VON TORSTEN SCHWANKE
DIE SCHÖPFUNG
In jenen Tagen, in jenen Tagen der uralten Zeit,
in den Nächten, als Sterne noch schweigend geboren,
in den Jahren, als Schicksale gewebt aus Wind,
da formten die Götter den Bogen des Himmels,
und Erde lag still, unberührt von Menschen.
Die Anuna, die Götter des Rates, erstanden,
die Göttinnen fanden Gatten im Tanz der Ordnung,
sie stiegen herab, sie stiegen hinauf,
verteilten sich zwischen Himmel und Grund,
wurden schwanger, gebaren —
doch da begann die Mühsal.
Die Götter, gezwungen zur Arbeit des Lebens,
gruben Kanäle, häuften Schlamm in Harali,
sie schufteten, sie klagten,
die Jüngeren litten, die Älteren wachten.
Der Lehm war schwer, das Joch lag tief,
da erhob sich das Wehklagen der Götter.
Und Enki, der Weise, der Vater der Alten,
lag schlafend im Dunkel des Engur,
dem Fluss, der unter der Erde fließt,
dem Ort, den kein Auge der Götter sieht.
Seine Mutter Namma, Urquell des Seins,
stieg hinab zu ihm, die Tränen tragend
wie Gefäße voll Leid.
Sie sprach:
„Mein Sohn, du schläfst in der Tiefe des Wassers,
doch deine Schöpfung klagt am Tag.
Erhebe dich, Herr der Weisheit!
Schaffe Ersatz – ein neues Wesen,
das die Mühsal der Götter trage!“
Da stand Enki auf aus dem Bett aus Wasser,
ging in die Kammer des großen Gedankens,
schlug sich an den Schenkel, ein Zeichen des Ernstes.
Er, der weise Entwerfer, sprach:
„Die Geburt möge sich erfüllen!
Lehm von der Krone des Abzu soll geformt sein,
mit Händen der Göttinnen geknetet.
Du, meine Mutter, wirst Leben daraus wecken,
und Ninmah soll dir zur Seite stehen,
Ninimma, Cu-zi-ana, Ninmada, Ninbarag,
Ninmug und Ninguna – alle sollen helfen.“
Und Enki sprach und Freude füllte die Herzen.
Ein Mahl wurde bereitet,
für Namma, für Ninmah, für die Gebärenden.
Feines Brot und süßes Schilf,
Ziegen gebraten in heiligen Flammen.
Die Alten lobten ihn:
„O Enki, Herr des Verstehens,
wer misst sich mit deinem Sinn?
Vater der Entwürfe, Meister des Schicksals,
du bist die Hand, die entscheidet.“
Sie tranken Bier, Enki und Ninmah,
und das Lachen hallte in der Halle.
Ninmah sprach:
„Gut oder schlecht ist der Körper des Menschen —
wie ich es will, wird sein Schicksal sein.“
Da antwortete Enki:
„Wie du bestimmst, so werde ich gleichen.“
Und Ninmah nahm Lehm vom Abzu,
formte einen, dessen Hände ausgestreckt blieben,
kraftlos, unbeugsam.
Enki sah ihn an und sprach:
„Er sei Diener im Haus des Königs.“
Ein Zweiter entstand:
immer offen die Augen, lichtfern sein Blick.
Enki sprach:
„Er werde Musiker,
sein Lied erklinge vor dem König.“
Ein Dritter, mit Füßen gebrochen,
ein Vierter, dem der Verstand fehlte.
Enki sprach:
„Auch sie seien nützlich —
im Haus des Schmieds, im Dienst des Herrn.“
Ein Fünfter, der seinen Urin nicht halten konnte —
Enki badete ihn im verzauberten Wasser,
und der Dämon wich.
Eine Frau, unfähig zu gebären,
entstand in Ninmahs Händen.
Enki betrachtete sie,
und gab ihr Platz im Haus der Königin,
als Weberin, als Hüterin heiliger Stoffe.
Sechstens
Sie formte ihn aus dem Lehm der Tiefe,
ohne Glied, ohne Öffnung, war sein Leib.
Da stand er vor Enki, dem Herrn des Wissens,
und Enki sprach:
„Er sei Nibru, der Stille, der nicht zeugt noch gebiert.
Vor dem König soll er stehen,
sein Dienst sei ihm Schicksal.“
Dann warf Ninmah den Lehm auf die Erde,
und Stille senkte sich über Himmel und Hain.
Da sprach Enki, der große Baumeister:
„Ich gab Brot deinen Geschöpfen,
bestimmte ihr Los im Land der Lebenden.
Nun schaffe ich –
und du, Schwester, sprich das Schicksal!“
Und Enki formte
aus dem Dunkel des Wassers eine Gestalt –
mit einem Mund in der Mitte,
einem Haupt, das bebte.
„Gieß Samen in den Leib der Frau“, sprach er,
„und Leben wird geboren werden aus der Tiefe.“
Ninmah wartete.
Und die Frau gebar –
doch was geboren ward, war leidvoll und schwer.
Umul war sein Name,
sein Haupt geschlagen von Schmerzen,
seine Augen leer,
sein Atem kurz,
sein Leib erschüttert,
Herz und Eingeweide voller Qual.
Er konnte kein Brot zum Mund heben,
seine Hand zitterte,
sein Rückgrat verdreht,
seine Füße trugen ihn nicht.
So hatte Enki ihn geformt.
Da sprach Enki erneut:
„Auch diesem gab ich Leben.
Nun gib du ihm Schicksal, Ninmah,
auch ihm das tägliche Brot!“
Ninmah trat heran,
doch Umul sprach nicht.
Sie reichte ihm Brot –
doch er konnte nicht greifen.
Er konnte nicht sitzen,
nicht stehen,
nicht ruhen,
nicht bauen,
nicht essen.
Da rief Ninmah:
„Dieser Mensch lebt nicht,
doch tot ist er auch nicht.
Er kann sich selbst nicht tragen.“
Und Enki sprach:
„Ich gab dem Schwachen Brot,
dem Blinden Brot,
dem Lahmen Brot,
dem Unreinen Brot,
der Kinderlosen Brot,
dem ohne Zeichen des Mannes oder der Frau – Brot.
Ich gab ihnen Schicksal.“
Ninmah antwortete
zerschlissene Worte,
doch Trauer liegt in ihrer Stimme:
„Du wohnst nicht im Himmel,
nicht auf Erden,
dein Haus ist nicht zu hören,
deine Stadt ist leer.
Mein Heim ist gefallen,
mein Kind gefangen.
Ich floh aus E-kur,
auch mich verschonte deine Hand nicht.“
Und Enki sprach:
„Was dein Mund gesprochen,
kann niemand wenden.
Doch nimm Umul von deinem Schoß –
er sei dein Werk.
Was du begonnen, vollende!
Und was ich schuf nach deinem Bild,
erhebe sich zum Gebet!
Heute sei mein Glied gepriesen,
deine Weisheit möge sich offenbaren!
Enkum und Ninkum sollen singen,
die Götter sollen hören:
Umul soll mein Haus errichten!“
Doch Ninmah
vermochte nicht gegen Enki zu stehen.
Der Vater des Wissens,
der Herr der Tiefe –
sein Lob ist süß.
DIE SINTFLUT
Als die Götter noch Menschen waren
und mit Händen aus Licht den Lehm bewegten,
da schleppten sie Lasten wie Knechte im Staub,
sie gruben das Leben, doch lebten nicht selbst.
Groß war ihr Seufzen,
schwer ihre Mühsal,
elend die Nächte,
die kein Morgen erlöste.
Die Anunna, die Großen,
lasteten Zwang auf die Igigi,
sie warfen das Joch auf ihre Brüder,
sie riefen zum Werk –
doch kein Lied hob an.
Sie gruben mit Götterhand Wasserläufe,
zogen Kanäle wie Adern durchs Land.
Tigris ward ihnen Grabesfurche,
Euphrat ein Strom der Tränen.
Aus Tiefe riefen sie Quellen herauf,
aus Finsternis Brunnen des Lichts.
Sie türmten die Berge,
sie wälzten die Hügel –
und fanden kein Ende.
Vierzig Jahre, gezählt mit Schweiß,
vierzig Jahre, schwer wie ein einziger Tag.
Sie stöhnten in Schlamm,
sie litten im Stillen.
Unten im Graben,
wo Götter zu Staub wurden,
murmelten sie Klage:
„Kommt, lasst uns zum Herrn der Befehle,
lasst uns zu Enlil, dem Ratenden!
Er sitzt in der Höhe,
doch wir brechen im Dunkel.
Er wohnt in Ekur,
doch wir hausen im Lehm.
Lasst uns sein Haus umringen,
lasst uns Feuer in Körbe legen,
lasst uns unsere Werkzeuge brennen,
lasst uns rufen: Krieg!“
In der Mitte der Nacht,
als der Mond wie ein Splitter hing,
da erhob sich der Aufstand der Götter.
Ekur ward umstellt –
doch Enlil schlief.
Nusku, der Herold mit Flamme im Blick,
öffnete das Tor, trat hervor,
ging durch das Dunkel zur Versammlung der Himmel.
Er sprach zu Enlil, zu Anu, dem Vater:
„Wer hat den Krieg entfacht?
Wer wagte es, Sturm zu säen?
Wer erhob die Hand
gegen das Tor der Götter?“
Da riefen die Igigi im Chor:
„Nicht einer, sondern alle!
Nicht einer, sondern wir!
Das Werk hat uns zerschlagen,
die Zwangsarbeit uns entweiht.
Jetzt fordern wir Antwort!
Jetzt fordern wir Ersatz!“
Da sprach Ea, der Weise aus der Tiefe:
„Die Klage ist echt,
das Leid ist groß.
Warum verklagen wir sie?
Hört: Belet-ili, die Schöpferin,
die Mutter der Geburt ist bei uns.
Lasst sie schaffen!
Lasst sie kneten!
Einen Menschen soll sie gebären,
ein Wesen aus Ton,
der das Joch der Götter trägt,
der die Mühsal erbt,
der die Last unserer Götterarbeit nimmt.“
So ward der Mensch gedacht,
nicht als König, sondern als Träger.
Nicht als Herr, sondern als Diener –
geboren aus Not,
gesalbt mit der Bürde der Götter.
Lass die Hebamme erstehen —
Lass sie den Leib formen aus Staub und Geist!
Einen Menschen soll sie bilden,
der das Joch der Götter trägt.
Sie riefen die Göttin,
die Gebärerin der Götter,
die Weise, Mami mit Namen:
„Wirst du Geburtsgöttin sein,
Schöpferin des atmenden Lebens?“
„Schaffe den Menschen, dass er trage
das Joch Enlils, die Bürde der Mächte.
Lass ihn tragen den Dienst des Himmels,
die Mühsal, die einst die Götter trugen.“
Da sprach die Göttin Nintu:
„Nicht mir gebührt diese Tat,
nicht meine Hand schafft Fleisch aus Lehm —
lasst Enki sprechen, der Reiniger der Wasser!
Er gebe mir den Ton der Erde,
damit ich Leben daraus knete.“
Enki sprach zu den Großen:
„Am Ersten, am Siebenten,
am Fünfzehnten des Monats
soll Reinigung geschehen.
Ein Gott sei geopfert,
sein Fleisch das Opfer für das Werk!
Die Götter mögen sich reinigen im Wasser,
sein Blut soll in den Ton gemischt,
sein Geist im Menschen bewahrt sein.“
Sie riefen Aw-ilu,
der den Göttern Rat und Geist verlieh —
und schlachteten ihn in der Versammlung.
Nintu mischte den Lehm,
mit Fleisch und mit Blut.
Der Geist des Gottes blieb,
das Zeichen in den Lebenden lebendig.
Die Götter lauschten dem Trommelschlag,
der nie mehr verstummt,
denn der Mensch war geboren,
und sein Lärm erfüllte die Himmel.
Mami sprach zu den Großen:
„Ich habe erfüllt, was ihr mir auftrugt.
Den Gott habt ihr gegeben,
ich gab euch den Menschen.
Eure Last ist gewichen,
dem Menschen ist Mühsal gegeben.
Ich habe euer Joch gelöst,
und Heil ist daraus geworden!“
Sie küssten ihre Füße
und riefen sie Belet-kala-ili:
„Mutter der Götter, du Retterin,
Trägerin des Menschenschicksals!“
Enki sprach heimlich,
im Dunkel, im Schweigen:
„Enlil hat Böses beschlossen —
der Mensch soll enden in Sturm und Flut.“
Atraḥasis trat vor,
demütig zu seinem Herrn:
„Deute mir den Traum,
lass mich das Dunkel verstehen!“
Da sprach Enki im Flüsterton,
nicht zu Atraḥasis, doch zu der Mauer:
„Mauer, höre! Wand, sei mein Ohr!
Verlass das Haus, bau ein Boot!
Gib auf den Besitz, rette das Leben!
Das Boot soll wie die Tiefe bedeckt sein,
wie der Schoß der Göttin verschlossen.“
Damit die Sonne nicht hineinsehen kann,
decke ich das Dach mit Schatten der Tiefe.
Vorn und hinten sei es bedeckt,
fest wie die Stirn eines Stieres,
dass weder Wind noch Wort hindurchdringen.
Die Ausrüstung sei stark wie Kupfer aus dem Himmel,
die Neigung sei fest wie das Herz eines Gottes.
Ich werde später auf dich herabregnen –
nicht mit Tau, sondern mit Tränen des Himmels.
Da fiel ein Vogel aus dem leeren Blau,
eine Flut von Fischen wälzte sich über die Schwellen.
Die Wasseruhr war geöffnet,
der Sand der Zeit floh in den Strom der Vernichtung.
Und sieben Tage sprach niemand –
denn das Unheil war angekündigt.
Da trat Atraḥasis an sein Tor,
er rief die Ältesten mit zerrissenem Mantel:
„Mein Gott geht nicht mit eurem.
Enki flüstert mir, was Enlil verbergen will.
Die Großen ringen im Himmel wie Stiere.
Ich aber wurde verstoßen,
weil ich dem leisen Gott treu blieb.
Enki sprach:
„Die Erde Enlils ist nicht mehr dein,
dein Fuß berühre nicht das verdorbene Feld.
Baue mir eine Kammer auf dem Wasser,
wohin ich kommen kann, wenn der Tag dunkel wird.“
Der Zimmermann hob seine Axt,
der Schilfarbeiter trug seinen Stein,
der Reiche kam mit Pech in der Hand,
der Arme brachte Körbe mit Lehm.
Keiner sprach, doch alle verstanden.
Alles, was er besaß, trug er hinein:
Schafe, Rinder, Federvieh des Himmels,
die Schritte der Steppe, die Stimme des Waldes.
Seine Familie trat ein,
er lud sie ein zu einem letzten Mahl:
Einer aß, der andere trank –
doch sein Herz war wie verschlossener Ton.
Er ging ein und aus,
seine Knie fanden keine Ruhe,
seine Augen waren voller Galle.
Da erhob sich das Zeichen:
In den Wolken brüllte Adad,
die Tür wurde mit Pech verschlossen,
der Wind wütete wie ein wilder Stier.
Atraḥasis durchtrennte das Seil –
und das Boot wurde freigelassen.
Der Sturm wuchs wie ein gefesselter Drache.
Anzu zerriss den Himmel mit seinen Krallen.
Die Erde bebte, die Städte zerbrachen.
Die Sintflut fiel herab wie ein brüllender Stier,
der Wind kreischte wie ein gehetzter Adler.
Niemand sah den anderen,
in der Dichte des Schreis verschwand jedes Antlitz.
Die Sonne wurde ausgelöscht,
und die Menschen trieben wie Fliegen im Dunkel.
Da hungerten die Götter.
Kein Opferrauch, kein Brot, keine Lieder.
Enki sprach zu Nintu,
Mutter der Geburten, Weberin der Schicksale:
„Füge der Menschheit Grenzen hinzu.
Nicht alle sollen gebären.
Gib ihnen die Pasittu,
die nimmt, was geboren wurde.
Gib ihnen das Zölibat,
das die Stimme im Leib verstummen lässt.
So wird ihr Lärm den Himmel nicht mehr zerreißen.“
Sie soll das Baby vom Schoß derjenigen reißen,
die es geboren hat.
Und Hohepriesterinnen und Priesterinnen
sollen verboten sein,
beachte und reduziere so die Geburt.