Zar Nikita und seine vierzig Töchter
Puschkin
Nachgedichtet von Torsten Schwanke
Zar Nikita lebte heiter,
reich und müßig, ganz bei sich.
Tat kein Übel, tat nichts weiter –
doch sein Reich gedieh prächtig.
Er aß, trank, ließ Gott sich loben,
zeugte Töchter ohne Zahl,
vierzig Schönste, auserkoren –
jede war ein Ideal.
Himmlisch war ihr Blick und Wesen,
süß im Herzen, sanft im Ton.
Augen wie aus Märchenlesen,
Stirn und Stimme – pur und schön.
Bein und Busen, Haar in Wellen,
Lippen wie vom Schöpfer neu –
doch da schien sich still zu stellen
eine Frage voller Scheu.
Denn – man will nicht frech benennen,
was so zart wie peinlich ist:
Etwas fehlte – kaum zu nennen,
etwas, das man schmerzlich misst.
„Nichts“, so murmelten die Leute,
„nichts – oder doch sehr, sehr klein.“
Aber was – das sagt man heute
lieber nicht im hellen Schein.
Der Zar, dem’s bald Sorgen brachte,
rief den Hof zur Konferenz:
„Wenn nur einer schwach drauf dachte,
gibt es Strafen – ohne Grenzen!“
„Wen ich fass beim bösen Denken,
wer nur andeutet, was fehlt,
wird an Glied und Zung’ sich kränken –
denn mein Urteil ist beseelt!“
Also schwieg das ganze Lande,
Zunge still, Gesicht ganz brav.
Doch im Herzen und am Rande
lachte man sich halb ins Grab.
Still und sittsam wuchsen beide –
Prinzessinnen und Verdacht.
Und der Zar, er suchte weise
Rat bei denen mit Bedacht.
Da trat leise vor die Menge
ein Berater, alt und klug.
Kratzte sich am Stirn-Gelänge
und gestand mit einem Zug:
„Herr, verzeih die freche Rede –
doch da war einst eine Frau,
eine, die bei solcher Fehle
wusste Rat – und zwar genau.“
„Einst war sie im Dorf bekannt,
half bei mancher dunklen Pein.
War als Hexe wohl benannt –
konnte heilge Wunder verleihn.“
„Wenn man sie nur finden könnte –
sie versteht von Frau und Mann.
Was im Leib sich leer befände –
füllt sie wohl mit Zauberkram.“
„Sucht die Hexe!“, sprach der König,
„Wenn sie lügt, wird sie verbrannt!
Doch erfüllt sie mir das könig-
liche Ziel, wird sie bekannt!“
Und so schickte er die Boten
heimlich an das Erdenrund,
mit dem königlichen Geboten,
rasch, doch schweigend, auf den Grund.
Jahr um Jahr verging vergeblich,
niemand fand der Hexe Spur.
Bis ein Mann – besessen redlich –
drang in eine finstre Flur.
Mitten in dem tiefen Walde
stand ein Häuschen, krumm und klein.
Und darin, in Hexenfalte,
lebte sie – ganz alt allein.
Er verbeugte sich in Eile,
sprach des Zaren seltsam’ Not.
Sie verstand’s in einer Zeile –
sah sofort die große Not.
„Komm in drei Tagen zur Stelle,
noch vor Aufgang der Gestirn.
Denn was ich beschwör zur Quelle,
geht dem Leib ganz tief ins Hirn.“
Drei Tage war sie verschwunden,
deckte sich mit Glut und Staub.
Zauberte in stillen Stunden –
rief den Teufel durch das Laub.
Und der kam, wie nie gesehen,
brachte ihr die Zauberkiste.
Drin war alles – ach, zu ersehnen,
was man heimlich doch vermisste.
Dinge, bunt und rund und leise,
lockig, warm, in zarter Form.
Einzeln, doppelt – jede Weise,
jede füllte Herzen fromm.
Die Hexe wählte aus mit List,
vierzig Seelen, leicht wie Rauch,
sie hüllt’ sie ein – wie’s Brauch wohl ist –
in Tuch und Zauberbrauch.
Ein Kästchen nahm sie, schloss es fest,
ein Schlüssel klirrte leis.
Dem Boten gab sie Silberrest
und schickte ihn im Kreis.
Er ritt in Dämmerung hinaus,
ein ordentlicher Mann,
aß wenig, trank den Wodka aus
und spann sich Träume an.
Er träumte: „Bald wird man mich sehn
am Zarenhof als Graf!“
Ein Prinz vielleicht – es wär’ so schön,
wenn man ihn hoch hinwarf.
Doch was wohl birgt das Hexenkiste?
Er späht, doch sieht er nichts.
Die Neugier nagt, sie sticht und frisst
bis tief ins Mark des Lichts.
Er horcht – vergebens! – riecht daran:
Ein seltsam süßer Duft…
„Was ist nur drin?“, denkt er sodann –
ein Wispern in der Luft.
Und plötzlich, ach! – er hält’s nicht aus,
der Deckel springt, ganz sacht –
da flattern Vögel aus dem Haus
wie Feen aus der Nacht.
Sie singen, fliegen Baum an Baum,
sie schwingen stolz den Schwanz –
er ruft sie mit Gebäck und Traum –
doch keiner folgt dem Kranz.
Da kommt gebeugt, mit Stock und Schuh,
eine Alte ihm entgegen.
Er fleht sie an: „Was tu ich nun?“
Sie spuckt, will kaum bewegen.
„Du Narr!“, spricht sie, „du Dummerchen –
zeig nur, was sie verlockt!“
Er tut’s – und siehe da: Im Nu
kehrt jede, die gestockt.
Er sperrt sie ein, ganz ohne Hast,
und reitet heim geschwind.
Die Prinzessinnen, zart und fast
verliebt, sind froh gesinnt.
Sie stecken sie in goldne Käfige,
der Zar lacht, freut sich sehr.
Ein Fest beginnt mit Mägden, Jünglingen,
es rauscht und klingt ein Meer.
Sie feiern sieben Tage lang,
ein Monat wird geruht.
Der Zar, voll Gunst und Wohlgesang,
belohnt mit reichem Gut.
Die Hexe kriegt – o feine Gunst! –
aus Kunstkammer Geschenk:
Ein Kerzenstummel, feuchte Kunst,
der in Alkohol versenkt.
Zwei Skelette, zwei Igel auch,
sie waren halb verwest…
Der Bote kriegt sein Silberbrauch –
nun ist das Mär zu End.
Epilog :
Und wenn ihr fragt: „Was soll der Spaß?
Was reimt der Narr so lose?“
Ich lach und sag: „Weil’s Freude war –
und weil ich’s eben so wollte.“