MAGNA MATER CARITAS DIVINA


VON TORSTEN SCHWANKE


DEUS CARITAS EST


1

Die Lieb’ ist Grund der Fragen unsres Lebens,

sie stellt uns vor das Sein von Gott und Mensch;

doch steht uns oft ein Sprachproblem daneben,

das unser Bild der Wahrheit schnell verfälsch’.

Was „Liebe“ heißt, ist vielfach übergeben,

missbraucht im Klang, der hohl die Tiefe schwäch’;

drum kann, wer sie im hehren Licht verstehet,

nicht übersehn, wie viel im Wort vergehet.


2

Wir reden oft von Vaterlandes Treue,

von Freundschaft, Pflicht und Arbeit, die wir lieben,

von Elternband, Geschwisterband – aufs Neue

sind’s tausend Formen, die im Dasein blieben.

Und dennoch scheint, bei aller Wortestreue,

die Lieb’ der Zwei, im Eros stets getrieben,

der Urtypus, in Leib und Seele ganz –

ein Spiegelbild des göttlich tiefen Glanz.


3

Sind all die Liebesformen doch verbunden?

Ist’s Eins im Wesen, nur verschieden benannt?

Oder sind wir in Begriffen eingebunden,

wo sich kein wahres Einssein je erkannt?

Die Sprache zeigt, wie leicht wir uns verwunden

am selben Wort, das Trennendes umfasst.

So fragen wir: Ist Liebe stets dasselbe?

Oder ein Meer mit tausendfacher Welle?


4

Die Alten nannten’s „Eros“, was entflammt,

ein Gott, der raubt den Sinn, der Herz bezwingt,

nicht aus dem Willen, noch vom Geist entstammt,

der Mensch in göttlich wilde Raserei dringt.

Doch „Agape“, in Schrift und Wort verdammt

nicht Eros selbst, nur was zur Sucht sich bringt.

Die Kirche nahm das Heilige in Schutz,

verwehrt dem Wahn, doch nicht des Lebens Trutz.


5

Denn wahr ist auch: Der Eros muss sich läutern,

soll nicht zum Fall, zur Gier, zur Sünde werden.

Er kann sich heben, heiligen, er leuchten

in Liebe, die sich bindet auch auf Erden.

Wo er entmenscht – in Tempeln, bei den Meistern

von Götzenlust – da stirbt er unbeschwerten

Tod an sich selbst, entwürdigt sich im Drang,

zum Objekt wird der Mensch – so beginnt der Zwang.


6

Nicht Gift hat Christentum dem Eros reichet,

wie Nietzsche sprach in finsterem Verdacht,

es ist der Weg, der seine Würde zeigt,

wenn er nicht bloß als Spiel und Trieb erwacht.

Denn Liebe, die nur flüchtig sich verneiget,

verpasst das Ziel, verfehlt des Geistes Macht.

Doch Liebe, die sich reinigt in der Treue,

führt himmelwärts auf wahrhaft neue Höhe.


7

Was bleibt, ist dies: Die Liebe, wenn sie liebt,

im göttlich Sinn, als Gabe, nicht als Haben,

sie heilt, sie heilt das Herz, das sich ergibt,

sie trägt die Last und will sich selbst begraben.

Im Opfer zeigt sich, was der Mensch so liebt,

nicht im Besitz, im Nehmen, im Erjagen.

Denn Gott ist Lieb’, und wer in Liebe bleibt,

der hat den Weg, der ihn zum Himmel treibt.


8

Die Agape, die stille, dienend waltet,

sucht nicht sich selbst, doch dient mit starkem Mut.

Sie liebt, auch wenn das Herz sich nicht entfaltet,

sie schenkt und bleibt im Leid getreu und gut.

Was Eros raubt, wird hier dem Mensch gestaltet,

zur reinen Kraft, die wahre Wunder tut.

So wird im Dienst der Liebe selbst erkannt,

dass Gott in unserm eignen Herzen stand.


9

Der Eros will hinauf, doch Agape nieder,

sie neigt sich tief zum andern, dient allein.

Doch kehrt sich dort der Aufstieg auch bald wieder,

wo Zärtlichkeit und Treue einsam sein.

Die Liebe Gottes, wie durch Christus wieder

sichtbar ward, ruft uns ins Licht hinein:

So sehr hat Gott die Welt geliebt“ – das heißt,

dass selbst der Höchste unser Elend weiß.


10

Die heilige Schrift spricht leise, doch in Klarheit,

von jenem Weg, der Kreuz und Liebe nennt.

Nicht Erosflamme, flüchtig in der Wahrheit,

doch Feuer, das durch Opfer sich erkennt.

Im Wort wird Liebe Zeichen seiner Wahrheit,

wohin der Sohn den Weg der Liebe kennt.

Denn Gott ist nicht ein fernes, kaltes Wesen –

in Christus selbst ist uns die Lieb’ gelesen.


11

So frage nun, o Mensch: Was liebst du wirklich?

Was suchst du, wenn dein Herz in Sehnsucht bebt?

Ist’s Trieb allein, ist’s flüchtig, eigennützlich?

Oder ist’s Liebe, die sich selbst aufgebt?

Nur wer sich gibt, liebt wahrhaft göttlich, ehrlich –

der lebt die Freiheit, die durch Dienen lebt.

Denn Liebe ist kein Rausch, kein bloßes Begehren –

sie will das Ew’ge, nicht das rasch Verzehren.


12

Drum lasst uns prüfen unser Tun und Denken,

was Liebe heißt, in tieferem Verstand.

Nicht was wir nehmen, soll uns Seligkeit schenken,

sondern was uns bindet an des Höchsten Hand.

Er will in uns sein göttlich Bild versenken,

und unser Herz sei Tempel, nicht Gewand.

Nicht Eros sei verbannt, doch er soll tauchen

in Gottes Licht, das ihn vermag zu brauchen.


13

Zweifach ist Eros’ Bild in dieser Zeit,

ein Schimmer Gottes in der Liebe Licht.

Er ruft nach Ewigkeit, nach Herrlichkeit,

nach jenem Mehr, das unser Herz verspricht.

Doch führt nicht bloßer Trieb zur Seligkeit,

sein Weg verlangt nach Reinigung und Sicht.

Nicht Gift ist er, wenn er zum Höchsten dringt,

wenn Seele durch Entsagung Liebe bringt.


14

Denn Mensch ist Leib und Seele, tief vereint,

ein Wesen, das sich selbst nur so versteht.

Erst wenn beides sich im Innern meint,

der Eros heil durch diese Einheit geht.

Verneint der Geist den Leib, ist er versteinert,

und wenn der Leib den Geist nicht sieht, vergeht

die wahre Größe, die dem Mensch gebührt –

der Ganzheit Glanz wird dann verführt, entführt.


15

Nicht Geist allein, nicht Leib für sich allein

vermag zu lieben, wie es Menschsein heißt.

Die Person liebt – als Ganzes muss sie sein,

wo nichts das andere demütigt, entreißt.

Der Eros, um verklärt und echt zu sein,

verlangt den Pfad, der aufwärts führt und weist.

Erhebt den Menschen über sich hinaus,

führt ihn zum Licht aus dunklem Lustgebraus.


16

Der heut’ge Leibkult täuscht mit falschem Glanz,

macht Eros Ware, bietet ihn zum Kauf.

Der Mensch verliert im Taumel seine Ganz’

und kehrt zum Tier zurück im Triebverlauf.

Die Würde weicht dem kalten, stummen Tanz,

der Freiheit Geist schwebt hohl und leer darauf.

Verherrlichung wird schnell zu kaltem Spott,

zur Lüge wird das "Ja" – ein Nein zu Gott.


17

Die Liebe, will sie göttlich werden, rein,

muß reifen durch den Opfermut, der bleibt.

Nicht sich, den andern will sie ewig sein,

nicht Lust, die flüchtig über Felder treibt.

Agape nennt die Schrift das helle Sein,

das liebt und dient, das tief in Treue schreibt.

Sie sucht das Wohl des andern, nicht das Glück –

kehrt aus dem Selbst zur Schenkung sich zurück.


18

Dodim ist erst der tastend junge Blick,

das Suchen noch, von Sehnsucht nur getrieben.

Doch ahaba zeigt jenen Liebesstrick,

der bindet nicht, weil beide frei sich lieben.

Wer wahrhaft liebt, flieht nicht das Leid zurück,

er wählt das Opfer: „Ich für dich geblieben.“

So wird aus Eros eine heil'ge Spur,

ein Weg zur Gottheit – und zur eignen Kur.


19

Nicht Enthaltsamkeit aus Angst, die kalt verbannt,

noch Feindschaft gegen Lust in finst'rer Zucht –

der Aufstieg folgt dem Ruf in Gottes Land,

veredelt wird, was einst nach Tiefe sucht.

Im rechten Maß wird Trieb zum heil'gen Band,

wenn Liebe ihre wahre Größe bucht.

Die Glut, durch Geist erhellt, verzehrt nicht blind,

sie wärmt, verzeiht – wie Gottes Hauch sie find’t.


20

Denn Liebe ist kein Rausch, kein Flammenmeer,

das kurz aufflammt und dann in Asche fällt.

Sie ist ein Feuer, tragend, tief und schwer,

das still die Nacht der Einsamkeit erhellt.

Sie sieht den andern – nicht als Wunsch begehr,

sondern als Du, das sich in Freiheit stellt.

Sie will das Gute, selbst wenn’s Opfer heißt,

und in dem Opfer blüht der höchste Preis.


21

Was einst in Salomos Gesang erklang,

erklingt noch heut in sehnsuchtsvoller Brust.

Die Braut, der Bräutigam im Hochzeitsdrang –

ein Bild für jene Liebe ohne Lust,

die nicht verzehrt, was sie sich innig sang,

die nicht begehrt, doch dennoch liebt mit Lust.

Denn wer in Gott den Eros ganz versteht,

dem ist kein Opfer groß, kein Weg zu spät.


22

Christus, in dem die Liebe Fleisch geworden,

zeigt, dass im Leib auch Gottes Glanz wohnt.

Nicht Flucht noch Feindschaft ist des Leibes Orden,

wenn Geist im Fleisch wie eine Flamme thront.

Er heilte Eros, hob ihn über Borden,

dass Liebe nicht mehr blind im Dunkel wohnt.

Die Wunde wird zur Tür in Gottes Licht –

durch Schmerz und Treue wird das Herz zur Sicht.


23.

So ist die Liebe Pilgerweg und Ziel,

ein Aufstieg, der in Gott sich offenbart.

Nicht Sucht nach Glück, nicht rauschhaft-schnelles Spiel,

sondern Verwandlung, die das Herz bewahrt.

Sie leuchtet auf im Kreuz – das Liebes-Siegel,

das Schmerz und Gnade ineinander paart.

Im „Ich für dich“ wird Eros neu geboren –

ein Glanz aus Licht, der uns nicht mehr verloren.


24

O Liebe, Kraft, die über Sterne steigt,

die tief ins Herz des Daseins niederfährt,

du Hauch, der selbst dem Tod das Recht entzieht,

weil du in Schmerz und Kreuz das Leben lehrst:

Du rufst das Ich, das sich im Ich verneigt,

zur großen Wandlung, die kein Stolz begehrt.

Wer sich verliert in dir, der wird sich finden —

Du bindest frei, du löst, um neu zu binden.


25

Nicht Rausch bist du, der wie ein Traum verweht,

nicht flüchtig wie der Glanz von jungen Tagen,

du bist die Treue, die durchs Dunkel geht,

du bist das Ja inmitten von den Fragen.

Du bist das Wort, das ewig stehen bleibt,

wenn alle Stimmen schon verstummt und zagen.

Dein Ziel ist Ewigkeit in Zeit geboren —

der Mensch in dir wird neu und nie verloren.


26

Du willst nur einen, einzig diesen einen,

und willst das Immer, das kein Ende kennt.

Du lässt den Eros in der Tiefe weinen,

bis er sich selbst in Agape erkennt.

Denn alle Sehnsucht, all das dunkle Meinen

wird hell, wenn sich der Wunsch zum Opfer wendet.

Was ich nur nahm, will ich nun ganz verschenken —

und mich im andern endlich wieder denken.


27

Du bist der Weg aus meinem engen Kreis,

der Weg hinaus, hin zu des Andern Licht.

Ein Weizenkorn, das stirbt, wird dir zum Preis,

und das Vergehen birgt das neue Sicht.

Dein Feuer brennt, doch macht es niemand heiß —

es wärmt das Herz, doch zehrt das Ich nicht.

Du bist der Quell, den niemand selber schafft,

doch wer dich trinkt, wird selbst zur Lebenskraft.


28

Du bist nicht fern der Welt, nicht jenseits allem,

du bist im Fleisch, im Blick, im Brot, im Wein.

Du lebst im Ruf, im Handeln, in den Fallen,

und selbst im Scheitern kehrst du wieder ein.

Der Glaube, der dich sieht, beginnt zu lallen,

doch wächst in dir zur Klarheit, groß und rein.

Im Kind, im Kreuz, im Kelch und in den Wunden —

in allem hast du unsre Not verbunden.


29

Du bist die Stille, die im Lärm noch spricht,

der Trost, der ohne Worte trösten kann.

Du brennst, doch blendest nicht im Angesicht,

du rufst uns fort – und ziehst uns tiefer an.

Du schaffst im Mangel heilig Übergewicht,

weil du im Wenig schon das Ganze spannst.

Und wer sich dir in Armut ganz gegeben,

hat reicher nichts – als deinen Hauch: das Leben.


30

Du kennst den Durst, der in der Seele wohnt,

den Ruf nach Mehr, der alle Dinge sprengt.

Du hast im Fleisch das Göttliche bewohnt,

den Eros selbst zum Altar hin gelenkt.

Was einst nur nahm, wird jetzt mit Blut getront –

ein Gott, der liebt, ein Gott, der sich verschenkt.

Kein Götterspiel, kein Trugbild unsrer Triebe:

In dir wird Gott uns Mensch – aus reiner Liebe.


31

O Liebe, Kreuz und Krone bist du mir,

ein Dorn zugleich und Leuchte durch das Dunkel.

Du stehst nicht außen, du bist stets schon hier

im tiefsten Schmerz, im lächelnden Gefunkel.

Wenn ich mich selbst verliere ganz in dir,

erblüht aus Asche deiner Gnade Funkel.

Was sterben muss, wird ewig neu geboren —

nur wer dich wagt, hat Leben nie verloren.


32

Du bist nicht ohne Kampf – du kostest alles.

Du forderst mich, das letzte Hemd zu geben.

Du gehst durch Angst, durch Trennung, durch den Wall des

Ichs, das sich wehrt, geliebt zu sein im Leben.

Doch wenn ich falle, stützt du selbst den Fall – es

beginnt in dir das große Um-Erleben:

Nicht ich besitze dich in meinem Streben,

du bist das Band, du trägst mich ins Erleben.


33

Und so, o Liebe, wächst du stetig weiter,

vom ersten Blick zum Opfertod am Kreuz.

Du bist nicht bloß der schöne, schnelle Reiter,

du bist der Gang durchs Feuer, durch das Reiz-

lose Jetzt, das stumm und doch so heiter

ruht in dem Ja, das niemand je bereut.

Du führst zum Du, du öffnest Gottes Tor —

wer dich erfährt, der stirbt – und lebt empor.


34

Die Väter sah'n die Leiter himmelwärts,

wo Engel steigen, fallen, still und rein –

ein Bild für Sehnsucht tief im Menschenherz,

für Eros, der will göttlich innig sein.

Doch wer nur steigt, verliert das Leidensschmerz,

wer nicht hinabsteigt, bleibt im Glanz allein.

Der rechte Hirte liebt aus Gottes Macht,

weil er im Schweigen Mitleid neu entfacht.


35

Die Liebe ist nicht zweifach, sondern eins –

ein Feuerstrom aus Gnade, Geist und Glut.

Sie brennt in Jakobs Traum wie Morgenscheins,

sie heilt den Menschen und macht alles gut.

Im Eros wohnt die Sehnsucht himmelreins,

doch Agape trägt Lasten treu und gut.

Wer wirklich liebt, wird allem alles dann –

verzehrt im Dienst, der nur von Gott entstamm'.


36

Gott ist nicht fern, nicht stumm, nicht nur Idee,

nicht unbewegt, nicht bloß der letzte Grund.

Er ist der Eine, Quelle von Allemweh,

der liebt und wählt mit Herz und heil'gem Bund.

Sein Wort erschafft, es spricht: „Es sei!“ – o seh,

wie seine Liebe lebt in jedem Mund.

Nicht bloß geliebt, wie Griechen einst gedacht –

er liebt zuerst, hat uns ans Licht gebracht.


37

In Mose, der im Zelt mit Gott gered’t,

beginnt das Bild des Hirten, tief versenkt.

Vom Glanz des Herrn wird seine Stirn gebläh’t,

doch außen hat er sich dem Volk geschenkt.

Inmitten Gottes Glut und Menschennot

steht er, vom heil’gen Ernst der Pflicht gelenkt.

Er steigt empor in Gottes heil’gen Rat,

und kehrt zurück mit Trost für jede Tat.


38

Auch Paulus kennt den Aufstieg in das Licht,

wo unaussprechlich Gottes Wunder sind.

Doch steigt er ab, vergißt sich selbst und spricht

zum Schwachen, ist der Welt ein dienend Kind.

In beiden lebt dieselbe Liebespflicht,

die sich in Herz und Handlung neu verbindet.

Wer Gott erkennt, bleibt nicht in Einsamkeit,

er wird dem Bruder Licht und Zärtlichkeit.


39

Die Leiter steht – ihr Fuß auf Erden fest,

ihr Haupt berührt den Glanz der Ewigkeit.

Der Mensch, der liebt, wird niemals ruhelos,

wenn er im Dienst die höchste Freiheit weiht.

Denn Liebe sucht nicht sich, sie baut ihr Nest

im Schmerz, im Staub, im Laut der Sterblichkeit.

Sie hebt den Blick, doch bleibt sie ganz im Leid –

ein Gott, der liebt, wohnt stets in Menschlichkeit.


40

So sei die Liebe niemals bloß Gefühl,

nicht nur Entzücken, das sich selbst genießt.

Sie sei der Quell und auch das letzte Ziel,

die Kraft, die still durch dunkle Zeiten fließt.

Ein göttlich Feuer, stark in sanftem Spiel,

das Segen wirkt, wenn du es weitergießt.

Eros und Agape – nicht mehr entzweit:

die eine Flamme, die zum Himmel schreit.


41

Ein Bräutigam, der ewig treu geblieben,

umwirbt sein Volk, das oft den Bund zerbrach.

In Sehnsucht flammend, doch voll sanftem Lieben,

ruft er es heim — trotz Schuld und trotz der Schmach.

Der Eros Gottes, hoch hinauf getrieben,

ist mehr als Trieb: Er ist der heil’ge Bach,

der durch die Wüste göttlich süß sich windet,

der Schuld nicht straft, doch Liebe stets empfindet.


42

Bei Hosea bricht sein Herz in hellem Brand,

weil Israel den Götzen Opfern weiht.

Doch nicht das Urteil liegt in Gottes Hand,

sondern Verzeihung, die zur Treue leitt.

Wie gäb ich dich dahin, mein Heimatland?“

ruft er in Schmerz — und wandelt Zorn in Zeit,

in Zeit zur Umkehr, nicht zur dunklen Strafe,

denn Gnade wohnt dem Herzen, nicht die Waffe.


43

O Ezechiel, du sahst in tiefstem Traum,

wie Gott die Braut aus Blut und Staub erhob,

ihr Seide gab, ihr machte Haus und Raum,

doch sie verließ ihn, ward des Stolzes Lob.

Und dennoch liebt er sie — in altem Saum

kehrt sie zurück, der Bräutigam ist Job,

der Dulder, der in Liebe sich verströmet,

sein Herz verschenkt, auch wenn der Schmerz ihn lähmet.


44

Die Thora — Zeichen jener ew’gen Treue,

ist nicht Gesetz, das kalt und starr gebietet.

Sie ist der Blick, der Liebende erneue,

der zeigt, wie Menschsein sich im Licht vollendet.

Was ist das Glück? Nicht Silber, nicht die neue

Begier, die flieht, wenn sie sich selbst verschwendet.

Glück ist, in Gottes Nähe still zu leben,

in seinem Blick die Freude neu zu weben.


45

Und schließlich: Wer ist dieser Gott, der liebt?

Nicht Form noch Kraft allein, nicht bloß Idee.

Er ist, der schafft, der lebt, der alles gibt,

ein Feuerherz, das trägt, was ich nicht seh.

Er wird zum Menschen, geht, wo keiner blieb,

am Kreuz versöhnt er Gerechtigkeit und Weh.

Der Eros wird zu Agape, zum Licht,

das in der Nacht der Welt vom Himmel spricht.


46

Im Anfang war der Mensch allein im Land,

kein Tier vermochte ihm Gefährte sein.

Da schuf der Herr aus seiner eignen Hand

die Frau – als Spiegel seiner Seele, rein.

Fleisch von meinem Fleisch“ – so sprach er, stand

nun nicht mehr fremd dem Leben ganz allein.

Die Liebe ward zur Brücke zwischen beiden,

die hilft, in Gottes Licht sich zu entscheiden.


47

Nicht Strafe war es, dass der Mensch sich teilt,

nicht Schuld, dass er nach seiner Hälfte ringt.

Die Sehnsucht selbst ist’s, die in ihm verweilt,

der Ruf, der tief aus seiner Mitte dringt.

Der Mensch, zur Ganzheit ward er vorbemeilt,

wo Mann und Frau ein Leib – und Herz – gelingt.

Und dies, so lehrt uns Moses off’ne Schrift,

ist Gottes Bild: das Band, das Einheit stift’.


48

Doch nicht in Flucht ins Ich, nicht im Vergehen

in formlos göttlich-allumfassend Licht

liegt unsre Heimkehr. Nicht im Sich-Verstehen

des Selbst nur leuchtet Gottes Angesicht.

Der Mensch darf bleiben Mensch und darf bestehen,

er wird nicht ausgelöscht, verliert sich nicht.

Die Einheit, die uns mit dem Herrn verbindet,

ist Liebe, die den Eigenwillen findet.


49

Wer dem Herrn anhängt, wird ein Geist mit ihm“ –

so spricht der Apostel, der das Kreuz verstand.

Kein Ozean, kein Nirgendsein, kein Grimm,

nur Braut und Bräutigam, in ewigem Band.

Der Gott, der liebt, ist selbst kein ferner Rim,

kein Schatten nur, kein fernes, fremdes Land.

Er küsst die Erde mit der Gnade Lippen,

um uns aus Finsternis ans Licht zu kippen.


50

Drum ist das Hohelied nicht bloß Gesang

zweier Verliebten, die sich zart umwerben.

Es birgt, verhüllt in zärtlich süßem Klang,

die Glut des Bundes, der nicht soll verderben.

In jedem Hauch, in jeder Seufzerschwank

erklingt die Stimme, die nicht wird vererben:

Ich bin des Meinigen, der Meinige mein“ –

das Herz ruht still im Gottesliebeschein.


51

Im Innersten des Menschen ruht Verlangen,

Ein Feuer, das sich selbst nicht stillen kann,

Der Eros, tief ins Wesen eingegangen,

Bewegt, daß Adam suchend einst begann,

Verließ die Eltern, ohne zu verhangen,

Bis er die Frau, das Gegenbild gewann.

Erst „ein Fleisch“ wird Mensch in seinem Sein –

Zwei Hälften ganz, im Eros ganz allein.


52

Nicht minder schwer wiegt dies: der Eros weist

Zum Bund, zur Ehe – einzig, tief, für immer.

Ein Band, das Gott im Bild der Liebe kreist,

Ein Spiegelglanz des ewigen Vollzimmers.

Die Treue, die kein andres Maß mehr preist,

Entspringt der Flamme, nicht dem trüben Schimmer.

Was Gott uns zeigt in heil’ger Monogamie,

Wird Quelle für der Liebe Harmonie.


53

Doch mehr als Worte bringt das Neue Licht:

Der Logos selbst wird Fleisch in Raum und Zeit.

Nicht Theorie, nein – Gottes Angesicht

Erscheint in Christi liebender Geleit.

Das Lamm, das uns vom finstern Weg erbricht,

Erweist am Kreuz uns Liebes Wirklichkeit.

In seiner Seite, blutig, aufgespannt,

Wird Liebe Gottes sichtbar, zugewandt.


54

Beim Mahl der Nacht, da er das Brot genommen,

Gab er sich selbst, sein Fleisch, sein Blut, sein Sein.

Der Logos ward zu Speise uns gekommen,

Die Liebe selbst tritt in das Brot hinein.

Was einst als Manna über Wüsten frommen,

Wird nun zum Bund in Kelch und Hostienwein.

So zieht uns Christus in sein Opfer ein –

Ein Gott, der gibt, will in uns selber sein.


55

Nicht bloß allein empfängt der Mensch den Herrn,

Er wird mit allen Glied des heil'gen Leibs.

Die Einheit strahlt, als sei kein Herz mehr fern,

Ein Brot – und doch Gemeinschaft ganz im Reibs.

Die Gnade wirkt, als ob sie Flammen lern,

Ein Feuer, das die Grenzen niederstreibt.

Mystik wird hier zur tätigen Gestalt,

Die Gottes Nähe in die Liebe malt.


56

Denn wer den Herrn berührt, berührt zugleich

Den Bruder, der im selben Mahl empfängt.

In Christus gibt sich Gott uns menschenreich

Und will, dass Liebe sich ins Dasein senkt.

Die Agape, nicht flüchtig, nicht nur weich,

Wird Tat, die sich an Armen, Schwachen lenkt.

So wird das Sakrament zur Kraft, zum Licht,

Das uns zum Dienst aus Gnadenzentrum bricht.


57

Kein Gegensatz mehr trennt den Kult vom Tun,

Im Gottesdienst beginnt gelebte Pflicht.

Die Liebe, die wir dort empfangen nun,

Wird zur Bewegung, wird zum Angesicht.

Nicht bloß Gebot, nicht Moral aus Vernunft – nun

Ein Ruf, der aus dem göttlichen Herz spricht.

Denn Liebe, die uns selbst zur Gabe macht,

Ist Antwort auf die Gnade, die erwacht.


58

Vom reichen Mann, der einst in Prunk verglomm,

sein Ruf aus Flammen mahnt uns nun zur Reue.

Denn was er sah, als er zu spät vernomm’,

war Elends Not – und seine eigne Treue

zu sich allein. So geht ein Ruf uns fromm,

dass Liebe sei, was niemand je bereue.

Der Schrei durchbricht die Zeit, uns zu belehren:

Dem Nächsten helfen heißt, sich selbst zu ehren.


59

Der Samariter zeigt den heil’gen Sinn:

Nicht Blut noch Land begrenzt, wer Nächster sei.

Wo Not mich ruft, dort führt mich Liebe hin –

sie fragt nicht, wer, sie fragt nur: Wer ist frei

zu helfen, lindern, tragen, was ich bin

für jenen, der in seinem Elend schreit.

Der „Nächste“ wird zur Welt hin aufgebrochen:

Nicht Fernstenliebe nur – konkret gesprochen!


60

Das letzte Wort spricht Christus selbst als Richter:

Was ihr getan habt diesen Kleinen mein,

das tatet ihr mir.“ – Armer, Kranker, Wicht’ger,

sie sind das Bild des göttlich' Seins im Sein.

Nicht hohle Frömmigkeit, nicht fromme Lichter,

nur tät’ge Liebe wird uns Retter sein.

Was zählt, ist nicht, wie oft wir Gott benennen –

nur ob wir ihn im Bruder auch erkennen.


61

Kann man denn Gott, den niemand je gesehn,

mit Herz umfassen, das ihn nicht erblickt?

Wenn ich den Nächsten liebe, wird geschehn,

dass Gottes Hauch mein Innerstes durchzückt.

Wer Hass im Herzen trägt, wird nie verstehn,

wie Liebe Gott und Welt in eins geschickt.

Denn wer nicht liebt, was sichtbar, schlicht und nah –

wird blind für Gott, so fern und doch so da.


62

Doch blieb der Himmel uns nicht ganz verschlossen:

Der Sohn kam selbst, in dem der Vater spricht.

Er wurde Fleisch, mit Dornen einst umgossen,

sein Herz durchbohrt, sein Antlitz war Gericht.

In Brot und Wein ist Gott herabgeflossen,

in jedem Werk der Liebe sein Gesicht.

Im Wort, im Dienst, im Glaubensvolk auf Erden

kann Gottes Nähe offenbar uns werden.


63

Er hat zuerst geliebt – so lehrt die Schrift –

und dieses „Zuerst“ ist des Glaubens Grund.

Kein Zwang, kein Befehl schafft das Liebesgift,

es kommt von Gott, durchdringt uns Herz und Mund.

Denn Liebe, die sich nicht als Gnade trifft,

bleibt leerer Klang, nur wohlgeformter Bund.

Doch Gott hat sich uns sichtbar hingegeben –

drum kann auch Liebe in uns neu aufleben.


64

Nicht nur Gefühl ist Liebe, flüchtig, leicht,

das flackert auf, doch schnell im Wind verweht.

Sie ist, was sich dem ganzen Sein vergleicht,

ein Werk, das in der Tiefe reifend steht.

Wo Wille, Geist und Herz sich einigt, zeigt

sich, was als wahrer Eros aufersteht:

der Mensch, geheilt, aus Gott und Kraft geboren,

von sich entflohn, in Liebe neu erkoren.


65

Der Gott, der sichtbar wird im Liebesblick,

ruft nicht nur Freude auf in unserm Sinn.

Er fordert unser Denken und Geschick,

damit wir ganz in seinen Bund eingehn.

Denn wahre Liebe führt stets Stück für Stück

den Menschen tiefer in das Göttlich-Sein:

Sie ist ein Weg, kein Ort zum ewig Bleiben,

doch auf dem Pfad beginnt sich Gott zu schreiben.


66

Was einst Gefühl, wird nun zu freiem Wollen,

zu jenem Ja, das in der Tiefe reift.

Wir lernen, uns nach seinem Ruf zu zollen,

der uns mit seinem ew’gen Willen streift.

Gott ruft uns heim in seine heil’gen Hallen,

wo unser Herz in seine Ordnung greift.

So wird das fremde Wort zum eignen Triebe,

aus Innerstem erwächst die heil’ge Liebe.


67

Denn Liebe ist nicht fertig, nie vollbracht;

sie lebt im Wandel, wächst in ihrem Tun.

Sie wird im Sturm, in Tag und in der Nacht

zum Bild, das wir im andern wiederfuhn.

Idem velle — das Gleiche sei gedacht,

das Gleiche wollen, ohne auszuruhn.

So reift, was Gott mit uns im Innern spinnt:

ein Herz, das sich im Gotteswillen find’t.


68

Der Nächste, den ich kaum zuvor erkannt,

wird Spiegel jenes göttlich stillen Lichts.

Durch Christi Augen seh ich seine Hand,

die flehend tastet nach dem Trost des Lichts.

Die Liebe, die nicht rechnet, nicht verbannt,

ist größer als das Maß des äuß’ren Pflichts.

Ich schenk ihm mehr als Wort und gute Gabe —

ich werde Blick, der liebt, und stille Habe.


69

Ohne den Dienst am Bruder bleibt mein Glaube

ein leeres Klangbild, äußerlich und tot.

Wo ich nicht diene, welkt die heil’ge Taube,

die Gottesgeist in meine Seele bot.

Doch wo ich liebe, wächst mir Himmelslaube,

die Gottes Nähe innig mir verlot.

Nur wenn ich mich dem andern neu verschenke,

wird Gott in mir, was ich in Wahrheit denke.


70

So wurde Liebe Fleisch in heil’gen Händen,

in denen Brot zur Gottestat gereift.

Sie kann nicht ruhn, muss weiter sich versenden,

weil sie von dem, der ewig liebt, erschafft.

Durch sie wird Gott uns nah in allen Wenden,

der selbst in jedem Herz sich neu verkleift.

Was Gott vereint, das kann kein Mensch mehr trennen —

er wird in uns sich selbst beim Namen nennen.


71

O Liebe, göttlich, heilig, tief und rein,

du wirst das Wir, das alle Schranken sprengt.

Du lässt in uns den alten Streit vergeh’n,

weil du uns eins in seinem Willen lenkst.

Am Ende wirst du selbst das große Sein,

das alle Welt in Gottes Licht umfängt.

Dann ruht das Herz in ew’ger Liebesflamme —

und Gott ist alles, ist die letzte Flamme.


72

In heil’ger Pflicht, oh Sabine, strahlst du weit,

Die Liebe Gottes trägst du mild und rein,

Als Licht der Welt in finstrer Dunkelheit,

Bist du der Armen Trost, ihr sich’res Sein.

Bei Gott, der Caritas in Ewigkeit,

Erblüht dein Werk, vom Geist der Güte fein,

Die Nächstenliebe webst du sanft und klar –

Ein heil’ger Bund, dem Himmel wunderbar.