VON TORSTEN SCHWANKE
Fast schien es hier nicht angebracht,
Dass man des Räubers Namen macht.
Denn war er auch kein großer Held,
Doch war er wohlbekannt im Feld.
Das Räubertum in jener Zeit
War eine Plage, weit und breit,
Von Schweiz bis hin zum Niederrhein
Fiel mancher Dieb in Dörfer ein.
Nicht eine Bande, fest vereint,
Die stets zusammen Beute meint,
Vielmehr in losen Haufen hier
Fand mancher Räuber sein Plaisir.
Verstreut in Städten und in Dörfern,
Verhüllt als Bürger, Handwerkwerfern,
Sie kamen nur zum Raubzug her,
Und schwanden dann ins Nichts umher.
Die Diebe selbst – sie waren klein,
Doch Hehler gab es haufenweise,
Die Schutz und Unterschlupf verliehn,
Und Beute fraßen ganz im Stillen.
Gar viele gaben still ihr Gut,
Aus Angst und Schrecken, doch mit Mut,
Und zahlten Schutzgeld an die Bande,
Dass nicht ihr Hof geriet in Brande.
Die Polizei, sie war zu schwach,
Zu zerrissen war das Reich, ach!
Bis Frankreich jenseits des Rheins begann,
Und dem Verderben Einhalt tat dann.
Schon damals war dies Treiben groß,
Als unser Held das Licht erlosch,
In Miehlen ward er einst geboren,
Als Sohn von Abdeckers erkoren.
Mit vier Jahren zog der Vater fort,
Nach Polen war’s das neue Wort.
Doch bald, als Soldat angeworben,
Blieb er in Olmütz unverdorben.
Nach Jahren floh er, kehrt’ zurück,
Mit Preußenpass, fast ohne Glück.
Als Tagelöhner schlug er sich
Und zog den Sohn, so gut es ging.
Die Schule war ihm nicht so wichtig,
Die Arbeit war ihm viel zu schlichtig,
Doch listig war der Junge sehr,
Und Flausen hatt’ er auch noch mehr.
Den ersten Diebstahl tat er schnell,
Ein Louisdor war nicht zu hell.
Er floh von Haus und trieb sich rum,
Schon früh ging sein Gewissen krumm.
Beim Schinder Nagel nahm er Dienst,
Doch lange hielt’s ihn dort nicht hin.
Bald stahl er Häute, rannte fort,
Und landete in Kirn am Ort.
Dort ward er öffentlich verprügelt,
Sein Stolz und Ehrgefühl zerknügelt.
Doch hielt’s ihn nicht davon zurück,
Denn bald war er im Diebstahl Glück.
Mit Dieben schloss er neue Bünde,
Und ward gelehrt in dunklen Sphären.
Ein Leder nahm er einem Mann
Und bot’s ihm tags darauf gleich an.
Doch war es nicht Gewissens Pein,
Die ließ ihn aus dem Raube sein.
Er wollt‘ ein neues Leben finden,
Doch ließ sich rasch vom Pfad entwinden.
Denn bald in dunkler Schenke schon,
Traf er auf Diebe, ohne Fron.
Der Rote Fink, der Schwarze Peter,
Und and’re Gauner, gar nicht später.
Sie stahlen Pferde, waren schlau,
Erkoren ihn zur Diebesau.
Er lernte Tricks mit Mist und Stroh,
Auf Höfen war er stets ganz froh.
So fand er bald in dunkler Zeit
Sein wildes Leben – voller Leid.
Ein Dieb, der klug mit Pferden handelte fein,
Er fand stets Käufer, zahlten sie auch klein.
Doch wollt es ihm mal nicht gelingen,
Ließ er sich zum Bestohlenen bringen.
Er raunte ihm zu, er wisse genau,
Wo stehe das Pferd, gestohlen zur Schau.
Gegen ein Lösegeld nicht gar zu klein,
Führte er’s heim zum Stall hinein.
Doch nicht nur Pferde nahm er mit,
Auch Schafe, Ziegen – alles mit Schnitt.
Mit Fink zusammen trieb er fort
Gar viele Schweine von ihrem Ort.
Ein Teil verkauft in fremder Stadt,
Ein Teil geschlachtet – was er hat,
Verspeist er dann in froher Rund,
Beim Schultheiß, ohne jeden Grund.
Doch selbst, wo man ihn freundlich ließ,
Nahm er, was er fand – gar ohne Fleiß.
Verzehrte ein Schwein, nahm noch ein Schaf,
Ließ sich’s bei Gaunern richten brav.
Anderthalb Jahr verging im Nu,
Die Diebeskunst, sie wuchs dazu.
Er sah gar einen Mord geschehn,
Ward Mittäter, man konnt’s ersehn.
Doch endlich fiel er Jägern in die Händ,
In einer Mühle, wohlbekannt im Land.
Er gestand, was er getan,
Und ward nach Saarbrück verbann‘.
Doch lange blieb er nicht gefangen,
Es war ihm die Flucht gelungen.
Mit Kameraden brach er aus,
Schlich sich hurtig aus dem Haus.
Im Wald hielt er sich eine Zeit,
Dann trieb er Diebstahl weit und breit.
Gefasst wurd er im Februar gar,
Man sperrt ihn ein, das ist wohl wahr.
Im dunklen Turm, an Ketten schwer,
Doch entkam er – wie war das leer?
Ein Stein fiel nach, zerbrach sein Bein,
Doch kroch er fort, war nicht allein.
Er schwor, die Pferde nicht mehr zu stehln,
Vielmehr auf Straßen Raub zu hehl’n.
Mit Gleichgesinnten trieb er’s wild,
Sein Ruf als Räuber ward erfüllt.
Doch hielt er sich für edlen Mann,
Rächte die Armen, so begann.
Der Juden Angst war ihm Gewinn,
Die Bauern halfen gerne hin.
Mit Lächeln nahm er ihre Gunst,
Doch war’s am Ende Diebeskunst.
Mit einer Bande, klein, gezielt,
Hat er sich stets im Raub vergnügt.
Ein Mägdlein schön gewann sein Herz,
Sie folgte ihm in Freud und Schmerz.
Gebar ihm Kinder, litt gar viel,
Doch blieb ihm treu, das war ihr Ziel.
Von Jahr zu Jahr, von Tat zu Tat,
Ein Räuberleben, das nie vergaat.
Bis endlich man ihn doch gefasst,
Und seine Spur zu Ende passt.
Zur selben Zeit, von Räubern schwer geplagt,
Hat mancher Bauer laut geklagt.
In Helstrich schlachtete die Bande,
Feierte Hochzeit ohn‘ alle Schande.
Zu Bechtheim und auch Beuerbach
Tönte Musik in dunkler Nacht.
Sie tanzten wild, sie sangen laut,
Doch niemand hat sich je getraut,
Dem Frevel Einhalt zu gebieten,
Bis man sie endlich tat vermieten.
Zu Wetzlar dann, im Januar,
Wurd‘ eine Ordnung sonnenklar,
Die auf dem rechten Rheinesufer
Das Räuberwesen griff mit Schlufer.
Doch erst als Mainz den Befehl erteilte
Und Jeanbon St. André verweilte,
Wurd‘ Schinderhannes, so genannt,
Sein schlimmes Handwerk abverbrannt.
Er hoffte noch, ins bürgerlich‘ Leben
Sich wieder einzufügen eben.
Doch dieser Plan misslang alsbald,
Da man ihn fand, in finstrer Kalt‘.
Er zog mit Krambude umher,
Doch ward gefasst, und das nicht schwer.
In Wolfenhausen hielt man ihn fest,
Als man ihn für verdächtig ermesst.
Um doch zu fliehn, kam ihm ein Rat,
Er trat ins kaiserliche Soldat.
Doch bald erkannt, nach Frankfurt gebracht,
Wo ihn der Richter streng bewacht.
Dem Criminalrath Siedler dann,
Bekannte er als off‘ner Mann,
Dass er der Schinderhannes sei,
Und zeigte Reue frank und frei.
Nach Mainz geführt, kam bald darauf
Die Bläsius in des Kerkers Lauf.
Ein Heiratsbrief ward ihm gefunden,
Nebst einem Buch mit frommen Stunden.
Am neunzehnten Juni begann
Das Verhör durch Wernher dann.
Mit klugem Wort und Listensinn
Gestand er hundert Missetat‘ hin.
Ein Sondergericht ward angesetzt,
Und bis zum März ward nichts verletzt.
Die Akten wuchsen, Zeugen sprachen,
Ein jeder wollte Zeugnis machen.
Am vierundzwanzigsten Oktober dann,
Die große Hauptverhandlung begann.
Ein Monat lang die Sache wog,
Die Richter prüften schwer und klug.
Schinderhannes, voll Bereu‘,
Bewies sein Herz und war getreu.
Sein Vater und sein Liebchen bloß,
Für diese bat er voller Stoß.
Doch Mord beging er nimmermehr,
Die Hände hielt er davon leer.
Das Urteil dann, am zwanzigsten Tag,
Des Novembers, wie man’s mag,
Ward hart gesprochen ohne Gunst,
Dem Hannes nahm es jede Kunst.
Mit neunzehn Mann, ihm eng vertraut,
Ward er zum Tode angeschaut.
Ein jeder fand sein eig‘nes Los,
Das Schicksal war nicht gnädig groß.
Am nächsten Tag, zur Mittagszeit,
War schon versammelt groß Geleit.
Vierzigtausend standen stumm,
Das Urteil sprach: Nun fall‘ der Brumm!
Hannes scherzte noch zuletzt,
Hielt sein Kind und war verletzt.
Dann nahm er still das Abendmahl,
Ging ohne Angst zum letzten Strahl.
Die Guillotine fiel sodann,
In sechsundzwanzig Minuten Mann
War zwanzig Köpfe schon gesenkt,
Das Volk hat schaurig nachgedenkt.
Von ihm erschienen Schriften viel,
Doch war kein wahrer Kern im Spiel.
Sein Sohn, von Bläsius geboren,
Ward in Soldatendienst erkoren.
Die Mutter fand in Mainz ihr‘ Ruh,
Und später kehrt sie heim im Nu.
Dort nahm sie einen neuen Mann,
Und führte still ihr Leben dann.
Die Söhne leben fort bis heut,
Die Zeit vergeht, die Welt sich häut‘.
Doch bleibt die Kunde stets bewahrt,
Wie einst ein Räuberland genarrt.