EIN POEM VON TORSTEN SCHWANKE
ERSTER GESANG
NIETZSCHE
Ein Geist von seltner Art geboren,
im Pfarrhaus kam er einst zur Welt.
In Röcken, wo der Herbst verloren,
ward Nietzsches Schicksal vorbestellt.
Er sprach mit Sturm und Flammenzungen,
war Philolog’ in jungen Jahren,
hat früh sich an den Geist geschwungen,
doch Krankheit ließ ihn bald erfahren:
Die Augen trüb, der Schädel schwer,
die Schmerzen wild – man sprach von Plagen.
Er litt, man gab ihm wenig mehr
als Diagnos’ von Migränetagen.
Doch später erst, viel Zeit entfloh,
kam Licht in diese dunklen Stunden:
Die Syphilis war seine Froh–
sorg, heimlich tief im Blut gefunden.
Der Geist verglomm, die Seele brannte,
der Dichter starb im Wahnsinn stumm.
Und dennoch, was er einst erfand,
bleibt ewig stark und zeitlos klug.
Ein Stern am Geisteshimmel war
Nietzsche, den Lou einst sah und kannte.
Er liebte sie – so wunderbar –
doch sie entschwand, blieb stets die Tannte.
Zweimal warb er, heiß beseelt,
und Lou sprach: Nein! – mit klarem Munde.
Sie fühlte wohl, was ihm gefehlt,
und rettet sich aus dunklem Grunde.
Denn hätte sie ihm Ja gegeben,
ihr Los wär seines bald gewesen –
ihr Glanz, ihr Werk, ihr freies Leben
wohl ausgelöscht in irren Thesen.
So ward aus einem Bordellgang
des Dichters tiefstes Leiden klar,
doch auch – o wundersamer Klang –
der Ursprung von so manchem Jahr:
Von Lou, von Rilke, seinen Liedern,
von Stundenbüchern, Sonetten zart,
von jenen Klängen, die uns widern
das Dunkel, das der Schmerz bewahrt.
So fließt aus einer welken Wunde
ein Strom, der andre Herzen nährt.
Der eine fällt in dunkle Stunde,
der andre blüht – vom Leid verklärt.
In Roms geheimnisvollen Nächten
traf Lou auf Rée – ein kühler Geist.
Er wollte mehr, doch ihr Verflechten
blieb Freundschaft, die nicht Liebe heißt.
Ein kluger Mann, doch nicht der eine,
den Lou in stillen Träumen sah.
Ihr Herz blieb frei, und doch – wie feine
Verbindungen wirkten stets nah.
Rée schrieb dem Freund von jener Frau,
so hell, so klug, so voller Feuer.
Nietzsche, berührt und seltsam rau,
sprach gleich von einem Eheheuer.
Er selbst kam nicht – er sandte Worte,
wie fremd, wie traurig und verstört.
In Genua, an fernem Orte,
war er vom Leben tief empört.
Doch kam es dann zum ersten Treffen
im Haus der Meysenbug in Rom.
Die Zeit – sie hielt in leisen Schleifen
die Sehnsucht wie ein Weltenstrom.
Nietzsche, er sah – und war verloren.
Ein Blick genügt’, ein helles Licht.
Ein Sturm von Träumen, neu geboren –
doch Lou erwiderte ihn nicht.
Er bat, er warb, er sprach in Flammen,
er stammelte von Seelenglut.
Doch Lou, sie hielt den Schmerz zusammen
und wich dem Drängen mit viel Mut.
Er fiel, er schwieg, er war gebrochen,
die Freundschaft wurde nun entzwei.
Ein Wort von Lou – wie ungesprochen –
ließ Rée und Nietzsche zieh’n vorbei.
Sie blieben nicht mehr lang in Nähe,
die Welt zerbrach in ihrem Licht.
Die "Dreieinigkeit" der klugen Spähe
verlor das Gleichgewicht – und bricht.
Doch aus dem Leid, aus diesem Ringen
entstand so vieles – ungewollt.
Die Dichtung, die wir heut besingen,
ward in dem Widerspruch gegrollt.
Denn Nietzsche schrieb – von Lou durchbrannt –
den Zarathustra, Glanz und Wunde.
Ein Mensch, der keinen Halt mehr fand,
verlor sich in der eignen Stunde.
In Rom, da ward das Wort geweckt,
von Rée zu Lou mit stillem Drang.
Er sprach von Nietzsche, tief versteckt,
von Geist, der Wahrheit kühn empfang.
In ihr entflammte das Verlangen,
den Denker selbst nun bald zu seh’n.
Sie träumt von Kreisen, frei von Zwangen,
wo Geist und Seele leicht verweh’n.
Doch Nietzsche, plötzlich fort, entwich
aus Genua nach Messina's Raum.
War es der Wahn, der rief ihn sich?
War's Schmerz? Wir wissen’s nur im Traum.
Ein Brief von Rée, voll Dringlichkeit,
erreicht den Denker, tief bewegt.
Er folgt dem Ruf, nach kurzer Zeit –
Rom wird vom Schicksal sanft erregt.
In heil'ger Halle trifft er Lou,
in Petersdoms erhab’nem Bau.
Er sieht – und neigt sich ihr im Nu:
„Von welchen Sternen kommst wohl du?“
Gemeinschaft wird nun bald entworfen,
ein Dreiklang soll das Leben sein.
Doch Nietzsches Herz beginnt zu hoffen –
und bittet Lou, ihm hold zu sein.
Sie lehnt ihn ab – doch sanft, bedacht,
verweist auf Ehe-Widerstand.
Auch ihre Rente wär' vollbracht,
gäb sie sich einem Ehestand.
Die Reise führt sie fort, im Mai,
nach Norden geht’s durch Alpenflur.
In Orta wird ein stiller Hai’n
zum Ort, wo etwas Großes nur...
...geschehen muss – auf heil’gem Hügel
sind Lou und Nietzsche lang vereint.
Er kehrt erregt, mit tiefem Spiegel
der Seele, die ins Fernste scheint.
Er hofft erneut – und trägt den Mut
nach Luzern, wo beim Löwenstein
er bittet noch einmal um Gut –
doch Lou bleibt standhaft, bleibt allein.
Ein Bild entsteht, ein Denkmal gar,
die "Dreieinigkeit" genannt.
Doch ewig bleibt, was einmal war –
ein Geistbund, keine Liebeswand.
Sie trennt sich bald – nach Hamburg führt
ihr Weg mit ihrer Mutter Hand.
Doch wieder wird der Plan gespürt –
zu Rée geht’s, in sein Heimatland.
Im Stibbe-Gut verbringt sie Zeit,
bis Bayreuths Bühne sie empfängt.
Dann zieht sie weiter, macht sich weit,
wo Nietzsche sie nach Tautenburg lenkt.
Hier schenkt sie ihm ihr Lebenslied,
ein „Lebensgebet“, voll Seelenkraft.
Er fasst es auf, in Klang geglied,
und macht daraus Musik mit Haft.
Sie sieht in ihm – nicht bloß System,
nicht kalte Logik, scharfen Sinn –
doch Glaubensglut und Gottes-Them’,
ein Sucher, der im Innern rinnt.
In Tautenburg, wo Wälder schweigen,
verbringen sie drei Wochen still.
Gespräche, die zum Himmel steigen,
und Lou erkennt: Er ist, was will.
Kein Denker bloß mit kalter Mine,
kein Bau von bloßem Argument –
ein Seher, der in dunkler Düne
nach jenem Licht am Rande rennt.
Sie sprechen lang von Gott und Fragen,
die keine Schule je gefasst.
Von Schuld, von Sein, von Menschentagen,
von Schmerz, der unser Leben hasst.
Er zeigt ihr nun, was er geschrieben,
aus „Wissenschaft“ mit frohem Ton.
Sie sieht: Der Zweifel kann auch lieben,
die Tiefe trägt den Gottesohn.
Ihr Lebensgebet, schlicht und rein,
legt sie in Nietzsches offne Hand.
Er liest – und hört im Innern schrein
ein Lied, das seine Tiefe fand.
Er fasst es auf in leisen Tönen,
ein Hymnus wird daraus gemacht.
Ein Lied, das jenseits aller Krönen
noch immer in der Seele wacht.
Doch Lou – sie spürt die dunklen Kräfte,
die Nietzsche innerlich verzehr’n.
Er ist zu groß für kleine Hefte,
sein Denken darf nicht still sich kehr’n.
Er ist ein Feuer, das verglühet,
ein Blitz, der nicht am Boden ruht.
Und wer zu nah ihm sich bemühet,
verbrennt sich leicht an seinem Blut.
Sie geht – nicht flieht – doch voller Ahnung,
dass dies nicht haltbar bleiben kann.
Kein Bund, kein Haus, kein Liebesplanung –
nur Sehnsucht nach dem Übermann.
Nietzsche, zurück in stillen Räumen,
wird schwermutsvoll und fast gebannt.
Er schreibt – in flammenden Säulen – Träume,
die Lou gewidmet, ungekannt.
Sie war sein Stern für diese Zeit,
ein Blick aus jenem Anderswo.
Doch ihre Spur, so klar, so weit,
verblasst nicht wie ein Weltenstroh.
Und Rée? Der bleibt, doch ohne Lachen.
Er hat erkannt, was niemals war.
Kein „Dreiklang“, der uns kann bewachen –
nur zwei, und einer bleibt Gefahr.
So endet dies in leisen Strophen,
ein Drama zwischen Geist und Herz.
Was sie gesucht, blieb unverhoffen –
ein Bündnis, tief und doch voll Schmerz.
In heiliger Dreiheit einst vereint,
Lou wählt den Rée als ihren Halt.
Was Nietzsche sprach, war oft gemeint
als Spott, verhüllt und kalt.
Es störte sie, wie Nietzsche sprach
von Rée, als wär er nichts mehr wert.
Ein Freund, der feindlich wurde, schwach
in Worten, scharf und schwer.
Noch einmal trafen sie sich drei,
im Herbst, in Leipzig, blass und stumm.
Was war, verrann — ein letzter Mai,
die Zukunft wurde krumm.
"Was mich entfremdete zuletzt,"
so Lou, "war dies: sein kalter Blick.
Wie oft er Rée verächtlich setzt –
das trieb mich Stück für Stück."
Die Dreiheit schmolz zur Zweisamkeit,
die Göttin wählte ihren Pfad.
Mit Paul in Berlin – neue Zeit,
die alte ward zur Saat.
ZWEITER GESANG
RILKE
Ein junger Dichter, fein und zart,
mit Namen Rilke einst genannt,
ward tief von Lou Andreas' Art
und Geist sogleich gebannt.
Geboren ward er früh in Prag,
der Vater streng, die Mutter stolz.
Sie führte ihn auf eigne Schlag,
in Mädchenkleidern stolz.
Die Schule kalt, der Zwang so schwer,
die Klostermauern eng und rau.
Doch glänzt er bald im Geiste sehr,
in Worten stark und schlau.
Die Militärbahn, ihr Verzicht,
erschöpfte früh sein stilles Herz.
Zu Linz dann fand er neues Licht
nach körperlichem Schmerz.
Ein Onkel half mit mildem Geld,
so lernte Rilke ungestört.
Der Wunsch, der ihn zur Dichtung hält,
ward stärker als gehört.
Er floh dann hin nach München weit,
studierte – oder tat's zum Schein.
Doch suchte er in jener Zeit
die Muse – nicht allein.
Im Frühling ward Lou ihm bekannt,
durch Wassermann geschah das Spiel.
Ein Händedruck, ein leiser Brand –
die Sehnsucht ward zum Ziel.
Sie war gereift, er kaum ein Mann,
sie Mutter fast – doch welch ein Blick!
Ein Zauber, der nicht weichen kann,
und Rainer ward aus Rilke.
Ein Brief, voll Glut, voll Dichterseh’n,
folgte der ersten Dämmerung.
"Mit Ihnen war ich ganz allein",
so schrieb er, tief und jung.
Der Jesus-Essay, wortgewandt,
hat ihn im Herzen aufgerührt.
Ein Geistesruf aus fremdem Land,
der ihn zur Lou geführt.
Ein Wort wie Feuer war ihr Klang,
sein Herz schlug auf in stiller Glut.
Er fand in ihr den Übergang
zu jenem Glauben, der ihm gut.
Sie schrieb, als spräch' ein heil’ger Stern,
was tief in ihm wie Flamme lag.
Er las es, wie ein Pilger gern
die Offenbarung an sich trag’.
Doch vor den Augen fremder Zeit
verschwieg er Dank mit stillem Sinn:
"Was teuer ist, bleibt ungeteilt,
ein leises Zeichen: Ich bin dein."
Er wollte ihr Gedichte weih’n,
die nie ein and’rer Blick geseh’n.
Er hoffte, sie im Licht zu sein,
wenn sie sich abends würd’ versteh’n.
Sie las die Zeilen, kannte sacht
die Hand, den stillen, kühlen Ton,
doch hat die erste Juninacht
sie kaum berührt, war schnell entflohn.
Er irrte suchend, Herz in Brand,
durch Münchens Gassen, unbemerkt,
mit Rosen in der zitternd’ Hand,
vom Warten leise müd’ gestärkt.
Drei Tage später trat er ein,
und las mit flammend leerem Blick
die Worte, die von Christus sein,
und von der Sehnsucht das Geschick.
Er schrieb ihr bald ein erstes Lied,
dann folgten viele, schwer und zart.
Bis Herbst war’s sie, die in ihm blieb,
die Göttin nah, die nie erstarrt.
Ein "Du" erklang — es war gescheh’n,
die Sprache ward nun Liebesbund.
In Wolfratshausens stillen Höh’n
wuchs aus dem Geist der Herzgrund.
Ein Sommerhaus, das "Loufried" hieß,
ein Fahnentuch im Abendwind,
ein Lied, das sich an Gott erschließt,
weil Herz und Mund in Liebe sind:
„Lösch mir die Augen aus: ich kann
Dich sehn, o Gott, ich hör Dich klar!
Du brichst mich – doch in meinem Bann
trag ich Dich fort, so wie Du warst."
Doch viele Zeilen gingen fort,
verbrannt, vergraben – weggemacht.
Nur eines blieb an jenem Ort,
vergilbt, aus einer Juninacht:
„Dann brachte mir Dein Brief den Segen,
Ich wußte, daß es Ferne nicht gibt.
Du kamst aus Licht und Sommerregen,
mein Frühlingswind, der ewig liebt.
Du warst der Weg in stillen Tagen,
den niemand je vor mir betrat.
In Dir darf ich mein Dasein tragen,
wie Nacht, die ihren Morgen hat.“
Am dreiundzwanzigsten Juli
trat Friedrich Carl heran,
ein Monat ward ihm zugedacht –
Rainer hielt still und nahm’s an.
Per Telegramm sein Kommen,
so wusste Rilke früh,
er zog sich schweigend etwas fort
und übte sich in Müh.
Doch Ende August entschwand man,
verließ das sanfte Land.
Lou kehrte heim nach Berlin –
mit Rilke Hand in Hand.
Ein Zimmer fand der Rainer
in Wilmersdorf als Hort,
doch zog er bald noch näher –
nach Schmargendorf, dem Ort.
Täglich war er bei Lou,
sie lebten nah vereint,
in Küche, Wald und Denken
war er, was sie gemeint.
Er kochte mit der Freundin,
sie sprach in klarer Kraft,
entzog ihm Posen, Überschwang,
formte des Dichters Saft.
Sie lehrte ihn den Nietzsche,
und Russlands Geist dazu,
er las in Turgénjews Werk
und fand des Tolstojs Ruh.
Er änderte den Vornam’
und selbst die Schrift so fein –
doch Lou erkannte deutlich:
das darf nicht ewig sein.
So schickte sie ihn reisen
im Frühjahr fort allein,
ein Tagebuch zu führen
sollt' Trost und Nähe sein.
Er reiste bis Florenz hin,
traf dort den Maler sacht,
Heinrich Vogeler hieß er,
der neue Wege macht.
Zweimal zog man nach Osten,
Russland lag weit bereit.
Im Jahre neunzehnhundert
blieb man auch lange Zeit.
In Kiew unter Pfingsten,
da stand ein Baum so stumm –
und Rainer sank zu Boden,
von Ängsten heimgesummt.
Lou war erschrocken, atmete
in Distanz sich nun ein.
Sie fuhr nach Rongas weiter –
und ließ ihn dort allein.
Silvester sprach sie leise:
„Ich will nur Stille, Raum –
wie vor den Rainerjahren,
zurück in meinen Traum.“
Im Januar bekannte
sie Kälte ohne Reu,
und dass ihr Herz zu Rainer
nicht mehr gehörig sei.
„Er muss fort!“ – so schrieb sie,
und bald darauf geschah’s:
Die Liebe wich, vergingen
die Tage ohne Maß.
Und Rainer – tief erschüttert –
blieb ewig doch ihr Freund.
Ein Brief zum Abschied kündet,
was letzter Blick gemeint.
Ich steh im Dunkel, blind vor Leid,
weil sich mein Blick zu dir verliert.
Der Tag ist wirr, voll Angst und Streit,
ein Vorhang, der dich mir entführt.
Ich starre, ob er sich nicht hebt,
der Schleier, der dich in sich schließt,
wo meine Sehnsucht heimlich lebt,
mein Leben – das du mir entrissst.
Du warst mein Licht, mein Lebensruf,
mein Ziel, mein Sinn – mein Herzensbrot.
Nun bist du fern – und fern genug,
zu sein mir Glanz und doch mein Tod.
Du schmiegt’st dich nicht in Spott an mich,
du warst wie Ton in schöpfrischer Hand.
Ein Bild erwuchs, fast göttiglich,
aus Träumen, die der Herzschlag fand.
Doch dann – die Hand ward müd’ und leer,
ihr Wille ließ den Ton allein.
Ich fiel aus Form, ich war nichts mehr –
zersprang in Schmerz wie harter Stein.
Du warst mir Mutter, warst mir Weib,
ein Freund, wie Männer selten sind.
Du warst ein Bild von stiller Leib,
und öfter noch: ein scheues Kind.
Du warst das Zarteste, das lebt,
das Härteste, das mich bezwang.
Du warst, was über Höhen schwebt –
und wurdest Grund, der mich verschlang.
Am Rande liegt das Künstlerdorf,
wo Moor und Himmel schweigen,
die Wolken ziehn in Stille fort,
als wollten sie sich neigen.
Dort war’s, wo Lou – noch fern, entfacht –
den Maler einst genannt,
der Rilke durch Italiens Nacht
in Florenz’ Gärten fand.
Die Liebe war ein leiser Klang,
der kaum zu klingen wagte,
ein Schimmer nur, der kurz empfing
und bald im Zweifel tagte.
Im August, zurück aus Russlands Weiten,
kam Rainer heim, verstört –
nach Kiews Wald, nach Liebesstreiten,
wo Weinen ihn betört.
Er fuhr sogleich nach Worpswede
und suchte Kunst und Ruh,
bei Vogeler, bei Malerkreden,
doch fern war ihm die Lou.
Clara trat nun in sein Leben,
die Bildnerin aus Stein,
sie formte mit so klarem Streben
den Leib, nicht das Allein.
Sie gaben Ruth, dem Kind, den Klang
des Namens jener Frau,
die Rilke längst im Herzen sang,
trotz Trennung, kühl und rau.
Doch war das Glück nur wie ein Licht,
das durch das Fenster fährt,
ein flüchtig Kind des Morgensicht,
das sich im Wind verzehrt.
Nach Paris zog er, dann in die Schweiz,
ein Wanderer im Geist,
sein Herz wie Glas – voll Poesie,
das still im Innern reißt.
In Val-Mont ruht der Dichtersinn,
von Krankheit müd gemacht,
die Leukämie – ein kalter Wind –
verwehte seine Nacht.
In Raron, hoch im Alpenraum,
liegt nun sein Leib zur Rast,
wo Wind und Licht aus stillem Traum
ihn einst begrüßt in Hast.
Ein Vers, den er im Sterben fand,
ziert seine letzte Gruft,
„Oh Rose“, flüstert’s durch das Land,
„in deiner Widerspruchsluft“.
Warum, o Lou, in Kiews Wald
zogst du dein Herz zurück?
Warum bliebst du so stumm, so kalt
in seines Weinens Blick?
Warum umfingst du nicht sein Leid,
wie einst, als Nacht euch war?
Warum verwehrtest du die Zeit,
die Trost in Armen bar?
Hat Liebe Grenzen? Weiß sie Rat,
wenn einer still zerbricht?
Ist Liebe Glanz – ein kurzer Pfad,
doch ewig hält sie nicht?
Was ist sie, Lou? Was bleibt zurück,
wenn alles sich verliert?
Ein Schmerz vielleicht. Ein Augenblick,
der uns zum Dichter führt.
DRITTER GESANG
FREUD
Sie war ein Stern, so hell und frei,
geboren achtzehn einundsechzig.
Bis heut’ bleibt sie uns stets dabei,
ihr Glanz verlischt noch lang und nicht.
Sie schrieb mit Geist, mit Mut, mit Kraft
in Büchern, dicht und voller Sinn,
als Philosophin, kühn erschafft
sie Werke, die noch heute ziehn.
Mit Nietzsche sprach sie tief und klar,
sein Bruderhirn, wie mancher schrieb.
Er bat sie zweimal – doch sie war
zu frei für ihn, zu groß für Lieb.
Sie zeichnete sein Bild zuerst,
ein Werk, das heute Geltung hat.
Dass sie ihn kannte, ehrt sie sehr,
ihr Stil war kühn, ihr Denken satt.
Mit Rilke verband sie zartes Band,
vier Jahre Herz, dann Freundschaft pur.
Ihr Briefwechsel blieb wohlbekannt,
ein Schatz der deutschen Literatur.
In Dichtkunst ward sie viel geehrt,
die Forschung hat sie neu entdeckt.
Doch was in Freud'scher Lehre währt,
hat mancher noch nicht recht geweckt.
Sie schrieb von Trieb und Frauensein,
von Narziss' Blick im tiefen Grund.
Doch blieb ihr Ruf im Dunkelschein,
man hört zu wenig ihren Mund.
Obwohl sie Freudens Freundschaft fand
und oft sein Lob sie zart empfing,
die Freud’sche Schule wandte sich
nicht oft zu ihr – ein leiser Ring.
„Gefährlich klug“, so schrieb der Freud,
von ihrem hellen, scharfen Geist.
Dass sie in Männerkreisen weilt,
zeigte, wie sehr sie Wissen speist.
Sie stand in Wien, im Mittwochskreis,
allein als Frau, doch nie allein.
Ihr Denken war von solchem Preis,
da konnte selbst der Meister staunend sein.
Karl Abraham, der Freud-Vertraute,
lobt’ sie mit Worten klar und rein.
Ihr Tiefblick, wie er selten schaute,
ließ selbst die Lehrer staunend sein.
So lebt sie fort in Buch und Wort,
in Seelen, die sie tief bewegt.
Ihr Geist, er fliegt von Ort zu Ort,
bis heut’ ihr Wirken weiterlebt.
Im Herbst des Jahres zwölf nach neunzehnhundert,
trat Lou, vom Geist bewegt und unerschüttert,
in Freuds gelehrte Wiener Runde ein.
Die Schülerin, noch still in ihren Fragen,
verharrte hörend, ohne sich zu wagen,
ihr Wort bei Mittwochsrunden laut zu sein.
„In der Schule bei Freud“, so schrieb sie leise
ihr Tagebuch – ein innerliches Reisen
durch Seelentiefen, forschend, fast allein.
Gespräche statt der Briefe, Aug’ in Aug’,
mit Freud, der sie in warmem Ton betraug,
ein Lehrer, dem sie scheu das Denken weihte.
Zurück in Göttingen, da floss der Brief –
der Weltkrieg kam, sein Schatten kalt und tief –
die Seele suchte Trost in Briefgeleite.
Im einundzwanzigsten dann Freud sie bat,
nach Wien zurückzukehren – sein Privat-
anliegen galt der Tochter, blass und still.
Für Anna, die sich selbst noch kaum verstand,
sollt’ Lou mit sanfter, mütterlicher Hand
das Bild der Weiblichkeit entwerfen – will.
Ein Sommerplatz am Semmering vereint
die Freud’sche Welt, die sich mit Lou vereint –
ihr Dasein wird vertraut und unverzichtbar.
Als Freud von seinem Krebsleiden erfuhr,
trat Krankheit in den Briefen durch die Tür –
ihr Mitgefühl war zärtlich, nie nur sichtbar.
In Tegel sah’n sie sich zum letzten Mal,
im Januar – ein flüchtig nahes Tal
des Abschieds vor dem endlichen Entgleiten.
Der letzte Brief kam sechzehn Jahr im Mai,
acht Monde später starb Lou still dabei –
ihr Echo blieb in Freuds Gedankenzeiten.
Er überlebte sie um zweieinhalb Jahr,
sein letzter Tag war Londons grauer Schar,
doch trug er ihre Stimme noch im Sinn.
„Versteherin par excellence“ – ein Lob
aus Freudscher Feder, warm wie Frühlingslob,
verlieh ihr Platz in seinem Innern drin.
Er ahnte Licht, wo er im Dunkeln las,
sie fügte das Symbol zum kargen Maß –
ihr Denken strahlte, wo seins sich verschloss.
„Kunst der Synthese“, seine leise Ehr’,
sie webte Geister zu lebendigem Meer –
und was er mied, sprach sie in Bildern groß.
Ein Gruß in stiller Klarheit,
zum fünfundsiebzigsten Jahr,
ein Wort aus treuer Wahrheit,
das ich ihm zu geben vermag.
So schlicht und doch erhaben,
so nüchtern, wie er war,
doch unter seinen Gaben
ein Feuer wunderbar.
Er las in Seelen wie Bücher,
durchdrang das tiefste Sein,
ein Arzt, ein kühner Sucher –
sein Denken war wie Stein.
Ich nannte ihn den Einen,
der ohne Furcht begann,
in Nächten, Leid und Weinen
das Kind im Ich ersann.
Er rührte keine Wunde,
die er nicht auch verstand,
gab Leiden einen Grunde,
hielt Träume in der Hand.
Sein Brief an mich – so milde,
ein Lob, das groß erschien,
sprach von des Geistes Bilde,
das durch die Worte schien:
„Ein Werk von seltner Klarheit,
nicht Lob, doch Wahrheit pur,
ein Bild mit leiser Wahrheit –
zurück zur Lebensspur.“
Nun ist die Stimme leise,
die einst mit Herz durchdrang,
sie wandelte auf Reise
der Seel' in klarem Klang.
Ein Weib, das frei von Schwächen,
von Eitelkeit und List,
durchs Leben konnte sprechen,
so wie man selten ist.
Sie kam einst her nach Wien,
voll offener Begier,
die Psychoanalyse schien
ihr wie ein inneres Tier.
Sie sagte leis Bedauern,
nicht früher war sie da,
das Leben ließ sie dauern
in kluger Seelenschau.