DER TOD VON MAITE


BRIEFE VON TORSTEN SCHWANKE




ERSTER TEIL
AN KATI

Hallo Kati!

Ich höre wieder von dir, dass du Maite im Pflegeheim besucht hast und dass du nachdenkst, wie weit du ihr helfen kann, und dass du viel zu tun hast. Ich wünsche dir viel Kraft, alles Gute und Schöne zu tun, das du dir im Herzen vorgenommen hast.

*

Liebe Kati!

Falls Maite sich nicht genügend dankbar gezeigt haben sollte, hier ein Dank von höchster Stelle:

Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben;

ich war krank und ihr habt mich besucht;

ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch:

Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (Schwester) getan habt, das habt ihr mir getan.

*

Liebe Kati,

ich schenke dir einen Zweig vom japanischen Kirschbaum, der gerade so schön blüht. Alles wird gut.

Toto

*

Maite ist hilflos wie ein Kind und gleichzeitig im Altersstarrsinn, das macht es sehr schwierig. Ich hab deine Geduld bewundert, ich wäre wohl explodiert.

Alles Liebe,
Toto

*

Liebe Kati,

Evi war etwas in Sorge, dass du dich ganz zurückziehst. Evi hat auch ihre Schwierigkeiten mit Maites Anweisungen, Uneinsichtigkeiten, Unverständnis etc. Nun, wenn Maite alle Karten darauf setzt, dass ihre Beine in 2 Wochen wieder gesund sind (was Evi und ich für höchst unwahrscheinlich halten) und sie sich weigert, Vorsorge zu treffen, müsste sie dann notfalls wieder nach Cloppenburg. Evi hat mir erzählt, dass du zu ihr beim Abschied gesagt hattest, du wolltest wenigstens noch in Cloppenburg anrufen, ob Maite im Notfall in vier Wochen da unterkommen könnte. Ich fände es sehr lieb, wenn du noch einmal mit Evi telefonieren würdest (Sonntags ist sie gut zu erreichen), ob evtl. Evi in Cloppenburg anrufen soll. Maite findet mich irgendwie ermutigend, und Evi sagte, ihr wäre es auch lieb, wenn ich sie öfters zu Maite begleiten kann. Ich bin zwar körperlich auf dem Nullpunkt meiner Vitalität und psychisch oft umnachtet, aber vielleicht erinnere ich Maite an etwas Gutes. Daher kann ich ihr eigentlich nur emotional beistehen, ich bin selbst fast ein Pflegefall. Vielleicht hast du nach deiner Frustration ja noch einmal darüber geschlafen. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du einmal mit Evi sprechen würdest, wie immer auch du dich entscheidest.

Alles Liebe,
Toto

*

Liebe Kati,

ich habe heute mit Maite telefoniert, und da wollte ich ihr Mut machen, indem ich sagte, dass du dich weiter kümmerst, diese Woche keine Zeit hast, aber nächste Woche kommst, und dass du in Cloppenburg angerufen hast. Das hätte ich nicht sagen sollen. Du kennst ja Maites Erregtheit... Sie geht nun davon aus, dass, wenn sie nicht nach Hause kann, sie in der AWO bleiben kann. Ich wollte dir das nur schreiben, sozusagen als Vorwarnung, falls Maite das irgendwie empört ansprechen sollte. Ich hab das Gefühl mit meiner sündigen Zunge wieder etwas falsch gemacht zu haben. Ich wollte nur trösten, aber in der Groß-Sippe Tiburzy ist es immer schwer zu wissen, was man sagen darf und was nicht. Apropos, ich merke wohl, wer in der Sippe ein barmherziges Herz und wer ein hartes hat. Verzeih mir, es geht mir nicht gut, ich wäre lieber nie geboren.

Alles Liebe,
Toto

*

Liebe Kati,

wenn ich gesund wär...
würde ich Maite jeden Abend zum Abendbrot besuchen -
aber ich kann ja nicht einmal mein eigenes Brot selbst einkaufen oder gar essen.
Wenn ich gesund wär...
würde ich Maites geschäftliche Angelegenheiten erledigen -
aber ich habe nicht einmal Überblick über meine eigenen Finanzen.
Wenn ich gesund wär..
würde ich Maitte jeden Tag trösten -
aber ich bin selbst bis zu Selbstmordgedanken verzweifelt und habe keinen Tröster auf Erden.
Wenn ich gesund wär...
würde ich Juri mit Maite versöhnen -
aber ich kann ja selbst nicht einmal meinem toten Vater verzeihen, was er mir angetan.
Wenn ich gesund wär...
Würde ich zu dir fahren und dir eine rote Nelke vorbeibringen -
Aber ich bin leider bettlägrig.

*

O Gott, ich kanns nicht fassen:
SIE hat mich grüßen lassen!

*

Nein, keine Ironie! Ich hab mich von Herzen über deinen Gruß gefreut. Ich bin wirklich dankbar für jedes Zeichen von Sympathie. Und dich hab ich irgendwie ziemlich gern.

*

Kati,

du verstehst ja meine Poesie nicht, darum sende ich dir diesen lieben Gruß in Prosa:

Kati!
Nur Liebes soll dir begegnen und keiner soll dein Schönes Herz verletzen!

*

Liebe Kati,

Evi sagte, Maite hätte ausgesehen wie eine Sterbende. Als ich sie das letzte Mal sah, sah ich auch schon den Tod in ihrem Angesicht (den Knochen) und ein für Liebe dankbares Kind (in den leuchtenden Augen). Ich glaube ja an die Unsterblichkeit der Seele, und ich glaube, wenn ihr Engel kommt, ihre Seele mit sich zu nehmen, dann werden ihre Schwestern Cathy und Madelaine und ihre Tochter Karine mitkommen und sie in die Ewigkeit führen. In dieser Hoffnung wünsche ich dir mit deiner Familie ein schönes, von Licht überflutetes Osterfest.

Toto

*

Liebe Kati,

ich beichte dir meinen heutigen Traum, aber unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses... Ich war auf dem Land, es war Abend, da kamen Simon und Milan zu mir, sechsjährig. B* kam mit. Simon schenkte mir eine kostbare alte Münze aus seiner Münzsammlung. Milan schwieg, verletzt, dann sagte er: Ich bin böse auf dich, weil du sagst, eine Frau hätte dir verboten, uns zu sehen. - Ich sagte: B* und U* haben es mir verboten, ich wollte es euch nur nie sagen. Dann kam B* auf mich zu und verprügelte mich. Ich sagte: Auch wenn du stärker bist, ich kann dir nachts Kobolde auf deinen Rücken schicken. Dann sagte B*: Wenn du deine Augen nicht abwendest von meiner geliebten schönen Schwester Julie, dann schlag ich dich tot! Ich sagte: So eine vollkommene Schönheit muss ich einfach bewundern.

Alles Liebe,
Toto

*

Liebe Kati,

du hast bei Maites Sterben deine Barmherzigkeit aufstrahlen lassen. Ich habe gestern Nacht im Gebet Maites Todesnacht mitgelitten. Nun ist alles gut. Sie kommt in die ewige Ruhe. Sie, ihre Seele, hat bestimmt noch gespürt, dass der liebste Juri bei ihr war und die liebsten Milan und Simon. Ach, ich könnte sie beneiden - sie ist nun bei Karine... Ich bin für sie erleichtert. Danke für alles, was du getan hast.

Alles Liebe,
Toto

*

Liebe Kati,

eben rief mich B* an. Maites Beerdigung ist am Dienstag, den 11. Juni um 14 Uhr auf dem Friedhof in Osternburg. Maite wird neben Karine beigesetzt.

Bis dann!
Toto

*

Liebe Kati,

ich habe drei Tage lang meine persönlichen Erinnerungen an Maite aufgeschrieben. Ich weiß, du kannst mit meiner Muse nichts anfangen, das ist auch okay, aber diese Texte sind ganz kunstlose Plaudereien, darum wage ich es, dir den Text zu senden. Aber ich erwarte nicht, dass du ihn liest. Das bleibt ganz deiner Freiheit überlassen.

Mit herzlichen Grüßen,
Toto

*

Liebe Kati,

Maite hatte mir einmal alle ihre Fotos mitgegeben, daraus habe ich drei Fotoalben für die Kinder gemacht. Es blieben ein paar Bilder von Karine für mich übrig. Und Maite schenkte mir ein Schwarzweiß-Foto von sich, wo sie 30 oder 40 war, ich glaube, so wollte sie bei mir bleiben. Gestern Nacht hat Maites Geist mir nach einem ärgerlichen Abend mit Dummschwätzern ihren himmlischen Frieden gegeben, da hab ich ganz einfach mit ihr gesprochen. Da suchte ich nachts meine ganze Wohnung ab nach diesem schönen Foto von Maite - aber der Teufel steckt im Detail - ich fand es nicht. Kann sein, dass es bei der Renovierung meiner Wohnung verloren gegangen ist. Nun weiß ich, dass du die Kunst beherrscht, sehr schöne Porträtfotos zu machen, da erlaube ich mir, dich zu fragen, ob du ein schönes Foto von Maite allein hast, eins, wo ihr Antlitz noch nicht vom Tod gezeichnet ist, egal ob in schwarz-weiß oder in Farbe? Darüber würde ich mich freuen, das hilft mir, für Maite zu beten. Vielleicht hat der liebe Gott beschlossen, dass Maite auch mein Engel wird. Das wäre schön.

Herzliche Liebesgrüße aus Moskau -
Torsten

*

Danke, Kati, für das Foto, wirklich sehr alt, aber doch strahlend. Das hilft mir weiter.

Ciao,
Toto

*

Liebe Kati,

Evi hat mir heute erzählt, dass es nur ein Treffen am Grab gibt, Urnenbeisetzung in Karines und Konrads Grab, ein paar persönliche Worte, dann geht jeder wieder seines Weges… Danke für die Fotos, wie schön doch Milan der Sterbenden zuhört...!

*

Kati,

ich denke auch, dass wir das trotz B* so machen sollten. Christel kommt doch extra aus Hamburg. Schön wäre (dachte ich mir schon) das "Café am Damm", das ist ganz nah, das gefiel Maite, bei schönem Wetter kann man draußen im Biergarten sitzen. Allerdings ist es nicht geeignet für viele Leute, eher für einen kleinen Kreis. Da kann ja jeder sein Kaffee und Kuchen selber bezahlen. Soll ich da nächste Woche mal anrufen? Ich meine, die haben ab 3 Uhr oder halb drei immer wieder auf.

T.

*

Ich habe gerade mit Evi telefoniert, das Cafe am Damm ist doch recht klein, falls da ein dutzend Leute kommen, wär es zu klein. Da gibt es noch in meiner Nähe (Stadtteil Bürgerfelde) das schöne Cafe Blätterteich, da kann man drinnen oder draußen im Grünen sitzen. Da war ich einmal mit Maite und Evi und schon mal mit Evi auf einer Beerdigungsfeier. Da wir aber nicht wissen, wer alles kommen möchte, kann man ja schlecht vorbestellen. Sie haben einen Raum mit zwei längeren Tischen, den könnte man vielleicht auf gut Glück vorbestellen. Im Cafe gibt es Bio-Kuchen (der sogar schmeckt). Da musst du mich mal beraten, mich Träumer nicht von dieser Welt...

*

Liebe Kati,

das von mir angepeilte Cafe hat Dienstags geschlossen, ich habe Jeanine gefragt, sie hat mir ein Cafe ganz in der Nähe des Friedhofs vorgeschlagen, das hat auch Dienstags ab 14.30 geöffnet, man kann für den Innenbereich reservieren, ich habe die Nummer. Soweit alles gut. Aber für wie viele Leute soll ich reservieren? Christel, Jessie, Juri, Evi, Torsten, Kati und Holli (kommen deine schönen Kinder?), Jeanine, Dorothea, Teresa, Danielle... Das sind 11 Leute. Soll ich für zehn reservieren? Notfalls kann man ja einen Stuhl dazustellen. Was meinst du?

Einen wunderschönen Sonntag im Mai wünscht dir und deinen Lieben
Toto

*

Und für wie lange? Eine Stunde? Anderthalb?

*

Und ab wie viel Uhr? Die Beerdigung um 14.00, das Cafe öffnet um 14.30. Für wann soll ich reservieren.

Ich hab dich von Herzen gern.
Toto

*

Kati,

ich habe für Dienstag, 11. 6., von 15 bis 16.30 für 15 Personen reserviert. Auf meinen Namen. Hier die webside des Cafes, zu Fuß zu erreichen vom Friedhof. Ich werde Christel (und Jessie) Bescheid sagen, und Jeanine für die Franzosen und Spanier, ich sage gleich Evi Bescheid und versuche, Juri zu sprechen. Wir haben also genug Stühle, du kannst alle alten und jungen Schönheiten mitbringen, wer mag.

Ciao,
Torsten

*

Meine liebe Kati,

Christel hatte mich gebeten, für 25 Personen zu reservieren, da sechs Franzosen und Maria aus Spanien kommen. Das war möglich. Evi habe ich gebeten, auch B* und die Jungs einzuladen, damit er sich nicht ausgeschlossen fühlt. Ich mag ihn nicht anrufen, aber Evi steht auf gutem Duzfuß mit ihm. Dorothea hab ich auch Bescheid gesagt. Bring also Kind und Kegel mit!

Eine schöne Frühlingszeit wünscht dir

T.

*

Liebe Kati,

die Trauerfeier zu Ehren von Maite ist doch - so empfinde ich das - unser gemeinsames Baby...

Alles Liebe,
Toto

PS: Danke, dass du immer so lieb schreibst.

*

Liebe Kati,

ich habe B* angerufen, er fand es "sehr schön", dass ich ein Café reserviert habe, kommt mit sechs Franzosen und Milan und Simon, letzteres freut mich natürlich sehr! Heute Nacht hab ich von Maite geträumt, sie bat mich, mich um Juri zu kümmern. Juri hab ich leider noch nicht erreicht, nur seinen Vater - oder wars ein Hund - jedenfalls ich wurde angebellt. Aber Evi versucht auch, Juri einzuladen.

Alles Schöne dir -
Toto

*

Liebe Kati,

dein Video ist angekommen, ich hab es abgespeichert, brauche aber noch die Hilfe meines technisch begabten Freundes, es öffnen zu können. Jedenfalls dank ich dir schon mal für deine Arbeit. Und nimms mir nicht übel mit dem gemeinsamen Baby.

Ciao,
Toto

*

Kati,

nun ist es mir gelungen, den Video zu sehen. Karine wie sie leibt und lebt - und noch heute lebt - nur anderswo. Danke!

*

Liebe Kati,

den Film mit der fünfjährigen Karine hab ich auch Christel und Jeanine geschickt, und Evi gerade gezeigt, ich kann ihr nur die Datei nicht mailen. Vielleicht kannst du ihr das auch schicken?

Ciao,
Toto

*

Kati,

auf dem einen Video ist ein junges Mädchen, etwa 15, mit langem braunen Pferdeschwanz, spielt Klavier und Flöte, rührt die Suppe um - bist das du?


ZWEITER TEIL
AN CHRISTEL

Liebe Christel,

heute hab ich geträumt, dass ich zu euch nach Hamburg gekommen war, erst war ich allein in einem Zimmer, da hörte ich einen Chanson. Dann kam ich in euer Wohnzimmer. Konrad lag im Bett, hatte von einer Chemotherapie alle Haare verloren, ich reichte ihm die Hand, ich sah in seinem Gesicht gemischte Gefühle: Einerseits erinnerte er sich an schöne gemeinsame Stunden, andererseits aber auch an ideologische Zänkereien. Dann lachtest du mich an und sagtest: Wir haben ein schönes Geschenk für dich. Das Geschenk war entweder zu meinem Geburtstag oder zu Weihnachten. Du reichtest mir einen großen aufgerollten Teppich, den ich ausrollte. Darin lagen Milan und Simon, sechsjährig. Du sagtest: Wir haben es für dich organisiert, dass Milan und Simon heute extra für dich nach Hamburg gekommen sind. Ich schaute die beiden an und war sprachlos vor Glück. Sie schauten mir in die Augen und schmiegten sich an mich. Ich sagte: Ich vermisse euch so sehr, ich komme gar nicht darüber hinweg. Und in dem Teppich war noch ein zweites Geschenk: ein kleiner schwarzer Hund. Du sagtest: Damit du jeden Tag spazieren gehst und Bewegung bekommst und damit du Gesellschaft in deiner Einsamkeit hast. Dann standen im Halbkreis um mich herum Juri, Milan und Simon und Tom und ein sechsjähriges Mädchen. Und ich sagte: Kommt, Kinder, wir wollen mit dem Hund spazieren gehen.

Mit diesem Traum grüße ich dich und wünsche dir eine ruhige Adventszeit.

*

Liebe Christel,

das war aber eine besonders schöne Überraschung, dass heute ein Paket von dir angekommen ist. So etwas Unerwartetes ist doch das wahre Weihnachtsglück. 1001 Dank dafür! Ich wünsche Dir auch eine freudenreiche Weihnachtszeit, mit deiner Enkelin hast du ja auch quasi ein kleines heiliges Kind in der Krippe...

*

Liebe Christel,

der römische Philosoph Seneca sagt: Es ist Torheit, eine große Bibliothek zu sammeln, nur um die Wände zu schmücken. Die 400 000 Bücher der Bibliothek von Alexandrien, das war auch nur zur-Schau-Stellung von Schein-Weisheit. Der Weise begnügt sich mit einer kleinen Handbibliothek wahrhaft besonders guter Bücher, mit deren Studium er an kein Ende kommt. In deinem Haus befindet sich Dantes göttliche Komödie, Gedichte von Puschkin, Dostojewski, Tolstoi, Heinrich Heine gesammelte Werke. Damit kann man gut leben.

Herzliche Grüße,
dein weißer Löwe

*

Hallo Christel,

ich war heute bei Maite im Altersheim. Sie fühlt sich sehr einsam, ist verletzt, dass Juri sich nicht meldet, denkt über den Sinn ihrer Schicksalsschläge nach und möchte eigentlich gerne bald nach Hause. Wenn du sie mal anrufen magst, ist dies die Telefon-Nummer:… Ich hoffe, du machst es dir schön gemütlich zuhause. Ich habe nach dem heutigen Radeln durch den Schneeregen erst mal drei Glas Wein getrunken und sommerliche Musik gehört.

*

WER BIN ICH?

von Dietrich Bonhoeffer


Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger
Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
Das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Damit grüßt dich
Torsten

*

Liebe Christel,

ich war im Traum bei dir und Konrad in der Küche. Konrad war etwa 60 Jahre alt, war gesund, und wollte mit mir Tango tanzen, ich sagte, ich tanze nicht und beherrsche den Tanz der lateinamerikanischen Prostituierten nicht. Dann sagte Konrad: Ich weiß, Toto, dass du eigentlich ein deutscher Lutheraner bist. Ich sagte: Ja, dafür werde ich noch gerichtet werden. Dann frühstückte ich ein weißes Baguette und Konrad gab mir Schafskäse mit grünen Kräutern. Dann war ich mit dir allein. Ein vierjähriger Knabe mit goldenen Locken trat zu uns und fragte etwas über die Würde der Frauen. Du sagtest ihm was, ich weiß nicht mehr was. Ich sagte: Du musst nicht denken, dass du um der Ehre der Menschheit willen die Frauen erhöhen und die Männer erniedrigen musst, sondern Männer und Frauen haben die gleiche Würde und ergänzen sich, denke einfach nur bei jedem Menschen, dem du begegnest, dass er oder sie eine unsichtbare Krone trägt, und verneige dich vor ihm oder ihr. Der Knabe sagte: Das hast du schön gesagt, mein Dante...

Damit grüßt dich

*

Liebe Christel!

Ich bin sehr traurig. Der Menschheit ganzer Jammer fast mich an, sagt Goethes Faust. Ich war heute mit Evi in Osternburg, da schien die Karine-Sonne nicht mehr, da lag nur ein nebliger Friedhof. Dann war ich mit Evi bei Maite im Altersheim. Kati war auch da, und sie wollte Hilfe für Maite organisieren. Maite ist hilflos wie ein kleines Kind und unendlich dankbar für jede Zärtlichkeit, wie ein kleines Kind. Aber sie hat ihr Leben lang ihr Leben selbst in die Hand genommen. Verzeih mir, aber Konrad seligen Angedenkens hat sie ja für die Weltrevolution mit Karine allein gelassen. Und Karine war ihr keine Hilfe, sondern (mit ihren Kindern) eine stete Sorge. Immer musste sich Maite allein um sich selbst kümmern. Und ich denke, sie will jetzt nur selbstbestimmt und allein in ihrer eigenen Wohnung friedlich aus ihrem Leben scheiden und heimgehen zu ihren seligen Schwestern und ihrer seligen Tochter. Aber keiner traut ihr das zu, allein zu leben. Und Maite kann nichts mehr organisieren. Kati will nicht mehr, weil Maite ihre Hilfe nicht annimmt. Evi ist auch überfordert, allen Ämterkram für Maite zu erledigen, da sie den Dreck für sich selbst nicht organisiert kriegt. Ich bin auch zu krank, aktiv zu helfen. Ich will aber mit dem Herzen für Maite da sein, dass sie weiß, sie ist nicht ganz allein. Ich denke, Dorothea ist auch gescheitert an Maites Eigensinn. Aber ich kann sie gut verstehen. Ich habe auch in meinem Leben alles allein entschieden und möchte auch allein in meiner Wohnung im Frieden Gottes sterben.

*

Liebe Christel,

verzeih mir, dass ich dir mein Herz voll Kummer ausgeschüttet hatte, ich war wirklich betrunken vom Kummer. Aber Kati schrieb, sie wolle sich doch nicht ganz von Maite zurückziehen. Wenn Maite in vier Wochen noch nicht gehen kann, kann sie wieder nach Cloppenburg kommen. Kati wird mit Evi telefonieren, dass sie sich die praktische Hilfe teilen. Mir sagte Evi, es wäre ihr lieb, wenn ich öfter mitkommen würde (dann ist Maite etwas weniger fordernd Evi gegenüber). Maite ließ durchblicken, dass sie meine Gegenwart als trostreich empfindet. Was du tun kannst, wäre vielleicht nur, manchmal Maite anzurufen, denn ich weiß, wie schrecklich das Gefühl ist, von der Menschheit vergessen zu sein. Und dir geht es auch nicht gut? Wegen des Todes von Addi? Ich hab ihn ja mal kennen gelernt und fand, er war ein lieber Mann. Und liebe Männer haben EWIGES LEBEN. Nochmal: Verzeih mir, dass ich meinen Kummer bei dir abgeladen habe. Lass dich umarmen! Ich bin fest überzeugt: ES WIRD ALLES GUT!

*

14. April: St. Tiburtius

Tiburtius mit Sang und Schall
Den Kuckuck bringt, die Nachtigall.

Wenn der Tiburtius laut schellt,
Dann grünt der Garten und das Feld.

Am heiligen Tiburtiustag
Natur nun endlich grünen mag.

Tiburtius kommt sehr gelegen
Mit seinem grünen Blättersegen.


Nach dem Tiburtiustag
Nun alles grünen mag.

15. April: Kuckuckstag

Der fünfzehnte April
Tag Kuckuck heißen will.

Am fünfzehnten April der Kuckuck rufen soll,
Und ruft aus hohlem Baum er auch wie toll.

*

Liebe Christel,

als ich auf Konrads 70. Geburtstag war, habe ich viele Menschen gesehen und gehört. Konrad hatte mir Brechts Dramen geschenkt. Auf der Rückreise im Zug hab ich Brechts erstes Drama Baal gelesen, das einzige Brechtstück, das was taugt. In der Bibel kämpft der Prophet Elias gegen den Götzen Baal. Ich hab dann Brechts Baal umgeschrieben zu einem Drama über Vater Elias, und darin ist das ganze "Bacchanal" von Konrads Fest eingeflossen. Ich kenne deinen literarischen Geschmack nicht, aber ich sende dir einfach einmal einen link zu diesem meinem Drama (als ich noch Weinsäufer war)...

Torsten

*

Liebe Christel,

ich glaube, Juri nimmt es Maite übel, dass sie letztes Jahr zu ihm gesagt hat: Du bist nicht mehr mein Enkel! Wie immer halte ich zum Kind. Dir schenke ich ein rotes Osterei und wünsche dir ein schönes neues Leben und eine spannende Zeit der - nach Sartre - neuen Selbsterfindung...

*

Liebe Christel,

danke für deinen lächelnden Gruß. Was den Konflikt zwischen Juri und Maite betrifft, stellt sich mir das so dar: Es war glaube ich im Oktober 2018, dass Maite einen Schwindelanfall hatte und gefallen war, so weit ich weiß, war es in diesem verwirrten Zustand, dass sie zu Juri gesagt hatte: Du bist nicht mehr mein Enkel! Ich sprach mit Juri an seinem 18. Geburtstag am 13. November 2018, und er sagte mir, dass ihn das sehr verletzt hatte und dass er gar nicht verstehe, warum sie das gesagt, da er Maite doch sogar öfter als Milan und Simon besucht habe. - Maite litt aber oft daran, sie meinte und hatte das Gefühl, das Juri sich zu wenig um sie kümmere. Juri hatte mir aber einmal in Hamburg gesagt, er besuche Maite nicht so gerne, weil sie immer vom Tod spreche. (Davon hören Kinder und Jugendliche gar nicht gerne.) Ich hatte nach dem Gespräch mit Juri mit Maite telefoniert, ich weiß nicht mehr, ob sie noch im Krankenhaus war, nein, ich glaube, sie war wieder zuhause. Da sie aber wegen ihrer Blindheit Juris Telefonnummer nicht selbst wählen konnte, bat sie mich, ihm zu sagen, dass sie ihn genauso liebe wie Milan und Simon (obwohl deutlich Simon ihr Liebling ist). Ich konnte das Juri nicht sagen, habe aber D* gebeten, Juri zu sagen, er solle Maite anrufen, ich sagte: "Maite wolle sich entschuldigen". Juri hatte sie nicht angerufen, und so weit ich weiß, hat Maite ihn auch nie um Verzeihung gebeten. Als Maite dann ins Pflegeheim nach Cloppenburg gekommen war, bat sie mich, Juri ihre Telefonnummer zu geben, sie wolle ihm Geld für seinen Führerschein geben. Wieder konnte ich das nur D* sagen. Aber Juri ist offensichtlich seine verletzte Ehre höherstehend als das Geld für den Führerschein (was ihn ja gewissermaßen ehrt). Seit Maite im AWO-Pflegeheim in Oldenburg ist, bat sie mich zweimal, Juri zu bitten, sie anzurufen, sie wolle wissen, ob er und D* Geld brauchen. Ich gab D* die AWO-Nummer und sagte, dass Maite ihnen Geld geben wolle. Daraufhin rief Juri auch nicht an. Evi rief dann noch einmal, ich glaube im März dieses Jahres, D* an. Er sagte, er hätte Maites Telefonnummer nicht (die ich ihm doch gegeben hatte) und dass Juri die geistige Enterbung immer noch übel nehme. Seitdem hat, soweit ich weiß, noch keine Kontaktaufnahme zwischen Juri und Maite stattgefunden.

PS: Mir gefällt nicht, dass Maite schlecht über Karine redet. Das geht bei mir gar nicht. Karine ist meine einzige Trösterin, die ich habe.

Torsten

*

Liebe Christel,
Maite ist im AWO-Pflegeheim in ein anderes Zimmer gezogen, oben steht ihre neue Nummer. Evi erzählt, dass im Pflegeheim unerklärlich Geld von Maite verschwindet. Maites amtliche Betreuerin wird aktiv und will sich mit Evi Maites Wohnung ansehen, ob Maite da eventuell mit aufgestockter Hilfe wieder allein wohnen kann. Ich habe auch Juri angerufen, aber nur, um ihm zu sagen, dass ich ihn immer noch liebe (ich musste natürlich "gern haben" sagen). Ich habe bewusst nicht mit ihm über Maite gesprochen. Er will nach der 12. Klasse mit Fachabitur abgehen und im Bereich Betriebswirtschaft arbeiten. Er hatte schöne Osterferien und war viel mit seinen Freunden zusammen. Ich bin zur Zeit aller Menschen überdrüssig und mag nur noch Evi sehen. Aber schreiben tu ich immer gern. Ich hoffe, du hattest schöne Tage und wünsche dir einen schönen Frühling. Hast du wieder einen Kuckuck im Nest vor der Haustür?

*

Liebe Christel,

was ich dir noch sagen wollte: Greta ist meine Heldin! Die organisiert den Aufstand der Schüler gegen die Naturzerstörer! Redet vorm Europäischen Parlament! Holt sich den Segen und die Ermutigung von Papst Franziskus ab! Das sind Mädchen, die mir gefallen, ich bin begeistert!

*

Liebe Christel,

es kann sein, dass ich dir Maites alte Nummer gegeben habe, wenn du sie so nicht erreichen kannst, müsstest du dich an Kati oder Dorothea wenden. Von Evi hab ich heute erfahren, dass Maite Evi fleißig für sich arbeiten lässt, ihr aber keinen Lohn zahlt, nicht mal Benzin-Geld. Maite hätte gesagt, Evi solle ihr eine Rechnung schreiben, aber das tut Evi natürlich nicht, dazu ist sie zu schüchtern und zu bescheiden. Ich hoffe, du hattest schöne Tage unterwegs. Mir geht es seit Ostern recht gut. Ich übersetze Homer.

Ciao,
Torsten

*

Maite hatte mich heute angerufen, weil sie von Evi Hilfe wollte. Bei der Gelegenheit hab ich sie von dir gegrüßt und gesagt, dass du sie lange nicht erreicht hattest und ein paar Tage weg bist und dich dann bei ihr melden wirst. Sie war sehr schwach, nur ein dünnes Stimmchen, wie eine Zikade, und geistig etwas verwirrt, so dass wir nicht weiter sprechen konnten.

*

Liebe Christel,

gerade hat mich Evi angerufen, weil sie ihren Ärger über die AWO bei mir abladen musste. Sie kam gerade von Maite. Inzwischen sind Maite ungefähr 500 Euro geklaut worden. Die Heimleitung sagt, da könnten sie auch nichts dran ändern. Der für Maite zuständige Arzt sagte, Maite sei Alkoholikerin, stinke nach Schnaps, sie würde sich von Mitbewohnern Schnaps besorgen lassen und sei öfter ausfallend. Das mit dem Alkohol ist natürlich Unsinn.

*

Liebe Christel,

Maite ist, falls du das noch nicht weißt, im Krankenhaus, im Klinikum Oldenburg, ich weiß nicht, ob sie Telefon hat. Ich war heute mit Evi da, aber Maite war in langer Behandlung, bekam einen komplizierten Gips, darum hab ich sie nicht gesehen. Am Montag wird sie noch einmal operiert, der Arzthelfer sagte, sie habe noch einige Behandlungen vor sich. Ihr Zucker war bei der AWO ganz durcheinander gekommen. Die amtliche Betreuerin hat sich mit Evi Maites Wohnung angesehen und scheint es zu befürworten, dass Maite wieder nach Hause kommt. Anschließend hat Evi mir ihr kleines Märchenhaus mitten im Wald gezeigt, das sie gerne haben würde. Knusper knusper knäuschen...

Liebe Grüße,
Torsten

*

Christel,

Dorothea rief mich an. Maite liegt auf der Intensivstation im Sterben. Kati ist bei ihr. Milan und Simon wollen sie noch einmal sehen. Ich bete für einen gnädigen Tod.

*

Liebe Christel,

leider haben Evi und ich uns verpasst, so dass ich nicht bei Maite war – körperlich, im Geist schon - aber Evi war da, Maite war aufgequollen von Wasser und schlief, und Juri kam - allein! - gerade von ihr. Mein Gott, das bricht mir schier das Herz, wie das für Juri gewesen sein muss, wie möchte ich ihn in den Arm nehmen!

*

Christel,

gestern Nacht gab mir Christus einen Anteil an Maites Todesnacht, ich litt mit ihr und betete, da kam nach Mitternacht ein Maikäfer in mein Zimmer geflogen, umkreiste das Licht und flog wieder heraus, und ich dachte: Das ist ein Zeichen von Maite…

*

Liebe Christel,

heute Nacht hab ich von dir und Konrad geträumt, du zitiertest Lao Tse: Das weiche Wasser bricht den Stein. Eben rief B* mich an. Maites Beerdigung ist am Dienstag, den 11. Juni um 14 Uhr. Maite wird neben Karine beigesetzt. Ich denke doch, wir sehen uns dann.

*

Liebe Christel,

vielleicht magst du meine Erinnerungen an Maite lesen, an denen ich in den vier Tagen nach ihrem Tod geschrieben habe. Ich würde mich freuen, wenn wir auch weiterhin ab und zu von einander lesen könnten.

*

Liebe Christel,
willst / wirst du dich weiter an Konrads statt ein wenig um Juri kümmern?

Toto

*

Liebe Christel,

mit Kümmern um Juri meine ich nicht, dass du D*s Rechnungen bezahlst, darauf solltest du dich gar nicht erst einlassen, denke ich, ich meine eher, Kontakt zu Juri behalten als Familie, ab und an anrufen, fragen wie es ihm geht, was er vor hat, gegebenenfalls einen guten Rat geben usw. - einfach als letzte Mohikanerin von den Tiburzys den Kontakt nicht verlieren.

Schöne ruhige Tage wünscht dir

Torsten

*

Liebe Christel,

Evi hat mir heute erzählt, dass es nur die Urnenbeisetzung im Familiengrab gibt, keine anschließende Kaffeetafel, nur ein paar private Worte am Grab, keine große Trauerfeier.

*

Kati und ich wollen aber doch für Maites Freunde noch ein geselliges Cafe aussuchen, muss eben jeder Kaffee und Kuchen selber bezahlen.

*

Liebe Christel,

ich hab mit Katis Beratung eine kleine private Trauerfeier organisiert in einem Cafe nahe des Friedhofs, zu Fuß zu erreichen, reserviert auf meinen Namen für 15 Personen, Dienstag den 11.6. von 15 bis 16.30 Uhr. Wirst du kommen? Wird Jessie auch Zeit haben? Bis dann!

Torsten

*

Die Christel, meine Königin,
Ist eine stolze Tigerin,
Der ich ein weißer Löwe bin,
Hab nichts als Löwinnen im Sinn.



DRITTER TEIL
AN JEANINE

Liebe Jeanine,

hier meine (persönlichen und sehr subjektiven) Erinnerungen an Maite. Nun gibt es einen Engel mehr im Himmel.

*

Liebe Jeanine!

Hast du zufällig ein schönes Foto, auf dem Maite allein ist, möglichst jung (ich glaube an die ewige Jugend)? Wenn ja, könntest du es mir ausleihen, dass ich mir eine Kopie davon mache? Heute Nacht hat mich nach einem ärgerlichen Abend mit Narren Maites Geist umschwebt und mir Frieden gegeben, und ich habe das erste Mal mit ihrem Geist geredet, ob sie mich nicht vergessen, ob sie auch mein Engel sein darf.

Vive la grace divine!

*

Jeanine,

ein deutscher Schriftsteller schrieb um 1930, das Symbol und Wappen Frankreichs könne nicht der Tiger sein, sondern nur die FRAU - la grace - eine Mischung aus Tiger und Engel. Sehr schön!

Vive Notre Dame!

*

Hallo Jeanine,

B* hat für die Beerdigung keine anschließende Kaffeetafel geplant. Ich und Kati möchten privat organisieren, dass die Freunde Maites sich noch in einem Cafe treffen können. Das Cafe Blätterteich in Bürgerfelde hat Dienstags geschlossen. Das Cafe am Damm ist sicher zu klein. Hast du eine Idee von einem guten Cafe, wo man einen Raum vorbestellen kann, wo dann jeder Kaffee und Kuchen selbst bezahlt?

Jeanne d'Arc sei mit dir!

*

Danke, Jeanine, für deine Hinweise. Ich will es erst einmal bei der Brückenwirtin versuchen. Die andern Cafes merk ich mir. Ich bin sehr, sehr traurig über die hohen Wahlergebnisse der Front National in Frankreich. Um mich zu trösten höre ich eine Rock-Opera einer deutschen Band auf englisch über Jeanne d'Arc (deren Bild ich in meinem Portemonnaie immer bei mir habe). Wenn ich weiß, in welches Cafe wir gehen können, geb ich dir schriftlich Bescheid, dass du es deinen Bekannten weitersagt, allen mediterranen Frauen...

*

Halle Jeanine,

die Trauerfeier steht, in der Brückenwirtin, auf meinen Namen Schwanke reserviert, 15 Stühle, Dienstag, 11.6. von 15 bis 16.30. Sag bitte Teresa und Danielle Bescheid und wem du es noch sagen willst.

*

Danke, Jeanine, für die wirklich wunderschönen Photos von Sacre Coeur. Ich erwidere dir mit einigen sehr freien Nachdichtungen Villons, die ich einmal schrieb. Übrigens haben wir für 25 Leute reserviert, weil auch 6 Matronen aus Frankreich und Maria aus Spanien kommen.

Ich denke an Maite.

*

Liebe Jeanine,

bei einem deutschen Romantiker las ich einen Satz, der traurig, aber wahr ist: "Auch in Südfrankreich scheint nicht immer die Sonne und ist man nicht ewig jung."

Damit grüßt dich

Torsten

*

MAITE

"Après ma mort, je veux existe en terre, une fleur..."
Et moi, je veux priez pour Vous en Sacre Coeur!