Satirische Komödie von Torsten Schwanke
Ort und Zeit der Handlung: Bremen, Tübingen, Berlin, Sofia; Anfang des 21. Jahrhunderts
Personen
Markus von Eichendorf, Informatiker und Pietist
Martinus von Eichendorf, sein Bruder, Physiker und Dispensiationalist
Susanna von Eichendorf, dessen Frau (stumme Rolle)
Valea, des Markus Tochter, 16 Jahre jung
Thomas, Sohn des Markus von Eichendorf
Milan, Sohn des Martinus und der Susanna
Mayer, der Hausfreund
Dominik und Finkenburg, Berliner Studenten
Pfarrer Bernhard, katholischer Priester
Traute, alte Hexe
Karina, 24 Jahre
Klein-Kind
ERSTER AKT
ERSTE SZENE
(Bremen. Das Haus des Pietisten und Informatikers Markus von Eichendorf, eines fünfzigjährigen Witwers, Auftritt Markus von Eichendorf, der Theologie-Student Mayer, und der Sohn des Hauses, Thomas, fünfzehn Jahre alt.)
MARKUS VON EICHENDORF
Du, Mayer, bist also der Theologie-Student, der meinen Sohn Tom erziehen will?
MAYER
Hab nun leider auch Theologie studiert.
MARKUS VON EICHENDORF
Ich verstehe nicht?
MAYER
Es ist ein klassisches Zitat. Von Goethe.
MARKUS VON EICHENDORF
Goethe! Brrr! Nichts ist mir so zuwider wie Goethe! Vorsicht vor Goethe, ihr bibeltreuen Christen, er war ein Freimaurer!
MAYER
Und du, Tom, willst du was lernen?
TOM
Nur schenk mir keine Bücher über Gott.
MAYER
Man merkt am Knaben, was der Mann werden will, sagt Jesus Sirach.
MARKUS VON EICHENDORF
Die Bibel sollst du ihm beibringen, aber nicht die Apokryphen!
TOM
Ich hoffe, du spielst mit mir.
MAYER
Meine Liebe ist ein Kind und will spielen.
MARKUS VON EICHENDORF
Ich bin Informatiker, und nichts scheint mir so formschön wie ein Computer und ein Auto. Kannst du neben den fundamentalen Wahrheiten der Bibel meinen Sohn auch in die digitalen Welt einführen? Ich würde es ja am liebsten selber tun, aber ich arbeite bis spät abends, den Haushalt führt meine Magd Eva, die nichts von Technik versteht.
MAYER
Mein lieber Tom, du wirst mich wohl einführen in deinen virtuellen Kosmos, nicht wahr?
TOM
(begeistert)
Ja, wenn du willst, guter alter Freund, dann führe ich dich zum göttlichen Avatar und zum japanischen Kriegsgott.
MAYER
Gott der Götter, steh uns bei!
MARKUS VON EICHENDORF
Das ist alles ganz harmlos, das hat nichts mit Religion zu tun, das ist einfach nur Fiktion. Ich persönlich lese ja auch nichts anderes als amerikanische Science-fiction-Romane. Die müssen übrigens nicht christlich sein. Mich langweilen christliche Bücher. Die sciense-fiction-Romane von C.S. Lewis sind einfach nur langweilig.
MAYER
Und du, Tom, was liest du?
TOM
Ich kann nicht lesen. Aber bitte lies mir Comics vor von japanischen Super-Helden!
MAYER
Ich nehme die Herausforderung an.
MARKUS VON EICHENDORF
Warum?
MAYER
Mir gefällt Toms Gesicht. . Nun, Tom, was willst du denn einmal werden?
TOM
Schriftsteller!
MARKUS VON EICHENDORF
Aber der Satansbraten kann nicht lesen und schreiben, ha!
MAYER
Nun, so wirst du mir diktieren, Tom, ich schreibe die Geschichten für dich auf. Auch Goethe diktierte nur und schrieb nicht selber.
TOM
Prima!
MARKUS VON EICHENDORF
Goethe! Ich sags ja! Brrr!
ZWEITE SZENE
(Martinus von Eichendorf, im Nachbarhaus, mit Mayer und mit seinem sechzehnjährigen Sohn Milan. Stumm sitzt seine Frau Susanna im Hintergrund.)
MARTINUS VON EICHENDORF
Auf ein ernstes Wort, Bruder Mayer.
MAYER
Belehre mich! Du bist der Älteste der Gemeinde.
MARTINUS VON EICHENDORF
Wir 1ältesten von der Gemeinde der Heiligen Jesu der Letzten Tage haben uns beraten im Heiligen Geist, und Wir und der Heilige Geist haben beschlossen, dass du nicht mehr als Bibellehrer unsere Bibelstunden leiten sollst.
MAYER
Mein Gott, warum…?
MARTINUS VON EICHENDORF
Du bist von liberalem Modernismus infiziert. Zwei wesentliche Lehren der wahren Brautgemeinde des Herrn Jesus teilst du nicht.
MAYER
Welche unter anderem meinst du, mein doctor evangelical?
MARTINUS VON EICHENDORF
Erstens lehrst du die Kindertaufe, ja, die Taufe überhaupt. Das ist aber die Wassertaufe des Bundes des Herrn Jesus mit dem auserwählten Gottesvolk Israel. Da aber Israel sich verstockte, schloss Jehova einen Bund in Paulus mit den Nationen, in denen der Glaube allein gilt. Sola fides! Da wird nicht mehr getauft.
MAYER
So ist Milan nicht getauft?
MARTINUS VON EICHENDORF
Nein, wir taufen nicht.
MAYER
Milan, so muss ich dich wohl eines Tages im Schwimmbad mir schnappen und heimlich eine Nottaufe an dir vollziehen.
MARTINUS VON EICHENDORF
Das ist aber nicht die einzige Abweichung von der Bibel, die du dir leistest. Nämlich die Bibel lehrt eindeutig die Entrückung der Brautgemeinde Jesu und das Tausendjährige Reich.
MAYER
Die Theologie verwarf den Millenianismus schon in der Urkirche.
MARTINUS VON EICHENDORF
Nachbiblische Theologie interessiert uns nicht! Sola scriptura! Dazu kommt, dass du Verheißungen der Bibel, die einzig und allein fürs Tausendjährige Reich gelten, willkürlich auch heute schon für jeden Gläubigen in Anspruch nimmst.
MAYER
Zum Beispiel?
MARTINUS VON EICHENDORF
Wenn David prophezeit: Herr, ich habe nie die Kinder des Gerechten um Brot betteln sehen – so säst du Glaubenszweifel unter den Ärmsten der Armen im Geiste, indem du fragst, warum die Kinder in Afrika hungern! Aber das beständige Sattsein ist eine Verheißung für…
MAYER
Na?
MARTINUS VON EICHENDORF
Fürs Tausendjährige Reich. Du glaubst auch nicht an die Entrückung!
MAYER
Was hab ich gesagt?
MARTINUS VON EICHENDORF
Du sagtest den Ärmsten der Armen im Geiste, wir lebten heute schon in der Zeit des Harmageddon!
MAYER
Sagen die Propheten.
MARTINUS VON EICHENDORF
Falsche Propheten und falsche Christusse! Harmageddon findet nach der Entrückung der Brautgemeinde statt, wenn auf Erden nur noch Juden und Heiden leben.
MAYER
Na denn. Aber um einmal auf deinen Sohn zu sprechen zu kommen…
MILAN
Meinst du mich, lieber Mayer?
MAYER
Auch du, mein Sohn Brutus…? Wie geht es in der Schule?
MARTINUS VON EICHENDORF
Leider geht er nicht auf eine Bekenntnisschule unserer Freikirche, sondern auf ein humanistisches Gymnasium.
MAYER
Und, Milan, wie gehts, wie stehts?
MILAN
Alles gut.
MAYER
Welche Fremdsprachen lernst du?
MILAN
Englisch und Latein.
MAYER
Latein! Was liest du in Latein?
MILAN
Die Vulgata und Cicero.
MAYER
Du bist ein Jüngling nach meinem Geschmack.
MARTINUS VON EICHENDORF
Aber leider lehren sie in Biologie und Physik auch die Irrlehren von big bang und Evolution, dabei steht in der Bibel, dass Gott die Welt vor sechstausend Jahren in sechs Tagen geschaffen hat. Das sagen auch alle ernstzunehmenden evangelikalen Naturwissenschaftler.
MAYER
Nun, ich glaube an die Metamorphosen…
MILAN
...von Ovid?
MAYER
Mein Amor! Aber nun muss ich gehen. Wenn ich so eine Zeit geplaudert mit Sterblichen, sehne ich mich wieder danach, mit den Göttern zu schweigen. - Meine Verehrung, Susanna, du bist sehr schön!
(Sie lächelt.)
DRITTE SZENE
MARKUS VON EICHENDORF
Macht mein Tom Fortschritte im Lernen?
MAYER
Er will nicht lesen und will nicht schreiben. Er will nur Videos schauen von japanischen Comics.
MARKUS VON EICHENDORF
Ja, er ist faul und dumm! Ich mache mir große Sorgen um ihn, er wird wohl ein Lehrling oder ein Arbeitsloser werden. Nicht mein Sohn.
MAYER
Auch wird mein Portemonnaie immer lehrer.
MARKUS VON EICHENDORF
Wieso? Bettelt er etwa bei dir?
MAYER
Milka war die Großmutter Rebekkas. Jeden Tag will Tom eine Tafel Schokolade.
MARKUS VON EICHENDORF
Und wird immer dicker. Was will er noch?
MAYER
Die neusten japanischen Sammelkarten für teures Geld. Sein Zimmer quillt schon über von Karten.
MARKUS VON EICHENDORF
Was sind denn das für Karten?
MAYER
Spielkarten mit schriftlichen Anweisungen, wie sie im Kartenspiel einzusetzen sind. Da Tom aber nicht liest, bewundert er nur die Bilder.
MARKUS VON EICHENDORF
Schöne Bilder?
MAYER
Wie mans nimmt. Kami, die schintoistische Liebesgöttin im Bikini, mit schlanker Taille und großen Brüsten, ist schön, ich habe mich schon in die Gottheit verliebt.
MARKUS VON EICHENDORF
Schweinkram!
MAYER
Dann gibt es da göttliche Kaiser und Drachen.
MARKUS VON EICHENDORF
Satan!
MAYER
Da gibt es den großen roten feuerspeienden Drachen mit zweitausendfacher Energie und den außerordentlich schrecklichen roten Drachen mit dreitausendfacher Energie.
MARKUS VON EICHENDORF
Lass alle Hoffnung fahren. Mayer, du kannst nichts dafür. Ich habe etwas Neues mit dir vor. Ein neues Projekt für meinen verehrten Philosophenfreund.
MAYER
Ich bin zu jeder Schandtat bereit.
MARKUS VON EICHENDORF
Du sollst meiner Tochter Valea das Christentum beibringen.
MAYER
Ist sie getauft?
MARKUS VON EICHENDORF
Natürlich nicht. Ich bin Wiedertäufer.
MAYER
Nun, die schöne Amazone gefällt mir.
MARKUS VON EICHENDORF
Aber verlieb dich nicht in sie! Sie ist meines Herzens Augapfel, oder wie die Bibel sagt, der Stern meines Auges. Wenn ein Mann ihr zu nah kommt, bring ich den Burschen um! Verehren darfst du sie, aber nur plutonisch.
MAYER
Plutonisch?
MARKUS VON EICHENDORF
Platonisch. Freud‘sche Fehlleistung.
MAYER
Was weißt du von Platon?
MARKUS VON EICHENDORF
Der Leib ist der Kerker der Seele. Das ist unbiblisch. Damit hab ich den ganzen Platon abgetan.
MAYER
Du bist ein weiser Mann.
MARKUS VON EICHENDORF
Ich bin nicht weise. Aber ich weiß, dass Nietzsche gesagt hat, Gott sei tot. Damit hab ich auch den ganzen Nietzsche abgetan. Irgendjemand schrieb einmal: Gott ist tot, sagt Nietzsche. Ein anderer schrieb darunter: Nietzsche ist tot, spricht der Herr. Und ein dritter schrieb darunter: Dubidu, singt Frank Sinatra. Das ist meine Philosophiegeschichte.
VIERTE SZENE
(Martinus von Eichendorf belauscht folgendes Gespräch heimlich.)
VALEA
Ach, Geliebter, ich bin unglücklich!
MILAN
Was ist mit dir, du junges blondes Geschöpf?
VALEA
Mein Hund Sokrates ist tot! Ach, tot ist mein Hund Sokrates!
MILAN
Er war doch nicht krank.
VALEA
Nein, totgebissen von dem Kampfhund Luther!
MILAN
Nun ist die Seele des Sokrates auf dem Sirius, dem Hundsstern, wo immer Sommer ist.
VALEA
Ja, und er hat ein goldenes Fell.
MILAN
O Tod! O Gott, nimm mir alles, nur nicht diese scharlachrote Rose zum Atmen!
VALEA
Mich?
MILAN
Mein Leben, meine Seele, mein Atem!
VALEA
Wir sind zwei Adler!
MILAN
Ja, und ob auch die Hühner noch so laut gackern.
VALEA
Ach, ich liebe dich1 Hörst du? Ich liebe dich!
MILAN
Und ich liebe dich noch viel mehr.
VALEA
Aber ich muss dir eine Hiobsbotschaft bringen, dir und mir: Mein Vater, dein Onkel Markus, wird von Bremen wegziehen, er wird Professor in Tübingen, ich und Tom müssen mit.
MILAN
Oh nein!
VALEA
Wir werden uns wiedersehen! Ich verspreche es dir, und beim Wiedersehen gebe ich dir einen Kuss!
MILAN
In Ewigkeit vergiss das nicht. Du hast es versprochen!
VALEA
Ich in Tübingen, du in Bremen, wir werden uns auf dem Mond begegnen. Immer wenn du den Mond siehst, denk an mich, und ich denke dann an dich.
MILAN
Ich muss Bremen auch verlassen. Mein Vater, dein Onkel Martinus, wird Professor in Berlin. Ich muss mit. Ich werde meine Schule beenden und dann Psychologie in Berlin studieren.
VALEA
Ich will Tierärztin werden, aber ach, ich kann kein Blut sehen.
MILAN
Du Königin meines Blutes!
VALEA
Du Gott meines Blutes! Ich bleibe dir treu! Liebe du mich nur, wie Werther seine Lotte liebte!
MILAN
Wer, wenn nicht ich? Ich bleibe dir treu! Auf Wiedersehen auf dem Mond!
FÜNFTE SZENE
MARTINUS VON EICHENDORF
Susanna, Darling, ich muss dir berichten, was ich gehört habe, als ich unsern Liebling Milan belauscht habe, wie er mit unserer Nichte Valea Süßholz geraspelt hat. Komm, Susanna, die Frauen sollen schweigen in der Gemeinde, aber nicht unterlassen, ihrem Herrn Gemahl den Rücken zu streicheln. Ich erzähle, du streichelst. Nein, Milan, das ist Jugendtorheit! Die ewige Liebe dauert höchstens drei Monate. Und ein Kuss ist keine Kommunion von Engeln, sondern eine Neuro-Transmitter-Ausschüttung. Ich muss ihm hier das Herz brechen. Überhaupt ist der Mensch ein Sünder durch und durch, und darum muss der christliche Hausvater seinem Sohn die Persönlichkeit brechen. Nun, wir
ziehen nach Berlin, Markus zieht nach Tübingen. Und Kinder und Jugendliche sind vergesslich. Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine Zeit lang mag ein Romanleser denken, seine Geliebte sei das Gesicht im Mond. Aber kommt der Jüngling erst einmal in Berlin an die Universität, da werden schon ganz reale Frauenschönheiten seinen Sinn zur Wirklichkeit bekehren. Von Rosen kann man keine Zukunft erwarten. Er wird Psychologie studieren, da gibt es viele Studentinnen im besten Alter. Nein, ich werde dafür sorgen, dass er Valea vergisst. Und wenn ich ihm dazu das Herz brechen muss, später wird er es mir danken. Danke, Susanna, nun streichle mir bitte die Füße. Ich freu mich aufs Frühstück morgen früh, da esse ich Toast mit Orangenmarmelade und du brühst mir einen Kaffee aus frisch gemahlenen Bohnen. Wenn ich sterbe, soll man meine Asche in der Nordsee verstreuen, alle sollen sich dann in Ostfriesland treffen und Osfriesentee trinken. Im Himmel gibt es dann Rotwein, von dem ich keine Eiterbeulen kriege. Ich bin ein wiedergeborener Bibeltreuer mit Heilsgewissheit. Susanna, die Liebe eines Mannes geht durch den Magen, die Liebe einer Frau geht durch die Ohrläppchen. Aber auch deine Liebe geht durch den Magen. Wenn wir wie Seraphim in unserer Todesstunde, ohne ins Gericht zu kommen, in den Himmel der Himmel fliegen, Susanna, dann nehmen wir Messer und Gabel mit. Ich bin Vegetarier, aber im Himmel gibt es Pekingente oder Rehrücken, ohne dass ein Tier dafür leiden muss. Unser Herr Jesus sagt, im Himmel gibt es keine Ehe. Es gibt im Himmel nämlich Gruppensex.
(Susanna schaut ihn aus verliebten Augen an.)
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
(Tübingen.)
MAYER
Nun leb ich hier im Elfenbeinturm von Tübingen, ein stiller christlicher Gelehrte. Nun sitze ich hier und denke dem Traume nach. Anfeindung selbst im Haus meines Gottes. Der Geistesmann ist ein Narr und der Prophet ist wahnsinnig. Und warum? Weil ich ein junges Mädchen liebe. Ich liebte schon immer junge Mädchen, aber früher fiel es nicht auf, da war ich selber jung. Ach Valea! Warum muss aus der Liebe, der Liebe, dieser Himmelsmacht, solch eine Höllenqual werden? You are the queen of my flesh! Ich liebte einmal ein Mädchen, die war aus Traum und Wolke, reiner Geist, nicht inkarniert, ich liebte einmal ein Mädchen, die war die Wonne der körperlichen Liebe, Herrin der Lust. Aber Valea, Valea ist vollkommen, Geist und Materie, Menschentochter und Göttin, der Geist eines Engels in dem Körper einer Venus! Wenn ich ein Maler wäre wie Botticelli, ich würde Valea zum Künstlermodell wählen, ich würde sie malen als Venus auf der Muschel, als Madonna mit Granatapfel, als Veritas Nuda vor Gericht. Ach weh mir, aber sie liebt mich nicht! Oh Mann, ich bin scharf auf sie und will ihr an die Wäsche, aber sie sagt: Ich habe an dir kein Interesse! Eros, Eros, du heilloses Vieh! Du hast den Pfeil mit der Honigspitze in mein Herz gebohrt, es verblutet, aber mit dem Pfeil mit der Bleispitze hast du Valeas Herz geschlagen. An meiner Wiege schon stand als mein Pate und Gottvater Eros, aber Anteros war nicht da! Ich ewig Liebender, ewig Ungeliebter! Valea ist aber auch vollkommen! Jede Nacht träume ich von einer schlanken jungen Göttin mit goldblonden Locken, und wenn ich erwache, seufze ich nach Valea. Valea muss kommen! Meine Schutzfrau! Sie muss mich bergen in dem Schutzmantel ihrer goldenen Locken! Meine Göttin und Schutzfrau, schütze mich vor dem Zorn Gottes, der wie Hagel auf mich niederfällt! Ach wärst du tot, dann könnte ich zu dir beten! Anbetungswürdige! Ja, der alte Pietist Markus schimpft immer, die Katholiken beten die Madonna an, aber er weiß nicht, dass ich seine Tochter anbete! Valea, Valea, höre mich, erhöre mich, erbarme dich und gib mir deinen Frieden! All ihr Heiligen! Führt Valea zu mir! All ihr Heiligen, helft, Valea muss kommen!
(Es klopft.)
Ja?
(Valea tritt herein.)
VALEA
Mayer, du kannst doch griechisch.
MAYER
Du duzt mich?
VALEA
Ja.
MAYER
Das ist gut, ich bin ja im Herzen jung geblieben. Manchmal fühle ich mich zwar wie ein neunzigjähriger Weiser, aber manchmal auch wie ein blonder Knabe von vier Jahren. Nimm mich an als dein Kind!
VALEA
Ach, Mayer… Nein, hör mal, wir hatten im Religionsunterricht in der Schule eine heftige Diskussion darüber, ob Kecharitomene Begnadete oder Gnadenvolle heißt?
MAYER
Die definitive Übersetzung ist gratia plena. Apropos gratia: Du bist aber auch durch und durch eine Grazie. Immer wenn ich eine junge Grazie auf Erden sehe, ist mir, als öffne sich der Himmel und eine neue Gnade Gottes steige zu mir herab. Gratia plena, Valea, wenn ich dich sehe, sehe ich die Madonna! Bist du auch eine Virgo intacta?
VALEA
Was gehts dich an?
MAYER
Ich kann nur eine Virgo intacta lieben! Und wie im Paradies muss sie jeder Morgen wieder eine Virgo intacta sein! O du mein Paradiesmädchen!
VALEA
Danke, ich fühle mich geschmeichelt. Du sagst aber auch immer so nette Sachen.
MAYER
Ich beichte: Ein Gott in drei Personen von Vater und Sohn und Geist, das hab ich nie begriffen. Für mich gibt es nur einen Gott Jehova. Aber nun sehe ich dich und sehe in Einer Göttin die drei Grazien vereinigt!
VALEA
Glaubst du nicht an den süßen Namen Jesus, wie Papa? Warum gehst du nie mit uns in die Gemeinde?
MAYER
Ach Valea, ich bin ja krank vor Liebe! Nimm mich doch einmal in die Arme! Und wenn es nur aus Mitleid ist! Gegen die Krankheit Liebe ist kein Kraut gewachsen.
(Valea nimmt ihn in die Arme.)
VALEA
So?
MAYER
Ach, ich bin im Himmel, wenn du lächelst, und in der Hölle, wenn du dich abwendest. Was soll mir der Himmel der Pietisten? Ich ruhe in deinen Armen ja lebend schon selig im Himmel! Hhm, deine entblößte Schulter ist aber auch so appetitlich! Deine Schulter ist eine elfenbeinerne Delphin-Schulter!
(Er küsst ihre entblößte Schulter.)
VALEA
Lass das! Wenn uns jemand sieht!
(Valea geht fort.)
MAYER
Ein jeder Engel ist schrecklich! Und wir bewundern die Schönheit eines Engels nur darum so sehr, weil er es gelassen verschmäht, uns zu vernichten!
ZWEITE SZENE
(Berlin.)
MILAN
Nun, Studienfreund, wie gefällt dir unser Psychologie-Seminar?
DOMINIK
Allerbest! Weiber Erster Klasse!
MILAN
Ja, ich hörte auch vom Ewigweiblichen, das uns hinan zieht…
DOMINIK
Und ewig lockt das Weib… Was schreibst du?
MILAN
Über die Gestalt der Anima in der Tiefenpsychologie des C. G. Jung.
DOMINIK
Das kenn ich noch aus meiner verfluchten katholischen Kindheit: Magnificat Anima mea dominum…
MILAN
Die Anima ist das Unbewusste im Manne und zwar in Gestalt des Weibes, die sich besonders in Träumen zeigt.
DOMINIK
Da solltest du mal meine feuchten Träume träumen von Weibern weich, warm und willig…
MILAN
Der Mann hat eine Innere Frau, die er in seiner Jugend nach außen projiziert auf die Freundin, die er liebt.
DOMINIK
Innere Frau… weibischer Kram…
MILAN
Der Mann kann geradezu besessen sein und verfallen sein an seine Anima!…
DOMINIK
Ja, ja, cherchez la femme, la femme fatale…
MILAN
Später muss der Mann damit aufhören, seine Anima auf andere Frauen zu projizieren, er wendet sich ins Innere und liebt seine Innere Frau. Gesichtswerk ist nun getan, Mann, tue nun Herzwerk!
DOMINIK
Mir ist diese gewisse Dame, von der du redest, noch nicht begegnet... Brünett oder blond?
MILAN
Mal ist sie Hure, mal ist sie Göttin, mal ist sie Jungfrau, mal ist sie Hexe, mal ist sie Diana, mal ist sie Maria…
DOMINIK
Nein, komm mir nicht mit Maria! Diese Abgöttin der Hure Babylon!… Apropos Huren… Ich meinerseits schreibe über die Libido bei Freud und den Sexualkommunismus bei Wilhelm Reich.
MILAN
Referiere mir die Philosophie der Venus!
DOMINIK
Alles ist Libido! Das Leben ist ein gigantischer Liebes- und Lusttrieb! Im Traum sind Grotte, Höhle, Vase, Kelch, Schatulle, alles der Schoß des Weibes! Schoosz ist Alles! Alles ist weiblich, von den Hündinnen über die Huren bist zu den Göttinnen! Der Mann liebt zwei Frauen: die Heilige und die Hure, aber die zwei Frauen sind eins: die Göttin ist die Heilige Hure des Himmels! Die Naturphilosophie spricht vom Zentralfeuer des Universums, die Katholiken nennen es das Herz Jesu, ich aber sehe im Zentrum des Universums die Vulva der Göttin! Aber grau ist alle Theorie und grün des Lebens Baum. Mein lieber Milan, um dich von deiner Königin der Halluzinationen zu erlösen, folge meinem Beispiel: Wir gehen zum Kurfürstendamm und besuchen die Huren im Bordell, das sind die antiken Priesterinnen der Aphrodite! Das ist Gottesdienst nach meinem Geschmack! Komm!
MILAN:
Da geh du allein, mir ist käufliche Liebe keinen Cent wert.
DRITTE SZENE
(Tübingen)
MAYER
Mein Portemonnaie wird immer leerer. Die Bibel sagt: Und was sie verdienen, das legen sie alles in einen löchrigen Beutel. Wie wahr! Solch ein Mädchen muss man haben und ein Bettler sein wie ich! Was tut man nicht alles für eine Schöne: Da müssen die besten Zuckerbäckereien her und Einladungen zum Essen im feinen Restaurant und Kettchen und Ohrringe und Armbänder, eine neue Satteldecke für ihr Pferd, Einladungen in Konzerte, Drinks zum Tanz, womöglich wird eine Reise in die Toskana gewünscht, das alles will finanziert sein. Ach, wer kennt nicht das Geschlechtsteil des Geldes! Geld macht erotisch! Der Mann sieht der Frau auf den Hintern, ob er gut geformt und ob gebärfreudig ihr Becken, die Frau sieht dem Mann auf den Hintern, ob auch ein dickes Portemonnaie in der Gesäßtasche steckt. Da muss man ganz realistisch sein. All die Romantik der Dichter ist nur ein ideologischer Überbau, die Basis ist beim Mann der Sex und bei der Frau das Geld. Alle Weiber sind käuflich!
(Draußen kräht zweimal der Hahn.)
Aber was rede ich? Ich rede mich ja selbst um Kopf und Kragen! Liebste Valea! Die Iris-Blume im Garten ist die Blume der heimlichen Liebe. Ihr Kelch ist violett und gelb und süßer Honig ist im Schoß. Meine heimlich Angebetete! Das soll keiner wissen, wie wir uns lieben! Alle würden sagen, Valea ist zu jung! Aber eine Frau ist mit fünfzehn Jahren heiratsfähig. Die Jungfrau Maria wurde gar mit vierzehn Jahren schwanger… allerdings vom Heiligen Geist… Aber ich bin ja auch ein heiliger Geist, ich bin ein stabiler Genius! Oh wie du mich umarmst, wenn keiner uns sieht! Und was weiter… ein Gentleman genießt und schweigt… Komm, Valea, komm! All ihr Heiligen, bringt das Schönheitswunder zu mir! Ich verzehre mich vor Sehnsucht!
(Valea tritt ein.)
VALEA
Geliebter, ich fühle mich krank und elend!
MAYER
Was ist mit dir, mein Engel?
VALEA
Ich bin krank vor Liebe!
MAYER
Die Krankheit Liebe ist unheilbar!
VALEA
Mir ist, ich weiß nicht wie? Ich bin der Ohnmacht nahe!
MAYER
O stirb, Geliebte, dann darf ich zu dir beten!
VALEA
Was für eine Liebeserklärung…
MAYER
Komm und liebe mich!
VALEA
Sei du mein Werther, ich will deine Lotte sein!
MAYER
Ich liebe dich wie ein Besessener… aber ich bringe mich nicht für dich um…
VALEA
Oh…
(Sie fällt in Ohnmacht.)
VIERTE SZENE
(Markus von Eichendorf in seinem Büro am Computer.)
MARKUS VON EICHENDORF
O mein liebster Herr Jesu, ich stehe um sechs Uhr in der Frühe auf, mich zu duschen, den Kindern das Frühstück zu bereiten, dann fahre ich ins Büro und schufte am Computer bis zum Mittag. Ich esse dann ein Glas saure Gurken und trinke eine Tasse Ingwer-Tee, denn ich muss abnehmen. Dann schufte ich wieder bis abends um acht. Völlig erschöpft fahre ich nach Hause. Dort begegne ich dem Chaos im Haushalt, weil meine Putzfrau Eva wieder so faul war, weil Tom nie sein Zimmer aufräumt. Ich habe gerade Zeit, mir ein Graubrot mit Käse zu schmieren, dann versinke ich völlig erschöpft vor dem Fernseher und schaue irgendeinen amerikanischen Film, bis ich todmüde um Mitternacht schlafen gehe, um am nächsten Tag wieder um sechs Uhr aufzustehen. Und wofür das alles? Ich muss Geld verdienen! Nun ist auch noch Valea krank! Was hat sie nur? Ich muss sie ins Hospital Pius des Zwölften bringen. Wenn es auch ein katholisches Krankenhaus ist und dazu benannt nach diesem Nazi-Papst! Aber Valea muss wieder gesund werden, koste es, was es wolle. Ich muss nun noch einige Telefon-Konferenzen abhalten, mein liebster Herr Jesu, ich habe leider keine Zeit mehr für dich. Wenn nur Valea nicht schwanger ist! Aber dann muss sie abtreiben. Ist ja nur ein Zellhaufen, der Embryo. Ist ja nichts anderes, als wenn ich mir die Fingernägel schneide. Oder verbietet der Papst etwa, sich die Haare zu schneiden? Zuzutrauen wäre es ihm. Dieser Rattenschwanz des Antichristen! In Jesu Namen, Amen.
FÜNFTE SZENE
(Berlin, Dominik und sein Studienfreund Finkenburg)
DOMINIK
Ich hatte mein Konto bei der Sparkasse um 5000 Euro überzogen. Mach nur Schulden, das ist des deutschen Studenten Recht.
FINKENBURG
Es ist was Herrliches um einen deutschen Professor.
DOMINIK
Ja, wir sind schon germanisch, tragisch, faustisch.
FINKENBURG
Deutschland, Deutschland über alles! Vom Nordkap bis zu den Dolomiten!
DOMINIK
Milan hat meine Schulden bezahlt.
FINKENBURG
Wir alle haben ihn lieb, den blonden Germania-Engel!
DOMINIK
Aber dafür sitzt er nun im Gefängnis.
FINKENBURG
Nun, das Dach des Gefängnisses wird sich öffnen und die Göttin der Freiheit erscheint ihm als verklärte Valea!
DOMINIK
Mein Vater Eberhard rückt kein Geld raus. Der Geizhals! Leck er mich doch am Arsch mit seinem Geld!
FINKENBURG
Was tun? wie Lenin sagt.
DOMINIK
Ich häng mich auf!
FINKENBURG
Wie Judas, der geldgierige Jude? Das ist unehrenhaft!
DOMINIK
Nun gut, dann fliehe ich aus Deutschland.
FINKENBURG
Ich erköre mir kein andres Land! Wenn nur nicht die vielen Türken wären! Wo willst du hin?
DOMINIK
Nach Sofia in Bulgarien!
FINKENBURG
Warum Sofia?
DOMINIK
Ich war dort mal im Urlaub: die Nutten von Sofia sind perfekte Schönheiten!
FINKENBURG
Aber das deutsche Weib!
DRITTER AKT
ERSTE SZENE
(Susanna von Eichendorf zu Besuch bei Markus von Eichendorf, ihrem Schwager. Sie überreicht ihm einen Brief.)
MARKUS VON EICHENDORF
So so, Valea hat ihrer Tante Susanna geschrieben und ihr eine schwüle Jungmädchenbeichte abgelegt? Sie hätte bei mir beichten sollen, denn da kenne ich keine Gnade! Valea, meine Valea! Ein Verhältnis! Und dazu mit diesem ewigen Studenten Mayer, dem Wodkasäufer! Meine unschuldige Blume, die ich bewahren wollte vor Bienen und Schmetterlingen! Mein Engel der Sittsamkeit hinabgezogen in die Gosse des Obszönen! Und dazu noch schwanger! Nun, der Zellhaufen wird abgetrieben! Wenn ich den Mayer in die Finger kriege! Ich hielt ihn für meinen Freund, nannte ihn vertrauten Hausfreund, hielt ihn für meinen besten Freund, und er? Er macht sich an meine minderjährige Tochter ran! Der geile Bock! Der stürzt sich auf jedes Röckchen, das nicht bei drei auf dem Baume ist! Das Ewigweibliche zieht uns hinan, ha! Wohl eher: Und ewig lockt das Weib! Den schnapp ich mir! Und sie bekommt Hausarrest! Hat sie ein Tagebuch geschrieben? Hat er ihr in ein Poesiealbum Freimaurer-Verse von Goethe geschmiert? O Herr, Sodom und Gomorrha! Und ich der einzig Gerechte, ich Loth! Und du, Schwägerin, stehst da wie eine Salzsäule! Wie ein stummes Götzenbild! Ich rase, ich tobe, das ist Gift für meinen cholerischen Humor! Das bringt meine Galle zum Kochen! Mir wird grün und gelb vor Augen! Ich eifere mit dem heiligen Zorn Gottes! Meine Tochter, die Hure Babylon! Nein, Kot und Kotze! Ich werfe die Erde in den Abfalleimer des Universums!
(Markus nimmt einen Stuhl und zertrümmert ihn auf dem Boden. Susanna fällt in Ohnmacht.)
ZWEITE SZENE
(Tübingen, katholisches Pfarrhaus.)
MAYER
Ich suche Zuflucht bei Jesus, beim christlichen Glauben und der katholischen Kirche.
PFARRER BERNHARD
Heute konvertiert man nicht mehr. Jeder soll nach seiner Facon selig werden.
MAYER
Ich werde verfolgt von einem Pietisten. Er will mich umbringen, weil ich seine Tochter liebe.
PFARRER BERNHARD
Nun, Sie haben natürlich auch Ihre Sexualität. Sie können Ihre Leidenschaft natürlich so oft wie möglich in dem Schrank verstecken, sie kommt doch immer wieder hervor.
MAYER
Wie lebt man denn seine Sexualität keusch?
PFARRER BERNHARD
Es ist nicht richtig, die Masturbation Onanie zu nennen, denn Onan wollte seine Pflicht nicht erfüllen, seiner Schwägerin ein Kind zu machen. Es ist ganz in Ordnung, wenn Priester masturbieren. Nur was angenommen wird, kann auch verwandelt werden, sagt Sigmund Freud.
MAYER
Und ein Kaplan triebs mit einer Ministrantin und sagte: Das ist mein Leib, für dich dahingegeben…
PFARRER BERNHARD
Wir sollen nicht richten über Priester, die Kinder missbrauchen. Auch sie brauchen unsere Barmherzigkeit.
MAYER
Ich denke über die Kirchenväter und die Scholastiker nach.
PFARRER BERNHARD
Übertreiben Sie es nicht. Beten Sie nicht das Stundengebet und den Rosenkranz!
MAYER
Was würden Sie mir denn empfehlen?
PFARRER BERNHARD
Beschäftigen Sie sich mit Tiefenpsychologie und Zen-Buddhismus.
MAYER
Aber das ist Heidentum.
PFARRER BERNHARD
Heidentum, junger Mann? Wir missionieren keine Heiden mehr, wir führen Dialog mit ihnen. Alle Religionen suchen Gott. Gott ist der Gott aller Religionen. Der Hindu sei ein guter Hindu, der Moslem ein guter Moslem, der Christ ein guter Christ.
MAYER
Wollen Sie nicht Du zu mir sagen?
PFARRER BERNHARD
Nein, das ist Pietismus! Sie suchen pietistische Frömmigkeit, das werden Sie bei unserer Truppe nicht finden.
MAYER
Ich interessiere mich für die Philosophie des Origenes.
PFARRER BERNHARD
Nun, ich musste mich im Studium auch mit Philosophie beschäftigen, das ist mir sehr schwer gefallen. Aber wenn Sie wollen, viel Spaß damit. Übrigens, Origenes kenne ich nicht.
MAYER
Und Abälard?
PFARRER BERNHARD
Ich habe noch keinen Menschen kennen gelernt, der durch das Studium der Philosophie glücklich geworden ist. Nein, gehen Sie in die Politik!
MAYER
Ich danke für das Gespräch. Vergelts Gott.
PFARRER BERNHARD
Führti!
DRITTE SZENE
(Tübingen, Markus von Eichendorf. Er kneift ganz doll die Augen zu und betet.)
Vadder! Valea ist spurlos aus Tübingen abgehauen! Das Schneewittchen, das Flittchen, will wohl ein Straßenkind und eine läufige Hündin werden! Oh, ich bin voll Gottes heiligem Zorn! Der Satansbraten! Die ungetaufte Heidin! Keinen Funken Glauben an Jesus im Leib, Jesus, unseren ganz persönlichen Retter. Nein, nur Hunde und Pferde im Sinn! Will Tierärztin werden und kann kein Blut sehen, ha! Ach, wenn ich doch eine hässliche fromme Betschwester zur Tochter hätte, im grauen Sack, mit Halleluja-Zwiebel auf dem Kopf, nach der keiner auf der Straße sich umdreht! So müssen Pietistinnen sein! Pietismus kommt von Pietas und heißt Pietät, nämlich die Ehrfurcht der Kinder vor dem großen Vater! Aber nein, ich habe eine kokette Schönheit zur Tochter bekommen! Nein, ich bin nicht dein Vater, deine Mutter hat dich mir untergeschoben, ein Kuckucksei in mein Amselnest gelegt! Was Kuckuck! Ein Paradiesvogel! Mir ist zum Fluchen zumute! Na gut, dann fluche ich eben, ich kann ja hinterher den Herrn um Verzeihung bitten. Also sei verflucht, du Satansbraten, du Hündin! Mögest du umherirren durch das gottlose Deutschland und leben wie eine gottlose Neuheidin! Der Herr schelte dich, du Satansbraten, du Tochter des Teufels! Blind sollen alle werden, dich dich anstarren mit lüsternen Blicken! Deine langen goldenen Locken sollen dir ausfallen! Deine Kettchen und Armbänder und Fingerringe und Ohrringe sollen dir ausgerissen werden! Der Herr lege dir einen Ring in die Nase und zerre dich wie eine störrische Eselin nach Hause! Gerecht ist mein Zorn, denn zornig ist der Vater aller Vaterschaft, und ich bin der Vater, das Abbild des Vaters im Himmel, ich bin der Pater familiaris, ein kleiner Gott auf Erden! In Jesu Namen, Amen.
VIERTER AKT
ERSTE SZENE
(Tübingen, ein Jahr später.)
MARKUS VON EICHENDORF
Ein Jahr lang hab ich nichts gehört von Valea! Und sie war doch mein Augenstern! Von welcher Höhe bist du gefallen, du strahlender Morgenstern! Du warst wie ein Engel in Eden, wie eine schlanke Zypresse im Garten Gottes, geschmückt mit Jade und Jaspis, Sarder und Saphir und Smaragd, aber nun Kot statt Schönheit! Nun irrst du umher wie ein Blumenmädchen im roten Staub der Erde! Da fällt mir Jesus Sirach ein: Besser kinderlos sterben als gottlose Kinder zu haben! Der verfluchte Jesus Sirach, den das Konzil von Trient der Bibel untergeschoben hat, ein guter Christ liest so was nicht. Ja, besser sterben! Wir müssen eben alle sterben, aber lasst uns sterben wie Männer! Nur die Harten kommen in den Garten! Wer den Strohtod im Bett stirbt, kommt nicht nach Walhalla, den verschmähen die Walkyren! Märtyrer werden! Sterben für den Herrn Jesus! Auf in den syrischen Bürgerkrieg! Nieder mit den muslimischen Feinden! Mit dem Maschinengewehr die Christen befreien! Ich hasse die Feinde Christi! Die ganze Welt ist ein Haus des Krieges, nur wo Jesus herrscht, ist das Haus des Friedens! Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert, sagt der Herr Jesus. Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wollte ich, es brennte schon! Die Lehre des Evangeliums ist eine geistige Atombombe! Auf nach Megiddo, zur Schlacht von Harmageddon! Wenn ich sterbe im Heiligen Krieg gegen die bösen Muslime, dann werde ich sterbend wie Simson noch dreitausend Muslime mit in den Tod reißen! Das sind die einzigen Heiligen, die ich anerkenne, die Märtyrer, und alle Muslime kommen in die Hölle, denn der Herr Jesus sagt: Niemand kommt zum Vater, denn durch mich! Ich aber bin bekehrt und wiedergeboren, ich habe Heilsgewissheit! Jetzt komme, Feuer!
(es klopft an die Tür.)
ZWEITE SZENE
(Es treten Martinus von Eichelberg und seine Frau Susanna ein.)
MARTINUS VON EICHENDORF
Bruder! Bruder des Blutes und Bruder in Christo! Lange haben wir uns nicht gesehen, lass dich umarmen! Grüßt einander mit dem heiligen Kuss, wie der Apostel sagt. Wir haben schon gefrühstückt, Toast mit englischer Kirschmarmelade und frisch gebrühten Kaffee aus Guatemala. Nun erzähle doch einmal, wie geht es deinen Kindern? Was macht Tom? Was macht Valea?
MARKUS VON EICHENDORF
Susanna, immer noch die makellose Schönheit.
(Sie lächelt und reicht ihm die Hand.)
Nun, Tom ist Handwerker geworden. Aber Valea ist verschwunden, ich weiß nicht, wo sich das Flittchen Schneewittchen herumtreibt.
MARTINUS VON EICHENDORF
Ach Bruder! Mein Milan war im Gefängnis, und ich hörte, er ist geflohen. Ich weiß auch nicht, wo er steckt. Er schreibt ja nicht einmal eine Karte. Das hat man nun von all seiner vergeblichen Liebesmüh.
MARKUS VON EICHENDORF
Unser Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste. Unsere alte schlesische Familie ist zerrüttet. Valea hurt sich irgendwo durch die Lande als stadtbekannte Dirne und Milan ist ein Satansbraten!
MARTINUS VON EICHENDORF
Woher sie das nur haben? Wir stammen ab von einem alten schlesischen Geschlecht, ich kann unsere Ahnentafel bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Es waren alles gottesfürchtige Protestanten, manch ein pietistischer Prediger darunter. Ich habe meine Gene analysieren lassen, ich habe polnisches Blut in mir.
MARKUS VON EICHENDORF
So sind wir Polacken? Aber doch keine Katholen?
MARTINUS VON EICHENDORF
Nein, ich habe sogar Gene von Martin Luther in mir.
MARKUS EICHENDORF
Da stand er und konnte nicht anders.
MARTINUS VON EICHENDORF
Und warf sein Tintenfass dem Teufel an den Kopf.
MARKUS EICHENDORF
Und hat als Erster die Bibel ins Deutsche übersetzt. Nur verstehe ich seine Bibel nicht, ich lese eine moderne Volksbibel.
MARTINUS VON EICHENDORF
Wir Dispensionalisten lesen auch nicht Luther, sondern nur Interlinearübersetzungen des Neuen Testaments.
MARKUS VON EICHENDORF
Du erbaust mich, Bruder. Wir Heiligen Jesu der Endzeit müssen doch zusammenhalten. Und wenn unsere Kinder dem Antichrist folgen, wir bleiben dem Herrn treu.
MARTINUS VON EICHENDORF
Wir wollen beten, dass unsere Kinder bei der Entrückung dabei sind, wenn der Herr Jesu seine Brautgemeinde auf den Wolken entrückt. Das ist die erste Auferstehung. Siehe Offenbarung 20. Dann kommt das Tausendjährige Reich.
MARKUS VON EICHENDORF
Nun zu etwas anderem. Was werden wir zu Mittag essen? Man sagt, bei den Männern geht die Liebe durch den Magen, bei den Frauen durchs Ohrläppchen.
MARTINUS VON EICHENDORF
Nicht so bei Susanna, auch bei ihr geht die Liebe durch den Magen.
MARKUS VON EICHENDORF
Es ist ja auch dem Herrn egal, Susanna, was du dir in den Mund stopfst, zumal du einen sehr schönen Mund hast.
(Susanna leckt sich in Vorfreude die Lippen.)
DRITTE SZENE
(In einem Wald in der Nähe von Tübingen, eine Waldhütte, darin die alte Hexe Traute lebt. Valea ist niedergekommen mit einem Knaben.)
TRAUTE
Wie der Papst sagt: Lasset die Kinderlein zu mir kommen… Hättest du doch abgetrieben!
VALEA
Wie kann man das, was Gott geschaffen hat, töten?
TRAUTE
Nun hab ich ein Bernstein-Halsband für dein Kind, das wird ihn schützen vor negativen Energien.
VALEA
So eine Art Rosenkranz um den Hals getragen? Aber mein Vater sagt, der Rosenkranz ist ein Plappern wie die Heiden.
TRAUTE
Dann werde ich natürlich deinem Kind das Horoskop erstellen.
VALEA
Ist das auch wissenschaftlich?
TRAUTE
Was Wissenschaft! Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit denken kann. Hier hab ich Kügelchen und zehntausendmal verdünnte Wässerchen und sublimierte Pflanzendüfte, die bringen die Energie in den Chakren zum Fließen.
VALEA
Ich will mein Kind taufen lassen.
TRAUTE
Was sagt dein Vater dazu?
VALEA
Er ist sicher dagegen, aber ich will es.
TRAUTE
Hebe dein Baby ins Sonnenlicht und taufe es mit Sonnenlicht. Die Sonne ist die Göttin Isis, nicht der Mond.
VALEA
Was geb ich ihm zu essen?
TRAUTE
Muttermilch.
VALEA
Und dann?
TRAUTE
Pastinake-Brei ist am besten. Möhren und Äpfel sind gut.
VALEA
Dürfen wir Fleisch essen?
TRAUTE
Auf keinen Fall! Das hieße, deine Großmutter aufzufressen. Tiere sind doch die höheren Menschen.
VALEA
Auch keinen Alkohol?
TRAUTE
Alkohol verschlechtert das Karma.
VALEA
Kannst du mein Baby segnen? Hast du Weihwasser?
TRAUTE
Weihwasser? Pfui, mein Kind! Aber sei gesegnet, Baby, im Namen des Luzifer und seiner Braut Lilith!
VALEA
Ach, ich muss meinem Vater sagen, dass ich geboren habe und ich und das Kind gesund sind. Hast du ein Telefon?
TRAUTE
Kein Telefon, das schafft Elektrosmog. Wenn du telefonieren willst, geh ins nächste Dorf zum Gasthof zum Schwan, da kannst du telefonieren. Metatron sei mit dir!
(Valea ab.)
VIERTE SZENE
(Katholische Kirche. Mayer als Küster putzt den Marienaltar. Auftritt Markus von Eichendorf mit Pistole in der Hand.)
MAYER
(singt)
Mariechen war ein Frauenzimmer…
MARKUS VON EICHENDORF
Da bist du Hund und putzt deiner Abgöttin Maria die Füße! Wo ist Valea?
MAYER
Maria ist eine Göttin, denn es steht geschrieben: Euch, an die das Wort Gottes erging, nenne ich Götter und Göttinnen.
MARKUS VON EICHENDORF
Bleib mir vom Leib mit deiner Artemis von Ephesos! Maria ist doch nur eine getaufte Fruchtbarkeitsgöttin!
MAYER
Du durchbohrst ihr Herz mit deiner Blasphemie und meins dazu!
MARKUS VON EICHENDORF
Blasphemisch ist eure Anbetung Mariens, der Sünderin!
MAYER
Sie ist makellos! Und wir verehren sie mit Hyperdulie!
MARKUS VON EICHENDORF
Ha! Die Unbefleckte Empfängnis wohl gar? Dieses Dogma ist einfach obszön!
MAYER
Die obszönen Weiber liebst du doch!
MARKUS VON EICHENDORF
Aber nicht Maria, die Hure Babylon!
MAYER
Sie ist die himmlische Jungfrau Jerusalem, unsre Mutter!
MARKUS VON EICHENDORF
Mutter? Es gibt keine Mutter im Christentum, da kannst du ja gleich Hindu werden! Es gibt nur den Vater und den Sohn!
MAYER
Du redest wie der Blinde vom Licht, und du willst ein Lehrer der Christenheit sein, du blinder Blindenführer?
MARKUS VON EICHENDORF
Blind, ja, denn ich sehe Valea nicht bei dir! Wo hast du sie hingebracht, du Verführer?
MAYER
Ach ich weiß ja selbst nicht, wo sie ist.
MARKUS VON EICHENDORF
Du hast meine Tochter verführt! Du hast die Jungfrau berührt und zu einer Dirne gemacht! Das sollst du büßen!
(Er schießt auf ihn. Mayer versteckt sich hinter der Madonna und wird so geschützt.)
Wenn ich dich noch einmal wiedersehe, du katholischer Hurenbock, geht es dir endgültig ans Leben! Wehe dir, wenn ich dich noch einmal in der Nähe meiner Tochter sehe!
(ab)
MAYER
Ich danke dir, Unsere Liebe Frau mit dem Unbefleckten Herzen! Eine Hand hat die Kugel auf mich abgefeuert, eine andere Hand hat sie an mir vorbei gelenkt, die Hand der Vorsehung, deine weiße Hand, Madonna! Ich werde dir Kugel in deine Krone einfügen, allerherrlichste Himmelskönigin!
FÜNFTE SZENE
(Valea an einem Waldteich.)
VALEA
Mich verdrießt es zu leben! Gott, ich bin nicht besser als mein Vater, so imm denn mein Leben von mir! Mein Vater hat mich nicht gefragt, als er mich vorehelich gezeugt hat, ob ich aus dem Himmel auf die Erde wolle, und meine Mutter hat mich nicht gefragt (Friede sei mit ihr), als sie mich vorehelich empfangen hat, ob ich in den Kerker meines Körpers eingesperrt werden wollte. Was Kerker der Seele? Sarg der Seele! Der Körper ist in der Jugend ein Schmuck, im Alter ein Kerker. Zweimal bin ich vom Himmel auf die Erde gefallen oder wie ein Fisch aus dem see geangelt und auf den Strand geworfen: einmal hab ich Milan geliebt wie einen jungen Gott, er war auch schön wie Apoll von Belverdere, aber mein Vater hat ihn mir genommen, und einmal hat mich Mayer angebetet als eine himmlische Göttin, aber mein Vater verfluchte mir den Mayer. Mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verraten und verleugnet? Ich bin nicht mehr meines Vaters Tochter! Ich bin nicht mehr Valea von Eichendorf, ich bin Valea Mayer! O Mayer, Mayer, wo bist du? Warum, warum hast du mich verlassen? Milan muss kommen, mein blonder Engel! Kann ich nicht zu Milan beten? Warum darf ich nicht zu Milan beten? Aber bevor mein Vater mich endgültig mit meiner Leibesfrucht in die Hölle des Pietismus verdammt, will ich lieber von eigenen Händen sterben!
(Sie bindet einen schweren Stein an ihre Beine.)
Gott, wenn mein Selbstmord eine Sünde ist, lass mich meine Sünde im Fegefeuer büßen, das ist mir lieber als diese Hölle auf Erden! Gott, ich komme zu dir und werfe mich in deine Barmherzigkeit hinein!
(Sie singt)
Tochter Zion, freue dich,
Jauchze laut, Jerusalem!
(Sie springt mit dem Stein ins Wasser. In dem Augenblick erscheint ihr Vater am Rand des Waldsees und zieht sie mit Kraft aus dem Wasser. Sie weint erschüttert und zittert am ganzen Leib.)
MARKUS VON EICHENDORF
Du, mein eigen Fleisch und Blut, wolltest dich selbst ermorden wie Judas Iskariot? Aber ich, dein Vater, Ebenbild des himmlischen Vaters, ich vergebe dir, ich erteile dir meine Generalabsolution!
SECHSTE SZENE
(Bulgarien, in Sofia, Milan und Dominik schlendern durch die Stadt.)
MILAN
Das ist also Sofia!
DOMINIK
Ja, und hier siehst du die Freudenmädchen, sie sitzen nur so da und zeigen ihre Schönheit. Mohammed hat sich das Paradies so gedacht.
MILAN
Und hier willst du bleiben?
DOMINIK
Sag meinen Freunden: Dominik fühlt sich so wohl in Sofia wie ein Fisch im Wasser.
MILAN
Aber wovon willst du leben?
DOMINIK
Von Lust und Liebe.
(Er macht die Finger-Geste der Feige)
Ich werde Louis-Bube. Du weißt doch noch, was Brecht dem Villon gestohlen hat: „In dem Bordell, wo unser Haushalt war...“ Ich werde mir zwei reinrassige Freudenmädchen zähmen, die werden dann für meinen Stall arbeiten. Nebenbei hab ich die Freude, dass in meinem Haus die Werke der Venus nie fehlen werden. Und du?
MILAN
Ich will weiter nach Japan.
DOMINIK
Japan! Was willst du bei den Japsen?
MILAN
Weißt du, mein Vater Martinus hat mir immer viel von der Kirche erzählt. Ich finde die Kirche langweilig. Aber ich suche auch die Göttlichkeit, nur eben auf meine Weise. Ich suche Kami.
DOMINIK
Wer zum Teufel ist das?
MILAN
Kami ist die Gottheit des Shintoismus. Ich las japanische Helden-Epen, in dem Buch sah ich ein Bild von Kami, und ich verliebte mich in Kami.
DOMINIK
Wie sah denn deine Gottheit aus? Wohl kein alter Mann mit grauem Bart?
MILAN
Kami ist jung und schlank, hat lange schwarze Haare, schwarze Augen, eine schlanke Nase, sinnliche Lippen, sie trägt einen schwarzen Bikini…
DOMINIK
Aah…
MILAN
Sie hat üppige weiße Brüste und eine sehr schmale Taille und lange Beine.
DOMINIK
Könnte mir auch gefallen. Und das ist die Gottheit der Japsen?
MILAN
Da gibt es auch noch Kwannon, die Mutter der Barmherzigkeit.
DOMINIK
Mutter… wenn ich das schon höre!
MILAN
Und der Kaiser ist wahrer Gott und wahrer Mensch.
DOMINIK
Wie, die haben immer noch einen Kaiser?
MILAN
Nachdem die Amerikaner die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten, verboten sie dem Kaiser, sich Gott zu nennen. Aber heimlich glauben wir immer noch, dass er ein Sohn Gottes ist.
DOMINIK
Und was willst du tun in Japan?
MILAN
Ich weiß nicht, entweder werde ich Samurai-Ritter oder ich werde ein Kung-Fu-Mönch oder ich gehe auf den Fujijama und dichte als Dichter zehntausend Haikus über die Kirschblüte oder ich trinke bei einer Geysha Tee, mal sehen.
DOMINIK
Haikus?
MILAN
Mein Onkel Markus sagt zwar, ein Haiku bringt auch ein Computer fertig, aber man muss sehr lange meditieren, um ein gutes Haiku zu schreiben.
DOMINIK
Na, du wirst deinen Weg schon finden. Aber schau mal da: Ein japanisches Restaurant! Wenn das kein Zeichen deiner Göttin ist! Da lass uns mal Sushi essen und heißen Sake trinken. Komm!
FÜNFTER AKT
ERSTE SZENE
(Die katholische Kirche, in der Mayer als Küster arbeitet. Auftritt der alten Hexe Traute mit einem Säugling auf den Armen, so tritt sie zu Mayer, der gerade das Baptisterium putzt.)
TRAUTE
Bist du der Mayer?
MAYER
Ich bins – leider.
TRAUTE
Ich bin Traute und bringe dir Valeas Kind.
MAYER
Wo ist Valea?
TRAUTE
Sie ist gegangen und nicht wiedergekommen.
MAYER
Und dies ist ihr Kind?
TRAUTE
Ja, und deins.
MAYER
Mother‘s baby – father‘s may-be.
TRAUTE
Schau es dir genau an.
MAYER
Es hat meine nordisch-blauen Augen.
TRAUTE
Und?
MAYER
Und meine Segelohren.
TRAUTE
Erkennst du es als dein Kind an?
MAYER
Ja.
TRAUTE
Und nun?
MAYER
Nun kommt die Nottaufe. Die Not ist groß, denn die ganze Familie besteht aus häretischen Wiedertäufern, Pietisten und Dispensationalisten und ähnlicher Torheit, da taufe ich kraft meiner Weihe an das Unbefleckte Herz dies mein Kind.
(Er öffnet das Taufbecken und lässt drei Tropfen Wasser auf den Kopf seines Kindes fallen.)
Ich taufe dich, mein Kind Raubebald-Eilebeute, auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. In deinem Namen widersage ich dem Satan und all seiner Wollust und verspreche, Jesus Christus nachzufolgen.
TRAUTE
Nun geh nach draußen und halte das Kind in die Sonne und taufe es noch mit dem Licht der Sonnengöttin.
MAYER
Geh, was bist du für eine Heidin!
TRAUTE
Was soll nun aus dem Kind werden?
MAYER
Bring es zu seiner Mutter. Ein Kind braucht eine Mutter.
TRAUTE
Nun gut. Ich hoffe, Valea tut sich nichts an.
(Traute ab mit dem Kind.)
ZWEITE SZENE
(In der Kirche, in der Sakristei, Pfarrer Bernhard und Mayer als Ministrant.)
MAYER
Ich habe mich kastriert, Herr Pfarrer.
PFARRER BERNHARD
Sehr gut, mein Sohn! Das heutige Evangelium passt dazu. Und meine Predigt wird dir Trost spenden, hör gut zu.
(Die Glocke läutet, sie ziehen in die Kirche ein, die Messe beginnt, die Kirche ist leer.)
Lesung aus dem Buch Genesis. „Und Onan ließ seinen Samen zur Erde fallen, und das missfiel dem Herrn, und er ließ ihn sterben.“ Lesung aus den Briefen des Apostels Paulus: „Pflegt eure Glieder nicht so, dass ihr geil werdet!“ Lesung aus dem heiligen Evangelium: „Und Jesus sprach: Einige sind Eunuchen von Geburt an, andere sind von den Menschen zu Eunuchen gemacht, und einige sind Eunuchen um des Himmelreichs willen.“ Wort des lebendigen Gottes. Amen. Liebe Brüder und Schwestern! Ihr wisst, dass die Quelle der göttlichen Offenbarung des wahren katholischen Glaubens nicht die Schrift allein ist, sondern auch die Tradition. Betrachten wir unser heutiges Evangelium und die Lesungen im Licht der Tradition! Es geht um Keuschheit. Keuschheit ist aber nicht möglich mit einem Glied, außer in der Ehe, dem heiligen Ehesakrament, denn der heilige Augustinus nennt die Ehe eine von Gott erlaubte Unzucht. Für alle andern gilt das Eunuchentum. Ihr wisst, eine gute katholische Predigt braucht drei Punkte. Ich werde also über drei Punkte sprechen: Origenes, Abälard und unsern Knabenchor. Erstens, Origenes. Origenes war ein Liebhaber der Bibel und ein platonischer Philosoph. Er erstellte ein Neues Testament, in dem er Übersetzungen in sechs Sprachen nebeneinander stellte. Besonders sprach ihn das Wort unseres heutigen Evangeliums an, und er nahm es buchstäblich und kastrierte sich. Zweitens, Abälard. Der große scholastische Philosoph und Aristoteles-Kommentator war Hauslehrer von Heloise, die er liebte. Heloises Onkel entdeckte das und überfiel den Abälard mit Heloises Brüdern des Nachts und schnitt ihm sein bestes Stück ab. Entmannt ging Abälard ins Kloster, Heloise ward Nonne, und ihre reine platonische Liebe ging in die Geschichte der Weltliteratur ein. Drittens, unser Knabenchor. Das Weib schweige in der Gemeinde, gebietet Paulus, darum singen bei uns nur Knaben. Da aber unsere heilige Mutter Kirche für ihre Chöre auch hohe Sopran-Stimmen braucht, kastriert sie unsere Knaben, denn die Kastraten haben Stimmen wie junge Mädchen. Wer sich allerdings nicht enthalten kann und nicht Eunuch fürs Himmelreich sein will, der heirate! Amen.
MAYER
(applaudiert)
Vergelts Gott, Herr Pfarrer.
DRITTE SZENE
(Mayer und die 24jährige Karina beim Pfarrer Bernhard in der Pfarrstube.)
MAYER
Herr Pfarrer, ich trat aus der Kirche und hatte eine Vision: Ich sah in einer goldenen Wolke die herrliche Göttin Aphrodite erscheinen, und an ihrer Hand führte die Göttin diese junge Frau Karina, die Priesterin der Aphrodite! Da beschloss ich sie zu heiraten.
PFARRER BERNHARD
Gott schuf den Menschen, als Mann und Frau schuf er sie. Er sagte: Es ist nicht gut, dass der Mann allein sei. Er sagte zum Paar: Seid fruchtbar und mehret euch! Aber, mein lieber Sohn, die Frau als ein mythisches Wesen anzubeten, das ist aus dem Bereich der Erbsünde.
MAYER
Aber ich hatte nun einmal diese Erscheinung!
PFARRER BERNHARD
So frag ich denn dich, Karina: Willst du diesen Mann zu deinem Schatz und Bräutigam nehmen, auch in dem Wissen, dass er kastriert ist und dass er dir nie Kinder zeugen wird?
KARINA
Ich liebe diesen Mann. Aber ich brauche keine Kinder. Ich lebe auf einem alten Bauernhof, und ich habe genug zu tun mit meinen Hühnern, Ziegen und Schafen, Katzen und Hunden, Kühen und Pferden.
PFARRER BERNHARD
Nun denn, so heiratet euch! Ihr dürft euch jetzt küssen!
(Mayer und Karina küssen sich leidenschaftlich.)
MAYER
Wie die Bibel sagt: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich...“
VIERTE SZENE
(Bremen, Martinus und Susanna von Eichendorf.)
MARTINUS VON EICHENDORF
Du willst arbeiten gehen? Ich verbiete es dir! Die Frau ist Abglanz des Mannes, der Mann ist Abglanz Gottes!
(Susanna setzt sich zu seinen Füßen und streichelt seine Füße. Es klingelt. Milan tritt ein.)
MILAN
Papa! Mama! Ich bin aus Japan zurück!
MARTINUS VON EICHENDORF
Ich bin ein Sünder und haabe die Hölle verdient, aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren. Und darum sprech ich dich los von deiner Sünde! Glaubst du an unsern lieben Herrn Jesus?
MILAN
Ich glaube an Kwannon, die Göttin der Barmgerzigkeit.
(Es klingelt. Valea mit ihrem Kind tritt ein.)
VALEA
Milan! Mein Liebling! Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben!
MILAN
Valea, auch ich liebe dich! Werde meine Frau!
VALEA
Wirst du denn auch mein Kind annehmen? Mayer hat mir ein Kind gemacht und mich allein sitzen gelassen. Schau, das ist mein Raubebald-Eilebeute, kannst du ihn lieben, wie deinen eigenen Sohn?
MILAN
Dein Kind ist auch mein Kind! Aber ich schwöre dir, Geliebte, in unser Haus, in unsere ehe kommt mir kein Hausfreund!
(Milan und Valea mit dem Kind ab. Susanna streichelt immer noch ihrem Eheherrn die Füße.)
MARTINUS VON EICHENDORF
Mein Weibchen, wir haben die letzten Jahre viel zusammen erlebt. Du hast zu allem geschwiegen. Ich möchte doch einmal wissen, wie du das alles siehst.
(Susanna lächelt und schweigt.)
Nun, mein Mädchen, nur Mut! Das Weib soll schweigen in der Gemeinde und zuhause ihren Mann fragen. Sag mal ein Wort. Stille Wasser sind tief.
SUSANNA VON EICHENDORF
(nach langem Schweigen)
Schokolade...