VON TORSTEN SCHWANKE
I
Erst Freitag kam das Licht zu mir,
bereitet’ mich auf’s Schauen vor.
Die Seele stand im heil’gen Zier,
ein Tor ging auf, ein inneres Ohr.
Ich sah nichts als ein reines Bild,
so hell, so sanft, so klar und mild.
Maryam stand im Lichte da,
ein Kind, doch schon ein Weib zugleich.
Ihr Antlitz zart, von Kindheit nah,
doch auch von künft’ger Würde reich.
Geflochten war ihr goldnes Haar,
bis zu den Hüften wunderbar.
Ganz weiß gekleidet, schlicht und rein,
saß sie im kleinen, lichten Raum.
Ein Fenster ließ den Blick hinein
auf Tempel, Treppen, Laub und Baum.
Dahinter, fern und doch so nah:
der Ölberg, still, so wie er war.
Sie näht und singt ein leises Lied,
so wie ein Herz im Schatten spricht.
Ein Stern, der in der Tiefe glüht,
vergisst in ihr das äuß’re Licht.
Ein Klang, so zart, so still und sacht,
wie wenn ein Engel leise wacht:
Ein Stern auf spiegelklarem Grund,
er leuchtet tief in mir allein.
Seit Kindestagen macht er Kund
von einer Süße, zart und rein.
Er ist mein Lied, mein Himmelsklang –
doch woher kam er, lebenslang?
Du kennst ihn nicht, o Menschenkind,
er stammt vom Ort, wo Heiligkeit
im stillen Odem sich gewinnt –
dort wohnt das Licht in Ewigkeit.
Mein Herz, es folgt dem milden Stern,
und lässt das Schönste um sich fern.
Er lebt in mir, verborgen klar,
der Glanz des Vaters, eingesenkt.
Du trugst mich einst, o Himmelsaar,
im Leib, der uns den Christus schenkt.
Jetzt brenn’ ich still in seinem Licht,
doch bleibt er noch in Schleier Sicht.
Wann wirst du, Vater, mir verleih’n,
zu dienen dem, der Rettung bringt?
Mein Herz will ganz dein Tempel sein,
bis dass dein Geist in Liebe singt.
Sende den Sohn, aus deinem Licht,
und nimm mein Opfer – zögre nicht.
Maria schweigt, ihr Blick wird weit,
ein Strahlen hebt ihr Antlitz mild.
Ein Sommerhimmel voll Geleit
umfasst das Kind im Gottesbild.
In ihr entflammt ein inneres Licht,
das selbst die Sonnenstrahlen bricht.
Ein rosig Schnee auf ihrer Haut,
durchglüht vom Glanz der Ewigkeit.
Ein Leuchten, das den Raum durchtaucht,
als sei der Himmel nicht mehr weit.
Sie steht, die Hände zum Gebet –
die Seele, die in Flammen steht.
In dieses Bild tritt Hanna ein,
die Tochter Phanuels, ehrfurchtsvoll.
Sie sieht das Licht, bleibt staunend klein,
so wie ein Mensch, der ahnt das Soll.
Dann spricht sie leis: "Maria, Kind…"
Die Jungfrau wendet sich geschwind:
Friede sei dir, o Hanna, treu,
was suchst du hier in meiner Stund’? -
Ich sah dich beten – warst du neu
zu solch Gebet aus Herzensgrund? -
Maria lächelt, nickt und spricht,
ihr Wort wie ein geweihtes Licht:
Das Beten selbst genügt mir kaum,
ich sprech mit Gott in stiller Kraft.
Er wohnt in mir wie in dem Raum,
den kein Prophet je ganz erschafft.
Doch fühl ich ihn, o Hanna, nah –
er ist in mir, wie er einst war.
Ich bin nicht einsam, nie allein,
weil er mein ganzes Dasein füllt.
Dies Haus aus Schnee und gold’nem Schein,
ist seiner Gegenwart gehüllt.
Dort steht der Vorhang, doppelt dicht,
wo Gottes Glanz durch Räume bricht.
Doch ich durchdringe ihn nicht frech,
ich bin ein Kind von Israel.
Und Ehrfurcht ist mein einzig’ Schmuck,
vor dem, was ewig, groß und hell.
Doch wenn ich tief in mich hinein,
blick ich dem Allerhöchsten ein.
Ich sehe nicht mit Augen klar,
was hinter Weihrauchwolken steht.
Doch wie ein sanftes, süßes Ja,
antwortet Gott, wenn mein Herz fleht.
Denn seine Herrlichkeit ist nah –
und in mir singt sein Gloria.
Fürchte nicht, dass Stolz mich leitet,
dass mein Herz zur Höhe schreitet.
Denn was ich jetzt zu dir sag,
kommt nicht aus eitler Rechenschaft.
Ich schau zum Herrn in Demut mild,
der alles füllt, was leer und still.
Kein Mensch im Haus des Herrn, so mein’ ich,
sieht klarer, dass er nichts ist – kleinlich.
Ich sehe einen Schleier wehn,
und frage: Was mag hinter ihm stehn?
Ich denke an die heil'ge Lade,
das Bild der göttlich alten Gnade.
Was liegt in ihr? Geheimnis pur.
Doch blick ich tief – und Gott ist nur.
Er strahlt in Lieb’ in meinem Herzen
und spricht: „Ich liebe dich in Schmerzen.“
Und ich, mit bebend süßer Zier,
sag: „Ich liebe dich, mein Gott, ich dir.“
Dann schmilzt mein Sein in jenen Kuss,
der täglich neues Leben muss.
Ich bin bei euch, geliebte Brüder,
doch trennt ein Kreis von Feuerglüher
mich sanft von euch – in ihm nur wir:
Gott selbst und ich, in heiligem Zier.
Ich seh euch durch des Feuers Licht,
drum lieb ich euch – doch fleischlich nicht.
Ich liebe nur, was Geist durchzieht,
was göttlich liebt und ewig blüht.
Ich kenne, was mir ist bestimmt:
Das Gesetz, das jede nimmt –
zur Braut macht und zur Mutter dann –
doch ich bin Jungfrau, Gottes Plan.
Ich höre eine Stimme sacht:
„Ich will dich.“ Und sie gibt mir Macht.
Wie bleib ich rein? Nur er vermag's,
weil er es will – ich trag sein Tag.
Und ohne Furcht geh ich voran,
denn Gott ist da – mein Licht, mein Plan.
Vater, Mutter – sie sind fort,
und keiner kennt den Schmerz am Ort,
den ich empfand, als ich verlor –
nur Gott weiß, was ich ging empor.
Jetzt hab ich nur den Herrn allein,
drum folg ich blind – er wird es sein.
Und wär’s entgegen dem Gesetz,
ich folgte ihm, mein Herz entsetzt.
Denn wer ihm dient, hört nicht mehr viel
auf Elternrat und Menschenziel.
Ich hätt mein Kleid und meinen Kranz
verlassen für den Liebesglanz.
Ich hätt geweint, doch wär gegangen,
dem Ruf gefolgt mit Herzverlangen.
Ich hätt dem Tod den Trotz gezeigt,
wenn Gottes Stimme zu mir steigt.
Denn größer als der Vaterblick
ist Gottes Wort, sein heil’ger Strick.
Doch siehe, Gottes Wille sprengt
auch Kindesband, das warm mich lenkt.
Sie hätten nie mich eingesperrt,
denn Gott hat auch ihr Herz gelehrt.
Ich sehe sie in Friedensschlaf,
in Licht, das ihre Seelen traf.
Und mit dem Opfer, das ich bring,
öffn ich den Himmel mit Gesang.
Ich steh auf Erden, doch es ist
nicht mein Wille, der mich misst –
ich tu nur, was der Herr befiehlt,
und das ist’s, was mein Dasein zielt.
Wenn dann die Stunde nahe kommt,
dann wird mein Bräutigam belohnt.
Ich sag ihm, was ich tief bewahr –
und er wird lieben, was einst war.
„Doch, Maria… welche Wort’ wirst finden?
Die Liebe wird dich an sich binden.
Ein Mann wird sprechen, Fleisch wird glühn –
wie wirst du dann im Geiste blühn?
Das Leben ruft, das Fleisch, das Blut –
und auch das alte Heilige tut.“
Doch Gott wird dann bei mir bestehn
und seinen Geist auf ihn verwehn.
Dann wird sein Herz im Licht sich weiten
und aller Schmerz in Duft sich breiten.
Das Leben wird zur reinen Blume
im Glanz von Gottes heil’ger Ruhme.
Und was das alte Gesetz betrifft…
Oh Hannah, nenn mich nicht im Gift.
Doch glaub: Das göttlich alte Wort
wird neu – an heiligstem Ort.
Denn nur der Herr hat Macht zu ändern,
was einst gegeben ward den Ländern.
Und, Brüder, glaubt: Die Zeit ist nah.
Als ich Daniels Schrift einst sah,
da stieg in mir ein Licht empor,
das sprach aus Gottes ewigem Tor.
Die Sonne misst nicht, was da keimt –
der Mond ist’s, der die Zeit bestimmt.
So sage ich mit heil’gem Klang:
Die Stunde kommt – und nicht mehr lang.
Bald wird das Kind, von Gott ersehn,
aus Mutters Schoß der Jungfrau gehn.
Ach, wenn das Licht, das mich so liebt,
mir kundtun wollt’ mit sanftem Wort,
wo jene heil’ge Jungfrau blieb,
die Gott gebar an heil’gem Ort!
Ich würd’ mich auf den Weg dann zieh’n,
barfuß durch Sturm, durch Staub und Stein,
kein Raubtier, Frost, kein Hungerschmähn
hält mich von ihr und ihrem Sein.
„Nimm mich“, so spräch ich, „Mutter, auf,
als Magd in deines Hauses Ruh.
Ich dreh die Mühle, treib den Lauf
der Kelter – alles tu ich, du!
Ich wasch die Windeln deines Sohns,
ich diene still bei Herd und Glut,
sei’s Hirtin, Magd – es ist mein Lohn,
wenn du mich annimmst, sanft und gut.“
Wenn ich sie nur einmal erspäht,
ihr Blick mein tiefstes Herz durchdringt!
Wenn ihre Stimme zu mir weht,
und nur ein Lächeln zu mir winkt!
Und stößt sie mich auch von sich fort,
so harr ich an der Schwelle aus,
ein Bettler bin ich dort am Ort,
verbannt – doch nahe ihrem Haus.
Ich lebe von dem Gnadenschein,
vom Ton des Kindes, das sie hält.
Vielleicht gibt’s mir ein Stückchen klein
von Brot – das mehr als Leben zählt!
Und wenn mich Hungers Not verzehrt,
halt ich dies Brot wie einen Schatz,
ich küss es zart und unbeschwert
und fühl sein’ Duft – ein heil’ger Platz!
Kein Ehrgeiz treibt mich, himmelwärts
zu streben wie Maria rein.
Ich bin nur Staub und kleines Herz
und will nur Christi Diener sein.
Doch in mir glänzt ein heller Schein,
sein Vaterlächeln sieht mich an.
Ich bin wie Maiglöckchenduft so klein
und wachse still in Gottes Bann.
Nein, nicht mir sei die Kron’ bestimmt,
die Gottesmutter zu ersehn.
Der Allheilige sich nur nimmt,
was rein ist, wie der Sterne Wehn.
Hätt’ Menschensinn das ganz erkannt,
die Lehren nicht ins Kleinste kränkt,
wär’ Reinheit aller Herzgewand,
auf dass der König sie sich denkt.
O, wie viel Blut muss er vergieß’n,
damit wir von der Schuld befreit!
Jesaja sah es fließen, fließ’n –
ein Strom, der durch das Leiden schreit.
O möge dieses Gottesblut
nicht auf den Fluch des Bösen fallen,
sondern in Kelche, rein und gut,
und von dort auf die Kranken wallen.
Bringt Lilien, weiße Blüten rein,
zur Salbung seiner Todesnacht!
Tränkt sie mit Schweiß und Tränenschein,
zur Glut, die seine Seele bracht.
Wo ist die Lilie, die ihn hält,
wenn Schmerz durch seinen Leib sich schneit?
Wo ist die, die beim letzten Feld
ihn weinend in den Tod begleitet?
Ach Christus! Ach! So bluten wir
mit dir, du Lamm voll Liebesmacht.
Und Lilien opfern wir zu dir
in deiner letzten, heil’gen Schlacht.
Mary, verstummt, von Tränen schwer,
zerfließt in stiller Pein.
Da spricht mit bebtem Herzen sehr
die alte Lehrerin:
„Sag, Mary, gibt es noch für mich
ein Wissen, das du lehrst?“
Die Frage tönt so mild und schlicht,
von Rührung sanft verklärt.
Da senkt Maria ihr Gesicht
in Demut tief und bang:
„Verzeih, wenn mein Gefühl zerbricht,
die Worte flohen lang.
Ich hielt sie fest, wie Dämme tun
dem aufgewühlten Strom,
doch brach mein Herz, ich konnt’ nicht ruhn –
die Worte fanden Raum.
Nicht zürne mir! Ich bin so klein,
du bist die weise Frau.
Die süße Last war ganz allein
für Gottes Ohr – so rauh
erschien mir nun mein leises Tun,
so töricht, fast vermessen.
Vergib! Ich wollte stumm nur ruhn,
das Heil in dir vergessen.“
Da nimmt die Alte sie ganz sacht
ans faltige Gesicht,
und Tränen glänzen in der Nacht
wie Tau im Morgenlicht.
Sie weint und zittert, weint so klar,
ihr Antlitz still bewegt.
Die Zeit ist wie im Traum – und war
von Liebe ganz durchwebt.
So endet still die letzte Stund’:
Mary in ihrem Arm,
ihr kleines Haupt an ihrer Rund’,
geborgen, weich und warm.
Und Jesus spricht – sein Wort ist Licht,
der Quell in dunkler Nacht:
„Maria träumte Gottes Sicht,
die sie zur Erde bracht’.
Sie sah das Licht, das ewig ist,
das keiner ganz versteht,
die Pracht, die deine Seele misst,
wenn sie zum Ursprung geht.
Der Mensch, von Gottes Bild geprägt,
trägt in sich Glanz und Macht:
Er sieht, erinnert, trägt bewegt
den Sinn, der ewig wacht.
So ist’s, wenn Geist im Gnadenstand
die Zukunft leise ahnt,
wenn Gottes Finger, still und grand,
das Herz des Menschen mahnt.
Wer Wahrheit sucht in dunkler Nacht,
doch Gottes Weg verneint,
dem hat der Trug sie dargebracht,
vom Vater der gemeint.
Der Wahrheit Weg ist nur in Gott,
kein andrer lehrt sie dir.
Er spricht in uns, macht unser Lot,
sein Flüstern wohnt in mir.
„Weißt du noch, Kind, den ersten Tag,
den Glanz, das leise Glück,
als du mich sahst – so ohne Frag’ –
und schienst zu mir zurück?“
Dies sagt der Geist, der Wissen schenkt
und heil’ges Wort verleiht,
wenn unser Herz in Gnade denkt
und sich zum Licht befreit.
Gnade braucht der Geist zum Sein,
Wahrheit lebt aus Gnad allein.
Nur durch Gnade kann geschehen,
dass der Vater lässt sich sehen.
Wo die Hypostasen wohnen,
steht ein Zelt aus reinen Zonen.
Nicht aus Wolken spricht der Herr –
sondern zeigt sein Antlitz, hehr.
In des Schöpfers Wort vertieft,
horcht der Heilige, der siegt.
Was im Geist er einst vernommen,
ist in ihm erneut entglommen.
Wie ein Adler steigt er auf,
folgt des Wissens ewigem Lauf,
schaut die Wahrheit aus den Zeiten,
die durch Gnade sich begleiten.
Gnadenvoll war sie, Maria,
dreifach war's, wie einst bei Lia:
Braut und Bett für neue Saat,
Mutter, rein und himmelsnaht.
Sie schloss Sohnschafts alten Bund,
öffnet neu das Wort im Mund.
Gottes Braut, aus reinem Schoß,
schuf der Zeiten heil’ges Los.
Wort der Weisheit, ew’ger Klang,
lag in ihr wie Lobgesang.
In das Herz, von Gott beschrieben,
ward das Wissen ihr geblieben.
Und wenn Lücken blieben drin,
war dies Gottes weiser Sinn.
Denn in jeder Unvollkommenheit
liegt der Quell der Gnadenzeit.
Auch Maria musste ringen,
um den Sieg des Geists zu bringen.
Evas Schwester, aufgerichtet,
hat mit Willen Licht gesichtet.
Ihre Seele stand im Licht,
doch ihr Leib vergaß es nicht:
Sie zertrat mit reinen Füßen
Erdenlast, um Gott zu grüßen.
Und ich dachte tief im Traum
an des Zacharias Raum –
wie er kündet Tod und Schmerz,
drückte mir das Wort das Herz.
Denn ich fühlte, was nicht war:
eine Waise, mild und klar.
Doch die Schau, sie kam ganz anders,
frei von Wunsch, von Irrtums Wanders.
Dies war Trost in meiner Pein,
nicht aus mir – ganz Gott allein.
Denn was kommt, das ist nicht meins,
nichts geahnt, nicht Schein des Scheins.
Und die Angst, sie bleibt mir treu,
führt mich täglich neu ins Neu.
Dass ich mich und andre täusche –
bleibt die Prüfung meiner Reue.
II
Maria, Mutter lichter Gaben
Im Lied der Wüste hebt sich sacht
der Name der, die Gott begraben
in seinen Glanz vor aller Macht.
Die Dichter Arabiens Stimmen
besangen sie mit heil’gem Ton,
ihr Lob ließ Verse hell verglimmen
wie Sterne über Zeit und Thron.
Umayya sang, ein Lied erklinget,
vor Islam's Leuchten klar und rein,
von jener, die in Reinheit ringet
und einzig Gott lässt bei sich sein.
Sie kannte nicht des Mannes Triebe,
noch war ihr Herz zum Bund bereit,
ihr Leib war Keuschheit, ihre Liebe
ward einzig Gott in Ewigkeit.
Den Schleier zog sie, floh dem Blicke,
entwich der Welt in's Wüstenland,
kein Reisender, der je zurücke
ihr folgte – keiner fand ihr Band.
Ein Bote kam in nächt'ger Stunde,
nicht Mensch, nicht Geist – ein Gottesgruß.
Mit sanftem Wort und heil'ger Kunde
verkündend ihr des Sohnes Fuß.
„Ich bringe dir,“ so sprach der Bote,
„was Gott verspricht – sei ohne Scheu.
Der Herr der Engel sprach das Zote,
er sandte mich, so sei ihm treu.“
Sie sprach: „Wie kann das je geschehen,
da ich kein Gatte, keine Schuld?
Soll ich des Rufes Schmerz bestehen,
der auf mir liegt, trotz aller Huld?“
Und doch, in Demut nahm sie's an,
und aus dem Licht kam Gottes Macht.
Ein Knabe ward, ein reiner Mann,
von Liebe und von Ruhm bewacht.
Die Menge aber klagt in Zorn:
„Was hast du, Frau, zu uns gebracht?“
Doch Gott hob selbst sie hoch empor
und schützte sie mit seiner Macht.
Gibran, o Dichter, ruft die Reinen:
„Maria, Weinberg ohne Dorn,
von Gottes Friedenslicht erscheinen,
aus Tugend, Reinheit neu gebor'n.“
„Du flohst mit ihm durch Ägypts Gassen,
bewahrtest, was das Heil gebar,
ließest den Fluch der Sünde blassen –
dein Name leuchtet ewig klar.“
„Wer bei dir bittet, wird erhört,
wer Dank dir bringt, erhält noch mehr.
Ein Sohn, der nie das Lob zerstört,
ein Glaube, still und offen, leer.“
O Maria, Zier der Reben,
ein Kind aus edlem Stamm, so fein –
in dir erwächst das wahre Leben,
der Lieb‘ Gesicht, das ewig rein.
Wenn Tugend Namen tragen müsste,
wär’ deiner erster auf dem Stein.
Wenn Güte in die Stirn sich brüste –
du wärst das Siegel ganz allein.
Und Brüder, Onkel rings im Kreis,
von Mutterblut, in Ehr' und Fleiß,
sind Zeugen deines edlen Nam’ –
sei deinem Glück kein Leid je gram.
Wer Adel kennt und Würdigkeit,
dem sei, o Braut, dies Gut geweiht,
ein Erbe, hell wie Sonnenlicht,
vergiss in Ehren Reichtum nicht.
Lass ihn in Ruhm und Ansehn' sein,
im Glück wie Gold so klar und rein.
Die Braut sei stolz und voller Glanz,
ihr Blick sei Licht, ihr Gang ein Tanz.
Die reine Maid, die ohne Fehl,
beschützt uns in des Lebens Spiel.
O Jungfrau, strahle über mich,
sei Trost und Kraft, sei königlich.
Ein Dichter rief: „O Himmelslicht,
dein Name klingt wie Engelsicht.
Schütz' meine Seele, rein und klar,
sei mir im Traum stets offenbar.“
In Rosenkränzen schimmernd hell
erscheint sie, wie ein Quell aus Quell.
Mit Kindessegen, mild und fein,
tritt sie in unser Herz hinein.
Du bist, o Mutter, mild und treu,
und nie der Welt in Stolz zu neu.
Dein Wesen – wie aus Seide rein –
soll Spiegel unsrer Sehnsucht sein.
Die Sanftmut war dein stilles Lied,
das selbst in Leid nicht unterliegt.
Denn wer die Würde leise trägt,
dem ist ein hohes Reich bewegt.
In Schmerz und Schweigen, still und klar,
wurd’ dir die Gnade offenbar.
O Freundin, die sich selbst vergaß,
und Liebe wie ein Bächlein saß.
So spricht der Dichter mit Bedacht:
„Im Libanon, bei Bergesnacht,
wo Fatima mit Mary geht,
und über Hügel Segen weht.“
Maria, Name voller Kraft,
der Höhen wie des Meeres Saft,
der Tropfen, Reue, Liebe meint –
ein Band, das Christ und Moslem eint.
Du bist die Geliebte, Lichtgestalt,
in vieler Zungen sanft verhallt.
María, Mary, Marion,
du bleibst der Völker Heil und Lohn.
Im Tempel suchten sie ihn bang,
der Zimmermann, die Frau –
durch Freundeskreis und Menschengang,
doch war der Ort nicht lau.
Da saß das Kind im Heiligtum,
sprach weise, ernst und klar.
Sie sprach: „Dein Vater sucht dich, stumm,
mit mir, voll Kummer gar.“
Sie wusste, Josef war es nicht,
und dennoch nannte sie
ihn „Vater“ – aus der Demut Pflicht,
voll heil’ger Symmetrie.
Sich selbst vergaß sie vor dem Sohn,
der ewig, göttlich war.
Sie ehrte ihn, und nicht den Lohn
der eignen Gnadenschar.
Da sie von Elisabeth vernahm,
dass diese Mutter sei,
begab sie sich, von Huld entflammt,
durchs Hügelland aufs Neu.
Die Mutter Gottes, schlicht und rein,
stieg durch das müde Land.
Kein Stolz, kein Zögern, blind und klein,
doch dienstbereit die Hand.
Ihr Leib trug Gottes ew’ges Licht,
ihr Herz war voller Kraft.
Doch hielt sie auch der Pflicht Verzicht
und nährte sanft die Haft.
Der Engel sprach: „Du wirst gebär’n.“
Sie fragte schlicht und treu.
Sie glaubte – ohne Widerkehr,
ohn’ Debatte, frei.
„Wie kann dies sein? Ich weiß von nichts,“
sprach sie mit klarem Blick.
Doch hörte sie des Himmels Lichts
und wich vom Zweifel Stück.
Denn was kein Auge je ersann,
das wirkt der Höchste selbst.
Der Glaube, den Maria sann,
ist Kraft, die ewig hilft.
Im Tempel lernte sie das Wort,
das sie im Herzen barg.
In Stille trug sie’s fort und fort,
im Geist, der niemals fragt.
Was je der Glaube still empfand,
wird nicht vergehen je.
Denn Poesie mit heil’ger Hand
schreibt ewig das Dekret.
Sie lebt in Versen, unvergällt,
die Zeit verweht sie nie.
Ein Zeugnis, das die Welt erhellt,
bleibt heilige Magie.
III
Ein leiser Schritt zur Morgendämmer,
Josef kam aus weiter Ferne.
Zwei Esel trugen still das Paar,
das aufbrach, wie es Gottes war.
Der eine trug auf seinem Sattel
ein seltsam hölzern Reisepackel,
das Josef still und schlicht gebracht –
ein Schutz vor Regen, wohl bedacht.
Maria nickte, sacht bewegt,
ihr Dank in stummem Blick gelegt.
Sie band, was sie bereitet fand,
zu einem Bündel in der Hand.
Die Tür fällt leise zu – sie ziehn
hinaus ins Dämmern, hell und kühn.
Der Osten glüht in sanftem Rot,
Nazareth schläft noch, still und tot.
Ein Hirt mit Ziegen kommt daher,
die Herde trottet eng und schwer.
Die Mütter blöken, eilen fort,
rufend den Lämmern ihren Ort.
Maryam hält an, streichelt leis
die Tiere, zart und lammweiß.
Ein Hirte grüßt mit Lamm im Arm,
sie lächelt – weich, von Mitleid warm.
„Er sucht die Mutter,“ spricht sie sacht,
„doch sie verlässt ihn nicht bei Nacht.“
Da kommt sie schon, voll Lieb' und Pflicht,
und leckt ihm zärtlich das Gesicht.
Die Herde zieht wie Regen fort,
mit Klang, als flüstert Laub am Ort.
Der Staub erhebt sich, weich und leicht,
ihr Tritt den Weg mit Spuren streicht.
Sie wandern weiter, still vereint,
der Morgen nass, die Kleider feind.
Maria trägt den Schal gestreift,
ein Nebelschleier sanft sie umgreift.
Im Dorf noch sind sie Seite an,
sie sprechen leis, wie's nur zwei kann.
Josef denkt an Werk und Stein,
Maryams Herz ist weich und rein.
Sie lächelt oft, doch trägt im Blick
ein stilles Weh – ein stumm Zurück.
Dann flackert Trost auf ihrem Mund,
als wär die Welt für sie gesund.
Ein Regen fällt, sie suchen Schutz
am Fels, im Wind, im kalten Guss.
Da gibt er ihr, was er noch hat –
den Mantel, fest und wollig matt.
Und über Schultern, nass und klein,
legt er die Decke, grob und rein.
Maria nickt, nun still verhüllt,
ihr Blick ist warm, ihr Herz ist stillt.
Der Regen flieht, ein Nieseln fällt,
die Straße glänzt, die Erde schwellt.
Doch Frühling ist’s – ein goldner Schein
kehrt mit der Sonne bald schon ein.
Die Esel gehen rascher nun,
die Welt beginnt, sich neu zu tun.
Und als sie ziehn in Tag und Licht,
verliert sich auch mein Schau-Gesicht.
IV
O Jungfrau, Tochter heil’ger Ahnen,
dein Herz war ganz dem Herrn geweiht.
Du lerntest beten, nie zu mahnen,
im Tempel wuchs dein Geist bereit.
Da sandte Gott mit heil’ger Kunde
den Engel, mild und lichtgestalt:
„Fürchte dich nicht, gesegnet’ Stunde!
Du wirst des Höchsten Mutter bald.“
Du zogst zu deiner Vettern Hütten,
da sprach das Kind im Leib voll Macht:
„Gesegnet bist du, die inmitten
des Herrn das große Werk vollbracht.“
Du littst die Schmerzen jener Stunden,
als Gottes Sohn zur Welt gebracht,
in Krippe lag der Ungebundne,
ein König in der Nacht erwacht.
Er war dein Sohn, du warst die Seine,
sein Blut war deines Herzens Blut.
Du standst in Schmerz, doch still und reine,
als man ihm nahm das letzte Gut.
Du sahst die Nägel, hörtest Klagen,
sein stummes Leiden, seinen Blick.
Dein Herz zerbrach bei seinen Plagen,
doch hieltst du stand, hieltst dich zurück.
Du schwiegst, doch in dir war ein Feuer,
ein Sturm aus Sehnsucht, Trost und Leid.
Dein Blick war still, dein Herz ein Neuer
Altar voll stiller Ewigkeit.
Am Kreuz, da rief er dich beim Namen,
vergaß dich nicht in seiner Pein.
Johannes stand in Liebesflammen –
du solltest unsre Mutter sein.
O Jungfrau, Mutter voll Erbarmen,
du trägst der Welt so schweres Leid.
Wer weinend fleht in deinen Armen,
den schützt dein Mantel jederzeit.
Du kamst in Licht, mit Schleier, Krone,
dein Blick war sanft, dein Kleid so rein.
Ein Hauch von Himmel, eine Zone
der Gnade ließ uns nicht allein.
O Mutter, Königin der Schmerzen,
du hörst das kleinste Seelenwort.
Du tröstest niedergebeugte Herzen,
vergisst uns nie, du trägst uns fort.
So ruf ich dich, wie er dich rief,
vor deinem Bild, bei Tag und Nacht.
Du bist mein Trost, mein Lebensbrief,
bei dir wird jede Angst zur Macht.
Dein Monat kam mit Duft und Liedern,
wir tragen Weihrauch durch das Land.
Die Herzen blühn in deinen Brüdern,
du nimmst uns freundlich an die Hand.
Aus Gassen, Städten, über Meere,
wir eilen hin zu deinem Licht.
Und überall erklingt die Ehre,
die dir aus vielen Kehlen bricht.
Die Töpfe kochen, Fleisch wird reichen,
Gemeinschaft blüht im Morgengraun.
Kein Herz soll sich dem Licht entweichen,
wenn wir auf deine Gnade baun.
Du heilst, du fügst, du trägst das Schwache,
du richtest auf, was niederfiel.
Du bist die Brücke, die ich mache,
mein Ziel bist du, mein Lebensziel.
Und alle Zeilen, die ich schreibe,
sie reichen kaum zum Lob dir aus.
Doch bleib ich ewig in dem Leibe
deines Lichts, dein Herzenshaus.
V
Dies ist das Klingen sanft und sacht,
der Morgen tritt mit leichtem Fuß
auf Hügeln, die in Nebel stehn,
in Bäumen klingt sein leiser Gruß.
Der Wind, er strich wie Harfenklang
durch Zweige, wo der Engel sang,
und unter Dächern, flammend rot,
sich Jungfrau und der Geist verschwor’n.
Die Straße lärmte, Staub erhob
sich zwischen Himmel und dem Leid.
Er stieg zu lichten Höhen auf,
sie blieb im dunklen Erdenkleid.
Und Blut begann, ein Lied zu sein,
im Hals des Vogels, hell und rein,
ein Funke, der in Kehlen glüht,
wo Gott in stummem Liede blüht.
Der Dichter ruft: „Ein Drache kam,
in nächtlich-grüner Häute Kleid,
mit Fackeln, die am Ufer brannt’n
und Perlen warf in Fluss und Zeit.
Die Muscheln blühten, blass und bunt,
zu Blumen in des Stromes Grund –
und jeder sah, erstaunt und stumm,
wie Magie durch die Gassen ging.“
Symbolisch flammt sein Wort empor,
wo Wahrheit sich im Bilde hält,
wo Diktatur das Lied versperrt,
und Dichtung stumm zur Freiheit fällt.
So geht das Lied durch Raum und Zeit,
durch Magdalenas Einsamkeit,
die andre Maria blieb allein,
bis Magdalena kehrt im Sein.
Ich such in ihr, was nicht vergeht,
die Jüngerin, die bei ihm stand,
am Morgen, als der Stein sich hob,
und Licht das Grab mit Glanz durchbrannt.
Zwei Marias – wer ist sie nur?
Ein Name, doch zwei Seelenspur.
Die eine streut dem Liebsten Rosen,
die andre sieht ihn auferstehn.
Sie wohnte einst den Dämonen bei,
ihr Leib war eine dunkle Flut.
Doch Christus sprach, und sie war frei,
ihr Herz getaucht in neues Blut.
Sie folgte ihm mit Tränenblick,
zur letzten Stund’, zum Grab zurück –
und ward im Licht der Auferstehung
zur Zeugin einer neuen Regung.
Und wer ist sie, die „andere“ Frau?
Die Namen mischen sich im Licht.
Vielleicht war sie des Klopas Braut,
vielleicht nur Staub in Christi Sicht.
Doch jede trug ein Teil des Schmerzes,
ein Teil des Lichts in ihrem Herze –
Zwei Marias, ein Gesang,
der zwischen Schuld und Hoffnung klang.
Maria, Gottes reine Magd,
die Mutter Jesu, hold und klar,
die sich des Herrn Verheißung wagt,
voll Gnade, wie sie selig war.
Sie stammt aus Davids kön’g’schem Haus,
ihr Gatte Josef, treu und mild,
vertrat im Stammbaum ihren Braus –
ein göttlich auserwähltes Bild.
Salome, ihre Schwester, war
die Gattin jenes Zebedäus,
zwei Söhne zog sie, stark und wahr:
Johannes und Jakobus, treu.
Wie andre Frauen jener Zeit
war sie im Haus der stille Stern,
in Arbeit, Trost und Lieb bereit –
ihr Glaube leuchtete so fern.
Die Schrift bezeugt mit heil'gem Ton
die Frau, von Gnade reich erfüllt,
ein Vorbild – Müttern zum Lohn,
mit Demut, Stärke, fromm und mild.
Am Kreuz sprach Christus, blutig, bleich,
zu ihr mit letzter Zärtlichkeit;
Er gab sie jenem Jünger gleich,
der blieb in Lieb’ bei ihr zuzeit.
Doch Magdalena, reich bekannt,
war einst in Schuld und schwerem Leid,
vom Bösen tief im Geist verbrannt,
vom Heil’gen freigemacht zur Freud’.
Er trieb Dämonen aus ihr fort,
sie folgte ihm mit ganzer Kraft,
bewährte sich an jedem Ort,
voll Reu’, die innre Wandlung schafft.
Sie stand am Kreuz mit seinem Blut,
ließ nicht von ihm, blieb treu und nah;
sie salbte ihn mit Liebesmut
im Schatten seiner Passion da.
Und als der Morgen dämmernd sprang,
war sie am Grab mit Tränenschein;
der Auferstand’ne sprach und sang –
zu ihr zuerst: „Du bist mein Sein.“
VI
Die Erde liegt in schwerem Bann,
von Müdigkeit bedeckt.
Die Meere nahmen Leere an,
ihr Spiegelbild versteckt.
Ich bin ein Maß von Aufbruch, Klang,
ein Ruf aus dunkler Zeit.
Ein Hauch von Sehnsucht, tief und bang,
bereit zur Möglichkeit.
Die andre Maria trug mich sacht
als Tasche, die sie band,
als Schleppe, die durch Träume lacht,
geboren, unverbrannt.
Sie stillte mich mit Reim und Wort,
gab Exilanten mir.
Dann hieß es: „Steig hinab von dort,
verlass dein Hochquartier.“
Und du, ja du, du Dreh und Kreis,
die Achsen meiner Spur,
die Jugend spricht in deinem Eis
von Glanz und off’ner Flur.
Du trägst das Heil’ge, das sich birgt
zwischen dem stillen Licht,
das meine Wunde leise würgt,
doch spricht mein Herz: Verzicht.
Was mir entglitt im Windeshauch,
geht dich nun gar nichts an.
Ich bin mein Mädchen selbst, mein Brauch,
mein eigner Werdegang.
Ich weiß nicht, was mich zu dir zieht,
dein Spiegel hält mich fest.
Und wenn mein Blick im Wangenlied
sich tief verloren lässt...
Vergiss die sanften Hänge nun,
die wir bezeugen leis.
Wir kämpften lang, wir durften tun,
doch nichts bleibt ohne Preis.
Wir zeichneten den ersten Ton
vom Fötus bis zur Flut.
Das Segel barg uns wie ein Thron
in seinem weißen Glut.
Das Mädchen, das in Welten lebt,
entfaltet sich in mir.
In deinem Blick der Sturm erbebt,
die Ferne – Flammentier.
Sag mir, siehst du mein Angesicht
so traurig, wie ich bin?
Bin ich das Opfer, bin ich Pflicht,
der Mörder tief darin?
Bin ich das Meer, das sich verwehrt
vor seinem eignen Schiff?
Versteck mich, wo kein Auge zehrt,
in jeder Pore Riff.
Küss mich nur einmal Jahr für Jahr,
denn ich muss dich erneut
in jeder Zelle, wunderbar,
im Innersten betreut.
In Arterien, die launisch ziehn,
in Licht und Fensterglas,
da muss ich dich erneut erspähn,
wenn ich mich selber las.
Das sagten sie: „Nun steig herab“,
und ließen Träume frei.
So treffe ich dich auf dem Grab
des Wegs, im Wanderei.
Im Fieber, das den Aufbruch meint,
begegn ich dir im Glanz.
Du leuchtest, wenn mein Auge weint,
in jedem Raum, im Tanz.
Auf meiner Stirn, in Gipfelzeit,
im Kindheitsmärchenland.
Wenn uns die Zeit zurückgeleit’,
halt ich erneut die Hand.
Komm, Herrin, aus der tiefsten Schlucht,
aus Flammen, aus dem Nass.
Beweg dich in des Herzens Flucht,
durch Schatten, Raum und Maß.
Du könntest in Momenten stehn
der Offenbarung hell,
im Leuchten deiner Wege gehn –
so tief und licht und schnell.
Und für dein Auge, hell und klar,
halt ich mein Herz in stiller Pflicht.
Dokumente, einst so wahr,
verlier’n an Wert vor deinem Licht.
Und für dein Blick, so tief, so rein,
verleugn’ ich Pfad und alten Bund.
Sie sagten mir: "Du darfst nicht sein,
geh fort, verliere deinen Grund."
Sie riefen: „Steig herab, verzicht’!“,
und ließen mich im Nebel stehn.
Ich such die Formel für Verzicht,
für Abstand, ohne ganz zu gehn.
VII
Ein Pharisäer lud ihn ein,
er kam zu ihm zum Mahl.
Da trat im stillen Dämmernschein
ein Weib mit süßem Strahl.
Die Stadt kannte ihr altes Tun,
doch sie war nicht mehr blind.
Mit Tränen wollte sie nun ruh’n
zu Jesu Füßen lind.
Sie weint, sie netzt mit bitt'rer Reu
die Füße, die sie liebt,
und trocknet sie mit Locken neu,
die Gnade ihr vergibt.
Da sprach im Stillen jener Mann:
„Er wüsste, wer sie sei!
Ein Sünderin, die nicht mehr kann –
von Schuld nicht wirklich frei.“
Doch Jesus wandt’ sich mild und klar
und sprach: „Hast du gesehn?
Ich trat in dein Haus, doch offenbar
ließ nichts dein Herz geschehn.
Du gabst mir keinen Kuss zum Gruß,
kein Öl für mein Gesicht.
Sie aber salbte meinen Fuß
und weinte im Verzicht.
Drum sag ich dir: Ihr ist verziehn
viel Schuld, weil sie viel liebt.
Wer wenig liebt, bleibt stolz und kühn,
weil Herz und Geist betrübt.“
Zu ihr gewandt sprach Jesus still:
„Dir ist nun alles rein.
Dein Glaube tat, was Gnade will –
geh heim in Friedensschein.“
Er kehrte ein bei Martha bald,
sie sorgte viel und hast’.
Maria saß, vom Wort geballt,
zu Jesu Füßen fast.
„O Herr, sie hilft mir nicht!“ – so klagt
die Schwester voller Müh’.
Doch Jesus spricht, was ewig tagt:
„Sie wählte stille Früh.“
Im Haus des Simon, krank und schwach,
kam sie mit edlem Duft.
Sie salbte ihn mit Liebesfach,
der Raum war voll von Luft.
„Warum dies Opfer, viel zu groß?
Man hätt’ es gut gespend’t.“
Doch Jesus sprach: „Was hier entfloß,
war Liebe, die nicht endet.
Was sie getan in dieser Stund’,
wird nimmermehr vergehn.
Wo man mein Wort verkündet kund,
wird auch ihr Werk bestehn.“
Am Grab da weint sie, ohne Rast,
bis einer sie befragt.
Sie denkt, er sei der Gärtner fast,
doch dann wird’s ihr gesagt:
Er nennt sie leise nur beim Klang,
ihr Herz erkennt ihn gleich.
„Rabbuni!“ ruft sie froh und bang –
ihr Blick ist nun sehr weich.
„Berühr mich nicht, ich steig empor
zum Vater, groß und klar.
Geh, sag den Brüdern dieses Wort,
dass ich lebendig war!“
VIII
Wir wurden stehend einst gemacht,
und Wege fliehn mit schnellem Lauf,
die Zeit, sie stiehlt sich leis bei Nacht,
als riss die Welt in Stücke auf.
"Ich bin nicht Maria, Vater!" –
ein Satz, der durch die Zeiten schneit,
voll Dunkel, kälter, härter,
als bloßes Wort in Raum und Zeit.
Gerüchte sind der Mutter Schoß
der Chronik, die das Weib verheert,
ihr Leib – oft Heldenbeute bloß,
vom Mythos wund und leer geleert.
Denn wo Geschichte laut sich dreht,
gebiert sie Schmerz und falsches Licht,
ihr Geist in Schuld und Schande weht,
die Wahrheit schweigt, das Herz zerbricht.
Ein Satz wie: „Ich bin Josef, ja!“
ist sanft, erfüllt von stiller Kraft –
doch „Nicht Maria!“ schreit Gefahr,
verneint, was einst die Hoffnung schafft.
Maria – jung, doch gottgewollt,
ihr Leib in Heiligkeit gebrannt,
ihr Bild vom Wort zu Gold gezollt,
verkannt im feigen Menschenland.
Die Wehen schrein in Balqis’ Lied,
doch schweigen muss, wer aufrecht spricht,
denn Heiligkeit, wenn sie geschieht,
verschleiert oft das wahre Licht.
Ward Al-Moussawi spricht im Traum
von Nacht, die sich im Körper zeigt,
von Himmel, Sternen, Erdenraum –
wo sich das Weib im Schatten neigt.
„Ich bin die Nacht, ich bin das Kleid,
das diesen welken Leib umhüllt,
ich bin der Wind, der über bleibt,
wenn alle Schuld die Räume füllt.“
Und so durchwebt der Dichter Klang
die Zeit, die Frau, das Leid, den Blick –
aus Schmerz entsteht der Weltenfang,
aus Schweigen wächst der Wahrheit Glück.
Was heißt es, nicht Maria sein,
wenn doch der Leib wie ihrer spricht?
Der Ruf der Heiligen – zu rein,
doch trifft er jene Frauen nicht.
Die Welt will Zeichen, Blut und Schwur,
sie misst mit Kälte, Schuld und Scham.
Und jede Frau, der einst die Spur
von Gott erschien, bleibt doch profan.
So schweigt sie, wie die Nacht vergeht,
ihr Blick ins Nichts, in Staub und Stein.
Das Wort, das wie ein Urteil steht,
zerschlägt ihr Ich, macht sie allein.
Denn in der Kirche, schmal und leer,
wo Wind durch Ritzen Bilder weht,
liegt keine Gnade, kein Gehör,
nur das, was auf Papier besteht.
Die Dichterin in dunkler Glut
sucht keine Mary, kein Gebet –
sie kleidet sich in eignes Blut,
ihr Wort ist das, was wirklich steht.
"Ich bin die Nacht, die dich nicht kennt,
die Sterne füttert mit dem Leid,
die sich vom Heil’gen Bild abwendt
und trotzdem trägt Unendlichkeit."
Der weiblich Leib – Symbol zugleich
für Lust, für Schuld, für ew’ges Muss –
im Text ist er oft weich und bleich,
doch trägt er Tod, Geburt und Kuss.
Und unter jeder Zeile bebt
ein Schrei, der kaum das Ohr erreicht,
der sich durch Jahrhunderte hebt,
und selbst im Flüstern nie erbleicht.
Die Frau ist Schrift und Widerstand,
ihr Körper Tempel, Tat und Spur.
In ihr bleibt Gott, nicht bloß als Pfand,
sondern als Glaube, Wort und Schwur.
So endet nicht, was nie begann –
Maria lebt in jedem Blick.
Was unsre Ahnen einst ersann,
kehrt heute in das Herz zurück.
Maria steht im Morgenlichte,
ihr Schatten fällt auf fremden Sand,
sie träumt nicht mehr von heil’ger Pflicht,
sie reicht nicht mehr des Himmels Hand.
Die Dichter seh’n durch fremdes Glas,
worin sich Spiegelbilder brechen,
sie fragen nicht: Wo liegt ihr Maß?
Sie flüstern nur in leisen Schwächen.
Sie lehnt sich still an jenen Baum,
der zwischen Stadt und Wüste steht,
gebiert sich selbst aus tiefem Traum,
wo Ostwind durch die Blätter weht.
Ein Dattel fällt in ihren Schoß,
der Stamm erbebt wie einst in Kahf,
die Frage keimt: Wird Wasser groß,
wenn Wort und Sehnsucht Wüste traf?
Maria, fern von Bild und Brauch,
nicht Mutter nur, nicht bloß Symbol,
in ihrem Herz ein fremder Hauch,
doch ihre Stimme bleibt nicht hohl.
Sie trägt kein Kleid aus alter Zeit,
kein Mythenlicht in ihrem Blick,
ihr Glaube lebt, nicht nur im Leid,
ihr Pfad führt vor, nicht nur zurück.
Nicht Hagar nur, auch sie war dort,
wo Quellen aus dem Felsen sprangen,
doch trägt sie heut den Ruf nach Ort,
wo Himmel und Erinnerung hangen.
Sie ist kein Bild, das ewig ruht
in goldnem Rahmen, still verehrt,
ihr Glaube ringt mit eigner Glut,
die keiner frommen Pflicht gehört.
Sie ist kein Name, leer und alt,
kein Märchen aus vergangner Spur,
sie spricht aus Sehnsucht, nicht Gewalt,
ihr Schweigen trägt Natur purpur.
Im offenen Land, das sie durchquert,
verliert sie sich und wird sich neu,
der Dattelbaum, der still verklärt,
schenkt ihr ein Kind – nicht ohne Reu.
Doch ist es nicht das Kind allein,
das sie gebiert in Dämmerstunden,
es ist ihr Selbst, ihr Leib, ihr Sein,
das neu erwacht in eignen Wunden.
Und Hagar? Schwester im Verzicht,
sie warf den Ruf ins Ödland weit,
doch Maria, ihr Gesicht
spiegelt nicht nur Heiligkeit.
Ein Herz im Exil schlägt verhalten,
in Brooklyn oder unter Sternen,
die keinen heiligen Trost verwalten,
doch nach der Herkunft sich verzehren.
Die Dichterin, sie hebt den Blick,
verwebt das Fremde mit dem Eigen,
und jedes Bild wirft Schatten zurück,
die sich wie Sehnsucht niederneigen.
Nicht aus dem Buch, das ewig schreibt,
nimmt sie ihr Maß, ihr tiefstes Fragen,
sie lebt das Wort, das in ihr bleibt,
und trägt es durch die Zeit getragen.
IX
Nicht war ich, was sie mir beschrieb’n,
kein Bild, das in ihr Echo fiel,
denn meine Wahrheit lebt im Trieb’n
des Herzens, nicht im stummen Spiel.
Nicht jene, die in frommer Schau
dem Richterblick der Ahnen trotzt,
doch auch nicht Sündin, nicht die Frau,
die sich dem alten Maß verlotzt.
Ich bin, was schweigt in alter Schuld,
ein Wunsch nach Licht im alten Raum,
ein Ruf, befreit von Väter-Huld,
ein Aufstand gegen Zeit und Traum.
Warum Maria? fragt der Klang
des Namens, fern von Ort und Brauch.
Ihr Bild, es lebt in Welten lang –
ein Muttergott, ein heil'ger Hauch.
Sie steht nicht hier, in meiner Zeit,
nicht in der Stadt, wo ich begann.
Doch trägt sie unser altes Leid
und weist den Weg, der frei sein kann.
Im Streit der Alten mit dem Jetzt,
im Kampf um Wort und Würde bloß,
steht sie – ein Zeichen, das verletzt,
doch auch befreit – so groß, so groß.
Die Fremde ist sie, und zugleich
ein Teil des Ichs, das weiterzieht.
Sie trägt den Schleier und das Reich
der Mythen, wo das Neue blüht.
Nicht bin ich schuld, nicht war mein Ziel
das Bild, das eure Lügen malen.
Ich bin das Echo, das nicht fiel
in eurer Welt voll kalten Zahlen.
Und doch: ich frage nicht nach Recht,
nicht nach Beweis, nicht nach Gericht.
Denn meine Sehnsucht bleibt gerecht
im Blick, der sich zur Wahrheit bricht.
Ich bin nicht Mária, Vater, nein,
kein Kelch aus Gnade, Licht und Wein.
Was ihr da seht – das ist nicht mein,
doch ruft er mich aus dunklem Sein.
Ich hab ihn nicht aus Leib geboren,
nicht war mein Leib für ihn erkoren.
Doch wenn er ruft, fühl ich ihn nah –
als wär er mein, als wär ich da.
Er ist nicht mein – und ich nicht seine,
doch ziehn wir beide uns alleine.
Kein Blut, kein Fleisch hat uns gebunden,
doch Herz an Herz – auf ewig wund.
Wer ist Maria, fragt ihr laut,
ein Bild, das über Zeiten schaut.
Im Wind der Psalmen weht ihr Kleid,
durch Glaubensfluten, Zeit und Streit.
Ein Kind, verheißen, unberührt,
aus Worten, die der Geist entführt.
Ein Licht, das keine Mutter kennt,
doch durch ihr Dasein Leben nennt.
Was ist mir Frucht, wenn ich nicht darf
den Samen sehen, der mich warf?
Ein Engel kam, doch nicht zu mir –
kein Stern, kein Ruf, kein Himmelstier.
Warum bedrängt mich blindes Schweigen,
wenn Geister an die Türen steigen?
Warum begehrt der Lahme Brot,
von meiner Hand, voll Staub und Not?
Ich kaufe Brot mit meiner Träne,
mein Tisch kennt keine Himmelssehne.
Kein Prophet ist je mein Gast,
mein Herz schlägt ohne Heil'gen Rast.
Und dennoch klingt durch meine Klage,
ein Klang, der durch die Himmel trage.
Nicht meine Schuld, nicht meine Pflicht,
doch trägt mein Schatten sein Gesicht.
Ich bin nicht Mária, Vater, sprich –
und doch verfolgt ihr Name mich.
Er klebt an meiner stillen Stirn,
als wär ich Trägerin von ihr'n.
Die Welt will Zeichen, Blut und Wort,
ein Wunderkind, ein heil’ger Ort.
Doch was bin ich? Ein Widerschein,
von Licht, das nie gehört mir sein.
Ich trage nicht den Gott im Schoß,
doch fragt ihr mich – ist das mein Los?
Zu stillen euren alten Wahn,
der niemals meine Wege sahn.
Ihr sagt: 'Gesegnet bist du, Frau',
doch ich bin müde, leer und rau.
Kein Flügel rauscht um meinen Raum,
kein Engel steigt aus meinem Traum.
Und doch – wie seltsam es geschieht:
Das Kind, das nicht in mir erblüht,
kehrt wieder heim in meinen Blick,
und nimmt mein Schweigen Stück für Stück.
Was soll ich tun mit fremdem Licht,
das durch mich scheint – doch mir nicht spricht?
Bin ich Gefäß für fremdes Ziel,
ein Schatten nur im Heilungsspiel?
Ihr nennt es Gnade, nennt es Pflicht,
doch meine Sehnsucht kennt das nicht.
Ich bin aus Fleisch, aus Wut und Brand,
kein Idol mit Dornenband.
Ich bin nicht Mária, Vater, schau –
mein Leib ist Erde, nicht aus Tau.
Ich bete nicht mit heil'ger Zier,
ich fluch im Staub – und bin noch hier.
Was soll das Kreuz auf meinem Rücken,
wenn keine Schuld dort will ersticken?
Ich trage nur, was ihr nicht tragt –
die Last, die keiner fragt, nur sagt.
Ich bin nicht Mária – sprecht es aus!
Ich baue kein Verheißungshaus.
Ich bin kein Schoß für euren Sohn,
kein Thron, kein Bild, kein Heil’ger Lohn.
Ihr krönt mich, wenn ich niederknie,
doch wollt mein Schweigen, meine Müh.
Ihr liebt das Bild, nicht mein Gesicht,
ihr wollt mein Ja – ich sage: Nicht!
Ich bin kein Tempel, keine Kerze,
kein Trost für eures Glaubens Schmerze.
Ich bin nur Frau – mit Haut und Knochen,
und Wut, die nie ganz ausgesprochen.
Was wollt ihr von mir, dass ich sei?
Ein Beweis für eure Zauberei?
Ich bin nicht Jungfrau, bin nicht rein,
mein Leib gehört allein mir – mein.
Der Engel kam nicht – kam kein Licht,
kein Geist, der durch mein Fenster bricht.
Doch jedes Mal, wenn ich nur sprech,
legt ihr mir Flüche um das Blech.
Was war mein Fehler? Dass ich leb?
Dass ich nicht schweig, wenn ihr mich hebt?
Dass ich nicht Mutter, nicht Madonn’?
Dass ich nicht stille, nicht davon?
Ich kenne Kriege, nicht Gebete,
kenne den Leib, der hungert, betet.
Doch nicht zum Gott, der nie erschien,
ich bete mir – ich bin. Ich bin.
Ich bin nicht Mária, Vater, wein –
doch deine Tränen sind nicht mein.
Denn als ihr ihn zum Kreuz gebracht,
hab ich gelacht. Hab ich gelacht.
Er spricht in euren Kreisen,
doch nicht bin ich sein Licht.
Ich trage keine Zeichen,
ich bin die Mutter nicht.
Er, den ihr Jesus nennt,
kehrt einst zu mir zurück.
Doch ich bin nur ein Fremdling
und lebe ohne Glück.
Ich bin nicht sie, o Vater,
nicht jene, die ihr ehrt.
Mit Tränen kauf ich Brote,
von keinem Herz begehrt.
Kein Himmel gab mir Trauben,
kein Onkel war ein Seher.
Kein Kuss aus frommen Lippen,
kein Trost von keiner mehr.
Warum drängt sich das Blinde
so bittend vor mein Tor?
Ich bin nicht sie, o Vater,
nicht die, die einst verlor.
Nicht Aarons Schwester bin ich,
mein Zeichen ist mein Leid.
Ich schüttelte die Palmen,
doch träumte nie vom Kleid
aus Weizen, das euch nährte –
mein Trunk war nie so süß.
Kein Kelch war mir bereitet,
kein Segen, der mich grüß’.
Was ist mit jenen Pferden,
die blutend vor mir steh’n?
Ihr Wiehern trägt das Grauen,
als könnten sie mich seh’n.
Ich bin nicht sie, mein Vater,
nicht Maria, so klar.
Selbst eure Fraun erschrecken
vor Wehen, wunderbar.
Dies Antlitz ward geformet
vom Wind in Nacht und Glut,
verbrannt von Tageshitze,
von keinem Tag voll Mut.
Zum ersten Morgenerwachen
kam nicht Verrat herbei.
Ich hing nicht dort am Baume,
doch war ich dennoch frei.
Ich bin nicht sie, mein Vater,
nicht die in eurem Lied.
Doch bin ich selbst ein Tempel,
auch wenn kein Engel kniet.