DER GÖTTIN INANNA GANG INS TOTENREICH

 

von Josef Maria von der Ewigen Weisheit

 

Requiem für Ulli - R.I.P.

 

 

I

 

Ich bin die hohe Himmelskönigin,

Ich bin die schwarze Königin der Erde.

Der Vater in dem Himmel liebt mich sehr

Und innig liebt mich auch die Mutter Erde.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat,

Bewandert in des Lebens Fertigkeiten,

Ich hab der Liebe Gabe und des Friedens,

Ich hab der Viehzucht Gabe und des Landbaus,

Ich hab die Fertigkeit des Häuserbauens,

Des Handwerks und der Nahrungszubereitung,

Ich weiß, wie auf die Tafel ist zu schreiben,

Ich kenn die Kunst der Streitgespräche und

Das sanfte Wort, das wieder Frieden stiftet,

Gesang, Musik und Tanz und Flötenblasen

Sind meine Lebenslust, die ich genieße.

All meine Gaben bringe ich den Menschen,

Den Frauen und den Männern meiner Städte.

Ich lehre Menschen alle meine Künste,

Dass angenehm ihr Leben sei und leicht.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat.

Ich bin zu Männern und zu Frauen freundlich.

Ich bin den Frauen Freundin und Vertraute.

Den Männern schenk ich meinen guten Rat,

Und manchmal nehme ich mir einen Freier.

Das ganze Wissen um die Fertigkeiten,

Das ich den Frauen und den Männern gebe,

Das nutzen sie zum eigenen Gewinn.

Sie hegen Vieh, und sie bebaun den Boden,

Sie bauen Häuser, üben aus ihr Handwerk,

Sie schreiben schöne Verse auf die Tafel

Und formen gute Worte voller Wohlklang,

Sie singen, musizieren, tanzen und

Die Frauen blasen meisterhaft die Flöte,

Sind sie erschöpft, so haben sie zu essen,

Und sind sie traurig, haben sie den Rauschtrank,

Und sind sie schläfrig, haben sie das Bett.

Ich leb als Göttin mitten unter ihnen

Und freue mich an ihrem Wohlergehen.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat,

Verehrt von den Bewohnern meiner Länder.

Standbilder formen sie aus Marmorfelsen

Und schmücken sie mit Lapislazuli,

Sie opfern Brot und Bier vor meinem Bild,

Sie bringen Gaben mir von ihrer Arbeit,

Sie tragen mir die Lobeshymnen vor

Und singen weinend mir die Klagelieder.

Gern hör ich meinen Hymnendichtern zu,

Ergeht es ihnen gut, so freu ich mich,

Und sind sie voller Leid, so tröst ich sie.

In meinem Tempel, vor den Toren singen

Und tanzen junge Frauen nur für mich.

Ich sing mit ihnen und ich tanz mit ihnen,

Denn sie sind meine Schwestern in dem Geiste.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat,

Bin weit gereist in allen Menschenländern

Und weit gereist in allen Götterreichen,

Ein Land jedoch, das ist mir noch verschlossen,

Ein dunkles Reich, das will sich mir nicht öffnen,

Das sind die Felder ohne Wiederkehr,

Wo sich nach dem Gericht die Toten sammeln.

Ich sitze voll von grübelnden Gedanken

Am breiten Strome meiner schönsten Stadt,

Geduldig sitz ich da und warte lauschend.

Inanna hört die Stimme ihrer Schwester,

Inanna hört der Totengöttin Stimme.

Sie kommt von weit und lädt mich zu sich ein.

Verborgene Erkenntnis will sie schenken,

Verheißt mir Traumgewebe schöner Liebe.

Ich freu mich über das, was sie verkündet.

Ins dunkle Reich der Toten bin ich eingeladen

Und folge gern dem Rufe meiner Schwester.

Ich komm zu Feldern ohne Wiederkehr,

Ins Reich, das mir bisher verschlossen war.

Ich will mich vorbereiten auf den Gang.

Ich lege meine schönsten Kleider an,

Ich schmücke mich mit goldnem Schmuck und Schminke.

Die Kette leg ich an von Muschelperlen,

Ich trage meinen schönen Liebreizgürtel.

Ich lege meine Ringe an die Finger,

Den Armreif und die Bänder an den Arm,

Die Zeichen meiner Fruchtbarkeit und Würde.

All das, was ich besitze, nehme ich

In meine Hände, meine Kunst, mein Wissen.

Mit meiner Schönheit ehre ich die Frau,

Die mich eins ewige Gefilde einlud.

Inanna möchte ihre Schwester ehren.

Bevor ich aufmach mich zum letzten Gang

In das Gefilde ohne Wiederkehr,

Bevor ich folg dem Lockruf meiner Schwester,

Ich offenbare meinen festen Plan

Der treuen Kameradin, besten Freundin,

Genossin und Gefährtin, die mich liebt.

Seit Gott das Universum hat erschaffen,

Die treue Freundin war an meiner Seite.

Sie ist die Frau, die meine Seele kennt,

Sie ist die Frau, die meine Weisheit mehrte.

Die Freundin weiß von der Vergangenheit,

Sie ist ein Teil selbst der Vergangenheit,

Sie ist ein Teil selbst meiner besten Seele,

Sie ist ein Teil selbst meines schönsten Körpers,

Denn sie ist ich, und ich bin sie in Liebe.

Ich sage ihr, dass ich gerufen bin,

Zu wandern in das Königreich der Toten,

Da bietet sie mir ihre Hilfe an,

Ich traue ihr, wie ich es immer tat.

Nach meiner Vorbereitung folge ich

Dem Lockruf meiner Schwester Totengöttin.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat.

Ich bin die hohe Himmelskönigin,

Ich bin die schwarze Königin der Erde.

Der Vater in dem Himmel liebt mich sehr

Und innig liebt mich auch die Mutter Erde.

 

 

II

 

Ich, Herrscherin des Himmels und der Erde,

Bin weit gewandert in den Ländern allen

Der Göttermenschen und der Menschenkinder,

Die Götter lieben mich, die Menschen auch,

Ich steig herab aus meinen weißen Tempeln,

Aus meinen Städten trete ich heraus,

Ich gehe durch die Steppe, durch die Wüste,

Die Wälder ich durchquere und die Flüsse,

Ich wende mich nach Osten, nach der Sonne,

Ich wende mich dem Totenreiche zu,

Dem Reiche meiner Schwester Totengöttin,

Ich nahe mich der dunklen Unterwelt,

Ich stehe an der Grenze zu dem Tode.

Da tut sich einen Spalt die Pforte auf,

Das Reich der Toten öffnet seine Tore,

Damit Inanna in das Jenseits komme.

Am ersten Tor leg ab ich meine Kunst,

Der Totengöttin Knecht wird sie bewahren.

Am zweiten Tor leg ab ich meine Weisheit,

Der Totengöttin Knecht wird sie bewahren.

Am dritten Tor leg ab ich meinen Schmuck,

Leg ab ich meinen Mantel und das Kleid,

Leg ab ich Oberkleid und Unterkleid,

Leg ab ich meinen goldnen Liebreizgürtel,

Der Totengöttin Knecht hebt alles auf.

Und nackt, wie Gott der Vater mich erschaffen,

Durchschreite ich das siebte Tor des Todes.

Am Tore steht die Totengöttin selbst,

Die Frau des Landes ohne Wiederkehr.

Vor ihr bin nun ich nicht mehr die Inanna,

Die Königin von Himmel und von Erde,

Bin nur ein namenloses nacktes Weib.

Ich habe nichts mehr auszuziehen, nur

Den Körper noch von meiner nackten Seele.

Mein Leben gebe ich der Totengöttin,

Dass sie nach ihrem Willen an mir handle.

Die Totengöttin nimmt die Gabe an,

Hängt meinen Körper auf an einem Haken,

Damit das Fleisch verwese in dem Grab.

Drei Nächte lang ich hänge an dem Haken.

Im Lande meiner Schwester Totengöttin

Ist frei der tote Geist von Zeit und Raum.

Nichts ist mehr da, nur meine nackte Seele.

Ich, einst Inanna, ich war einst die Herrin

Des hohen Himmels und der breiten Erde,

War weit gewandert in den Ländern allen

Der Göttermenschen und der Menschenkinder,

Geliebt von Göttern und geliebt von Menschen.

Ich bin ein Fleisch nun, das verwest im Staub,

In dem Gefilde ohne Wiederkehr.

Am Haken hänge ich und sehne mich

Nach schönen Träumen in dem Totenreich,

Auf jene schönen Traumgewebe wartend,

Die Schwester Totengöttin mir verheißen.

Gesprochen hat davon ja meine Schwester,

Ich glaube ihr, der Schwester Totengöttin,

Des Totenreiches Träume werden kommen

Und mir Geheimnisse der Nacht verraten.

Lang häng ich da und lang bin ich geduldig.

Mein Fleisch beginnt zu stinken, zu verwesen,

Mein Körper löst sich auf in Elemente.

In diesem dunklen Land gibts keine Zeit,

In diesem dunklen Land gibts keinen Raum,

Denn Zeit und Raum, sie sind noch nicht geboren,

Nur das Verhängnis ist und meine Seele.

Die schönen Traumgewebe werden kommen,

Ich hab auf sie ja lang genug gewartet.

Sie kommen und umfangen mich in Liebe.

Fein, zart und unerbittlich ihre Wahrheit.

Die schönen Träume lassen mich nicht frei,

Die Träume dringen in mein Denken ein,

Die Träume süß durchfließen meine Seele.

Die Traumgewebe, sie sind das Geschenk

An mich von meiner Schwester Totengöttin.

Dafür bin dankbar ich der Totengöttin.

Ich höre jenen leisen Träumen zu,

Ich fühle jene sanften Traumgewebe.

Und ganz zuletzt erblicke ich die Träume.

Sie flüstern ihre Weisheit mir ins Ohr.

Ich nehme auf, was mir die Träume zeigen.

Mein Herz verliert die nackte Angst vorm Tod.

Ich freu mich übers Wissen, das mir kommt.

Und meine Seele tanzt im Reich der Träume.

Ich selber werde gar zu einem Traum,

Ja, meine Seele wird zum Traumgewebe.

Kein toter Körper sinkt und wird zu Erde,

Aus meinem Staub wächst Gras, es wachsen Bäume,

Die Tiere streifen hin durch meinen Staub,

Die Steppe wird zu grüner Fruchtbarkeit,

In öder Wüste wachsen Hirtenhütten,

Da baut man wieder Tempel, mir zu Ehren,

Die Stadt zerfällt, am Acker weiden Ziegen,

Mir wird geopfert, wo die Disteln stehen,

Die Götter alle ändern ihre Namen

Und bleiben sich doch gleich in ihrem Wesen.

Der sanfte Wind liebkost mein Angesicht,

Die Winde nehmen mit mich auf die Reise.

Ganz leicht und frei wir streifen durch die Länder

Der Menschenkinder, keine Last beschwert uns.

Vom Feuer kommt in meine Glieder Wärme.

Es kommt zu mir die Kraft der Umgestaltung.

Und alles wird verbrennen nun zu Asche

Und Neues wird gestaltet aus der Asche

Und in dem Neuen toben wir umher.

Die nackten Füße mir umfließt das Wasser,

Ich lass mich treiben in dem weichen Wasser,

Und jedes Hindernis wird überwunden,

Die Mutter Erde mich ernährt mit Weisheit,

Ich nehme Weisheit auf und wachse geistig,

Getragen von der Stärke aller Zeiten

Den Schatz der Weisheit kann ich weitergeben.

Mein Leib ist fruchtbar, der erschafft die Schöpfung.

Ich bin in Blumen und ich bin in Tieren.

Ich laufe durch die Steppe als Gazelle,

Ich fliege über Wälder wie ein Milan.

Ich bin geworden eine Menschentochter,

Geliebte Mutter vielgeliebter Kinder.

Vor mir erscheint das Mädchen und die Jungfrau,

Vor mir erscheint die Mutter und die Greisin.

Die Frauen alle bilden einen Kreis

Um mich herum und halten ihre Hände.

Ich dreh mich um mich selbst im Reigentanz

Und sehe jeder Frau in ihre Augen.

Sie nehmen lachend mich in ihre Mitte.

All dieses sehe ich in schönen Träumen,

All dieses lernte ich im dunklen Lande,

Im Lande meiner Schwester Totengöttin.

Ich bin das schöne langgelockte Mädchen,

Ich laufe unbekümmert meinen Weg

Und lieg im Gras und träume in dem Garten.

Ich messe meine Kraft mit meinen Schwestern,

Gemeinsam wird erforscht des Landes Grenze.

An Morgen, an die Zukunft denk ich nicht.

Ich lache laut nur über Alltagssorgen

Und lebe sorglos in den Tag hinein,

Bin froh bei jeder neuen Morgenröte.

Doch liebe ich die Weisheit auch der Alten,

Großmütter bringen mir Erfahrungen.

Ich werde nicht für immer einsam bleiben.

Ich bin die Jungfrau mit der reinen Schönheit.

Ich kenne meinen femininen Körper,

Die Seele ist mit ihrem Leib vereinigt.

Schon fühl ich mich und schmück und schmink mich gerne.

Fließt mir das Monatsblut, das ist mir heilig.

Und manchmal ich verlasse meine Schwestern

Und such mir einen Freund, dass er mich liebe.

So lang es mir gefällt, so lieb ich ihn,

Und wenn er wieder geht, ich weine nicht.

Das Leben teile ich mit meinen Schwestern,

Wir streiten nicht um Gelder oder Männer.

Ich bin die junge liebevolle Mutter,

Ich hab geboren Kinder und gestillt.

Ich Mutter, Leben habe ich erschaffen.

Nun schütze ich und lehre meine Kinder,

Ja, meine und die Kinder meiner Schwestern.

Wie ich mein Leben teile mit den Schwestern,

So wir gemeinsam lieben unsre Kinder.

Und ist die Zeit gereift und kommt die Jugend,

Entlassen wir die Kinder in die Freiheit,

Sie sollen ja ihr eignes Leben leben.

Was sie von uns gelernt, soll ihnen helfen.

Und kommen sie zurück zu ihren Müttern,

So stehen unsre Türen immer offen.

Großmutter bin ich auch, die gute Greisin

Im Silberhaare ihrer Altersweisheit.

Ich hab ein Haus gebaut, und es zerfiel.

Ich hab geboren und ich hab begraben.

Ein ganzes Leben habe ich begleitet.

Geliebt hab ich und habe auch getötet.

Den Jahreszeiten habe ich gelauscht

Und hab den Elementen zugehört.

In mir sind die Erfahrungen des Lebens

Und die Erfahrungen der toten Ahnen.

Nun lehre ich die Mütter und die Kinder,

Auf dass sie lernen, gut zu sein im Leben.

All dieses sehe ich in schönen Träumen

Im Lande meiner Schwester Totengöttin.

Ich schaute zu den Sternen, zu Orion,

Mir ward erzählt vom fernen Universum,

Ich schaute in der Erde Tiefen und

Mir offenbarten sich die alten Zeiten.

Das, was geschehn in der Vergangenheit,

Lag offen da vor meinen lichten Augen,

Dass ich im Buche der Erinnrung lese.

Das Schicksal aller Menschen, Wunsch und Sehnsucht,

Fluch, Irrtum liegen klar vor meinem Geist.

Gegründet wurden Städte, feste Mauern,

Erobert wurden Reiche und bekriegt,

Schön standen in die Höh gebaut die Tempel,

Beneidet von den Menschen ohne Götter,

Geschlechter um Geschlechter dienten mir,

Ich bin die Führerin der Heeresscharen.

Was jetzt geschieht, der flüchtige Moment,

Er bietet sich mir da, die Wirklichkeit,

Das Leben ist ein Traum, nicht festzuhalten,

Im Nachhinein erkennen wir das Leben,

Und nie verändert sich Vergangenes.

Das, was geschehn wird, kündigt sich schon an.

Die Zukunft oft wird wechseln die Gestalt,

Je näher mir die junge Zukunft kommt,

Mit Wendungen mich jäh zu überraschen,

Sie wird mit meiner jungen Hoffnung spielen,

Mit Wollen, Wünschen, Wähnen und Verlangen.

Aus guter Absicht wird ein Treuebruch,

Aus Freundschaft wird ein kalter Brudermord

Und Liebe wird geküsst von dem Verrat.

Die Zukunft wischt beiseite meine Mühen.

Das Näherkommen weit entfernter Zeit

Ist trügerisch und eine Illusion

Und lässt sich nicht bezwingen von dem Willen.

Ich lausche der Kallisto in den Sternen,

Orion auch, und was sie mir verkünden.

Ich lausch der Zeit, begierig auf ihr Wissen.

Und meine Seele tanzt den Tanz beflügelt

Im Weisheitslande ohne Wiederkehr.

Die Träume sind gewaltiger als ich,

Die Träume weiser sind als Menschenkinder.

Im Traumgewebe bildet sich die Welt,

Im Traumgewebe wird die Welt zerstört.

Das Außen und das Innen wird vereinigt.

Das Leben und der Tod sind nicht getrennt.

Vergehen werde ich und neu mich formen,

Ich werde immerwährend neu gestaltet.

Nichts bleibt von Augenblick zu Augenblick.

Ich selbst geworden bin zu einem Traum,

Und meine Seele ward zum Traumgewebe.

Doch ich verliere alle Furcht vorm Tod,

Verliere auch die kalte Angst vorm Leben.

Wenn diese Furcht von mir gefallen ist,

Kommt die Erinnerung an meinen Namen:

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat,

Ich bin die hohe Himmelskönigin

Und bin die schwarze Königin der Erde,

Geliebt vom Vater in dem dritten Himmel,

Geliebt auch von der feuchten Mutter Erde,

Geliebt vom Totenreiche meiner Schwester.

Ich danke meiner Schwester Totengöttin,

Dass sie mich in das dunkle Land gerufen,

Mich zu vereinigen mit meinen Träumen.

Ich danke meiner Schwester für die Weisheit,

Die ich in meinem Tod gefunden habe.

Nun, nun gehört die Weisheit endlich mir.

Und niemals wird die Weisheit mich verlassen.

O Glück, des Wissens Hüterin zu sein!

Ich kenne nun auch meinen Namen wieder,

Den nehm ich mit mir in die Welt der Götter.

Den Namen will den Frauen ich verkünden,

Dass diese alle Todesfurcht verlieren

Und alle Angst vorm Leben, das noch kommt.

Dann will ich durch des Todes Tore treten

Und kehren heim in alle meine Städte.

Jedoch die Schwester Totengöttin hindert

Den Plan, sie gibt mir meine Kleider nicht,

Sie gibt mir meinen Schmuck und Gürtel nicht.

So das Gefilde ohne Wiederkehr

Verweigert mir die Rückkehr in die Städte

Und Länder froher Menschen, froher Götter.

Wer aber will das Totenreich verlassen,

Muss zum Ersatz die Opferseele geben.

Erst wenn ich den Ersatz für mich gefunden,

Darf ich mein Kleid und meinen Gürtel nehmen.

Dies ist der Schwester Totengöttin Auftrag,

Dass einen Menschensohn ich finde, der

An meiner statt ins Reich der Toten geht.

Und tritt er ein ins dunkle Totenreich,

Wird ihm die Weisheit dort, die ich erlangt.

Erst dann darf ich mich zu erkennen geben:

Inanna, ich, die Herrscherin des Himmels

Und Königin der Völker dieser Erde,

Die weit gewandert in den Ländern allen

Der Göttermenschen und der Menschenkinder,

Geliebt von Göttern und geliebt von Menschen!

 

 

III

 

Ich gleiche einer armen Bettlerin

Und trete auf die schwarze Mutter Erde,

Um meine Rettersuche zu beginnen.

Und ich durchstreife Land und Städte und

Seh überall Veränderung auf Erden.

Wo früher Herden weideten auf Weiden,

Und wo das Korn in goldnen Ähren stand,

Da schreite ich auf ausgedörrtem Boden.

Die Gärten tragen keine Früchte mehr,

Schafmütter tragen keine Lämmer mehr.

Die Frauen und die Männer scheiden sich,

Sie sehen sich nicht mehr voll Liebe an.

Der Mann liegt nicht mehr bei der Frau im Bett,

Sie haben aneinander kein Gefallen.

Die Priesterinnen meiner Tempel weinen,

Die Priesterinnen lachen nicht mehr froh.

Die Frauen singen nicht und tanzen nicht,

Kein schönes Instrument macht mehr Musik.

Still sehen meine Frauen vor sich hin,

Sie tragen keine reizenden Gewänder,

Wie alte Weiber tragen sie nur Lumpen.

All meine Städte trauern tief um mich.

Die Länder alle trauern tief um mich.

Das ganze Leben ist von Freude leer,

Der Mangel herrscht auf Erden überall.

Geh ich vorüber an den Menschenkindern,

Dann sehn sie mir mit leeren Augen nach.

Die Menschen wissen nicht mehr, wer ich bin.

Kein Mensch auf Erden kennt mehr meinen Namen.

Die Priesterinnen selbst in meinen Tempeln

Erkennen nicht mehr ihre Königin.

Das dunkle Totenreich hat mich verändert.

Doch bin ich noch die göttliche Inanna,

Die Königin des Himmels und der Erde,

Geliebt von Himmeln und geliebt von Erden

Und vielgeliebt vom Lande meiner Schwester.

Ich trete in die Marmortempel ein

Und frag nach dem, was hier geschehen ist.

Ich frag die Priesterinnen meiner Gottheit,

Warum auf Erden nichts als Mangel herrscht,

Warum die armen Menschenkinder trauern.

Sie sagen: Weil sie göttliche Inanna

Das Land verlassen und uns nicht mehr schützt.

Einst waren froh die Frauen in dem Tanz

Und in den musikalischen Genüssen,

Sie räucherten den Weihrauch am Altar

Und spielten Harfe, Psalter und Kitharra.

Doch sei Inanna nicht zurückgekommen.

Nun herrsche nichts als Mangel nur und Trauer.

Wie mich erschrickt das Wort der Priesterinnen!

Ich war im Lande ohne Wiederkehr,

Um Weisheit zu erlernen, aber ach,

Ich hab mein Volk der Trauer ausgeliefert.

Ich habe große Schuld auf mich geladen.

Ich hab die Menschenkinder nicht behütet

Und hab sie nicht gelehrt im Geist der Weisheit.

Ich habe meine Pflichten nicht erfüllt,

Ich war nicht dagewesen für die Armen.

Und nun ergreift mich eine große Trünsal:

Wie kann ich dieses mein Versäumnis sühnen?

Die Weisheit, die des Todes Traum mich lehrte,

Ich will sie weitergeben meinen Töchtern.

Ich will die Gärten wieder blühen sehen

Und dass die Männer bei den Frauen liegen

Und dass einander Freude sie bereiten.

Soll keiner Tod und Leben fürchten mehr.

Ich denke an die Worte meiner Schwester,

Dass ich soll finden einen Menschensohn,

Der geht an meiner Stelle zu den Toten.

Freiwillig soll er gehen zu den Toten

Und ohne Trauer diese Welt verlassen.

Erst wenn ich den Ersatz für mich gefunden,

Darf ich mein Kleid und meinen Gürtel nehmen

Und wieder sein die heilige Inanna,

Die Königin des Himmels und der Erde.

Wer, frage ich, wer geht an meiner statt

In das Gefilde ohne Wiederkehr?

Wird mein Geliebter Tammus für mich sterben?

Er hat ja lang um meine Gunst geworben.

Er brachte mir von seinen Herden Wolle,

Er schlachtete für mich das Herdenvieh.

Ich hab ihm eine Prüfung auferlegt,

Bevor ich ihn zum Bräutigame nahm.

Er hat sein Herz und Leben mir versprochen,

Er nannte stets mich seine Liebesgöttin.

Ich will zu meinem Bräutigame gehen,

Ich will erinnern Tammus an sein Wort.

Er möge sein Versprechen mir erfüllen,

Er möge seine Advokaten ehren.

In das Gefilde ohne Wiederkehr

Soll Tammus gehen und dort Weisheit lernen.

Drum such ich Tammus, meinen Vielgeliebten,

Der mir versprochen hat sein Herz und Leben.

Ich suche ihn in seiner Hirtenhütte,

Den Hirten suche ich bei seiner Herde.

Fern such ich ihn, doch ach, ich find ihn nicht.

Ich frag die Menschenkinder in den Städten,

Doch wird mir keine Antwort von den Menschen.

Es weiß doch keiner, wo mein Liebling ist!

Da frage meine Freundin ich um Rat,

Die Kameradin kommt und geht mit mir,

Zu suchen Tammus, meinen Vielgeliebten.

Nach langer Irrfahrt finde ich mit Hilfe

Der Kameradin den geliebten Tammus.

Er sitzt im Schatten unter einem Baum,

Auf seiner Knochenflöte lieder blasend.

Er singt Gesang, er tanzt den Tanz, er jubelt.

Ach, meine Länder alle sind bedrückt

Und alle meine Menschenkinder traurig,

Sie trauern, weil die Königin Inanna

Verlassen ihre Länder, ihre Städte,

Weil ich mein Menschenvolk verlassen habe,

Um Weisheit in dem Schattenreich zu lernen.

Nur der, der mir versprochen Herz und Leben,

Er, der mich seine Liebesgöttin nannte,

Kennt keine Trübsal, keine Traurigkeit.

Er sitzt im Laubenschatten unbekümmert,

Dieweil das Land verdorrt, die Menschen weinen.

Ich tret zu ihm, zerbreche seine Flöte.

Ich hindre seinen Tanz zu hellen Zimbeln,

Ich stoße um die Schüsseln mit dem Fleisch,

Ich werfe um die Krüge mit der Milch.

Ich frage ihn, warum nur er nicht trauert,

Da doch das Land und alle Menschen trauern.

Er gibt mir keine Antwort und Erklärung.

Er läuft davon und er verbirgt sich dort,

Wo nicht einmal die schwarzen Zicken weiden.

Die Freundin, die mir weisen Rat oft gab,

Die weise Kameradin spürt ihm nach.

Sie findet ihn an dem entlegnen Ort.

Sie spricht mit ihm, sie fordert Tammus auf,

Sein heiliges Versprechen einzulösen,

Auf dass ihn seine Advokaten ehren.

Hat er doch Herz und Leben mir versprochen

Und hat genannt mich seine Liebesgöttin.

Doch Tammus will die Worte nicht vernehmen,

Er möchte meiner Freundin auch nicht folgen.

Denn Tammus möchte nicht an meiner statt

In das Gefilde ohne Wiederkehr.

Voll Furcht er vor dem Gang ins Totenreich,

Voll Furcht vor meiner Schwester Totengöttin,

Voll Furcht er vor des Todes Traumgewebe,

Voll Furcht er vor des Todes ernster Weisheit.

Denn die Mysterien des Schattenreichs

Sind allzu dunkel und zu tief für ihn.

Er möchte Hirte bleiben und Geliebter,

Er möchte bleiben Bräutigam Inannas.

Doch meine Freundin nimmt ihn an der Hand

Und führt den Bräutigam zu seiner Braut.

Sie führt ihn gut, sie lässt ihn nimmer fort,

So muss er folgen meiner weisen Freundin.

Ich sehe hin zu meinem Vielgeliebten,

Der Herz und Leben mir versprochen hat,

Der mich genannt hat seine Liebesgöttin.

Ach, Tammus nur hat nicht um mich getrauert,

Er nur ergab sich der Musik, dem Tanz.

Mein Schicksal und das Schicksal meiner Kinder

Hat offensichtlich ihn nicht interessiert,

Denn Tammus fürchtet sich vorm Reich der Schatten,

Denn Angst hat Tammus vor der großen Göttin,

Er will nicht hören, was der Traum ihm sagt,

Voll Zweifel und voll Furcht ist mein Geliebter.

Ich muss entscheiden über sein Geschick.

Soll er an meiner Stadt zum Hades fahren,

Um nimmermehr das Sonnenlicht zu sehen?

Barmherzigkeit erfüllt mein Mutterherz,

Mein Wille wird barmherzig, weich von Mitleid.

Ich treffe die Entscheidung, und ich sage:

Ein halbes Jahr soll Tammus drunten leben

In dem Gefilde ohne Wiederkehr.

Ein halbes Jahr soll träumen er und lernen.

Die Totengöttin wird ihn Weisheit lehren.

Mein Liebling sei der Totengöttin Liebling.

Ihr Herz soll sich erfreun an seinem Leib,

An seinem Lied und seinem Flötenblasen.

Das andre halbe Jahr soll Tammus dann

Im Strahl der Sonne wandeln, mir gefallen.

Ach Tammus, der mein Herz so tief berührt hat,

Steht vor mir als Gefangner, steht in Ketten,

Ach, Tammus schaut mir nicht ins Angesicht,

Er hört den Spruch, den ich gesprochen habe,

Und Tammus muss den Urteilsspruch erfüllen.

Ich bin Inanna, Venus von dem Euphrat,

Ich bin die Königin des Himmels und der Erde,

Geliebt von Himmeln und geliebt von Erden

Und vielgeliebt vom Lande meiner Schwester!