Bibliodrama
Von
Torsten Schwanke
PERSONEN
Joachim, frommer Jude in Babylon
Susanne, seine Frau
Dina und Lea, ihre Töchter
Dodo und Muschi, zwei Gemeinde-Älteste
Verschiedene Juden und Jüdinnen der Hauskirche
Ort: Babylon
Zeit: Die Zeit des Babylonischen Exils
ERSTE SZENE
(Frühmorgens. Das Haus der Eheleute Joachim und Susanne, gläubiger Juden, in Babylon. Joachim ist etwa vierzig, Susanne kaum dreißig, ihre beiden Mädchen Dina und Lea in dem Alter, da sie die Heilige Schrift lesen lernen. Das Haus erwacht.)
LEA
Am Himmel steht der Morgenstern!
JOACHIM
Gelobt der Name unsres Herrn!
In Babylon jedoch die Heiden
Von Göttern reden unbescheiden
Und nennen Ishtar jenen Stern
Und also kränken sie den Herrn!
DINA
Wie kommt es denn, geliebter Vater,
Daß man in diesem Welttheater
Oft hört in dem Geschwätz der Spötter,
Es gäbe Göttinnen und Götter?
JOACHIM
Das, liebes Kind, sind eben Toren,
Die gehn in Ewigkeit verloren.
Gott offenbarte sich den Guten
Und schickt nach Babylon die Juden,
Daß wir den Heiden voller Sünden
Den wahren Gott und Herrn verkünden.
DINA
Daß Gott schon ewig, ewig war,
Das ist mir allzu wunderbar.
JOACHIM
So hoch du zum Gewölk wirst schweifen,
Nie kannst du Gott den Herrn begreifen.
Sollst immer wie ein Kindlein staunen
Und glauben der Propheten Raunen.
DINA
Ich hab schon viel gehört von Mose.
SUSANNE
Und Moses Schwester Mirjam, Rose
Vom Horeb, war Prophetin auch
Und inspiriert von Gottes Hauch.
Es gibt ja nicht nur die Propheten,
Deborah tat zu Gott auch beten
Und Hulda hieß die Seherin
Und Esther hieß die Königin.
DINA
Ach, gibt es schon mein Morgensüppchen?
Ich habe so ein kleines Püppchen,
Das ist mein kleines Moseskind.
SUSANNE
Im gelben Vater Nil auch sind
Aligator und Krokodil.
Gefährlich ist der Vater Nil.
Wenn zornig war Kleopatra,
Warf Königin Kleopatra
Den Gegner vor den Krokodilen!
LEA
Ach lieber Vater, laß uns spielen!
JOACHIM
Erst wollen wir das Frühstück essen
Und nicht das Tischgebet vergessen.
Wer möcht heut die Gebete beten
Und vor den Thron des Höchsten treten?
DINA
Ach lieber Herrgott in den Himmeln,
Die Tiere, die auf Erden wimmeln,
Die hast du alle nicht vergessen,
Gibst jedem Tier auch heut sein Fressen,
Und Blumen, wenn Tautropfen blinken,
Herr, auch die Blumen lässt du trinken,
Und mir auch wirst du Brot gewähren
Und, Vater, heute mich ernähren.
LEA
O lieber Herrgott, was wir haben,
All diese guten schönen Gaben,
Das haben alles wir von dir,
O lieber Gott, wir danken dir.
JOACHIM
O Herr, so segne unsre Speise,
Uns, Herr, zur Kraft und dir zum Preise!
SUSANNE
O Herr, der du die Frucht der Erde
Geschaffen durch dein Wort: Es werde,
Der du geschaffen hast den Wein,
Der unsres Herzens Lust soll sein,
Fünf Brote haben wir, zwei Fische,
O segne uns an diesem Tische
Und schenk Joachim und Susanna,
Lea und Dina heut dein Manna,
Dein Manna, Herr, in deinem Namen,
O Jahwe-unser-Retter! Amen!
LEA
Nun piepen wir wie Vögel piep,
Wir haben uns doch alle lieb!
JOACHIM
Ich seh euch schon die Mäulchen lecken,
Laßt es euch appetitlich schmecken!
SUSANNE
Wer möchte Ziegenmilch vom Fässchen
Gemolken haben in sein Tässchen?
LEA
Ich möchte bald ein Pferdchen satteln!
Jetzt aber will ich süße Datteln!
JOACHIM
Susanne, nicht so mystisch schweige!
Frau, reiche bitte mir die Feige!
ZWEITE SZENE
(Eine kleine Hausgemeinde von frommen Juden in Babylon versammelt sich abends im Hause Joachims und Susannes. Joachim ist als Schriftgelehrter und Prediger ihr Vorsitzender. Auf dem Wohnzimmertisch steht eine Kanne Kräutertee und eine Schale mit Nüssen.)
JOACHIM
Genossen, meine lieben Brüder!
SUSANNE
Und Schwestern, sag ich immer wieder!
EINER
Was ist denn heut das Bibelthema?
JOACHIM
Ich schleudere ein Anathema,
Wer den Messias nicht will lieben!
Doch heute, was steht da geschrieben
Von Schoschannah, der Blumenzwiebel,
In Gottes Wort, der lieben Bibel?
EINER
Hab nie gehört von der Schoschannah,
So lehre, Lehrer! Hosianna!
JOACHIM
So, Gottes Kirche, dies vernimm,
Was sagt die Schrift von Schoschannim!
EINER
Ja, wie nun? Schoschannim? Schoschannah?
Erläutre das, bei Gottes Manna!
JOACHIM
Schoschannah ist der Singular
Und Plural Schoschannim, ganz klar.
Nun heißt das Wort der lieben Bibel
Schoschannah einmal Blumenzwiebel,
Ich las auch nächtlicher Vigilie,
Daß Schoschannim bedeutet Lilie,
Sprach Salomonis oder Mose,
Daß Schoschannim bedeutet Rose,
Auch hörte ich im Heiligtume,
Schoschannah sei die Lotosblume,
Und manchmal auch die Weisen wissen,
Daß Schoschannim sind die Narzissen,
Und nicht Poeten, sondern Spötter
Schoschannah nennen Blumenblätter.
SUSANNE
Susanne? Sagt, ihr Seraphim,
Susanne, das heißt Schoschannim?
JOACHIM
Ja, Gottes Weisheit, meine Muse,
Sie nennt dich keusche Lilie, Suse!
SUSANNE
Beim Bruder Muschi oder Musi,
Joachim, nenne mich nicht Susi!
EINER
Von Zweifeln uns entledige
Und von Schoschannah predige!
JOACHIM
Ja, bei der Heiligen Familie,
Der Leib der Liebsten gleicht der Lilie,
Wie lilienweiß das Augenlid,
Singt Salomon im Hohenlied.
Rabbinen gibt es aber welche,
Die sagen von dem Lilienkelche,
Weil dieser Lilienkelch ist tief,
Die Religion ist intensiv,
Die Gottesliebe ist sehr groß,
Weil tief der Lilie Kelch und Schoß.
EINE
So sage, bei den Cherubim
Und Seraphim, die Schoschannim
Ist also Braut im tiefsten Kern
Und die Verlobte unsres Herrn?
JOACHIM
Ein Mündchen hat die Makellose,
Wie Blut und Glut der roten Rose,
Und Augen hat sie wie Narzissen
Und bittet Gott, sie oft zu küssen!
SUSANNE
Wie kann denn küssen, wenn du’s weißt,
Wie kann denn küssen Gottes Geist?
JOACHIM
Der Geist des Herrn hat Feuerzungen
Und so schon oft ists ihm gelungen,
Auf Rosenmundes weichen Kissen
Die Gottgeliebte heiß zu küssen,
Und Ich und Du in eins verschlungen,
Gott küsst die Braut mit Feuerzungen!
EINER
Nein, was für ein Sakraltheater!
Ich Gottes Kind und Gott mein Vater!
Gott, trotz der geistlichen Genüsse,
Gott gibt mir keine Zungenküsse!
SUSANNE
Bist eben nicht der Inspirierte.
JOACHIM
Gott seine junge Braut verführte,
Er lockte gar sie in die Wüste,
Wo er mit Feuerzungen küsste,
Und, bei intakter Jungfernhaut,
Die Tochter Sion nahm zur Braut!
EINE
Das wollt ich selber auch erfahren,
Ich leb mit Gott seit vielen Jahren,
Doch so hat Gott noch nie geworben
Um mich, die Sünderin verdorben.
JOACHIM
Sei Preis des Bräutigames Namen
Und Seiner Throngenossin! Amen!
DRITTE SZENE
(Die zwei Gemeindeältesten der jüdischen Gemeinde in Babylon, Dodo und Muschi, sind in Joachims und Susannes Haus zum Essen eingeladen.)
DODO
Ich möchte einmal Schwäne essen.
MUSCHI
Genosse, hast du denn vergessen,
Daß Schwäne unrein sind nach Mose?
DODO
Frau Weisheit ist die Makellose!
Für unrein halte nicht den Schwan ich,
Für unrein halte ich den Kranich.
JOACHIM
Hier gibt’s fürwahr kein Schweinefleisch.
SUSANNE
Auch unsre Küche selbst ist keusch
Und koscher unser Speiseplan,
Bei uns, nein, gibt es keinen Schwan.
JOACHIM
Nun, vegetarisch war der Tisch
Von Freunden, auch aß man nicht Fisch,
Sie kamen einst zu einem Stamm,
Die eben boten ihnen – Lamm!
MUSCHI
Wir sind semitisch und nicht arisch!
Auch Eva aß einst vegetarisch,
Wie unsere Propheten reden,
Wenn Eva lud im Garten Eden
Den Adam mittags zu dem Tisch,
Dann gabs nicht Fleisch und gabs nicht Fisch,
Bei Eva, ach, im Paradiese,
Da gab es Körner und Gemüse.
JOACHIM
Daß du das einmal auch erprobst,
Es schadet wahrlich dir kein Obst,
Das Fasten macht den Körper keusch,
Den Körper geil macht zuviel Fleisch.
DODO
Auch koscher muß und kultisch rein
Der Rauschtrank sein und rote Wein.
JOACHIM
In Babel liebt man Götterbier,
Von Altertum an trinkt man hier,
Und dieser Rauschtrank war der Erste,
Der Babylonier Bier von Gerste.
DODO
Ich auch auf einer Tafel lese,
Es gäbe Götterbier aus Käse,
Aus Stinkekäse voller Schimmel!
SUSANNE
Bewahre Gott uns! Herr im Himmel!
DODO
Nun, eure Ehe ist ja heilig,
Die Ehe ist doch – langeweilig?
JOACHIM
Ach, wenn der gelber Neider wüsste,
Wie gern ich oft Susanne küsste!
MUSCHI
Die Liebe aber liebt das Wandern,
Sie will von einem zu dem andern.
SUSANNE
Nein, Einen Gott und Einen Gatten!
MUSCHI
Doch Männer wollen mit den Latten
Den Harem so wie Salomo!
DODO
Der Harem macht die Männer froh!
JOACHIM
Nicht Sorgen und nicht Alltagsnöte,
Doch stets gespielt die Jubelflöte!
Fort mit der alten Weiber Tugend –
Stets willig allezeit die Jugend!
DODO
Ist das denn nicht der schönste Traum,
Daß einst bei Gott im Himmelsraum
Bei unserm Herrgott aller Welten
Wir werden wie im Harem zelten?
JOACHIM
Ach, komme ich in Gottes Frieden,
Werd von Susanne ich geschieden,
Weil ich ihr nur die Ehe bot,
Bis uns geschieden hat der Tod.
DODO
Das wär der Traum von jedem Manne,
Bei Gott die liebliche Susanne
Im Himmelreiche auch zu sehen,
Dort soll sie ihre Tänze drehen!
SUSANNE
Ach Dodo, möchtest du mir schmeicheln?
DODO
O Frau, da müsste ich nicht heucheln.
MUSCHI
Im Himmel aber welchem Manne
Gegeben wird von Gott Susanne?
JOACHIM
Im Himmel fehlen uns die Mängel,
Im Himmel sind wir wie die Engel.
DODO
Wenn auferstehen unsre Leiber –
Die Leiber wollen Wein und Weiber!
JOACHIM
Dein Traum ist aber ziemlich lüstern!
DODO
Susanne, laß mich einmal flüstern...
MUSCHI
Susanne, bei den Segensmispeln,
Ich will was wispern, will was lispeln...
VIERTE SZENE
(Abend. Dunkelheit. Immenser Sternenhimmel. Dodo und Muschi spielen mit Dina und Lea im Garten verstecken.)
LEA
Nun Dina soll mit Dodo zählen
Bis vierzig, ich will mir erwählen
Den alten Onkel Muschi und
Verstecken mich im Gartengrund.
DINA
Eins, zwei und drei und vier und sechs...
LEA
Komm, Muschi, komm in das Gewächs!
(Lea und Muschi verstecken sich hinter einem Busch. Dina zählt bis vierzig, und Dina und Dodo suchen die beiden andern.)
DODO
Mein Gott, mein Gott, schau diese Sterne
In überweltlich-weiter Ferne!
Weißt, in dem Weltall noch und noch
Sind schwarzes Loch an schwarzem Loch!
DINA
Was ist ein schwarzes Loch? Erkläre!
DODO
Ach, hab ich doch den Geist der Schwere
Zur schwarzen Erde hin gerichtet,
Jedoch ein schwarzes Loch vernichtet
Des ganzen Stoffes Leidenschaft
Und allen Stoff mit Saft und Kraft.
DINA
Und ist das große All unendlich,
Sag, oder ist das Weltall endlich?
DODO
Das Universum, Gottes Kleid,
Vielleicht ist es Unendlichkeit,
Auch die Idee nicht unabwendlich,
Als Schöpfung sei es eben endlich.
DINA
Gott schuf mit seines Wortes Schall
Das Universum, dieses All.
Sagt, gibt es viele Universen?
DODO
O, bei der Schönheit junger Färsen,
Die nicht mehr kleine Kälber sind
Und auch noch nicht ein Mutterrind,
Vielleicht es gibt ein Weltall nur,
Vielleicht schuf auch die Gottnatur
Der Universen Weltenalle
Unzählbar durch des Wortes Schalle.
DINA
Ha, nein, das dauert keine Stunden,
Ich hab euch im Versteck gefunden!
LEA
(springt hervor)
Die Onkels sollen in den Hecken
Sich vor den Mädchen jetzt verstecken!
MUSCHI
So wahr ihr Mädchen duftet würzig,
Die Augen zu! Und zählt bis vierzig!
(Lea und Dina halten sich die Augen zu und die Gemeindeältesten Dodo und Muschi verstecken sich hinter einer Hecke. Sie flüstern.)
DODO
Es ist die liebliche Susanne
Doch Traumfrau jedem Manne!
MUSCHI
Auch du, auch du, mein frommer Bruder?
Doch leider, ach, sie ist kein Luder!
DODO
Die Keuschen scheinen mir bigott!
Ich liebe mehr, beim Liebesgott,
Laszive schwüle Buhlerinnen,
Erotisch reizend mit sechs Sinnen!
MUSCHI
Ja, Eva nackt im Garten Eden!
Susanne wollt ich überreden
Und sie mit magic spell beschwören,
Sie möchte Einmal mich erhören!
DODO
Du bist mein Seelenzwillingsbruder!
Ein Himmelreich für solch ein Luder!
Getrieben von der sexuellen
Begierde können die Gesellen
Nicht mehr in weiser Ruhe beten!
MUSCHI
Ach, wär ich Adam doch in Eden,
Im Garten Eden Eva nackig!
DODO
Ganz einfach, die Susanne pack ich,
Um dann die Schönste der Narzissen
Gar lüstern auf den Hals zu küssen!
MUSCHI
Ja, bei der Sternenpracht des Alls!
Wie schön ihr langer Schwanenhals,
Ihr Schwanenhals so weiß und schlank,
Ihr Schwanenhals so weiß und lang!
DODO
Joachim doch ihr Gatte ist.
MUSCHI
Statt Weisheit brauchen wir jetzt List!
DODO
Wir also wollen uns verbünden
Zum Ziel der Sehnsucht unsrer Sünden!
FÜNFTE SZENE
(Im Hause Joachims, im Badezimmer. In der Badewanne baden Dina und Lea. Sie plantschen mit Spielzeug, spritzen mit Wasser und schleudern Badeschaum durchs Badezimmer. Die junge schöne Mutter Susanne sitzt auf dem Badewannenrand und wird nassgespritzt. Sie ist fröhlich mit den Fröhlichen.)
LEA
O Mama! Kennst du nicht ein Märchen
Von irgendeinem Götterpärchen?
SUSANNE
Steckst du im Wasser bis zum Nabel,
Die Wassergöttin heißt in Babel
Die Wassergöttin Tiamat.
Wie Gott die Welt erschaffen hat,
War alles nur ein großes Meer,
Ein Tohuwabohu, öd und leer,
War alles Wasser, silbern matt,
War nur die Göttin Tiamat,
Und in der Wassergöttin Schoß
Die Welten all gestaltungslos.
Gott Marduk kam vom Himmelssitz,
In seiner rechten Hand den Blitz.
Er schleuderte den Blitz als Speer
Der Göttin in den Schoß, ins Meer.
Da ward die Göttin, die Uralte,
Von Gott gespalten, aus der Spalte
Die Welten alle sind geflossen,
Die Wassergöttin ist zerflossen,
Und Marduk machte aus dem Weib
Und aus der Wassergöttin Leib
Das ganze große Weltenall.
Der schwarzen Haare Wasserfall
Die Wolken bilden an dem Himmel,
Die Augen wurden Sterngewimmel,
Der Göttin Busen ward zum Segen,
Aus Wolken melkt nun Gott den Regen,
Der Göttin Körper ward zu Bergen,
Klippdachse sich in Höhlen bergen,
Der Göttin Schamhaar ward zum Moose,
Auf schwarzer Erde blüht die Rose,
So ist das Weltall wie ein Weib,
Gebildet aus der Göttin Leib,
Als Gottes Speer von scharfer Sorte
Die Göttin Tiamat durchbohrte.
DINA
Ach Mama, gibt es wirklich Götter?
SUSANNE
Nein, einzig Gott den Herrn und Retter!
DINA
Wie hat denn Gott die Welt erschaffen?
Wie sagen denn die Rabbi-Pfaffen?
SUSANNE
Bevor die Schöpfung noch geworden,
So sagen Juden von dem Orden
Des heiligen Messias droben,
Messias immerdar zu loben,
Messias hatte einen Leib
(Ich weiß zwar nicht, von welchem Weib),
Messias in dem Leibe ist
Gestorben, wie ihr wissen müsst,
Vor Anbeginn der ganzen Welt
Gestorben schon im Himmelszelt
Und mit des nackten Körpers Reiz
Messias starb, als wie am Kreuz,
Und hat vom Leibe sich erlöst,
Sich dann als Geisthauch eingeflößt
All dem chaotischen Getriebe
Des Tohuwabohu. Seine Liebe
Hat all das Chaos dann durchlichtet
Und so ein schönes All gedichtet,
Den Kosmos wie ein Schmuckstück schön,
Daß sich Messias damit krön
Und mit der Universen Krone
Zur Rechten steht von Gottes Throne.
DINA
Ich möchte mal Messias sehen!
Das, Mama, kann ich nicht verstehen,
Was du da sagst vom Welterschaffen
Nach Meinung alter Rabbi-Pfaffen.
SUSANNE
Als Gott zum ewigen Genuss
Das All erschuf wie eine Nuss,
Hielt Gott in seiner linken Hand
Das Weltall, in der rechten Hand
Hielt Gott dein Seelchen, liebes Kind,
Weil wir Geliebte Gottes sind.
LEA
Ach, laß uns plantschen, laß uns spritzen!
Langweilig, hier so still zu sitzen
Und nur vom Firmament zu träumen!
Nein, spritzen will ich mit den Schäumen
Und will in meinen krausen Locken
Des Badeschaumes weiße Flocken.
DINA
Sei Lobpreis Gott im Himmel droben,
Laß uns zur Ehre Gottes toben!
Gott soll in seinem Sessel sitzen,
Wir wollen ihn mit Schaum bespritzen!
SUSANNE
Hört auf das Mamachen Susanne:
Jetzt raus aus eurer Badewanne!
SECHSTE SZENE
(Susanne allein im Badezimmer. Die Glasscheibe in der Tür zum Badezimmer ist opalenes Milchglas, undurchsichtig-durchsichtig. Susanne steht nackig hinter einen lichtblauen Vorhang, ebenfalls undurchsichtig-durchsichtig, unter der Kaskade einer Dusche und duscht den nackten Leib, verschleiert von heißem Wasserdampf. Sie erscheint nicht nackt, sondern wie eine von Äther verschleierte Göttin. Dabei singt sie Lobpreis dem Herrn.)
SUSANNE
(singt)
Ich bin die Gottverlobte,
Ich bin die Gottesbraut,
Mein Gott vor Liebe tobte,
Mein Geist den Gatten schaut!
Ah, Gott dem Bräutigame
Bin ich im Geist vermählt,
Ich, Seine schöne Dame,
Von Seinem Geist beseelt!
Der Gott in großer Liebe
Der Inbrunst Feuer haucht,
Gott in der Brunst der Triebe,
Des Gottes Nase raucht!
O Gott in Feuersbrünsten,
Du bist mein Bräutigam,
Du Gott in Liebeskünsten,
Ich weih dir meine Scham!
Du Gott der Kreaturen,
Dir bin ich angetraut,
Nicht untreu wie die Huren,
Bin deine treue Braut!
Dein Feuerodem, Gatte,
Mir durch die Seele braust,
Du Urbild, ich dein Schatte,
Dein Hauch so säuselnd saust!
Vor Wonne wollt ich sterben
Bei deiner Liebe Kraft
Und Paradiese erben
Von deiner Leidenschaft!
Dein Geist schwebt auf dem Meere
Und stillt des Wassers Wut,
Dein Lichtstrahl, Herr der Heere,
Sich spiegelt in der Flut.
Du schufest Mond und Sonne
Und meine Seele auch,
Mein Gatte, meine Wonne,
Ich Hauch von deinem Hauch!
Wie oft du mich gereinigt
Durch Liebesschmerzen hast,
Wie mich die Pein gepeinigt,
Du süßer Seelengast!
Wie mich die Pein gepeinigt
Mit Weh und wilder Wut,
Bis du dich mir geeinigt
Im Fleische und im Blut!
Ach, über mich die Wogen
Des Todes sind gebraust
Und Donner hingezogen
Und Sturm hat mich umsaust
Und beinah wär gestorben
Vor Sehnsucht ich nach dir,
Der du so heiß geworben
Um meiner Zierrat Zier!
Kommst mitternachts wie Diebe
In heißer Liebe groß
Und schüttest deine Liebe
In meiner Seele Schoß
Und säst des Wortes Samen
Der Ackerfurche ein,
Vermählst mich deinem Namen
Und nennst mich ewig dein!
Wie gut tut deine Nähe
Mir Odem im Schamott,
Ich in der Gottes-Ehe
Vereinigt meinem Gott!
(Sie summt des weiteren die Melodie des Lobpreisliedes ohne Worte weiter.)
SIEBENTE SZENE
(Susanne hat sich in ihr Schlafzimmer zum Nachmittagsschlaf zurückgezogen. Die beiden Gemeindeältesten Dodo und Muschi schleichen sich heran und öffnen die Schlafzimmertür unbefugterweise und stehen vor dem Bett, in dem Susanne von Decken bedeckt liegt und sich entspannt. Sie sind frevelhaft ins Allerheiligste eingedrungen!)
DODO
Wie schön du daliegst, o Susanne,
So eine Traumfrau jedem Manne!
MUSCHI
Wir sind schon eins, denn ich bin Musi,
Der Reim auf deinen Namen, Susi.
DODO
Ich Sänger Gottes, du die Muse,
Ich der Psalmist und du die Suse.
MUSCHI
So hoch und tief ich dich verehre,
Ich dich zugleich sehr heiß begehre.
DODO
Ein jedes Schiff will in den Hafen
Und ich will mit Susanne schlafen.
MUSCHI
Ach, mich vor meinen Leiden rette
Und laß mich zu dir in dein Bette!
DODO
So tun die Falter mit Narzissen,
So will ich deine Lippen küssen.
MUSCHI
So spreizen Tauben ihre Flügel,
Zeig du mir deinen Venushügel!
DODO
Wie Schwäne vor dem Tode singen,
Begehr ich, in dich einzudringen.
MUSCHI
Wie Boote in den Osten segeln,
Ich will dich lieben nach den Regeln.
DODO
Mit feuerheißen Liebesbrünsten
Will lieben dich nach allen Künsten.
MUSCHI
Gott Adam wieder in die Nase
Unsterblichkeit der Seele blase!
DODO
Wie zwei Verliebte zart sich necken,
Will ich am Nektarstempel lecken.
MUSCHI
So wie der Säugling liebt das Sabbern,
Will ich an deinem Öhrchen knabbern.
DODO
Du mögest mir nur Gnade nicken.
MUSCHI
Du mögest huldvoll gnädig blicken.
SUSANNE
Nein, eure Wollust ist nur flüchtig,
Doch ich bin heilig, keusch und züchtig!
MUSCHI
(plötzlich zornig)
Will dich im ungestaltigen
Verlangen vergewaltigen!
DODO
(listig)
Wenn du uns nicht zu Willen bist,
Gebrauchen wir der Klugheit List.
Wir sind die Klugen ohnegleichen,
Wir sind die wahrhaft Listenreichen,
Wir dann erfinden Schauermärchen
Und sagen an von einem Pärchen,
Wie du, Susanne ohne Mängel,
Besucht wardst nicht von einem Engel,
Nein, wie die Ehe brach Susanne
Mit einem schönen jungen Manne,
Der sprach: Susanne ohne Mängel,
Schau, ich bin Gabriel, der Engel,
Ich bin der Engel Gabriel,
Kraft Gottes, denn voll Kraft ist El,
Will dich als Gotteskraft begatten,
Mit meinen Flügeln überschatten,
Du sollst nur voll Verehrung blicken
Und seufzend mir dein Ja-Wort nicken
Und dann, empfangend in dem Schweigen,
Will ich als Engel in dir zeugen.
So ließest du den falschen Engel
Ins Bett, Susanne ohne Mängel.
In femininer Leidenschaft
Du gabst dich hin der Manneskraft,
Wie alle Weiber voller Schwächen
Du tatest deine Ehe brechen
Und spieltest auf den Knochenflöten
Des Jünglings, ohne zu erröten,
Und lagest dann, von Unzucht satt,
Im Lotterbette müd und matt
Und tatest vor dem Gatten heucheln
Und ihm als Schriftgelehrten schmeicheln
Und sprachest lieblich-lächelnd leise,
Er sei so gut und lieb und weise.
An Keuschheit du nicht gleich den Fischen,
Den Mund dir einfach abzuwischen
Vom Schaum der Unzucht, sagtest an:
Ich habe Böses nie getan.
MUSCHI
Ja, wir der Unzucht dich verklagen,
Willst du dich nicht mit uns vertragen.
DODO
Laß, Eva, ein uns in dein Eden!
SUSANNE
O lasst mich ein Momentchen beten.
ACHTE SZENE
(wie in der vorigen Szene.)
SUSANNE
Ich hab gebetet und gedacht
Und dieses sei euch klargemacht:
Ich liebe den Joachim nur.
Im Anbeginn die Gottnatur
Schuf Einen Menschen androgyn,
So schuf der Schöpfer Sie und Ihn,
Einander beide ein Entzücken
Und Rücken standen sie an Rücken
Und waren wie zwei Hälften nur
Von Einer menschlichen Natur.
So aber konnten sie nicht gehen,
Sich nicht in die Gesichter sehen
Und, dies gesagt in allen Ehren,
Auch sonst nicht liebevoll verkehren.
Gott machte seinen Fehler gut
Und trennte beide. Liebesglut
Ward nun geboren in den beiden,
Die sie für Jahrmillionen leiden
Und immer voll Verzweiflung suchen,
Ob unter Linden oder Buchen,
Ob unter Buchen oder Linden,
Sie beide sich auch wiederfinden.
So also ich Joachim fand,
Joachim nahm mich bei der Hand
Und wir vereint in frommer Ehe
In Innigkeit vertrauter Nähe
Zwei Apfelhälften sind wir gleich,
Ergeben Einen Apfel. Reich
Ist Gottes große Huld und Gnade,
Denn jetzt vom Scheitel bis zur Wade
Sind beide wir vereinigt, dicht,
Von Angesicht zu Angesicht
Einander stehn wir gegenüber
Und haben uns auch täglich lieber.
Was Gott vereint im Liebesbrennen,
Das soll der Erdenmensch nicht trennen.
MUSCHI
Du sagst, man soll nicht ehebrechen?
Gott weiß gewiß von meinen Schwächen,
Gott kann ja sein Geschöpf ergründen,
Ich kann wohl meiden alle Sünden,
Jedoch wenn meines Nächsten Weib
Ist Engelsgeist im Venusleib...
DODO
Romantisch deine Phantasie,
Du spekulierst wie Rabbis, wie
Rabbunis, schriftgelehrte Meister,
Doch wir sind Fleisch, nicht reine Geister!
MUSCHI
Du, schöne Frau, musst dich entscheiden,
Willst du die Scham der Schmach erleiden?
Man wird dich sicher steinigen!
Nicht lieber mir vereinigen?
SUSANNE
Ich in des alten Gottes Armen,
Ich such sein herzliches Erbarmen!
Jehowah ist nicht wie die Baale,
Mein König ist nicht mein Rivale!
Gott ist die Liebeszärtlichkeit
In herzlicher Barmherzigkeit!
MUSCHI
Ach, Gottes ewiges Erbarmen
Gilt nur den Leprakranken, Armen.
Wie willst denn du darauf vertrauen?
Was weiß denn Gott von schönen Frauen?
SUSANNE
Barmherzigkeit im Überfluss
Wie Uterus um Uterus
Ist Gottes ewiges Erbarmen,
Wie liebe Mütter sich erbarmen
Und ihre kleinen Kinder herzen
Und trösten sie in ihren Schmerzen
Und trösten sie mit warmen Augen
Und lassen Trostes Milch sie saugen,
So ist in alle Ewigkeit
Die herzliche Barmherzigkeit.
Gott sein Erbarmen mir einflöße,
Denn so wie viele Mutterschöße
Und Vulva über Vulva preise
Ich Gottes Allerbarmen leise.
MUSCHI
Gott ist ein Richter voller Zorn!
SUSANNE
Messias ist der Gnaden Born!
Und schon Messias hör ich sprechen:
O Tochter, schenk mir deine Schwächen,
Denn alle Universen groß
In meiner Gnade Mutterschoß
So abgrundtief geborgen sind
Wie in dem Mutterschoß ein Kind.
DODO
Wir werden doch, dich bloßzustellen
Vor den Genossen und Gesellen
Und vor den Brüdern und den Schwestern,
Als eine Hure dich verlästern!
SUSANNE
Ich bin ganz still, ich bin ganz stille,
Geschehe, Vater, nur dein Wille!
NEUNTE SZENE
(Der Hauskreis der jüdischen Gemeinde in Babylon versammelt sich in Joachims und Susannes Haus. Dodo und Muschi als Gemeindeälteste verklagen Susanne. Sie klagen die Unzucht an. Sie fordern Gemeindezucht, das heißt, die Steinigung!)
MUSCHI
Ihr lieben Brüder und ihr Schwestern,
Die Hure hier muß ich verlästern!
Tat frevelnd sich vereinigen!
Gott spricht: Ihr sollt sie steinigen!
DODO
Die Tochter Zion ist, die Pure,
Doch keine ordinäre Hure!
Susanne, diese freche Dirne,
Es schämt sich nicht die Hurenstirne!
(Plötzlich tritt der Prophet Daniel auf. Er sieht ganz gesund und frisch aus, denn er aß nur vegetarisch und koscher und trank keinen Wein und keinen Rauschtrank.)
DANIEL
Du Dodo und du Muschi, beide,
Ich länger nicht das Lästern leide!
Hört, Lästermäuler, auf zu lästern!
Sie ist die Beste aller Schwestern!
DODO
Was willst du uns verkündigen?
Wir selber sahn sie sündigen!
DANIEL
Ein Kriminalrat bin ich nicht,
Kein Advocat bin beim Gericht,
Vertrete nicht als Advovat
Die Steinigung im Gottesstaat!
Doch will ich euch getrennt verhören,
Ihr sollt die Wahrheit mir beschwören.
Komm, Dodo, einmal auf die Seite!
(Daniel tritt mit Dodo beiseite.)
Die Wahrheit mir zum Mahl bereite!
Wo sahest du Susanne nun
Die Buhlerei in Unzucht tun?
DODO
Sie hurte unterm Pflaumenbaume!
DANIEL
Gott spalte dich, du faule Pflaume!
(Dodo geht beschämt hinweg. Muschi tritt zu Daniel.)
Wo sahest du Susannes Frevel?
Sprich, bei dem Pech und bei dem Schwefel !
MUSCHI
Dort bei der Palme voller Datteln!
DANIEL
Der Satan wird als Ross dich satteln
Und dir auf deinem Rücken reiten
Und Höllenqualen dir bereiten!
(Muschi geht beschämt davon. Daniel tritt zu der versammelten Hauskirche, hebt die Arme zum Lobpreis, beginnt in mystischer Verzückung zu tanzen und singt in Ekstase diesen Lobpreis der Keuschheit.)
O Lob der Keuschheit in der Ehe,
Wo nicht der Mann begehrt
Das Weib allein in seine Nähe,
Weil sie ihm Lust gewährt!
Die ungeordnete Begierde
Voll Egoismus fehlt,
Wo heilig ist des Weibes Zierde,
Von Heiligkeit beseelt!
O Lob der keuschen Ehe-Treue,
Wie Gott die Kirche liebt,
Daß eins im andern sich erfreue,
Das Paar das Ja-Wort gibt!
O Lob der Heiligkeit, der Reinheit,
Frigid nicht noch bigott,
Der Ehe sexuelle Einheit
Lobpreist den Schöpfer Gott!
Die keusche Ehe ist ein Gleichnis:
Gott ist der Seele treu!
Hier Gottes Liebe wird Ereignis,
Uralt und ewig neu!
Glückseligkeit dem guten Manne,
Dem ward von Gott beschert
Die keusche Heilige Susanne,
Die Glück dem Mann gewährt!
Triumph der reinen Gottesliebe
Von Braut und Bräutigam,
Geheiligt ihre Liebestriebe
Von benedeiter Scham!