VON TORSTEN SCHWANKE
PROLOG
Wenn ich nur Kunst und Rede hätt’,
Zu sagen wohl, was ich gedacht,
Wie einst, da große Dichter tät’,
Gower, Chaucer, Lydgate – mit Macht,
Dann möcht’ ich ernstlich übersetzen
Das Leben der Sankt Anna fein
In unsre Sprach mit heil’gen Letzen –
Doch ach, ich fürcht’, es wird nicht sein.
Denn alt bin ich und müd’ zum Werke,
Mein Lebenspfad geht bald zu End’;
Der Tod steht nah mit kaltem Stärcke,
Er spannt den Karren, nimmt mich, wenn’s brennt.
Ich kann nicht wider ihn bestehn,
Wie sehr ich ihn auch hass’ im Leid;
Sein harter Griff wird nicht vergehn,
Er raubt mir Stund’ und Lebenszeit.
Drum dünkt mich nun, es wär’ das Beste,
Ich ließ das Dichten hier zurück,
Und zög mein Herz in fromme Feste,
Zu ändern Sünd’ durch Gnad’ und Glück.
Denn höchste Kunst ist dies allein: –
Zu sehn, was Unrecht war in mir,
Und Besserung mein Ziel zu sein,
Solang noch Zeit ist für die Zier.
Denn wer in Reue lebt und strebt,
Solang er auf der Erde weilt,
Der, wenn sein Geist den Leib erhebt,
Wird selig sein – Gott hat geteilt.
Doch hoff ich auf der Gnaden Güte,
Von Jesu Christ und Marien schön,
Wenn ich mit allem, was ich hüte,
Ihr heil’ges Leben will verstehn.
Will Sankt Annens Stammbaum ehren,
Die Andacht zu entflammen dann;
Und wenn mein Denken Irrtums Lehren
Enthält – ich nehm’s mit Ernst sodann.
Ich schreib’s mit Vorsicht, sanftem Sinn,
Nie wider Glaub’ und gutes Tun;
Und seh ich Fehls, so streb ich hin,
Mit aller Kraft, es gut zu tun.
Bevor ich aber weiter schreibe,
So bitt’ ich euch, die dies hier lest,
Erwartet nicht, dass ich verbleibe
In hoher Kunst – sie macht mir Fest.
Denn Cicero war nie mein Lehrer,
Noch trank ich je aus Musenquell,
Nie sang Apoll, kein Lied war fairer,
Das mir ertönte – nicht so schnell.
Ich kann nicht rühmen süße Flammen,
Wie Proserpina einst geraubt,
Ich war nie bei den Musendamen,
Der Muse Klang blieb mir erlaubt.
Und doch – ich will nicht ruhn in Schweigen,
Für dich, mein Freundin, lieb Kathrin,
Solang mein Herz kann Worte zeigen,
Lass Gnad’ mir Licht im Dichten ziehn.
Bittet die Jungfrau, die so mild,
Der heil’gen Anne Tochter zart,
Dass sie ein Lichtlein mir enthüllt,
Und Kraft mir in dem Werke ward.
Dass ich es kann zu End’ auch bringen,
Eh’ Tod das Lebensband zerschneidt;
Und möge uns ihr Segen klingen,
Uns schützen hier und dort im Leid.
O Perlenfürstin, Reine Frau,
Du Edelstein der Mägde klar,
Du hilfst, wenn ich in Not erschau,
Und jedem, der dich fleht, ganz nah.
Gedenk aus deines Wesens Gnade
Meines Gebets, mein Herz ist schwer –
Ich will von deinem Stamm in Pfade
Der Ehr’ dir singen, immer mehr.
Vor allem deiner Mutter Glanz,
Die Wurzel deines edlen Sein,
Die dich gestillt mit sanftem Kranz,
Und führte dich zum Tempel rein.
So schenk, o Frau, mir deinen Blick,
Dass ich im Himmel euch mag sehn,
Wenn endlich ich, vom Tod zurück,
Darf mit euch durch die Himmel gehn.
ERSTER GESANG
Joachim war reich an Gut,
gab dem Herrn in heilger Glut,
sprach: „Mein Teil sei dem Volk gegeben,
und Gott zur Sühne sei mein Leben.“
Am großen Tag sprach man ihn an:
„Du darfst nicht opfern, du bist kein Mann,
der in Israel Frucht gebracht.“
Das hat sein Herz betrübt gemacht.
Er las das Buch der Stammesschrift
und sah, was Gott den Vätern gifft:
„Isaak ward Abraham spät beschert,
so sei mein Herz noch nicht zerstört.“
Er floh hinfort in Wüstennacht,
fastete dort vierzigfach,
sprach: „Kein Brot, kein Wasser mein Teil,
bis Gottes Blick auf mich noch weil.“
Anna daheim in Leid und Pein,
klagt ihr Los im Kämmerlein:
„Ich bin der Frauen tiefste Not,
ohne Frucht, dem Volk ein Spott.“
Die Magd sprach mild: „O Herrin mein,
zieh das Tuch des Festes ein.
Trauer steht dir heut nicht mehr,
der Tag des Herrn ist bald schon hier.“
Doch Anna weint: „Was soll mein Kleid,
wenn Gott mich lässt in Einsamkeit?
Vielleicht ist’s List und nicht von Gott —
geh, und lass mich mit meinem Spott!“
Da legte sie ihr Trauerkleid ab,
wusch das Haupt und ging zum Gartengrab.
Sie setzte sich zum Lorbeerbaum
und betete laut im Abendtraum:
„Wie du der Sara hast gegeben,
so gib auch mir ein neues Leben.
Ein Kind nur, das mein Herz erfreut,
dann sei mein Dienst dem Herrn geweiht.“
Sie sah im Baum ein Vogelnest —
ihr Herz sich in die Klage presst:
„Weh mir! Warum ward ich geboren,
verflucht und fruchtlos, ganz verloren?
Nicht wie die Vögel, die dich preisen,
nicht wie das Vieh auf allen Reisen,
Nicht wie das Wild im grünen Land,
nicht wie das Wasser, das dich fand.
Selbst die Erde trägt in Pflicht —
nur ich, ich bringe Frucht dir nicht!“
Da trat ein Engel licht heran
und sprach: „Der Herr sieht dich jetzt an.
Du wirst gebären, voller Gnaden —
der Welt wird deine Frucht nicht schaden.“
Und Anna sprach: „Was ich gebäre,
dem Herrn sei’s ganz — es dient in Ehre!“
Ein zweiter Engel rief sodann:
„Sieh, bald kehrt heim dein treuer Mann.“
Und siehe, Joachim kam geschwind
mit Lämmern, Kälbern, opfernd lind.
Er rief die Hirten, sprach sein Ziel:
„Dem Herrn sei alles, was ich will.“
Da lief Anna ihm entgegen,
voller Tränen, ohne Zögern.
„Gott hat mich gesegnet, o wie sehr —
die Kinderlose ist’s nicht mehr!“
Am nächsten Tag, zur frühen Stund’,
bringt er sein Opfer – mild, gesund.
Und spricht bei sich, voll heil’ger Ehr:
„Lass sehn das Petalos, o Herr!“
Er harrt, bis auf dem Altar stand
das Opfer — Segen aus Gottes Hand.
Und als kein Makel ward erkannt,
fühlt er sich rein, von Schuld entbannt.
Er steigt hinab vom Heiligtum,
sein Herz erfüllt von Heil und Ruhm.
Daheim, nach Monden (ungefähr
sechs zählt man, doch im siebten mehr),
gebiert die Anna – leise, klar.
Die Hebamm’ fragt sie, wie’s wohl war.
„Ein Mädchen!“ spricht die weise Frau.
„Gepriesen sei ich, mild und rau!“
„Mein Herz ist hoch erhoben heut –
der Fluch ist fort, mein Leib erneut.“
Sie stillt das Kind mit zarter Hand
und nennt es: Maria – Gottes Pfand.
Es wuchs das Kind, so stark und rein,
mit jedem Tag im Sonnenschein.
Mit sechs Monaten – welch’ Bild! –
stellt Anna sie auf Erden mild.
Da ging sie sieben Schritte leicht,
zur Mutter hin, das Ziel erreicht.
„So wahr der Herr mein Zeuge sei –
du bleibst in heil’ger Hut dabei!“
Ein heil’ger Ort wird ihr bereit’,
geschützt vor jeder Dunkelheit.
Die reinen Töchter rief sie dann,
die Tochter Gottes sah man an.
Ein Jahr verstrich, mit Festgeschick,
Joachim blickt voll Stolz zurück.
Er ruft die Priester, ruft das Land –
mit Marias Namen wohlbekannt.
Sie segnen sie mit frohem Klang:
„Ein ew’ger Name, hell und lang.
Der Herr der Höhen segne dich –
mit höchstem Segen ewiglich!“
Da stillt sie Anna, singt im Chor
ein Lob, das dringt zum Himmelstor:
„Ein heilig Lied will ich erheben,
dem Gott, der mir das Kind gegeben.
Wer hört: Die Frucht der Gerechtigkeit –
in meiner Brust liegt sie bereit!
Sagt Ruben’s Söhnen, lasst es klingen:
Anna darf ihr Kindlein singen!
Hört, hört, ihr Stämme allzumal –
Israel sieht Gottes Strahl!“
Die Jahre ziehn in sanfter Pracht,
das Kind wird groß in stiller Macht.
Da sprach Joachim still und wahr:
„Erfüllen wir, was einst geschah.“
„Ins Heiligtum, wie einst gelobt,
sei sie dem Herrn nun ganz verlobt.
Doch Anna fleht: ‚Noch bleibt sie klein,
erst mit drei Jahren soll es sein.‘“
Im dritten Jahr, bei Fackelschein,
ruft man die Töchter, weiß und rein.
Sie sollen mit dem Licht ihr nah’n,
damit kein Blick zurück kann fahr’n.
So steigt das Kind den Tempel hin,
das Volk in Stille, andächtig drin.
Der Priester küsst sie, segnend hell:
„Dein Name sei in Ewigkeit schnell.“
„Durch dich wird Israel erlöst –
am letzten Tag, wenn’s Gott entblößt.“
Er setzt sie auf die dritte Stuf’,
der Altar glänzt im Himmelsruf.
Und Gottes Gnade liegt auf ihr –
sie tanzt – das Volk liebt sie dafür.
Und ihre Eltern gingen nieder,
voll Lob und heil’ger Gottesfurcht.
Sie priesen laut des Herren Lieder,
der nicht von ihnen sich verbarg.
Wie eine Taube, licht und leise,
im Tempel Gottes war das Kind.
Ein Engel nährt sie dort im Kreise,
wo Himmelsgaben stetig sind.
Als sie zwölf Jahre war geworden,
sprach Rat der Priester voll Bedacht:
„Sie ist nun reif – doch nicht für Orden,
dass sie das Heiligtum nicht bracht.“
„Geh du, der du am Altar dienest,
und bitte Gott um seinen Rat.
Was er dir zeigt und was er saget,
sei uns das Wort, sei uns die Tat.“
Der Priester ging mit Glöckchen zwölfen
ins Allerheiligste hinein.
Ein Engel kam – in heil’gem Helfen
sprach er zu ihm im Glorienschein:
„Ruf alle Witwer aus dem Lande,
lasst jeder bringen seinen Stab.
Dem, dem des Herrn Zeichen erstande,
dem sei das Mädchen anvertraut.“
Und Herold ging durch Berg und Weiten,
Judäa horchte auf den Klang.
Die Posaun’ des Herrn ließ alle schreiten,
die Kunde ging das Land entlang.
Da legte Joseph still das Beile,
verließ die Werkstatt, ging hinaus.
Er folgte Gottes heil’ger Zeile
und trat zu jener Schar voll Braus.
Sie kamen alle vor den Priester
mit Stäben, schlicht aus Holz gemacht.
Er betete wie einst der Tröster,
und Hoffnung stand in heil’ger Nacht.
Die Stäbe gab er dann zurück –
doch keines trug ein göttlich’ Zeichen.
Kein Wunder kam, kein Blitz, kein Glück,
die Stirnen fielen still und bleichen.
Doch als zuletzt den Stab er reichte
dem alten Joseph, fromm und treu,
da kam herab – wie Gott es zeigte –
ein Zeichen aus des Himmels Scheu:
Ein Täubchen stieg aus seinem Holze,
es flog und saß auf Josephs Haupt.
Da sprach der Priester ohne Stolze:
„Gott hat dir Seine Braut erlaubt!“
Da sprach Josef, vom Alter nieder,
mit zögernd Herz, doch Gott in Ohr:
„Ich bin ein Greis mit zarten Gliedern,
sie jung – ich tret’ vor Spott empor.“
Der Priester aber rief in Beben:
„Fürchte Gott, wie Er einst sprach!
Dathan, Korach – sie verloren Leben,
weil sie sich Gott zum Spotte mach.“
„So nimm das Kind in heil’gem Treue,
bewahre sie vor allem Gram!
Dass nicht Unheil dein Haus bereue,
wie’s einst der Erde Rachen nahm.“
Und Joseph neigte still sein Antlitz,
in Ehrfurcht nahm er sie bei sich.
„Ich bin nur Hüter“, sprach er schlicht,
„und Gott, der Herr, ist königlich.“
„Ich nehm dich auf in mein Gemache,
doch zieh ich bald in Fremde weit.
Ich will erbauen Gottes Sache –
der Herr sei dir Geleit und Kleid.“
Ein Rat ward von den Priestern allen
beschlossen in der heil’gen Stadt:
„Ein Vorhang soll zu Ehren wallen,
den unser Tempel nötig hat.“
„Drum ruft herbei die reinen Frauen,
aus Davids Stamm, unnahbar, licht!“
Sie gingen aus in stillem Trauen,
und sieben kamen ins Gericht.
Da fiel ihr Blick auf jene Reine,
die Gott geweiht, dem Himmel nah.
Sie riefen Maria, die alleine
noch makellos im Geiste war.
Sie brachten sie zum Heiligtume,
der Priester sprach mit heil’gem Sinn:
„Bringt edles Garn und feine Blume,
das Werk der Weiber sei Gewinn.“
„Gebt Seide mir und Goldgespinste,
Byssus und Purpur, echtem Glanz,
Hyazinth, Scharlach – aller Künste
verehret Gott durch Webetanz.“
Maria nahm den echten Purpur,
den Scharlach rot wie Abendschein.
Sie trug ihn heim in stillem Fluchspur,
ihr Werk begann im Kämmerlein.
In dieser Zeit, da Zacharias
verstummte durch des Himmels Kraft,
ward Samuel als Priesterarias
berufen, bis er Sprache schafft.
Maria aber spann in Frieden
den Scharlach, ganz in Andacht still.
Ihr Faden floss aus Gottessieden,
ihr Herz, das Gott nur füllen will.
Sie nahm den Krug mit stillen Händen
und ging hinab zum kühlen Quell.
Die Quelle rauschte ohne Enden,
der Tag war sanft, die Luft war hell.
Da rief sie an – o seltsam‘ Stimme! –
ein Wort, das wie von oben kam:
„Sei du gegrüßt, du Gnadenschimmer,
der Herr ist da, du Gottesnam!“
Sie blickt zur Rechten, blickt zur Linken,
wer diese Stimme zu ihr sprach.
Sie fühlte ihr Herz heftig sinken
und eilte heim in heil’ger Schmach.
Den Krug stellt sie mit zitternd Händen
im Haus zur Seite, stumm und bang.
Dann nahm sie Garn aus Gottes Spenden
und spann den Purpur stundenlang.
Da stand ein Engel vor den Matten,
sein Licht war sanft wie Morgenglut.
Er sprach: „Fürchte dich nicht, du Schatten
des Herrn – in dir ist Gnade, Mut.“
„Du wirst empfangen aus dem Worte,
das Gott in dich lebendig legt.
Nicht wie es Frauen stets vor Ort’
doch wie der Geist dich tief bewegt.“
Maria horchte, staunte, bebte:
„Wie soll ich tragen, was er will?
Bin ich nicht die, die nie gelebte
wie Frau, die Männersehn erfüllt?“
Da sprach der Engel klar und milde:
„Nicht durch des Mannes Willenskraft.
Gott selber wirkt durch dich das Bild,
das seine Macht lebendig schafft.“
„Der Geist wird dich in Kraft umschatten,
darum ist, was du trägst, ganz rein.
Ein Sohn wird dir im Schoß ermatten,
er wird des Höchsten König sein.“
„Den Namen Jesus sollst du geben,
denn er befreit aus Sünd und Schuld.“
Da sprach sie: „Hier bin ich zum Leben,
Magd Gottes bin ich, ganz in Huld.“
„So wie du sprachst, soll es geschehen –
nicht mein, nur Gottes Wille gilt.“
Und Engel gingen, kaum zu sehen,
ihr Blick war still, ihr Herz war mild.
Und sie vollendete das Werk
aus Purpur, rot und rein,
und trug es still zum Priester hin,
den Segensspruch zu sein.
Er hob die Hände über sie
und sprach im heil’gen Klang:
„Gesegnet sei dein Name hier
durch jedes Volk und Land.“
Voll Freude eilte sie sogleich
zu Elisabeths Haus.
Sie klopfte sanft, der Schleier fiel,
die Tante trat heraus.
Sie ließ den Faden aus der Hand,
lief rasch zur Tür, bewegt,
und segnete mit frohem Herz
die Frau, die in sich trägt:
„Warum, o meine Herrin, du –
die Mutter meines Herrn –
trittst du zu mir? Das Kind in mir
hüpft auf, dich zu verehrn.“
Maria neigte tief ihr Haupt
und hob die Stimme dann:
„Wer bin ich, dass mein Name sei
bei allen Frauen bekannt?“
Sie blieb drei Monde an dem Ort,
ihr Leib wuchs Tag für Tag.
Dann schlich sie sich, voll Furcht und Scheu,
ins Haus zurück bei Nacht.
Denn noch war sie ein junges Kind,
sechzehn in Lebenszahl,
als sich die Worte Gabriels
erfüllten – wunderbar.
Im fünften Monat kehrt zurück
Josef von Werk und Pflicht.
Er trat ins Haus – und sah sogleich
das Licht in ihrem Blick.
Doch sah er auch: Ihr Leib war rund,
der Schleier lag nicht glatt.
Er rang die Hände, sank hinab
und sprach in tiefster Not:
„Wie soll ich nun vor Gott bestehn?
Wie beten für sie nun?
Ich nahm sie rein aus seinem Haus,
doch konnt ich nicht behüten.
Wer raubte mir das heilige Gut?
Wer hat dies Werk getan?
Hat mich getäuscht ein böser Geist,
so wie bei Adam einst?
Er lobte Gott – da kam die Schlange
und fand die Eva leer,
verführte sie, und siehe da –
nun steh ich ähnlich hier.“
Dann rief er sie mit schwerem Blick,
mit zitternder Gestalt:
„O du Geweihte Gottes selbst,
was hast du falsch gemacht?
Vergasest du den Herrn so bald?
Du, die mit Engeln saß,
die Gottes Nahrung einst empfing –
du fielst aus Gottes Maß?“
Da weinte sie, sprach flehend aus:
„Ich bin noch immer rein.
Ich hab keinen Mann erkannt,
kein Mensch ging je an mich ein.“
„Doch was“, so sprach er zorngebannt,
„ist dann in deinem Leib?“
Sie hob den Blick: „So wahr Gott lebt,
ich weiß nicht, wie das kam.“
Er zog sich schweigend von ihr fort,
voll Furcht und Zweifel schwer.
„Verheimlich ich’s, ist’s gegen Gott,
und sag ich’s – sündig mehr.
Was, wenn es göttlich ist, dies Kind,
vom Engel gar gesandt?
Würd ich dann Blut, das heilig ist,
verstoßen mit der Hand?“
So sprach er leise in der Nacht
und schlief mit müdem Herz.
Da trat ein Engel zu ihm hin,
entzog ihm sanft den Schmerz:
„Fürchte dich nicht, Maria nimm –
das Kind in ihr ist rein.
Es stammt vom Geiste Gottes selbst,
es soll der Retter sein.
Du sollst ihm geben diesen Namen:
Jesus – Gott ist Heil.
Er wird sein Volk erlösen bald
aus Schuld und Sündenpein.“
Da wachte Josef, stand voll Kraft
und pries den Herrn erneut.
Er schützte sie, die Gott erwählt –
die Mutter voller Freud.
Da sprach der Schriftgelehrte kühn:
„Warum warst du nicht da?“
„Ich war auf Wanderschaft und mühn,
drum blieb ich still dem Rat.“
Er wandt sich um, er sah sogleich
die Jungfrau, schwer und rund.
Da rief er: „Dieses Weib ist weich
vom Wege, nicht gesund!“
Vor Priesters Ohr kam schnell die Klag:
„Sie lebte nicht allein.
Ihr Bund mit Josef, heimlich, frag –
soll dies Gesetz noch sein?“
„O Josef,“ sprach der Hohe Stand,
„was tatest du geheim?“
„Du findest sie mit eigner Hand –
sie ist nicht mehr so rein.“
Man führte sie, voll Furcht und Not,
ins Heiligtum zurück.
„Maria,“ sprach er, „du in Brot
der Engel – was für Blick!“
„Du hast den Herrn vergessen ganz?
Du warst so heilig stets!“
Sie weinte, sprach mit festem Glanz:
„Kein Mann, der mich verrät!“
Und Josef rief, mit ernster Kraft:
„Ich bin von Schuld doch frei!
Der Christus selbst, der Wahrheit schafft,
ist Zeuge mir dabei!“
„Doch hast du, Josef, dies getan –
der Ehe still entronn’?
Du ließest unterm Himmelsspan
nicht segnen deinen Sohn!“
Und Josef schwieg, sein Herz so schwer –
der Worte waren fort.
Der Priester aber sprach nunmehr:
„So bringt das Wasser dort!“
„Trinkt nun das Wasser, klar und rein,
und Gott wird offenbaren,
ob Sünde ist in euch, ob Schein –
der Herr lässt Wahrheit fahren!“
Sie tranken beide, Mann und Frau,
und zogen in das Land.
Doch keine Schuld, kein finstrer Bau
stand zwischen Gottes Hand.
Da staunte Volk, da sprach das Haus
des Priesters ohne List:
„Wenn Gott nicht richtet, geb ich’s aus:
Ihr seid, was Wahrheit ist.“
Und Josef nahm sie bei sich auf
mit lobendem Gesang.
Dem Gott Israels, voll Lieb und Lauf,
erscholl ein Lob so lang.
Ein Befehl vom Kaiser kam:
„Zählt jedes Kind und Weib!“
Da sprach der Greis mit Seufz im Gram:
„Doch sie – wie soll ich’s schreiben?“
„Nicht Tochter ist sie, nicht mein Weib –
was sag ich, wenn man fragt?
Der Herr wird tun, was er mir zeigt,
wenn sich der Tag verklagt.“
Er sattelt still des Esels Leib,
setzt Maria drauf.
Und Samuel, sein Sohn, dabei
zog sie des Weges Lauf.
Sie kamen an den Meilenstein,
da sah er ihr Gesicht:
Bald düster war ihr Blick und klein,
bald lachend hell das Licht.
„Maria, sag, was siehst du nun,
dass du so wandelst schnell?“
„Ich seh zwei Völker vor mir tun –
eins weint, das andre hell.“
Da bat sie ihn: „Lass ab von mir,
denn was in mir ist groß.“
Er sprach: „Wo führ ich dich denn hier,
wenn rings die Weite bloß?“
Sie fanden bald in Fels und Stein
eine dunkle Höhle sacht.
Dort ließ er sie mit Kindern sein,
und ging hinaus zur Nacht.
Er suchte eine Hebamm’ nun
in Bethlehems Gebiet,
doch alles stand in stillem Tun,
als hielte Gott es lieb.
Die Vögel hielten an der Luft,
der Himmel stand ganz starr.
Kein Schwingen, Rufen, keine Kluft –
nur Schweigen offenbar.
Der Fluss floss nicht, das Wasser stand,
die Schafe standen still.
Die Schnitter hielten Werkzeug an,
kein Arm tat, was er will.
Ein jeder blickte himmelwärts,
als harrte er dem Licht.
So sprach Josef, erschüttert, ernst:
„Was kündigt dies Gesicht?“
Vom Berge kam hernieder
die Frau mit ernstem Blick.
Sie sprach: „Wohin, o Brüder?“
„Zur Hebamm’“, sagt’ ich quick.
„Bist du von Israel?“
„Ja, ich bin es, mein Kind.“
„Wer gebiert dort im Felsenzelt,
wo Kühl und Schatten sind?“
„Maria, mir verlobet,
doch ist sie nicht mein Weib.
Im Tempel ward sie groß erzogen –
ein keuscher Herzensleib.“
„Des Geistes Kraft empfing sie,
nicht meines Samens Art.“
Die Frau, sie sprach: „So bring sie mir,
dass ich das Wunder ward.“
Sie ging mit mir zur Höhle,
wo Wolk’ und Stille war.
Ein Dunkel lag darüber schwer,
so seltsam und so klar.
Die Frau rief auf mit Beben:
„O Seele, sei erhobt!
Denn heut, in dieser Himmelszeit,
ward Israels Heil gelobt.“
Die Wolke zog sich leise
zurück, ein Licht erstand,
so hell, dass selbst das reinste Aug’
nichts fassen konnt’ im Land.
Ein Kindlein trat hervor dann,
von Licht fast überstrahlt,
es trank von Mariens Brust sodann –
das Wunder war gemalt.
Die Frau, voll heil’gem Staunen,
trat aus dem Fels heraus.
Da sprach sie: „Salome, höre mich,
ich bring dir Gottes Braus!
Ein Wunder sah mein Auge,
ein Jungfrau hat gebar!
Das ist der Welt noch nie geschehn –
so heilig, rein und klar.“
Doch Salome sprach zweifelnd:
„So wahr mein Herr auch lebt,
leg ich nicht Hand an ihren Leib,
bleibt mir dies Wunder trüb.“
Die Hebamm’ sprach zu Maria:
„Bereite dich auf Streit.
Denn Salome will prüfen nun
dein Fleisch, das Gott geweiht.“
Und Salome trat näher,
sie prüft’ mit eigner Hand –
da schrie sie auf: „Weh meiner Schuld!
Der Glanz verzehrt mein Band!“
„O Herr, ich habe frevelnd
gefragt, gezweifelt sehr.
Nun brennt mein Arm in heißer Glut,
vergib mir dies Begehr!“
Sie sank vor Gott in Reue
und bat in heilger Not:
„Gib mich den Armen wieder heim,
und rette mich vom Tod!“
Ein Engel trat hernieder
und sprach: „Sei still, mein Kind.
Berühre dieses Gotteswerk,
dann wirst du heil geschwind.“
Da hob sie still das Kindlein
und sprach voll frommem Licht:
„Dem König sei mein Lob geweiht –
ein Wunder ist’s, das spricht.“
Und als sie ihn berührte,
ward sie im Nu gesund.
Sie schritt gerecht hinaus sodann
mit stillem Herzensgrund.
Da rief’s in heil’gem Flüstern:
„Verkünde dies noch nicht,
bis dass das Kind Jerusalem
betritt in vollem Licht.“
Herodes sprach: „Wo ist dein Kind?
Sag an, wo du ihn hast versteckt!“
Zacharias sprach: „Ich bin blind –
ich diene nur, was mich erweckt.“
„Ich steh in Gottes Heiligtum,
mein Sohn ist mir verborgen gar.
Ich weiß nicht, wo er wandelnd ruhm –
sein Weg ist mir kein off’nes Jahr.“
Der König sprach mit Zorn im Blick:
„Er wird einst Israel regier’n!
Drum sag mir, wo dein Sohn sich schickt,
sonst wirst du deinen Tod bald spür’n.“
Die Knechte traten an ihn ran,
und drohten ihm mit Herodes’ Wort.
Da sprach er: „Ich bin Gottes Mann –
mein Geist geht nicht an Menschen fort.“
„Mein Blut, das magst du ruhig vergießen,
doch rein bleibt mir das Herz im Licht.
Mein Zeugnis soll dem Herrn erschließen,
was vor den Tempelpforten bricht.“
Da fiel das Schwert – so starb der Knecht,
am heil’gen Ort, beim Opferstein.
Doch Israel war's unrecht,
zu glauben: Das könnt’ Wahrheit sein.
Zur Segenszeit trat niemand vor,
Zacharias blieb lang vermisst.
Die Priester harrten vor dem Tor,
doch niemand kam, der „Heilig“ ist.
Ein Priester trat voll Furcht herein,
sah Blut dort neben Gottes Tisch.
Er hörte: „Tot ist Gottes Freund,
sein Blut bleibt rot, lebendig frisch.“
Er rannte raus, sein Herz voll Grauen,
berichtet’ all den Priestern nun.
Sie wagten, selbst ins Heil zu schauen –
was sie da sah’n, ließ niemand ruh’n.
Die Schleier rissen von den Wänden,
das Blut – zu Stein – blieb ewig stumm.
Den Leib des Manns konnt’ niemand wenden,
der Herr nahm seinen Knecht mit um.
Drei Tage weint’ das Volk in Trauer,
man klagte laut an heil’gem Ort.
Dann wählten sie mit heil’ger Schauer
Simeon, vom Geist geführt hinfort.
Ich, Jakobus, hab dies geschrieben,
in Zeiten, da der Aufruhr kam.
Nach Herods Tod bin ich geblieben
im Land, wo Wüste still und zahm.
Gelobt sei Gott für diese Gnade,
für Weisheit, die mein Herz gelenkt.
Der Herr sei mit euch, ohne Schade –
wer ihn da fürchtet, ist beschenkt.
ZWEITER GESANG
Aus Davids Stamm, aus Juda klar,
ging Marias Ursprung mild hervor.
Des Heilands Mutter, wunderbar,
trat aus der Ahnen reichem Chor.
Nicht schrieb Matthäus, Lukas auch,
von Marias jungem Beginn,
sie schildern Josefs Lebenslauf,
wie's in den Büchern war gemein.
Denn oft wird nur der Männer Zahl
in alten Chroniken genannt.
Doch stammt Maria, licht und fahl,
aus Davids königlichem Land.
Von Nathan kam sie, Davids Sohn,
so spricht der fromme Damaskus.
Durch Levi, Panthar, mild und schon,
kam Joachim mit heil’gem Schluss.
Der zeugte sie, die Jungfrau rein,
von der das Licht der Welt entsprang.
In ihr soll Gottes Wille sein,
ihr Lob klingt ewig fort im Sang.
Auch Joseph stammt aus Davids Blut,
durch Salomo kam seine Art.
Doch starb aus Nathans Haus in Glut
ein Sohn – und Jakob trat als zart
Gesetzesmann an dessen Statt,
als Bruder, dem das Recht gebar.
So war der Stamm in beiden satt,
ob väterlich, ob lehnbar wahr.
Die Schriftgelehrten führten klar
die Ahnen bis auf Josephs Zeit.
Im Tempel lag die Schrift sogar,
bis Herodes sie zerstreut’.
Joachim nahm zur Eh’ die Frau,
die Anna, gottestreu und fromm.
Ihr Herz war keusch, ihr Blick so lau,
aus ihr Mariens Gnade kam.
Sie hatte auch zwei Schwestern hold,
die Hismeria hieß die eine.
Von ihr ging Elisabeth bold
und Eliud, die nie alleine
Dem Herrn entfremdet Kinder bot:
Johannes kam aus diesem Haus.
Und Servatius, stark im Tod,
lag einst in Lüttichs Gotteshaus.
Drei Ehemänner hatte dann
die hehre Mutter unser Herrn.
Erst Joachim, ein frommer Mann,
mit ihm gebar sie jung und fern
Die Jungfrau, Gottes reine Magd,
die einst den Jesus trug im Leib.
Dann Kleophas, von dem sie sacht
die Mutter ward für heil’gen Weib:
Maria, Gattin Alphäus’ dann,
die Jakobus gebar, gerecht,
auch Simon, Barsabas und dann
den Judas, stark im Gottesrecht.
Zuletzt mit Salome vereint,
ward noch ein Kind Maria genannt.
Mit Zebedäus war sie gemeint,
die zwei Apostel hat erkannt:
Der große Jakob war ihr Sohn,
und Johannes, Evangelist.
So floß aus Annas heil’gem Thron
das Licht, das uns nie mehr vergisst.
Anna, die heilige Mutter, spricht:
„Drei Marias hab’ ich gesehn,
von Joachim, Kleophas, Salome Licht,
mit Joseph, Alphäus, Zebedäus geschehn.
Die erste trägt den Herrn der Welt,
die zweite Jakobus, den klein;
mit Simon, Joseph, Judas gesellt,
die dritte lässt die Großen sein:
Jakobus groß, Johannes klar –
des Himmels Stimme offenbar.“
Drei Töchter schenkt’ die Anna Gott,
die Männer wählt’ sie klug zum Bund:
Joachim, Kleophas – fromm ihr Lot,
und Salome war's – rein und gesund.
Der Joseph nahm die erste Frau,
die Christus trug im reinen Leib;
der Alpheus dann – wie man genau
erzählt – den Geringern erreib.
Jakobus klein, gerecht Joseph,
dazu Simon mit festem Gemüt
und Judas, der der Brüder Chef.
Gebar den Ältren, Jakobus,
und auch Johannes, lichtgewandt,
des Adlers Blick, des Wortes Fluss.
Doch wie war sie, der Magd so gleich,
verwandt mit Zacharias’ Weib?
Elisabeth – von Aarons Reich –
doch Anna war aus Judas Leib.
Denn Levi’s Stamm, des Tempels Glanz,
verwand sich oft mit Judas Blut,
so ward durch Eh’ der heil’ge Kranz
von Priestern, Königen in Mut.
Beda sagt es, Hieronymus schwört
Der Königslinie Huld und Macht,
die Priesterschaft, das Amt gehört
in Marias Leib – von Gott bedacht.
So ward der Herr, der sich erbaut
aus beiden Linien hoch und klar,
ein König, der die Herzen schaut,
ein Priester – heilig, wunderbar.
Joachim, fromm, aus Nazareth,
nahm Anna, die aus Beth’lem kam.
Sie lebten treu, gerecht, ohn’ gerett,
gab’n Drittel Almosen, wie’s Gott nahm.
Doch blieb der Schoß so lange leer,
zwanzig Jahr’ voll stiller Pein,
da flehten sie: "O Herr, gewähr,
dass unser Kind dein eigen sei’n!"
Zum Opfer kam er einst allein,
am Fest, mit reiner Herzensglut –
der Priester sprach mit hartem Sein:
„Dein Leib ist leer, dir fehlt das Gut!“
Voll Schmach, voll Scham, er floh zum Herd
der Hirten, wo das Lamm noch spricht,
und hielt sich fern von Stadt und Pferd,
sein Herz ganz weich, sein Blick voll Licht.
Da kam der Engel, Gottes Bote,
sprach mild: „Fürchte dich nun nicht!
Dein Ruf drang auf zur ew’gen Pforte,
dein Werk gefiel, dein Glaube ist Pflicht.“
„Nicht Geilheit sei der Ursprung Kraft,
wenn Gott den Schoß mit Frucht versieht.
Er schließt, er öffnet – seine Haft
birgt Wunder, das im Glauben blüht.“
Die Mutter deines Volkes war
die Sara, alt und unfruchtbar;
doch schenkte Gott dem Isaak
den Segen, der die Welt umfing.
Und Rahel, der die Tränen quoll,
sie blieb des Lebens lange voll,
bis Joseph kam, des Reiches Glanz,
der Ägyptens Zepter übernahm.
So wirst du, Mensch, durch heil’gen Grund
vernehmen dies: Zu seiner Stund
gebiert, was lang verborgen lag,
ein Wunderkind der alten Zeit.
So höre, Joachim, den Schwur:
Dein Weib wird dir, vom Herrn zur Kur,
ein Töchterlein gesegnet sein,
du sollst sie „Maria“ benenn.
Sie wird, wie’s Engelwort erklärt,
dem Herrn geweiht, vom Geist verklärt,
noch eh ihr Leib das Licht ersah,
im Tempel wohnen Jahr um Jahr.
Kein Makel sei an ihr erkannt,
sie lebt, dem Herrn allein verwandt,
und wie sie wundersam gebar,
so kam der Sohn des Höchsten nah.
Geh du nach Salem, unverzagt,
zum goldnen Tor, wo jetzt sie tagt,
dein Weib, das tränenvoll geruht,
und wartend deines Kommens tut.
Und siehe: Dort in sel’ger Zeit
vereint euch, was getrennt durch Leid;
ihr lobt den Herrn, des Himmels Rat,
und kehrt zurück in heil’ger Tat.
Maria ward im Frühlicht groß,
ein Kind, das still und glanzumfloß
den Tempel sah mit Opfergaben,
von heil’ger Hand zum Herrn getragen.
Dort stieg sie, kaum drei Jahre alt,
die Stufen auf, so rein, so bald —
von Engeln stets umflügelt dort,
blieb sie des Herrn auserkor’n Ort.
Im Tempel, so Hieronym spricht,
vergaß sie nie des Gebets Pflicht;
vom frühen Morgen bis zur Terz
war Beten ihr geweihtes Herz.
Dann wirkte sie mit reiner Hand,
doch still im Flehen unverwandt,
bis Gottes Bote kam zu ihr
und ihr die Gnad im Fleisch gebier.
Als sie das vierzehnte Jahr begann,
sprach, was im Tempel stand, der Mann:
„Zurück, ihr Jungfraun, kehrt nun heim,
das Gesetz soll eure Führung sein!“
Doch Maria sprach voll Seelenmut:
„Ich gab mein Herz dem höchsten Gut.
Mein Eid, den Vater, Mutter band,
sei Gottes Werk in meiner Hand!“
Da ließ der Bischof betend ziehn
die Männer Davids Stamms dahin,
ein jeder trug, wie’s Wort versprach,
zum Altar einen Stab in Schmach.
Und Gottes Stimme rief sodann:
„Der sich verbarg, ist Marias Mann!“
Joseph, der Greis, sein Herz war bang —
doch plötzlich blüht der Stab ihm lang.
Und auf dem Holz saß, hell wie Licht,
der Geist, als Taube Angesicht.
So ward durch Gottes ew’gen Plan
der Zimmermann Marias Mann.
Da hob sein Stab sich wundersam,
der Bischof sprach: „So sei es dann!“
Ein Blütenkranz, so hell und klar,
stieg auf, wo Gottes Taube war.
Die Jungfrau ward sein hehres Gut,
die Stadt, wohin der Bräut'gam tut,
ist Bethlehem, das heil’ge Land,
wo Haus und Mutter wartend stand.
Sie zog mit sieben Jungfraun fort,
die Zeugen waren jenem Ort,
wo Gottes Zeichen kundgetan –
ins Haus des Vaters kehrt' sie dann.
Und eines Abends, still und sacht,
ein Engel kam zur heil’gen Macht,
zu Maria, der betend Frau –
„Des Höchsten Sohn wächst dir im Bau.“
Kein Mensch die Stunde nennen konnt,
wann sie erschien, die Gottesbronn.
Ein frommer Mann einst Engel hört –
an Sexten Iden ward geehrt.
„An diesem Tag ward sie geboren,
der Welt zur Hoffnung nie verloren.
Heiliget ihn, ihr Männer treu –
dass er im Himmel gleichsam sei!“
Der Papst, geprüft in Schrift und Tat,
gab, was der Glaube offenbart:
„So sei es!“ – sprach der Kirche Hort,
„Heilig sei dieser lichte Ort.“
Doch hielt man nicht das achte Fest,
bis Innozenz dies richten lässt,
nach langem Streit in Romer Bann –
Celestin kam, der stille Mann.
Sie litten lang, die Kardinaln,
bis sie Maria Lob empfahn.
Ein Eid ward in der Nacht gemacht,
die Jungfrau habe Ruh gebracht.
Drei Male preist die Kirch die Zeit
der heil’gen Geburt in Ewigkeit:
Johannes, Christus, Marienkind –
und jede hat, was wir darin find.
Im Wasser uns Johannes neigt,
Maria führt zur Buße weit.
In Christus’ Licht wird unsre Pein
zur Herrlichkeit des Himmels sein.
Ein Ritter ritt zum Turnier hin
und hörte Messen, Herz und Sinn
Maria ganz zu Füßen sank –
drum rief das Volk: „Wie edel! Dank!“
Sie sagten: „Du rittest heut so schön!“
Doch niemand konnt ihn reiten sehn.
Er aber sprach: „Es war nicht ich –
die Jungfrau ritt an meiner Schicht.“
Er kehrt zurück zum heil’gen Ort,
und diente fortan treu dem Wort –
dem Sohn der Reinen, mild und klar,
der in der Jungfrau Wohnung war.
Ein Bischof zog in heil’ger Kraft,
Maria kam in Engelschaft,
zwei Mädchen sangen, klang so mild,
ein himmlisch Lied durchs Kirchenschilf.
„Cantemus domino!“ – so klar,
„Christi süßer Liebenschar.“
Dann sangen sie von Adams Fall,
vom Stolz, der einst vom Licht zerfiel.
Und feierlich in hellem Sang
zog er zur Kirche, Lob erklang.
Die Jungfrau selbst, so lichtgewandt,
nahm ihn an ihrer Rechten Hand.
Es lebte einst in tiefer Not
eine Witwe, alt und schwach.
Ihr einz’ger Sohn, ihr Lieb und Brot,
fiel Feindeshand zum Schmach.
Man warf ihn in das Kerkerloch,
gebunden, fern vom Licht.
Sie betete zu Maria noch,
doch half ihr Glaube nicht.
Sie klagte lang, sie bat und rang,
sie flehte wund und hohl –
doch blieben ihre Bitten bang,
ihr Trost blieb nur Symbol.
Da trat sie in das Gotteshaus,
wo stand das Marienbild.
Sie rief: „Du Frau, du hast Applaus,
doch lässt mich arm und wild!“
„Ich bat dich oft mit Tränen heiß,
du bliebst so kalt wie Stein.
Drum nimm ich nun auf eig’nen Fleiß
dein Kind – als Geisel mein!“
Sie hob das Kind vom Mutterarm,
das in der Statue lag,
hüllt’s sorgsam ein, und ohne Harm
trug sie’s nach Haus bei Tag.
Sie legte es in ihre Truh,
verschloss es gut und fest.
„Nun spürst du, Jungfrau, was ich tu –
du gibst, was du verlässst.“
Doch in der Nacht – o Wunderzeit! –
da trat Maria ein.
Sie öffnete des Kerkers Kleid
und sprach zum Sohn: „Du mein!“
„Geh heim zur Mutter, sag ihr schlicht:
Ich gab dir neu das Licht.
Nun soll auch sie mit treuem Pflicht
mir geben, was mir ist.“
Er kam zurück, sie weinte sehr,
sie nahm das Kind geschwind
und lief zur Kirche, lobpreis schwer:
„Hier ist dein heil’ges Kind!“
„Du gabst mir meinen Sohn zurück,
nun geb ich deinen dir.
Erbarmerin in Not und Glück,
sei ewig Dank von mir!“
Ein Schreiber war von stolzem Sinn,
verliebte sich in Glanz und Wort,
doch täglich sprach er fromm und still
sein Ave, nie fiel’s fort.
In nächt’ger Ruh, da stand er dann
vor Gottes heil’gem Angesicht.
"Was tun mit diesem eitlen Mann,
der Gnade nie verspricht?"
Die Engel neigten still das Haupt,
das Urteil klang wie Donnerschlag:
"Verdammt sei er, der Wahrheit raubt
und sündigt Tag für Tag!"
Da trat Maria mutig ein,
ihr Sohn war ihr nicht fremd:
"Ich bitt um Gnade, lass ihn sein –
noch ist er nicht verdämmt!"
Der Herr sprach milde: "Nimm ihn hin,
bewahre, was du siehst.
Wenn’s Frucht bringt, sei’s zum guten Sinn,
doch wehe, wenn du fliehst."
Sie wandt’ sich ihm mit sanfter Hand:
"Sündige nicht, kehr um!
Denn schlimmer wird das nächste Land,
wohin du gehst, ist stumm."
Er wachte auf, erschrak zutiefst,
ließ Sünde hinter sich.
Er suchte Gott, dem er einst rief,
und starb im Heiliglich.
Ein Vikar stand im Kirchenamt,
Theophilus sein Name war.
Er lehnte Ruhm und Bischofshand,
blieb demutsvoll und klar.
Doch als der neue Bischof kam,
man stieß ihn schnell hinaus.
Verzweiflung fraß an seinem Gram –
er suchte Teufels Haus.
Ein Zauberer, ein heidn’scher Mann,
sprach dunkle Rituale.
Der Teufel kam und bot sodann
den Pakt in Blut und Male.
Er schrieb, er siegelte mit Ring,
verleugnete das Licht.
Maria und des Heilands Ding
entsagte er – mit Pflicht.
So kam er wieder in sein Amt,
der Teufel hielt sein Wort.
Doch bald schon ward sein Herz verkrampft –
Reue zehrte ihn fort.
Zur Jungfrau lief er, tränenblind,
bat sie um Gnad und Trost.
"Ich bin ein abgeirrtes Kind,
verloren – ohne Host."
Da kam sie, licht und wunderbar,
sprach streng: "Bereue heut!
Erkenne, wer dein Retter war,
der dich vom Zorn befreit."
Sie gab ihm seine Schuld zurück,
das Blatt, das ihn band fest.
Auf seine Brust, als heil’ges Stück,
sie’s legte – und der Rest?
Er pries sie laut, mit offnem Mund,
die Jungfrau, Gnadenschein.
Drei Tage nur – dann kam die Stund,
er schlief in Frieden ein.
So lasst uns stets in Lob entbrennen,
mit ganzer Kraft und frommem Sinn,
lasst Hieronymus' Wort erkennen:
Sancta virginitas – makellos rein.
In Köln vernahm ich diese Kunde,
von einem edlen, weisen Mann,
der sprach von heilger Pilgerstunde,
die Hieronymus einst begann.
In Roms geweihten Kirchenhallen,
da ging der Heilige emsig ein,
zu allen Altärn ohne Fallen,
doch grüßte nicht das Marienbildlein.
Es stand dort still, in heilger Ecke,
die Jungfrau – schön, doch unberührt.
Er sah sie nicht, in seiner Strecke,
sein Weg war von den Heiligen geführt.
Zu jedem Heiligen trat er nieder,
er sprach Gebete, fromm und klar.
Doch kehrte – wie in seinen Liedern –
zur Tür zurück, wo sie einst war.
Da hob Maria an zu sprechen
vom Bilde her, mit mildem Klang:
„Warum nur willst du mich verstecken,
du hast doch allen Lobgesang?“
Da kniete Hieronymus nieder,
sein Herz von Ehrfurcht ganz bewegt.
Und seine Antwort klingt uns wieder,
ein Lob, das sich dem Himmel neigt:
Sancta et immaculata,
„O Jungfrau, rein von jedem Fleck –
ich weiß nicht, wie ich dich wohl priese,
du trägst in dir das höchste Zweck.
Denn den, den Himmel nicht vermögen,
ihn hielt dein Schoß in stiller Ruh.
O wie soll Mensch das Lob erwägen,
das einzig deinem Sein gebüh'?“
So, da der Heilige sich neigte
und seine Ohnmacht eingestand,
was bleibt für uns, die Schuldigen, Geleite
als bittre Reu und Gnadenpfand?
Wir können sie nicht recht erheben,
doch darf demütig unser Flehn
ihr Herz erreichen, uns vergeben,
dass wir einst vor ihr selig stehn.
So fleh’n wir: Nimm, o reine Frau,
den guten Willen gnädig an.
Führ uns durch deine Huld und Schau
zum ew'gen Licht – mit deinem Mann.
DRITTER GESANG
Nie nennt das Buch der heil'gen Schrift
Mariens Eltern, zart und hold,
Doch frühe blüht ein frommer Bericht
in Griechenland aus Väterg’old.
Ein „erstes Wort des Jakobus“
Ward es genannt, apokryph zwar,
Doch tief verehrt im Ostenduss,
in fremder Zunge wunderbar.
In Koptisch, Syrisch, Armenisch gar,
In Georgisch, Äthiopisch klar,
Im Slawischklang, im Arab’ tongue
Hat’s heil’ge Kunde laut gesung’n.
Im Westen war das Werk verkannt,
Verdächtigt gar von heil’gen Herrn –
Gelasius, Damasus, Innozenz nannt
Es trug’nen Quell, von Wahrheit fern.
Hier stand Hieronymus mit Macht,
Der Christi Brüder anders sah:
Nicht Josefs Söhne aus erster Nacht,
Nein, Vettern sie – wie's Bibel sprach.
Doch still, mit frommer List verfasst,
Verbreitet sich auf lateinisch' Art
Ein neues Buch, das volkhaft passt:
Das Pseudo-Matthäus-Evangel hart.
Es sprach von Anna, schlicht zuerst,
Doch ward sie bald von hohem Wert,
Denn Gottes Wahl, in Ahnen geerbt,
Durch sie Mariens Würde nährt.
Ein Kind der Sehnsucht ward Maria,
Wie Isaak, wie Samuel,
Wie Samson, wie der Täufer hier,
Von Gott ersehn, prophetisch hell.
Und aus dem Zweifel, tief gestellt,
Ob sie mit Sünd’ gezeichnet sei,
Entstand im Abendland ein Feld
Der Lehrstreit – hart und oft entzwei.
Ein heil’ger Rat in Basel einst
Verkündet sie als makellos,
Und Pius folgte dem, vereint,
Im neunzehnten Jahrhundert groß.
Doch Dominikaner, scharf im Wort,
Widersprachen, streng im Sinn –
„Keusch ja, doch kam sie leiblich fort
Wie jedes Menschenkind dahin.“
Drum wurde Annas Trennung Jahr
Vom Mann – ein Schlüssel heil’ger Tat –
Ein Bild der Gnad’, ganz offenbar,
Wo Gottes Engel Einblick hat.
Im Tor aus Gold, in stiller Freud’,
Sie trafen sich und fassten sich –
Ein keuscher Kuss, von Gott erneut,
Gebar das Licht der künft'gen Geschicht’.
Dann, um die Vettern Jesu klar
Zu ordnen, kam der Trinubium-Schluß:
Drei Männer sollt’ die Anna gar
Geheiratet haben – welch Verdruss!
Doch war’s beliebt im Volk so sehr,
Dass sie als Ahnin aller galt,
Die mit dem Herrn gewandelt hehr –
Ein Stammbaum wundersam und alt.
So ward aus einer, still gedacht,
Ein Mutterbild von hoher Gunst,
Die Gottes Plan zur Blüt’ gebracht –
Im Schoß der Zeit, in heil’ger Kunst.
Wie Marias heil'ge Kunde,
so auch Annens hoher Stand,
war in Ost und Abendrunde
lang nicht klar und wohl erkannt.
Schon um fünfhundertfünfzig Jahre
ließ Justinians fromme Hand
ihr in Byzanz zur heil’gen Ehre
bauen ein geweiht Gewand.
Doch im Westen zeigt ein Bildnis
Annen mit dem Kindelein,
in Rom – des achten Jahrhunderts Wildnis –
wo sie mit Glanz und Heil erscheint.
Lang blieb sie bloß der Mutter Schatten,
nicht geehrt um eig’ne Kraft,
bis in späten Kreuzeszeiten
kam ihr Ruhm mit hoher Haft.
Pilger brachten ihre Zeichen,
Knochen, Schleier, heilig’ Gut,
nach Chartres und auch nach Apt zu reichen
und zu Ghents geweihtem Blut.
Auch in Englands alten Stätten
rief man Annen segnend an –
Worcester, Evesham zählten Betten,
wo ihr Dienst zuerst begann.
Festlich ward ihr Tun gelesen
mit Marias heil’gem Licht,
im Dezember ward erlesen
ihres Kindes Angesicht.
Eadmer schrieb mit heil’ger Feder,
Anselm tat das Werk dazu,
bis, nach manchem Kirchenräder,
Englands Land gab Annen Ruh’.
England hob sich vor den Landen
auf dem weiten Kontinent,
feierte sie mit Herz und Banden,
lang bevor man sie dort kennt.
Und in späteren Jahrhunderten
blühte Annens edler Ruf –
vierzig Kirchen, heil'ge Stunden,
gaben Zeugnis, laut und schuf.
Buxton rief mit tiefem Sehnen,
Wood-Plumpton folgte dann mit Macht,
Gilden stifteten ihr Tränen,
gaben Gold bei stiller Nacht.
Oft ward sie in Bild getragen,
Anna Selbdritt ward genannt,
mit Maria auf den Armen,
und das Kindlein in der Hand.
Theologen fanden Gründe
für das Kind ohn’ Erbschuld rein,
Orden sah’n in ihr Verbünde
für ihr heil’ges Ordenssein.
Doch dem Volk war sie die Hüterin
eh’rner Treu’ in Ehestand,
war die Mutter, war die Mütterin,
die mit Weisheit stets verstand.
Fruchtbar war sie, treu im Lieben,
lehrte Mädchen frommen Sinn,
war der Armen Trost geblieben,
gab dem Fleiß den stillen Gewinn.
Mit dem Buch in weisen Händen,
zeigt sie Bildung, zeigt sie Mut,
und am Herd wie an Legenden
lehrt sie, was die Seele tut.
Ob Adel, Bürger oder Knechte –
sie war allen stets bekannt:
Schützerin von Frauens-Rechten,
Licht im Kind und Heimatland.
In dem Kind die heil’ge Saat,
in der Tochter Himmelsmacht,
in der Mutter Gottes Rat –
so hat sie das Heil gebracht.
In England ward ihr Heil genannt,
Doch ungleich war ihr Lob erkannt.
In manchem Kirchspiel neu ihr Fest,
Von oben kam’s, wie man’s ermesst.
Bei Mirk, dem frommen Predigmann,
Beginnt ihr Ruhm erst zaghaft dann.
Die Predigt, die von ihrer Zucht,
Meint mehr die Tochter, nicht die Frucht.
Von Anne spricht er flüchtig nur,
Joachim führt er in der Spur.
Er zählt die Ahnen, doch nicht ihr’n,
Und lässt ihr Bild im Dunkel fliehn.
Wenn Mirk ihr Leben offenbart,
Bleibt sie nur Mittel, nicht ein Part.
Er deutet, dass ihr eigner Schein
Durch Maria strahlt allein.
Doch Bokenham, ein frommer Mann,
Aus Clare, wo er sein Wirken sann,
Erhob die heilge Frau mit Sinn
Und legte Herz in sein Beginnen.
Er schrieb für eine edle Frau,
Katherine, Gott ergeben genau.
Der Tochter gab sie Annes Namen,
In heilger Hoffnung, voll Erbarmen.
Er bittet, dass durch Annes Kraft
Ein Sohn vielleicht zur Welt noch schafft.
Doch zeigt sein Lied mit frommem Mut
Wie heilig auch die Ehe tut.
Er schildert Anne, mild und klar,
Joachim gleich an Tugend war.
Er liebt sie zart, sie liebt ihn sehr –
Ein Paar in Gnade, Gott zu Ehr.
Und als nach langem Wandergang
Der Mann zurückkehrt mit Gesang,
Da springt ihr Herz in süßer Pein,
Ein heilig Lieben kann so sein.
So lehrt der Mönch mit weisem Wort:
Heil mag sich finden auch vor Ort.
Nicht Kloster nur und Einsamkeit –
Die Ehe birgt auch Heil’genzeit.
VIERTER GESANG
Ihr guten Leut, so höret mich,
Am Tage Sankt Annens sollt ihr geh’n
Zur Kirche, wo man andächtiglich
Ihr Lob mit Mariä Lob wird sehn.
Denn Anne war, wie man euch lehrt,
Der Jungfrau Mutter, auserwählt.
Wer ihre Ehr im Herzen ehrt,
Hat Gnad und Heil sich gut ersehlt.
Doch fünfmal wird der Name genannt
Von heil’gen Frauen, Annen gleich,
Drum sei, dass man sie recht erkannt,
Bericht getan, dem Geist so weich.
Die erste war des Samuels Magd,
Des Propheten, der Israel führt.
Sie war von Elchana verklagt,
Weil sie kein Kind ihm ward gebührt.
Sie bat mit Almosen und Flehn
Den Herren, der das Herz erforscht,
Und Samuel ward ihr ersehn –
Ein Sohn, der Gottes Stimme horcht.
Die andre war Raguel’s Weib,
Und Sara hieß ihr Kind dabei.
Sie litt viel Schmerz in ihrem Leib,
Denn sieben starben gleich im Mai.
Ein Dämon würgt’ sie jede Nacht,
Die Männer, die aus Lust ihr nah’n.
Nicht um Gott, nicht um heil’ge Macht,
Ward Liebe blind im bösen Wahn.
Doch Tobie kam mit Engelshand,
Geleitet ward er klug und fromm.
Drei Nächte fasten sie im Land,
Bis Kind ersehn zur Welt einst komm.
Die dritte Anne, fromm und rein,
War Tobies Mutter, alt und klug.
Der Vater half mit Herz und Bein
Den Armen stets mit treuem Zug.
Er ward durch Leid und Blindheit hart,
Vom Kot der Schwalbe Aug verletzt.
Doch duldend blieb er ohne Zart,
Bis Gott sein Licht ihm neu gesetzt.
Die vierte sah im Tempel stehn
Maria samt dem Herrn so hold.
Sie durfte Christi Zukunft sehn
Und war im Dienst, bis sie ward alt.
Sie lebte fromm, in Nacht und Tag,
Als Witwe nach dem Ehestand.
Sie dient’ dem Herrn ohn' Müh und Klag,
Bis achtzig Jahr’ im Gottesband.
Und Anne war von solcher Gnad,
dass sie noch eh sie starb, den Pfad
des Herrn berührte mild und klar
und fasst’ ihn selbst, ganz offenbar.
Sie war die Mutter, die voll Macht
uns unsre liebe Fraun gemacht,
und zog sie auf mit treuer Brust,
in heiliger, gottseliger Lust.
Als dann das Kind herangewuchs,
trug sie’s ins Tempelhaus zum Schluss,
zu lernen dort das Mosaisch' Recht,
zu dienen Gott in Ehr' und Knecht.
Dort blieb es unter Jungfrau'n fein,
im Beten still, im Fasten rein,
bei Tag und Nacht im heil'gen Ort
verließ es nicht den Dienst am Wort.
Ihr Mann hieß Joachym, so klar,
von Davids Stamm, wie's längst schon war.
Die Bücher, die das zeigten fein,
verbrannt Herodes ob dem Schein.
Denn er wollt’ selbst des Reiches Pracht,
dass Davids Stamm an ihn erwacht.
Drum stahl er sie und warf sie fort,
auf dass vergeh’ des Heilands Wort.
Doch kluge Männer, fromm und still,
die hielten’s heimlich, wie Gott will.
Sie hatten Abschriften zur Hand,
bewahrt in Häusern übers Land.
So kam von David dieser Strang:
Von Nathan ging die Linie lang,
da kam aus Levi Panther dann,
von ihm Barpanther irgendwann.
Joachym war des Letztr’n Sohn,
er nahm sich Anne still zum Lohn.
Sie zeugt’ Maria, Gottes Hort,
die Mutter Christi, unser Wort.
Als Joachym gestorben war,
nahm Anne Cleophas fürwahr.
Sie zeugt' Maria Cleophe treu,
doch starb auch er – so ging's aufs Neu.
Dann Salome war Annes Mann,
und sie gebar, so viel man kann,
die dritte Tochter, rein und fromm,
Maria Salome genannt sie’s drum.
Drei Töchter trug sie, keusch und klar,
zu Ehren der Trinität fürwahr.
Dann lebt' sie fromm, in Enthaltsamkeit,
in Buß und heiliger Bereit.
Und aus den Töchtern kam ein Glanz,
ein heil’ger Stamm voll Segenskranz:
Maria, die den Heiland trug,
den Sohn, der uns vom Tode zog.
Maria Cleophe, Zweite dann,
ward Alpheus' Weib und Mutter dran
von Jakobus, Joseph, Simon, klar,
und Judas, so wie’s geschrieben war.
Die Dritte nahm Zebedäus hold,
gebiert Jakobus, stark und bold,
und Johannes, Evangelist,
der in der Lieb' der größte ist.
So kam aus Anne, Gottes Zier,
ein heil’ger Stamm, ein Trostquartier.
Drum bittet sie, dass sie uns führ’
zu ihrer Tochter, der Jungfrau Zier.
Und diese bitt’ beim Sohne mein,
dass er uns heil und Gnad verleih’n –
an Leib und Seel, in aller Frist,
der Jesus, unser Trost, er ist.
FÜNFTER GESANG
Am Tag, da wir Mariens Gnad’ begeh’n,
da spricht die heil’ge Kirch’ davon:
Drei Tugenden sind’s, die wir in ihr seh’n –
des Vaters Heil, der Mutter Lohn.
Ihr Vater hieß Joachim genannt,
ein Mann von hoher Heiligkeit.
Mit fünfzehn Jahren gab er mit der Hand
sein Gut in Teilen, fromm und weit:
Ein Teil für Waisen, Witwen, die in Not,
ein Teil für die, die Gott stets dient,
der dritte blieb dem eignen Brot,
das seine Hausstatt ihm verdient.
Mit zwanzig Jahren nahm er sich
die fromme Anna, sanft und klar,
und zwanzig Jahre lebten sie
in Liebe, wie’s ein Wunder war.
Doch blieb ihr Leib an Frucht so leer,
dass beider Herz in Kummer sank,
und Gott gelobten sie noch mehr:
Ein Kind sei Ihm, für seinen Dank.
Als einst zum Tempel er dann ging,
mit Opfersinn und reiner Pflicht,
der Bischof, kalt und schroff ihn fing,
sprach: „Du bist unfruchtbar – und nicht
würd’ ich dein Opfer hier empfahn,
denn Gott gab dir kein Erdenkind!“
Joachim schämte sich fortan,
zog mit den Schafen in den Wind.
Er floh die Welt, er floh sein Heim,
und wollte nie mehr Anna seh’n.
Da fleht’ auch sie in Schmerz und Pein,
zu Gott, dass Er ihr beisteh’ schön.
Ein Engel kam und sprach ihr Trost:
„Ein Kind wirst du empfangen bald,
das keinesgleichen hat – mit Trost
wird's göttlich sein, rein, stark und alt.“
Die gleiche Botschaft trug der Stern
auch zu dem Mann in Wildnis fern,
sprach: „Opfre Gott ein Lamm, und lern,
zu danken Ihm mit Herz so gern.“
Joachim lag in Staub und Schmerz,
von Mittag bis zum Abendrot,
und pries mit heißem, vollem Herz
den Herren über Leben, Tod.
Am Morgen sprach der Engel mild
zu Anna: „Geh zum goldnen Tor,
dort findest du den, der dein Bild
in seinem Herzen trägt empor.“
Sie ging – und traf dort ihren Mann.
Sie rief: „Ich danke, Herr, für dich!
Ich war ein Nichts, nun hebt sich’s an:
Ein Kind wächst bald im Leib für mich!“
So war Maria dann empfangen,
vom Geist in göttlich’ Kraft geführt.
Ihr Leben – rein, mit Gnad’ umfangen,
hat sie als Tempelmaid gespürt.
Die Jungfrau unter Jungfraun war
so sanft, so edel und bereit,
dass sie schon dort, im Tempel klar,
als Königin der Maidn’ gedeiht.
Und noch ist sie in Himmelsfreud
die Sanfteste, die Hilf’ verheißt
für alle, die in tiefer Leid
sie rufen – sie, die Gnade weist.
Ein Herr einst hatte einen Knecht,
der trug die Zinslast schwer,
er zog durch finstres Waldgeflecht,
sein Herz war bang und leer.
Denn Räuber lauerten im Wald
und drohten ihm Gefahr,
doch fiel ihm ein, ganz fromm und bald,
dass er sein Psalter gar.
Er kniete nieder in das Gras
und betete voll Treu:
„Ave Maria, voll der Gnad“ –
bei jedem Wort aufs Neu.
Da kam die Jungfrau, hold und schön,
ein Kranz in ihrer Hand,
bei jedem „Ave“ sah man sehn
ein Lichtlein wie ein Brand.
Ein Ros’ bei jedem Gruß erblüht
im Kranz auf seinem Haupt,
der Glanz so hell die Nacht durchzieht,
dass niemand ihm ihn raubt.
Als er geendet seine Pflicht,
da küsst’ er noch den Grund,
ging weiter, ohne Furcht im Licht,
sein Herz war froh und bunt.
Die Räuber führten ihn zum Herrn,
der alles hat gesehn,
und fragten ihn, in wildem Zorn:
„Wer ließ dich so bestehn?
Was war das Weib, das Kränze band
und dir den Kranz geschenkt?“
Er sprach: „Ich sah kein Frauenhand,
nur dass mein Herz sie lenkt.“
„Ich bat Maria, mild und klar,
dass sie mir beisteh treu,
und sprach ihr Psalter wunderbar –
das war mein ganzes Neu.“
Da sprach der Räuber: „Geh nun fort
in Frieden, ohne Leid.
Doch bete du an unserm Ort
für uns zur selgen Maid.“
Ein Abt, vom König ausgesandt,
fuhr einst nach Dänemark,
als auf dem Meer ein Sturm entbrannt
und rings ward alles stark.
Sie riefen Heilige in Not,
in Todesangst und Leid,
da sprach ein Mann, vom Himmel bot:
„Wenn ihr das Fest bereit’ –“
„– der Jungfrau rein, am zweiten Tag
nach Niklas, ohne Scheu,
dann wird sie helfen, wie sie mag,
euch alle macht sie neu.“
„Wie sei der Dienst?“ – „Wie bei Geburt,
doch sprecht: ‘Empfängnis rein.’“
Der Sturm verschwand in rascher Flut –
das Meer ward wieder sein.
Der Abt vollbracht sein Werk sodann
und kehrt’ mit Gnad zurück,
erzählt’ dem König, was begann
und was geschah zum Glück.
Der König ließ es pred’gen weit
im ganzen Königreich,
und so ward es zur heil’gen Zeit
der Kirche fromm und gleich.
Ein Chorkanon, ein weltlich Mann,
fuhr über Strom in Lust,
er wollte frevlen Ehe bann,
doch reut’ es ihn zur Brust.
Er sprach das Stundengebet der Frau
mit „Ave“ auf dem Mund –
da riss der Feind ihn in den Bau
und stieß ihn in den Grund.
Die Teufel sagten: „Er ist unser,
wir holten ihn im Fluch!“
Doch sprach Maria, selig, kühner:
„Er war in meinem Buch!
Er betet’ meine heil’gen Stund’,
drum lasst ihn wieder frei!“
Sie hob ihn auf vom tiefen Grund
und macht’ ihn neu dabei.
Sie sprach: „Tu nie mehr Ehebruch
und ehr mein Fest zugleich!“
Da tat er Buß’ und Lebenskuch
ward rein im Herzen reich.
Er lebte heilig, fromm und still
und ehrte sie fortan,
die reine Jungfrau, voller Will,
die ihm zu Hilfe kam.
Es war ein Klerker, fromm und klar,
der täglich sang zu Marien wahr
sein Mett’ und Dienst in heilger Stund —
so treu war ihm der selge Bund.
Doch sprachen ihn die Freunde an:
„Du sollst nun freien, edler Mann.“
Er willigt ein, doch denkt dabei:
„Heut sprach ich nicht das Marienfrei.“
Da bat er, all aus Kirch zu ziehn,
damit er still vor Gott mag knien.
Er sprach das Amt mit Herz und Mund
bis zu dem Lob aus heilgem Grund:
„Quam pulcra es et decora.“
Da schien ihm auf Maria, klar.
Sie sprach: „Du sagst, ich sei so schön —
warum willst du dann von mir gehn?
Willst du mich lassen, deinem Licht,
für eine Frau aus Erden nicht?
Wenn du entsagst dem Fleischesband,
reich ich dir selbst die ewge Hand.
Du sollst dann Gottes Diener sein,
mein Sohn wird krönen dich zum Sein.
Doch tu noch dies zu aller Ehr:
Verehr mein Heil’gen Anfang mehr.“
SECHSTER GESANG
Nach Auslegung frommer Lehr’,
bedeutet "Anne" Gnadenlicht.
Und dieses Lob gebührt ihr sehr,
denn in ihr wuchs, was ewig ist:
Sie trug im Schoß das Gnadenquell,
die Herrin Erd’ und Höllenwelt.
Die Jungfrau war’s, von Gott erwählt,
die Gottes Sohn dem Volk bestellt.
Die Mutter Christi, unser Trost,
die Heilung schenkt in Sündennot,
die uns in Leid und Schmerz erlöst,
Maria, Helferin in Tod.
Der edlen Rose, zart und rot,
war Anne Wurzel, Stamm und Grund,
ihr Ursprung war von heil’gem Bund.
In dreierlei ward sie gepriesen,
wie alte Schriften kundig sind:
Erst durch ihr königliches Wesen,
von Davids edlem Stamm geschwind;
dann durch ein frommes Tugendkind,
und schließlich durch die Frucht, so reich –
Sie war von Gott gesegnet gleich.
Ihr Vater war von Isachar,
ihr Mutter Nasaphath genannt.
So lehrt uns’s die Geschichte klar,
die durch die Schrift ist wohlbekannt.
Und David, Herrscher wohlgewandt,
zeugt’ vier mit Bersabe, der Frau
des tapfern Uria einst genau.
Der dritte hieß, so meldet’s klar,
Salomon, voller Weisheit Macht.
Der vierte Nathan, offenbar,
von dem her Joachims Stamm erwacht.
Denn nicht nach Frauen, wie bedacht,
erzählt die Schrift die Ahnenreihe –
doch Mann für Mann ist’s alte Treue.
So ist, wie Josephs Stamm man zählt,
auch Annes Linie ganz bekannt,
durch Joachims Geschlecht erzählt,
wie’s Hieronymus auch benannt.
Und dass kein fremder Bund entstand,
verbietet altes Bundesrecht –
Drum war auch Joachims Geschlecht echt.
Von Nathan kam einst Levi her,
der mit Estha, wie’s Damask sagt,
zwei Söhne zeugt’, so lehrt’s uns mehr:
Pantar und Melchy, unverzagt.
Barpantar ward von Pantar gefragt,
und der dann Joachims Vater war –
ein Stamm, von Anmut rein und klar.
Die andre Linie zeigt sodann
von Salomon her Mathans Blut,
von ihm kam Jakob, wie man’s kann
bei Matthäus sehn in heil’ger Glut.
Doch Melchy, Nathans Sohn voll Mut,
nahm Jakobs Mutter einst zum Weib,
und zeugt’ den Ely, treu im Leib.
So war’n, wie’s Damascus verkündet,
Jakob und Ely Brüder fein,
doch aus zwei Stämmen ganz begründet –
der eine Nathan, der andre sein
von Salomon. Um eins zu sein,
nahm Jakob, als der Bruder starb,
die Frau, wie’s altes Recht verbarg.
Und Joseph, Bräutigam Mariä,
ward so geboren aus dem Bund.
Ein doppelter Stamm, wie Harmoniä,
führt uns zur Jungfrau rein und wund.
Hier endet nun des Stammbaums Grund –
und wer’s moralisch deuten mag,
find’ Weisheit drin für seinen Tag.
Nach heil’ger Lehre nun gesehn,
trägt David himmlisch Herrlichkeit,
ein Vater, aus des Himmels Höhn,
in dem die Macht des Ursprungs schreit.
Salomon Friedensfürst bereit,
ein Bild des Sohnes, der uns liebt,
der uns als Mensch die Sünden gibt.
Nathan sprach: „David, edler Sohn,
Ein Gabe deutet man als Zeichen,
Von wem Levi einst ward entfloh’n,
Ein Aufgenomm’nes tat uns erreichen.
Dies meint, dass unser Fleisch gebührt
Dem Sohn, der ist in Gottheit Zwei;
Ein göttlich Bild, das uns verführt
Zum Mysterium, ewig frei.
Doch reicht’s nicht, dass er Fleisch uns nahm,
Da Sünde tief die Menschheit bricht,
Wenn nicht der Feind, so stark und zahm,
Bezwingt wird – durch des Heilands Licht.
Drum kam herab zu Jakobs Pfad,
Des Namens Sinn ist: „Überwindung“,
Da unser Fall war schier zu schad,
Bedurft’s der heil’gen Ursprüngbindung.
Wie Jakob Esau übertrifft,
Des Namen meint: Erbfolge, Recht,
So Christus uns den Feind verschifft,
Der uns mit List zu Boden schlägt.
Er hing am Kreuz in Schmach und Pein,
Genagelt hart an Holz und Stein,
Ein Speer durchdrang das Herz so rein –
Ein Opfer ward, was einst war Sein.
Nach Jakob folgt, wie Schrift es spricht,
Joseph, der in der Reihe stand,
„Vermehrung“ heißt sein Namenslicht,
Der treu Mariens Herz verband.
Maria – See voll Bitterkeit,
Und doch: Heil in dem Namen liegt.
In ihr ward Gottes Herrlichkeit,
Die ganz das dunkle Leid besiegt.
Joseph, wachsend an Tugend Kraft,
Verband sich mit der Meere Leid –
Maria, die mit Schmerz erschafft
Den Sohn, der bringt Gerechtigkeit.
Wenn Anne – Mutter Buße sei,
Die selbst „Gnade“ und „Liebe“ nennt,
So keimt in Demut, sanft und frei,
Der Heiland, der das All erkennt.
Gesegnet Anna, edles Blut,
Von Davids Stamm, dem König treu,
Ward geboren in heil’ger Glut
Zu Bethlehem – dem Haus der Reu.
Dort wuchs sie auf in frommer Pflicht,
In Tugend ward ihr Herz gelenkt,
Von Eltern, die mit Lieb’ und Licht
Ihr Weg in Gottes Hand gesenkt.
Isachar hieß des Vaters Nam’,
Nazaphat war der Mutter Ruf,
Die beide – fest in Glaubensgram –
Erzogen sie mit heil’gem Beruf.
Als sie zur Reif’ des Alters kam,
Nicht allzu jung, doch rein im Sinn,
Da trat sie in der Ehre Bahn
Und fand als Gattin ihren Sinn.
In Galiläa, fern und still,
Ward sie vermählt nach frommem Brauch,
Dem Joachim, der Gutes will,
Ein Mann gerecht – wie’s Gott erlaucht.
In Nazareth, so heißt die Stadt,
Von Davids königlichem Haus,
Ein Reicher, der kein Böses tat,
War er – ein Licht im Tugendstrauß.
Ein Mann, der einfach, gütig war,
Gott wohlgefiel mit stillem Tun,
Ein Herz, das reif durch jedes Jahr,
Ein Spiegel heil’gen Liebesmuhn.
Und Anna war ihm gleich gesellt,
Denn wie die Weisheit sagt mit Macht:
„Gleich gleichem wird zur rechten Welt,
Wie Schwan zu Schwan in stiller Nacht.“
Wie Schaf sich zu dem Schafe neigt,
So findet Tugend Tugend schön,
Und wo sich heil’ge Kraft verzeigt,
Da kann ein Haus in Gnade stehn.
Sie beide wuchsen Jahr um Jahr
In Frömmigkeit, in reiner Kraft,
Ein Bündnis, das durch Tugend klar,
In Gottes Licht sich selbst erschafft.
Denn was in junger Schale reift,
Behält den Duft von alter Zeit,
So dass ihr Leben Liebe greift
Und standhaft bleibt in Ewigkeit.
Ihr Gut, das Gott gegeben hat,
Teilten sie treu in weisem Sinn:
Ein Teil dem Tempel – heil’ge Tat –
Ein Teil den Armen, krank und blind.
Der dritte Teil blieb Hausgebrauch,
Doch stets mit Maß und Herzensgut.
So lebten sie in stillem Brauch,
In Gottesfurcht, mit treuer Glut.
Zwanzig Jahre – ohne Kind,
Doch keusch in reiner Eheband,
Wo ihre Bitten stetig sind,
Gott suchend mit gefalt’ter Hand.
Dreimal im Jahr mit Opfersinn
Zum Tempel zogen sie empor,
Mit Demut, dass Er gnädig bin,
Mit Tränen, Liedern, Flehn im Chor.
Mit heilgem Sinn sie ein Gelübde sprachen:
Wenn Gott aus Gnad ein Kind beschert allein,
Soll's Ihm im Tempel, wie vor Zeiten Brachen,
Dargebracht zum Dienst des Herren sein.
Ob Knab, ob Mädchen – rein von Sünd und Pein –
Soll’s dort vor Gottes Antlitz stehen,
Solang sie’s führen und verstehen.
Viel später an des Tempels Weihetag,
Da zog mit Andacht, festlich angetan,
Joachim, wie er’s stets zu halten pflag,
Nach Jerusalem, als frommer Mann.
Mit Bürgern, die gleich ihm im Glauben stan,
Bracht er, wie's jedem wohl gebühre,
Sein Opfer dar in stiller Rühre.
Der Bischof war zu jener Zeit Isakar,
Wie uns die alte Chronik treulich sagt.
Er sah, wie Joachim, voll Andacht gar,
Im Tempel stand und keinen Zweifel nagt.
Doch schalt er ihn, dass solch ein Mann es wagt –
Ein Fruchtloser, ein Unbelebter –
Zu treten vor des Herren Zepter:
„Dein Opfer, sprich ich, ist nicht rein,
Es kann Gott nimmermehr gefallen.
Denn Fruchtlossein ist Fluch allein,
Wie’s Schriften künden allenthalben.
Verflucht ist, wer in Israels Hallen
Kein Kind, kein Trieb, kein Erbe schenkt –
Solch Mann sei ferne, tief gesenkt.“
„Drum, Joachim, kehr um von hier,
Bis Gottes Zorn sich dir geneigt,
Bis dir vergeben ist die Gier,
Die dich zu solchem Ort gezeigt.
Erlang Versöhnung, sei erneut gereinigt –
Dann magst du opfern, ohne Scham,
Mit Gnad und Segen, mild und zahm.“
Da war sein Herz von Schmach beschwert,
So floh er heimlich aus dem Tor,
Wollt’ nicht, dass einer ihn belehrt,
Nicht Nachbarn reden hin und vor.
Er nahm den Weg zum Hirtentor,
Dort, wo im wilden Ödgelände
Sein Vieh in Gottes Händen stände.
Und während er sein Vieh bewacht,
In stiller Flur und weitem Raum,
Hat Anna, die vergeblich wacht,
Schon fünf voll Monde ohne Traum
Kein Zeichen noch von ihm – wie kaum
Ein Trost sie traf in ihrer Not –
Sie sank in Bet und fleht zu Gott:
„O Herr der Zeit, des Himmels Licht,
Du Ewiger auf hohem Thron,
Dem keine Macht das Zepter bricht,
Regierer ohne Maß und Lohn –
Gedenk, o Gott, an deinen Sohn,
Hab Mitleid mit mir armen Fraun –
Lass auf mein Haupt dein Erbarmung schaun!
Du Herr von Israel, stark und wahr,
Warum, o Herr, versagst Du mir
Ein Kind – und nimmst mir auch den Paar,
Den Gatten treu, entfremdet mir?
Fünf Monde nun sind fort von hier –
Kein Wort, kein Zeichen gab er kund.
Ist er wohl tot – oder gesund?
So hilf, o Herr, in meinem Leid,
Lass mich nur wissen, wo er sei.
Wenn er noch lebt, bin ich bereit
Zu ziehn zu ihm, auch ohne Scheu.
Und wenn er tot ist, träg ich treu
Sein Grab mit Blumen, meinem Sinn –
Mit Fleiß und Andacht, tiefem Sinn.“
Denn, Herr, Du weißt, mit treuem Sinn
Hab ich ihn stets von Herzen lieb,
Seit wir in heil’ger Ehe drin
Verbunden sind durch Gnad und Trieb.
Kein andres Wesen mir je blieb
So nah – drum steh mir, Herr, zur Seit,
Wenn nun das Band sich löst im Leid.
Dies sprach sie unter Tränenklag,
Mehr Wort, als ich nun nennen kann,
Und seufzend ganz in Trauerslag
Schritt sie zur Laube leis heran.
Dort hob sie innig Flehn begann,
Zu dem, der über allem thront,
Und tief ihr Herz in Andacht wohnt.
Als sie vom Beten aufgericht,
Ihr Auge hebt, fast unbewusst,
Da sah sie in dem hellen Licht
’nen Spatz im Laub mit Mutterlust.
Ein Nest aus Moos war’s, feucht mit Dunst –
Da sank sie knieend auf den Grund
Und rief mit ernstem Herzensgrund:
„O Herr, Du Höchster, groß und weis,
Dem Fisch, dem Tier auf Erden gar,
Gabst Du aus Güte, mild und leis,
Nach Art zu zeugen, Jahr für Jahr.
In Kindern spiegelt sich Dein Schar,
Zu Ehren Deines Namens weit,
Durch alle Welt bis Ewigkeit!
Und ich, Herr, dank Dir mildiglich,
Dass Du in Deiner Huld und Macht
Auch mir gewährtest gnädiglich
Was Dir allein zur Freude lacht.
Doch hätt’st Du je ein Kind gemacht –
Ein Sohn, ein Mägdlein – mir zur Frist,
So wär’s für Deinen Dienst gewiss.“
Dies sprach sie still mit bangem Blick,
Und noch mit schwerem Seelenweh,
Da trat – sie ahnt es kaum zurück –
Ein Engel zu ihr, hell wie Schnee.
In Klarheit leuchtend, mild und jäh,
Mit Ehrfurcht sprach er segnend aus
Sein Wort, so hell wie Himmelslaus:
„Fürchte dich nicht, o Anne, nein,
Dass ich so plötzlich zu dir kam –
Ich bringe Botschaft hell und rein
Von oben, aus des Himmels Rahm:
Ein Kind empfängst du, ohne Gram;
In Ehr’ und Ruhm wird’s hoch verehrt,
Von jedem Volk bis End der Erd.“
So sprach der Engel in der Luft,
Dann schwand er wieder himmelwärts.
Und Anne, stumm vor tiefer Kluft,
Verlor sich ganz in Schmerz des Herzens.
Sie kehrt zurück mit leerem Schmerzens –
Ein Tag, ein Nacht in Schweigen bloß
Lag sie in Flehn, von Trost recht los.
Als sie nun weinend auferstand,
Rief sie ihr Mägdlein still zu sich:
„Du siehst, wie ich hier ganz verbrannt
Von Leid, und einsam jämmerlich.
Und doch – du standst nicht gütiglich
An meinem Bett, so krank und bleich –
Wie konntest du – so herzenteich?“
„Ach Herr, wenn nun das Sprichwort geht,
Dass Du mir Trost ganz hast entwandt,
Und selbst mein Mägdlein von mir steht,
Die doch mein Trost sein sollt’ zur Hand –
So tust Du’s, dass ich ganz verstand,
Dass ich nur Dir vertrauen soll,
Mein Hoffen leg ich Dir ganz voll.“
Da sprach das Mägdlein hart und kalt:
„Wenn Gott dir Frucht im Leib versagt,
Und auch den Mann dir nahm so bald –
Was soll mein Trost dir, der verzagt?
Nein, nein!“ Und Anne, tief geplagt,
Sank nieder, weinend ohne Maß,
Von aller Hoffnung ganz verlass.
Inzwischen trat im grünen Tal
Ein Engel zu Joachims Blick,
In Jünglingsbild, so hell und strahl,
Als hütend er sein Schäfleinstück.
Er sprach mit liebevollem Glück:
„Warum, so sag mir’s ohne Scheu,
Kehrst du nicht heim zu deiner Treu?“
„O junger Mann“, sprach er sodann,
„Ich sag’s dir frei, wie’s wirklich ist:
Ich liebe sie, so wie ein Mann
Die Eine liebt, die nie er misst.
Doch zwanzig Winter sind’s gewiss
Und mehr wohl noch – da blieb uns leer
Die Saat, kein Kind erfreut uns mehr.
Es fehlt mir, was ein Mann wohl hat;
Ich bin, wenn Männer zählt man, klein.
Kein Erbe wuchs aus unser Saat,
Kein Sohn, kein Töchterlein ist mein.
Drum scheint’s, es kann nur Eitles sein,
Dass ich noch hoff und weiter pflüg –
Denn Frucht bringt unser Feld nicht mehr zurück.“
Wer früh sein Feld mit Fleiß bestellt,
den Apfelbaum mit Wasser nährt,
doch nichts daraus zur Frucht sich stellt,
der sät auf Stein, vom Wind verhehrt.
So hab ich zwanzig Jahr und mehr
umsonst gehofft mit ernstem Tun.
Jetzt will ich hoffen nimmermehr,
denn Tränen ließ man mich nur ruhn.
Der Bischof stieß mich aus dem Haus,
verschmähte meine milde Gab.
Weil ich in Trauer ging hinaus,
er mir kein Heil, kein Segen gab.
Drum kehr ich nicht mehr heim zur Stadt,
was immer auch geschehen mag.
Ich bleib bei dem, was Weide hat,
und trage still des Lebens Plag.
Was ich besaß, will ich nunmehr
wohl teilen nach des Geistes Maß:
Dem Tempel, Armen rings umher,
der Frau, mit der ich Frieden las.
Ein Jüngling sprach nun still und klar:
„Ein Engel bin ich, Gottes Knecht,
gesandt zu deiner Frau sogar,
die weint und betet, Tag und Nächt.
Gesehn hab ich dein Leid, dein Weh,
die Schmach, die unverdient dir ward.
Der Herr ist gerecht, und wie ich seh,
vergilt er’s gut in rechter Art.
Wenn er den Schoß verschlossen hält,
so wird er’s umso herrlich tun.
Sein Wunder ist’s, das alles fällt
ins Licht nach Jahren langen Ruhn.
Sarah war alt, von Frucht so leer,
doch kam durch sie der große Sohn.
Und Rahel litt am Kinde sehr,
bis Joseph kam mit Segenslohn.
Samson, der Held, kam spät zur Welt,
Samuel, Richter, war auch spät.
Dein Weib nun gleiches Schicksal hält –
doch seht, was nun euch widergeht:
Ein Töchterlein wird euch beschert,
ihr Name soll Maria sein.
Dem Tempel wird sie zugekehrt,
von Anfang wird sie heilig sein.
Der Geist des Herrn wird sie durchwehn
schon in des Mutterleibes Macht.
Drum eile heim – du wirst’s ersehn:
ihr Same bringt die ewge Pracht.“
Da fiel Joachim auf das Knie,
betet den Engel freudig an:
„Wenn ich in deiner Gnade steh,
so speis bei mir als Gottesmann.“
Der Engel sprach: „Nicht Diener bloß –
wir beide sind des Herrn allein.
Mein Trank ist himmlisch, unsichtbar,
drum soll dein Opfer Gottes sein.“
Da holt er schnell ein Lamm herbei
und opfert’s wie der Engel sprach.
Der Engel stieg mit Duft und Scheu
empor im Himmelsflug sogleich.
Joachim sank in Staub und Schmerz
und lag vom Mittag bis zur Nacht.
Die Hirten dachten, tot sei er gar –
doch kam er heim zu neuer Macht.
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Du:
in deutsche romanzenstrophen: And whan he thus ageyn com was
And wel adawed of his swouwnynge,
He tolde his servantys al the cas
And what was cause of his fallynge,
And anon thei hym conseled for anythynge
Al that the aungel dyde to hym seye
Wythowt taryeng he it shulde obeye.
Aftyr this, as Joachym gan thynk
In his hert what best was to do,
Slepe aftyr hevynesse made him to wynke,
And anon this aungel, evene ryht so
As he had uakynge, appered him to
Whyl that he slepte, and on this wyse
His massage to hym thus he dede devyse:
"I am the aungel the whiche at assignement
Of God am comaundyde thy kepere to be;
And of my comynge, lo, this is the entent -
In hasty wyse that thou home hye thee.
Youre prayeris ben harde, and therfore ye
Swich a chylde shul have as never tofore
Ne never schal aftur of woman be bore."
And whan Joachym of his slepe awoke,
He made hym redy wythowt lettynge,
And thankyd God, and aftur that he toke
Homward his weye, wyth hym ledynge
Bothe herdemen and bestys, forthe softe goynge;
And ever be the wey as they dyde walke,
Of Goddes goodnesse they dede speke and talke.
And whan they had ful ner spent
Thryes ten dayes in here journey,
An aungel from Heven to Anne was sent,
Whiche bad hyr goon to the hy cyté
Of Jerusalem, wher she shulde ce
At the gate whiche hath name of golde
Hyr spouse, the joye of hyr housholde.
Owt of hyr prayers anon dede ryse
Thys blessyde Anne, and on hyr ueye
To Jerusalem-warde, as dede devyse
The auungel, she gan hyr fast conveye;
And whan at the goldede gates she sey
Hyr dere spouse comyn wyth his herdemen,
As fast as she myhte she gan to ren.
She toke heed of non other thynge
But of hym alone, for in veraay blysse
Here thowte she was for his comynge.
And anon she gan hym halsen and kysse,
No joye wenynge that she myht mysse
Syth she hym hadde, and thus she gan crye,
"Welkecome, dere spouse, and God gramercy!
"I was a wedowe, now I am non.
I was also bareyn and reprevable,
But nowe bareynesse is from me gon,
And to conceyvyn I am made able
Be Goddes providence eterne and stable;
And for His goodenesse shewyd unto me
Magnyfyed mot evere His name be."
Whan this miracle abowte was blowe
Be the trompet of fame in that cuntré,
To alle tho that hem dede love or know
Ful gret joy was of that novelté,
And specyaly to alle ther offynyté.
And after this hom they went, sothly,
The promysse abydynge of God mekely.
After the nyhnte monyth, as I remembre,
Whan Phebus in Virgine had his curs ny runne,
I mene the eyghte day of September,
To the werd appered a newe sunne,
And of Annes wombe sprange the oyle-tunne11
Of gracyous helthe to alle that beth seke,
Wyth a devouht hert if they wyl it seke;
This is to seyne, that this day was born
The glorious gemme of virginyté,
Syche as never non was beforn,
Nor never aftyr other lyke it shal be;
Whos singuler privylege was this, that she
Shulde mayde be and modyr eke of Myssye;
And hyr name they dede clepe Marye.
This lady to preysen as it were skyl
Aftyr the meryte of hyr worthynesse,
Fer pasyth my wyt, thow not my wylle;
I pleynley knowleche myn owne rudnesse.
But whoso wyl knowen, as I do gesse,
In Englysshe here laudes, lat hem looke
Of owre Ladyes Lyf Jhon Lytgates booke.
ChatGPT:
Gerne übertrage ich diesen mittelenglischen Text aus der Legende von Joachim und Anna – den Eltern Marias – in die deutsche Romanzenstrophe. Die Romanzenstrophe besteht typischerweise aus sechs jambischen Versen mit vier Hebungen, wobei der Reim aabccb ist. Ich werde den Text dabei sinngemäß und poetisch nachempfinden, nicht wörtlich übersetzen, um den Rhythmus und die Form zu wahren.
1
Als er erwacht aus tiefer Not
Und aus der Ohnmacht neu erwacht,
Erzählt er treu, was ihm gedroht,
Was ihn zur Erde hat gebracht.
Da rieten seine Knechte sacht:
„Was dir der Engel ließ vernehmen,
Dem sollst du ohne Zögern zähmen.“
2
Da dacht’ Joachim, was nun zu tun,
Und Schlaf umfing sein müdes Haupt.
In süßem Traum ward ihm zu Ruh’n
Der selbe Engel anvertraut,
Der auch im Wachen ward geschaut.
So sprach er, während er noch lag,
Des Himmels Botschaft ihm im Traum am Tag:
3
„Ich bin der Engel, Gottes Hand,
Der dir als Hüter ward gestellt.
Sein Auftrag führt mich in dies Land –
Drum eile heim aus freiem Feld!
Gott hat das Flehen nun erhört:
Ein Kind sollt ihr empfangen bald,
Wie keines ward aus Frauengestalt.“
4
Da Joachim vom Traum erwacht,
Bereitet er sich ohne Zagen,
Und dankt dem Herrn mit neuer Macht
Und tritt mit Vieh die Heimfahrt an.
Sie gingen langsam, Mann für Mann,
Und sprachen andachtsvoll im Chor
Von Gottes Güt und heil’gem Tor.
5
Nach dreißig Tagen Weges Last,
Als sie der Stadt Jerusalem nah,
Ward eine Botin mild und fast
Zur heil’gen Anna ausgesandt.
Sie sprach: „Geh aus mit Herz und Hand
Zum Gold’nentor – dort wirst du seh’n
Den Mann, der wird dir Trost erfleh’n.“
6
Da stand sie auf aus frommem Flehn
Und eilte hin mit sel’gem Sinn.
Sie ließ kein andres Ziel mehr seh’n
Als ihres Gatten Heimatgrün.
Am Gold’nentor, da war Beginn
Der seligsten Umarmung bald –
Sie lief zu ihm mit Herzgewalt.
7
Sie sah kein Ziel, kein andres Licht,
Als ihn, der ihr entgegenkam.
Sie küsst ihn froh im Angesicht,
Erfüllung ward ihr inn’ger Gram.
„O, Dank dem Herrn!“ so sprach ihr Nam’,
„Willkommen, Gatte, meiner Zeit!
Nun endet Schmerz, nun wächst das Leid.“
8
„Ich war verstoßen, öd und kalt,
War wie ein Baum, der nicht mehr blüht,
Doch nun bin ich von Gottes Halt
Mit Lebenskeim erneut durchglüht.
Ewige Weisheit mich durchzieht,
Gott hat mich wieder fruchtbar gemacht –
Sein Name sei gepriesen sacht!“
9
Die Kunde ward gar schnell bekannt
Im ganzen Land, mit Ruhm geschmückt.
Die Menschen lobten, nah und fern,
Was Gott an seinen Knechten wirkt.
In Demut zogen sie beglückt
Nach Hause – und erwarteten
Das, was der Herr verheißen hätt’.
10
Und als die neunte Zeit verfloss,
Und Phöbus durch die Jungfrau sank,
Da ward, wie nie zuvor, ergoss
Ein neues Licht, dem Volk zum Dank.
Gesundheit sprang aus heil’gem Tank,
Ein Ölfass ward aus Mutters Leib,
Für kranken Sinn, der Gnade treib’.
11
Dies ist der Tag – der Glanz begann –
An dem Maria ward gebor’n,
Die reinste Jungfrau, Mensch und Bann,
Die ohne gleichen auserkor’n.
Zur Mutter Gottes auserseh’n,
Ein Magd zugleich – so war’s bereit –
Ihr Name lebt in Ewigkeit.
12
Doch wer sie loben will mit Macht,
So wie es recht und billig wär,
Der wird erkennen: Menschenkraft
Vermag das Lob nicht annähernd mehr.
Doch les’ in Lydgates heil’gem Lehr:
„Von unser Frauen Tugend sei
Die beste Schrift sein Lied dabei.“
Wer auf Latein den Preis begehrt
Von dieser edlen Frauen Zier,
Der suche zehn Bücher, wohlgelehrt,
In kunstvoll dichterischem Plier.
Dort steht, was ich nun kürzen muss,
Was bleibt von meiner Erzählung hier,
In Hochzeitliedern, süßer Fluss
Der Worte, reich an heilger Zier.
Als Phebus, der am Himmel zieht,
Dreimal durchlief des Tierkreiss' Bild
Und in der Jungfrau Zeichen flieht,
Da ward Maria, Gott ihr Schild,
Gerade drei Jahr an Lebenszeit.
Da sprachen Anne und Joachím:
„Die Tochter sei dem Herrn geweiht,
Wie's unserm heilgen Schwur bestimmt.“
Zum Tempel zogen sie geschwind,
Zur nächsten Festzeit, fromm bewegt,
Die Eltern mit dem heilgen Kind,
Das still und staunend sich erregt.
Fünfzehn Stufen aus Marmor hart
Zum Tempel führten in das Haus,
Dort ward Maria niederschar't,
Und stieg hinan ohn allen Graus.
Ein Wunder war's: Kein Händereich’n,
Kein Ruf nach Vater, Mutterlaut,
Sie stieg empor die Marmorstreich’n
Allein durch Gnade, Gott vertraut.
Nie kehrte sie den Blick zurück,
Noch sah sie links, noch sah sie rechts,
Nur auf das Heiligtum ihr Blick,
Gott selbst war Ziel und Trost und Recht.
Die Mutter sah dies große Tun
Und rief, erfüllt vom Geist des Herrn:
„Gelobt sei Gott, der uns nun nun
Von meiner Schmach so hat entfernt!
Nicht mehr nennt man mich unfruchtbar,
Denn aus mir keimt des Heils Beginn.
Gott hat in Gnade wunderbar
Erhört mein Herz, mein innerstes Sinn.“
„Nicht nur mich hat Gott erhöht,
Auch all sein Volk in Leid und Schmerz,
Er schaut es an, das lang gefläht,
Mit liebend mildem Vaterherz.
Durch meine Frucht, die Gott mir gab,
Kommt Trost, der ewig währen kann,
Nicht nur für mich – der Menschheit Grab
Erblüht zum neuen Lebensplan.“
Dann boten sie in frommem Sinn
Maria dar dem Herrn der Welt,
Mit Demut und mit Herzbeginn,
Wie es ihr heilger Vorsatz hält.
Und Gott, der aller Dinge Schöpfer,
Empfing das Kindlein mild und weich.
Dann kehrten heim die alten Opfer
Nach Nazareth, dem Vaterreich.
Wie lang dann Joachím noch lebt,
Das kann ich leider nicht mehr sagen.
Doch Anne, wie man weiter webt,
Drei Töchter soll sie doch getragen.
Und jede trug den Namen gleich –
Maria hieß ein jedes Kind.
Ob einem Mann sie war zugleich,
Bleibt offen, wie’s die Quellen find’t.
Und also endet dies Gedicht,
Von heilger Anna mildem Leben.
Ich fleh zu ihr mit frommem Licht,
Sie möge für uns Fürsprache geben.
O gnäd’ge Anne, du, die würdiglich
den Namen trägst, aus dem die Gnade quillt,
aus dir entsprang, so wunderbar und reich,
die Mutter Gottes, die den Himmel stillt.
Die Quelle, die das ew’ge Leben füllt,
trat durch dich in die Welt – o sei mir hold,
wenn ich scheid’, führ mich in des Himmels Gold.
Erwirke auch, dass, wenn’s dem Herrn gefällt,
dem John Denstone und seiner Ehgemahl
ein Kind geschenkt wird, eh der Tod sie fällt –
ihr Leib noch birgt des Lebens letzte Zahl.
Ein Töchterlein schon ziert das Elternstrahl,
die Anne heißt, zu deiner Ehr, o Zier,
und führe du dereinst auch sie zu dir.
SIEBENTER GESANG
Bevor ich weiter Worte fand,
sprach ich mit stiller Stimme leis:
Das Haus, das mir vor Augen stand,
war nicht wie jenes, das ich weiß.
Nicht Nazareth, wie ich es sah
in frühern Bildern, war dies hier.
Der Raum war anders – wunderbar –
auch Felder zeigten sich vor mir.
Der Garten war viel größer noch,
als ich ihn später einst ersah,
da blieb nur Beet und kleiner Hof,
doch hier war mehr – ganz offenbar.
Vielleicht verkaufte man das Land
aus Not, die Eltern voller Müh,
vielleicht war dies auch eine Hand –
ein Heim, geschenkt durch Josefs Treu.
Ich weiß nicht, wo Maria war
geboren – ob in diesem Raum.
Mein müder Kopf bleibt ohne Klar,
Gedanken flieh’n wie flücht'ger Traum.
Was ich gehört, verweht im Wind,
doch bleibt das Licht in meiner Seel’.
Das Bild, das ich im Geiste find’,
bleibt mir als Wahrheit, tief und hell.
So schreib ich auf, was ich geseh’n,
weil Worte mir so schnell entflieh’n.
Ich hoffte gestern – doch vergeb’n –
auf Diktat, das nicht erschien.
Ich seh – der Blick wird wieder klar –
Jerusalems Umgebung weit.
Ein Lager ist dort, wunderbar,
voll Menschen in der Abendzeit.
Kein Markt mit Lärm und Tand und Klang,
kein Spiel, kein Ruf, kein Kaufgeschrei.
Nur Zelte, aufgestellt entlang
der Hügel, friedlich, fromm und frei.
Die Zelte schlicht aus Wolle rau,
mit Zweigen reich und Laub geschmückt,
bewahren Frische, grün und blau –
ein stilles Lager, das beglückt.
Und unter jedem sitzen nun
Familien in Gesprächen sacht,
nur Kinderschrei stört das Tun –
dann senkt sich schon die stille Nacht.
Und Öllamp’ leuchtet hier und da
im Zwielicht dieses heil’gen Orts.
Man sieht, wie sich die Menge nah
versammelt um des Abends Lichts.
Die Mütter stillen, Kinder müd
sind eingenickt mit Brot im Arm.
Wie Küken, die die Henne hü’t,
so liegt ihr Haupt, so weich, so warm.
Ein Kinderschlaflied leise zieht
durchs Dunkel, klagend, sanft und weich,
ein Wiegenruf, der niederblüht
vom Feuer her ins Hüttengleich.
Der Himmel färbt sich samtig blau,
ein tiefes Tuch aus Nacht und Glanz.
Die Sterne, ruhig, kalt und rau,
beginnen ihren stillen Tanz.
Der Große Wagen ruht im All,
sein Deichselarm zum Boden neigt.
Der Nordstern glänzt, ein Silberhall –
und jemand sagt: „Wie schön der zeigt!“
„Ein Oktobermond, so licht,
wie man ihn selten sah bisher!“
Da tritt mit Brot im Dämmerlicht
die Anne langsam vor das Heer.
Alphée ruft laut: „Papa!“ voll Kraft,
Joachim lächelt, zündet Licht.
Er steht beim Gast, in voller Saft –
ein junger Mann mit ernstem Blick.
Und Anne schreitet, mild und weich,
durchs Lager, wie ein stiller Glanz.
Sie ist nicht stolz, sie ist zugleich
voll Würde und in Demut ganz.
Ein Kind fällt ihr zu Füßen hin,
beschmutzt, erschrocken, zart und klein.
Sie hebt es auf mit sanftem Sinn,
und spricht: „Er soll gesund nur sein.“
„Ein schöner Junge, ist er dein?“ –
„Der sechste“, sagt die Frau voll Stolz.
„Ich wünsche mir nun auch ein Mägdlein,
ein Kind, das Herz mit Wärme holt.“
„Der Höchste tröstet dich gewiss“,
so spricht die Anne, seufzt sodann.
„Er hört, wenn deine Seele ist
so rein wie Tau am frühen Bann.“
„Ich bin zwar arm – doch unser Glück
sind Kinder, laut und klar.
Die Alten helfen uns beim Werk,
sie stehen uns stets nah.
Und Ihr, Madame, so gut gekleidet,
mit Blicken stolz und klar –
wie viele Kinder habt denn Ihr?“
„Ich hab’ kein einzig’s, wahr.“
„Kein einzig’s? Ist das nicht das Eure,
das dort beim Feuer saß?“
„Nein, es gehört dem guten Freund,
der mir einst Trost erlas.“
„Sie sind wohl tot?“ – „Nein, niemals das.
Ich hatt’ noch nie ein Kind.“
„Oh…“ – Die Frau sah sie traurig an,
so schweigend, wie der Wind.
Mit Seufzen grüßt Anne sie sanft
und kehrt zur Hütte heim.
„Ich ließ dich warten, Joachim,
doch sprach ich nicht allein.
Mit einer armen Frau geredet –
sechs Söhne hat sie schon,
und bald gebiert sie noch ein Kind –
das ist ihr Lohn.“
Joachim seufzt. Da ruft der Vater
den Sohn vom Nachbarhaus.
Doch dieser spricht: „Ich bleib bei Anne,
ich helf ihr hier im Haus.“
Da lachen alle. „Lass ihn nur,
er stört uns wirklich nicht.
Er muss noch nicht das Gesetz erfüllen,
ist frei wie das Sonnenlicht.“
Ein Vogel pickt am Brote dort,
Anne sitzt still dabei,
sie hält das Kind an ihre Brust
und gibt ihm Fisch und Brei.
Ich seh, wie sie den Fisch zerlegt,
sucht sorgsam nach dem Grät.
Dann lächelt sie – das Bild der Liebe,
wie es kaum schöner geht.
Die Nacht wird still, die Sterne mehr,
das Lager wird nun sacht.
Die Lichter sterben, eins ums andre,
verlöschen leis zur Nacht.
Die Kinder schweigen, müde jetzt,
nur Säuglinge noch schrein –
wie Lämmer, die nach Milch verlangend
bei ihrer Mutter sein.
Ein sanfter Windhauch streift das Feld,
vergisst das alte Leid,
wiegt Groll und Hoffnung, Traum und Sehnsucht
in dunkler Seligkeit.
Vielleicht bleibt etwas in den Träumen –
was keiner bei Tag erfährt.
Anne wiegt Alphée, das Kind,
das bald ins Schlummern kehrt.
„Ich träumt’, ich wär im nächsten Jahr
bei zwei Festen zugleich.
Eins wär die Opfergabe meines
Kindes, rein und weich.“
– „Hoffe, Anne“, spricht Joachim,
„hat Gott nichts sonst gesagt?“
– „Nur diesen Traum … Kein Wort, kein Zeichen,
so wie ich es gewagt.“
– „Doch morgen ist der letzte Tag,
wir flehn und opfern neu.
Gott sieht die Liebe, die wir halten –
sie macht die Hoffnung treu.
Ich glaub’, dir wird geschehn wie Hanna,
von Elkana genannt –
sie bat um Gnade, und die Stimme
kam aus der Himmelswand.“
– „O möge Gott das Wunder tun –
und bald die Stimme spricht:
‚Geh hin in Frieden, denn dein Bitten
hat Gott erfüllt mit Licht.‘“
– „Wenn es geschieht, so wirst du’s wissen,
wenn Leben sich regt in dir.
Denn dann spricht Gottes Wort im Kinde –
in Unschuld offenbar, in mir.“
Die Lager schweigen nun im Schlaf,
die Erde liegt ganz still.
Anne legt Alphée zu den Brüdern,
die Nacht wird, was sie will.
Dann legt sie sich zu Joachim
und löscht das letzte Licht.
Nur noch die Sterne überm Feld
bewachen das Gesicht.
EPILOG
O Sankt Anna, jungfräulich und unbefleckt,
Die du im Glanz der Reinheit ewig lebst,
Empfingst den Samen der präexistenten Weisheit,
Maria aus dem Himmel, lichtgeboren, hehr.
Du schienst als Quelle reiner Gnade,
Aus deiner Reinheit wuchs die Menschengöttin,
Die makellose, strahlende Erlöserin,
Die meine Seele ewig rettet und befreit.
Darum knie’ ich nieder, tief und fromm,
Mit Demut, Dank in meinem Herzen schwer,
Heilige Anna, segnend, gnadenreich,
Mein Schutz, mein Trost, mein Hoffnungsstern.
O Mutter der Mutter, Ursprung des Lichts,
Erhör mein Flehen, sei mein ewig Heil,
Durch dich erblüht die göttliche Liebe,
O Sankt Anna, heilig, rein, erhaben, sei mein!