VON TORSTEN SCHWANKE
MUSENANRUF
O
komm, meine bartlose Knabenmuse, Eichelberg von Bookholzberg, und
empfange gnädig mein Osteropfer zum Dank für deinen Musenkuss in
unserer gemeinsamen Osternacht! O felix culpa!
ERSTES
KAPITEL
DER
STEDINGER LAND UND LEUTE
Zwischen
dem Jadebusen, der Weser und der Hunte, im Großherzogtum Oldenburg,
lag das Stedinger Land, auf Mooren und Geersten, zwischen gewaltigen
Dämmen; abgetrotzt dem Meere und Fluss mit starker Hand und eisernem
Willen, mit kluger Vorsicht und sicherem Auge; dennoch seit
Jahrhunderten bedrängt von den tückischen Elementen und oft noch
umarmt bis zum grausigen Tod, wenn die Elemente ihre Fesseln
sprengten und ihr donnerndes Rauschen über die Trümmern der
Menschenwerke, wie ein dämonischer Spott, aus der Tiefe erscholl.
Aber immer auch wieder erhoben sich aus Fluten und Trümmern neues
Land, neue Dörfer, neue Dämme, und immer blühender, schöner und
fester. Es musste ein gewaltiger Menschenschlag sein, der das
vermochte. Und wahrlich, er war es auch. Die kühnen Holländer, die
starken Friesen, auch wohl Normannen dazu, hatten nach und nach sich
hier angebaut, die Plätze der Ertrunkenen und Verschütteten
einnehmend, und derer, die dann geflohen in Todesangst und
gebrochenem Mut.
Sie
vermischten sich mit den stark und mutig heimisch Gebliebenen, und so
musste das nun ein Geschlecht werden von besonderer Art; der Stamm,
der in freudigstem Lebensmut fast täglich um dieses Leben kämpfen
konnte; Männer, hoch wie ihr Korn, breit wie ihre Dämme, hart von
Sinn und Knochen wie ihre Pflugscharen; den Wolken, Wogen und Wettern
ihre Listen ablauschend, klug wie die Füchse, ehrlich und treu wie
die Natur, gesund an Herz und Gedanken wie die frisch aufgerissene
Scholle ihrer schwarzen Erde, dabei reich wie ihre Felder. Vor allem
aber: es waren freie Männer. Ein jeder ein Erb-König auf seinem
Grunde, nur untertan dem Gesetze, das sie selbst sich gegeben hatten,
von eigens gewählten Richtern bestellen ließen und sich ihm
beugten, als hielte es der König der Könige vor ihren Augen in
seiner Hand.
Nur
dem deutschen Kaiser hatten sie Männer zu senden mit Spieß und
Schwert, wenn er darlegte, dass er im Recht war gegen seinen Feind.
Nur dem Erzbischof in Bremen gaben sie Zehnten an Vieh und Frucht,
als dem Vertreter des Papstes, dem Schutzherrn des katholischen
Glaubens; doch wählten sie selbst ihre Priester, bauten selbst ihre
Kirchen und Schulen, und keines Gewaltigen Macht durfte sich
einmischen in der freien Bauern Rat und Tat, Gut und Blut. Schon
Kaiser Karl der Große hatte solch hohe Gerechtsame den Stedingern
gegeben und jeder ihm folgende Kaiser sie feierlich bestätigt.
Zuletzt noch erweiterte und befestigte sie der deutsche Kaiser mit
dem roten Bart, und die weisen Erzbischöfe von Bremen hatten
immerdar des Papstes heiliges Siegel darauf gedrückt.
Aber
der Bauern Freiheit sollte ihr Verderben werden. Der wachsenden Macht
der oldenburgischen Grafen war sie ein Dorn im Auge, der sollte
herausgerissen werden, wenn auch das Auge mit heraus musste; so
hatten sie es beschlossen.
Hart
an den Grenzen des Stedinger Landes erbauten sie Lienen und
Lichtenberg und setzten darauf Voigte, die immer weiter eingriffen in
der Bauern Tun und Lassen, Hab und Gut; ja, die oft der Bauern Frauen
und Töchter auf sonntäglichen Kirchwegen überfielen, auf die
Burgen schleppten und vergewaltigten. Und im Bunde mit den
Oldenburger Grafen gingen die Erzbischöfe von Bremen: Hartwich und
Gerhardt. Sie forderten mehr und mehr der Gaben und Gerechtsame für
sich; ja, sie sandten eigens Priester hin an Stelle der Priester aus
Stedinger Blut, denn diese lehrten nicht mehr das wahre katholische
Christentum.
Die
Stedinger knirschten und brüteten in fürchterlicher Wut; es ging
durch das Land wie Kohlendampf, und nur noch ein Stoß – dann
musste der Dampf auseinander schlagen zu fürchterlicher Flamme. So
stand es um der Stedinger Land und Leute beim Beginne unserer
Geschichte.
ZWEITES
KAPITEL
DER
BEICHTPFENNIG
Es
war im Sommer des Jahres 1231, da zogen die Stedinger Männer mit
ihren Frauen und Kindern nach Elsfleth zur Sonntagsmesse, aber nicht
so frisch und fröhlich und katholisch-andächtig, wie sonst, denn
der Priester, der ihnen dort die heilige Eucharistie austeilen
sollte, war ihnen eingesetzt worden von Bremen aus, und mancherlei
Klagen sprachen gegen seine Forderungen. Es war ein stiller
Kirchgang. Am stillsten von allen war Margarethe, die Frau von Klaus
vom Ipenhof. Sie war schon hoch schwanger und wollte heute den
letzten Kirchgang tun vor der schweren Stunde; wollte die Eucharistie
empfangen als Stärkung, und als Sicherheit, wenn ihr ein Unglück
begegnen sollte. Deshalb auch hatte sie gestern gebeichtet, recht
andächtig und offenherzig, aber dem Priester nur einen kleinen
Beichtpfennig gegeben.
Nun
war Margarethe zumute, sie wusste nicht wie; es schwante ihr ein
Unglück. Aber sie sprach kein Wort davon, und als sie in die Kirche
kam, wurde sie wieder ruhig und ihr war erbaulich zu Sinn. Nun las
der Priester die Messe, dann lud er ein mit schönen frommen Worten,
heranzutreten an die Kommunionbank und die Kommunion zu empfangen. Da
wurde es allen feierlich still im Gemüt und sie kamen heran, den
lauten, wuchtigen Schritt dämpfend zum heiligen Rundgang.
Feierlicher Gesang klang hernieder, Weihrauchwolken wallten hinauf,
und alle Herzen schlugen leise und andachtsvoll. Da auf einmal ein
fürchterlicher Schrei aus einer Frauenbrust und ein Klang auf dem
steinernen Fußboden.
Der
Schrei kam von Margarethe und der Klang von dem Pfennig, den sie
gestern dem Priester gegeben, den dieser ihr jetzt statt der
geweihten Hostie in den Mund gesteckt, und den sie mit jenem Schrei
dem Priester ins Antlitz spuckte.
Laut
rief sie das hin durch die Stille der Kirche. Wie ein Tiger sprang
Klaus, ihr Mann, hervor, gegen den Priester; der floh.
Jetzt
brach der Aufstand fürchterlich los: das heilige Blut Christi floss
auf der Erde, die Hostien flogen umher wie Flocken, donnernde
Rache-Rufe brach sich an den Wänden, die Fenster klirrten, fielen
ein, Kanzel und Altar brachen zusammen, und während die Frauen
Margarethe zu Hilfe kamen, stürmten die Männer dem Priester nach,
dem Gott Flügel zu geben schien. Die Voigte der Grafenburgen waren
mit Kriegern in der Nähe, griffen den Priester und führten ihn hin
zu den starken Burgen.
Aber
der Klang des Pfennigs schwoll an zu einem fürchterlichen Orkan. Der
letzte Stoß war gegeben: der Kohlendampf schlug auseinander zu
gewaltiger Flamme. In wenigen Tagen waren die Burgen Trümmer, unter
denen Priester, Voigte und viele Reisige lagen; kein Oldenburger
Mann war im weiten Umkreis mehr zu sehen, und nach der bremischen
Grenze, zwischen Ockthum und Lintow, erhob sich ein haushoher
Steindamm neben einem breiten Graben, eine starke Brücke über die
Acht, von wehrhafter Mannschaft stark gehütet. Einmal versuchten es
die Oldenburger Grafen hier einzudringen, und büßten es mit
Tausenden; dann blieben sie zurück, doch nur, um den rechten
Augenblick abzuwarten.
Der
Erzbischof von Bremen forderte Auslieferung der Mörder des
Priesters, doch vergebens. Da wurden die Stedinger in den Bann getan;
der einzige Priester ihres Stammes musste dem Gebot der Kirche folgen
und die Gebannten verlassen. Vor allen verflucht wurde die entweihte
Kirche zu Elsfleth, und die Stedinger selbst sahen sie nur mit
Grausen an, und bauten weit von ihr ab ihre Häuser. Sie blieb so
verlassen, dass im Winter über das Eis herübergekommene Wölfe ihre
Welpen darin warfen, und wenn die Alten dabei heulten, klang das
schauerlich hin durch die öde kalte Nacht, schauerlich selbst den
Stedingern durch Kopf und Herz. Sie glaubten sich selbst dann zu
hören, wie sie einst da geheult hatten in Wut und Rache. So hat die
Kirche noch zwei Jahrhunderte gestanden, da kamen auf einmal die
Wogen der Weser, und nahmen das fürchterliche Wahrzeichen der
Volkswut in ihre vernichtenden Arme.
DRITTES
KAPITEL
DIE
BOTSCHAFT
Unter
einer riesigen Linde im Dorfe Bardenfleth hielt der Schultheiß Bolko
von Bardenfleth sein Gericht. Im länglichen Rund saßen vierzehn
Schöffen ihm zur Seite; alle in kurzen Mänteln und bloßen Hauptes;
nur der Schultheiß hatte das Haupt bedeckt und hielt in der braunen
Faust den langen weißen Stab seines Amtes, der hier geehrt und
gefürchtet wurde als das Zepter des Kaisers von Gottes Gnaden. Ein
langer Mantel floss von seinen breiten Schultern herab um die
mächtigen Glieder, und sein ernster, weiter Blick ging
ehrfurchtgebietend von seinen Schöffen hinüber zur Menge, die sich
vor der mit Haselstäben und Schnüren gehegten Runde des
Gerichtsplatzes aufgestellt hatte. Zu seiner Rechten saß der Schöffe
Detmar von Dieke, zu seiner Linken der Schöffe Thanno von Huntorp;
neben an der Schöffe Enno von Waldhalden; das waren die gewaltigsten
Männer des Stedinger Landes, die aber alle er selbst an Gewalt
überragte. Vor der Schranke stand Klaus vom Ipenhof; vor drei Jahren
war er Vater geworden; in derselben Nacht, da die Burgen brannten und
die Voigte mit dem Priester zu Tode kamen. Von der Stunde in der
Kirche an hatte er einen furchtbaren Hass geworfen auf alles was
Priester und Kirche hieß, und die Wehen seines Weibes, die sehr
schmerzlich geboren hatte, senkten ihm tief ins Gemüt die Schwüre
unversöhnlicher Rache. Aber kalt wie Stein, gleichgültig, trotzig
wie eine abgesägte Eiche, so stand er da vor den Menschen, so stand
er jetzt vor der Schranke, so rief er jetzt nach altem Brauch:
„Schultheiß!
Draußen stehen zwei Männer, die begehren Recht.“
„Wer
ist es?“
„Pater
Hieronymns, dereinst unser Landsmann und Priester, der uns verlassen
musste, als der Bann über uns erging. Ihn sendet der Erzbischof
Gerhardt von Bremen.“
„Seltsam,
seltsam!“ sprach der Schultheiß, und in sonderbarer Scheu, in
einem Gemisch von alter katholischer Liebe und neuem heidnischem
Hass, ging dieses Wort durch den Kreis der Schöffen und hinüber
durch die Menge.
„Und
der andere?“ fragte der Schultheiß.
„Junker
Georg von Oldenburg-Schmidtstein, Neffe und Erbe den regierenden
Grafen Burkhardt von Oldenburg und von diesem gesendet.“
Die
letzten Worte konnte man kaum verstehen, denn so wie der Klaus den
ersten Namen gesagt hatte, da war es losgegangen, nah und weit, als
wenn man fern das Meer branden hört.
„Wollen
die von Oldenburg wieder anfangen? Ich dächte, sie hätten genug!“
So riefen es die einen.
„Seit
wir sie bei Himmelskamp trafen, hätten sie doch merken sollen, dass
sie uns nichts anhaben können,“ so riefen es die andern.
„Es
ist kein gutes Zeichen von Wotan, wenn die Boten von Adel und Kirche
zusammen kommen!“ rief einer aus der Mitte.
Der
Schultheiß aber winkte zur Ruhe und sprach dann: „Wir wollen sie
hören, ohne Sorge, mit männlichem Trotz! Klaus, führe sie zu uns.“
Klaus
ging fort, während eine schwüle Ruhe entstand und doch alle
neugierig hinschauten, woher die Erwarteten kommen mussten.
Jugend,
Schönheit, frische Lebenslust im ganzen Wesen: das sind drei
vortreffliche Gaben, um die Menschen zu gewinnen. Die hatte nun der
Graf Georg in reichem Maß, und als er damit auftrat und der
blitzende Helm, die leuchtenden Waffen, Gold und Seide das alles noch
höher und schöner erscheinen ließen, da fuhr über die meisten der
ernsten Gesichter ein freundlicher Schein. Dann aber kam ein
dämonischer Schatten.
Pater
Hieronymus schritt hinter dem Junker her; das sonst so kräftige
Gesicht bleich, zerrissen von tiefem Schmerz, den er, fern von der
Heimat, um die geächteten Söhne und Töchter still vor Gott
getragen. Die sonst so milden Züge gehärtet, da er die Geliebten
verfluchen musste, da es ihm verboten war, ihnen die Hand zu reichen
und weinend auszurufen: O, liebt doch Jesus, wie Er euch liebt! Nehmt
die Priester Christi wieder auf, wo sie so gerne sein möchten! Aber
lieber sterben von euch, als zu leben außerhalb der Kirche Christi!“
Die
geächteten Männer fühlten wohl im Augenblicke, was den armen Mann
so bewege, und da sie ihn doch nicht freundlich anschauen konnten,
senkten sie die Augen beschämt nieder.
Der
junge Graf trat nun dicht vor die Schranke, und der Schultheiß rief:
„Sei
willkommen! Und wo du eine Klage hast, trete dorthin gegen Norden.
Das ist des Klägers Platz.“
„Ich
stehe hier schon gut!“ warf der Graf dagegen ein.
„Mitnichten!“
rief der Schultheiß ruhig; „willst du gehört werden, so richte
dich nach unserem germanischen Brauch.“
Der
Junker biss sich auf die Lippen, ging mit gleichgültigem Trotz zum
angewiesenen Platze und wollte beginnen.
„Warte!“
sprach der Schultheiß; „das Gericht will sein Recht. Ihr seid die
Letzten. Klaus, sag deinen Spruch!“
Und
Klaus trat vor und rief:
„Ist
hier jemand, der vor Gericht zu schaffen habe, der gebe acht zu
dieser Stunde, ehe der Schultheiß den Stab niederlegt.“ Und er
trat zurück.
Der
Schultheiß aber stand auf, hob seinen Stab in die Höhe, entblößte
einen Augenblick das Haupt und rief mit weithin schallender Stimme:
„Ist niemand in der Landgemeinde Steding, der es verbietet, dass
diese Männer für ihre Botschaft werben?“ Tiefes Schweigen. Der
Schultheiß wandte sich zu den Boten und rief: „Herr Junker, und
du, ehrwürdiger Vater, tretet vor.“
Der
Junker trat stolzen Schrittes vor, der Pater blieb ein paar Schritte
zurück, den sinnend sorgenden Blick halb auf die Menge, halb auf die
Gruppe des Gerichts gelenkt.
„Nun
rede, Junker!“ sprach der Schultheiß ernst, und der Junker begann:
„Mich
sendet mein Onkel, der Graf Burkhardt von Oldenburg, und zwei Fragen
lässt er euch stellen. Erstens: ob ihr gewillt seid, die Burgen
wieder aufzubauen, die ihr in offener Rebellion zerstört habt?
Zweitens: ob ihr eine Gesandtschaft schicken wollt mit dem Eid, dass
ihr für ewige Zeiten untertan sein wollt dem Grafen von Oldenburg
und allen seinen Nachfolgern im Amt, also dass Oldenburg bei euch
Gericht und Heer habe, Bann und Mann, Wald und Wege, Wasser und
Weide, den Fund unter der Erde und über der Erde, Pflug und Zug und
was mehr des Herrn Recht ist?“
Ein
dumpfes Murmeln in der Menge ging zuletzt in lautes höhnisches
Gelächter über, und der Schultheiß fragte:
„Herr
Junker, ist dieser Hohn dir Antwort genug?“
Der
Junker wollte auffahren, aber des gewaltigen Mannes Blick hinüber
zur Menge und dann zum Junker, bannte das schon lose gezückte
Schwert in die Scheide zurück. Der Schultheiß fuhr fort:
„Die
Antwort hast du schon, doch soll kein I-Punkt von der Form fehlen und
es sollen deine Klagen vor der Landgemeinde verhandelt werden. Doch,
Herr Junker, erlaube mir zuvor noch die Frage: Was für Gründe hat
dein Onkel, der Herr Graf, für seine seltsame Forderung? Rede frei.
Ich trage ruhigen Sinn unter meinem Haar, und dieser Stab schützt
dich.“
„Noch
mehr schützt mich mein Schwert!“ warf der Junker ein, doch wurde
sein Wesen ruhiger, sein Ton freundlicher, denn er sprach: „Fürs
erste bedürfen Kaiser und Reich hier eines Schutzes, damit kein Raum
zum Angriff da ist, wenn ein Feind in euren Sümpfen sich festsetzt;
wir wollen euch also schützen.“
Ein
höhnisches Gelächter ging bei diesen Worten über alle Gesichter,
und der Schultheiß meinte: „Herr Junker, seit Jahrhunderten haben
wir uns selbst geschützt gegen den fürchterlichsten Feind, gegen
das Wasser. Seit vierzig Jahren haben wir mit euch gekämpft und
keinen Fuß breit vom Land habt ihr errungen. Und ihr wollt noch von
Schutz reden?!“
„Nun,
so müsst ihr doch mit dem Kaiser von Gottes Gnaden eng verbunden
sein, zu seinem Schutz zu allen Stunden.“
„Wir
sind es gewesen, Herr Junker, wir haben es bewiesen, als der Kaiser
Friedrich sein Königreich Jerusalem erobern wollte. Wir sind da in
hellen Haufen nach Jerusalem gezogen und haben es ihm erkämpfen
helfen, mehr als seine Fürsten. So hat es Friedrich selbst erkannt,
und bei unserer Kirchweih flattert die Fahne mit dem Halbmond, die
unsere Burschen von Jerusalems Mauern gerissen. Und so wird es unter
uns immerdar sein. Das Stedinger Heer wird nie fehlen im Krieg.“
Dem
Junker wurde es sonderbar zumute; die einfache Art des Mannes, die so
einfachen Tatsachen, deren Vertreter dort standen in Einfalt und
natürlicher Kraft: sie fassten ihn tiefer und schlossen ihm Gedanken
auf, die er bis dahin noch nicht geahnt hatte. Er fuhr fort
„Aber
wie, wenn unter euch selbst einmal Hader kommt? Wer soll da richten?
Ihr habt keine Gelehrten des Rechts; einer ist bei euch wie der
andere; wer versichert euch, dass Friede und Ruhe und Recht in eurem
Lande bleibt?“
„Dieser
Stab, Junker Georg,“ rief der Schulteiß; seine Augen blitzten
weithin, seine Gestalt schien zu wachsen, indem er fortfuhr: „Siehe,
das ist das Zepter unseres Rechts, kein Gold und Edelstein daran,
aber das Gericht ist durch ihn so heilig, als stände hier Wotan
selbst. Diese Schranke ist gehegt nur von Haselstäben und dünnen
Schnüren, aber noch nie hat Willkür sie gebrochen. Fest stand sie
zu allen Zeiten und wird sie stehen, gleich einer Mauer von Erz und
Diamant.“ Und so stand der Schultheiß jetzt selbst vor dem Grafen
und sein graues Haar, vom Glanz der untergehenden Sonne beleuchtet,
schien wie umflammt vom Geist der Rebellion. Verwirrt bis ins tiefste
Gemüt fragte er nur noch: „Aber was ist bei euch Recht? Wer weiß
da immer wie zu entscheiden ist?“
„Lass
diesen Knaben dir antworten,“ entgegnete der Schultheiß und winkte
einem zehnjährigen Knaben aus der Menge. Der Knabe trat vor, und der
Schultheiß fuhr fort: „Beliebt es dir, Herr Junker, dem Knaben
Fragen vorzulegen, wie sie unter Bauersleuten vorkommen können?“
Der
Junker sah den Knaben verwundert an, dann kam ein guter Humor über
ihn, und er fragte mit ernstem Angesicht: „Was ist Recht im
Gericht, mein Sohn?“
Der
Knabe stemmte sich trotzig in die Hüften, sah den vornehmen Frager
frech an und im Tone des aufsagenden Schülers sprach er:
„Es
soll der Richter sitzen auf seinem Stuhle wie ein grimmiger Löwe,
den rechten Fuß über den linken schlagend und wo er aus einer Sache
nicht Recht kann urteilen, soll er sie überlegen einhundert und
dreiundzwanzig Mal.“
„Das
muss denn freilich endlich gerecht werden,“ meinte der Junker
gutmütig lächelnd, und stellte dem Knaben eine zweite Frage: „Was
machst du, wenn du ackerst und einen Flurstein umwirfst?“
„So
rufe ich den Schöffen und den Gegenspieler, dass das Zeichen wieder
gesetzt werde, und deshalb habe ich nichts verbrochen.“
„Und
wenn du etwas findest, was unter oder über der Erde ist?“
„Die
Schöffen haben befohlen, dass es Jahr und Tag beim Schultheiß
bgehalten werden soll, bis jemand kommt, der es begehrt; so aber
niemand es fordert, soll es geteilt werden, wie der Schultheiß es
will.“
Der
Junker stellte noch mehrere Fragen, die der Knabe alle beantwortete,
nach dem Alten Buchstaben und dem Alten Gesetze, und der Junker
fragte mit seltsamer Befremdung:
„Sonderbar,
woher weiß er das Recht?“
„Woher
wir alle es wissen, Herr Junker;“ antwortete der Schultheiß. „Wie
ich hier richte, so steht unser Recht seit vielen Jahrhunderten; der
Vater lehrt es seinem Sohn, und wo wir uns versammeln an der
Schranke, da wird es stets laut vorgelesen, und vor allem wird
gelesen: dass wir freie Bauern sind! Und darum... doch die Sonne
sinkt, das Gericht muss zu Ende gehen, die Männer Stedingens haben
eure Botschaft vernommen, dir soll Antwort werden.“ Der Schultheiß
legte nun noch einmal die Fragen des Boten vor und rief dann Klaus,
die Stimmen zu sammeln. Während dessen trat der Graf dicht zum
Schultheiß heran, bewegt schilderte er ihm die Gefahr, die über den
Häuptern der Stedinger sich zusammenziehe, die täglich wachsende
Macht der oldenburgischen Grafen und ihrer Verbündeten; die
Vollmacht der heiligen Kirche Gottes, das Heer des deutschen Kaisers
von Gottes Gnaden; doch vergeblich. Der Schultheiß wies ernst und
starrsinnig auf das Volk und seinen Stab.
„Was
das gemeine Volk will, das tut dieser Stab.“
Der
Junker versuchte ihn nun zu erschrecken: der Schultheiß sei das
Haupt der Rebellen, ihn würde also auch die fürchterlichste Strafe
treffen, doch der Alte meinte: „Mein Haupt steht in Wotans Hand!
Falle es, wohin Er will. Falle es nur für unser Altes Recht!“
Da
ergriff der Junker des Bauern Hand, er versprach ihm hohe Ehren und
den alleinigen Richterstuhl für ihn und seine Erben, doch der
Schultheiß meinte:
„Tritt
an deinen Platz. Die Umfrage ist geschehen, Klaus kommt.“
In
seltsamem Gemisch von Ehre und Zorn, von Liebe und Stolz, trat der
Junker zurück, während Klaus an die Schranke trat und mit lauter
Stimme rief:
„Auf
vorgelegte zwei Fragen haben die Männer des Gaues Steding einmütig
ein Nein zur Antwort gegeben, es ist auch nicht ein einziges Ja
gefunden worden.“
Der
Schultheiß erhob sich, schwenkte seinen Stab und rief: „So
schließe ich das Gericht!“
„Verblendete!
Unselige! Haltet ein, ihr wisst nicht, was ihr tut!“ rief der
Junker, getrieben von Mitleid und Sorge, im Gefühle seiner und
seiner Verbündeten Recht.
„Du
hast nun deinen Bescheid, Herr Junker!“ sprach kurz und ernst der
Schultheiß. „Das Gericht ist aus!“ Mit diesen Worten legte er
seinen Stab nieder, und in der weiten, tiefen Stille hörte man nur
den einen Laut, wie der Stab auf den Tisch klopfte.
Nun
aber kannte der Junker keinen Halt mehr, er sprang vor, legte die
Hand an das Schwert und begann mit lautem Ton: „Ihr wollt den
Krieg? So bekommt ihr ihn! Und so rufe ich über euch hier Tod und
Verdammnis!“ Weiter jedoch kam der Junker nicht; die Hand, die das
Schwert halb aus der Scheide gezogen, drückte es mechanisch wieder
zurück; der Mund mit den drohenden Worten schloss sich, die
Zornesröte des Gesichtes verwandelte sich in Blässe und die
blitzenden Augen waren in verklärtem Glanz fest auf ein Mädchen
gerichtet, das aus dem nahen Hause trat und rasch nach vorne kommen
wollte, aber beim Anblick des Junkers wie gebannt stehen blieb, leise
zitternd die Hand auf das Herz legte, über und über rot in
jungfräulicher Scham, und die großen blauen Augen zu Boden gesenkt.
Es
war ein wunderbarer, lebensentscheidender Augenblick für diese
beiden jungen Herzen. Es gibt eine Liebe, die zückt plötzlich durch
die Seelen, plötzlich entzündend, um im Zünden zu töten oder zu
erlöschen; es gibt eine andere Liebe, die flammt mit düsterem rotem
Schein wie ein Nordlicht, sie erhellt ohne zu erwärmen; dann gibt es
eine Liebe, die steigt auf wie die Sonne, wie die Sonne über den
Bergen, allmählich, aber immer schöner und klarer; und wieder gibt
es eine Liebe, die ist wie die Sonne des Südens auf dem weiten
Ozean: sie ist da, auf einmal, ganz und voll, in höchster Klarheit
und blendendem Glanz! Solch eine Liebe war es, die hier auf einmal
aufging in Majestät und Hoheit! In ihrem Glanz der Graf und das
Bauernmädchen fanden und verbanden sich; verschmolzen zu Einer
Liebe, zu Einem Wesen, Einem Herzen! Sie fanden sich, ehe sie
wussten, ehe sie ahnten, was Liebe sei. Aber nur zwei von allen
hatten dies erkannt, wenn auch nicht in voller Bedeutung des
Augenblicks, so doch mit tiefem Blick in den geheimen Prozess, den
das Leben hier spielte; der eine, weil er hasste, der andere, weil er
liebte.
Der
Eine war Klaus vom Ipenhof, der Andere ein junger Bauer, Kurt vom
Bühel. Wie jener den Junker hasste, so liebte dieser das Mädchen,
und mit Einem Blick hatten sich beide Männer verstanden, mit Einem
Blick dämonischer Glut.
Der
Schultheiß aber ging dem Mädchen entgegen und sagte: „Du kommst
zur rechten Stunde.“ Dann führte er das Mädchen dem Junker zu und
nannte sie ihm als seine Tochter Elsbeth. Der Junker schwieg, das
Mädchen auch, und der Schultheiß sagte: „Der Feind bleibt
draußen, der Gast soll mir willkommen sein in meinem Haus. Willst du
des Bauern Haus mit deiner Gegenwart beehren?“
„Gern!“
rief der Junker.
„So
gib dem Junker nach altem Brauch der Freyja den Gastkuss, Elsbeth,“
sagte der Vater; aber das Mädchen floh auf einmal wie ein
angeschossenes Reh fort, und während alle ihr staunend nachschauten,
flüsterten Klaus und Kurt sich zu, mit zuckendem Mund und
unheimlich-dämonischen Blicken.
VIERTES
KAPITEL
EIN
BEWEGENDER ABEND
„Das
Mädchen hat seinen eigenen Kopf; sie war immer etwas eigensinnig,“
sagte der Schultheiß zum Junker, der wie träumend noch
hinausschaute, wo das Mädchen verschwunden war. Jetzt wachte er auf
und rief: „Das Mädchen kann keine plumpe Bäuerin sein!“
„Du
wirst doch nicht ihre Mutter noch im Grabe beschimpfen wollen“,
entgegnete der Schultheiß.
„O,
selig der Leib, der sie trug, und selig die Brust, die sie stillte!“
rief schwärmerisch der Junker.
Der
Schultheiß schüttelte mit leichtem Spott den Kopf und wendete sich
dann zum Pater, der die Zeit über in gedankenvollem Brüten bei
Seite gestanden hatte:
„Ehrwürdiger
Vater! Du musst verzeihen, wir konnten deine Botschaft nicht
geziemend empfangen, da die Sonne untergegangen war. Bis morgen musst
du dich gedulden, und willst du denn nun auch mein Gast sein? Oder
darfst du nicht ruhen und Trank und Speise nehmen bei dem Ketzer?“
Dieses
Wort betonte der Fragende mit vorwurfsvollem und ironischem Ton. Der
Pater sah ihn mit wehmütigem Ernst an und antwortete:
„Der
Erzbischof hat mir Dispens erteilt zu diesem Gang in euer Land. Ich
darf.“
„Und
uns auch die Hand reichen, wie in guter alter Zeit der Germanen?“
Und der Schultheiß hielt ihm die braune schwielige Hand entgegen.
Die Augen des Paters füllten sich mit Tränen; aber er drängte sie
zurück, dass sie nicht überströmten, während er leise antwortete:
„Nein,
Schultheiß, das nicht!“
„Nun,
dennoch willkommen, ehrwürdiger Vater. Drinnen beim Wein wollen wir
ein derbes Wort mit einander reden. Herr Junker, wenn es beliebt...“
Er
wollte sagen „wenn es beliebt“, aber da sah er erst, dass der
Junker mit hellem Zorn im Antlitz dem bleichen Kurt vom Büchel
gegenüber stand. Es waren schon böse Worte gewechselt, dem Kurt
hatte es wütend an Hirn und Herz gezerrt, was der Junker gesprochen
hatte über Elsbeth. Er war zu ihm herangetreten mit höhnischen
Worten:
„Als
wir euch bei Himmelskamp die Köpfe entzwei schlugen, sahst du nicht
so glückselig drein wie jetzt, Herr Junker.“
„Törichtes
Großmaul!“ entgegnete der Junker, „ein paar Mietlinge erschlugt
ihr uns, das ist alles.“
„Nun,
Ritter können auch an die Reihe kommen. Aber Söldner-Blut ist
fruchtbar; unsere Felder wuchsen prächtig darauf. Vielleicht wachsen
sie später noch prächtiger.“
„Du
Frechling, du wagst es? Wärst du dem Ritter nur würdig zum Duell!“
„Würdig
zum Duell? Haha! Junker, Junker! Wir sprechen uns noch von wegen des
Duells; verlass dich darauf.“ - Mit diesen Worten klopfte er dem
Junker höhnisch auf die Schulter; heftig stieß der den Arm des
Rivalen zurück, zornig wollte Kurt ihn packen, neugierig, abwehrend,
hinzu drängend, kamen Männer, Burschen, Knaben hervor; da drehte
sich der Schultheiß um, da war auf einmal alles still und ruhig. Der
Junker warf nur noch rasch einen Blick zurück auf die Menge und
folgte mit klopfendem Herzen dem Schultheiß und dem Pater ins Haus.
Klaus bekam vom Schultheiß noch den Auftrag, alles was Füße und
Gurgeln habe, zum Abendtanz und Abendtrunk einzuladen.
„Aber
dass ihr mir den Junker ehrt und seinem Stande gebt, was Recht ist,
weil er unser Gast ist; führt er sich nicht würdig seines Ranges
auf, so wollen wir uns zeigen als tapfere Leute. Doch er ist gut im
Gemüt, ich hab ihn schon fast lieb gewonnen, das richte aus!“ So
schloss der Schultheiß seinen Auftrag an Klaus und ging dann hin,
seine Elsbeth aufzusuchen. Klaus sah ihm nach und murmelte vor sich
hin:
„Der
Schultheiß wird mir zu fromm. Oh den Henker über so halb christlich
und halb heidnisch! Ich wollte, es wäre erst wieder Zeit zum
Dreinschlagen; da weiß man doch, woran man ist, und wo die Recht
steckt. Mein Recht ist, was ich packen kann mit meiner Faust. Wenn
ich nur zugreifen dürfte, ich wollte sie schon zusammendrücken!“
In
der Zeit stand Elsbeth vor dem Herd, und war es nur noch das Feuer
des einen Augenblicks oder war es das Feuer des Herdes: sie glühte
noch immer an Wangen und Augen, und wenn der Schaum an dem Topf
überlief, sah sie dem ruhig zu und rührte sich nicht; sie zählte
die Blasen, die zischend von den Kohlen aufstiegen. Wohl hatte der
Vater Recht gehabt, wenn er sie ein „eigensinnig Mädchen“
genannt hatte; sie war das echte Kind der schwarzen Erde; stark,
mutig, rüstig, gesund an Leib und Seele und Gedanken. Kein besserer
Haushalt war zu finden als der, den sie führte an der
frühverstorbenen Mutter Stelle. Kein Vater konnte treuer geliebt,
sorgsamer gepflegt werden, als der Vater von Elsbeth es wurde. Sie
ehrte die Schöffen, liebte die Nachbarn und Landsleute, hielt treue
Freundschaft mit den Mädchen, gute Kameradschaft mit den Burschen
und war hilfsbereit, wo es des Rats und der Tat bedurfte. So stand
sie hochverehrt, und wenn man so will, geliebt, auf ihrem Erbe und in
ihrem Gau; aber so die wahre, große Liebe, offen vertrauende Liebe
hatte sie nicht gefunden. Die Einen meinten: „Wir haben zu viel
Respekt vor ihr.“ die Andern meinten: „Sie ist stolz.“ Dem
widersprachen wieder Andere und sagten: „Ja, sie ist stolz, aber
sie weiß es nicht.“ - „Sie hat kein Herz,“ meinten einige
Burschen, die von fern um sie geworben hatten und abgewiesen worden
waren. „Sie hat ein Herz, aber ein anderes als wir,“ hieß es
dann.
Was
war es denn nun in dem Mädchen, was zu solchem Gerede den Anlass
gab? Es war ein eigentümliches Etwas, ein Würdevolles,
Hoheitsvolles bei aller einfachen Bauernart, ein Unnahbares für
jeden rohen und gemeinen Sinn; ein „nole me tangere“ gegenüber
dem täglichen Brauch des Lebens, bei allem frisch kräftigen
Zugreifen, was dieses Leben forderte. Dann war sie viel zarter
gebaut, auch viel kleiner als die übrigen Mädchen, und doch eben so
stark und rüstig. Sie trug dieselben Kleider, wie alle Anderen, und
doch stand ihr alles schöner, sonntäglicher, vornehmer. Sie sprach
gewiss nichts Anderes, als was die Anderen sprachen, aber wie sie es
sprach! Das war klangvoller, seelenvoller, und oft fühlte man
heraus: sie empfindet und denkt viel mehr als sie redet; nicht als ob
sie das stolz hätte verbergen wollen; nein, sie fand nur nie die
Stunde, die Gelegenheit, es auszusprechen; vielleicht hätte sie es
auch nicht gekonnt; vielleicht lag diese höhere Seele in ihr noch
unerschlossen in ihrer jungfräulichen Brust und wartete nur des
erweckenden Hauchs, des Auferstehungskusses - um auf goldenen Flügeln
emporzuschweben. Und wie sie jetzt so da stand am Herd, da schien
dieser erweckende Hauch ihre Seele schon berührt zu haben, und wie
sie nun vom Herd weg in das Zimmer trat und dem schönen prächtigen
Jüngling nach dem alten Brauch der Freyja den Gastkuss geben sollte,
da schien das der Auferstehungskuss zu sein, der ihre heilige Seele
zu hohem Flug durchdrang. Der Kuss dauerte lange, lange, und beide
zitterten dann, als hätten sie eine Sünde begangen; aber eine
selige Sünde, durch die sie in den Himmel gekommen...
Vor
dem Fenster aber stand Kurt vom Büchel und glaubte in der Hölle zu
sein! Er hatte die Faust auf die offene Brust gelegt und drückte
seine Nägel in die Brust.
„Eine
Stunde an ihrem Herzen und dafür ewig in der Hölle!“ So hatte er
oft gerufen, so war der Bursche des Stedinger Gaues, der für das
Mädchen in Liebe entbrannt war; so, dass wie ein Lavastrom es in ihm
kochte.
Er
war schon hinausgefahren aufs Meer, drei Jahre lang, bis hinauf zu
den Grönländern; aber so kalt es dort auch war, seine Liebe war nur
noch heftiger entbrannt.
„Ewig
in der Hölle für Eine Stunde an ihrem Busen,“ so rief er jetzt
wieder und fügte dann dazu: „Und weitere Ewigkeiten in der Hölle
für einen Griff an des Junkers Kehle!“
Durch
solche wilde Naturkraft rauschte die Leidenschaft hin wie ein
fesselloser Bergstrom, grausige Schluchten reißend und die tiefsten
Tiefen durchwühlend. Er war schrecklich und bemitleidenswert, wie er
so da stand und durch das Fenster schaute und Musik um ihn her klang
und Jubel und Tanz ihn umgab, und die tönernen Becher ihm klangen
wie sein Grabgeläut. Klaus trat hinzu und brachte ihm des Schulzen
mahnendes Wort und einen vollen Becher, er nickte nur gleichgültig.
Dann hetzte Klaus ihn bitter und scharf, da zuckte er zusammen.
„Der
Teufel soll leben!“ rief er, indem er Klaus den Becher entriss.
„Der
Teufel soll leben! Wir müssen ja doch zu ihm, wie die Pfaffen
geschrien haben; da ist es gut, wenn wir ihm freundlich sind,“
entgegnete Klaus und riss den Kameraden mit fort in das dichte Gewühl
der Tänzer und Trinker.
Ein
Gespräch hatte während dem zwischen dem Schultheiß und dem
Priester begonnen. Sie waren allein; ein alter Wein stand vor ihnen
und die Abendstunde hatte ihre Milde ausgegossen auf die ehrwürdigen
Häupter. Der Schultheiß ergriff den Becher und sagte:
„Lass
den guten, dritten Freund hier zwischen uns walten. Sag mir,
ehrwürdiger Vater, was willst du morgen auf dem Thing vorbringen?
Sag es jetzt schon, wo ein gutes Wort ein offenes Ort findet.“
„Frieden
will ich bringen, Schultheiß! Frieden!“
„Das
ist ein kostbares Wort, Vater; aber Frieden um welchen Preis? Eure
Kirche, nimm es mir nicht übel, Vater, eure Kirche ist doch
verbrecherisch. Sag es kurz heraus: Was fordert der Erzbischof?“
„Für
Gott den Zehnten und für Oldenburg das Gericht. O gib es,
Schultheiß! Lass dich versöhnen mit Gott.“
„Ich
bin gerecht vor meinem Gott, Herr Pater! Das bin ich durch meinen
guten Wandel. Aber, Herr Pater, ich wäre es nicht, wenn ich täte,
was ihr verlangt, denn eure Kirche verlangt das Unrecht.“
„Rom
hat gesprochen in dieser Sache.“
„Rom
hat mir nichts zu befehlen.“
„Was
der Papst spricht, hat Christus gesprochen!“
„Und
was unser altes Recht sagt, ist das Wort der ewigen Götter. Und
unser altes Recht spricht, dass wir freie Bauern sind; niemand
untertan und nicht schuldig zu geben den Zehnten, wie ihr es
verlangt. Als du bei uns warst, Herr Pater, war da ein Mann reicher
im Stedingerland als du? Gaben wir dir nicht in Hülle und Fülle,
was nur dein Herz begehrte? Wir gaben es dir und gaben es gern, weil
wir wollten und weil wir dich liebten. Aber du hast uns verlassen in
unserer Not. Doch still davon! Sonst rüttelt es mir zu sehr im
Herzen. Schenk ein! So! Und nun trink mit mir: Es lebe die freie
Bauernrepublik! Es lebe Allvater, Deutschlands Gott!“
Der
Schultheiß war aufgestanden voll Begeisterung, Hand und Stimme
zitterten noch von tiefer Bewegung. Der Priester stand ihm gegenüber,
den feuchten Blick in den roten Wein gesenkt, und sprach mit bebender
Stimme:
„Es
lebe Jesus, es lebe Maria!“
Draußen
standen zwei Feinde, vereint in Freundschaft und Liebe: der junge,
wilde Graf von Oldenburg und die Tochter des starrsinnigen
Bauernführers. Sie waren, sie wussten selbst nicht wie, vom Tanz
weggekommen, unter eine hohe Blutbuche getreten, immer noch Hand in
Hand, Arm in Arm, als wenn sie wieder antreten müssten zum Tanz. Sie
hatten kein Wort mit einander gesprochen; dann aber sprachen sie auf
einmal vom Abschied, den der Junker morgen früh nehmen müsste. Da
bebten beide, und eines fühlte das Beben des anderen und bebte um so
heftiger. Dann sprachen sie von Krieg und Tod, von dem Zank zwischen
Steding und Oldenburg. Dann sprachen sie wieder nichts, aber sie
saßen auf einem Stein und hielten sich zärtlich umschlungen; nun
hörte man nichts anderes als das Klopfen zweier Herzen, dann
zärtliches Flüstern, dazu sah man Tränen schimmern; dann standen
sie auf, und was sie nun sprachen, das hörte niemand als die schon
Mutter Nacht, die Königin der Sterne, das war ihre Eucharistie der
Minne.
„Engel
seien um deinen Schlaf,“ waren des Junkers letzte Worte, mit denen
er Elsbeth küsste.
Sie
ließ es gerne geschehen und schritt dann langsam dem Hause zu.
Der
Junker lehnte noch eine Weile an der Blutbuche und schaute mit
glänzenden Augen die rosenfingrige Morgenröte an. Die erste Lerche
stieg empor über die grüne Saat, der Nebel dampfte auf, das Meer
glitzerte, das Land lag herrlich da, prächtig vor dem
schwärmerischen Jüngling.
„Mann,
ihr seid hier glücklicher als wir in unserer Stadt!“ rief er jetzt
dem hinzutretenden Klaus entgegen und wollte ihm die Hand reichen.
„Das
habe ich nie bezweifelt, darum schwing ich auch das Schwert für
unsere freie Bauernrepublik,“ entgegnete Klaus, ohne die
dargebotene Hand anzunehmen.
„Lass
das Schwert ruhen, Klaus! Jetzt wo ich dich, wo ich die ganze Welt in
die Arme schließen möchte und fest an dieses heiße Herz drücken!
Klaus! Komm her! Lass mich dein Bruder sein.“
Klaus
sah den Junker forschend an. Er hatte ihn schon verwundert
betrachtet, als er gekommen war, ihn abzuholen, und ihn stehen sah an
der Bblutbuche, in verklärter Begeisterung. Und nun jetzt erst, so
hatte er noch nie einen Menschen gesehen und gehört; nie gedacht,
dass ein Mensch so aussehen, so sprechen könne. Aber noch wollte der
Hass sich nicht lösen, und das Misstrauen steckte zu tief in dem
trotzigen Gemüt. So antwortete er denn jetzt mit wildem Trotz:
„Wir
stoßen niemanden aus. Das Land ist weit. Wer unser Recht und Gericht
anerkennt, mag wohnen bei uns.“
Der
Junker hatte die Antwort überhört. Er war in tiefes Träumen
versunken. Wie es in früheren Tagen oft durch seine Seele gezogen
war, so stand es jetzt wieder vor seinen geistigen Augen: das Bild
eines stillen friedlichen Lebens; statt des Schwertes die Pflugschar
und statt Trompetenschall der Vogelgesang und Gottes Segen statt
Blutvergießen. Frei ein freies Leben leben; Nahrung saugen aus der
mütterlichen Brust der Mutter Erde und abends froh sein mit den
Fröhlichen und das Mädchen seiner Minne in den Armen! Dieses Bild,
o wie ergriff es ihn wieder, so wunderbar, so mächtig! Und siehe, so
nahe, so nahe lag ihm das Gute! Die Seele kündete es ihm an in
freudiger Ahnung, das Herz forderte es mit gewaltigen Schlägen,
sollte es nun ein rascher Entschluss, ein kraftvoller Wille nicht
erobern können? Und dieser Entschluss riss ihn jetzt empor aus
seinen Träumen, spannte alle seine Nerven, jagte sein Blut wild
klopfend durch die Adern.
„Mein
Pferd! Mein Pferd!“ rief er.
„Herr
Junker! Was fällt dir ein?“ Mit diesen Worten trat Klaus ihm
entgegen. „Begib dich zur Ruhe! Komm!“ Und er fasste den Junker
bei der Hand.
„Lass
mich, Klaus! Lass mich hinaus in die Dämpfe der Nebel, der
rosenfingrigen Morgenröte entgegen! Dort im himmlischen Licht nur
finde ich Ruhe! Auch in mir flammt die Sonne empor und jagt die
grauen Nebel auseinander, die mich bedrückten. Fort mit dem
falschen, toten Schein der Welt! Mein Pferd! Mein Pferd! Wo ist mein
geliebter Knappe?“
In
diesem Augenblicke trat Fried, der Knappe, ihm entgegen, besorgt um
seinen edlen Herrn.
„Sattle
den Falken! Wir reiten! Rasch!“
Der
Knappe Fried ging, und Klaus trat dicht zum Junker heran; sein eisern
kaltes Gesicht war hart; seine trotzige Stimme klang rau.
„Du
willstt uns verlassen, Junker? So ohne Abschied?“ - „Ohne
Abschied, Klaus! Nur einen wilden, wütenden Ritt, dass ich Ruhe
gewinne und meine Seele Klarheit! Klaus, sage mir: Kannst du beten?“
Da
wurde Klaus‘ Gesicht starr, sein Ton trotzig, und mit zuckenden
Lippen antwortete er: „Ich hab es nie geliebt. Nur das Vaterunser
kann ich noch, doch ist auch dem Ketzer nichts nutze.“
Der
Junker fasste seine beiden Hände, sah ihn tief und herzlich an und
sagte mit unendlicher Rührung: „Bete das Vaterunser für mich in
dieser Stunde; bete es für euch alle. Bete du, dass in dieser Stunde
der Engel des Friedens den Sieg behält über den Dämon des Krieges!
Dann wird alles gut; dann werdet ihr alle glücklich durch dieser
Stunde Entschluss und Entscheidung.“ Damit ließ er die Hände des
Heiden leise nieder sinken, sah flammend hin zum Hause des
Schultheiß, bestieg das vom Knappen Fried herbeigeführte Pferd,
schwang sich schnell in den Sattel, winkte der Sonne zu und rief:
„Ich bin wie ein junger Adler, der seine Heimat im Licht des
Himmels sucht!“ Und auf dem stolzen Pferd flog er dahin, wie der
königliche Vogel des hohen Himmels.
Klaus
sah ihm nach, bis er verschwunden war, dann murmelte er vor sich hin:
„Sollte denn doch der Adel anders sein als die Bauern? So hab ich
von unsern Bauern noch keinen reden hören, und suche ich an mir
herum, so finde ich nirgend ein Loch, wo so phantastische Gedanken
herauskommen könnten. Ich will sein Blutsbruder sein, wenn er
ehrlich ist; aber ich will sein Henker sein, wenn er falsch ist.“
FÜNFTES
KAPITEL
AM
HOF DES GRAFEN VON OLDENBURG
Am
Hof des Grafen von Oldenburg ging es auch bewegt zu. Boten und
Herolde kamen und gingen. Ritter und Knappen zogen ein und aus.
Grafen, Fürsten, Herzoge aus Lüneburg, Braunschweig und Sachsen
waren zu schauen. Der Krieg um den deutschen Kaiserthron, den Vater
und Sohn mit einander führten, durchrüttelte und durchschüttelte
das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, und die kleinen Fürsten
trieben und drängten, ihre Macht zu erweitern; und dies nicht allein
gegenüber dem Reich, sondern auch gegenüber der Katholischen
Kirche. Die Kirche rüstete sich und warb um die Seelen. Sie hatte
eben die herätischen Albigenser zu Boden geworfen und stand nun
wieder da in ungeheurer Herrlichkeit. Doch brodelte, kochte und
schäumte es überall im Hexenkessel der Zukunft – es war eine
merkwürdig bewegte, ungeduldige Zeit. Die Sache der Stedinger hatte
nun auch den Erzbischof Gerhardt II. von Bremen nach Oldenburg
geführt, um mit dem Grafen Burkhardt sich über die Zeit und den
Krieg mit Steding zu besprechen. Hier erwartete er den Pater
Hieronymus aus Steding zurück, während der Graf seinen Neffen und
Erben von dort zurück erwartete. Doch der kam noch nicht. Der alte
Herr war erregt, vielleicht konnte das grausame Volk der Heiden
seinen heißgeliebten Erben und Neffen erschlagen haben und damit ihn
selbst und alle seine Hoffnungen, denn diese und sich selbst sah er
in Georg; für ihn wirkte, schaffte, kämpfte er, um ihm ein starkes,
stolzes Land zu hinterlassen. Und dazu schien ihm jetzt der rechte
Augenblick. Als die beiden mächtigen Herrn zusammen beim Wein saßen,
sagte der Graf „Die höchsten Häupter streiten, darüber wachsen
wir. Manchmal ist es gut, dass das Recht nicht alles in Frieden
entscheidet, dann kommt die Kraft und ersetzt das Recht.“
„Die
Gewalt, wolltest du sagen,“ warf der Erzbischof ernst mahnend ein.
„Und
wenn auch!“ rief der Graf und stieß sein Schwert klirrend auf den
Boden. „Jetzt ist die Stunde für uns kleine Fürsten, unsere Macht
zu mehren. Sieh mein Oldenburg, wie ist es aufgestiegen! Und wodurch?
Ich habe gehandelt, wo andere schliefen, rasch und entschieden, und
ich sollte meinen: mein Land ist glücklich.“ Und er hatte Recht,
der alte Herr! Er war kein übler Mann.
Der
Erzbischof sah still drein, und der Graf fuhr fort: „Und jetzt den
Hauptschlag, mein Herr Erzbischof. Steding soll zu Oldenburg kommen!
Mein Steding und der Kirche Steding, ich schwöre es dir bei diesem
meinem Schwert.“
„Wäre
Steding nur erst katholisch! O, Gott weiß, ich dürste nicht nach
Blut; ich liebe so sehr den Frieden.“
Und
der alte Erzbischof sprach wahr. Er hatte den Krieg mit Stediug nur
geerbt von seinem Vorgänger, dem Erzbischof Hartwich, und wollte
dessen Testamentsvollstrecker sein. Rom hatte ihn schon gemahnt wegen
der Halbherzigkeit, und in seinem katholischen Glauben war er doch
der Überzeugung, es sei zum Seelenheil der Stedinger notwendig, dass
sie der Alleinseligmachenden Kirche wieder eingegliedert würden.
Noch hoffte er von seiner Sendung und bangte nicht minder, wie der
Graf um seinen Erben, dass sein Bote so lange ausblieb. Doch da wurde
der Bote schon gemeldet; Pater Hieronymus trat ein und brachte
einfach und kurz der Stedinger „Nein.“ Der Erzbischof flammte
auf; er wollte seinen Fluch den Heiden entgegen donnern, doch ließ
er ihn nicht über die Lippen kommen. Der Graf forschte nun nach dem
Junker, und der Priester erzählte, was er gesehen und gehört hatte:
Der Junker habe sich mit des Schultheißen Tochter verlobt, feierlich
beim Vater um sie angehalten, das Jawort des Mädchens bekommen und
dem Pater zugerufen: „Geh mit Gott, Pater, ich bleibe.“
Der
Graf sah düsteren Blickes den Erzähler an, er rührte kein Glied
seines starken Körpers, seine Füße waren wie eingewurzelt im
Erdboden, seine Rechte war gekrallt in den Becher, seine Linke lag
wie angeschmolzen auf dem Schnitzwerk des Eichentisches, die Lippen
lagen wie geronnenes Blut fest an den Zähnen, er sah schrecklich
aus.
„Ich
habe alle Angelhaken gebraucht, ihn loszureißen;“ fuhr der Pater
fort, „aber umsonst. Er ist wie verhext.“
„Ich
breche diesen Hexen-Zauber, und muss ich ihm auch den Schädel
brechen!“ rief der Graf, doch ohne sich zu rühren; „ich will
seine Ehre beleidigen, sein Rittertum ihm abreißen wie einen
gestohlenen Lappen. Ich fluche dem Judas!“ Erst jetzt begann der
Graf sich zu rühren, die furchtbar angespannten Nerven ließen nach,
er wurde matter, weicher, und mit wehmütigem Ton sagte er: „Mein
Herr Erzbischof, nicht wahr, er wird meinem Fluch nicht entkommen?“
„Ich
halte ihn für treu und unschuldig,“ erwiderte der Erzbischof mit
Sanftmut; „ich kenne ihn ja als meinen geliebten Schüler; er ist
weich, leicht hingebend. Vielleicht haben sie ihn verhext, die bösen
Ketzer.“
„Ja,
das ist es!“ rief der Graf und sprang auf. „Aber die Bauern
sollen bluten! Sie allein tragen die Schuld. Aber ich will meine
Eisenhand auf sie legen und sie zerquetschen, dass sie meinen jungen
Löwen mir so gefangen nahmen!“
In
diesem Augenblicke hörte man im Hof in erhabenem Ton den Chor der
Büßer das „Media vita“ anstimmen.
„Was
ist das?“ rief der Graf und sprang an das Fenster, während der
Erzbischof ernst drein schaute und der Pater mit schmerzlichen
Blicken gen Himmel die Hände faltete. Der Graf erblickte vor dem Tor
einen Zug von Männern in schwarzer Tracht. Sie trugen ein großes
hölzernes Kreuz und eine blaue Fahne mit dem Bildnis des weißen
Lammes Gottes. Vorne stand ein langer, schlanker Mann, sein Gesicht
wie aus Lehm geknetet, die Augen voll Feuer, die ganze Erscheinung
zur Buße mahnend.
„Wer
ist das?“ rief der Graf, während er vom Fenster zurücktrat.
„Das
ist der Bußprediger,“ antwortete der Erzbischof. „Das ist Konrad
von Marburg, der Ketzermeister von Deutschland.“
„Ich
weise ihn ab!“ rief der Graf entschlossen; „was will er hier? Ich
bin ein freier Herr meines Landes. Ich lasse ihn nicht ein.“
„Bei
deinem ewigen Leben, sei ihm gehorsam! Er ist mächtiger als wir
alle, mächtiger als der Kaiser, fast so mächtig wie der Papst. Und
er ist so entschieden katholisch als mächtig. Ich beschwöre dich,
sei ihm freundlich zu ihm.“
Die
Tür ging auf, und einer der schwarzgekleideten Männer trat
gebeugten Hauptes ein.
„Friede
mit diesem Hause und allen, die reinen Herzens und im wahren Glauben
hier ein- und ausgehen,“ sprach er, und „Amen“ klang aus dem
Mund der Hörer. Der Mönch erhob sich nun ehrlichen Hauptes und
sprach laut durch den weiten Saal:
„Konrad
von Marburg hat dieses Schloss zu seinem Sitz erwählt, o Graf
Burkhardt von Oldenburg, um zu erforschen, ob nicht das Gift der
Ketzerei, der Häresie und des Heidentums eingedrungen ist in dieses
Land. Frankreich und das Rheinland sind gereinigt in der Kraft des
‚Heiligen Geistes. Es gilt einen Kampf auf Leben und Tod. So ist
des Heiligen Vaters Befehl.“
„Mein
Schloss ist gastfreundlich zu jedem, meldet eurem Herrn, dass ich ihn
erwarte,“ sprach der Graf; der Mönch murmelte: „Pax vobiscum“
und schritt gebeugten Hauptes hinaus, die Anwesenden in Spannung
zurücklassend. Da erklang auf einmal Pferdegetrappel, ein Reiter
sprengte in den Hof, es war Fried, der geliebte Knappe des Junkers
Georg, und er rief vom Pferd aus dem an das Fenster geeilten Grafen
zu: „Er kommt! Er kommt!“
„Wer
kommt?“ fragte der Graf.
„Mein
gnädiger Herr, der Junker Georg von Oldenburg!“
„Dank
dir, o mein Gott!“ jauchzte der Graf und stürmte zur Tür, als ihm
Konrad von Marburg entgegen kam.
SECHSTES
KAPITEL
DAS
GERICHT ÜBER DIE KETZER
Der
Graf trat zurück und mit herber Stimme rief Konrad von Marpurg: „Ich
grüße dich, wenn du Christus und seiner Kirche treu bist.“
„Ich
bins, und erwidere deinen Gruß in Ehrfurcht,“ entgegnete der
Erzbischof.
„Sei
willkommen und ruh dich aus,“ sagte der Graf.
Der
Ketzermeister setzte sich nieder und murmelte: „Ja, ich bin müde
geworden im Dienste meines Gottes, der mir ein schweres Amt
auferlegte. Der Weg zu euch war weit und schwierig.“
„Du
solltest doch ein Pferd gebrauchen,“ meinte der Graf.
„Der
Knecht des Herrn verschmäht des Ritters stolze Art. Per pedes
apostolorum.“
„So
leere mit uns diesen Becher.“
„Ich
trinke keinen Wein.“
„So
iss von diesem Eber, den ich selbst erlegte.“
„Ich
esse kein Fleisch. Meine Speise ist, dass ich tue den Willen dessen,
der mich gesandt hat; dabei genügt mir Brot und Wasser und Obst.
Doch jetzt nicht mehr geschwatzt von irdischen Dingen.“
Er
stand auf, sah den Grafen und den Erzbischof mit ernstem Blick an und
sprach mit durchdringendem Ton: „Warum lebt noch die heidnische
Bauernrepublik Steding?“
„Wir
kämpften gegen sie seit Jahren, doch vergebens,“ sprach der Graf,
und der Erzbischof ergänzte:
„Gott
segnet unsere Waffen nicht!“
„Weil
ihr sie nicht führtet im rechten Glauben!“ sagte Konrad entgegen
und fuhr mit flammenden Blicken fort: „Schande dem Fürsten, der
nicht Leib und Blut für Christus einsetzt! Schande dem Priester, der
noch leben kann, wenn Gottes Feinde in seiner Diözese triumphieren!“
„Du
bist streng, hochwürdiger Herr. Die Sümpfe sind kaum zu erobern,“
lenkte der Graf ein.
„Wer
Glauben hat wie ein Senfkorn, dem bauen die Engel Brücken.“
„Du
triffst uns, Hochwürdiger, als wir eben gegen diesen heidnischen
Stamm uns berieten.“
„So
ist es euer Ernst, sie zu vertilgen, Erzbischof?“
„Nicht
sie zu vertilgen, aber zu bekehren.“
„Doch
um sie zu bekehren, müssen wir sie wohl ihre Bauernrepublik
vernichten,“ meinte der Graf.
Der
Ketzermeister wandte sich zufriedenen Blicks zum Grafen: „Du
sprichst weise. Ihre Stunde hat geschlagen. Sie sind Ketzer. Wer ist
hier, der Zeugnis wider sie geben kann?“
Der
Erzbischof nannte den Pater Hieronymus, der Graf den Knappen Fried,
die so eben zurückgekommen; auch seinen Neffen, der jeden Augenblick
zurückkommen müsse. Er verschwieg, dass nur der Eintritt des
Ketzermeisters ihn aufgehalten, dem sehnlich Erwarteten schon
entgegenzueilen.
„Was
tut dein Neffe bei den Verrätern?“ fragte der Ketzermeister mit
strengem Blick. „Es wird verdammt, wer es mit den Heiden hält.
Suche ihn zu retten, wie einen Brandscheit aus dem Feuer. Lass die
Zeugen vortreten. Zwei Zeugen genügen. Und ihr, meine Brüder,“ so
wendete er sich zu den mit ihm eingetretenen Mönchen, „gebt Acht!“
Pater Hieronymus, der schon vor dem Eintritt Konrads den Saal
verlassen hatte, trat ein. In schlichter Einfalt erzählte er alles,
was er von den Stedingern wusste, alles Gute und Böse, doch des
Guten nicht viel.
Ein
stummer Wink Konrads zu seinen Mönchen, und sie verstanden, was er
sagen wollte. An allen Gliedern zitternd, trat nun der Knappe Fried
ein.
„Wo
ist dein Herr?“ fragten gleichzeitig der Graf und der
Ketzermeister.
„Er
muss jeden Augenblicke hier sein, er jagte mich voraus, um euch zu
melden, dass er komme.“
„Brav,
brav!“ lobte der Graf, doch der Knappe fuhr fort: „...das heißt,
um desto eher wieder zu Hause zu sein.“
„Zu
Hause?“ fragte der Graf erstaunt, während Konrad den Mönchen
bedeutsame Winke gab, und dann den Knappen mit den prüfenden Blicken
zu durchbohren schien.
„Ja,“
fuhr dieser fort, „er meinte, er sei nun in Steding zu Hause, und
nur weil sein Schwiegervater, der Schultheiß, durchaus es wollte,
dass er herreiten und es ehrlich euch sagen solle, wie es mit ihm
stehe, auf dass ihr ihm nicht flucht hinter seinem Rücken: nur
deswegen kehre er zurück. Er war aber doch ganz betrübt dabei, und
das Mädchen weinte.“
„Blut
soll sie weinen! Sollen sie aalle weinen! Und er sei verdammt!“ so
kochte es jetzt hervor aus des Grafen Brust.
„Das
lass nun unsere Sorge sein, Graf Burckhardt von Oldenburg, dein Neffe
gehört jetzt mir,“ sagte der Ketzermeister und wendete sich dann
fragend zum Knappen. Jede Antwort des Knappen war eine Anklage
fürcherlichen Heidentums. „Du sollst nun dreimal baden in
fließendem Wasser am St. Johannistage und hundert Vaterunser und
Ave-Maria beten, auf dass du gereinigt seist von der verdammenswerten
Sünde: gefressen, gesoffen, gehurt zu haben mit den Heiden. Die
Heilige Kirche begehrt kein Blut. Deine Sünde war Torheit.“ Mit
diesen Worten entließ der Ketzermeister den Knappen, der rasch zur
Türe eilte und vor sich hin brummte:
„Was
war ich doch für ein Esel, dass ich all das gräuliche Heidentum
nicht gemerkt habe.“ In der Tür stieß er auf seinen jungen Herrn,
schlug drei Kreuze und drückte sich weit ab von ihm vorbei.
Erstaunt
blickte der Junker ihm nach, erstaunt blickte er die fremden Männer
an und trat vor, mit einem kurzen Wort: „Was gibts denn hier?“
Der
Graf zückte sein Schwert und wollte aufspringen. Ein Wink Konrads
gebot ihm Ruhe, und Konrad sagte:
„Junker
Georg von Oldenburg, tritt vor diesen Stuhl.“
Der
Junker fuhr auf: „Wer bist du, mir im Schloss meiner Ahnen zu
gebieten?“
„Hüte
deine Zunge, Jüngling! Du stehst unter schlimmer Anklage.“
„Anklage,
ich?“
„Niemand
ist schuldlos vor Gott. Christi Stellvertreter, der Papst, hat mich
gesandt: Konrad von Marburg, deutscher Großmeister der heiligen
Glaubenskongregation.“
Der
Junker erbebte. Er sprach leise: „Was willst du von mir?“
„Schweigend
höre zu, die Wahrheit rede! Ich beschuldige dich, Jüngling, des
Bundes mit Häretikern, der Liebe zu einer Heidin, die das Zeichen
der Hure Babylon an der Stirne trägt.“
Nun
aber flammte der Junker wieder auf, seine Hände fassten krampfhaft
nach dem Schwert, seine Augen sprühten Funken, und mit hellem Zorn
der Stimme donnerte er: „Pfaffe, du lügst! Sie ist rein, wie die
Unbefleckte Empfängnis!“
Der
Ketzermeister schlug ein Kreuz; sonst aber blieb er ruhig in Ton und
Mienen. Dann fragte er:
„Du
liebst das Mädchen im Stedingerland?“
„Wie
die Madonna.“
„Du
willst sie heiraten?“
„Ich
wills nach dem Ritus der Stedinger!“
„Und
willst leben bei den Stedingern?“
„Wie
mit meinen Brüdern!“
„Es
ist genug!“ Er stand auf, erhob die langen Arme und rief mit
Grabesstimme: „So verkünde ich über dich den Bann der Heiligen
Kirche, Das Jüngste Gericht soll über dich ergehen zu Ehren Gottes.
Graf Burkhardt von Oldenburg, ich übergebe dir diesen Mann als
verhaftet. Ich rufe deine Macht an Waffen und Schlüsseln an, dass du
ihn aufbewahrst dem Gericht. Führt ihn hinweg.“
„Und
eine Kette um diesen Judas!“ rief der Graf. „Er hat gefrevelt an
meinem Blut, und zum Fluch der Kirche gebe ich ihm den Fluch des
Vaters!“
„Das
ist zu viel!“ Das war das Einzige, was der Junker sagen konnte,
während die Knechte seinen gebeugten Körper ergriffen und ihn in
sonderbarer Mischung von Ehrfurcht, Mitleid und Abscheu
hinausführten.
Nun
aber brach auch die wilde Wut des Grafen zusammen; tief ergriffen
schaute er dem Jüngling nach, die alte Liebe regte sich in ihm, eine
unsägliche Angst um den immer noch Geliebten durchschüttelte ihn,
und der wilde Mann beugte auf einmal sein Knie vor dem armen Mönch
und flehte: „Gnade, Gnade für meinen unglücklichen Knaben!“
Der
Ketzermeister legte die Hand auf des Grafen Haupt und sprach: „Die
Kirche vergibt dem Büßer. Er büße, er demütige sich, er entsage
seiner sündigen Lust, und er wird gerettet.“
Der
Graf wendete nun das flehende Haupt zum Erzbischof: er konnte nicht
reden.
„Ich
werde tun, was meines Amtes ist, den Sünder zu bekehren suchen,“
sprach mild der Erzbischof.
Dann
fasste er den unglücklichen Mann unter den Arm und führte ihn sanft
hinaus.
Der
Ketzermeister stand unbeweglich da, sah unbeweglich ihnen nach, dann
stieg es in seinen Zügen wie Wetterleuchten auf, und die Arme
verschränkend, murmelte er vor sich hin:
„Herrschen
durch Geburt, durch Prunk, durch das Schwert, das ist irdisch;
herrschen durch den Gedanken, durch den Geist, das ist göttlich. Arm
sein, fasten, ohne Weib zu leben, ohne Herd, ohne die Freuden der
Erde, das ist die Schwindelhöhe des Lebens; aber ich werde nicht
schwindeln.“
Ernst
wie immer wendete er sich nun zu den zurückgebliebenen Mönchen:
„Nach
der Zeugen Aussage ist kein Zweifel mehr an der verdammenswerten
Ketzerei der Heiden in Steding, und es sollte brennen im Feuer des
Glaubens. Geht nur hin und predigt das Kreuz an allen Orten, das
Kreuz gegen Thors Hammer. Ich führe dann die Schar ins Feld. Rasch,
rasch, und lasst den Schweiß nicht trocknen an euren Stirnen.“
Er
segnete die Mönche, die tief verbeugend sich entfernten und dann wie
schwarze Raben davon flogen.
Die
Diener an der Tür erwarteten des Ketzermeisters Wink, um ihn zum
Ruhegemach der Burg zu führen.
Er
aber verlangte zum schlichtesten Ruheort des niedrigsten Knappen
geführt zu werden, dort legte er sich auf den steinernen Boden, und
nach den Abendbrot von Brot und Wasser schlief der mächtigstes Mann
des Deutschen Reiches ein und träumte von der Jungfrau Maria
Herrlichkeit.
SIEBENTES
KAPITEL
IM
KERKER
Es
war das unterste, schauerlichste Verließ der Burg, darin der Junker
lag; gefesselt an Leib, Armen und Beinen; es war kalt und feucht und
modrig; im trüben Schein einer Lampe sah er das Moos an den Wänden,
in der grausigen Stille hörte er die Tropfen von den feuchten Wänden
niederfallen, vielleicht auf Knochen von Menschen, die hier ihren Tod
gefunden; und wirklich, jetzt erinnerte er sich, es war eine blutige
Erinnerung: als Knabe war er hier gewesen; man hatte ihm gezeigt:
„Hier hat einer deiner Ahnen seinen Todfeind verhungern lassen, der
schlug vor Hunger seinen Kopf gegen die Mauer, da ist noch das
verspritzte Hirn und Blut an der Mauer zu sehen, keine Tünche bleibt
haften auf dem Blutfleck; immer fällt wieder ab das Weiß, und immer
wieder starrt der rote Fleck.“ Das war die blutige Erinnerung, und
jetzt war es ihm, als starre der fürchterliche Fleck ihn an, als
grinse daraus das Antlitz des Ermordeten hervor, als träte er zu
ihm, fasse ihn an, und er musste schreien, dass es wider klang vom
Gewölbe. So lag er da, der Arme. Und dann dachte er an Elsbeth und
an die süße Stunde, wo der Schlag ihres Busens ihn durchglüht
hatte; und wie sie nun hoffen und harren würde, während der
Geliebte wund von Ketten, klappernd vor Frost auf faulem Stroh
verzweifelte, verflucht von der Kirche, verflucht von seinem Vater.
Er wollte beten, aber er konnte nicht. Das Vaterunser verwirrte sich
in seinem Munde, es war ihm, als ob der lange, Kerkermeister mit den
fürchterlichen Augen herankäme, ihm den Mund zuhielt und spräche:
„Verfluchter, du darfst nicht beten.“ Und keine Aussicht, keine
Hoffnung auf Erlösung! Oh, sterben wollte er! Sterben, das war ihm
alles, in diesem fürchterlichen Kerker. Nur noch einmal den blauen
Himmel sehen, frische Luft atmen, ein Mädchenantlitz sehen... Horch,
da durch die Nacht, durch Moder und Qualen ein Laut, ein fernes
Klirren, Tritte auf den Stufen, im Schloss ein Schlüssel. Ist es
Tod, ist es Leben, sei es, was es sei, nur einen Atemzug Luft und die
Stimme eines Menschen! Der Kerkermeister leuchtete mit einer Fackel
voran.
Der
Erzbischof trat ein. Furchtbar erschüttert schaute er um sich und
auf den blassen, verstörten Jüngling, der die gefesselten Arme ihm
entgegenstreckte und ausrief:
„Gelobt
sei Allvater! O heiliger Mann, du bringst mir Rettung! Du kannst
nicht den Tod bringen.“
Der
Erzbischof wollte segnend seine Hände auf des Junkers Haupt legen,
dann besann er sich und ließ sie feuchten Auges langsam
niedersinken.
Der
Kerkermeister entfernte sich.
Starren
Blickes schaute der Junker den ernsten Mann an, und der sprach:
„Niemand kann dich retten, als du selbst durch deine Umkehr!“
„Wie,
Eminenz?“
„Durch
eine Tat, die Manneskraft erfordert, schon sie zu denken: Entsage
deiner sündigen Lust!“
„Nie!“
„Ich
fürchtete diese Antwort, und darum war ich so still und traurig. O
Georg, Georg, mein geliebter Sohn; du brichst mir das Herz, Du
brichst es mir durch deine Schwachheit!“
„Durch
meine Stärke, Pater. Es wäre Schwachheit, meiner Liebe zu
entsagen.“
„Törichter
Knabe!“ rief der Erzbischof aus, mit Tränen in den Augen und
heiligem Zorn auf den Wangen. Und nun erzählte er die Geschichte
seiner Jugend, die Entsagung seiner Liebe in hohen, herrlichen
Worten, die des Junkers Herz mächtig bewegten. Nun legte er ihm des
Menschen Herz und des Menschen Hochmut und die Gewalt des freien
Willens in tiefer Weisheit dar, und der Junker wagte nicht,
aufzuschauen in das Antlitz des weisen Mannes, und doch klopfte auch
sein Herz schon höher bei dem Gedanken: seiner Liebe, seinem Glück
zu entsagen und ein neues Leben mit neuen guten Werken zu beginnen.
„Doch
Sie – Sie! Was wird aus Elsbeth?“ schrie er auf einmal auf.
„Rette
dich, um sie retten zu können. Bleibst du starrsinnig, so sind die
Stedinger verloren, so wahr mir Gott helfe. Verloren schon um
deinetwillen, und dein Mädchen, sie vor allen anderen wird verfolgt
werden mit fürchterlicher Grausamkeit.“
„Um
meinetwillen! O Pater, Pater! Halt! Oder zeigt mir, dass ich sie
retten kann, wenn ich sie verlasse.“
„Ich
denke schon lange über einen Plan nach. Tritt herüber zu mir, wir
retten sie und mit ihr viele Schuldlose.“
„Oh
warum sagtest du das nicht gleich, mein Vater! Wie könnte ich nun
noch zaudern! Sagt mir: was muss ich tun?“
„In
wenigen Augenblicken wird Konrad von Marburg sich hier einfinden zum
Urteilsspruch; dann gelobst du, ewig der Heidin zu entsagen, dies
Gelöbnis wird dir deine Ketten sprengen. Nun?“
„Da,
meine Hand, heiliger Pater! Nur bleibe mir nahe, dass ich standhaft
das Todesurteil meines Herzens sprechen kann.“
Der
Erzbischof drückte den Jüngling an sein Herz, der eng seine Arme
und Ketten um ihn schlang. In freudigem Schmerz klopften da ein
junges und ein altes Herz zusammen, bis Waffen klirrten und Tritte
klangen und Konrad von Marburg mit Burkhardt von Oldenburg eintraten.
Bewaffnete und Fackelträger stellten sich am Eingang auf.
„Gerettet!
Gerettet!“ rief der Erzbischof, der den beiden entgegen trat.
„Ist
es wahr? Georg, mein Sohn! Mein wiedergeborener Sohn!“ rief der
Graf und wollte treten zum Geliebten und ihn umarmen. Der
Ketzermeister aber trat mit den Worten dazwischen: „Noch ist er im
Bann.“ Dann wendete er sich zum Erzbischof mit forschendem Blick:
„Die Kraft des Heiligen Geistes ist groß in dir gewesen,
Erzbischof; das scheint mir ein Wunder.“ Nun trat er zum Junker,
der halb sein Knie beugte, und fragte ihn: „Kannst du aussagen mit
feierlichem Eid, dass du bereust, was du gegen Gott und die Heilige
Kirche getan, gesagt und gedacht hast?“
„Ja!“
presste der Junker heraus.
„Dass
du lösst deine Verlobung mit deiner heidnischen Konkubine aus dem
Stedingerland?“
„Ja!“
erscholl es wie aus dem Grabe.
„Dass
du das Kreuz als Ritter im Kreuzzug gegen die heidnische
Bauernrepublik trägst?“
Der
Jüngling zuckte zusammen, warf einen verzweifelten Blick auf den
Erzbischof. Der winkte streng und zugleich milde, und ein schwaches
„Ja!“ entrang sich dem Mund des Junkers.
„Schwöre
dies alles bei der Allerheiligsten Dreifaltigkeit!“
„Ich
schwöre!“
„So
hebe ich aus freier Gnade das Urteil des Bannes über dich auf, löse
diese Ketten und spreche dich los von jeder Buße.“
„Und
ich schlage dich zum freien Ritter des heiligen Kreuzes!“ rief der
Graf, „der Junker sollte das Tageslicht nicht wieder sehen; der
Ritter soll es stolz begrüßen. Knie nieder!“
Dem
Junker waren die Ketten abgenommen; er brach fast zusammen unter der
neuen Freiheit, er konnte nur leise vor sich hinmurmeln: „Der
Ritterschlag an diesem Ort! Oh, ein böses Omen!“ Dann kniete er
vor dem Grafen nieder. Konrad und der Erzbischof legten die Hände
auf sein Haupt, während der Graf ihm mit der flachen Klinge auf die
Schulter schlug, sprechend:
„Zu
Gottes und Mariens Ehre,
Empfange
diesen Ritterschlag!
Für
Gottes Kirche und des Kaisers Reich kämpfe!
Die
bösen Lüste überwinde! Amen!“
„Amen!“
beteten nun auch der Erzbischof und Konrad. „Amen!“ beteten die
Bewaffneten und Fackelträger. Das gab ein seltsames Summen in dem
öden, schauerlichen Raum, dann eine tiefe Pause. Der Ritter stand
auf, und geführt vom Erzbischof, folgte er still den stillen Männern
hinauf ans Tageslicht, in die Freiheit.
ACHTES
KAPITEL
CHRISTLICHE
RITTER UND HEIDNISCHE BAUERN
Drei
Wochen waren vergangen. In Oldenburg summte und brummte es sonderbar;
durch alle Tore zogen Bewaffnete, geistliche Lieder singend, ernst
einher schreitend; die Bevölkerung sah sie ernst an; blaue und weiße
Fahnen flatterten durch die Straßen; schwül war die Luft, drückend
heiß wie beim Moorbrand. Ein junger Bauer schritt über den
Marktplatz, dem Schloss zu; hastig, unruhig sich umschauend und dabei
murmelnd: „Sind denn die Heiden ins Land eingefallen, dass es einen
Kreuzzug gibt? Und nirgends ein bekanntes Gesicht, das in dem
Getümmel der großen Stadt einen zurechtweise.“ Das Gesicht des
jungen Bauers sah bleich aus, wie von Leidenschaften zerrissen; die
Augen funkelten wie Dolchspitzen, und die rabenschwarzen Haare hingen
ihm wirr um den Kopf. Noch schaute er sich fragend um, da hörte er
von wohlbekannter, aber ängstlicher Stimme halblaut seinen Namen
rufen: „Kurt vom Bühel, um Gottes Willen wo kommst du her?“
„Ach,
ehrwürdiger Herr Pater Hieronymus, es freut mich, dich zu sehen,
aber warum so bange?“
„Weißt
du es denn noch nicht? Du bist ein Kind des Todes, wenn man dich
erkennt! Komm rasch hierher.“ Und der Pater zog den Bauer unter ein
altes Gemäuer, wo sie nur wenigen sichtbar waren. Nun erzählte er
ihm rasch, dass die freie Bauernrepublik Steding vogelfrei sei; dass
in wenigen Tagen ein Kreuzzug gegen sie losziehen werde.
Kurt
erstarrte. „Also wir sind die Heiden? Uns also gelten alle die
Männer, Fahnen und Lieder, uns, den frommen, echt-deutschen
Christen?“ Dies war alles, was er sagen konnte. Er sah einen
Augenblick trübe vor sich hin, sah dann den Pater forschend an und
fragte: Und du, gelehrter Herr? Wirrst du auch dein Kreuz tragen
gegen Thors Hammer?“
„Nein,
ich will keinen Krieg. Vielleicht ist das mein Untergang,“
antwortete der Pater.
„Du
hast uns verraten! Doch nichts mehr davon. Komm wieder zu uns
Deutschen Christen, Pater. Du wirst so lange zwischen allen Stühlen
stehen, bis du zerquetscht wirst. Rette dich zeitig aus dieser
Lauheit heraus, komm mit mir.“ So sprach Kurt und fasste die Hand
des Paters.
„Rette
du dich selbst, Kurt;“ sprach der. „Eile zurück wie der Wind,
sonst bist du verloren.“
„Erst
muss ich meine Botschaft verkünden, und sollten mich darüber
tausend Henker ergreifen. Wo finde ich ihn? Du weißt schon, wen ich
meine.“ Kurt sah aus wie eine Gewitterwolke, als er das sagte.
Der
Pater verstand ihn und antwortete schüchtern: „Sie haben ihm arg
mitgespielt, da gab er nach; nun ist er elend geworden, ganz elend
und zerschlagen!“
Da
knirschte Kurt: „Führe mich zu ihm; ich muss ihn sehen.“
„So
folge mir durch dieses Gässchen; ich führe dich auf geheimen Wegen
aufs Schloss; dort steht er oft auf der Zinne und schaut ins Land.
Ich glaube, hinaus nach Steding.“
„Dass
darf er nicht mehr, der Verräter,“ sprach Klaus mit zorniger
Stimme, und beide stiegen schweigend hinauf aufs Schloss.
Der
Ritter stand oben, der Pater blieb zurück, Kurt trat festen
Schrittes vor Georg hin. Georg wurde noch bleicher als er schon war;
er schlug die müden Augen nieder; dann sah er mit schmerzlichem
Blick den Bauer an. Dieser begann: „Herr Junker! An dem Abend, da
das Mädchen, das ich mehr als meine Seele liebte, dich als verlobte
Braut küsste, mich dann bei der Hand nahm, mich zu dir führte und
sagte: Kurt! Habe ihn lieb, meinetwegen, denn er macht mich so
glücklich, wie nur ein Mensch sein kann, -siehe, da glaubte ich
erst, der Boden müsste sich unter mir auftun und mich verschlingen,
dich und das Mädchen! Dann aber fasste ich den Teufel beim Nacken
und trat auf ihn und dann liebte ich dich; Wotan sei mein Zeuge, ich
liebte dich, weil du sie so glücklich machtest. Und dann schlossen
wir Blutsbruderschaft, und ich will ewig in der Hölle brennen, wenn
ich den Bund nicht gehalten hätte. Und du schworst mir: Du wolltest
treu sein dem Mädchen, in Ewigkeit. Nun sage mir, Herr Junker, was
hast du dazu zu sagen?“ Kurt vom Bühel hatte noch nie so viel
hintereinander gesprochen, und doch noch nie so gelitten, so heiß
gehasst wie jetzt.
Georg
schwankte vor Schmerz wie eine junge Eiche im Sturm.
„O
armer Kurt! Armer Genosse! O sag: wie geht es ihr?“
„Sie
ist sehr blass, sehr schwach geworden. Kann sein, sie würde dir
jetzt nicht mehr gefallen. Sie ist weich und still wie ein Opferlamm.
O sie ist noch viel schöner so! Und sie hofft noch! Ein liebendes
Herz hofft ja noch über die Hoffnung hinaus. Aber nun will sie
Gewissheit haben. Vielleicht, so sagte sie beim Abschied, vielleicht
halten sie ihn fest, dass er nicht kommen kann; vielleicht liegt er
im Turm. Geh zu ihm, sagte sie, frage ihn von mir; beschwöre ihn bei
jedem meiner Küsse: Ist es dein freier Wille, dass du nicht kamst
und dass du dein Mädchen verraten hast? So sagte sie, so sollte ich
fragen. Und du schweigst, Junker? Winde dich nicht wie eine
Kreuzotter; sprich ein einfaches Ja oder Nein.“
„So
sei es denn ein ehrliches Ja!“ sprach der Ritter, mit ernstem und
festem Ton. Dann fuhr er milder fort: „Aber sage ihr auch, dass ich
sie noch liebe, liebe bis über den Tod hinaus! dass mein Herz ihr
noch angehört, aber dass des Glaubens Pflicht... und dass ich sie
retten will, ihre Seele retten!“
„Ich
werde es tun. Aber nun ein Wort zu dir: Dein Herz ist so faul in
deiner Pflicht. Ich hasse dich, ich verachte dich. Und bei deinem
Schwur, den du mir als Bruder geleistet hast: Versprich mir ein Duell
mit dir auf dem Schlachtfeld! Ich werde dich suchen und finden, und
müsste ich durch tausend Söldner mich durchschlagen. Versprichst
du‘s mir?“
„Ich
verspreche es dir, doch erst will ich meine Geliebte retten!“
„Du
hast sie doch schon aufgegeben, du hast kein Recht mehr auf sie; nun
ist sie ganz allein die Meine, und du sollst und darfst sie nicht
retten. Das ist mein Amt! Und nun...“
In
diesem Augenblicke hörte man von ferne ein furchtbares Geschrei, wie
von Wahnsinnigen: „Nieder nieder mit dem Ketzer! Gott will es! Wo
ist er?“ So scholl es schrill zur Burg hinauf; schnell stürzte der
Knappe Georgs hervor: „Rette dich, Pater! Auf offenem Platz bist du
soeben verurteilt worden als Ketzer und Freund von Ketzern. Heute
Abend sollst du gerichtet werden, man kommt, dich zu suchen.“
Der
Pater sah sich um.
„Ich
verberge dich, Pater,“ sprach Georg, „komm in mein Gemach.“
„Die
Burg wird durchsucht werden,“ mahnte der Knappe; „kein Winkel in
Oldenburg kann dich verbergen.“
„Deine
Heimat bleibt dir treu,“ sagte Kurt, indem er zum Pater herantrat
und seine Hand nahm, „folge und vertraue mir. Ich kenne manchen
heimlichen Weg, draußen vor dem Tor stehen meine schwarzen Rappen,
und sind die erst im Galopp, holt uns der Teufel nicht mehr ein.
Rasch die Kutte ausgezogen! Knappe, bring einen Mantel.“
In
wenigen Augenblicken war das geschehen. Der Pater fasste die Hand des
Bauern und sprach mit erschütterter Stimme: „Schreckliches
Jahrhundert! Adlige und Kleriker verfolgen den Gerechten, aber des
frommen Volkes Herz wankt nicht in Liebe und Treue. O mein Gott! Lass
dieses Herz nicht brechen!“
Nun
davon über krumme, steile, dunkle Treppen, Gänge und Wege, hinaus
zum Tor, da standen die schnaubenden Rosse vor dem Wagen, rasch
hinauf, und wie im Sturmwind davon, während die heulende Menge der
fanatischen Fundamentalisten nach dem Verachteten suchte, der Ritter
todblass auf der Zinne stehen blieb und hinaus schaute zum
Stedingerland.
NEUNTES
KAPITEL
Während
der Bauer und der Pater nach Steding rasten, zogen sich die
Kreuzritter auf dem Markt zusammen. Das Kreuz ward ausgeteilt, und
der Präfekt der Glaubenskongregation sollte zum Volk sprechen: So
ging das Gerücht um. Es war ein Drängen und Wogen von Völkern aus
allen Teilen des Reiches; wilde, bärtige Gesichter vom Rhein und der
Elbe, vom Harz und aus Thüringen, aus Westphalen und von der Donau
und aus Böhmen, darunter Krieger in Diensten deutscher Herzöge und
Fürsten. Und diese selbst kamen nun heran, blinkend in Gold, Stahl
und Eisen. Ihnen voran Konrad von Marburg und dienende Brüder, die
Tausende von Kreuzen trugen. Durch die brausende Menge ging ein
tiefes Schweigen, als Konrad die Kanzel bestieg, feierlich ein
Pergament entfaltete und mit deutlicher Stimme also vorlas:
„Wir,
Gregor IX., römischer Papst, Knecht der Knechte Gottes, fordern auf
zu streiten auf Leben und Tod mit den verdammten Ketzern, genannt die
Stedinger. Denn sie haben mit dem Gift ihrer Ketzerei viele
Unschuldige ermordet. Wer mag alle ihre Gräuel aufdecken! Hört aber
und schaudert: Wenn ein Neugeborener von ihnen ausgeweidet wird,
erscheint ein Frosch, ihn küssen sie und saugen in sich sein kaltes
Gift. Er ist groß, mächtig, von Gift geschwollen, einem Teufel
vergleichbar. Nun erscheint dem Neugeborenen ein Mann, furchtbar
bleich, glühende Kohlen statt Augen, mager, ohne Fleisch, nur Haut
und Gebein, ihn küssen die Elenden, und mit diesem Kuss verschwindet
aus ihren Herzen ganz und gar die Erinnerung an Gott und seine
heilige Mutter Kirche.“
Das
Murmeln des Volkes war fürchterlich. Dann fuhr der Glaubenspräfekt
fort, immer neue Gräuel aufzählend, bis das Murren des Volkes
anwuchs zu Meeresbrandung und Nordsturm. Ein Wink des Meisters aber
genügte, wieder Ruhe zu schaffen.
„Ihr
habt die Gründe vernommen und das Gesetz Gottes spricht: Du sollst
die Gräuel hinweg tun! - Seid Ihr bereit?“
„Gott
will es! Gott will es!“ donnerte das Volk.
„Ihr
seid gesegnet! Bereitet euch vor, heiligt euch! Schon winkt euch die
Märtyrerkrone! Wir aber verkünden jedem, der das Kreuz aufnimmt und
mitzieht in den heiligen Krieg, Ablass aller zeitlichen Sündenstrafen
und Absolution aller Sünden, deren er schuldig ward vom Schoß der
Mutter an, kraft unserer Vollmacht als Legat und Vikar des Heiligen
Vaters Gregorius IX. Amen.“
Und
„Amen! Amen!“ ging es durch die Menge.
„Nun
kniet und empfangt das Kreuz und den Segen.“ Die Menge kniete
nieder, kein Laut war mehr zu hören, nur das Tappen der Mönche
zwischen den Knieenden, um die Kreuze auszuteilen.
Konrad
legte nun sich selbst das Kreuz auf und den Fürsten auch; dann
ergriff er mit der Linken ein langes goldenes Kreuz, mit der Rechten
ein blankes Schwert, hob beides in die Höhe und rief: „Der Herr
der Heerscharen schütze, die für ihn streiten und sein Haus! Er
mache scharf eure Schwerter und fest eure Schilde!“
ZEHNTES
KAPITEL
Eine
Anhöhe in der Nähe von Bardenfleth hatte ihren Namen von einer
uralten Esche, die hier stand. Die Sage ging um, dass unter dieser
Esche die Heiden ihren Göttern geopfert hatten, rundum habe sich ein
Graben gezogen, der oft übergeflossen vom Blute der Gefangenen sei,
die hier geschlachtet wurden. Das hatte den Platz unheimlich gemacht
im Volk, und niemand saß gerne unter der alten Esche. Nur zu
Sankt-Johannis-Abend brachten die Burschen Feuerräder hinauf und
ließen sie dann hinunterrollen in die Ebene, und im Rollen sprangen
die Burschen hinüber, und die Mädchen nahmen sich Abends von den
Brandhölzern mit nach Hause, legten sie unter das Kopfkissen und
träumten dann von dem Schatz, den sie bekommen würden. Heute aber
war noch nicht Johannes-Tag, erst morgen, und doch saßen heute zwei
Frauen da unter der Esche. Es waren Elsbeth und Margarethe, die treu
zum Mädchen hielt und mit ihr hinaufgegangen war.
„Wahrlich,
es riecht nach Blut hier, Elsbeth“, sagte Margarethe, „das ist
ein schlimmes Zeichen, an solchen Orten gibt es dann bald eine
Schlacht.“
„Sorge
dich nicht, Margarethe“, antwortete Elsbeth, „das Korn duftet zur
Ernte, wenn so die Sommerhitze brütet.“
„Aber
warum bist du so gern hier?“
„Hast
du es denn noch nicht gemerkt, Margarethe? Schau dort fern, ganz
fern, im Abendduft! Das sind die Türme von Oldenburg! Morgens kann
man auch das Schloss sehen, wenn die Sonne recht hell scheint. Dort
wohnt Er.“
Sie
saß da und sprach so sanft wie immer, blass, weich und still wie
eine Märtyrerin und hoffend noch über die Hoffnung hinaus.
„Nicht,
dass ich seine Frau werde, das wäre zu viel gehofft, doch dass er
mich noch lieb hat, das glaube ich, und das ist mir genug“,
antwortete sie jetzt der Freundin, und dann schaute sie wieder hinaus
in den Abendduft, nach den Türmen Oldenburgs und auf die Landstraße;
dorther musste ja Kurt kommen, mit der Gewissheit, dass er sie noch
liebe. Und da wirbelte Staub auf, und etwas kam näher, ein Wagen,
zwei Pferde, Kurt und ein Mann im Reitermantel ihm zur Seite: das war
Er! Das musste Er sein! So dachte das Mädchen und konnte sich kaum
aufrecht halten, und wunderbar verklärt sah sie aus im Glanz der
untergehenden Sonne. Aber Margarethe hatte schon erkannt, dass Er es
nicht war. Da schwankte das Mädchen wie eine bleiche Lilie auf dem
schwanken Stengel im Wind. Die Männer stiegen aus, Kurt voran.
„Lebt
er?“ rief Elsbeth.
„Er
lebt!“ rief Kurt.
„Gott
sei gedankt!“ Mit diesen Worten faltete Elsbeth die Hände. Kurt
stand nun vor ihr mit todblassem Gesicht.
„Und
kommt er?“ fragte Elsbeth leise, zitternd, und schloss die Augen,
weil ihr bang war vor der Antwort.
„Er
kommt!“ sagte Kurt und nichts weiter.
„Er
kommt!“ lispelte sie selig.
„Er
kommt als Feind gegen die Stedinger! Er kommt mit dem Kreuz der
Kreuzritter, die uns als Ketzer vernichten werden“, brauste es
jetzt aus Kurt heraus; da brachen Sinne und Glieder des Mädchens in
Ohnmacht zusammen.
Der
Priester war währenddessen herangetreten, und er, Kurt und
Margarethe trugen Elsbeth ins Dorf, in das Haus des Vaters. Dort
blieb sie unter dem Schutz der Frau, während Kurt alle einlud zum
düsteren Platz unter der Esche der Heiden, als einzig würdig der
Stelle zu dem, was er zu sagen hatte. Die Bauern waren von den
Feldern gekommen, Andere, von weiter her, und die Richter waren schon
da, weil morgen großer Thing gehalten werden sollte, zu Ehren der
Sommerwende, und so waren denn die Männer bald alle versammelt. Kurt
trat unter sie und sprach: „Ihr seid Männer, da muss ich euch
nicht Brei geben: Wir sind verloren!“
„Das
ist viel auf einen Schlag! Kurz und bündig, erkläre uns das“,
sprach der Schultheiß.
„Das
kann der Pater besser als ich, den hab ich mitgebracht, als einen der
Unsern wieder. Der mag erzählen.“
Und
der Pater erzählte alles, was er wusste, und kein Jota weniger, und
das Verderben stand lebendig vor aller Augen. Aber kein Glied rührte
sich; keine Miene zuckte; keine Wange wurde blasser; kein Wort
vernahm man, als das von Klaus vom Ipenhof: „Den Göttern sei’s
gedankt! Nun gilt’s den Kampf! Nun kämpfen Hölle und Himmel!“
„Schweig,
Klaus!“ rief streng der Schultheiß; „erst Rat, dann Tat; Richter
Enno von Waldhalden, was meinst du?“
Der
Richter Enno trat rvor und meinte: „Was meint ihr, wenn wir den
Hunden des Papstes das Nest räumten? Unsere Schiffe liegen auf der
Weser und in den Sümpfen. Diese Nacht packen wir das Beste ein, Kurt
kennt das Fahrwasser, die Fackel werfen wir auf die Äcker, in Häuser
und Scheunen, und suchen ein Land, wo wir uns neu ansiedeln können.“
Da
blieben alle unbewegt und stumm wie vorher. Man sah Detmar von Dieke
an die Stelle Ennos treten und hörte ihn sprechen: „So nicht!
Jedem Volk ist seine Grenze gesetzt von seinem Gott, die soll es
schützen und nicht überschreiten. Niemand nähme uns auch auf, weil
wir im Bann des Papstes sind. Seeräuber müsste wir werden, und wir
müssten ein neues Land mit dem Schwert gewinnen. Unrecht leiden,
aber nicht Unrecht tun. So sagt der alte Sokrates.“
Ein
ruhiges Gemurmel des Beifalls ging durch den weiten Männerkreis. Der
Schultheiß trat vor: „Auch ich mag das Land nicht verlassen, wo
ich geboren bin. Ich liebe dies Land wie meine Seele und will
begraben sein, wo ich gekämpft habe.“
„Hoch
dem Schultheiß!“ riefen alle, und Enno von Waldhalden rief mit.
„Also
wehren wir uns auf Leben und Tod!“ rief Klaus mit funkelnden Augen.
„Auf
Leben und Tod!“ rief der Schultheiß, rief jeder Richter und jeder
Mann, der dort stand auf Altenesch.
„Aber
unsere Frauen?“ fragte Enno.
„Die
helfen uns kämpfen und sterben mit uns!“ jauchzte Klaus.
„Und
wenn die Christen über die Sümpfe kommen?“ fragte Detmar von
Dieke.
„So
stehen wir bis auf den letzten Mann, und der fällt und ruft im
Fallen: „Es lebe das Recht Odins!“ flammte es empor aus der Brust
des dämonisch ergriffenen Klaus.
„Ist
das euer aller Meinung?“ fragte der Schultheiß laut, dass jeder
Mann ihn deutlich verstehen konnte, und ein gewaltiges „Ja!“ aus
aller Munde rauschte durch den roten Abend, hinab von der Höhe durch
das Tal.
„So
helfe uns Odin! So spreche ich Amen!“ sprach nun feierlich der
Schultheiß, indem er sein Haupt entblößte, und so erscholl denn
auch hier ein weites, feierliches Amen. „Und nun gehe jeder in
sein Haus und künde den Beschluss dem Nachbar. Morgen bei
Sonnenaufgang soll jeder bewaffnet sein. Dann halten wir unsere
letzte Absprache, damit keine ungesühnte Feindschaft und Klage mit
uns ins Grab gehe. Du Kurt, sammelst deine Seefahrer und besetzt den
Norderteich nach Mitternacht. Wir schwören einen Eid, dass keiner
sich entziehen will dem Tod für die heimatliche Mutter Erde Es lebe
Hertha!“ So sprach der Schultheiß mit männlicher Würde und
wendete sich dann zum Pater: „Und du, ehrwürdiger Herr! da du
wieder zu uns gekommen bist! Willst du den Geächteten noch einmal
das deutsche Wort Gottes lesen? Noch einmal das Mahl der Gemeinschaft
in beiderlei reichen? Noch einmal den Glockenklang der Erneuerung
durch unser Land tönen lassen und so von uns befreien von Christi
Fluch und uns bezeugen, dass wir kämpfen im uralten deutschen
Recht?“
„Ich
wills! Ich wills! Und koste es mein Leben!“ rief begeistert der
Priester.
„Ihr
Männer Stedingens: seid ihr gewillt und bereit, dass der Priester
tue, wie ich gesagt habe? Wer da nicht will, der gehe weg.“ Doch
niemand ging, nur Klaus, vor sich hinmurmelnd: „Ich will keine
billige Gnade, wenn ich mich nicht rächen darf.“
Der
deutsche Priester hob nun die Hände, segnete und betete dann mit
tiefer Stimme ein Vaterunser. Dann lud er zum letzten Kirchgang ein,
bei Sonnenaufgang am nächsten Tag. Lautlos gingen die Männer
auseinander, nur der Schultheiß blieb noch zurück mit dem Pater; da
kam weinend Margarethe und sagte, dass Elsbeth schlafe, aber sehr
elend sei.
Der
Pater ergriff des trauernden Schultheiß Hand und sagte: „Schultheiß,
du tatest doch ein Unrecht, dass du das erlaubtest. Wie konntest du
das für möglich halten: Christ und Heidin?!“
„Ich
träume die Zukunft schon nahe, Pater. Siehe, einst muss es doch dazu
kommen, dass der Glaube die Menschen nicht mehr scheidet. Und ich
traute ihm auch zu viel! Und ich hatte ihn so lieb. Und ich dachte
auch: Sie ist so schön wie er; und so jung, so rein wie er; sie ist
die Tochter eines freien Mannes; Erbin ihrer freien Scholle. Sie hat
noch mehr Gold und Silber in ihrer Truhe als er, und doch! Nun, es
war zu weit, zu gut gedacht; aber keine Sünde.“ Er sah so gerührt,
so einfältig aus, der alte, brave Bauer, als er so sprach, als er
eine Träne in den Wimpern zerdrückte.
Der
Pater sah gerührt ihn an. Das Abendrot legte sich dämonisch um die
beiden schneeweißen Männer unter der riesigen Esche Thors. Friede
ruhte überall, die Grillen sangen, die Lindenblüten gaben weithin
ihren süßen Duft. Schweigend schritten die Männer den Hügel
hinunter; sie mussten an der Linde des Gerichts vorbei. Der
Schultheiß trat hinzu und sprach leise: „Still, wie draußen,
wirds in mir. Mein Leben ist ausgelebt... Kein fröhliches Schicksal
war mir beschieden. Das Volk, das ich vierzig Jahre geweidet habe,
führe ich in den Tod. Odin, dein Wille geschehe! Ich will mein
graues Haupt neigen in Demut und den Todesstoß abwarten in starker
Geduld.“
ELFTES
KAPITEL
Um
Mitternacht schon standen sie auf dem Wall des Landes, auf dem
Norderdamm, Kurt und Enno mit ihren Männern. Ihre Augen funkelten
wie Irrlichter hinaus über die Weser. Horch, da rauschte es über
dem Fluss, man hörte fernen Ruderschlag und dann Gesang von vielen
tausend Stimmen.
„Das
sind sie!“ rief Enno.
„Donnergott!
Die waren eilig, sie haben uns überrascht!“ sprach Kurt, sonst
nichts.
Nun
teilten sich all die Männer in zwei Hälften; Enno führte die
Einen, Kurt hielt oben mit den Andern. Nun kam Ruderschlag und
frommer Gesang immer näher und war nun dicht vor den Stedingern. Die
warfen und schossen auf sie hinunter, und die schwimmen konnten,
hingen sich an die Kähne und bohrten Löcher hinein und versanken
mit den Kähnen und denen, die darin waren. Aber das fromme Lied
scholl immer lauter, je mehr der Kähne herankamen; dann kamen auch
viele zu Ross geschwommen über den Fluss. Nun gabs ein
fürchterliches Schlagen und inmitten des Schlagens einen hohen
Jubelruf: der kam von den ersten Kreuzrittern, die das Land erstiegen
hatten. Noch wenige Minuten, und Enno stand auf einem Hügel von
Leichen, der Einzige von allen, die vom Damm in den Graben gestiegen
waren. Als er das sah, kletterte er wie eine Katze Freyjas hinauf und
nun fort, fort auf Sturmflügeln, um alle wach zu rufen, was da noch
dem Tode entgegen schlief. Auf dem Damm aber stand Kurt mit
zweihundert Männern, die hatten auch hinunter gewollt, aber Kurt
hatte es nicht erlaubt. Hier oben wollte er sie packen, die Feinde.
Da aber wurde es auf einmal still unten, denn die Kreuzritter
rasteten, und vom Fluss stiegen die Nebel auf und verdeckten alles.
Aber durch den Nebel hörte man die Kreuzfahrer zu Jesus beten, und
dann auf einmal ein Geschrei: „Gott will es!“ Dann zogen alle in
Einem Zug hinauf gegen den Damm, und so wie einer den Kopf hervorhob,
hatte er auch schon die Keule davor oder den Spieß im Hals. Von den
Stedingern fiel keiner. Auch keiner sprach ein Wort; es war
grauenhaft still; man hörte nur, wie die Erschlagenen röchelnd
hinunterrollten und unten mit den Köpfen auf die Steine im Fluss
schlugen. Da auf einmal trieben Morgenschein und Wind die Nebel
auseinander, und da sahen erst die auf dem Damm, wie es aussah.
Jenseits der Weser zogen die großen Scharen heran, die Banner der
Ritter von dem Kreuz und jede Schar hinter ihrem Banner, Oldenburg
voran, und in guter Ordnung setzten sie über den Fluss hinüber.
Unten aber lags voll Leichen, und den Damm herunter war es ganz
schlüpfrig, und die Weser trieb rot von Blut. Nun drängten, die
schon da waren, wie ein Keil sich zusammen an einer einzigen Stelle,
und hinauf; da fiel Mann über Mann, doch einer kletterte über den
andern hinweg, da ward es wie ein Berg von Leichen.
Da
stellte sich Konrad von Marburg an die Spitze; in der Linken sein
Kreuz, in der Rechten statt des weggeworfenen Schwertes eine blutige
Keule, und er war der Erste, der oben stand und rief: „Das Kreuz
hat gesiegt! Mir nach!“ Und Tausende draußen folgten ihm nach, und
die von den Stedingern noch lebten, wurden die Dämme hinunter
gedrängt.
Noch
eine Hoffnung blieb ihnen: die Moore. Auf schmalen Stegen, die durch
sie hinführten, flohen die Letzten davon und rissen hinter sich alle
Stege ab und stellten sich dann wieder auf; sie glaubten nun sicher
zu sein, wenigstens für einige Zeit. Aber der Christen-Meister rief:
„Vorwärts, die Krone der Märtyrer winkt!“ Und er stimmte wieder
ein frommes Lied an, und unter Gesang gings nun in das Moor hinein,
als wärs gefroren. Zahllose sanken, aber über den Vorderdamm
stiegen die Folgenden, und so immerzu, bis eine feste Brücke ward.
Keiner schrie beim Ersaufen oder Ersticken; jeder starb, als müsste
es so sein, und jeder sang fort den frommen Choral, bis der Folgende
ihm auf den Kopf trat und ihn hinunterdrückte. Die Stedinger warfen
Schleudersteine und Pfeile ihnen entgegen, aber je mehr derselben sie
warfen, desto schneller wurde die Brücke fertig. Und nun war sie
fertig, und der Feind war im Lande.
Die
hundert Stedinger, die noch übrig geblieben, zogen sich zurück auf
das feste Kloster Ahden, mitten in den Mooren und mit starken Mauern.
Dahin zog auch ein Teil der nun gerüsteten Hauptmacht der Stedinger,
während ein anderer zum Heidenhügel auf Altenesch hinzog; da wo
gestern die Elsbeth gesessen und wo Margarethe das Blut gerochen
hatte.
Tiere
waren es nicht, die Kreuzritter, die jetzt durch die Gaue zogen.
Vergebens
baten die Fürsten und der Erzbischof den Ketzermeister, Einhalt zu
befehlen. Der Ritter Georg sandte einen Boten, der sollte den
Stedingern Rettung verheißen, wenn sie sich der Kirche Gottes
ergeben wollten.
ZWÖLFTES
KAPITEL
Sie
schlugen bis gegen Abend bei Ahden eine fürchterliche Schlacht; dann
mussten die Stedinger zurück, und alle sammelte sich am Heidenhügel.
Klaus trat erst noch in sein Haus und suchte eine Axt, die Frau
schwieg, aber der Knabe fragte: „Willst Du Holz fällen, Vater?“
„Nein,
Junge, Köpfe!“
„Toll!
Nimm mich mit.“
„Schweig
und gib mir einen Kuss. Und nun ins Bett zum Schwesterchen!“
Der
Knabe ging. Klaus trat zu seiner Frau und fragte:
„Margarethe,
was beschließt du?“
„Ich
lebe nicht ohne dich, und unsere freien Kinder sollen keine Sklaven
werden.“
„Gib
mir einen Kuss!“
Margarethe
gab ihm einen Kuss, dann ging Klaus still fort, Margarethe ging still
zur Scheune und holte Brennstoff herbei, so viel als möglich, und
legte ihn ins ganze Haus. Dann nahm sie ihre Kinder auf den Arm und
an die Hand, stellte sich auf den Balkon des Hauses und sah hin zum
Heidenhügel der Götter, und eine brennende Fackel stand
wohlverwahrt in ihrer Nähe. So wie es Klaus und Margarethe gemacht
hatten, machten es zur selben Stunde noch viele Männer und Frauen im
Stedingerland.
Am
Heidenhügel waren sie nun versammelt, die letzten Männer.
„So
schöne, haushohe Johannis-Feuer haben wir noch nie gehabt,“ sagte
Klaus zu Enno. Der dachte aber an sein Weib, das kurz vorher sich das
Leben genommen hatte, da schwieg er.
„Da
brennt mein Haus!“ rief Klaus.
„Nun
wird mein Weib es vollendet haben! Jetzt stürzt das Dach, so, nun
ist alles aus! Aber unsere Weiber, Enno, haben doch den anderen Mut
gemacht.“
„Freilich,
freilich!“ murmelte Enno.
„Nun
ist es mir eigentlich erst recht wohl“, sprach Klaus nach kurzer
Pause, und dann rief er: „Aber nun bebt mir auch der Spieß in
meiner Hand! Die Adern wollen mir bersten! Meine Seele schreit nach
Blut, wie das Kind nach der Muttermilch!“
„Ein
Bote! Ein Bote!“ rief jemand, „ein Bote vom Ritter Georg von
Oldenburg!“ Und der Knappe war vom Ross gesprungen und in den Kreis
der Männer getreten. Zu seinem Verderben dicht vor Klaus, und der
stieß ihn im Augenblick den Spieß durchs Herz, dass er keinen Laut
mehr von sich gab. Sprachloses Entsetzen lag auf allen.
Der
Schultheiß trat hinzu, sah, was geschehen, und rief: „O Steding,
du bist entehrt in deiner Todesstunde! Bindet den Mörder des Boten,
und ihr Richter tretet zusammen und richtet!“
Und
die Richter verurteilten Klaus zum Tode im selben Augenblick; nicht
zum Tode im Stedingerland, sondern zum Tode von der Hand dessen, der
den ermordeten Boten gesandt; Klaus wurde gebunden in das Lager des
Ritters Georg von Oldenburg geführt. Schweigend ließ er es
geschehen; kein Laut kam über seine Lippen. Nun gab der Schultheiß
ein geheimes Zeichen, das verstanden zwölf Männer, die sofort zu
ihm traten und einen dicht geschlossenen Kreis bildeten. Es waren die
Richter des Landes. Und sie richteten Konrad von Marburg und setzten
zum Vollstrecker des Urteils denjenigen fest, der der Letzte im
Kampfe sei.
So
wurde es beschlossen, und jeder gab den Beschluss dem Nächsten
weiter, bis alle es wussten.
„Wo
ist Kurt?“ fragte der Schultheiß.
„Er
sorgt für Elsbeth und dass das Dorf brenne,“ sagte Detmar von
Dieke, „doch da brennt es schon, und Kurt kommt mit Elsbeth.“
Ehrfurchtsvoll
machten alle Platz, wo das schöne Mädchen ging. Sie stieg den Hügel
hinauf und setzte sich unter der alten Esche Thors auf die Bank. Der
Schultheiß stellte sich ihr zur Rechten und hielt das rote Banner
mit dem Hammer Thors so, dass es sie umwehte. Der Pater stand links
von ihr und legte seine Hand auf ihr Haupt. Kurt ging schweigend den
Hügel hinunter und sagte:
„Jetzt
nur noch eins: Ritter Georg!“
„Der
Feind ballt sich zusammen im Tal!“ stürmte jetzt Thanno von
Huntorp hervor, „wir müssen auf freier Ebene ihnen begegnen!“
„Im
Namen Odins also, der uns so schönen, hellen Tag zum Sterben gibt!“
rief der Schultheiß und wendete sich zum Pater: „Tut dein Amt und
gib uns den Todessegen!“ Er kniete nieder, alle ihm nach, und der
Priester segnete herab vom Heidenhügel die Todesschar. „Versöhnt
mit Himmel und Erde! Frei auf der Erde und voll ihrer Lust! Mut und
freudige Kraft! Auf zum Letzten Gefecht!“ So rufend, schwang der
Schultheiß das rote Banner. Von fern klang Trompeten- und
Hörnerklang und Geheul durch die Lüfte.
Bald
entbrannte ein schrecklicher Streit; Elsbeth und der Pater blieben
zurück unter der Esche der Götter, ruhig und gefasst.
Aber
nicht lange waren sie allein. Ein abgesandtes Häuflein Kreuzritter
stürmte von unbedeckter Seite den Hügel hinauf, der Pater trat
ihnen entgegen, im Augenblick ward er zu Boden geschlagen, über den
Toten weg gingen sie zur bebenden Elsbeth, schon fassten sie sie an,
da sausten Hiebe, links und rechts flogen die Wütenden auseinander
und in panischem Schrecken davon; solche Hiebe konnten nur aus der
Hölle kommen! Der Ritter Georg hatte sie geführt, und jetzt umarmte
er das Mädchen in hoher Seligkeit:
„Du
bist mein! Du bist gerettet! Auf, folge mir!“
Aber
sie konnte ihm nicht folgen, konnte nicht stehen, nicht sprechen; nur
in zitternder Wollust an seine Brust sich schmiegen und ihn anschauen
mit unaussprechlicher Liebe! Da donnerte es auf einmal hinter ihnen:
„Ritter Georg von Oldenburg, bei deinem Schwur: stell dich meinem
Schwert!“
Es
war Kurt, der den Ritter gesehen, die Schlacht verlassen und hierher
gerannt war wie ein angeschossener wilder Eber.
„Zurück,
Kurt, oder ich zermalme dich!“ sagte Georg und griff sein
hingeworfenes Schwert, während er mit dem anderen Arm Elsbeth an
sein Herz drückte. Kurt wollte auf ihn eindringen, doch Elsbeth
deckte ihn rasch mit ihrem schwankenden Körper. Kurt blieb stehen,
sah beide ernst an und sprach:
„Elsbeth,
werde Licht! Du sollst nun frei wählen! Ritter, lass sie einen
Augenblick frei, bis sie gewählt hat!“ Der Ritter tat es. Elsbeth
wankte von ihm zurück und stand wie ein Opfer zwischen den beiden
Männern. „Elsbeth, nun wähle! Die Ehefrau des christlichen
Ritters darfst du nie sein; nur seine Konkubine. Willst du das sein
und von uns gehen, den Sterbenden, und von deinem verwüsteten
Vaterland? Oder willst du den Tod? Elsbeth, ich frage dich laut, und
ebenso antworte!“
Elsbeth
zuckte zusammen, sie sah den Ritter nicht an und sah auch Kurt nicht
an, sie sah hinaus in die rauchende Schlacht; dann schritt sie
langsam zu Kurt und sagte fest und ruhig:
„Ich
will den Tod!“
Und
wie sie das gesprochen hatte, ein Augenblick, da lag sie am Boden,
und das Schwert Kurts war rot von ihrem Blut. „Ich danke dir!“
Das war das letzte Wort, das sie sagte, und der letzte Blick und Wink
voll namenloser Zärtlichkeit war auf den Ritter Georg gerichtet. Der
kniete nieder zu ihren Füßen und drückte der Sterbenden die Augen
zu und legte seinen Mantel über die Tote. Dann sprach er klar und
fest zu Kurt:
„Gib
mir dein Schwert und nimm das meine, dann lass uns den Todeskampf
beginnen, den ich dir versprochen.“
Sie
wechselten die Schwerter, ohne weiter ein Wort zu sprechen; der
Ritter küsste das Blut an seinem neuen Schwert, und nun kämpften
beide den tödlichen Kampf. Es dauerte wohl eine Viertelstunde, dann
lag Ritter Georg tot neben Elsbeth. Kurt stürmte den Hügel hinunter
in die noch immer wogende Schlacht. Dann kam er zurück, mit einem
Pfeil tief in der Brust, und kniete nieder an der Leiche Elsbeths,
zog den Pfeil heraus und ließ das Blut hinströmen und mit dem Blute
das Leben.
Da
kam leisen Ganges und düster brütenden Sinnes Klaus heran. Er war
vom Ritter Georg freigegeben worden und hatte sich wieder dem
Schultheiß und den Richtern gestellt. Die wollten ihn nun nicht mehr
unter sich dulden, doch gaben sie ihm noch ein großes Amt: die
Urteilsvollstreckung der Rache an Konrad von Marburg, wenn dieser
wieder aus Stedingen und Oldenburg fort sei. So durfte er nicht
kämpfen mit den Brüdern, nicht sterben auf heimatlichem Boden, der
wilde Klaus. Er trat zu den drei Leichen heran, schaute in den
verrinnenden Kampf und noch einmal über die Lande hin, dann schwor
er bei Odin und Thor und Hertha: ein treuer Rächer zu sein. Und dann
ging er, floh, sich verbergend, wo kein Menschenantlitz war, bis er
hinaus kam über Steding und Oldenburg. Er hat seine Heimat nie
wiedergesehen.
Im
Tal wurde der letzte Kampf ausgetragen, wurde Stedingen zu Boden
geschlagen; das letzte rote Banner hielt der Schultheiß und ließ es
nicht los, bis es mit ihm sank. Kein Mann blieb übrig. Was von
Alten, Mädchen und Kindern und Knaben fliehen konnte, floh zu den
freien Friesen. Die Fürsten und der Erzbischof ließen die Toten
begraben am Heidenhügel und schenkten Gnade denen, die noch lebten.
Aber Steding war nicht mehr. Und freudlos und traurig zogen die
Sieger heim.