GRYPHIUS UND HOFFMANNSWALDAU

 

DIALOG ZWEIER SCHLESISCHER DICHTERFREUNDE

VON TORSTEN SCHWANKE


GRYPHIUS

Der schnelle Tag ist hin, die Nacht schwingt ihre Fahne

Und führt die Sterne auf. Der Menschen müde Scharen

Verlassen Feld und Werk. Wo Tier und Vögel waren,

Jetzt trauert Einsamkeit.

HOFFMANNSWALDAU

O Liebling mein, gebrauche deine Zeit

Und lass den Liebeslüsten freie Zügel!

Wenn uns der Schnee der Jahre hat verschneit,

So schmeckt kein Kuss, der Liebe wahres Siegel.

GRYPHIUS

Lass, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Wege gleiten,

Lass mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten.

HOFFMANNSWALDAU

O liebster Schatz, was quälen wir uns viel

Und züchtigen die Nieren und die Lenden?

Nur frisch gewagt das angenehme Spiel!

Jedwedes Glied ist ja gemacht zum Spenden...

GRYPHIUS

Lass, Gott, wenn müd der Leib entschläft, die Seele wachen!

Und wenn der Letzte Tag wird mit mir Abend machen,

So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu Dir!

HOFFMANNSWALDAU

Im Paradiese ging man nackt und bloß

Und durfte frei die Liebes-Äcker pflügen!

GRYPHIUS

Dies lebenslose Leben

Fällt, wie ein Traum entweicht,

Wenn sich die Nacht begeben

Und nun der Mond erbleicht;

Doch mich hat dieser Traum nur schreckensbleich gemacht.

HOFFMANNSWALDAU

Geliebter Schatz, da noch die Wollust, Fraue,

Die Glieder netzt, das Blut noch ins uns springt,

So lass doch zu, dass auf der Venus-Aue

Ein heißer Geist dir knieend Opfer bringt,

Dass er vor dir in voller Andacht steh!

GRYPHIUS

O Mensch, o Eitelkeit,

Was bist du als ein Strom, den niemand halten kann?

Jedoch was klag ich dir? Dir ist mein Leid bekannt.

Was will ich dir entdecken,

Was du viel besser weißt?

Die Schmerzen, die mich schrecken,

Die Wehmut, die mich beißt,

Und dass ich meinem Ziel mit Winseln zugerannt!

HOFFMANNSWALDAU

Ach! was benebelt doch die Kräfte deiner Sinne?

Wirst du bei Sonnenschein dir nichts erwählen mögen?

Kennst du dich selber nicht?

Dich hungert bei der Kost, dich dürstet bei den Flüssen,

Du wirst zu Eis und Schnee beim Feuer werden müssen,

Du klagst im Überfluss, dass alles dir gebricht!

GRYPHIUS

Wie graut mir vor mir selbst! mir zittern alle Glieder,

Wenn ich die Nase, Mund und beider Augen Schlund,

Die blind vom Wachen sind, des Atems Röchel-Luft

Betrachte und die schon verstorbnen Augen-Lider!

HOFFMANNSWALDAU

Was marterst du dich selbst mit dürftigen Gedanken!

Drängst bei gesunder Haut dich in den Kreis der Kranken

Und seufzt bei all der Lust!

Wer sich am Herzen nagt, der speist doch allzu teuer.

Ach, mache dich nicht selbst zu einem Ungeheuer,

Das sich die Nägel schärft, zu schaden seiner Brust!

GRYPHIUS

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder

Und lallt... ich weiß nicht was... die müde Seele ruft

Dem großen Tröster zu; das Fleisch ruft nach der Gruft!

Die Ärztin gibt mich auf! Die Schmerzen kommen wieder.

HOFFMANNSWALDAU

Man weint oft ohne Not und zweifelt ohne Gründe,

Plagt seiner Sinne Schiff mit ungestümem Winde

Und stürzt sich ohne Sturm in tiefste Trauer-See!

GRYPHIUS

Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Haut, Gebein.

Das Sitzen ist mein Tod! das Liegen meine Pein!

Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten.

HOFFMANNSWALDAU

Die Rosen blühen dir; was willst du Nesseln hegen

Und Disteln, reich an Qual, zu Lust-Narzissen legen?

Kein Übel stößt dich an!

Bemühe dich, den Geist in Ruhe zu versetzen,

Und reiß dich mit Gewalt aus Schmerz und Trauer-Netzen!

GRYPHIUS

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden;

Was jetzt so pocht, ist bald nur Asche und Gebein;

Nichts ist, das ewig ist, kein Erz, kein Marmorstein.

Jetzt lacht das Glück uns an - gleich donnern die Beschwerden!

HOFFMANNSWALDAU

Erwache! Streiche dir die Schuppen vom Gesichte!

Kein Weiser macht sich selbst durch Wahn und Dunst zunichte!

Was säumst du länger noch, ins Paradies zu gehen?

GRYPHIUS

Nur schlechte Nichtigkeit, nur Schatten, Staub und Winde,

Nur eine Blume, die man doch nicht wieder finde!

Nicht will, was ewig ist, kein Menschenkind betrachten!

HOFFMANNSWALDAU

Schoß! der die Seelen kann durch Lust zusammen-hetzen,

Schoß! der viel süßer ist als starker Himmelswein,

Schoß! der das Elixier des Lebens schenkt mir ein,

Schoß! den ich vorziehn muss des Indus reichsten Schätzen,

Schoß! dessen Balsam uns kann stärken und verletzen,

Schoß! der vergnügter blüht als aller Rosen Schein,

Schoß! welchem kein Rubin kann gleich und ähnlich sein,

Schoß! den die Grazien mit ihrem Quell benetzen;

Schoß! ah Korallenschoß, mein einziges Ergötzen!

Schoß! lass mich einen Kuss auf deinen Purpur setzen!

GRYPHIUS

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus schlimmer Schmerzen!

Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,

Dies Leben flieht hinweg wie ein Geschwätz und Scherzen!

Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid

Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit

Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

HOFFMANNSWALDAU

Für deine Schultern weiß ich nicht das Wort zu finden!

Doch dass ich nicht zu sehr muss häufen meine Sünden,

So macht ein kurzer Reim dir meine Liebe kund:

Muss Atlas und sein Hals sich vor dem Kosmos biegen,

So müssen Götter wohl auf deinen Schultern liegen.

GRYPHIUS

Noch schweige ich von dem, was schlimmer als der Tod,

Was böser als die Pest und Krieg und Hungersnot:

Dass auch der Glaubens-Schatz so vielen abgezwungen!

HOFFMANNSWALDAU

Ein Herz, aus welchem nichts als mein Verderben quillt,

Ein Wort, das himmlisch ist und mich verdammen kann,

Zwei Hände, deren Zorn gelegt mich in den Bann

Und durch ein süßes Gift die Seele mir umhüllt,

Ein Schmuckstück, wie es scheint, im Paradies gemacht,

Hat mich um meinen Geist und meinen Witz gebracht!

GRYPHIUS

Mir ist, ich weiß nicht wie... Ich seufz in meinem Sinn,

Ich weine Tag und Nacht, ich lieg in tausend Schmerzen;

Und tausend fürchte ich; die Kraft in meinem Herzen

Vergeht, der Geist wird irr, die Hände sinken hin.

HOFFMANNSWALDAU

Es ist ein Schelm der Zeit, ein Zunder nur zum Zanken,

Ist wahrer Freundschaft Gift, ein Henker der Gedanken,

Des Krieges Ebenbild, ein Diebstahl, den man gibt,

Ein Wesen, das kein Christ mit rechter Freude liebt,

Der süßen Hexe Werk, ein bitterliches Lachen,

Und dass ich nicht zu viel muss aus dem Lotto machen,

Wenn der berühmte Tag schmeißt alle Himmel ein,

So wird das Lotto wohl des Teufels Wonne sein!

GRYPHIUS

Was bilden wir uns ein? Was wünschen wir zu haben?

Jetzt sind wir stolz und groß und morgen schon begraben,

Jetzt Blume, morgen Kot. Wir sind ein Wind, ein Schaum,

Ein Nebel und ein Bach, ein Reif, ein Tau, ein Schatten;

Jetzt Ichts und morgen Nichts!

HOFFMANNSWALDAU

Soll ich dich GÖttin nennen?

So nimm des Himmels Wehmut an!

Der Heiland, der sich stets erbarmen kann,

Der lässt nicht ewig uns in Hoffnungsflammen brennen!

GRYPHIUS

Die Herrlichkeit der Erden

Muss Rauch und Asche werden!

Was sind doch alle Sachen,

Die uns viel Kummer machen,

Als leere Nichtigkeit!

HOFFMANNSWALDAU

Bezwinge weise dein Gemüte

Und folge immer dem Geblüte,

In das im Paradies

Der Herr den Funken blies -

Wer kann dem widerstreben?

Schau ich dein weißes Antlitz an,

So fühl ich, was der Himmel kann,

Und auf den Brüsten will ich paradiesisch leben!

GRYPHIUS

Ist eine Lust, ein Scherz,

Die nicht ein schlimmer Schmerz

Mit Herzens-Gram verbittert?

Kaum dass wir zugenommen

Zur Blüte sind gekommen,

Bricht uns des Todes Sturm entzwei!

Wir rechnen viele Jahre,

Indessen wird die Bahre

Uns vor die Tür gebracht.

Da uns die Lust ergötzt

Und Kraft die Freiheit schätzt

Und Jugend glüht voll Glut,

Schon hat uns Tod bestrickt,

Die Wollust fortgeschickt,

Verlacht uns Jugend, Kraft und Mut.

HOFFMANNSWALDAU

Du schönes Tal, mit Lieblichkeit umgeben,

In dessen Schoß viel tausend Blumen weben,

Lass meine Klagen ein!

Lass, was du siehst aus meinen Augen schießen,

Durch Laub und Gras der schönen Gegend fließen

Und ihren Schmelz damit gewaschen sein!

GRYPHIUS

Wie viele schon vergangen!

Wie viele rote Wangen

Sind vor der Zeit verblasst!

HOFFMANNSWALDAU

Ach! was willst du, trübes Sinnen,

Denn beginnen?

Trauern tröstet keine Not;

Sie verzehrt uns nur die Herzen,

Nicht die Schmerzen,

Und ist schlimmer als der Tod!

GRYPHIUS

Vanitas Vanitatem!