DER CID


VON TORSTEN SCHWANKE



CANTO I

Voller Trauer hockte Diego,
Keiner je war so voll Trauer,
Alle Tage, alle Nächte
Dachte er an seine Schande.

Ach die Schmach des edlen, alten
Hauses derer von Lainez,
Das die Inigos an Ehre,
Die Abarcos übertroffen.

Tief verletzt und schwach vom Alter
Ahnte er sich nah dem Tode,
Doch sein Gegner, das war Gormaz,
Gormaz aber triumphierte.

Ohne Essen, ohne Schlummer
Schlug er seine Augen nieder,
Trat nicht über seine Schwelle,
Sprach auch nicht mit seinen Freunden.

Hörte nicht den Rat der Freunde,
Wenn sie kamen, ihn zu trösten,
Denn der Atem des Verletzten,
Dacht er, stinke seinen Freunden.

Doch er schüttelte die Bürde
Ab der Schwermut und des Grames,
Er ließ kommen seine Söhne,
Doch er sprach nicht zu den Kindern.

Und er band der Söhne Hände
Fest mit unlösbaren Fesseln,
Alle, Tränen in den Augen,
Baten ihn um sein Erbarmen.

Ach er war schon ohne Hoffnung,
Als der Jüngste seiner Söhne,
Als Rodrigo seinem Herzen
Wieder Freude gab und Hoffnung.

Seine Augen Tiger-Augen,
Trat er hin zu seinem Vater.
Vater, sprach er, nicht vergesse,
Wer du bist und wer dein Sohn ist.

Hab ich nicht in meinen Händen
Mein Gewehr von dir empfangen,
Dann mit einem scharfen Messer
Strafte ich die Schmach und Schande.

O da strömten Freudentränen
Auf die Wangen seines Vaters!
Und er sprach, den Sohn umarmend:
Du, Rodrigo, bist mein Liebling!

Du gibst mir die Ruhe wieder,
Meine Schmerzen heilt dein Ingrimm!
Kämpf nicht gegen deinen Vater,
Sondern gegen meine Feinde!

Vater, wer sind deine Feinde,
Sprach Rodrigo, wer beleidigt
Unsere Familie, Vater?
Vater, komm, erzähl geduldig.


CANTO II

Er vernahm die Schmach des Vaters,
Und Rodrigo voll Gedanken
Dacht an seiner Jugend Jahre,
Dachte an die Macht des Feindes.

In Asturiens Gebirgen
Gormaz hat wohl tausend Freunde,
Ist im Königsrat der Erste,
Ist der Erste auch im Kriege.

Denkt er aber an die Schande,
Die dem Vater zugefügt ward,
Was bedeutet dann das andre?
Von dem Himmel will er Rache!

Heldenmut ist er der Ehre
Schuldig trotz der jungen Jahre,
Für die Ehre stirbt im Adel
Selbst der neugeborne Säugling!

Und er nahm sich schnell den Degen,
Den Mudarra einst getragen,
Dieser Bastard voll der Stärke,
Und der Degen war voll Trauer,

Musste er im Alter rosten,
Seines Meisters Tod beweinen.
Und Rodrigo griff zum Degen
Und er sagte zu dem Degen:

Höre dies, du edler Degen,
Dass ein Arm dich fasst mit Stärke
Wie der Bastard! Aber fühlst du,
Dass mir fehlt noch solche Stärke,

Werde ich doch niemals fliehen,
Wenn ich dich im Kriege führe.
Bist von edlem Stahl, du Edler,
Doch mein Herz ist besser stählern!

Der, dem du bisher gedient hast,
Freut sich deines neuen Meisters.
Wär ich je nicht deiner würdig,
Sollst du keinem Mann mehr dienen.

Tief in meine Eingeweide
Bohrt ich dich! Und nun ins Offne!
Denn gekommen ist die Stunde,
Die gerechte Zeit der Rache!

Heimlich, dass es keiner merke,
Ging er aus dem Haus des Vaters.
Eine Stunde später, siehe,
Traf er seine stolzen Feinde.



CANTO III

Auf dem Platz vor dem Palaste
Traf Rodrigo nun den Gormaz,
Ihn allein, sonst keiner da war,
Und er sagte zu dem Grafen:

Kanntest du, o edler Gormaz,
Mich, den jüngsten Sprössling Diegos,
Als du ausgestreckt die Hände
Auf sein ehrenwertes Antlitz?

Wusstest du denn, dass mein Vater
Von dem Layn Calvo abstammt,
Deass nichts reiner ist und edler
Als sein Blut und seine Waffe?

Weißt du nicht, dass, da ich lebe,
Ich, sein Sohn, kein Mann auf Erden
Und auch nicht der Herr des Himmels
Straflos meinen Vater schändet?

Weißt du, sprach der edle Gormaz,
Was die Hälfte ist des Lebens?
Ja, Rodrigo sprach, ich weiß es,
Was die Hälfte ist des Lebens.

Eine Hälfte ists, den Edlen
Zu verehren und die andre
Ists zu strafen stolzen Hochmut
Bis zum letzten Blutestropfen.

Abzuwehren ist die Schande.
Als Rodrigo dies geredet,
Sah er an den stolzen Grafen,
Der nun diese Worte sagte:

Was denn willst du, junger Hitzkopf? -
Deinen Tod, du stolzer Gormaz,
Sprach der Cid, ich habs geschworen. -
Schläge willst du, junger Knabe,

Sagte Gormaz, eines Pagen
Schläge du verdienst, du Knabe. -
O ihr Heiligen des Himmels,
Wie doch war der Cid voll Zornes!


CANTO IV

Tränen tropften, große Tränen
Tropften auf des Alten Wangen,
Der, an seinem Tische sitzend,
Alles um sich her vergessen.

Dachte an des Sohns Gefahren,
Dachte an des Jünglings Jugend,
Dachte an des Sohns Gefahren
Und die Stärke seines Feindes.

Den Gekränkten floh die Freude,
Floh den guten Mut, die Hoffnung.
Diese aber mit der Ehre
Freudig sind zurück gekommen.

Noch in tiefen Gram versunken,
Sah er nicht Rodrigo kommen,
Mit dem Degen in der Rechten
Und der Linken auf dem Busen

Sah er lange an den Vater,
Fühlte tief im Herzen Mitleid,
Trat zu ihm und gab die Hand ihm,
Sagte: Iss nur, lieber Alter,

Sagte er, zum Tische zeigend.
Feuriger nun flossen Diego
Heiße Tränen: O Rodrigo,
Sagst du zu mir solche Worte?

Ja, mein Vater, und erhebe
Wieder nun dein edles Antlitz! -
Ist gerettet meine Ehre? -
Ja, getötet ist der Gegner. -

Setze dich, mein Sohn und Liebling,
Gerne will ich mit dir essen.
Wer den Feind ermorden konnte,
Ist der Erste seines Stammes.

Weinend neigte sich Rodrigo,
Küsste seines Vaters Hände,
Weinen küsste nun auch Diego
Seines Lieblingssohnes Antlitz.


CANTO V

Heulen und Geschrei und Rufen,
Hufetrampeln, Menschenstimmen
Mit der Lärm der Waffen schallte
Vor dem Königshof von Burgos.

Und es trat aus seiner Kammer
Don Fernando, und dem König
Folgte seines Hofes Adel
Bis zur Pforte des Palastes.

Vor der Pforte stand Ximene,
Offen trug das Haar sie, trauernd,
Und in Tränentau gebadet
Kniete nieder sie vorm König.

Von der andern Seite Diego
Kam mit vielen Edelmännern,
Unter ihnen war Rodrigo,
Stolz Kastiliens war Rodrigo.

Jeder ritt auf seinem Maultier,
Aber er auf seinem Hengste.
Jeder trug den feinsten Handschuh,
Er allein des Reiters Handschuh.

Jeder ging in Schmuck und Seide,
Aber er im Schmuck der Waffen.
Einzigartig war Rodrigo,
Stolz Kastiliens war Rodrigo.

Und das Volk, die Ritter sehend,
Und der Hof, an den sie kamen,
Sagten: Seht euch an den Jüngling,
Der den Gormaz tot geschlagen!

Und Rodrigo schaute um sich
Ernsten Angesichts: Ist einer,
Den des Grafen Tod beleidigt,
War er Freund, war er Verwandter,

Seis zu Fuße, seis zu Pferde,
Stelle er sich dem Duelle! -
Aber alle Männer riefen:
Soll der Teufel mit dir kämpfen!

Jeder stieg von seinem Maultier,
All die vielen Edelknappen,
Ihres Königs Hand zu küssen.
Aber stolz auf seinem Hengste

Saß Rodrigo. Komm herunter,
Sprach der Vater, deines Königs
Hand zu küssen. - Gern gehorch ich
Deinetwillen, lieber Vater.


CANTO VI

Mit zerrissnem Trauerschleier
Sprach Ximene zu dem König,
Ihre Augen voller Tränen,
In der Trauer welche Schönheit!

Schön wie eine feuchte Rose
Glänzte sie mit ihren Tränen,
Schöner blühten ihre Wangen,
Glühend von gerechten Schmerzen.

Ihr Worte sagt der Dichter,
Aber nicht den Blick, die Seufzer.
König, sprach sie, frommer König,
Mir zu meinem Recht verhelfe!

Der getötet meinen Vater,
Der ist eine böse Schlange.
Ach, mein Vater ward ermordet,
Der das Königreich beschützte.

Tot mein Vater, der von Helden
Stammte, die mit ihren Fahnen
Einst Pelagius, dem König,
Folgten, der gedient hat Christus.

Tot mein Vater, der den Glauben
Mutig voller Kraft beschützte,
Er, der war die Furcht Almansors,
Er, der Ruhm des Königreiches,

Edelstein der Königskrone
War mein edler toter Vater.
Nein, ich brauche nicht Erbarmen,
Nach Gerechtigkeit verlang ich!

Was sind ungerechte Fürsten?
Nicht soll ihm der Adel dienen,
Noch die Königin ihn küssen,
Er verdient sich keine Küsse!

Ach du wilder Wolf Rodrigo,
Komm, durchbohre meinen Busen!
Offen steht mein Busen voller
Trauer! Komm, mich tot zu schlagen!

Warum nicht die Tochter töten,
Der du tötetest den Vater!
Warum nicht die Feindin töten?
Ich bin ewig deine Feindin!

Rache fordert sie vom Himmel
Und Gerechtigkeit auf Erden! -
Doch Rodrigo blieb verschwiegen.
Und er griff des Hengstes Zügel,

Kehrte aller Welt den Rücken,
Schaute, ob ihm einer folge,
Doch da folgte ihm kein Ritter,
Doch da folgte ihm kein Krieger.

Und Ximene, dieses sehend,
Rief mit starker Frauenstimme:
Rache, starke Krieger, Rache!
Wer mich rächt, wird mich gewinnen!


CANTO VII

An dem Tische saß Fernando,
König im Palast von Burgos,
Als Ximene, voller Trauer,
Voller Tränen, vor ihm kniete.

Mit demütigen Gebärden
Sprach sie klagend diese Worte:
König, eine arme Waise
Kommt, bei dir den Schutz zu suchen.

Ach, auch meine arme Mutter
Starb voll Gram, es ist mein Erbe
Nur die Schande meines Vaters,
Denn noch lebt der böse Mörder.

Täglich muss den Mann ich sehen,
Den voll Hochmut stolzen Lainez,
Immer ist er mir vor Augen,
Wenn er mit dem Falken reitet.

Der erwürgte meine Tauben,
Junge Tauben, alte Tauben.
Sieh das Blut auf meinem Kleide,
Ist das Blut der jüngsten Taube.

Oft hab ich es ihm verboten,
Aber was gab er zur Antwort?
Lies den Brief, gerechter König,
Den er mir zum Spott gesandt hat.

An Ximene! Die du jammerst,
Schöne, reizende Ximene,
Dass mein Falke deine Tauben
Täglich komme zu zerreißen,

Kommt der Herr bald mit dem Falken,
Will er einmal sehn die Schöne,
Der vom Schicksal angekündigt
Wurde und von seinem Falken.

Als der König das gelesen,
Stand er auf von seinem Stuhle,
Sandte einen Brief an Diego,
Heimlich sendend die Epistel.

Wissen wollt der Sohn den Inhalt.
Nein, bei Gott und seiner Mutter,
Nimmer lasse ich, o Vater,
Dich allein zum König gehen.


CANTO VIII

Eingefallen in Kastilien
Waren Könige der Mauren.
Ach Verwüstung, Mord und Feuer,
Vergewaltigung und Terror!

Burgos war bereits verwüstet,
Montes D‘Oca, Belforado,
San Domingo und Naxara,
Ganz verwüstet alle Länder.

Fort getrieben wurden Herden,
Männer, Frauen, Knaben, Mädchen,
Mädchen weinten, Knaben fragten:
Mutter, nun wohin des Weges?

Siegreich sammelten die Mauren
Schon den Raub, zurück zu kehren,
Niemand ihnen war begegnet,
Nicht einmal der Christen König.

Doch in Bivar auf dem Schlosse
Hörte von der Not Rodrigo,
Zählte noch nicht zwanzig Jahre,
War ein Mann schon voller Starkmut.

Auf den Renner Babieca
Stieg er, wie in Wolken droben
Jahwe reitet auf dem Cherub,
Und durcheilte seine Heimat.

Die Vasallen seines Vaters
Rief er auf zum Kampf, sie waren
Angelangt in Montes D‘Oca
Und erwarteten die Feinde.

O du guter Herr im Himmel!
Von den aggressiven Mauren
Da zog keiner mehr durch Spanien,
Das geweiht dem König Christus.

Aber die geraubten Herden,
Männer, Frauen, Knaben, Mädchen,
Alle gingen ihres Weges
Froh in neu errungner Freiheit.

Die gefangnen Maurenfürsten
Schickte nun zu Don Fernando,
Zu dem König, Don Rodrigo,
Die Gefangnen als Geschenke.


CANTO IX

Auf dem Throne saß Fernando,
Seiner Untertanen Klagen
Anzuhören und zu richten,
Strafend diese, jene segnend,

Denn kein Volk tut seine Pflichten
Ohne Lohn und ohne Strafe,
Denn voll Faulheit ist der Pöbel,
Leben stets dem Egoismus.

Da mit langer Trauerschleppe
Und mit Hunderten von Knappen,
Voller Ehrfurcht vor dem König,
Vor den Thronstuhl trat Ximene.

Vor des Thrones tiefster Stufe
Kniete sie voll Demut nieder,
Sie, des Grafen Gormaz Tochter,
Sie begann mit ihrer Klage:

Sieben Monde sind es heute,
Sieben Monde, frommer König,
Seit von eines jungen Kriegers
Hand gefallen ist mein Vater.

Dreimal lag ich dir zu Füßen,
Dreimal gabst du, o mein König,
Mir dein Wort, der du gewährtest
Mir Gerechtigkeit und Rache!

Noch ist Rache nicht geschehen,
Jung und dreist und übermütig
Spottet königlicher Rechte
Stets Rodrigo dort in Bivar.

Und du schützt ihn, edler König!
Wer von deinen Männern nämlich
Hätte sich des Kerls bemächtigt,
Übel wär es ihm bekommen.

Könige auf Erden aber
Sind das Bild des Herrn im Himmel,
Denn es setzt die Weisheit Gottes
Ein die Könige auf Erden.

Doch die ungerechten Herrscher
Undankbar sind Gott im Himmel,
Sie beherrschen ihre Knechte,
Stiften Spaltungen, Parteien,

Nähren Hass, Verfolgung, Feindschaft,
Seufzer und Verzweiflungsschreie,
Rebellionen unter Armen
Und das Chaos in dem Staate.

Denk daran, o guter König,
Und verzeih dem Waisenkinde,
Dass die Qual mit ihren Lippen
Einen Vorwurf macht dem König.

Was du sagtest, ist verziehen,
Sprach der König, doch, Ximene,
Nun genug geschwätzt, geplaudert,
Nun nicht weiter leere Worte.

Dir bewahre ich Rodrigo,
Wie du jetzt begehrst sein Sterben,
So begehrst du bald sein Leben
Und dass es ihm gut ergehe.


CANTO X

Nie erklang ein Ruhm gerechter
Als Rodrigos große Fama,
Denn die Könige der Mauren
Sind von ihm gefangen worden.

Und er nahm von ihnen Eide,
Nahm von den Vasallen Zinsen,
Dann hat er geschickt die Männer
Wieder heim in ihre Länder.

Als nach sieben langen Jahren
Don Fernando nahm Coimbra,
Die von Mauren einst besetzt ward,
Weiht er sie der Mutter Gottes.

Und die schönste der Moscheen
Wurde zur Liebfrauenkirche.
Und in diesem Tempel Gottes
Hielt Rodrigo lange Wache.

Und mit seinen eignen Händen
Band der König ihm das Schwert um,
Und die Königin ihm führte
Selber zu den edlen Zelter.

Die Infantin dann, Uraca,
Band ihm an die goldnen Sporen.
Mutter, sprach sie, welch ein Mannsbild!
Einen schönern sah ich nimmer.

Selig ist das Bauernmädchen,
Die ihn ohne jeden Vorwurf
Irgendeiner frechen Unzucht
Lange anschaut mit Verlangen.

Seliger ist die Gemahlin,
Die ihm zugeführt wird werden
Von den frommen treuen Mutter,
Ihm, dem schönsten Mann der Erde!

Also sagte die Prinzessin,
Aber nicht mit Rosenlippen,
Sondern in dem Herz im Busen
Sprach sie ihr Gebet im Stillen.

CANTO XI

Edler Ritter, Don Rodrigo,
Jung und schön und klug und mutig,
Strafe dich der Zorn des Himmels,
Willst du mir mein Herz bekämpfen!

Heros! Ohne zu bedenken,
Wer du bist und wer da ich bin!
Dass du eine Stadt erobert,
Maurenkönige bezwungen,

Du den stolzen Grafen Gormaz
In der Jugend hast getötet,
Macht dich das denn übermütig?
Jeder Spanier tut das selbe.

Edel bist du ja geboren,
Zu verüben gute Werke.
Diese Pflicht ist nicht die meine,
Dies die Pflicht ist meines Vaters.

Wenn ein Mangel an Vermögen
Scheint mich nun dir anzunähern,
Mich, ich ich vom König stamme,
Darum über dich erhöht bin,

Wisse, darum Königstöchter
Sind so arm an Hab und Gute,
Weil der Adel ihres Stammes
Ihnen mehr gilt als der Reichtum.

Armut ist an mir kein Flecken,
Ehrlich trag ich meine Armut,
Sie ist Zeichen meiner Hoheit,
Dass ich Ehre mehr als Gold schätz.

Reich an Gütern ist Ximene,
Darum liebst du auch Ximene.
Das ist nicht der Grund der Liebe,
Das will ich nicht unterstellen.

Und es liebt dich auch Ximene.
Nun, ihr beiden liebt einander.
Das ist mir geringes Leid nur,
Dass der Cid Ximene lieb hat.

Eines armen Grafen Tochter
Ist genug dir, kleiner Ritter.
Ich bin arm, doch braucht ein reiner
Diamant des Goldes Flitter?

Du bist herrlich wie Narzissus
Und wie Salomo so weise.
Du bist edel, das sind viele.
Du bist mutig, bist ein Spanier.

Spanien hat noch nie erzogen
Feiglinge und weiche Memmen.
Du bist reich, o Don Rodrigo,
Reiche sterben wie die Narren.

Du bist weltberühmt, wie viele,
Die in ihrem Ruhm gestorben,
Eingehüllt in Leichentücher
Und vergessen von der Menschheit.

Ritter, wenn dein eigner Spiegel
Zeigt dir deine eigne Schönheit,
Schau und tritt vor meinen Spiegel,
Der erniedrigt deinen Hochmut.

Gehe nur zu deinesgleichen,
Ritter, geh zur Grafentochter,
Doch die hohe Königstochter
Schau nur an mit tiefer Ehrfurcht!

Eifersüchtig sprach die Worte
Die Prinzessin, die Uraca,
Denn sie liebte ihn von Herzen.
Doch der Cid verstummte weise.

Als sie ausgeredet hatte,
Fuhr sie fort, mit ihrer Nadel
Ihm den Waffenrock zu nähen,
Was der Ritter nicht begehrte.


CANTO XII

In dem lichten Ostermonat,
Da die Erde neu sich kleidet,
Da die weiß behaarte Mutter
Wird zur jungen schönen Nymphe,

Nun der König ging spazieren
In Kastilien, Don Fernando,
Er mit seinem ganzen Hofstaat
In dem schönen Tal von Burgos.

Und von seinem ganzen Hofstaat
Nahm er keinen als Rodrigo
Mit zu einer klaren Quelle,
Silbern, lichter als Kristalle.

Mit ihm sprach er an der Quelle,
Alle Augen sahn ihn reden,
Aber nicht ein Ohr vernahm es,
Was zum Cid der König sagte.

Dieses sagte er: Ich lieb dich,
Jung bist du und stark und mutig,
Aber etwas weltfremd, Ritter,
Weißt zu wenig von den Frauen.

Stets die Frauen wollen herrschen,
Und es herrschen stets die Frauen,
Wir sind nichts als nur ihr Werkzeug,
Unser Denken stören Weiber.

So als hätte Gott der Schöpfer
Eingesetzt in seine Schöpfung
Nur zum schönen Schein die Frauen,
Also denken fromme Männer.

Junger Mann, die Fraun zu kennen
Ist sehr wichtig, diese Weisheit
Ist doch mehr als alles Wissen,
Darum forsche in der Frauheit.

Doch es soll dir nicht ergehen
Wie einst einem alten Weisen,
Weil er es nicht fassen konnte,
Stürzte er in einen Abgrund.

Das Geheimnis ist, der Frauen
Herrschaft über unsre Herzen
Ist dem Schöpfer selbst verborgen,
Ein Geheimnis unerforschlich.

Wenn einst an dem Jüngsten Tage
Gott die Frauenherzen richtet,
Sieht er Schuld und sieht er Unschuld,
Beides eins in Einem Herzen.

Unermesslich die Entfernung
Von den Männern zu den Mädchen,
Was den Mädchen dient zum Vorteil.
Weißt du auch warum, mein Jüngling?

Männer nämlich gehen vorwärts
Und die Mädchen sehn sie kommen.
Er macht Pläne, sie begegnet
Seinem Plan. Willst du es wissen?

Siehe dort die leichten Vögel,
Wie von Zweig zu Zweig sie flattern,
So den Vogelfänger necken,
Welcher sie begehrt zu fangen.

Vor dem Angesicht des Landmanns
Vögel naschen rote Kirschen,
Naschen, weil der Landmann da steht
Ohne Waffen vor den Vögeln.

Haben gegen die geliebten
Frauen Männer Wehr und Waffe?
Darum herrschen auch die Frauen
Über waffenlose Männer.

Keine davon ausgenommen,
Eine Dame gleicht der andern.
Junger Mann, es lehrt die Weisheit,
Nie ein Eheweib zu nehmen.

Also sprach zum Cid der König
Don Fernando von Kastilien,
Der ihn dadurch prüfen wollte.
Hört, was Cid ihm gab zur Antwort.


CANTO XIII

An dem Saum der Silberquelle,
Welche klarer als Kristalle,
Als der König ausgeredet,
Da erhob der Cid die Rede:

Gut, ich bin noch jung, mein König,
Bin zu jung noch für die Weisheit,
Aber das Gesetz der Ehre
Kann verstehen auch der Jüngling.

Denn aus reinem Blut geboren
Und erzogen in der Schule,
Spricht die Ehre mir die Worte:
Sorg für deines Stammes Zukunft,

Diene deinem Vaterlande,
Dien mit Rat und Tat dem Herrscher,
Sei dem König treu und gnädig,
Steh ihm bei mit allen Kräften,

Suche Ruhm und guten Namen,
Pflanze einen stolzen Stammbaum,
Dass in seinem kühlen Schatten
Selbst die Fremden Rettung finden,

Dien dem Thron und dem Altare,
Schenk der Mutter Kirche Kinder,
Dies ist das Gesetz der Ehre,
Das gebietet mir die Ehe.

Wer das Sakrament der Ehe
Böse lästert, der verleugnet
Christi Ehe mit der Kirche
Und die treue Liebe Gottes,

Der zerreißt den Zaum der Ehre
Und den Bund mit allen Menschen,
Der ihn knüpft an seine Ahnen
Und an Kind und Kindeskinder.

Diesen lästernden Verräter
Straft der Heiligen Verachtung,
Jedem Menschen scheint er nutzlos,
Eine Schande seiner Sippe.

Was betrifft die Frauenherrschaft,
So ist meine Meinung diese:
Sie regieren wie die Mägde
Über lasterhafte Herren.

Wer zur Hülle seiner Sünden
Nicht benötigt schöne Frauen,
Gegen tausend Satansmenschen
Steht er fest in Wehr und Waffen.

In der Frage stolzer Ehre
Gibt kein Weib dem Mann Gesetze,
Darf ihm solche auch nicht geben,
Denn ihr Feld ist nur die Wollust.

In der Wollust soll sie herrschen,
Sie versteht sich darauf besser,
Besser, scheint mir, als ich selber.
Dies ist meine Meinung, König.

Was betrifft der Frauen Gleichheit,
Übernehme ich die Meinung
Meines Lehrers: Frauen taugen
Nichts, wenn Männer auch nichts taugen.

Ich verteidige die Wahrheit,
Ob zu Fuß, ob auf dem Pferde,
Ich behaupte, jedes Weibes
Sünde ist des Mannes Sünde.

Eine Bitte nur, mein König,
Vor dem Abschluss des Gespräches,
Gib zur Gattin mir Ximene,
Waisenkind des Grafen Gormaz,

Gib aus königlicher Gnade
Mir Ximene zur Genossin.
Also Cid bat Don Fernando
An dem Saum der Silberquelle.


CANTO XIV

(Rodrigo)

In der stillen Nacht zur Mitte,
Wo nur wachen Schmerz und Liebe,
Nah ich dir, Ximene weinend,
Bitte trockne deine Tränen!

(Ximene)

In der dunklen Nacht zur Mitte,
Ach, wo meine Schmerzen wachen,
Meine Schmerzen meiner Liebe,
Wer kommt zu mir wie ein Geisthauch?

(Rodrigo)

Kann es sein, dass in dem Dunkel
Feindes Ohren uns belauschen?
Du eröffne mir die Wahrheit,
Was du weißt, was du erkanntest.
(Ximene)

Unbekannten, Ungenannten
Öffnet sich nicht meine Pforte
In der dunklen Nacht zur Mitte.
Offenbare dich! Wer bist du?

(Rodrigo)

Armes Waisendkind Ximene,
Tochter du des Grafen Gormaz,
Kennst du mich nicht, den Rodrigo?
Ach, erkenne mich, Geliebte!
(Ximene)

Ach Rodrigo, ja, ich kenn dich,
Du die Quelle meiner Tränen,
Der du meinem Stamm die Krone
Abgeschlagen, meinen Vater.

(Rodrigo)

Solches Werk vollbringt die Ehre,
Doch die Liebe will Versöhnung.
(Ximene)

Gehe fort von mir, Rodrigo!
Meine Krankheit ist unheilbar!
(Rodrigo)

Schenke mir dein Herz im Busen!
Ich will deine Seele heilen!

(Ximene)

Zwischen dir und meinem Vater
Soll ich teilen meine Seele?

(Rodrigo)

Ewig ist der Liebe Allmacht!

(Ximene)

Benedeite Nacht, Rodrigo.


CANTO XV

Als der König Don Fernando
Von Rodrigo und Ximene
Beider Treueschwur empfangen,
Zu vergessen alle Rache,

Sollten beiden vor dem frommen
Reinen Bischof sich vermählen
In dem Sakrament der Ehe,
Da die Liebe schenkt Vergebung,

Gab der König, um den Ritter
Gleich zu stellen an Vermögen
Mit Ximene, Rittergüter,
Städte, Burgen, Ländereien.

An dem Hochzeitstag die Sonne
Herrlich schien, und Don Rodrigo
Legte ab die Waffenrüstung,
Legte an das Kleid der Hochzeit.

Scharlachschuhe, feines Leder,
Festgehalten von den Schnallen,
Passten fest sich an und enge
Seinen kleinen schönen Füßen.

Und nun zog er an die Weste,
Eng anliegend, ohne Spitzen,
Dann die schwarze Atlasjacke,
Gut gefüttert, weite Ärmel.

Selten hatte nur sein Vater
Diese Jacke einst getragen.
Und nun legt er an den Gürtel,
Voller Anstand, breit die Schnalle.

Und ein Netz von goldnen Fäden
Hüllte ein das Haar des Hauptes,
Auf dem Hut von feinem Stoffe
Hob sich eine Pfauenfeder.

Bis zur Hüfte schöne Fransen
Trug das Hemd des Oberkörpers,
Und um seine Schultern spielte
Weiß der Hermelin des Adels.

Und voll Heldenmut der Degen,
Tisonada war sein Name,
Schrecken aller Mauren, hängend
In dem Band von Samt und Seide.

An dem festen Heldengürtel,
Der war eingefasst von Silber,
Hing ein allerfeinstes Schnupftuch,
Schön gefaltet an dem Gürtel.

So gekleidet, ging der edle
Cid mit seinen treuen Brüdern
Zu dem Heiligtum der Kirche,
Wo der König und der Bischof

Und die Adligen des Hofes
Ihn erwarten mit Ximene,
Mit der reizenden Ximene,
Seiner Braut zum Bund der Ehe.

Sittsam trug ihr Kleid Ximene,
Trug ein Kleid von weißem Linnen,
Flügel trug sie an dem Schleier
Aus dem feinsten Tuch von London,

Von den Schultern zu den Füßen
Offenbarte ihre Kleidung
Ihren femininen Körper,
Bis zu rosanen Pantoffeln.

Um den Hals trug sie ein Halsband,
Daran hingen acht Medaillen,
Und die reichste der Medaillen
Glich dem Gold-Peru an Werte,


Drauf Sankt Michael zu sehen,
Schwer von Perlen und Juwelen,
Baumelnd zwischen ihren Brüsten
Nah dem Herzen von Ximene.

Nun begaben die Verlobten
Sich zum heiligen Altare,
Cid sah da mit Liebesblicken
Zu der Vielgeliebten, sprechend:

Mädchen, einen Mann der Ehre
Hab ich leider dir getötet,
Denn so wollt es Pflicht und Ehre.
Diesen Mann geb ich dir wieder,

Und was du mit ihm verloren,
Vater, Freund und Minnediener,
Alles gebe ich dir wieder,
Gebe mich dir hin als Gatte.

Nun das Schwert aus schöner Scheide
Ziehend, hob er es gen Himmel,
Sagte: Gottes Zorn mich strafe,
Wenn ich das Gelübde breche,

Dich mein Leben lang zu lieben
Und die Treue dir zu halten.
Also nun, o Vater Bischof,
Segne bitte unsre Ehe.


CANTO XVI

Vom Altare aus der Kirche
Zog nun prächtig die Gesellschaft,
Herrlich an Ximenes Seite
Ging der König Don Fernando,

Als der Vormund der Vermählten,
Cid zur Seite ging der Bischof,
Der ein Kleriker voll Keuschheit,
Und es folgte ihm der Adel.

Durch den Bogen des Triumphes
Ging man weiter zum Palaste,
Teppiche an allen Fenstern,
Rosmarin auf allen Böden.

Auf den Straßen zum Palaste
Tönten Chöre zu Guitarren,
Silberzimbeln auch erklangen,
Tönten Wonne, Wohl und Wollust.

Und der beste Freund des Gatten
Kam, von Dienerschaft begleitet
Und geschmückt mit stolzen Hörnern,
Kam in eines Wildstiers Maske.

Und der zweite Freund des Gatten
Kam, auf einem Esel reitend,
Erbsen warf er auf die Gassen,
Was das arme Volk erfreute.

Fröhlich lachte da der König,
Und er gab dem schönen Pagen,
Der beim Fest den Teufel spielte,
Eine Handvoll Geld aus Silber.

So der König Don Fernando
Führte an der Hand Ximene
Zu der Königin im Thronstuhl,
Bei ihr standen Herrn vom Hofstaat.

Weizen ward man aus den Fenstern,
Dass die Krone selbst des Königs
Voll von goldnen Weizenkörnern
Und der Busen von Ximene,

Und die goldnen Weizenkörner
Las der König Don Fernando
Von Ximenes hohem Busen,
Sie der Königin zu weihen.

Und der beste Freund des Gatten
Rief in seiner Wildstier-Maske:
Lieber als den Kopf des Königs
Möcht ich seine Hand besitzen!

Gebt ihm einen Korb voll Weizen,
Lachte fröhlich da der König,
Du, Ximene, sollst ihm geben
Für den heitern Scherz ein Küsschen.

Aber von Ximenes Seele
Ferne war der Narren Lachen,
Ihrer Seele tiefste Wonne
Tat sie kund durch schönes Schweigen.


CANTO XVII

Im Apostelstuhle Petri
Saß der hochverehrte Viktor.
Kaiser Heinrich von den Deutschen
Kniete ehrfurchtsvoll vorm Papste:

Gegen König Don Fernando,
Heiligkeit, ich will nun klagen,
Da die Christenheit Europas
Mich erkennt als ihren Kaiser.

Heiligkeit, so zwing den König,
Huld dem Kaiser zu erweisen,
Denn so fordert es der Glaube
Und das Reich von Papst und Kaiser.

Viktor drohte Don Fernando,
Einen Kreuzzug ihm zu senden,
Wenn er nicht dem Stuhle Petri
Und dem deutschen Kaiser treu sei.

Lange dachte nach der König,
Wie die Sache sich entwickelt,
Riet ihm mancher, nachzugeben,
Nachzugeben Papst und Kaiser.

Aber Cid, der tapfre Ritter,
War nicht da am Königshofe,
In der ersten Zeit der Liebe
Lag er an Ximenes Busen,

Aber als der Cid vernommen
Von der Botschaft an den König,
Eilte er zum Thron des Königs,
Sprach zum König Don Fernando:

Zu dem Unglück deines Reiches
Wärest du geboren, König,
Wenn ein andrer als der König
Dein Kastilien beherrschte.

Nimmermehr soll das Geschehen!
Lange lebe Don Fernando!
Unsern Herrn von Gottes Gnaden
Zu beschützen ist uns Ehre.

Wer was andres rät, o König,
Der vermindert deine Ehre.
Du befiehlst als unser König,
Wir gehorchen, deine Krieger.

Dies bedenke, o mein König,
Dein ist dieses Reich Kastilien.
Eher geb ich hin mein Leben,
Als dass deine Feinde siegen.

Nun nahm Cid zehntausend Männer,
Führte sie zum Fuß der Alpen.
Ihm entgegen zog Graf Raimund,
Der Soldat des deutschen Kaisers.

Cid besiegte Grafen Raimund,
Machte diesen zum Gefangnen,
Gab ihn frei, nahm seine Tochter
Sich zur Geisel für den Vater.

In der Welt das schönste Mädchen,
Ward Geliebte sie des Königs!
Und ihr beider Sohn und Liebling
Ward ein Kardinal der Kirche.