VON TORSTEN SCHWANKE
1. «Maria kann die Zweitgeborene des Vaters genannt werden».
Ewig war's Licht, da sprach der Vater im Kreise der Göttlichen:
"Ich bin der Eine, der war, der ist, der ewig noch kommend wird sein!
Aus mir strömt Leben und Ordnung, aus meinem Willen das Allsein;
Licht sei das erste Gebot, das aus dem Schweigen hervortritt."
Und da entstand aus dem Worte der Erstgeborene, Logos,
Geist aus dem Geiste geboren, im Glanz des Vaters erstrahlend.
Durch ihn schuf er die Himmel, die Fluten, das Herz der Materie,
Führte die Sterne zur Bahn, die Zeiten zur heiligen Ordnung.
Doch siehe, der Mensch fiel tief; sein Wille zerbrach das Gebot ihm,
Staub ward sein Geist, und Dunkel umwölbte die Gänge des Denkens.
Da erbebte der Himmel; die Engel verschwiegen ihr Singen.
Doch da regte sich leise im Herzen des Ewigen Mitleid.
Lang war verborgen der Plan, jetzt sollte das Mysterium walten:
Nicht nur der Sohn soll handeln, auch eine Tochter erstehe!
Nicht durch Natur allein, durch Gnade geformt aus Gedanken,
stieg eine Jungfrau hervor, nicht gleich dem Sohn an dem Wesen,
aber verwandelt im Willen, die Zweitgeborene Gottes.
Ehe die Berge sich hoben, ehe das Meer seine Ufer
liebte, war sie gedacht, gezeichnet im ewigen Geiste.
Rein sei ihr Leib, unberührt von der Erbschaft irdischer Schwäche,
rein auch das Herz, in dem Freiheit und Demut zusammen sich fanden.
"Fiat!" rief sie, als Gabriel kam mit dem Wort aus der Höhe.
"Mir geschehe, wie du es sprichst!" Und siehe, da ward sie die Mutter,
Tempel des Sohnes, Gefäß des Heiligen, Braut ohne Wissen.
Und es erstaunten die Himmel. Die Höchsten im Chor der Geister
sangen von neuem das Lied, das einst nur dem Logos gebührete:
"Heilig, o Tochter! Du bist im Plan der Gerechtigkeit Zweite!
Nicht wie der Sohn im Wesen, doch in der Liebe geadelt."
Denn sie, Maria, die stille, ist Antwort der Menschheit geworden,
wo einst das Nein des Adams das Joch aller Völker verhängte,
sagt sie ihr Ja und hebt mit dem Glauben das Fallende auf sich.
Drum, wer von Ewigkeit spricht, der nenne nicht eine allein dort:
Zwei sind im Willen des Vaters: der Sohn und die Jungfrau, die Demut.
Siehe, Maria ist neu wie der Morgen, doch alt wie das Urwort,
zweite im Herzen des Einen, der liebt, was aus Liebe entspringet.
"Ehre dem Vater, der liebt, dem Sohn, der am Holze sich opfert,
Ehre auch ihr, der Erwählten, der Mutter, der zweiten im Rate!
Denn durch die Jungfrau kam das Heil, durch ihren Leib ward das Leben,
Gnade entquoll aus dem Mund, der sprach: „Mir geschehe dein Wille!"
So endet der heilige Sang, und tief ist das Wissen verborgen.
Doch wer mit glaubendem Herzen ihn hört, der schaut in das Feuer:
Nicht nur der Sohn, auch die Jungfrau sei Gottes Geborene genannt.
2. Joachim und Anna machen dem Herrn ein Gelübde.
Oft schon wandelt’ er schweigend im Tal, wo die Cedern sich neigen,
Joachim, ein Gerechter vor Gott, doch mit Kummer beladen,
Denn sein Haus war leer von der Frucht, die das Leben erneuert,
Und das Volk warf Schatten auf ihn, als sei ihm verborgen
Gottes Gunst, die sich freigebt dem Samen der Väter Israels.
Anna, die Fromme, der Tränen gewohnt in nächtlicher Stunde,
Stand ihm zur Seite mit Blicken, durchdrungen von himmlischer Hoffnung.
Täglich stieg ihr Gebet wie ein Duft auf zum Throne des Höchsten,
Doch die Antwort blieb still, und das Herz ward schwer unter Sorgen.
Eines Morgens, da stieg er empor zu dem Hügel der Opfer,
Wo der Rauch sich erhebt aus dem Brand, dem geweihten, emporsteigt.
Dort, vom Geist aufgerührt, sprach Joachim, segnend die Hände:
„Herr Zebaoth, du allein bist Ursprung und Ende der Zeiten!
Du, der die Leiber formt aus dem Staub und mit Odem sie füllest,
Sieh herab auf dein Knecht und die Magd, die dir dienet im Schweigen.
Gib uns ein Kind, das dein Name durchdringe mit heiliger Kraft sei,
Und wir geben es dir, o Herr, geweiht vor dem Tage der Geburt schon!
Es soll wandeln im Licht, das vom Throne des Ewigen strahlet,
Und sein Leben sei Opfer und Lobpreis dem Allerhöchsten!“
Also sprach er, da zitterten Blätter an Zweigen des Ölbaums,
Und ein Säuseln ging über das Feld wie der Flügel der Engel.
Anna stand neben ihm, und der Glanz in den Augen entbrannte,
Denn sie hörte im Herzen ein Echo des ewigen Bundes.
Sank sie nieder aufs Knie, da erhob sich das Wort ihrer Seele:
„Herr, du Hirte der Herde, du öffnest die Matrix der Hoffnung!
Sieh die Demut der Magd, die dich liebt mehr als Kinder der Menschen,
Wenn du fruchtbar mich machst, so sei dies Kind dir zum Dienste geweihet.
Kein Stolz wird es nähren, kein Prunk wird sein Leben umgeben,
Sondern Tempel und Thron deines Geistes sei’s Wohnung und Ziel.“
So gelobten sie beide dem Herrn, dem Hüter des Lebens,
Und es stieg in die Höhe ihr Schwur wie das Opfer des Abels.
Und der Himmel, der schweigt nur dem Stolzen, sprach nun im Verborgnen:
„Ich gedenk eures Flehns; euch werde geschenket ein Kindlein,
Rein und auserkoren, Gefäß meiner Gnade zu tragen,
Mutter zu werden dem Licht, das einst wird wandeln auf Erden.“
Tage vergingen in Stille, und Nächte voll schimmernden Hoffens,
Bis der Bote des Herrn in der Dämmerung leise herabstieg.
Nicht in Donnergewalt, nicht im Sturm, noch im Feuer der Himmel,
Sondern sanft wie ein Hauch, der die Ähren im Tale nur neiget,
Trat er nahe dem Ort, wo Joachim betete, einsam.
Und er sprach mit der Stimme, die Seelen erschüttert und tröstet:
„Joachim, fürchte dich nicht! Dein Gebet stieg auf vor den Höchsten.
Siehe, dein Weib, die Fromme, empfängt in der Gnade des Ew’gen.
Einmal wird sie gebären ein Kind, das heiliger nicht ist
Als der Spross Davids selbst, denn aus ihm wird das Licht einst geboren,
Das die Völker vereint und das Dunkel der Zeiten vertreibet.
Maria soll sie heißen – geweiht schon im Schoß ihrer Mutter,
Rein wie das Gold aus dem Feuer des Herrn, das er selbst hat geläutert.“
Tief sank Joachim nieder und warf sich zur Erde, entbrannt nun
Von dem Strahl jener Worte, die göttlich und ewiglich glänzten.
Und der Engel entwich wie ein Lied, das verweht in den Lüften,
Doch im Herzen des Greises war Leben, wie nie er’s empfunden.
Auch zu Anna, der Heiligen, trat in der Stunde ein Leuchten,
Als sie saß in der Kühle des Abends, im Schatten des Weinstocks.
Da durchflog sie ein Zittern, als ob ihr Innerstes lauschte,
Und der Geist sprach in ihr, gleich dem Flüstern der ewigen Weisheit:
„Frau, dein Flehen ist gnädig empfangen im Reiche der Himmel.
Bald wird dein Schoß die Lilie tragen, die du dem Herrn hast versprochen,
Und die Frucht deiner Demut wird leuchten in allen Geschlechtern.“
Da erhob sie sich, selig und still, und der Schleier der Trauer
Fiel wie ein Blatt, das der Wind von den Zweigen des Herbstes hinwegweht.
Und ihr Herz war erfüllt von dem Frieden, der nie mehr vergeht.
So geschah es, wie einst bei den Vätern, da Sarah geboren
Nach der göttlichen Stunde den Sohn, den der Ewige kündet.
So empfing auch die Tochter Zions, die Dulderin, Anna,
In den Tagen der Gnade ein Kind, das die Welt nicht begreifet.
3. Das Gebet Annas im Tempel wird erhört.
Dämmrung sank auf die Mauern des heil’gen Jerusalems nieder,
Schweigend lag das Geviert des Tempels in schimmerndem Abendschein,
Goldene Strahlen, vom göttlichen Licht durchglüht, umfingen
Säulen und Tore, die ragten empor wie vom Himmel berührt.
Drinnen, im heiligen Raum, wo das Räucherwerk aufstieg zum Höchsten,
Kniete die Mutter, die treue, die lang schon bangend gefleht hat,
Annas, Tochter Israels, voller Demut im Geist und im Herzen,
Tief ihr Antlitz geneigt, mit tränender Stimme sie rief:
„Herr, du Erhabener, König der Zeit und des kommenden Morgens,
Du, der die Himmel erschuf und den Wurm in der Erde erkennt,
Du, der die Leiber gestaltet im Schoß, wie der Töpfer den Krug formt,
Höre das Flehen, o Herr, das aus innigster Seele mir quillt!
Nicht aus Eitelkeit bitt ich, nicht aus eitlem Stolz meines Stammes,
Sondern in heiliger Liebe, die du, o Gott, selbst entfachtest,
Will ich, dein Weib, noch Frucht aus dem Innersten meines Leibes
Darbieten dir, dem Allheiligen, dir sei die Erstlingsgabe!
Nicht mein ist das Kind, wenn du mir ein Kindlein schenkest in Gnade,
Dein sei es, Herr, von der Wiege bis hin zu des Greisentums Schwelle!
Im Tempel, wo jetzt mein Gebet zum Himmel sich hebet, soll’s wohnen,
Wie einst Samuel diente, so diene auch meines Gebärens Frucht dir!“
Also sprach sie, erhoben vom Geist, von dem Ewigen glühend,
Und da, als der Abend herabsank, da hörte der Höchste ihr Sehnen.
Denn siehe, es regte sich leise ein Strahl aus den Höhen,
Unsichtbar für das Auge, doch fühlbar im Glauben der Seele:
Gabriel naht sich im Schweigen der Nacht und verkündet die Gnade:
„Annas, der Herr hat gelauscht, und dein Flehen ist gnädig erhört dir.
Frucht deines Leibes soll werden, was herrlicher nicht gedacht ist,
Mutter der Reinen, der Makellosen, die künden wird Rettung.“
Da erhob sich die Frau vom Altar mit bebendem Herzen,
Tränen der Freude entquollen den Augen, von Licht überflutet,
Denn was der Mund nicht vermag, hat das Herz tief innen erfahren:
Gott hat geschaut auf die Niedrige, Israel jauchze dem Herrn!
So ward das Wort zur Verheißung, die Zeit trug bald ihre Fülle,
Annas empfing und gebar, wie der Engel ihr herrlich verkündet,
Maria, die Reine, das Licht, das dem Dunkel das Ende bereitet,
Wurzel aus Jesse, aus Staub – und aus Staub ward die Rettung geboren.
Früh, in den Tagen der Kindheit, da führte man sie zu den Stufen
Jenes geheiligten Hauses, worin das Gebet sie empfangen,
Wo einst die Mutter gebetet mit Tränen und himmlischer Hoffnung,
Dort nun trat sie ein, das Kind, schon strahlend wie morgenwärts Lichtglanz.
Leviten sangen im Chor, und mit Psalmen erklangen die Räume,
Weihrauch stieg empor, als Maria, geführt von den Händen
Annas und Joachims, leise die Schwelle des Tempels betrat;
Kein Blick war kindlich, ihr Haupt umstrahlte ein ahnendes Leuchten.
„Heilig sei dieses Kind!“, so raunten die Alten im Vorhof,
„Denn nicht wie andere Mädchen geht sie zum Tempel der Höhen,
Ein Geheimnis ruht auf ihr, ein Schweigen von früher Erkenntnis –
Ist sie’s, von der einst die Väter im Geiste gesprochen, die Selige?“
Und sie lebte darinnen, fern aller eitlen Geschäfte,
Nicht in der Spiele Geräusch, nicht in irdischer Freude befangen,
Sondern im Dienst des Herrn, mit Gebet und mit Flehen im Herzen.
Wie das Öl in der Lampe, so wuchs ihre Tugend im Stillen.
Täglich vor Morgengestirn erhob sie die Hände zum Höchsten,
Sang mit den Engeln, obwohl ihr Mund die Engel nicht sah noch vernahm,
Doch in der Stille des Geistes, da redete Gott zu der Jungfrau,
Und das Gesetz ward ihr süß wie Honig, der träuft von der Wabe.
Und das Gewand, das sie trug, war gewoben von ihren Händen,
Doch nicht mit Purpur geschmückt, noch mit Gold aus Ophir verziert –
Denn ihre Zierde war Demut, und Keuschheit ihr glänzendes Krönlein,
Unschuld ihr Mantel, und Sanftmut die Spange an reinem Gewande.
So verflossen die Jahre, wie Wasser in segensreichem Rinnsal,
Ohne Lärm, ohne Prunk, doch begabt mit himmlischer Ordnung.
Wie ein Ölbaum am Hang, wie die Zeder auf schimmernden Höhen,
Wuchs sie empor, und der Ewige blickte mit Wonne hernieder.
Denn im Ratschluss der Höhe, verborgen vor Völkern und Zeiten,
War sie erwählt, aus ihr sollte einst der Erlöser geboren,
Nicht durch Verdienst, nein: durch Gnade, die strömt aus der Tiefe des Vaters,
Wunderbar, ewig gedacht, in des Schweigens verborgenem Rat.
O du Tochter Annas! O keimende Hoffnung der Menschheit!
Noch ist der Schleier gezogen, noch schweigt der Cherub an Toren,
Aber die Stunde wird kommen, da kündet ein Engel den Anbruch,
Da wird dein Name erklingen bis an die Enden der Erde.
4. «Joachim hat sich mit der Weisheit Gottes vermählt, die eingeschlossen war im Herzen der gerechten
Frau».
Sanft erhob sich der Tag aus der heiligen Brust der Aurora,
Und der Äther umspannte die Höhen mit goldener Stille.
Joachim, der Gerechte, erwuchs aus dem Hause der Ahnen,
Wandelt im Lichte des Herrn, in der Demut des lauteren Geistes.
Nicht nach Reichtum verlangte sein Herz, nicht nach irdischen Kränzen,
Sondern nach Weisheit, die strahlend wohnt im göttlichen Rate,
Eingeschlossen, verborgen tief im Herzen der Reinen,
Die da wandelt in Tugend, als Blume des ewigen Friedens.
Denn es war eine Frau, die gerecht war in Taten und Denken,
Still in der Liebe, erfüllt von Gnade und heiliger Ordnung;
In ihr wohnte das Wort, das im Anbeginn sprach aus dem Himmel,
Und in verschlossener Kammer wuchs Gottes Weisheit in Schweigen.
Joachim sah sie und wusste: Nicht Menschenblick offenbart dies,
Sondern das Auge des Geists, das die Tiefen des Ewigen schaute.
Da vermählte sich Herz zu Herz im Walten des Höchsten,
Nicht durch Begehren, durch Ehrfurcht nur und heilige Sehnsucht.
O du himmlische Braut, du Gefäß des göttlichen Denkens,
Du, in der Wahrheit wohnt wie Licht in kristallenen Quellen!
Nicht wie die Welt sich vermählt in flüchtiger Freude der Sinne,
Wurde dies Bündnis geschlossen – es war ein Bund der Verklärung.
Denn wo Gott Weisheit bewahrt, da leuchtet der Bund aus dem Himmel,
Und in der Stille erblüht das ewige Wort in der Liebe.
O Weisheit, o göttliche Sophia, Lichtstrahl des Himmels,
Du, aus dem Urgrund geboren vor Zeit und vor allem Wesen,
Du, die in Sternen und Meer und in Herzen der Menschen,
Still und verborgen du wohnst, heilig, ewig und reinlich.
Von dir entstammt alles Leben, vom Fluss bis zur Eiche,
Vom Klang der Gesänge der Vögel bis zum ewigen Sterne,
Du leitest die Seelen in Tugend, in Recht und in Wahrheit,
Machst stark den Geist gegen Zweifel, erhellst jeden Pfad uns.
Kein König, kein Held ohne dich kann Ruhm je erringen,
Kein Lehrer vermag zu lehren, wenn du nicht sein Begleiter.
Mit dir ward die Welt erschaffen, das Firmament wölbte sich,
Und durch dein Wort ward das All in Harmonie geordnet.
O Sophia, deine Strahlen erleuchten die Finsternis,
Du bist der Schlüssel des Wissens, die Quelle der Gerechtigkeit,
Durch dich fand Joachim seine Braut, nicht aus Blut, nicht aus Macht,
Sondern aus heiligem Schwur und dem Geist der Erleuchtung.
So preisen wir dich, o Weisheit, die ewig sich offenbart,
In Menschenherzen verborgen, in himmlischem Glanze erstrahlt.
Bleib ewig der Flamme, die alle Verirrung vertreibt,
Und führe die Seelen zur Wahrheit, zur Liebe, zum Leben!
5. Mit einem Lobgesang verkündet Anna die Mutterschaft.
Singet, o Musen, mir jetzt von der Mutter, die heilig empfangen,
Wunderbar, unter Gebet, des Erlösers strahlende Wurzel!
Anna, die Greisin, in Nächten durchdrungen vom göttlichen Wunsche,
Stand in des Tempels Halle, das Haupt umflog ihr die Gnade.
Sanft war der Blick, doch glühte die Seele in himmlischem Feuer,
Denn sie vernahm, was kein Ohr je vernommen von Engeln des Höchsten.
„Höret, ihr Töchter des Volkes! Und höret, ihr Mütter der Zeiten!
Mir ward ein Licht in die leibliche Dämmerung still hineingesenkt,
Mir, der Gedemütigten, ruht ein Keim der Verheißung im Schoße.
Nicht aus Begier ist’s gesprossen, noch irdisches Sehnen gebar es,
Nein, es war Glaube, der flehend und rein durch Nächte mich führte,
Glaube an Ihn, der die Unfruchtbaren krönt mit jubelndem Leben!“
Und sie erhob ihre Arme zum Himmel und lobte mit Tränen:
„Du hast geschaut auf die Niedrige, Herr, der Allmächtige waltet!
Meine Schmach hast du genommen, mein Herz hast du heilig entzündet.
O dass mein Kind, wenn es wandelt auf Erden, in Liebe erstrahle,
Dass es, gesegnet von dir, ein Gefäß sei voll ewiger Gnade,
Eine Lilie, geboren im Schatten, doch strahlend von Sonne!“
Also sang sie, von Jubel durchdrungen, prophetisch im Tempel,
Während die Priester erstaunt ihr lauschten, das Haupt voller Fragen.
Denn in den Zeiten der Not ist das Wort der Gerechten ein Leuchten,
Und wo die Hoffnung erlischt, da flammt sie neu auf in den Seelen.
Staunend trat aus dem Vorhof herbei ihr Gatte, der Greise,
Joachim, Träger der Hoffnung, durch Leiden geläutert im Herzen.
Lang war sein Gang durch die Einsamkeit, fern von den Städten der Sünde,
Betend, das Antlitz zur Erde gewendet, dem Himmel ergeben.
Jetzt, da er heimkehrt, vernimmt er den Sang und das selige Staunen,
Sieht er die Gattin, erhoben im Lob, von Strahlen umschlossen.
„Anna, du Reine,“ so sprach er, „was kündet dein Antlitz vor Freuden?
Was ist’s, das über dich kam, wie der Tau auf den Bergen von Zion?
Sprich, was erschütterte dich, dass du singst mit den Stimmen der Engel?“
Und sie, von göttlichem Licht durchleuchtet, sprach leise mit Tränen:
„Höre, o Joachim, Hörner ertönten im Innern des Tempels!
Ich war allein mit dem Herrn, da sprach eine Stimme vom Throne:
‚Siehe, empfangen hast du, und geboren wird werden die Reine,
Die ohne Makel im Schoße die Hoffnung der Völker wird tragen!‘
Nicht mehr ist mir verborgen, was lange im Dunkel geruhet:
Sie, die mein Kind sein wird, ist des Erlösers Erwählung!“
Da sank er nieder, der Greis, und küsste das staubige Pflaster,
Rief mit bebender Brust: „Du bist gerecht, o Herr Zebaoth!
Unfruchtbar war mein Haus wie der Fels ohne Quelle im Mittsommer,
Doch du hast Wasser daraus geschlagen, lebendiges, heiliges Leben!
Gesegnet sei diese Stunde in Ewigkeit, Vater der Armen!“
Und in der Tiefe des Tempels erzitterte leise die Mauer,
Denn eine Schar von Seraphim schwebte hinab in das Heiligtum,
Leise, wie Blätter im Abendwind, schimmernd in göttlichem Schimmer,
Sangen sie Lieder des Friedens, ein Klingen wie silberne Tropfen.
Einer, der vorderste, trug auf der Stirne den Namen des Morgens,
Gab ihr, der künftigen Mutter, ein Zeichen: ein Zweig aus dem Himmel,
Grünend in Licht, aus keinem irdischen Garten gewachsen.
„Trage ihn,“ sprach er, „und wisse: aus dir wird sprossen die Rose,
Königin aller Frauen, die Jungfrau, des Höchsten Gefäß.
Durch sie wird Segen entquellen der Erde, wie Quellen im Eden,
Denn sie gebiert das Wort, das im Anfang war, ewig und göttlich!“
Also verschwand er. Und Stille lag heilig auf Hallen und Steinen,
Nur ihre Herzen erbebten, entzündet vom Feuer der Zukunft.
So kehrten sie heim, voll Staunen und Glaube, und niemand erkannte,
Was sich vollzogen im Tempel: ein Anfang der neuen Verheißung.
6. «die Makellose war nie Gottes Gedenken bar».
So hob der Seher an in heil’ger Dämmerung Stimme,
Als auf des Himmels Zinnen der Morgenstern glomm,
Und Cherubim flammend die Himmel durchzogen mit Liedern.
Sie, die Gebenedeite, vor Urbeginn in Gedanken
Des Ew’gen gewoben, aus Licht und aus Reinheit geschaffen,
Trug in der Stille des Vaters unergründlichem Rat
Schon das Geheimnis der Zeiten und Menschheit Erlösung.
Nicht ward sie dem Sturz Adams gleich in das Dunkel gegeben;
Rein blieb ihr Wesen, ein Spiegel des göttlichen Willens.
Und als die Welt noch wankte im Klageton alter Propheten,
Ruhte der Blick des Allsehers voll Gnade auf ihr.
Höret, ihr Himmel! O lauschet, ihr Tiefen der Erde!
Denn was in Ewigkeit beschlossen, brach endlich hervor:
In einer Hütte zu Nazareth, arm in der Mitte der Welt,
Erschien das Zeichen, das einst schon Jesaja verkündet.
Sanft war ihr Haupt, und Demut bewohnte ihr Herze,
Doch Majestät umfing sie, nicht irdisch, nicht sterblich.
Denn sie war Trägerin dessen, der kam, um zu leiden,
Um zu erhöhen, was fiel, um zu erlösen, was starb.
Und als der Engel ihr nahte, sprachlos von Licht umflammt,
Da neigte sie sich, des Ewigen Wort zu empfangen:
„Siehe, die Magd des Herrn!“ – und Himmel und Erde erbebten,
Denn Fleisch ward das Wort, durch sie, die Makellose.
So war sie nie Gottes Gedenken bar, die Erwählte,
Denn sie war Teil seines Ratschlusses, verborgen, doch ewig.
Und durch ihr Ja brach der Tag an für alle Geschöpfe,
Ein neuer Morgen inmitten der nächtlichen Zeit.
Noch ehe das Licht ward, das Morgen und Abend umschlinget,
Ehe der Engel Chöre im Äther die Schöpfung besangen,
War sie im Herzen des Ewigen, still, unverloren,
Ein lichter Gedanke, gewebt aus des Willens Geheimnis.
Denn wie der Logos im Ursprung dem Vater entsprang,
So war auch sie – nicht geboren, doch auserkoren –,
Gefasst in die Schale der Zeiten als Trägerin Gottes,
Die eine, durch die der Erbarmer die Welt würde segnen.
O Staunen des Geistes! O Schweigen der himmlischen Weisheit!
Denn selbst die Throne, die Seraphim, sahen das Zeichen
In goldener Tiefe, wo Rat des Dreieinen ruhte.
Sie war das Morgenbild dessen, was kommen sollte.
Nicht ward sie geformt nach der Stunde der sündigen Erde,
Nicht aus der Schuld ward ihr Dasein erschaffen,
Sondern aus Gnade, aus Liebe, aus ewiger Treue
Schwebte ihr Bild im Schoße der göttlichen Ordnung.
Wie eine Rose im Geiste, noch unentfaltet, verborgen,
Doch voll des Duftes der kommenden Zeiten,
So lebte sie – stumm, ungerufen – im Sehen des Vaters,
Die Unberührte, die Krone der künftigen Schöpfung.
Und als die Welten entfuhren aus Händen des Schöpfers,
Als Licht ward und Wasser, und Tier, und der Mensch ward erschaffen,
Blieb sie doch still, ungesprochen im Chor der Geschichte,
Denn ihre Stunde war fern – und doch ewig beschlossen.
O Seele, verstehe das Wunder! Sie war im Gedanken,
Noch eh' das erste „Fiat“ durch Dunkel und Leere gedrungen.
Denn aus der Jungfrau – das wussten die himmlischen Geister –
Wollt sich das Fleisch des Erlösers in Zeit einst gestalten.
So ruht in ihr, der Erwählten, des Anfangs tiefstes Geheimnis.
Denn sie, die Ungeborene, war vor dem Anfang geliebt.
7. Geburt der Jungfrau Maria.
Lang schon ruhte die Nacht auf den Gassen von seligem Zion,
Schweigend neigte der Mond seine Stirn über Hügel und Olmen,
Als in des Joachims Haus ein Leuchten begann aus der Stille,
Heller als Morgenglanz, der im Osten die Sterne verdränget.
Hanna, die fromme, lag da im Gebet, mit gefalteten Händen,
Flehte mit Tränen den Herrn, dass er schaue die Schmach ihres Alters,
Da, wie vom Himmel gerufen, ein Engel im Zimmer erschien ihr,
Licht war sein Kleid, und die Stimme war milder als Tropfen des Taues:
„Fürchte dich nicht, o Hanna! Gehöret sind flehende Seufzer.
Frucht wirst du tragen, geweiht dem Herrn von der Stunde der Zeugung.
Maria soll sie genannt sein – die Reine, die Mutter des Ew’gen.
Völker werden ihr singen, was einst sie gebar, wird die Welten
Heilen vom Fluch, und der Höchste erwählt sich ihr Leben zur Wohnung.“
Sprach’s und entschwand, wie der Morgenwind über die Felder verwehet,
Aber zurück blieb ein Glanz, der nicht wich aus dem Haus ihrer Ahnen.
Monde vergingen, das Licht in Hannas Schoße wuchs stille,
Und als die Zeit sich erfüllte, da ward in der Frühe geboren
Sie, die makellos kam, wie der Lilien Kelch in dem Frühling,
Sanft lag die Tochter im Arm der Gerechten, das Haus war durchdrungen
Von einer heiligen Ruh, und der Lobpreis der Engel erscholl schon.
Selbst die Natur hielt den Atem, als ob sie das Wunder verehrte,
Vögel verstummten, das Quellwasser flüsterte leiser als sonst je.
Und in den Höhen der Himmel verzeichneten Chöre den Namen:
Maria, Tochter des Lichts, aus dem Stamm, der die Hoffnung gebären.
Zion erwache! Noch schläft in den Armen der Mutter das Kindlein,
Doch ihre Füße, so klein, sind bestimmt, über Drachen zu schreiten.
Noch ist sie stumm, doch die Stimme, die einst aus dem Munde ertönen
Wird, soll den Sohn Gottes wie Salbung empfangen im Leibe.
Heilig das Kind! Schon trägt sie das Siegel der ewigen Gnade.
Ihr wird das Schwert einst durchdringen – doch heute nur wiegt sie die Liebe.
Joachim neigte sich still über Wiege und dankte dem Ew’gen,
Denn was verheißen war einst, lag nun lebendig vor Augen.
Da, in den Höhen des Lichts, wo der Thron des Allmächtigen leuchtet,
Regte sich plötzlich ein Strom von Gesang in den seligen Sphären,
Seraphim schwangen die Flügel, mit Flammen umgürtete Boten,
Lobend den Tag, da die Reine, die Auserkorene, ward uns geboren.
Und wie ein Meer von Kristall war der Himmel durchzittert vom Preise,
Wogen aus Licht, die sich türmten zu Chören der seligen Geister.
Heilig, o heilig ist Gott, der das Weib aus der Wurzel berief hat,
Siehe, die Tochter des Zion, die Reine, die heilige Braut ihm!
Vor ihr erbebet die Nacht, denn in ihr wird das Licht sich entfalten,
Keusch ist ihr Schoß, und das Wort wird in Fleisch einst geboren, o Wunder!
Du, Maria, bist Glanz auf dem Haupt der gefallen‘ Geschlechter,
Du bist der Morgen, dem Sterne und Monde sich schweigend beugen.
In dir beginnt das Erbarmen, das Ewig-Geliebte des Vaters.
Fülle der Gnade, Gefäß der Erwählung, du Lilie des Friedens!
Siehe, o Tochter des Heils, du wirst wie der Tempel geweiht sein,
Du wirst dem Schöpfer allein deine Seele und Leibe verschreiben,
Und in dir wird das Wort ohne Makel die Wohnung bereiten!
Jauchze, o Himmel! Die Jungfrau ist da, die mit Füßen zertreten
Wird die uralte Schlange, der einst in dem Garten verführte!
Sie, wie der Morgen erwacht, so ersteht sie in heiligem Leuchten,
Unberührt von dem Flecken, der Adams Gefolge befleckte.
Ehre dem Vater, der sie in der Tiefe der Zeiten erkannte,
Ehre dem Sohn, der durch sie wird erscheinen in menschlichem Bilde,
Ehre dem Geist, der sie birgt wie die Wolke den brennenden Altar!
Halleluja! Die Pforte des Heils ist geöffnet den Völkern!
Halleluja! Die Jungfrau ist da – o Maria, du Hoffnung der Erde!
8. «Ihre Seele erscheint schön und unbefleckt wie der Vater ersann!».
Strahlend entstieg sie dem Licht, das vor Anbeginn war geboren,
Rein wie der Äther, den Gott mit dem ewigen Odem durchhauchte.
Keine der Schatten berührte ihr Herz in den Nächten der Prüfung,
Keine Begierde befleckte den Quell, den der Vater erschuf.
Engel empfingen den Klang, als ihr Wille dem Höchsten sich neigte,
Sanft wie die Taube, die schweigend auf heiligen Wassern sich nieder-
Senkt und das Schweigen bewahrt, das nur Himmel verstehen und hüten.
Ihre Seele erscheint schön und unbefleckt wie der Vater ersann,
Da er im Geiste sie sah, ehe Welten und Zeiten entstanden.
Leuchtend vor Ihm, wie das Licht, das vom Lichte geboren, entströmte,
Trug sie das Siegel des Ewigen, still in der Stirne geschrieben.
Ehe das Auge des Lichts noch erwachte im Morgen der Schöpfung,
Ehe die Zeit sich gebar aus dem Willen des Ewigen Vaters,
War sie im Geiste geformt, die Erhabne, die Jungfrau des Friedens,
Reiner als jegliches Wesen, das je aus dem Staube sich hob.
Keine Berührung des Falls, kein Erzittern der schuldigen Menschheit
Drang an die Seele heran, die der Allmacht Gedanke bewahrte.
Keuschheit, die blüht ohne Dorn, war das Kleid, das sie göttlich umschloss.
Ihre Seele erscheint schön und unbefleckt, wie der Vater ersann,
Strahlend im reinen Entschluss, vor dem Ausbruch der Zeiten beschlossen.
Wie aus dem Herzen des Lichts eine Lilie geboren sich neiget,
So trat sie still in das All, unerkannt von dem Sturme der Völker.
Keine der Mütter der Erde war je in solch Herrlichkeit makellos,
Keine von Adams Geblüt, die nicht litt an dem Erbe des Sturzes.
Nur sie allein, auserwählt aus der Tiefe des göttlichen Wissens,
War die vollkommene Stätte, in der sich das Wort würde kleiden.
Oh du Begnadete, ganz ohne Makel und Licht deiner Völker!
Durch dich wird der Himmel der Schuld einen heiligen Eingang bereiten,
Und aus dem Schoße der Reinheit erblüht das Erlösende Wort.
Nicht wie die Menschheit entstieg sie der Erde in schuldiger Hülle,
Nicht aus dem Erbe des Falls, das der Vater dem Staube verhängte.
Reines Gefäß, unberührt von der fluchenden Saat des Verderbens,
War sie das erste Geschöpf, das in Gnade geboren sich neigte.
Tief in dem göttlichen Ratschluss beschlossen, verborgen den Engeln,
Ward sie empfangen im Licht, da die Sünde nicht atmete nahe.
Keine der Ketten des Ahnen, kein Fluch, keine dunkle Begierde
Haftete je an dem Hauch, der ihr Leben im Schoße begann.
Denn als Joachim sie empfing und Anna mit Freude sie trug,
Schrieb eine göttliche Hand ihr das Siegel der heiligen Freiheit:
„Du sollst die Mutter des Höchsten, die neue Eva, die Reine sein!“
So wie der Morgen erwacht, ohne Schatten und Finsternis leuchtet,
So war der Anfang der Seele, die einzig in Klarheit entstand.
Keine Versöhnung bedurft’ sie, kein Opfer des Blutes der Lämmer,
Denn was im Lamme geschah, war in ihr schon vollkommen erfüllt.
Gnade umschloss ihren Geist wie ein himmlischer Strom ohne Ufer,
Und sie war heilig von Anbeginn – nicht geheilt, sondern frei.
Sancta Maria, du Licht vor dem Lichte, du Spiegel der Reinheit,
Leuchte im dunklen Gemüt, das den Ursprung des Friedens ersehnt.
9. «In den drei Jahren wirst auch du da sein, meine Lilie».
Noch in der Wiege, von Engeln gewiegt, im Morgenglanz liegend,
Öffnet Maria das Aug, das Unschuld leuchtet wie Sterne.
Sieht, von des Vaters Arm erhoben, das heil’ge Gefüge,
Jenem Jerusalems Tempel, auf Zion ragend, entgegen.
Kuppeln erglänzen im Gold, aus Weihrauch flimmert der Himmel,
Harfen ertönen darin, und Psalmen schwingen zur Höhe.
Staunend, doch schweigend, umfangen von lichter Gedanken Geheimnis,
Ruhte das Kindlein, als hörte sie schon das Flüstern der Zeiten.
Da, aus den Tiefen der künftigen Jahre, wie aus dem Ew’gen,
Klang es in ihrem Herz: »In den drei Jahren wirst auch
Du dort stehen, o Lilie Gottes, im Schatten der Hallen,
Rein wie das Wasser des Quells, den Seraphim ehrfurchtsvoll rühren.
Tragen wirst du das Licht, das nicht Menschen noch Engel erfassen,
Jener wirst du die Wohnung, die Himmel und Erde erneuert.«
Wispernd umwehte sie Wind, gleich dem Geist, der über den Wassern
Schwebte zu Anbeginn, als die Welt aus Liebe entfaltete.
Schweigend neigte der Vater das Haupt, und die Mutter empfand es,
Dass sie das Kindlein trug, das später das Wort wird gebären.
Tempel Salomos war’s, den die Höhen des Zion einst trugen,
Wo sich die Wolke des Herrn in flammenden Säulen gesenkt hat.
Gold war sein Mantel, Zedern aus Libanon säumten die Wände,
Und in dem Allerheiligsten stand das Gesetz in der Lade.
Cherubim schirmten den Raum mit ausgebreiteten Flügeln,
Und nur der Hohepriester trat ein, im Zittern der Opfer.
Nicht mit des Volkes Gedanken war dieser Ort zu erfassen:
Denn was da thronte, war mehr als der Raum, mehr als die Zeiten —
Gott, unsichtbar, gegenwärtig im Hauch seiner Majestät.
Doch was ist Tempel und Thron, wenn der Geist sich Fleisch will erwählen?
Nicht in Gemäuer aus Stein, nicht hinter Vorhängen wohnt er:
Sondern im Herzen, das rein ist, empfangend, wie ewige Stille.
Du, o Maria, o Kind noch, wirst Tempel des Allerhöchsten,
Nicht mit Zedern gebaut, nicht geschmückt mit den Goldflittern Ophirs,
Sondern aus Demut geformt und besiegelt mit göttlicher Gnade.
Noch ist dein Leib ein Gefäß, das das Licht unbewusst in sich sammelt,
Aber der Ewige neigt sich herab, dass du Wohnung Ihm werdest.
Denn wie der Salomonische Bau nur ein Schatten gewesen,
Zeigt sich in dir das Erfüllte, die lebendige Arche des Lebens.
Gott wird in deinem Schoß das Wort mit Fleischheit umhüllen,
Und was kein Engel verstand, wird durch dein "Fiat" geschehen.
Staunend vernimmt schon der Tempel, vom Hauch der Prophetie bebend,
Dass seine Zeit sich vollendet in dir, o Jungfrau des Herrn.
Nicht mehr aus Stein wird der Lobpreis erklingen, nicht Tierblut
Wird mehr versprengt auf dem Altar der goldenen Hörner,
Sondern du trägst in dir, was einst nur Symbol war und Schatten,
Heiliger Tempel aus Fleisch, unberührte Pforte der Gnade.
10. „Sieh die vollkommene Magd mit dem Herzen einer Taube!“
Heiliges Licht, das im Morgenrot leuchtet vom Schoße der Gnade,
sing’ ich mit bebendem Lied, das der Seraphen Chöre begleiten!
Ewige Jungfrau, die rein aus dem reinen Gedanken geboren,
Tochter des ewigen Willens, die keusche, geliebte Maria!
Wann sich die Zeiten erfüllten und flüsterten Sterne im Schweigen,
stiegst du hervor wie die Rose des Morgens im tauenden Tale,
strahltest in Demut empor, wie Lilien blüh’n unter Dornen.
Und siehe, die Himmel erschraken: denn makellos war deine Seele.
Engel umfingen dich zart, wie das Licht die geschlossene Lilie.
Sieh, die vollkommene Magd mit dem Herzen einer Taube,
lauscht dem Ruf aus der Höh’: „Steh auf, meine Freundin, du Schöne!
Komm!“ (Hoheslied 2,10), so klang es vom Throne der ewigen Liebe.
„Wie eine Lilie unter den Dornen, so bist du unter den Töchtern“
(Hoheslied 2,2), flüsterten Engel, im Kreis um die Throne des Himmels.
Denn nicht ein Makel der Erde haftet am reinen Gewande,
keine Begierde der Sünde berührte dein unbeflecktes Herze.
Sanft war dein Blick, wie der Hirsche am Morgen den Wassern entgegen,
rein war dein Schweigen, wie Schnee auf den Flügeln der himmlischen Tauben.
Glanzvoll gebar dich die Gnade, wie Morgen die Sonne gebiert.
Nicht wie die Töchter der Erde, in Lärm und in Eitelkeit wandelnd,
ging sie, die Auserkorene, schlicht in den Wegen des Höchsten.
In ihrem Herzen war Weisheit, in ihren Gedanken das Schweigen,
Sanft war ihr Wille, gehorsam der Demut vollkommenes Opfer.
Glänzender war ihr Gewand als der Schleier des goldenen Abends,
und ihr Gebet stieg empor wie der Duft der Harze zum Throne.
„Du bist schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir“
(Hoheslied 4,7), sprach der Herr in verborgener Stimme im Innern.
„Dein Hals ist wie der Turm Davids, dein Busen wie Zwillinge Rehe“
(Hoheslied 4,4-5), nicht irdisch gemeint, sondern göttlich im Gleichnis!
Denn du bist Braut nicht der Menschen, du bist des Geistes Gefährtin,
Mutter der Liebe, Gefäß der Erbarmung, Tempel des Höchsten!
O wie sie stand vor dem Engel, mit zitternden Händen im Lichte,
nicht aus Furcht, sondern heiliger Ehrfurcht, wie Morgen vor Sonnen!
Gabriel neigte sich tief, da er schaute die Klarheit der Jungfrau:
„Sei gegrüßet, Begnadete, der Herr ist mit dir – du Gesegnete unter den Weibern!“
So sprach der himmlische Bote, und bebend sprach sie das Eine:
„Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Und in der Stille ward Fleisch das ewige Wort, unbegreiflich.
Engel verstummten – und einzig das Licht blieb zurück in der Kammer.
Wie wenn die Taube herab sich senkt auf das klare Gewässer,
und ihr Schatten, so zart, kaum das Bild der Tiefe berühret,
also umfing sie der Geist, in lautlos schwebender Gegenwart.
Zitternd erbebte die Zeit, denn der Ewige trat in die Schöpfung.
„Zieh mich dir nach, wir eilen – der König führt mich in seine Kammer“,
spricht das Herz der Maria, vom Himmel erfüllt und geborgen.
11. «Meine Freude woher weisst du diese heiligen Dinge? Wer hat sie dir gesagt?».
Sanft in der Dämmrung des Morgens, wo Seraphim Lieder entfalten,
Stand sie, die Jungfrau, still bei der Quelle des ewigen Wissens.
Klar war ihr Auge, vom Licht der Verheißung beglänzt und durchstrahlet,
Worte wie Tropfen des Taues entfielen den lippen der Reinen.
Weit um sie schwieg die Natur, als lauschte die Schöpfung dem Munde,
Der aus dem Innern des Himmels die Weisheit der Zeiten verkündete.
«Meine Freude!», so rief ein Greis aus den Schatten des Ölbergs,
«Woher weißt du die Dinge, die tief in den Büchern verborgen,
Heilig sind, nur den Propheten geoffenbaret in Nächten?
Wer hat sie dir gesagt? Kein Lehrer hat deinen Fuß je geleitet,
Kein Schriftgelehrter der Tempel, kein Mund der Gesetzesgelehrten!»
Da hob Maria das Haupt, in Demut so groß wie der Himmel,
Und sprach, mit Stimme so leise wie Glocken im Wind eines Abends:
«Nicht durch die Lehrer der Erde, nicht durch die Rolle des Buches
Kam mir das Wort, das ich sprech, nicht durch den Tempel von Steinen.
Sondern der Geist, der über den Wassern des Urgrunds schwebete,
Gab mir das Wort, und mein Herz war still, da ich’s empfing.
Wie einst in Träumen der Jakob die Leiter zum Himmel erblickte,
So ward mein Geist emporgehoben zum ewigen Lichte.
Siehe, ich trank aus dem Strom, der unter dem Throne hervorgeht,
Tief ist sein Quell, und seine Klarheit rein wie das Auge der Engel.
Dort in der Stille, wo Gottes Gedanken wie Morgenrot dämmern,
Lehrte der Ewige mich, und mein Herz ward zur Harfe des Höchsten.»
Da schwieg der Greis, und Tränen der Ehrfurcht rollten von Wangen.
Denn was ein Kind ihm gesprochen, war größer als alle Erkenntnis.
Und du, Dichter, woher weißt du das alles? Wer gab dir die Kunde?
Wer hat gelehret dein Herz, von der Jungfrau in Weisheit zu singen?
Nicht warst du dort an den Hügeln, wo einst sie das Göttliche sprach,
Nicht sah dein Auge den Glanz, der über ihr Antlitz sich breitet.
O, doch! Es kam in der Nacht eine Stimme, ein leuchtender Flügel
Rührte mein Haupt, da ich schlief an der Schwelle des sternlosen Schweigens.
Und ich vernahm sie, die Muse, nicht jene vom Helikon fließende,
Nicht Kalliope, nicht Erato, nicht Klio mit leuchtendem Haupte –
Sondern die himmlische Muse, die Weisheit in Ewigkeit wandelt,
Die, ehe der Morgen begann, in den Kammern des Vaters gesungen.
Sie ist es, die mir die Worte einhaucht wie der Odem des Lebens,
Sie, die den Sehern erschien, im feurigen Dornbusch, im Sturme,
Sie, die die Stirn Marias berührte mit loderndem Finger,
Da sie zur Braut des Geheimnisses ward, Prophetin des Lichtes.
Was ich verkünde, ist nicht aus dem Irdischen selbst mir entsprossen,
Sondern geformt aus dem Klang, der am Throne des Ewigen schwinget.
Denn ich war Zeuge im Geiste, und Worte empfing ich im Schweigen,
Worte wie Früchte des Paradiesbaums, süß und verborgen.
O Muse, Tochter des Lichts, du Freundin des einsamen Sängers,
Führe mein Lied durch die Nächte der Zweifel, durch Tiefen des Denkens,
Daß ich verkünde mit heiliger Zunge die Jungfrau, die weise,
Die, ohne gelehrt zu sein, das Tiefste vom Ewigen sagte.
12. «Hat nicht der Sohn die Weisheit auf die Lippen der Mutter gelegt?».
Hoch in der Ewigkeit, wo das Schweigen der Himmel erklinget,
ruht in dem Vater der Sohn, das unaussprechliche Wort.
Ewig gezeugt, nicht geschaffen, im Lichtglanz der göttlichen Fülle,
wohnte die Weisheit bei Gott, als das All noch nicht war.
Denn ehe der Morgenstern flammte und Zeit sich zu fließen begann,
formte der Sohn in Gedanken das Bild der erschaffenen Welt.
Nicht mit dem Hammer der Macht, nicht mit dem Donner der Ordnung,
sprach er: Es sei! – und es war, was aus Liebe gezeugt sich erhob.
Und unter den Werken der Güte, die seine Finger geformet,
stieg aus der Erde ein Weib, wie der Frühling im jungfräulichen Hauch.
Maria, die Tochter der Hoffnung, vom Vater erwählt vor der Zeit,
leuchtete rein wie das Licht, das vom Lichte geboren ist.
Hat nicht der Sohn, der die Himmel durchwandert in flammender Klarheit,
Weisheit gegossen in sie, wie das Öl auf das Haupt eines Priesters?
Hat nicht der Ewige selbst auf die Lippen der Mutter gesprochen,
was in den Tiefen der Gottheit geheimnisvoll ewig erdacht?
Nicht wie der Mensch, der nur lernt durch das Dunkel und irrt durch das Sehen,
sprach sie – nein, ihre Rede war Klarheit aus göttlicher Glut.
Denn wer den Sohn in sich trug, noch ehe sie wusste, was Leben,
wer das Wort Gottes gebar, war nicht stumm, war nicht leer an Verstand.
Hör, wie sie singt in dem Haus, wo der Engel ihr Gruß ihr erschallet,
hör, wie ihr Lied sich erhebt, über die Zeiten hinaus!
Nicht aus sich selbst, doch im Hören, im Glauben, im Schauen der Gnade
wurde sie Trägerin all der geschaffenen Weisheit in Licht.
O du, die du gehst durch das Dunkel des Irdischen, suchend das Wahre,
folge der Spur ihres Pfades, der zur Weisheit empor dich erhebt.
Denn sie, die Gebärerin Gottes, ist Quelle des Trostes geworden,
denn aus dem Munde der Magd floss das Licht des Gedankens der Welt.
So ruft der Sohn, der vom Throne der Ewigkeit nieder sich neiget:
„Mutter, mein Geist ist in dir – und du sprichst, was ich bin.“
O du Tochter des Lichts, du lebendige Krone der Schöpfung,
Spiegel des Ewigen Glanzes, voll Gnade, voll Weisheit und Kraft!
Nicht in den Hallen der Gelehrten, nicht unter Rednern der Erde
fand man die Weisheit so rein, wie in dir, o Maria, vereint.
Ewig gedacht im Ratschluss des Höchsten, vor Anbeginn aller Tage,
warst du der Tempel, der still Gottes Geheimnis bewahrt.
Nicht aus sich selbst, nein, in dir war die Gabe des göttlichen Denkens,
eingesenkt wie ein Quell, der aus göttlicher Tiefe entspringt.
Denn als der Engel dir nahte, da zitterte Welt und Geschichte,
und aus dem Worte der Frage erwuchs die Antwort der Zeit.
Nicht mit dem Stolz der Vernunft, nicht mit zögerndem Weltverstehen,
sprachst du: „Mir geschehe!“ – und Himmel und Erde erbebten.
Weisheit – nicht kühne Idee, nicht System, das im Denken sich schließt –
Weisheit ist Liebe im Licht, ist die Demut des Herzens vor Gott.
Darum bist du, o Jungfrau, die Leuchte der himmlischen Klarheit,
lehrend durch Schweigen, verstehend durch Glauben allein.
Denn als der Sohn, das ewige Wort, in deinem Schoße sich barg,
gab er nicht bloß sein Fleisch, er legte die Weisheit in dich.
„Hat nicht der Sohn die Weisheit auf die Lippen der Mutter gelegt?“
Ja! Und dein Lied, Magnificat, strahlt wie der Morgen der Welt.
Nicht Philosophen erfassen den Glanz, den du in dir getragen,
denn du warst Trägerin selbst dessen, was Weisheit erschuf.
Du hast geschaut mit dem Auge des Herzens, das reiner als Gold ist,
du hast bewahrt im Gedächtnis das Werk, das der Ewige tat.
O du Lehrerin still, ohne Katheder und ohne Buchstaben,
doch mehr lehrend als alle, die mit Zungen der Erde sich rühmen.
Heilige Mutter, o Weisheit, die in Geschöpf sich gewandelt,
zeige uns Pfade zum Licht, da dein Sohn ist das Ziel unsrer Bahn.
13. Mariä Darstellung im Tempel.
Sanft steigt dämmernd der Tag herauf auf den Hügeln Judäas,
Rosenlicht träuft nieder von Himmeln, die segnend sich neigen.
Tempelhall’n erwachen im Morgenglanz zu geheimnisvoll’ Leben,
Und die Pforte, vom Golde beschirmt, wird schweigend geöffnet.
Siehe! Die Jungfrau tritt auf, geführt von der Mutter, der Sel’gen,
Anna genannt, aus dem Stamme Levi, in betender Stille.
Joachim schreitet zur Seite, ehrwürdig der Greis mit dem Stabe,
Gottesergeben, doch tief vom Geheimnis des Kindes durchdrungen.
Dreijährig noch ist Maria, doch hell ist der Blick ihrer Augen,
Wie der Stern, der zu Mitternacht wacht über wartende Hirten.
Keine Furcht in der Seele, kein Zögern im zarten Gemüte:
Selbst der Schritt, den sie lenkt, ist geweiht von dem Ewigen, göttlich.
Tempelgewölbe erschauern, als träte ein Engel des Lichtes
In die Hallen hinan; und die Priester erstaunen in Stille.
Denn mit Anmut schreitet die Reine empor durch die Stufen,
Die zur Wohnung des Herrn, zum Heiligsten aller, sich heben.
Selbst Zacharias, des Altars Wächter, verstummt vor der Klarheit,
Die von ihrem Antlitz bricht, wie Glanz aus dem Cherubim-Auge.
Und ein Raunen geht durch das Volk: „Ist dies nicht die Tochter
Zions, die einst, wie Propheten verkündet, die Mutter soll werden?“
Drinnen im Tempel nun neigt sie das Haupt vor dem Throne
Dessen, der ist und der war, und der kommen wird ewig in Macht.
Räucherwerk steigt auf, wie Gedanken, die schweigend sich heben,
Hin zu dem Himmel, wo Engel in Ehrfurcht das Antlitz bedecken.
Und der Allmächtige schaut aus der Höhe des lichten Gefildes,
Sieht das Kindlein, das fromm sich dem Willen des Vaters ergeben.
Und es bebt in der Tiefe der Welt das unsichtbare Werden:
Denn aus dem kleinen Geschöpf wächst der Heilsweg der Zeiten.
So ward sie geweiht, die Erwählte, im Tempel des Höchsten,
Ehe sie noch das Wort verstand, das die Engel verkünden.
Und es schrieben die Himmel dies ein in ihr ewiges Buch,
Dass sie die Pforte der Gnade, die Braut des Geheimnisses sei.
Sanft war das Kindlein, ein Licht in den Armen der Mutter getragen,
Schimmernd im Morgen wie Lilie, vom Tau des Himmels benetzt.
Keine war schöner im Volke, nicht Rachel, nicht Lea, noch Sara,
Denn sie trug still schon den Glanz der kommenden Zeiten im Blick.
Nicht war es irdische Schönheit, die flüchtig im Wandel verweht ist,
Nicht die Form nur des Leibes, nicht bloß des Angesichts Zier.
Nein, es war inneres Licht, das die Glieder der Kleinen umleuchtete,
Reinheit, wie Engel sie tragen vor dem thronenden Gott.
Locken wie Fäden von Gold, von der Sonne des Himmels gesponnen,
Ruhig die Stirn, als wüchsen Gedanken, die keiner noch dachte.
Und in den Augen der Jungfrau – o Abgrund der göttlichen Milde! –
Blitzte das Bild jener Liebe, die schweigend das All einst erlöst.
Nichts war ihr Schritt wie dem Kind, das dem Spiele des Tages ergeben,
Nein, er war ernst, doch nicht schwer – wie der Klang eines Lieds ohne Worte.
Denn sie trat, wie ein Tempel erbaut wird, gemessen und heilig,
Ganz als gehörte sie schon nicht mehr dem Staube der Welt.
Kein Laut verließ ihren Mund, der nicht rein wie Gebet in den Äther
Stieg zu dem Vater, der sie erwählte vor allem Erschaffnen.
Und wo sie ging, da schwiegen die Blumen, da neigten die Bäume
Leise die Zweige, als fühlten sie etwas vom Ewigen nahen.
Wunderbar war ihr Anblick, doch nicht zu erfassen mit Worten;
Denn was in ihr war, entwich jedem Bild, jeder irdischen Sprache.
Schönheit ward durch sie selbst zu Begriff, zu Beginn einer Ordnung,
Die aus dem Herzen des Schöpfers hervorging im Schweigen der Zeit.
O du Kind voll Gnade, im Schoße der Jahre verborgen,
Spiegel des Lichtes, das kommt, wenn die Erde in Dunkelheit liegt!
Nicht warst du größer noch als ein Kind im beginnenden Leben,
Und doch war dein Auge ein Stern, der dem Himmel entsprang.
14. «Die ewige Jungfräuliche hat nur einen Gedanken: Ihr Herz hinzurichten auf Gott.
Die ewige Jungfräuliche hat nur einen Gedanken:
Ihr Herz hinzurichten auf Gott, den Erhabnen, den Ewgen.
Kein Laut ihrer Lippen entflieht, der nicht Ihn verherrlicht;
kein Blick, der sich wendet, es sei denn zum Licht seines Wesens.
In Nächten der Stille, da schweigt selbst der Chor der Seraphim,
da lodert ihr Innerstes auf in verzehrender Sehnsucht.
Nicht nach der Welt ist ihr Sinn, nicht nach sterblichem Ruhme –
nur nach dem Hauch, der vom Throne des Vaters herüberweht.
Wie Lilien glühen in Auen, so leuchtet ihr Glaube,
still, unberührt von dem Sturm, der durch Menschengemüter entfesselt.
Ihr Wille: ein Spiegel des ewigen Willens der Höchsten,
ihr Schweigen: ein Lied, das der Ewigkeit selber geweiht ist.
In ihrem Erbarmen erklingt Gottes Herz in der Erde,
denn wer sie erkennt, der erkennt seine göttliche Nähe.
So schreitet sie vorwärts, ein Licht in den Nächten der Zweifel,
die Fackel des Glaubens, die reine, die makellose Dienerin.
Doch ach! nicht ahnte sie selbst, dass der Glanz sie erwählen sollte:
Sie, die in Demut sich neigt, will Magd nur der Königin werden,
der, die da gebären wird einst den Gesalbten, den Retter.
„O, dass ich diene!“, so betet sie leise im innersten Herzen,
„nicht Krone, nicht Ruhm, nur den Schleier der Demut begehre ich.
Dass ich der Füße der Auserwählten Sandalen entbinde,
dass ich ihr Wasser reiche und schweige, das ist mein Verlangen.“
Und siehe, die Himmel erschauen dies kindliche Opfer,
und Gottes Erbarmen beugt sich herab zu der niederen Magd.
Denn wo das Geringste sich selbst in das Geringste versenket,
da steigt das Höchste hernieder, das Licht ohne Schatten.
So ward sie nicht Magd der Mutter des Herrn, sondern selber die Mutter,
weil sie gewürdigt war, Magd sein zu wollen aus Liebe.
Der Engel trat ein, und die Räume erfüllte der Ewige,
und seine Botschaft begann mit dem Gruß einer Königin würdig.
„Gegrüßet seist du, Maria! Voll Gnade, der Herr ist mit dir!“ –
Da bebte das Herz, doch verweigerte nicht ihren Dienst es.
„Ich bin die Magd des Herrn“, sprach sie, „mir geschehe nach deinem
heiligen Worte.“ Und still ward die Welt, wie beim Anbeginn alles.
Und da erscholl in den Höhen der Himmel ein seliges Raunen,
wie wenn die Wasser des Lebens in goldene Becken sich gießen.
Denn Gott, der Ewige, lächelte leise in göttlicher Freude,
da er die Kleine ersah, die in Liebe sich selber vergaß.
Kein Strahl war je süßer, kein Duft aus den Gärten der Seligen reiner,
als ihre Hingabe, schlicht wie ein Kelch, der sich neiget dem Regen.
Nicht Engel, nicht Throne, nicht Feuer in flammenden Rädern
vermochten dem Herzen des Vaters solch Wonne zu schenken.
Denn wo sich die Kleinste verliert in das Licht seines Willens,
da jubelt das All – und das All wird durch Demut erneuert.
„Siehe die Tochter des Volkes, die arme, die stille, die Reine,
größer ist sie in Liebe als Morgenröte und Sterne.
Aus ihr soll hervorblühn das Wort, das am Anfang gesprochen,
das Fleisch wird, da sie sich gibt ohne Forderung, ohne Verdienst.“
Und Gott sann in Freude, wie einer, der Wunder entwirft in der Stille,
und trug in Gedanken die Mutter des Sohnes im Herzen.
Es sangen die Himmel nicht laut, doch mit bebenden Schwingen
verstummten die Chöre in scheuester, seliger Ehrfurcht.
15. Der Tod von Anna.
Lang schon schwebte der Tag in der göttlich entschiedenen Stunde,
Da die Seele der Reinen, von Leiden geläutert, entfloh.
Sieh! Auf schimmerndem Lager, umstrahlt vom himmlischen Dufte,
Ruhte die Dulderin still, umflossen vom Strahle der Gnade.
Leise bewegte die Lippe noch einst ein segnendes Flüstern,
Wie ein Abendhauch, der auf sterbendem Veilchen verweht.
Nah bei der Sterbenden kniete der Jüngling, das Herz voll Erschütterung,
Gab der Hoffnung sich hin, doch vernahm in der Stille das Ende.
Ach, und die Mutter stand dort, mit verhülltem, zerrissenem Antlitz,
Rang die Hände zum Himmel, der schweigend das Opfer empfing.
„Anna! Tochter!“ so rief sie mit klagender Stimme der Liebe,
Doch das Ohr war verschlossen; der Geist war höher gewendet.
Denn in entzücktem Gesicht erschien ein himmlischer Bote,
Weiß wie der Blitz und sanft, mit der Palme der Seligen schreitend.
„Komm, du Tapfere, komm!“, so sprach er mit lichtem Erbarmen,
„Deine Tage sind voll, und dein Name ist rein im Buche.“
Da erhob sich die Seele, ein Laut wie ein Harfenton klang auf,
Und ein Lächeln verblieb, wie ein Siegel des Friedens, dem Antlitz.
Stille ward nun das Haus, und der Schatten des Todes lag segnend
Nicht wie ein Fluch, wie ein Schleier, den Engel mit Liebe bedecken.
Und die Stunde war groß; denn der Himmel und Erde berührten
Sich in jenem Moment, wo ein Mensch zur Vollendung gelangte.
O Mutter! Wie schwer drückt der Tod deine Flügel zur Erde,
Und deine Seele entflieht nun der irdischen Hülle, zum Lichte!
Ach, wie sinkt mein Herz tief, von Gram überfüllt und Verlassen,
Denn du warst mein Hort, meine Kraft, mein warmes Versteck in der Not.
Doch o schau! Wie die Wolken sich brechen, ein Strahl aus dem Himmel
Flutet mild meine Brust und vertreibt das Dunkel der Trauer.
Nicht verloren, nicht tot – du bist nur vorübergegangen,
In das Reich, wo kein Schmerz und kein Weinen mehr walten kann.
Maria blickt empor, mit geweiteten, feuchten Gebeten,
Fleht die Herrin des Himmels, die Mutter, die Gnadenvolle,
Dass sie tröste ihr Herz in der schwärzesten Stunde des Abschieds,
Dass sie führe die Seele der Geliebten heimwärts ins Licht.
O selige Anna, vom Leiden befreit, nun umfangen
Von Engeln und Sphären voll ewiger Freude und Frieden!
Du bist jetzt der Sterne Gefährtin, des Himmels Begleiterin,
Und in deinem Tod leuchtet auf das Versprechen der Auferstehung.
So erhebt sich das Herz, von der Trauer getragen zur Hoffnung,
Weil Gott seine Liebende nicht im Schatten des Todes vergisst.
16. «Du sollst die Mutter des Gesalbten sein».
Hin durch die Hallen des Tempels, von Zedern getragen und schweigend,
Schritt sie, die Jungfrau, Maria, mit reinem Gebet in den Herzen.
Täglich wuchs sie im Lichte, der Stab in der Hand war ein Zeichen,
Daß sie erwählt war, geheiligt zu sein vor dem Antlitz des Ew'gen.
Still war der Hof, die Leviten erhoben das Lied nicht des Morgens,
Denn eine Stille durchdrang wie ein Schauer die steinernen Säulen.
Räucherwerk stieg empor, wie goldener Nebel aus Myrrhe,
Und aus dem Allerheiligsten strömte ein leuchtendes Flammen.
Sie stand am Altar, das Haupt leicht geneigt, mit gefalteten Händen,
Und ihre Seele, wie Wasser, das fließt zu den ewigen Sternen.
Da sprach der Engel des Herrn, im Licht wie von Feuer umgeben,
Und seine Stimme war still wie der Wind auf Libanons Höhen:
„Du, Maria, Erwählte, du Jungfrau rein unter allen,
Werde das Tor des Gesalbten, das Fleisch des Wortes vom Vater.
Dein sei die Gnade, zu tragen, was Himmel und Erde umfängt.
Du sollst die Mutter des ewigen Königs, des Christus, sein.“
Schauer durchbebten das Herz der Jungfrau, doch bebte sie nimmer;
Denn in der Stille der Tiefe sprach sie das heilige „Fiat“.
Und es geschah, wie gesprochen. Der Tempel erbebte in Wahrheit,
Doch wie im Traum, daß die Wächter es sahn, doch nicht konnten begreifen.
Selbst Salomons Thron erzitterte leise, als hörte er Kunde
Vom einen, der größer als er in der Fülle der Zeiten erstehet.
Und eine Taube, vom Strahl überflammt, sank nieder in Kreisen,
Ruhe fand sie auf ihrer Schulter, und alles ward still, wie im Anbeginn.
Lange schon seufzt die Erde, durchzogen von Ketten der Sünde,
Und das verheißene Licht, das einst sprach durch die Zungen der Seher,
Lässt auf sich warten; es dämmert, doch bricht nicht herein über Zion.
Israel harrt, und die Seelen sind matt von der drängenden Hoffnung.
Väter, die starben in Treue, sie schauten das Ende von ferne,
Trugen es wie ein Siegel im Herzen, doch sahn es nicht kommen.
„Wann,“ so spricht man am Brunnen, „wann kommt der Gesalbte des Höchsten?
Wann zertritt er die Völker, die unsre Mauern zertreten?“
Weinend sitzt man am Strom, und die Psalmen sind klagende Lieder;
Denn noch immer regieren die Fremden auf Davids Thronstufen.
Doch aus den Büchern der Weissagung tönt es wie Stimme der Wasser:
„Ein Reis wird sprossen aus Isais Stamm, ein König des Friedens.“
So las der Greis im Tempel die Rollen Esaias’ nieder,
Und seine Hände erbebten beim Wort von dem Knecht der Schmerzen.
Auch die Propheten, sie kündeten Leid und Herrlichkeit künftig,
Denn nicht in Macht, wie die Völker, kommt er, sondern in Sanftmut.
Doch das Volk, es verlangte den König mit Feuer und Schwert,
Nicht das Lamm, das geschlachtet wird still auf dem Altar der Erlösung.
Täglich betrat eine Jungfrau den Tempel, sie nährte die Hoffnung,
Ohne es selbst zu verstehen, daß sie die Erfüllung war, still noch verborgen.
Denn im Geheimen bereitete Gott, was kein Auge erkannte,
Und kein Ohr je gehört: das Kommen des ewigen Lebens.
Wächter der Nacht, sie erhoben die Augen gen Osten und fragten:
„Wächter, wie lange noch?“ Und sie lauschten, ob Antwort da käme.
17. «Sie schaute wieder, was ihr Geist in Gott gesehen hatte».
Sie schaute wieder, was ihr Geist in Gott gesehen hatte,
Wogen des Lichts und der Schatten des kommenden Leidens,
Schimmer der Kron' und das Kreuz in der goldenen Ferne,
Tränen im Glanz der Verklärung, gesegnet vom Vater.
Denn ihr war kund, was der Ewige still ihr geoffenbart,
Nicht wie ein Blitz, der den Himmel zerreißt mit plötzlichem Feuer,
Sondern wie Tau, der am Morgen auf stillen Blüten sich sammelt,
Tief in die Seele geträufelt, ein leuchtendes, mildes Erkennen.
Und sie bewahrte das Wort, das sie hörte, im heiligen Herzen,
Trug es wie keusches Gestein in der glühenden Wüste der Zeiten,
Trug es in Nächten der Stille, wenn alle Gestirne verstummten,
Wenn nur der Hauch ihres Sohnes im Schlummer die Stube erfüllte.
Dann, in den Tiefen der Andacht, erhob sich das innere Schauen:
Jesus, der König, getragen von Dornen und schwebend im Glanze,
Blutend und segnend zugleich, das Opfer, das alles versöhnet,
Gottes gerechter Entschluss, den sie früh schon empfangen im Geiste.
Siehe, da hob sich das Bild in den Lüften des inneren Schauens,
Hoch über Sternen, wo Licht nicht mehr Schatten gebiert, noch Vergehen.
Chöre der Engel umflogen die Hallen des ewigen Friedens,
Dort, wo der Vater den Thron in unendlicher Klarheit errichtet.
Und eine Krone, von Feuer der Liebe geflochten, von Weisheit,
Strahlte herab wie ein Morgen, der nie seine Glut mehr verliert.
Sterne umkreisten das Haupt der Demütigen, Lilien sprossten
Unter den Füßen der Jungfrau, die still auf dem Himmelsthron saß.
«Nicht um mich, o mein Gott!» rief sie leise in heiliger Schauung,
«Nur durch den Sohn, den ich trage, durch ihn bin ich Würde geworden.
Wenn ich gekrönt bin, so bist du es in mir, o du Leben!»
So sprach sie, kniend im Herzen, schon selig im Schatten der Krone.
Denn sie erkannte: die Dornen, die einst auf Golgatha blühten,
Wandelt der Vater in Lorbeer, der ewig nicht welkt in den Höhen.
Und sie, die Magd, ward zur Herrscherin nicht durch das Nehmen,
Sondern durch stilles Ertragen, durch liebendes, schweigendes Dulden.