zu finden,

das er so sehr versprochen hatte allen.


Doch je mehr er suchte, desto mehr

zeigte sich das Land von einer rauhen Seite.

Die Siedler, des Goldes nicht gewahr,

begannen zu rebellieren gegen Kolumbus,

der in den Gärten und den Wäldern grub,

nach dem begehrten Schatz, den er versprach.

Die Arawak, die früher freundlich waren,

blieben nicht länger sanft, wendeten sich ab.

Mit eiserner Hand versuchte Kolumbus

zu zähmen, was sich gegen ihn erhob.


Doch seine Mühen blieben vergeblich,

und unter seinen Männern wuchs der Streit.

Da erreichte die Nachricht den Hof in Spanien,

dass Kolumbus das Reich nicht regierte,

wie es sich für einen Gouverneur geziemt.

Der König sandte Francisco de Bobadilla

um Kolumbus’ Macht zu brechen und zu richten.

Im Mai des Jahres trat der Mann ins Land

und kam nach Santo Domingo, wo er sah,

dass alles sich in Unordnung befand.


Am 23. August, der Sommer fast vorbei,

ließ Bobadilla Kolumbus gefangennehmen

und brachte ihn in Ketten nach Spanien zurück.

Kolumbus weigerte sich, die Fesseln abzulegen,

er wollte vor die Königin treten,

die er um seine Freiheit bat mit Ehre.

Doch als er vor ihr stand, da sprach sie gnädig:

Du sollst lebend zurück ins Land,

doch deine Ämter nimmst du nicht mehr ein.“

Und der Ruhm, den er einst erlangt, zerbrach.


Der König, der einst Kolumbus‘ Traum begleitete,

gab ihm das Leben, doch nicht mehr die Macht.

Nun kehrte er nach Spanien heim, ohne Glanz,

denn Vasco da Gama, auf Südroute ziehend,

hatte das ersehnte Ziel schon erreicht.

Der Seeweg nach Indien war nun gefunden –

ein Schlag, der Kolumbus‘ Traum zerstörte.

Die Portugiesen siegten in diesem Rennen,

und Kolumbus war nun nicht mehr der Sieger.


Er verlor den Ruf, der einst ihm gebührte,

sein Name, einst ein Lobgesang, verklang.

Doch blieb er fest in seinem Glauben an sich,

und reichte weiterhin den Spaniens Hof

die Versprechungen, die er einst gemacht.

Vergebens aber suchte er nach Gold,

das nie in den Gewässern Amerikas

reichlich gefunden wurde, wie er sprach.


So lebte er weiter, in der Hoffnung still,

dass seine Reisen einst erkannt würden

als etwas mehr als blinde Abenteuer –

als Tür zu einer neuen, großen Welt.

Doch selbst die Rückkehr in den spanischen Thron

bringt ihm nicht mehr die Ehre wie einst.

Denn Kolumbus hatte nur das Tor geöffnet

zu einem Land, das noch kein Mensch gekannt.


Am sechsundzwanzigsten des Februar

im Jahr fünfzehnhundert und zwei begab

sich Kolumbus zu Ferdinand, dem König

von Aragón, und auch zu Isabell

von Kastilien, und er bat um Schiffe.

Schon Mitte März gewährte man die Reise

am Hof, das Königshaus sprach seinen Segen.


Am neunten Mai – so melden es Berichte,

nach andern war’s am elften dieses Monats –

verließ Kolumbus, seinen Sohn Fernando

an seiner Seite, Spanien ein letztes Mal.

Die Reise, die er nun begann, benannte

er selbst El Alto Viaje, „Hohe Fahrt“.

Vier Karavellen fuhren mit ihm aus,

mit quer gestelltem Großsegel versehen.


Die Capitana, Flaggschiff dieser Fahrt,

wog siebzig Tonnen. Tristán war der Käpt’n,

zwei Offiziere, vierzehn Seemänner,

dazu zwanzig Schiffsjungen und sieben

geschickte Handwerker, ein Trompeter

vervollkommneten ihre kleine Crew.


Die zweite hieß La Gallega, „Galizierin“,

Pedro de Terreros war ihr Führer.

Mit sechsundzwanzig Mann fuhr sie zur See,

worunter sich vierzehn Schiffsjungen fanden.


Die dritte war Santiago de Palos,

die Kolumbus „Bermuda“ selbst genannt.

Francisco de Porras war ihr Kommandant,

an Bord auch sein Bruder und einunddreißig

Mann, unter ihnen der Notar der Krone

und auch Kolumbus’ Bruder Bartolomeo.


Die vierte hieß Vizcaína, sie trug

fünfundzwanzig Mann: Kapitän Fiesci,

Bootsmann Martín de Fuenterrabía,

ein Führer namens Juan Pérez, dazu

acht Seeleute, zehn Schiffsjungen, ein Priester,

Fray Alejandro, und drei freie Männer.


Sie fuhren in das Herz von Mittelamerika,

erkundeten die Küste zwischen Honduras

und Dariéns Golf, bis hin nach Panama.

Am vierzehnten des Augusts sah Kolumbus

zum ersten Mal das Festland jener Welt,

bei Kap Honduras trat er an das Ufer.

Er suchte nach der Passage hin nach China.


Doch Vizcaína wurde bald zerstört

vom Schiffsbohrwurm, das Holz zerfiel im Meer.

Ein Wrack, das man bei Nombre de Dios

in einer Bucht im Jahr zweitausendeins

entdeckte, wird wohl jene Karavelle

gewesen sein, von Würmern aufgefressen.


Auf Jamaika gestrandet, überlebte

die Mannschaft durch den Handel mit den Stämmen.

Doch als man sie betrog, stellten sie ein

den Warentausch mit jenen fremden Männern.

Kolumbus, kundig in Astronomie,

wusste: am neunundzwanzigsten Februar

im Jahr fünfzehnhundertvier fällt eine

Mondfinsternis. Den Häuptlingen erklärte

er kühn, die Götter seien aufgebracht

und würden, wenn man weiter trotzig sei,

den Mond hinwegnehmen aus ihrem Blick.


Und als die dunkle Scheibe dann erschien,

erschraken sie, flehten Kolumbus an,

den Handel wieder aufzunehmen, nur

der Mond solle zurück an seinen Platz.

Er willigte in Gnade gnädig ein

und rief den Mond – zur rechten Zeit – zurück.


Nach Kämpfen mit Indígenas, nach Meuterei,

verbrachte er fast ein Jahr auf Jamaika.

Die Schiffe leck, die Mannschaft ohne Mut,

vergrub er sich in eine feste Zuflucht.

Von Krankheit schwer gezeichnet kehrt’ er heim,

zurück nach Spanien, gezeichnet, müde.



SIEBENTER GESANG


Am dritten Juni, achtzehnhundertacht

und achtzig, ging die Mannschaft wohlbewegt

an Bord der „Jason“ in dem Fjord von Ísafjörður,

ein isländischer Hafen, tief im Nord.

Der Kapitän war Johan Jacobsen,

ein Seemann, rau und doch von gutem Schlag.

Man nahm den Kurs nach Osten auf, durch Eis,

mit Hoffnung, Grönlands Küste zu erreichen.


Am elften sah man fern das weiße Land,

die Ostküste, so nah und doch so fern.

Denn dichtes Packeis machte jeden Plan,

dort anzulegen, gleich zunicht. Das Schiff

kam bis auf zwanzig Kilometer her,

am siebzehnten des Juli, doch nicht nah.

Da stiegen sie in zwei der Beiboote,

Nansen voran, mit Hoffnung in der Brust,

die eisfrei’n Kanäle führten sie zum Ziel,

dem Sermilik, bei Tasiilaq gelegen,

der als möglicher Aufstieg galt hinauf

zum weißen Schild im Herz von Grönlands Eis.


Der Kapitän vermerkt in seinem Buch,

die Männer gingen „frohen Muts“ von Bord,

voll Zuversicht, dass alles gut geriet.

Doch bald schon wich die Hoffnung dem Verdruss.

Der Weg zur Küste blieb von Eis versperrt.

Ein Sturm kam auf, die Strömung trieb sie fort,

nach Süden, weiter als ihr Ziel erlaubt.

Die Boote drohten oft, vom Eis zerdrückt

zu kentern, so verbrachten sie die Zeit

zumeist auf Eisschollen, unstet und kalt.


Am neunundzwanzigsten, ein harter Tag,

da waren sie bereits drei hundertacht

zig Kilometer südlich ihrer Spur.

Sie trafen zwar die Küste – doch zu weit

von dem geplanten Aufbruchsort entfernt.

Nach kurzer Rast gab Nansen neuen Befehl:

Gen Norden rudert, auf, wir geben nicht

so bald uns hin!“ Die Männer folgten ihm.


Durch Eisschollen, von Süd nach Nord gekämpft,

so fuhren sie entlang der Küstenlinie.

Die Tage schwer, das Wasser kalt und rau,

die Boote eng, die Kleider durchnässt,

doch unbeirrt blieb Nansens klarer Blick.

Am ersten Tag schon, nahe Kap Bille,

da trafen sie auf Siedler – Inuit.

Die Männer staunten über fremdes Leben,

doch jedes Lächeln gab auch neuen Mut.

An weiteren Tagen sahn sie ab und zu

einzelne Menschen, freundlich und vertraut.


Am elften August endlich das ersehnte

Ziel – Umiivikfjord – lag vor dem Blick.

Zweihundert Kilometer Nordwärtsfahrt

hatten sie nun mit Mühe überstanden.

Doch weit entfernt war noch der eigne Plan,

der Aufstiegspunkt lag nördlich, unerreicht.

Da Nansen sah, wie schnell der Sommer wich,

und wie das Eis sich täglich fester schloss,

entschied er, dass von hier der Marsch beginne.

Ein Ort war’s nicht nach Maß, doch wohl nach Not.

Einige Tage widmeten sie dann

den Vorbereitungen zum weiten Zug.


Am fünfzehnten, am Abend, war’s so weit:

Die Männer spannten ihre Schlitten an,

und zogen los, das weiße Reich zu queren.

Das Ziel war Christianshåb, Diskobucht,

sechs hundert Kilometer weit im Nord­west.

In stetem Anstieg, mühsam und bedacht,

zog man die Schlitten übers Eisland fort.

Es lauerten verborgene Spalten tief

im Firn, verborgen unter trügisch Schnee.

Das Wetter schlug in schlechte Laune um:

Ein Sturm erhob sich, Regen kam dazu,

und tagelang stand alles still und stumm.


Am sechsundzwanzigsten dann, spät am Tag,

erkannte Nansen, dass der Plan verlor.

Zu weit noch war das Ziel, zu knapp die Zeit.

Sie würden nicht, bis Mitte September,

Christianshåb rechtzeitig erreichen.

So rief er laut: „Wir ändern unser Ziel.

Nach Westen marsch’n wir nun, nach Godthåb.“

Die Mannschaft war damit voll einverstanden,

sie grüßten laut den neuen Weg mit Beifall.

Der Aufstieg ging sogleich erneut vonstatten,

bis auf zweitausendsiebenhundert Höhen-

metern am elften Tag des September.


Von jenem Punkt, in nächtlich klirrender Kälte,

bei minus sechsundvierzig Grad gemessen,

begann der Weg nun endlich abwärtswärts.

Das Eis fiel sanft in weitem Bogen nieder,

doch blieb der Gang durch Schnee und Sturm beschwert.

Der Neuschnee klebte stumpf an jedem Schlitten,

als schürfe man auf trockenem Gestein.

Die Füße sanken tief, der Atem stockte,

doch schritt für Schritt kam man dem Ziel nun näher.


Am sechsundzwanzigsten September dann

erreichten sie den Fjord von Ameralik.

Ein Wasserarm, von blankem Fels umrahmt,

ein Zeichen, dass das Ende sich nun naht.

Sie fanden Weidenruten, Zeltgestänge

und Teile eines alten Transportschlittens.

Daraus erbauten sie mit kluger Hand

ein schmales Boot, kaum tauglich für das Meer.

Doch Nansen sprach: „Ich will mit Sverdrup fahren.

Die andern bleiben hier, bis Hilfe kommt.“

So stießen sie am neunundzwanzigsten

allein zur letzten Fahrt durch Fjordgewässer.


Nach hundert Kilometern endlos Rudern

am dritten Oktobertag, bei kaltem Licht,

erreichten sie das Ziel: das ferne Godthåb.

Der dänische Statthalter trat hervor,

empfing die Männer mit bewegtem Gruß

und sprach: „Doktor der Philosophie –

dies’ hat man Euch verliehen jüngst in Norwegen.“

Doch Nansen lachte mild und gab zurück:

So fern von allem ist mein Geist zurzeit –

was kümmert mich ein Doktortitel jetzt?“

Zwei Boote sandte man sogleich zurück,

und holte dann die restlichen Gefährten.

Am zwölften Oktober war die Mannschaft

vereint, erschöpft – doch siegreich in dem Ziel.


Der Herbst war weit, kein Schiff mehr fuhr hinaus

von Godthåb nach Europa oder Süden.

Ein Inuk wurde ausgesandt, allein,

mit seinem Kajak, kühn und unerschrocken.

Er trug Bericht von ihrer Heldentat

nach Ivigtût, zum letzten Schiff gen Dänemark.


Die Wintermonate, lang und von Bedeutung,

verbrachten sie bei Inuit im Gespräch.

Sie lernten Lebensart und Handwerkskunst,

das Überleben in der Arktisluft,

den Schlittenhund als treuen Kameraden

und wie man Nahrung findet, wo nichts wächst.

Aus dieser Zeit erwuchs ein eignes Buch:

Eskimoleben“ – Zeugnis jener Tage.


Am fünfundzwanzigsten April des Jahrs

achtundachtzig und neun kehrten sie heim,

an Bord der „Hvidbjørnen“, hinaus aus Schnee.

Sie fuhren über Dänemark nach Norden

und kamen schließlich in Christiania an,

am dreißigsten des Monats, als das Schiff

den Fjord durchmaß, empfangen von der Menge

und hunderten von Booten, die sie grüßten.

Die Namen Ravna, Nansen, Sverdrup,

Kristiansen, Dietrichson und Balto –

sie wurden bald in alle Welt getragen.


Der Zug durch Grönland war ein klarer Beweis:

Das Landesinn’re war mit Eis bedeckt.

Man lernte von der Gletscher stillem Zug,

ihr Wachsen, ihre Richtung, ihr Verhalten.

Und Nansens Messungen beflügelten

das neue Denken über Wind und Wetter,

in Europa wie im Nordatlantik.

Ein erster Schritt zu künft’gen Expeditionen

und Grundstein einer neuen Wissenschaft.


Empfangen ward Nansen in Christiania

von vierzigtausend Menschen, Schaulustige,

ein Drittel jener Stadt, die dort versammelt,

um ihn zu feiern, als er heimwärts kam.

Bereits im Herbst zuvor war kundgeworden,

dass seine Grönlandfahrt gelungen sei –

in Dänemark und auch in Norwegen.

Dies weckte Stolz, Begeisterung und Hoffnung.

So kam es noch im selben Jahr dazu,

dass eine neue Geograph’sche Gilde,

die norwegische, ward ins Leben gerufen.

Der Skisport selbst, bis dahin randständig,

gewann an Schwung durch Nansens Heldenmut

und wurde rasch ein Stolz der Nation.


Als nächstes nahm er eine Stelle an,

als Kurator der zoolog’schen Sammlung

der Universität in Christiania.

Sie zahlte gut, verlangte aber nichts –

sie wollte nur sich rühmen seines Namens.

Die eigne Pflicht, die Nansen sich erdachte,

war, seine Fahrt in Wort und Schrift zu deuten.

Im Sommer achtundachtzigneun sodann

besuchte er das stolze London, nahm

an einer Tagung großer Forscher teil,

wo ihm der Thronerbe, Prinz Albert Edward,

die Ehre gab, ihm gegenüberzustehen.

Der Präsident der Royal Society,

Sir Grant Duff, sprach mit Hochachtung von ihm:

Er steht an erster Stelle unter jenen,

die je das Nordland forschend durchquert haben.“

Als Auszeichnung erhielt er jenen Orden –

die Patronatsmedaille, wohlverdient.

Und das war nur der Anfang der Ehrungen:

Der Sankt-Olav-Orden schmückte seine Brust,

der Dannebrog, die Ritterklasse eins,

die Carl-Ritter-Medaille aus Berlin,

die Vega-Medaille der Schweden kam hinzu.

Ein Ruf aus Australien gar erreicht ihn:

ob er zur Antarktis ziehn wolle mit –

doch lehnte er, da Nordens Ziel ihm näher,

und Norweg’ns Stimme wollte er dort sein.


Im August, am elften, ward verkündet,

dass Nansen sich mit Eva Sars verlobt,

der jüngsten Tochter aus gelehrtem Haus –

ihr Vater Michael, Zoologe, war’s,

ihr Bruder gleichfalls Forscher: Georg Sars.

Die Mutter, Maren, war dem Dichter Welhaven

als Schwester nah verwandt. Und Eva selbst

war Mezzosopranistin, gut geschult

bei Artôt, einer Sängerin von Rang.

Beim Wintersport im Schnee von Frognerseteren

hatten sie sich vor Jahren schon getroffen.

Die Ehe kam für viele überraschend,

hatte er doch zuvor sie abgelehnt.

Doch bald darauf, am sechsten September,

wurd' Hochzeit gehalten. Kinder folgten bald:

Liv, Kåre, Irmelin und Odd und Asmund.


Die Fram-Expedition – ihr Hauptartikel

sei andernorts verzeichnet – nahm nun ihren

gedanklichen Beginn vor jener Reise,

die Nansen über Grönlands Eis geführt.

Denn lange schon bewegte ihn der Drang,

die Grenzen des Bekannten zu verschieben.

Der Ausgangspunkt: die kühne Theorie

des Mohn, des norweg’schen Meteorologen,

wonach das Eis im Strom des Nordpolmeers

von Ost nach West in weiter Drift gezogen.

Wenn man, so dachte Nansen nun mit Kühnheit,

ein eigens dafür konstruiertes Schiff

im Eis gefangen hielte, triebe es

in Richtung Pol – auf stiller, harter Bahn.

So stellte er, im Februar Neunzig,

der Geograph’schen Gilde seine Pläne

mit Zuversicht und Klarheit vor – allein:

Die Fachwelt reagierte skeptisch bloß.

Der Plan erschien gewagt und sonderbar.


Doch ließ sich Nansen davon nicht beirren.

Ein kleines, starkes Team, erlesen, klug,

sollt' mit ihm ziehn bis an Sibiriens Rand,

zu jenen Inseln, wo das Eis beginnt.

Dort wollt’ er, dass das Schiff im Frost erstarrt,

vom Packeis festgehalten, treibe es

nach Norden weiter, angetrieben bloß

vom mächt’gen Strom der kalten Arktisflut.


Durch Spenden von der öffentlichen Hand,

durch Mäzene, die an seine Träume

und seine Tüchtigkeit geglaubt, gelang

es ihm, das kühne Vorhaben zu stützen.

Nach Plänen, die der Schiffsbaukunst entsprangen

von Colin Archer, Meister seines Fachs,

ließ Nansen zwischen Juni Einundneunzig

und Herbst des darauffolgenden Jahrs

ein Schiff erbauen, das die „Fram“ benannt.

Ihr Rumpf war oval – dies war von Sinn:

Er sollte nicht vom Eis zerdrückt, zerschellt,

sondern, wie Nansen sagte: „gleich dem Aal

entgleiten aus der Umarmung des Eises.“

Ein Schiff, wie es die Welt noch nicht gesehn –

ein Instrument für kühnste Forschungsgänge.


Im Sommer dreiundneunzig, in Vardø,

begann die Fahrt der Fram – gen Osten zog

das Schiff, entlang Sibiriens Küstenstrich,

bis zu den Inseln, die Neusibirisch heißen.

Ein kühner Kurs, von Hoffnung angefeuert,

ins unbekannte Weiß des Nordens vor.

Im Packeis kam der Schiffsrumpf bald zur Ruh –

nicht Bruch noch Schaden zeigte das Design:

Die Fram war stark gebaut für dieses Ziel.

So ward sie, wie erhofft, vom Eis gefasst,

und trieb, gefangen in der stillen Kälte,

von Osten westwärts, durch das graue Meer.

Die Drift begann – ein Spiel der Elemente,

ein Warten, Forschen, Messen, Aushalten.


Drei Jahre währte diese Eisdurchquerung,

von jenem Herbst des Jahres dreiundneunzig

bis in den Sommer sechsundneunzig hin.

In dunkler Nacht und endlosem Gefror,

von Stürmen umgepeitscht und stiller Ödnis,

verbrachten sie die Zeit mit Wissenschaft –

mit Messgeräten, Protokollen, Karten.

Die Fram bewährte sich, trotz Frost und Drangsal.

Doch Nansen selbst, getrieben von dem Wunsch,

das Ziel nicht nur zu ahnen, sondern seh’n,

entschloss sich schließlich, selbst hinauszugehen.


Im März des Jahres fünfundneunzig dann

verließ mit Johansen, dem treuen Mann,

er das vertraute Schiff, um mit dem Schlitten

den höchsten Norden endlich zu erreichen.

Mit Hunden, Proviant, und leichter Ausrüstung

begaben sie sich auf den langen Weg –

ein Marsch durch Eis, durch Schneesturm, durch Gefahr,

bis sie die Breite Sechsundachtzig Grad

und dreizehn Komma Sechs Minuten Nord

als höchsten Punkt der Menschheit je erreichten.

Noch nie war jemand weiter vorgedrungen –

ein stolzer Rekord, errungen durch Verzicht.


Der Rückweg aber, hart und ungeplant,

führte sie quer durch weite Eisgebiete,

bis schließlich – nach Monaten des Irrens –

Kap Flora auf dem Franz-Josef-Land

vor ihnen lag, ein rettender Empfang.

Ein britischer Entdecker nahm sie auf.

Von dort gelang die Heimfahrt Schritt für Schritt:

Im August Sechsundneunzig kamen sie

zurück nach Vardø, wo sie einst begonnen.

Und auch die Fram, vom Eis befreit, traf ein –

aus Spitzbergen kommend, fuhr sie nach Tromsø.

Ein kühner Kreis, geschlossen durch den Mut

von Nansen und den Männern seiner Fahrt.


Zu dreizehn Mann zählte die Mannschaft dort,

an Nansens Seite fuhr, von Mut beseelt.

Ein alter Freund war Otto Sverdrup, fest

am Steuer stand er, Kapitän der Fram.

Auch Fredrik Hjalmar Johansen war

an Bord – er zog einst mit Amundsen gen Süd.


Am einundzwanzigsten des Juli-Monats,

im Jahre dreiundneunzig, stach die Fram

von Vardø aus in See – dem letzten Port

auf norwegischem Grund – gen Osten fort,

ins kalte Herz der östlichen Barentssee.

Dem Pfad der Nordostfahrt Nordenskiölds

folgten sie treu. Am Ufer Russlands zog

das Schiff vorbei, bis es am Augustende

die Taimyrhalbinsel erreichte dann.

Packeis bremste bald den Vorstoß jäh,

doch am neunten September bog die Fram

um Kap Tscheljuskin in die Laptewsee.

Schon früh im Oktober, fünften Tags,

ward sie vom Eis umringt, gefangen ganz –

bei neunundsiebzig Grad im Norden fest,

in östlicher Breite bei hundertdreiunddreißig.

Dort lag das Schiff, gesichert für den Winter.


Doch bald erwies die Drift sich als Trugbild.

Die Rechnung Nansens wich der Wirklichkeit.

Südwärts statt nordwärts schob das Eis das Schiff,

und erst im Februar, am zweiten Tag,

war achtzig Grad an Breite überquert.

So kam der Plan, den Pol zu erreichen,

ins Wanken: Fünfmal sollte sich das Jahr

erneuern, ehe man dem Ziel sich naht.

Drum fasste Nansen mutig jenen Plan:

Er ließ die Fram zurück und zog mit Ski

und Hunden, mit Johansen Seit an Seit,

zum hohen Ziel – gen Nord, zum höchsten Punkt.

Als Rückweg wählte er Franz-Josef-Land.


Am vierzehnten des März im fünfundneunzigsten

verließen sie die Fram bei vierundachtzig Grad,

mit zwei Kajaks, drei Schlitten, achtundzwanzig

getreuen Hunden und viel Hoffnung los.

Sein Plan: In fünfzig Tagen, dreißig mehr

als einen Monat lang, das Ziel zu erreichen –

dreizehn Kilometer täglich war der Schnitt.

Doch bald schon machte unwegsames Eis

das Gleiten schwer. Die Tagesleistung sank.

Und bald ergaben Messungen der Sterne,

dass sie der Drift entgegen anmarschierten,

der Süden zog – der Norden wich zurück.

Dazu die Kälte: Minus vierzig Grad

ließ Handschuh, Haut und Mut erfrieren bald.

Aus Johansens Tagebuch spricht Leid:

Die Finger tot. Die Handschuhe wie Stein.

Es wird nur schlimmer. Gott allein weiß Rat.“


Am siebten April dann ein letzter Halt.

Ein Chaos aus zerbrochnen Eisformationen

warf Nansen um den Blick – kein Weiterweg.

Noch eine Messung, achte Tag des Monats,

und sechsundachtzig Grad war'n überwunden,

dreizehn Minuten mehr – Rekord erreicht.

Doch weiter nicht. Der Rückweg war das Ziel.

Er wandte sich zu Franz-Josef-Lands Gestaden.


Der Rückweg ward beschwerlich und gefährlich,

voll Zweifel, Kälte, Hunger, Dunkelheit.

Erst am vierundzwanzigsten Juli sahn

sie Land, das erste Mal seit Fram und Frost:

Wir hatten schon geglaubt, nichts sei mehr da –

doch plötzlich lag es vor uns, wie ein Traum.“

Am siebten August stießen sie in Kajaks

von Eis zur Küste vor, mit letzter Kraft.

Doch wo sie waren, wussten sie nicht recht.

War dies ein Teil von Franz-Josef-Land?

Erst Mitte August brachte eine Sichtung

Klarheit – Kap Felder, auf der Karte Payers.

Nun war das Ziel: der Eira Harbour dort,

wo Leigh Smith einst sein Lager aufgeschlagen

und Vorrat hinterlassen hatte klug.


Doch Wind und Eis, die unsteten Gefährten,

verwehrten bald die Weiterfahrt im Boot.

Der Winter nahte, Nacht sank auf das Land,

und Nansen traf den letzten harten Entschluss:

Ein Winterlager an der Südwestküste,

auf einer Insel, später Jackson-Insel,

errichtet in der Eile, notdürftig.

Dort blieben sie, gefangen acht lang Monate,

bei Frost und Dunkelheit, in knapper Kost.


Erst Mitte Mai, am neunzehnten des Monats,

verließen sie die Hütte und zogen fort.

Sie folgten über Wochen dieser Küste,

sah’n keine Form, die ihnen Karten zeigten.

Dann endlich wendete das Wetter mild,

und ab dem vierten Juni fuhren sie

auf offnem Wasser weiter, frei im Boot.


Am siebzehnten des Monats, voller Staunen,

traf Nansen auf Frederick Jackson dort,

am Kap Flora, dem südlichsten Gelände

des ganzen Archipels – welch Fügung war’s!

Ein Engländer auf Expedition,

ein Freund im Eis, ein Retter ihrer Reise.


Dort blieben sie und warteten geduldig

auf Jacksons Schiff, das Windward war benannt.

Am sechsundzwanzigsten des Juli kam

das Boot mit Vorrat, Hoffnung und Maschinen.

Am siebten August setzten sie die Segel,

und Norwegens Gestade rückten näher.

Vardø erreichten sie am dreizehnten

und Nansen sandte Telegramme aus –

die Nachricht seiner Rückkehr ging durch’s Land.


In Tromsø dann, am einundzwanzigsten,

empfing die Mannschaft sich mit lautem Jubel:

Die Fram war heimgekehrt, mit allen Seelen.

Der Traum war nicht vergebens – Nansen lebte.


Nachdem im März des Jahres fünfundneunzig

Nansen mit Johansen aufgebrochen,

zog unter Sverdrups Leitung fort die Fram,

getreu dem Plan, durch Eis zum Ziel getrieben.

Der Driften Weg, wie Nansen ihn gedacht,

bestätigte sich wahr am dreizehnten

August im Jahr darauf – das Schiff gelangte

bei Spitzbergens Gestaden in das Meer.

Die Mannschaft steuerte zunächst das Land,

doch war vom Schicksal Nansens nichts bekannt.

So kehrten sie nach kurzem Aufenthalt

zurück nach Norwegen mit ihrer Fram.


Im Hafen von Christiania stand die Stadt

am neunten Tag des September in Bewegung.

Ein Kriegsgeschwader führte sie herbei,

die Heldenfahrt der Fram zu krönen stolz.

So groß war nie zuvor der Menschenandrang,

und Jubel brandete dem Schiff entgegen.

Aus aller Welt traf Glück und Lobeshymne

auf Nansen ein. Selbst Whymper schrieb bewegt,

die Fahrt sei einem ganzen Forscherjahrhundert

an Wert vergleichbar und an Kühnheit gleich.


Kaum heimgekehrt, begann sogleich die Arbeit:

Ein Reisebuch erschien schon bald im Druck.

Die norwegische Fassung stand bereit

im späten Herbst desselben Jahres schon.

Auf Deutsch erschien es bald als In Nacht und Eis,

und Farthest North hieß’s in der englischen Welt.

Darin gab Nansen auch Kritik Raum frei.

So hatte Greely scharf ihn angegriffen:

Er habe, da er die Fram verließ,

die Mannschaft pflichtvergessen preisgegeben,

fernab von Land und Rettung auf sich selbst.

Doch schadete dies Nansens Ruhm nicht sehr –

das Werk war ein Erfolg, ein Triumphzug,

und machte Nansen reich und unabhängig.


Wie einst nach seiner Fahrt durch Grönlands Eis,

so ehrte ihn die Welt nach dieser Reise.

König Oscar verlieh den hohen Orden

des Sankt-Olavs in erhab’nem Kreuz

an ihn und Sverdrup, seinen treuen Freund.

Die Société de Géographie ehrte

den Forscher mit der goldnen Ehrenmedaille.

Präsident Faure rief ihn zum Kommandeur

der Legion d’honneur im stolzen Frankreich.

Zar Nikolaus verlieh den Stanislaus-

Orden in höchstem Rang dem Polheld Nansen.

In Deutschland wurde ihm von Fachgelehrten

die Humboldt-Medaille dargebracht.

Franz Josef selbst verlieh den höchsten Orden

des Franz-Josephs dem berühmten Mann.

In England, ja, und später auch in Staaten

Amerikas empfang er Lob und Preis.

Akademien riefen ihn zu Ehren –

die Royal Society, die Norwegische

und Leopoldina zählten ihn zu sich.


Zwar blieb das Ziel, den Nordpol zu erreichen,

verfehlt, doch war die Fahrt nicht minder groß.

Die Forschung, die sie trugen durch das Eis,

ergab bedeutsame Entdeckungen.

Durch Mohns Theorie, die Drift durch das Polarmeer,

bewahrheitet im Gang der Fram, bewiesen

sie, dass des Nordpols Herz kein fester Grund,

kein Eisschild war, kein festes Kontinent –

nur offenes, bewegliches Gestein.

Ein Ozean tat sich in Tiefen auf,

nördlich von Asien ohne Landmass’ mehr,

das je den Lauf des Treibeises gebremst.

Auch neue Arten zeigte Nansen auf –

die arkt’sche Wildnis reicher als gedacht.

Ein ganzes Weltbild wurde dort erschüttert.

Ein Jahrhundert danach noch rief mit Staunen

der Polarforscher Wally Herbert aus:

Die Fahrt der Fram – ein kühnstes Beispiel war

von wacher Klugheit in der Forscherwelt.“


Zwei Jahrzehnte wandt’ er sich der Wissenschaft,

dem Forscherleben, still und diszipliniert.

Seit achtundneunzig war er Professor schon

für Zoologie in Christiania Stadt.

Die Datenschätze seiner Fram-Reise

begann er gründlich auszuwerten nun,

ein Werk, das schwerer fiel als jedes Buch.

Sechs Bände trug er langsam Stück für Stück

zusammen – Grundstein arktischer Ozeane,

wie „Challenger“ es für die andern war,

so sprach’s Rudmose-Brown in später Zeit.


Im Jahre Neunzehnhundert fuhr er dann

mit Hjort nach Jan Mayen und nach Island hin,

zur Meeresforschung mit der „Michael Sars“,

dem Schiff benannt nach Nansens Schwiegervater.

Kaum heimgekehrt, da hörte er davon,

sein Nordrekord sei überboten nun:

Cagni und seine Leute, tapfer kühn,

durchbrachen Nansens Grenze um ein Stück.

Er nahm’s gelassen auf: „Was nützt ein Ziel,

das nur um seiner selbst willen erreicht?

Sie schwinden alle – es ist nur die Zeit.“


Zwei Jahre später, tausendneunhundertzwei,

entstand das Anwesen in Polhøgda,

ein Haus, entworfen von des Meisters Hand,

im Stil der Renaissance, mit weitem Blick.

Im tiefen Keller richtete er sich

ein Labor ein zur Instrumentenkunst.

Dort lebte Nansen mit Eva und Kind:

Liv, Irmelin, dazu die Söhne zwei,

Odd und Kåre, später auch Asmund noch,

der jüngste, der im Haus geboren ward.


Inzwischen wandt’ sich seine Forschung nun

der Ozeanographie in vollem Maß.

Er teilte seine Daten mit Ekman,

dem schwed’schen Physiker, der klar erkannte,

die Strömung folge nicht dem Wind allein –

ein Wirbeldrift, vom Corioliskraft

geprägt, durchdrang die Wasser in der Tiefe.

Auch Nansens Forschungen zum „Totwasser“,

die Grenzschicht zwischen Schichten von Gewicht,

wurden von Ekman weiter ausgebaut.


Im Mai, im Jahr Zweitausendacht, verließ

er dann die Zoologie, war nun erneut

als Ozeanograph berufen dort.

Ein Jahr darauf, mit Helland-Hansen dann,

erschien ein Werk, das seine Fahrt beschrieb

mit Michael Sars, neun Jahre her bereits.

Bis 1914 war er auf See,

führte mit „Frithjof“ durch den Nordatlantik,

und reiste zwei Jahre später wiederum

zur Bäreninsel, Spitzbergen hin,

an Bord der Yacht „Veslemøy“, um dort

das Meer zu messen: Strömung, Salz und Tiefe.


Zu jenem Zweck erfand er jenen Trichter,

die Nansenflasche – zukunftsweisend schlicht.

Sie wurde Standard – bis in späte Zeit,

als Niskin sie verfeinerte danach.


Im Jahr, das Krieg und Dunkel mit sich trug,

begab sich Nansen nochmals auf die See

mit Helland-Hansen in den Nordatlantik.

Doch schon im Januar verlor er viel:

Sein treuer Freund Johansen nahm sich selbst

das Leben, und im März, so früh, so still,

verstarb sein jüngster Sohn nach schwerem Leid.


Im Sommer reiste er nach Sibirien,

mit einer westlich-europäischen Fahrt,

entlang des Jenissei, der Karasee,

nach Wladiwostok über Eisenbahn.

Ganz nebenbei bewies er, dass einst Eis

das Tiefland Westsibiriens bedeckt.

Dort keimte seine Liebe zu dem Volk,

das später ihn politisch prägen sollte.


Zu Lebzeit ward er eine große Legende.

Die junge Schar der Forscher, die ins Eis

Des Nordens oder in das Südpolreich

Vordringen wollte, suchte seinen Rat.

Im Sommer siebenundneunzig kam

Adrien de Gerlache, voll Entschluss,

Dem Belgica-Projekt sein Haupt zu weihn –

Er war der erste, der im Süden fror,

In dunkler Nacht des antarktischen Jahrs.

Im Januar des nächsten Jahrs erschien

Der Herzog aus dem Hause Abruzzen,

Dessen Gefährte, Cagni war sein Name,

Des Nordens höchste Breite übertraf,

Ein Jahr darauf – der Meister überboten.

Dann, später, kam im Herbst desselben Jahrs

Der deutsche Forscher Drygalski zu ihm,

Der auf der Gauß das Kaiser-Wilhelm-Land

Durchmaß, beschrieb, vermisst und kartographiert.

Nur einem Mann, dem Landsmann Borchgrevink,

Versagte Nansen Rat und jede Hilfe.

Er hielt ihn schlicht für einen Hochbetrüger

Und ließ ihn stehn. Doch Scott und Shackleton

Gab er Gehör, und sprach mit Nachdruck aus,

Dass Hundeschlitten für das große Ziel

Die besten Zugtiere der Reise seien.

Doch keiner folgte seinem weisen Wort.

So meinen viele: Hätt’ man ihn gehört,

So wär vielleicht der Südpol erst erobert

Von Shackleton, beim Zug mit der Nimrod.

Und Scotts Verhängnis auf dem letzten Marsch,

Das wär vermieden mit dem Hundegespann.


Auch er selbst hatte Pläne für das Eis

Des Südens, ließ bereits für neue Schiffe

Die Pläne zeichnen, Colin Archer tat’s.

Doch schließlich wurde nichts daraus gemacht.

Die Gründe blieben unbestimmt und viel.

Er überließ dem Amundsen die Fram,

Der eigentlich zum Nordpol reisen wollte.

Doch Cook war da und prahlte mit dem Ruhm.

So änderte der Norweger den Kurs

Und segelte nach Süden, um den Preis

Des Wettlaufs gegen Scott zu unterfangen.

Nansen, nicht eingeweiht in diesen Plan,

Verteidigte die Tat trotz aller Stimmen,

Die sie als List und Täuschung ausgelegt.


Für Englands Geographen schrieb er dann

Ein zweibändiges Werk zur Nordlandfahrt,

In Northern Mists“ genannt, im Jahre elf.

Und in derselben Zeit, so geht die Rede,

War er der Witwer, sie, des Scotts Gemahlin,

In kurzer, zarter Nähe ihm verbunden.

Doch letzte Bande an das Forscherreich

War jene Studiengesellschaft zur

Erforschung der Arktis durch die Luft,

Aeroarctic“ hieß sie, und sie wählte

Den alten Nansen zu dem Lebenshaupt

Und zum Gelehrtenführer einer Fahrt

Per Luftschiff in das Reich des ewigen Eises.

Die Reise kam zu spät – erst ein Jahr nach

Des großen Nansen Tod fuhr LZ 127

Ins Arktiseis: die Graf Zeppelin im Dienst

Des Traums, den Nansen heilig stets bewahrte.



ACHTER GESANG


Auf Anraten der Royal Society

und unter Leitung Mortons, Astronom

und Präsident des Rates, ward beschlossen,

den Venusdurchgang zu beobachten –

am dritten Tag des Juni, sechsundsechzig

nach siebzehnhundert Jahren –, und zwar dort,

wo fern im Stillen Ozean Tahiti

als günstigster Beobachtungsort erschien.

Dies war ein Werk von internationalem

Format – man wollte, durch den Transit klar,

die Distanz messen zwischen Erd' und Sonne

und so, mit Hilfe Keplers drittem Satz,

die Bahnen aller Planeten bestimmen.


Cooks vordringlichste Pflicht war es, mit Sorgfalt

die Wissenschaftler heil hinfortzubringen,

darunter Green, Astronom, samt Gerät,

und sie auch unversehrt zurückzubringen.

Ein weiträumiges Schiff mit leichtem Kiel

ward dafür nötig. So erstand die Flotte

den Frachter namens Earl of Pembroke, schwer

mit Kohlen einst beladen, umgebaut

zur Reise nun und Endeavour genannt.

Am sechsundzwanzigsten im Augustmonat

des Jahres achtundsechzig stach man in See.


Cooks erste Reise in den Südseeraum

begann mit einer Karte voller Lücken,

mit Mythen, die noch nicht bewiesen waren,

und einem Ziel, das keiner klar verstand:

das „große Südland“, das Terra incognita,

das man als Gegengewicht im Süden suchte

zum Erdgewicht im Norden – ungewiss.

Ein zweiter Auftrag, den Cook streng geheim

erst nach Tahiti öffnen durfte, hieß:

Erforsche alle Länder südlich jenes

vierzigsten Breitengrads, der Südhalbkugel.

Finde das Land, das Karten einst vermerkten

und niemand mit Gewissheit je betrat.“


Die Admiralität war wohl im Bilde,

dass bei Neuguinea eine Straße liegt,

von Torres einst durchquert – doch unbewiesen

durch britische Berichte blieb sie noch.

So lag es nun an Cook, dies aufzuklären.


Mit eignem Geld, so hoch wie königlich

die Expedition bezuschusste, ging

der junge Forscher Banks, fünfundzwanzig

erst alt, an Bord. Er hatte sich zur Pflicht

gemacht, die Pflanzenwelt des neuen Raums

in reicher Vielfalt einzusammeln.

Zehn Mann begleit' ihn: seine rechte Hand,

der Schwede Solander, erfahren, klug,

ein Royal-Society-Gelehrter.

In Rio ward das Schiff instandgesetzt

nach dreimal sieben Tagen Aufenthalt.

Im Dezember brach man wieder auf,

und Anfang Januar erschien das Ziel:

Die Bucht des Guten Glücks bei Feuerland,

am Le-Maire-Kanal, ein wilder Ort.


Ende des Januar, nach bewegter Fahrt,

umrundete die Endeavour mit Geschick

das sturmumtoste, schroffe Kap Hoorn

und drang bis auf den sechzigsten Grad Süd

– kein britisches Schiff je weiter bis dahin.

Ein rauer Wind trieb sie durch Gischt und Wellen,

doch Cook bestand die Prüfung mit Verstand.


Mitte April erschien das ferne Ziel:

Tahiti lag vor ihnen, Inselblume

im weiten Blau des stillen Ozeans.

In einer Bucht, genannt Matavai,

warf man den Anker. Bald begann man dort,

ein kleines Fort zu bauen: Fort Venus,

zum Schutz der Männer wie der Instrumente.

Anfang des Mai war auch das Werk vollbracht,

das Fernrohr stand, die Messgeräte justiert,

und Green bereit, den Transit zu vermessen.


Man prüfte das Gelände ringsumher,

traf Eingeborene, sprach mit Respekt,

und lernte bald, das Leben dort zu schätzen.

Die Insel bot, was man zum Leben braucht:

Frucht, Fisch und Holz, auch Wissen, das erstaunte.

Doch kurz vor dem entscheidenden Moment

erschien ein Dieb – ein Messgerät war fort!

Cook aber forderte es streng zurück

und hatte Glück: Das Instrument erschien

noch vor dem Tag, an dem das Licht entschied.


Im Juni kam der Transit – klar zu sehn,

die Venus zog vorüber an der Sonn’.

Die Messung war gelungen – Ziel erreicht.

Im Juli stach man wieder in die See.


Ein Mann war neu an Bord: der Polynesier

namens Tupaia, kundig, stolz und klug,

ein Seefahrer von hohem Anverstand.

Er wies den Weg zu Inseln rings umher,

zu Moorea, Huahine, Raiatea,

zu Bora Bora, Tetiaroa auch –

und Mitte August ließ Cook, gut gerüstet,

die Inselwelt der Götter hinter sich.


Cooks Tagebuch blieb der Welt zunächst verborgen,

da man ihm „literar’schen Wert“ nicht zugestand.

Erst sechzig Jahre später kam es raus,

man zog zuvor den Hawkesworth vor, der selbst

romanhaft schrieb, dabei jedoch vergriff

sich oft im Ton, im Fakt, im Urteilssinn.

Er nutzte zwar Berichte, Banks’ wie Cooks,

doch mischte sie mit Trug und eig’nem Wahn.

So kam es, dass der Forscher Dalrymple

den Cook verwarf, gestützt auf falschen Text,

und seinen Südpol-Kontinent versetzte

in Gegenden, die Cook „nicht recht erforscht“.


Die Admiralität sah’s mit Gewinn:

Cooks Karten waren gründlich und exakt –

und boten Grund genug für neue Fahrt.

Zwei Frachter fand man bald, in Whitby einst

fürs Handwerk gebaut, nun umgebaut

zu „Resolution“ und „Adventure“ dann.

Die „Endeavour“, die Cooks erstes Schiff gewesen,

war morsch und untauglich für neue Fahrt.


Joseph Banks, der Forscher, wollt’ erneut dabei

sein auf der Reise, doch er forderte

so große Umbauten für seine Crew,

dass man ihm schließlich absagen beschloss.

Denn auf Probefahrt zeigte sich das Schiff

nicht mehr seetüchtig mit den Aufbauten.

So kam es, dass statt Banks ein and’rer fuhr:

Der Forster, Reinhold, preußischer Gelehrter,

samt seinem Sohn Georg, als Forscherpaar

für Astronomie, Natur und Erdgestalt.

Auch Maler Hodges reiste nun mit Cook,

zwei Astronomen noch, je einem Schiff,

sie prüften neue Uhren, timekeeper,

für Kurs und Längengrad, mit scharfem Blick.

Man führte neue Mittel gegen Skorbut:

Zu Malz und Sauerkraut trat Möhrengelee,

dazu Kondensat, aus dem man Bier gewann.


Am dreizehnten Juli, zweiundsiebzig,

lief Cook von Plymouth aus mit beiden Schiffen.

In Kapstadt hielt er Ende Oktober an

für drei Wochen – dann ging's südwärts weiter,

zum Cap Circoncision, bei fünfzig Grad.

Dies hatte Bouvet dreißig Jahr zuvor

für Südland irrtümlich erklärt – verkannt.

Am einundfünfzigsten Breitengrad sodann

sah Cook die ersten Eisgebirge tauchen.

Am dritten Januar war man bereits

weit südlich der Bouvet’schen Position.

Cook sah das Land nicht – hielt es für den Irrtum,

ein Eisberg, den Bouvet zu Land erklärt.


Am siebzehnten Januar dann geschah’s:

Die Expedition durchbrach den Polarkreis

bei sechsundsechzig Grad und dreißig Minuten –

als erste je. Doch war das Eis zu dicht,

man wandte bei siebenundsechzig Grad

und fünfzehn weiter südwärts nicht mehr vor.


Bei dichtem Nebel, nah den Kerguelen,

verlor man dann am neunten Februar

die „Adventure“. Man hatte ausgemacht,

sich im Fall einer Trennung neu zu finden

in Neuseeland. Also setzte Cook

die Reise fort, trotz vieler Schüsse,

die ohne Antwort blieben. Weiter fuhr

er südwärts – bis zum vierundzwanzigsten,

als er bei einundsechzig zweiundfünfzig Grad

zurück nach Norden lenken musste.

Nach hundert siebzehn Tagen auf dem Meer

erreichte Cook am siebenzwanzigsten

den Duskysund im Süden Neuseelands,

wo man zwei Wochen Rast und Pflege hielt.

Er hatte viele Breitengrade durchquert,

doch keinen Südkontinent entdeckt –

Dalrymples These war nun widerlegt.


Am achtzehnten des Mai kehrt’ Cook zurück

zum Treffpunkt mit der „Adventure“, die

schon sechs Wochen dort gewartet hatte.

Bei Cook nur vier Erkrankte gab es da,

doch auf dem and’ren Schiff war’s schlimmer noch:

Zwanzig Fälle von schwerem Skorbut,

denn der Kommandant hielt sich nicht streng

an Cooks erprobte Diätvorschriften.

Man setzte Ziegen aus und pflanzte Saat:

Kartoffeln, Rüben für die nächste Fahrt.


Mit Blick auf nahen Südwinter beschloss

Cook, sich erneut gen Tropen zu begeben.

Am zweiten August suchte er vergebens

die Insel Pitcairn – sie war nicht zu finden.

Schon wieder Skorbutfälle auf dem Schiff

der „Adventure“. Cook nahm Kurs auf Tahiti,

wo er am siebzehnten August ankam.

Anfang September segelte er fort,

traf Anfang Oktober auf Tonga ein.

Die Freundlichkeit der Menschen dort war groß,

dass Cook die Inseln „Freundschaftsinseln“ nannte.

Doch war’s ein Glück, dass seine Mannschaft

nicht in der Nacht darauf erschlagen wurde –

ein Plan bestand, doch wurde nicht vollstreckt,

weil Zwist im letzten Augenblick ihn brach.


Dann kehrte Cook nach Neuseeland zurück,

das er am einundzwanzigsten Oktober

sichtete. Am dreißigsten verlor

er in schwerem Wetter abermals

die „Adventure“, doch fuhr weiter fort

und hinterließ am fünfundzwanzigsten

im Flaschendepot eine Nachricht klar,

wohin er weiter segeln wollte nun.

Er wandte sich erneut nach Süden hin,

durchbrach den siebenundsechzigsten Grad,

bis ihn das Eis am vierundzwanzigsten

Dezember zwang, nach Norden umzulenken.


Am elften Tag des Januar, vierundsiebzig,

Lenkt’ Cook erneut den Kurs nach Süden hin,

Zum Schrecken der erschöpften Mannschaft, die

Sich heimwärts wähnte, fern von Wind und Frost.

Am dreißigsten, im Januar sodann,

Erreichte er den südlichsten der Punkte,

Bei einundsiebzig Grad zehn, und westlich

Auf hundertsechs Grad vierundfünfzig. Dort

Gab er den Vorstoß auf, da auch in jener

Verlassenen, vereisten, grauen Weite

Kein größeres, bewohnbares Land mehr war.

Erst Weddell kam noch weiter südlich vor –

Zweiundzwanzig, im Jahr achtzig und drei,

Auf vierundsiebzig Grad und fünfzehn Süden.


Nun segelte er nordwärts, suchte dort

Vergeblich jenen Archipel, genannt

Juan Fernández, einst „Kontinent“ geheißen

Im Jahre fünfzehn dreiundsechzig schon.

Da traf ihn eine schwere Gallenkolik.

Forster, in Sorge um den teuren Freund,

Gab seinen Lieblingshund zum Opfer frei –

Zur Heilung, die gelang: am Februar

Des dreiundzwanzigsten ward Cook gesund.

Im März, am elften, lag die Osterinsel

Vor seinen Augen, doch das Wasser dort

War „so schlecht, kaum des Mitnehmens noch wert“.

Dann trieb ihn seine Fahrt durch Tuamotus

Und Melanesien wieder bis Tahiti,

Am zweiundzwanzigsten des Monats April;

Er fuhr zu neuen Hebriden sodann,

Und wieder nach Neuseeland, wo er auch

Neukaledonien mit Blick entdeckte.

Die Māori aber, auf die „Adventure“

Gefragt, sie schwiegen, wichen aus und logen.

Bald fand man: Elf Mann waren bei der Landung

Getötet, wohl verzehrt in wildem Ritus.

Die „Adventure“ hatte Neuseeland längst

Verlassen, gegen Ende dreiundsiebzig,

Und war, um Kap Hoorn fahrend, heimgekehrt,

Im Juli dann des Jahres vierundsiebzig.

Sie hatte so, als erstes Schiff der Welt,

Die Erde ostwärts völlig überquert.


Am zehnten Tag des November stach das Schiff,

Die „Resolution“, wieder in die See.

Sie fuhr durch Sturm und Wellen, rund Kap Hoorn,

Durchkämmte dann den weiten Südatlantik

Und fand in Nebel, Wind und Eisesgrau

Für Englands Krone neue, öde Inseln:

Südgeorgien, fernerhin, die Sandwichgruppe,

Verloren in des Pols verwehter Kälte.

Von Kapstadt ging der Kurs nach Norden auf

Sankt Helena und Ascension zu.

Dann suchte man, vergebens wie sich zeigte,

Die Insel „Matthäus“, alt in Kartenbild

Der Portugiesen, fünfzehntes Jahrhundert.

So kam man, Brasiliens Küste nah,

Dass Cook entschied, auch noch den Punkt zu messen

Von Fernando de Noronha, wo

Ein hoher Felsen aus dem Ozean

Wie ein gewalt’ger Obelisk sich reckt.

Dann durch die Azoren – Heimkehr endlich.

Am dreißigsten des Juli war’s vollbracht:

Das Schiff lief in den Hafen Englands ein.

Von hundertzwölf an Mannen starben vier –

Zwei durch Unfall, einer durch den Trunk,

Ein letzter, durch die eigne Hand dahin.

Doch keiner fiel dem Skorbut zum Opfer hin,

Dem Schrecken jeder langen Seereise.


Die Völkerkunde, reich an fremdem Gut,

Ward Frucht der Reise durch den Südsee-Raum.

Was Cooks Gefährten sammelten, gelangte

In Museen, überall in Europas Landen.

Besonders Göttingen erhielt viel Stücke,

In seiner Sammlung, Cook-Forster genannt.

Auch Herrnhut trägt noch heute manches Kleinod

Aus dieser großen Fahrt durch fremde Welten.


Nach seiner zweiten Reise war nun Cook

ein Mann von Rang, berühmt in aller Welt.

Zum Postkapitän ward er befördert,

erhielt in Greenwich einen sichern Posten,

wo alte Seeleute in Ehren ruhten.

Die Royal Society nahm ihn sodann

für seine Taten gegen Skorbut auf.

Die Resolution“, so schrieb er nach Whitby,

ist reisefertig, doch nicht mehr mit mir.“


Man suchte nun die Nordwestpassage,

da Ostasien mit Gütern überfloss

und man im Norden kürzere Wege hoffte,

die sicherer in Zeiten des Kriegs wären.

Dass Bering einst schon dort vergeblich suchte,

wusste man wohl, doch kannte man kaum Einzelnes.


Man hätte ihm kein drittes Mal befohlen,

sich solch gewaltiger Belastung auszusetzen.

Doch Cook bot selbst sich an, in voller Freiheit,

und niemand hatte Kraft, ihm das zu wehren.

Mit ihm an Bord war Omai, hoch geachtet,

ein edler Wilder aus dem fernen Huahine,

der in London Gesellschaften bezauberte.

Man wollte ihn nun heimwärts geleiten.


Mit Cook fuhr Webber, Maler von Beruf,

auch Vancouver und Zimmermann, der später

die Reise unerlaubt beschrieb im Druck:

Heinrich Zimmermanns von Wissloch in der Pfalz,

Reise um die Welt mit Capitain Cook.

Als Sailing Master diente William Bligh,

der später als Kapitän der Bounty

zu trauriger Berühmtheit noch gelangte.


Cooks Reisen fanden nun auch jenseits Ruhm.

Im Jahre 1776 geschah’s,

dass Frankreich, Spanien und Amerikas

Regierungen den Befehl gegeben:

Cook soll, selbst wenn im Krieg, geschont verbleiben.

Er sei als Forscher anzusehen – geehrt,

als trüg er keine Waffe, nur den Zirkel,

denn seine Karten nützten jedermann.


Am zwölften Juli stach er in See von Plymouth,

nahm Kurs auf Teneriffa, dann Kapstadt.

Dort stieß im späten Jahr, im kühlen Wind,

die Discovery hinzu mit Captain Clerke.

Auf Kerguelen begann die Kartographie,

die Cook für ein Stück Südkontinent hielt,

France Australe“ genannt – nun Armutsinseln.

Dann wandte er sich ostwärts nach Neuseeland.


In Tasmaniens Adventure Bay, im Januar,

kam’s zu Begegnung mit den Eingebornen,

die Omai, fälschlich deutend, schreckte auf

und durch Gewehrschuss alle friedlichen

Versuche eines Austauschs unterband.

Man segelte sodann zu neuen Inseln,

nahm Reparaturen vor im Charlotte-Sund

und suchte dann erneut nach frischem Proviant

auf Nomuka, wo einst schon Tasman war.


Dann steuerte man weiter Tongatapu an,

wo Cook mit Pracht empfangen worden ist.

Er sah am fünften Juli eine Sonne,

verdunkelt durch den Schatten einer Scheibe.

Die Tongainseln ließ er nicht im Dunkeln,

besuchte ʻEua, kreuzte umher und fand

die Route zu den Inseln der Gesellschaft,

Tahiti, Tubuai und viele mehr.


Am zwölften Oktober ward Omai entlassen,

gekleidet wie ein Krieger, hoch zu Ross.

Ein Haus ward ihm gebaut, doch Cook beklagte

den Abschied tief bewegt mit dunklem Blick:

Omai, geschätzt warst du in fremdem Land

viel mehr als nun in deiner eignen Heimat.“

Er hatte Cooks Geschenke falsch verwandt

und machte sich in kürzester Zeit

bei allen Großen seiner Insel Feinde.


Am vierundzwanzigsten im Dezember fand

Cook eine Insel, die er Weihnacht nannte.

Am dreißigsten sah er erneut die Sonne

verhüllt von Schatten, diesmal auf Eclipse.

Im Januar erschien am Horizont

ein Hochland: Kauaʻi. Man betrat das Land

am zwanzigsten und staunte über Sprache

und Brauch – verwandt mit Tahiti, fern und nah.

Dann segelte man nordwärts, auf der Suche

nach Nova Albion, Drakes altem Ziel.

Er nannte diese Inselgruppe ehrenvoll

nach Sandwich, einem Lord der Admiralität.


Dies war des großen Seemanns letzte Tat

als Finder neuer Welt in fremdem Meer.


Im März erschien die Küste Oregons.

Die Resolution Cove, so nannte Cook

ein Stück der Hope Bay, bot für einen Monat

dem Schiff und seiner Mannschaft eine Rast.

Dort ließ er Inseln, Halbinseln benennen:

nach Bligh die eine, Clerke die and’re Landzunge.

Dann segelte man weiter nordwärts, stetig

der Küstenlinie folgend, bis zum Nordmeer,

durchquerte Aleuten, Beringstraße,

und stieß auf 70 Grad und 44 Minuten

auf Packeis, das kein Weiterkommen ließ.


Zurück auf Westkurs, nun in Richtung Asien,

erreichte Cook das ferne Kap Deschnjow,

den äußersten Vorposten Sibiriens.

Er kehrte um, besuchte Unalaska,

traf dort auf russische Pelzhändlertrupps

und kopierte Karten, die sie boten:

von Kamtschatka, den Aleuten, Küsten.

Ein Kaufmann namens Ismailow gab

ihm einen Brief für Petropawlowsk mit,

geschrieben an den Gouverneur der Stadt.

Durch ihn sandt Cook Bericht zur Admiralität.


Als ihn der Winter zwang, das Nordmeer aufzugeben,

nahm er erneut den Kurs auf Süden hin,

zurück zu jenen Inseln, die er selbst

nach Sandwich einst benannt – Hawaiʻis Gruppe.

Am siebzehnten des Januar, siebzehnhundert

und neunundsiebzig, lief er in die Bucht

von Kealakekua ein, zur Zeit des Festes,

des Makahiki, das dem Gott Lono galt.

Das heilige kapu, das sonst dort herrschte,

war für die Dauer dieses Festes aufgehoben.


Ob man ihn selbst für einen Gott gehalten,

das blieb umstritten viele lange Jahre.

Gewiss ist nur: Das Tun der Mannschaft zeugte

bald deutlich, dass sie anders einzuschätzen

waren als göttlich. Denn ihr rohes Wesen

ließ Zweifel wachsen unter den Hawaiianern.

Als man sodann den Leib eines Matrosen

beerdigt an dem Platz, der nur den Häupt­lings

gebührte, da hat sich das Volk gewandelt

und war nicht länger wohlgesinnt den Gästen.

Doch da Cook zwei Tage später aufbrach,

am vierten Tag des Monats Februar,

kam es nicht mehr zum offnen Zwischenfall.


Doch als er, um den Mast zu reparieren,

am elften Tage wiederkehrte, fand

er nichts als Argwohn, Schweigen, Widerwillen.

Ein Kutter war von Einheimischen gestohlen.

Da griff er zum Entschluss: den hohen König,

Kalaniʻōpuʻu, wollt’ er nehmen,

als Geisel auf sein Schiff entführen lassen,

um so das Boot zurückzuerlangen.

Dies wurde ihm zum tödlichen Verhängnis.


Er war am Strand, die Menge drängte sich,

und Cook ward festgehalten, eingekesselt.

Er feuerte zuerst mit Schrot aus seiner

doppelläufigen Flinte – ohne Wirkung:

Die Kugeln blieben in dem Schild des Feinds.

Ein zweiter Schuss, mit dem er tödlich traf,

brach dann den Bann, doch war’s schon viel zu spät.

Denn als er sich zur Seite wandte, um

Befehle auszugeben an die Seinen,

ward er von hinten mit dem Speer gestoßen.

Er stürzte vornüber, fiel ins Wasser,

wurd’ von der Brandung angespült, zerrissen,

erschlagen von der aufgebrachten Menge.

Auch vier Marinesoldaten starben dort,

und etliche Hawaiianer mit dazu.


Dann übernahm das Kommando Clerke,

der Captain nun, und klug genug, zu scheuen

die Rache. Discovery befehligte

von nun an Lieutenant Gore. Durch Vermittlung

des Priesters und des Königssohns erhielt

man schließlich einige der sterblichen

und ehrenvoll entstellten Überreste:

Denn Cooks zerteilter Leichnam war verteilt

an viele Häuser, manche Glieder gar

verbrannt – zu Ehren eines toten Häuptlings.

Man konnte Cook an einer alten Wunde

der rechten Hand erkennen, die er einst

in Neuseeland sich zugezogen hatte.

Am einundzwanzigsten ward seine Leiche

zur See bestattet in der Bucht des Todes.

Schon tags darauf stachen die Schiffe in

See und verließen das geheiligte Land.


Sie segelten nach Norden, Petropawlowsk

ward angesteuert – freundlich aufgenommen

von russischer Besatzung. Englands König

erfuhr vom Tod des Seefahrers durch Boten,

ein halbes Jahr, bevor die Schiffe heimkehrten.

Der neue Führer hielt sich an den Auftrag,

doch scheiterte am Packeis, das im Norden

noch härter war als in dem Jahr zuvor.

Auf der Rückfahrt starb auch Clerke, achtund­dreißig,

inmitten seiner Pflicht. Lieutenant Gore,

ein Mann aus Virginia, der schon zuvor

mit Cook gesegelt war auf dessen Reise,

führte das Werk zu Ende. Und am sechsten

des Monats Oktober achtzehnhundert

kam die Expedition zurück nach England.



NEUNTER GESANG


Im Jahre neununddreißig bat Johann,

der König Portugals, den Papst darum,

für Ostindien fromme Männer zu entsenden,

die Botschaft Christi dort zu predigen.

Der Papst berief Francisco de Xavier

zum Nuntius für Asien insgesamt;

von Lissabon brach jener bald darauf,

im Jahr einundvierzig, auf zur Reise.

Am sechsten Tag des Mai im nächsten Jahr

erreichte er die Küste Goas endlich.


Doch als in Goa päpstlich' Abgesandte

gefangen wurden, drohten Gegenkräfte:

Man wolle künftig auch den Osten öffnen

für alle Gläubigen des kathol’schen Glaubens.

Da drängte Johann rascher auf Mission,

entsandte eilig Jesuiten dorthin.

So nahm das Werk der Glaubenslehr’ an Fahrt,

auch Luís Fróis wirkte nun mit daran.


Die weißen Flecken auf der Kirchenkarte

sollten durch heiligen Eifer überbrückt,

das Wort des Herrn zu Heiden hingetragen,

die Seel’ vor ew’ger Höllenpein gerettet.

Die Bekehrten wurden reich belohnt:

Es gab für Arme tägliches Gedeihn,

der Mittelstand erhielt bequeme Ämter,

und Fürsten Waffenhilfe durch das Reich.

Die Kolonialmacht selbst gewann dadurch

ein nicht profanes Anrecht auf ihr Tun.


Geboren ward Franz Xaver, wie man sagt,

auf Burg Xavier in Navarras Land,

das zwölf Jahre vor seiner eig’nen Zeit

von Aragons Soldaten eingenommen.

Er ging nach Paris, um dort zu studieren,

am Collège Sainte-Barbe fand er sein Quartier.

Dort traf er Faber, später Ignatius –

sie wurden Brüder in des Glaubens Werk.

Im Jahr neununddreißig, in der Stadt

des ewigen Lichts, schuf man den ersten Plan

für jenen Orden, der als „Jesuiten“

bis heute in der Kirche wirkt und lebt.


Zu Goa kam Franz Xaver zweiundvierzig,

er blieb dort drei voll Jahre, wirkte stark

bei Perlfischern, in Travancore im Süden.

Doch viele beugten sich nur zum Schein dem Kreuz;

sie kehrten bald zur alten Weisheit heim

und hielten heimlich an den Riten fest.

Da bat Franz Xaver, die Inquisition

nach Indien zu senden, um die Lehre

vor schleichender Verderbnis zu bewahren.


Dann zog er weiter nach Malakka fort,

im Fünfundvierzig trat er neue Reisen

zu Molukkeninseln an, die heut

als Teil von Indonesien bekannt.

In Ternate, Ambon predigte er

den Glauben Christi fremden Inselvölkern.

Im Hafen Malakkas traf er sodann

einen Japaner, dessen ernste Worte

in ihm den Wunsch erweckten, selbst nach Nippon

zu gehen und dort Gottes Wort zu lehren.


Nach Ordnung seines Werkes zog er aus

und landete im Jahr neunundvierzig

am fünfzehnten des Augusts in Kagoshima.

Er gründete in Yamaguchi bald

die erste Christengemeinde des Landes.

Im Einundfünfzig ging er dann zu Fuß

als Pilger nach Kyōto – doch der Kaiser

ließ ihn nicht vor, das Bild der Armut stieß

den Glanzgewohnten ab und blieb ihm fremd.

Als Nachfolger nun andre Brüder kamen,

nahm Xaver sich das nächste Ziel vor: China.


Doch war dies Land dem Fremdling streng verschlossen.

Er starb, vom Fieber matt, in Küstennähe,

auf Shangchuan Dao, in der Bucht von Kanton,

im Alter von nur sechsundvierzig Jahren.

In Goas Kirche fand sein Leib die Ruhe,

doch trug man seinen Arm nach Rom hinauf,

wo Il Gesù sein Denkmal bis heut wahrt.


Im Jahre sechzehnhundertzwanzig ward

Franz Xaver selig von Papst Paul erklärt.

Zwei Jahre später rief Gregor der Fünfzehnte

den Heiligen ins offizielle Gedenken.


Sein Wirken lebt in Briefen, die er schrieb

und die in Rom und Lissabon bewundert.

Schon fünfundvierzig kamen sie in Druck

und weckten neuen Eifer für die Mission.


Wie viele Seelen bleiben unbekehrt,

Weil niemand kommt, der sie dem Heil gewinnt,

Der sich dem Werk mit heil'ger Glut verschreibt

Und hier das Wort verkündet, das befreit!

Wie oft ergreift mich dann ein wildes Sehnen,

Zu stürmen in die Hallen Europas,

Zu rufen, schreiend mit zerrissnem Geist,

Als wäre ich von Sinnen und entfesselt!

In Paris, ja, vor aller Ohren Schar,

Den Kundigen voran, die mehr verstehn

Als lieben, was sie wissen, wollt’ ich's schreien!

Vor der versammelten Sorbonne wollt’ ich

Mit lauter Stimme aus dem Innern rufen:

Wie viele Seelen wandeln in den Tod

Durch euer Schweigen, euren kalten Sinn!

Wie viele irren ab vom Pfad des Heils

Und gehn verloren – eurer Schuld zum Trotz!


Wenn jene, die in eifrigem Bemühn

Den Wissenschaften ihre Kräfte weihn,

Mit ebensolcher Glut sich prüfen würden,

Ob Gott nicht einst auch Rechenschaft verlangt –

Wie mancher würde dann erschüttert sein!

Sie griffe zu den Mitteln des Heils,

Zu Übungen des Geistes, still und tief,

Die ausersehn, den Willen Gottes selbst

In ihrem Innern offenbar zu machen.

Sie würden lauschen, wie sein Geist sie ruft,

Und nicht mehr eigne Neigung höher achten.

Sie würden sprechen: Herr, hier bin ich nun!

Was willst du, dass ich tue? Sprich dein Wort!

Send’ mich, wohin du willst – und sei es Indien!“