DIE GÖTTER ÄGYPTENS


VON TORSTEN SCHWANKE



ERSTER GESANG

DIE SCHÖPFUNG


Am Anfang war die Welt 

Eine Wasserwüste namens Nu. 

Und es war die Wohnung des Großen Vaters. 

Er war Nu, denn er war die Tiefe, 

Und er gab dem Sonnengott sein Sein, 

Der sagte: Siehe! 

Ich bin Khepera im Morgengrauen, 

Ra am Mittag 

Und Tum am Abend.


Der Gott der Helligkeit erschien 

Zuerst als ein leuchtendes Ei, 

Das auf der Brust des Wassers schwebte, 

Und die Geister der Tiefe, 

Die die Väter und die Mütter waren, 

Waren dort bei ihm, 

Wie er bei Nu war, 

Denn sie waren die Gefährten von Nu .


Nun war Ra größer als Nu, 

Aus dem er hervorgegangen war. 

Er war der göttliche Vater 

Und starke Herrscher der Götter, 

Und diejenigen, die er zuerst 

Nach seinem Wunsch schuf, 

Waren Shu, der Windgott, 

Und seine Gemahlin Tefnut, 

Die den Kopf einer Löwin hatte 

Und "die Spuckende" genannt wurde, 

Weil sie schickte den Regen. 

In der Nachtzeit leuchteten diese beiden 

Gottheiten als Sterne 

Inmitten der Konstellationen des Himmels, 

Und sie wurden "Die Zwillinge" genannt.


Dann entstanden Geb, der Erdgott, 

Und Nut, die Göttin des Firmaments, 

Die die Eltern von Osiris 

Und seiner Gemahlin Isis 

Und auch von Set 

Und seiner Gemahlin Nepthys wurden.


Ra sprach am Anfang der Schöpfung 

Und forderte die Erde und den Himmel auf, 

Sich aus der Wasserwüste zu erheben. 

Im Glanz seiner Majestät erschienen sie, 

Und Shu, der Erhebende, 

Erhob Nut in die Höhe. 

Sie bildete das Gewölbe, 

Das über Geb, dem Gott der Erde, gewölbt ist, 

Der unter ihr niedergestreckt liegt, 

Von wo sie am östlichen Horizont 

Auf den Zehenspitzen ruht, 

Bis sie am westlichen Horizont 

Mit ausgestreckten Armen gebeugt ruht 

Auf ihren Fingerspitzen. 

In der Dunkelheit sieht man die Sterne, 

Die auf ihrem Körper 

Und über ihren großen, 

Unermüdlichen Gliedern funkeln.


Als Ra, nach seinem Wunsch, 

Die tiefen Gedanken seines Geistes aussprach, h

Htte das, was er rief, Sein. 

Als er ins All blickte, erschien ihm das, 

Was er sehen wollte. 

Er erschuf alles, was sich im Wasser 

Und auf dem trockenen Land bewegt. 

Nun wurde die Menschheit 

Aus seinem Auge geboren 

Und Ra, der Schöpfer, 

Der Herrscher der Götter war, 

Wurde der erste König auf Erden.


Er ging unter den Menschen umher; 

Er nahm Gestalt an wie ihre, 

Und für ihn waren die Jahrtausende wie Tage.



ZWEITER GESANG

DER GEHEIME NAME VON RA


Ra hatte viele Namen, 

Die weder Göttern 

Noch Menschen bekannt waren, 

Und er hatte einen geheimen Namen, 

Der ihm seine göttliche Macht verlieh. 

Die Göttin Isis, die als Frau in der Welt lebte, 

Wurde der menschlichen Wege überdrüssig; 

Sie suchte eher unter den mächtigen Göttern zu sein. 

Sie war eine Zauberin, 

Und sie sehnte sich sehr danach, 

Macht in den Himmeln 

Und auf der Erde gleich Ra zu haben. 

Deshalb sehnte sie sich in ihrem Herzen danach, 

Den geheimen Namen 

Des herrschenden Gottes zu kennen, 

Der in seinem Busen verborgen war 

Ud in der Sprache nie offenbart wurde.


Jeden Tag ging Ra hinaus, 

Und die Götter, die ihm angehörten, folgten ihm, 

Und er setzte sich auf seinen Thron 

Und sprach Anordnungen. 

Er war alt geworden, 

Und während er sprach, 

Tropfte Feuchtigkeit aus seinem Mund 

Und fiel zu Boden.


Isis folgte ihm, 

Und als sie seinen Speichel fand, 

Backte sie ihn mit der Erde, auf der er lag. 

In Form eines Speers formte sie die Substanz, 

Und daraus wurde eine giftige Schlange. 

Sie hob sie hoch; 

Sie warf sie von sich, 

Und sie lag auf dem Weg, 

Den Ra zu gehen pflegte, 

Wenn er in seinem Königreich auf und ab ging 

Und das begutachtete, was er gemacht hatte. 

Nun war die heilige Schlange, die Isis erschuf, 

Für Götter und Menschen unsichtbar.


Bald kam ein Tag, an dem Ra, 

Der alte Gott, den Pfad entlang ging, 

Dem seine Gefährten folgten. 

Er kam der Schlange nahe, 

Die ihn erwartete, 

Und die Schlange stach ihn. 

Das brennende Gift drang in seinen Körper ein 

Und Ra wurde von großen Schmerzen heimgesucht. 

Ein lauter und mächtiger Schrei 

Brach von seinen Lippen aus 

Und wurde im höchsten Himmel gehört.


Da sprachen die Götter, die bei ihm waren: 

Was ist dir widerfahren? 

Was ist da?


Ra antwortete nicht; 

Er schüttelte sich; 

Sein ganzer Körper zitterte 

Und seine Zähne klapperten 

Wegen des Giftes, das in sein Fleisch floss, 

Wie es der Nil tut, 

Wenn er das Land Ägypten überschwemmt. 

Aber schließlich besaß er sich selbst 

Und bändigte sein Herz 

Und die Ängste seines Herzens.


Er sprach, und seine Worte waren: 

Versammelt euch um mich, ihr, 

Die ihr meine Kinder seid, 

Damit ich das Schlimme kundtun kann, 

Das mir jetzt widerfahren ist 

Durch etwas, was ich nicht sehen kann. 

Davon habe ich Kenntnis in meinem Herzen, 

Denn ich habe mir selbst nicht 

Mit meiner eigenen Hand Schaden zugefügt. 

Siehe! Ich bin ohne Macht, 

Bekannt zu machen, 

Wer mich so geschlagen hat. 

Nie zuvor war so viel Leid 

Und Schmerz mein.


Er sprach weiter und sagte: 

Ich bin ein Gott und der Sohn eines Gottes; 

Ich bin der Mächtige, Sohn des Mächtigen. 

Nu, mein Vater, 

Hat meinen geheimen Namen erfunden, 

Der mir Macht verleiht, 

Und er barg ihn in meinem verborgen Herz, 

Damit kein Magier ihn je erkenne 

Und so ihm die Macht gegeben werde, 

Böses gegen mich zu tun. 

Als ich hinausging, selbst jetzt, 

Als ich die Welt sah, die ich geschaffen hatte, 

Biss mich ein bösartiges Ding. 

Es ist kein Feuer, 

Aber es brennt in meinem Fleisch; 

Es ist kein Wasser, 

Aber kalt ist mein Körper 

Und meine Glieder zittern. 

Hört mich jetzt! 

Mein Gebot ist, dass alle meine Kinder 

Zu mir gebracht werden, 

Damit sie machtvolle Worte verkünden, 

Die auf Erden 

Und in den Himmeln zu spüren sind.


Alle Kinder von Ra wurden zu ihm gebracht, 

Wie es sein Wunsch war. 

Isis, die Zauberin, kam in ihre Mitte, 

Und alle waren sehr betrübt, außer ihr allein. 

Sie sprach mächtige Worte, 

Denn sie konnte Beschwörungen aussprechen, 

Um den Schmerz zu lindern 

Und dem das Leben zu geben, 

Von dem das Leben gewichen war.


Zu Ra sprach Isis und sagte: 

Was ist dir, heiliger Vater?

Du bist von einer Schlange gebissen worden, 

Einer der Kreaturen, 

Die du erschaffen hast. 

Ich werde die Schlange im Glanz 

Deiner Herrlichkeit völlig überwältigen.


Er antwortete ihr und sagte: 

Ein bösartiges Ding hat mich gebissen. 

Es ist kein Feuer, 

Aber es verbrennt mein Fleisch. 

Es ist kein Wasser, 

Doch ist mein Körper kalt, 

Und meine Glieder zittern. 

Auch meine Augen sind trüb geworden, 

Schweiß fällt aus meinem Gesicht.


Isis sprach mit dem göttlichen Vater und sagte: 

Du musst mir deinen geheimen Namen 

Schon jetzt offenbaren, denn wahrlich, 

Du kannst durch die Macht deines Namens 

Von deinem Schmerz 

Und deiner Not befreit werden.


Ra hörte sie traurig. 

Dann sagte er: Ich habe die Himmel 

Und die Erde erschaffen. 

Siehe! Ich habe sogar die Erde gestaltet, 

Und die Berge sind das Werk meiner Hände; 

Ich habe das Meer gemacht 

Und ich habe den Nil 

Das Land Ägypten überfluten lassen. 

Ich bin der große Vater 

Der Götter und Göttinnen. 

Ich habe ihnen das Leben gegeben. 

Ich habe alles Lebendige erschaffen, 

Das sich auf dem trockenen Land 

Und in den Tiefen des Meeres bewegt. 

Wenn ich meine Augen öffne, ist Licht; 

Wenn ich sie schließe, ist es dicke Dunkelheit. 

Mein geheimer Name ist den Göttern nicht bekannt. 

Ich bin Khepera im Morgengrauen, 

Ra am Mittag und Tum am Abend.


So sprach der göttliche Vater, 

Aber so mächtig und magisch 

Seine Worte auch waren, 

Sie brachten ihm keine Erleichterung. 

Das Gift brannte noch immer in seinem Fleisch 

Und sein Körper zitterte. 

Er schien bereit zu sterben.


Isis, die Zauberin, hörte ihn, 

Aber in ihrem Herzen war kein Kummer. 

Sie wünschte sich vor allem, 

Die Macht von Ra zu teilen, 

Und er sollte ihr seinen heiligen Namen offenbaren, 

Den Nu zu Beginn erdachte und aussprach. 

Also sprach sie zu Ra und sagte: 

Göttlicher Vater, du hast deinen Namen 

Der Macht noch nicht ausgesprochen. 

Wenn du ihn mir offenbaren willst, 

Werde ich die Kraft haben, 

Dir Heilung zu geben.


Heißer als Feuer brannte das Gift 

Im Herzen von Ra. 

Wie wütende Flammen verzehrte es sein Fleisch, 

Und er litt unter heftigen Qualen. 

Isis wartete, 

Und schließlich sprach der Große Vater 

Majestätisch und sagte: 

Es ist mein Wille, 

Dass Isis mein geheimer Name gegeben wird 

Und dass er mein Herz verlässt 

Und in ihres eindringt.


Als er so gesprochen hatte, 

Verschwand Ra vor den Augen der Götter. 

Das Sonnenboot war leer, 

Und es herrschte dicke Dunkelheit. 

Isis wartete, 

Und als der geheime Name 

Des göttlichen Vaters 

Sein Herz verlassen 

Und in ihres übergehen wollte, 

Sprach sie mit Horus, ihrem Sohn, und sagte: 

Nun zwinge den herrschenden Gott 

Durch einen mächtigen Zauber, 

Auch seine Augen zu geben, 

Das sind Sonne und Mond.


Dann empfing Isis in ihrem Herzen 

Den geheimen Namen von Ra, 

Und die mächtige Zauberin sagte:

Geh weg, oh Gift, von Ra; 

Komm aus seinem Herzen und aus seinem Fleisch; 

Der Zauber sei weggezaubert. 

Siehe, ich habe die Schlange überwunden 

Und das Gift auf den Boden vergießen lassen, 

Weil mir der geheime Name 

Des göttlichen Vaters gegeben wurde.

Nun lass Ra am Leben, 

Denn das Gift ist untergegangen.


So wurde der Gott gesund gemacht. 

Das Gift verschwand aus seinem Körper 

Und sein Herz hatte weder 

Schmerz noch Kummer mehr.



DRITTER GESANG

RA UND HATHOR


Als Ra alt wurde, 

Über die Menschen zu herrschen, 

Gab es welche unter seinen Untertanen, 

Die ihn verächtlich ansprachen und sagten: 

Gealtert ist tatsächlich König Ra, 

Denn jetzt sind seine Gebeine silbern 

Und sein Fleisch ist zu Gold geworden, 

Obwohl sein Haar ist

Wie echter Lapislazuli dunkel.


Zu Ra kam Kenntnis von den bösen Worten, 

Die gegen ihn gesprochen wurden, 

Und es war Zorn in seinem Herzen, 

Weil auf den Lippen der Menschen 

Rebellische Worte waren, 

Uund weil sie auch versuchten, 

Ihn zu töten. 

Er sprach zu seinen göttlichen Jüngern 

Und sagte: Bringt vor mich den Gott Shu 

Und die Göttin Tefnut, 

Den Gott Geb und seine Gemahlin Nut 

Und die Väter und Mütter, 

Die am Anfang bei mir waren, 

Als ich in Nu war. 

Lass sie alle heimlich hierherkommen, 

Damit die Menschen sie nicht sehen 

Und aus Furcht plötzlich fliehen. 

Alle Götter sollen sich in meinem großen Tempel 

Zu Heliopolis versammeln.


Die Götter versammelten sich, 

Wie es Ra gewünscht hatte, 

Und sie huldigten ihm. 

Sie sagten dann: Sprich, was du sagen willst, 

Und wir werden es hören.


Er wandte sich an die Götter und sagte: 

O Nu, du der älteste Gott, von dem ich war, 

Und ihr Ahnengötter, 

Hört und wisst jetzt, dass die Menschheit, 

Die ich geschaffen habe, 

Rebellische Worte gegen mich spricht. 

Sie suchen sogar, mich zu töten. 

Es ist mein Wunsch, dass ihr mich belehrt, 

Was ihr in dieser Angelegenheit tun würdet. 

Überlegt euch gut und leitet mich mit Weisheit. 

Ich habe gezögert, die Menschheit zu bestrafen, 

Bis ich von euren Lippen gehört habe, 

Was jetzt sollte getan werden.


Denn siehe! Ich wünsche in meinem Herzen, 

Das, was ich geschaffen habe, 

Vollständig zu zerstören, 

Neben mir alle, außer Osiris 

Und seinen Sohn Horus. 

Ich werde zu einer kleinen Schlange, 

Die für die Götter unsichtbar ist. 

Osiris wird Macht gegeben, 

Über die Toten zu herrschen, 

Und Horus wird erhöht auf dem Thron, 

Der auf der Insel der feurigen Flammen steht. 


Da sprach Nu, der Gott 

Des Urwassers, und sagte: 

Höre mich jetzt, mein Sohn, 

Der du mächtiger bist als ich, 

Obwohl ich dir das Leben gegeben habe. 

Standhaft ist dein Thron; 

Groß ist die Furcht vor dir unter den Menschen.

Lass dein Auge 

Auf die Rebellen 

Des Königreichs gerichtet sein.


Ra sagte: Nun suchen die Menschen 

Zu fliehen zwischen den Hügeln; 

Sie zittern wegen der Worte, 

Die sie geäußert haben.


Die Götter sprachen miteinander und sagten: 

Lass dein Auge hinausgehen 

Gegen die Rebellen im Königreich, 

Und es wird sie völlig vernichten. 

Wenn es als Hathor vom Himmel herabkommt, 

Kann kein menschliches Auge 

Dagegen gerichtet werden.


Ra hörte es, und wie es sein Wille war, 

Ging sein Auge als Hathor 

Gegen die Menschheit 

Zwischen den Bergen aus, 

Und sie wurden schnell getötet. 

Die Göttin freute sich über ihre Arbeit 

Und zog über das Land, 

So dass sie viele Nächte im Blut watete.


Dann bereute Ra. 

Seine wilde Wut verging 

Und er versuchte, den Rest 

Der Menschheit zu retten. 

Er sandte Boten, die schneller 

Als der Sturmwind rannten, 

Nach Elephantine, damit sie schnell 

Viele Tugendpflanzen erhalten würden. 

Diese brachten sie zurück, 

Und sie waren gut gemahlen 

Und mit Gerste durchtränkt in Gefäßen, 

Die mit dem Blut der Menschheit gefüllt waren. 

So wurde Bier gebraut 

Und siebentausend Krüge wurden damit gefüllt.


Der Tag dämmerte 

Und Hathor ging stromaufwärts 

Und schlachtete die Menschheit. 

Ra betrachtete die Krüge und sagte: 

Jetzt werde ich den Menschen Schutz geben. 

Es ist mein Wille, 

Dass Hathor sie nicht länger töten darf.


Dann befahl der Gott, 

Die Krüge zu dem Ort zu tragen, 

Wo die rachsüchtige Göttin 

Nach dem Schlachttag die Nacht ausruhte. 

Die Krüge wurden nach seinem Wunsch geleert 

Und das Land von der Flut bedeckt.


Als Hathor erwachte, freute sich ihr Herz. 

Sie bückte sich und sah, 

Wie sich ihr schönes Gesicht 

In der Flut spiegelte. 

Da fing sie an, eifrig zu trinken, 

Und sie wurde betrunken, 

So dass sie im Lande hin und her ging 

Und sich nicht um die Menschen kümmerte.


Ra sprach zu ihr und sagte: 

O Schöne Göttin, 

Kehre in Frieden zu mir zurück.


Hathor kehrte zurück, 

Und der göttliche Vater sagte: 

Von nun an werden hübsche Mägde, 

Deine Priesterinnen, 

Dir in Krügen nach ihrer Zahl 

Süße Tränke bereiten, 

Und diese werden dir zum ersten Fest 

Hedes neuen Jahres 

Als Opfergaben gegeben.


So geschah es, dass von jenem Tag an, 

Als der Nil in roter Flut aufging 

Und das Land Ägypten bedeckte, 

Der Hathor Bier geopfert wurde. 

Männer und Frauen nahmen 

An den süßen Tränken des Festes teil 

Und wurden wie die Göttin betrunken.


Als Hathor nun zu Ra zurückgekehrt war, 

Sprach er müde zu ihr und sagte: 

Ein feuriger Schmerz quält mich, 

Noch kann ich sagen, woher er kommt. 

Ich habe die Menschen nicht vernichtet, 

Wie ich die Macht dazu habe.


Die Götter, die Ra folgten, sagten: 

Sei nicht länger müde.


Ra antwortete ihnen und sagte: 

Meine Glieder sind wirklich müde, 

Und sie versagen mir. 

Ich werde nicht mehr allein hinausgehen 

Und nicht warten, bis ich wieder 

Von Schmerzen heimgesucht werde. 

Hilfe wird mir nach meinem Wunsch gegeben.


Dann rief der Herrscher der Götter 

Nu, von dem er war, 

Und Nu bat Shu, den Atmosphärengott, 

Und Nut, die Göttin der Himmel, 

Ra in seiner Not zu helfen.


Nut nahm die Gestalt der Himmlischen Kuh an 

Und Shu hob Ra auf ihren Rücken. 

Dann kam die Dunkelheit. 

Die Menschen traten in großer Angst 

Aus ihren Verstecken hervor, 

Und als sie sahen, wie Ra von ihnen ging, 

Bekümmerten sie sich 

Wegen der rebellischen Worte, 

Die gegen seine Majestät gesprochen worden waren. 

Tatsächlich schrien sie zu Ra 

Und flehten ihn an, 

Die verbliebenen Feinde zu töten. 

Aber Ra wurde durch die Dunkelheit getragen, 

Und die Menschen folgten ihm, 

Bis er wieder erschien 

Und Licht auf die Erde brachte. 

Da bewaffneten sich seine treuen Untertanen 

Mit Waffen, und sie stürmten gegen die Feinde 

Des Sonnengottes aus 

Und schlachteten sie im Kampf.



VIERTER GESANG

DIE REISE DER SONNE


Ra sah, was seine Jünger 

Unter den Menschen getan hatten, 

Und er war sehr zufrieden. 

Er sprach zu ihnen und sagte: 

Nun ist dir deine Sünde vergeben. 

Das Schlachten sühnt für das Schlachten. 

Das ist das Opfer und der Sinn davon.


Als Ra auf diese Weise 

Zur Sühne für die Sünden der Menschen 

Das Opfer seiner Feinde, 

Die ihn töten wollten, angenommen hatte, 

Sprach er mit der himmlischen Göttin Nut 

Und sagte: Von nun an muss meine Wohnung 

In den Himmeln sein.


Es geschah also nach seinem göttlichen Willen. 

Der große Gott bahnte sich seinen Weg 

Durch die Reiche, die oben sind, 

Und diese teilte er auf und ordnete sie. 

Er sprach schaffende Worte 

Und rief das Feld von Aalu ins Dasein, 

Und dort ließ er eine Menge Wesen versammeln, 

Die im Himmel zu sehen sind, 

Sogar die Sterne, 

Und diese wurden aus Nut geboren. 

In Millionen kamen sie, 

Um Ra zu loben und zu verherrlichen. 

Shu, dem Gott der Atmosphäre, 

Dessen Gemahlin Nut ist, 

Wurde die Bewahrung der Vielzahl 

Von Wesen gegeben, 

Die in dichter Dunkelheit leuchten. 

Shu hob die Arme 

Und hob die Himmlische Kuh 

Und die Millionen und Abermillionen 

Von Sternen über seinen Kopf.


Dann sprach Ra zu dem Erdgott, 

Der Geb genannt wird, und sagte: 

Viele furchterregende Reptilien wohnen in dir. 

Es ist jetzt mein Wille, 

Dass sie sich vor mir so sehr fürchten 

Wie meine Angst vor ihnen groß ist. 

Du sollst herausfinden, warum sie 

Von Feindschaft gegen mich ergriffen sind. 

Wenn du das getan hast, 

Sollst du zu Nu, meinem Vater, gehen 

Und ihn bitten, alle Reptilien in der Tiefe 

Und auf dem trockenen Land zu kennen. 

Strahlen werden auf sie fallen. 

Nur durch magische Worte 

Können sie überwunden werden. 

Ich werde den Zauber enthüllen, 

Mit dem die Menschenkinder 

Alle Reptilien vereiteln, 

Und Osiris, dein Sohn, 

Wird die Magier begünstigen, 

Die die Menschheit vor ihnen schützen.


Er sprach noch einmal und rief den Gott Thoth, 

Der durch sein Wort entstand. 

Für dich, oh Thoth, sagte er,

Ich werde in der großen Tiefe 

Und in der Unterwelt, die Duat ist, 

Eine strahlende Bleibe schaffen. 

Du sollst die Sünden der Menschen aufschreiben 

Und die Namen meiner Feinde; 

In Duat sollst du sie binden. 

Du sollst vorübergehend an meiner Stelle wohnen; 

Du bist mein Stellvertreter. 

Ich sende jetzt Boten zu dir.


So kamen herein der Ibis durch seine Macht, 

Der Kranich und der Hund 

Und die Affen, die Boten des Thot.


Ra wieder sprach und sagte: 

Deine Schönheit wird 

Durch die Dunkelheit vergossen werden; 

Du sollst die Nacht mit dem Tag verbinden. 

So entstand der Mond von Thoth, 

Und Ra sagte: Alle Lebewesen 

Werden dich verherrlichen 

Und preisen als einen Gott der Weisheit.


Wenn das ganze Land schwarz ist, 

Durchquert die Sonnenbarke von Ra 

Die Zwölf-Stunden-Divisionen 

Der Nacht in Duat. 

Am Abend, wenn der Gott Tum ist, 

Ist er alt und sehr gebrechlich. 

Fünfundsiebzig Anrufungen werden gesungen, 

Um ihm die Macht zu geben, 

Die Dämonen der Dunkelheit, 

Die seine Feinde sind, zu besiegen. 

Dann betritt er das westliche Tor, 

Durch das die Seelen der Toten gehen, 

Um von Osiris gerichtet zu werden. 

Vor ihm geht der Schakalgott Anubis, 

Denn er ist der Öffner der Wege. 

Ra hat ein Zepter in einer Hand; 

In der anderen trägt er das Ankh, 

Das Kreuz des Lebens.


Als die Sonnenbarke in den Fluss Urnes 

Der Unterwelt eindringt, 

Sind die Gefährten von Ra bei ihm. 

Wachmann ist da, und Schläger, 

Und Steuermann ist am Ruder, 

Und in der Barke sind auch jene Gottheiten, 

Die durch magische Beschwörungen 

Die Macht erhalten, die Dämonen 

Des Bösen zu besiegen.


Die düstere Dunkelheit 

Der ersten Stundeneinteilung 

Wird durch die Helligkeit von Ra zerstreut. 

Neben der Barke versammeln sich 

Die blassen Schatten der frisch Verstorbenen, 

Aber keiner von ihnen kann sie betreten, 

Ohne die magischen Formeln zu kennen, 

Die nur wenigen zu besitzen gegeben ist.


Am Ende der ersten Stundenteilung 

Ist eine hohe und starke Mauer, 

Und ein Tor wird durch Beschwörungen geöffnet, 

Damit die Barke von Ra hindurchgehen kann. 

So schreitet der Sonnengott 

Von Division zu Division, 

Die ganze gefährliche Nacht hindurch, 

Und die Zahl der Dämonen, 

Die durch Magie und erbitterte Kämpfe 

Vereitelt werden müssen, nimmt zu. 

Apep, die große Nachtschlange, 

Versucht immer, Ra zu überwinden 

Und ihn zu verschlingen.


Die fünfte Stundeneinteilung 

Ist die Domäne des gefürchteten Sokar, 

Des Unterweltgottes, 

Mit drei menschlichen Köpfen, 

Einem Schlangenkörper und mächtigen Flügeln, 

Zwischen denen seine Falkenform erscheint. 

Seine Wohnung befindet sich 

An einem dunklen und geheimen Ort, 

Der von wilden Sphinxen bewacht wird. 

In seiner Nähe befindet sich der Teich, 

Der von fünf Göttern mit Körpern 

Wie mit Menschen- und Tierköpfen bewacht wird. 

Seltsame und mysteriöse Gestalten schweben nahe, 

Und im Teich sind Genies in Folter, 

Deren Köpfe mit ewigem Feuer entflammt sind.


In der siebten Stundeneinteilung sitzt Osiris, 

Der göttliche Totenrichter. 

Feurige Schlangen, die vielköpfig sind, 

Gehorchen seinem Willen. 

Füße haben sie zum Laufen 

Und Hände, und manche tragen scharfe Messer, 

Mit denen sie die Seelen 

Der Bösen in Stücke schneiden. 

Wen Osiris für würdig hält, den begünstigt er; 

Solche werden in der Unterwelt leben – 

Wen er für voller Sünde hält, weist er zurück, 

Und auf diese fallen die Schlangen 

Und zerren sie weg, während sie laute 

Und durchdringende Schreie 

Des Kummers und der Qual ausstoßen, 

Um gequält und verschlungen zu werden; 

Siehe! die Bösen gehen völlig zugrunde.


In dieser Teilung der Gefahr der dunklen Nacht 

Greift die Schlange Apep die Sonnenbarke an 

Und schlingt ihren großen Körper 

Um das Abteil von Ra mit der wilden Absicht, 

Ihn zu verschlingen. 

Aber die Verbündeten des Gottes 

Kämpfen gegen die Schlange; 

Sie stechen auf sie mit Messern ein, 

Bis sie überwunden ist. 

Isis spricht mächtige Beschwörungen, 

Die die Sonnenbarke unbeschadet 

Weitersegeln lassen.


In der achten Abteilung sind Schlangen, 

Die Feuer spucken, 

Um die Dunkelheit zu erleuchten, 

Und in der zehnten sind wilde Wasserreptilien 

Und gefräßige Fische. 

Der Gott Horus brennt in der elften Stundenteilung 

Große Leuchtfeuer an; 

Rötliche Flammen und goldene Flammen 

Lodern in Schönheit empor: 

Die Feinde von Ra werden 

In den Feuern des Horus verzehrt.


Der Sonnengott wird in der zwölften 

Stundenteilung wiedergeboren. 

Er dringt in den Schwanz 

Der mächtigen Schlange ein, 

Die Göttliches Leben genannt wird, 

Und tritt in Form von Khepera, einem Käfer, 

Aus ihrem Maul. 

Diejenigen, die bei Gott sind, 

Werden auch wiedergeboren. 

Die letzte Tür von allen wird von Isis, 

Der Frau von Osiris, 

Und Nepthys, der Frau von Set, 

In Form von Schlangen bewacht. 

Sie betreten mit Ra die Sonnenbarke.


Jetzt mündet Urnes, der Fluss von Duat, 

In den urzeitlichen Ozean, 

In dem Nu seinen Wohnsitz hat. 

Und wie Ra am Anfang 

Aus der Tiefe gehoben wurde, 

So wird er im Morgengrauen 

Von Nu gehoben. 

Dann wird er von Nut, 

Der Göttin des Himmels, empfangen; 

Er ist aus Nut geboren 

Und wächst majestätisch 

Und steigt bis zum Mittag auf.


Die Seelen der Toten schreien laut, 

Als der Sonnengott 

Aus der Dunkelheit von Duat aufbricht.



FÜNFTER GESANG

OSIRIS


Als Osiris geboren wurde, 

Verkündete eine Stimme aus dem Himmel: 

Nun ist der Herr aller Dinge gekommen.

Der weise Mann Pamyles wusste 

Von der Botschaft 

An einem heiligen Ort in Theben, 

Und er stieß einen Freudenschrei aus 

Und sagte dem Volk, 

Dass ein guter und weiser König 

Unter den Menschen erschienen sei.


Als Ra alt wurde und in den Himmel aufstieg, 

Saß Osiris auf seinem Thron 

Und regierte über das Land Ägypten. 

Die Menschen waren nur Wilde, 

Als er zum ersten Mal unter sie kam. 

Sie jagten wilde Tiere, 

Sie wanderten in zerbrochenen Stämmen 

Hierhin und dorthin, im Tal auf und ab 

Und zwischen den Bergen, 

Und die Stämme kämpften erbittert im Kampf. 

Böse waren ihre Wege 

Und ihre Begierden waren sündhaft.


Osiris leitete ein neues Zeitalter ein. 

Er machte gute und verbindliche Gesetze, 

Er sprach gerechte Dekrete 

Und richtete mit Weisheit zwischen den Menschen. 

Er ließ endlich Frieden 

Im ganzen Land Ägypten herrschen.


Isis war die Gemahlin von Osiris, 

Und sie war eine Frau 

Von außerordentlicher Weisheit. 

Da sie die Not der Menschen erkannte, 

Sammelte sie die Ähren von Gerste und Weizen, 

Die sie wild wachsen sah, 

Und gab sie dem König. 

Dann lehrte Osiris die Menschen, 

Das Land, das überflutet worden war, aufzubrechen, 

Um die Saat zu säen 

Und zur rechten Zeit die Ernte zu ernten. 

Er lehrte sie auch, Mais zu mahlen 

Und Mehl zu kneten, 

Damit sie genug Nahrung haben. 

Der weise Herrscher ließ den Weinstock 

Auf Pfähle ziehen, kultivierte Obstbäume 

Und ließ die Früchte pflücken.


Er war ein Vater für sein Volk 

Und lehrte es, die Götter anzubeten, 

Tempel zu errichten 

Und ein heiliges Leben zu führen. 

Die Hand des Menschen wurde nicht mehr 

Gegen seinen Bruder erhoben. 

In den Tagen von Osiris dem Guten 

Herrschte Wohlstand im Land Ägypten.


Als der König die hervorragenden Werke sah, 

Die er in Ägypten vollbracht hatte, 

Zog er aus, um die ganze Welt zu durchreisen, 

Um allen Menschen Weisheit zu lehren 

Und sie dazu zu bewegen, 

Ihre bösen Wege aufzugeben. 

Nicht durch Eroberung der Schlacht 

Erreichte er seine Triumphe, 

Sondern durch sanfte und überzeugende Rede, 

Durch Musik und Gesang. 

Friede folgte seinen Fußstapfen, 

Und die Menschen lernten 

Weisheit von seinen Lippen.


Isis regierte bis zu seiner Rückkehr 

Über das Land Ägypten. 

Sie war stärker als Set, 

Der mit eifersüchtigen Augen 

Die guten Werke seines Bruders betrachtete, 

Denn sein Herz war voller Übel 

Und er liebte den Krieg mehr als den Frieden. 

Er wollte im Königreich Rebellion schüren. 

Die Königin vereitelte seine bösen Absichten. 

Er versuchte vergeblich, sich im Kampf 

Gegen sie durchzusetzen, 

Also plante er, Osiris durch List zu besiegen. 

Seine Anhänger waren zweiundsiebzig Männer, 

Die Untertanen der dunklen 

Königin von Äthiopien waren.


Als Osiris von seiner Mission zurückkehrte, 

War die Freude im Land groß. 

Ein königliches Fest wurde abgehalten, 

Und Set kam, um sich feiern zu lassen, 

Und mit ihm waren seine Mitverschwörer.


Er brachte eine wohlgeformte 

Und verzierte Truhe mit, 

Die er nach den Körpermaßen 

Des Königs anfertigen ließ. 

Alle Männer lobten sie beim Fest, 

Bewunderten ihre Schönheit, 

Und viele wünschten sich sehr, sie zu besitzen. 

Als die Herzen beim Biertrinken erfreut wurden, 

Verkündete Set, dass er die Truhe 

Demjenigen schenken würde, 

Dessen Körper genau ihren Proportionen entsprach. 

Unter den treuen Untertanen von Osiris 

Gab es keinen Verdacht auf böse Absicht. 

Die Gäste sprachen leichtfertig 

Und scherzten miteinander, 

Und alle waren begierig darauf, 

Den Prozess zu machen, 

Wie es Set gewünscht hatte.


So geschah es, dass in dieser schicksalhaften Nacht 

Einer nach dem anderen in die Truhe eindrang, 

Bis es schien, dass kein Mann zu finden war, 

Der sie für sich gewinnen konnte. 

Dann trat Osiris vor. 

Er legte sich in die Truhe 

Und füllte sie in allen Teilen aus. 

Aber teuer war sein Triumph 

In dieser dunklen Stunde, 

Die seine Stunde des Untergangs war. 

Bevor er seinen Körper heben konnte, 

Sprangen die bösen Gefolgsleute 

Von Set plötzlich vor 

Und schlossen den Deckel, 

Den sie festnagelten und mit Blei verlöteten. 

So wurde die reich verzierte Truhe 

Zum Sarg des guten Königs Osiris, 

Dem der Lebensatem entwich.


Das Fest wurde in Verwirrung aufgelöst. 

Fröhlichkeit endete in Trauer, 

Und danach floss Blut anstelle von Bier. 

Set befahl seinen Anhängern, 

Die Truhe wegzutragen 

Und heimlich zu entsorgen. 

Wie er es ihnen sagte, taten sie es auch. 

Sie eilten durch die Nacht 

Und warfen sie in den Nil. 

Die Strömung trug sie in der Dunkelheit fort, 

Und als es Morgen wurde, 

Erreichte sie den großen Ozean 

Und wurde hierhin und dorthin getrieben, 

Indem sie sich zwischen den Wellen wälzte. 

So endeten die Tage des Osiris 

Und die Jahre seiner weisen 

Und wohlhabenden Herrschaft im Land Ägypten.



SECHSTER GESANG

ISIS


Als man Isis die traurige Nachricht überbrachte, 

War sie von großem Kummer heimgesucht 

Und weigerte sich, getröstet zu werden. 

Sie weinte bittere Tränen und weinte laut. 

Dann legte sie ein verbindliches Gelübde ab, 

Schnitt sich eine Locke ihres glänzenden Haares ab 

Und legte die Trauerkleider an. 

Danach wanderte die verwitwete Königin 

Im Land auf und ab 

Und suchte nach dem Leichnam von Osiris.


Sie wollte auch nicht ruhen oder bleiben, 

Bis sie gefunden hatte, was sie suchte. 

Sie befragte jeden, dem sie begegnete, 

Und einer nach dem anderen 

Antworteten ihr ohne Wissen. 

Lange suchte sie vergeblich, 

Aber schließlich wurde ihr von Küstenkindern erzählt, 

Dass sie die Truhe gesehen hatten, 

Die den Nil hinuntertrieb 

Und durch die Deltamündung, 

Die ihren Namen von der Stadt Tanis hat, 

Ins Meer mündete.


In der Zwischenzeit bestieg Set, der Usurpator, 

Den Thron des Osiris 

Und regierte über das Land Ägypten. 

Den Männern wurde Unrecht getan 

Und sie wurden ihres Besitzes beraubt. 

Es herrschte Tyrannei und große Unordnung, 

Und die Jünger des Osiris litten unter Verfolgung. 

Die gute Königin Isis 

Wurde ein Flüchtling im Königreich 

Und suchte in den Sümpfen 

Und im tiefen Dschungel des Deltas 

Schutz vor ihren Feinden. 

Sieben Skorpione folgten ihr, 

Und das waren ihre Beschützer. 

Ra, der vom Himmel herabschaute, 

Wurde wegen ihrer großen Not zu Mitleid bewegt, 

Und er sandte ihr Anubis, 

Den Öffner der Wege, zu Hilfe, 

Der der Sohn von Osiris und Nepthys war, 

Und er wurde ihr Führer.


Eines Tages suchte Isis 

Zuflucht im Haus einer armen Frau, 

Die beim Anblick der furchterregenden 

Skorpione von so großer Angst 

Heimgesucht wurde, dass sie 

Der wandernden Königin die Tür schloss. 

Aber ein Skorpion verschaffte sich Zutritt 

Und biss ihr Kind, so dass es starb. 

Dann laut und lang klangen die Wehklagen 

Der angeschlagenen Mutter.


Das Herz von Isis wurde von Mitleid berührt, 

Und sie sprach magische Worte, 

Die das Kind wieder zum Leben erweckten, 

Und die Frau diente der Königin dankbar, 

Während sie im Haus blieb.


Dann gebar Isis ihren Sohn Horus, 

Aber Set erfuhr, 

Wo die Mutter und das Baby versteckt waren, 

Und machte sie zu Gefangenen im Haus.


Es war sein Wunsch, Horus zu töten, 

Damit er nicht sein Feind 

Und Anwärter auf den Thron von Osiris würde. 

Aber der weise Thot kam aus dem Himmel 

Und warnte Isis, 

Und sie floh mit ihrem Kind in die Nacht. 

Sie suchte Zuflucht in Buto, 

Wo sie Horus in die Obhut von Uazit, 

Der jungfräulichen Göttin der Stadt, gab, 

Die eine Schlange war, 

Damit er Schutz vor dem eifersüchtigen Zorn 

Seines bösen Onkels Set habe, 

Während sie auszog, 

Um zu suchen den Körper des Osiris.


Aber eines Tages, als sie das Kind anstarrte, 

Fand sie es tot liegen. 

Ein Skorpion hatte ihn gebissen, 

Und es lag auch nicht in ihrer Macht, 

Ihn wieder zum Leben zu erwecken. 

In ihrer bitteren Trauer rief sie 

Den großen Gott Ra an. 

Ihre Stimme erhob sich zum Himmel, 

Und das Sonnenboot blieb auf seinem Kurs. 

Dann kam der weise Thot herunter, 

Um Hilfe zu leisten. 

Er wirkte einen mächtigen Zauber; 

Er sprach magische Worte über das Kind Horus, 

Das sofort wieder zum Leben erweckt wurde. 

Es war der Wille der Götter, 

Dass er zu einer starken Männlichkeit heranwachsen 

Und dann den Mörder seines Vaters erschlagen sollte.


Der Sarg des Osiris wurde 

Von den Wellen nach Byblos in Syrien getrieben 

Und an die Küste geworfen. 

Ein heiliger Baum sprang auf 

Und wuchs um ihn herum, 

Und der Körper des toten Herrschers 

War in seinem großen Stamm eingeschlossen. 

Der König dieses fremden Landes 

Wunderte sich sehr 

Über den wunderbaren Baum, 

Weil er so schnell wuchs, 

Und er befahl, ihn zu fällen. 

Wie er es wünschte, so wurde es getan. 

Dann wurde der Baumstamm in seinem Hause 

Als heilige Säule aufgestellt, 

Aber niemand konnte von dem Geheimnis, 

Das er enthielt, erfahren.


Eine Offenbarung kam zu Isis, 

Und sie machte sich in einem Schiff 

Auf den Weg nach Byblos. 

Als sie die syrische Küste erreichte, 

Ging sie in gewöhnlichen Gewändern an Land 

Und saß neben einem Brunnen 

Und weinte bitterlich. 

Frauen kamen, um Wasser zu schöpfen, 

Und sie sprachen mitleidig mit ihr, 

Aber Isis antwortete nicht 

Und hörte nicht auf zu trauern, 

Bis die Dienerinnen der Königin sich näherten. 

Sie grüßte sie freundlich. 

Als sie sanft mit ihr gesprochen hatten, 

Flocht sie ihr Haar, und in jede Locke 

Atmete sie süßen und verführerischen Duft. 

So geschah es, dass die Königin, 

Als die Mädchen in das Haus 

Des Königs zurückkehrten, 

Das Parfüm roch und befahl, 

Die fremde Frau vor sie zu bringen. 

Dann fand Isis Gunst in den Augen der Königin, 

Die sie zur Pflegemutter 

Des königlichen Babys auserwählte.


Aber Isis weigerte sich, 

Das Kind zu säugen, 

Und um seine Schreie nach Milch 

Zum Schweigen zu bringen, 

Steckte sie ihren Finger in seinen Mund. 

Als es Nacht wurde, ließ sie sein Fleisch 

Vom Feuer verbrennen, 

Und sie nahm die Form einer Schwalbe an 

Und flog mit gebrochenen Schmerzensschreien 

Um die heilige Säule herum, 

Die den Körper des Osiris enthielt. 

Zufällig kam die Königin nahe 

Und erblickte ihr Baby in den Flammen. 

Sie riss ihn sofort heraus, 

Aber obwohl sie seinen Körper rettete, 

Führte das dazu, dass ihm 

Die Unsterblichkeit verweigert wurde.


Isis nahm wieder ihre gewohnte Gestalt an 

Und bekannte der Königin, wer sie war. 

Dann bat sie den König, 

Ihr die heilige Säule zu geben. 

Der Segen wurde gewährt, 

Und sie schnitt tief in den Stamm 

Und holte die darin verborgene Truhe hervor.


Sie umarmte sie zärtlich 

Und stieß Klageschreie aus, 

Die so bitter und scharf waren, 

Dass das königliche Baby vor Schrecken starb. 

Dann weihte sie die heilige Säule, 

Die sie in Leinen hüllte und mit Myrrhe salbte, 

Und sie wurde später in einen Tempel gestellt, 

Den der König der Isis errichten ließ, 

Und wurde lange Jahrhunderte 

Von den Leuten von Byblos verehrt.


Der Sarg des Osiris wurde zu dem Schiff getragen, 

In dem die Königin-Göttin nach Syrien gesegelt war. 

Dann ging sie an Bord und nahm Maneros, 

Den Erstgeborenen des Königs, mit sich 

Und fuhr zur See. 

Das Schiff raste weiter, 

Und das Land verschwand aus den Augen. 

Isis sehnte sich danach, 

Noch einmal das Gesicht 

Ihres toten Mannes zu sehen, 

Und sie öffnete die Truhe 

Und küsste leidenschaftlich seine kalten Lippen, 

Während Tränen aus ihren Augen strömten. 

Maneros, der Sohn des Königs von Byblos, 

Kam heimlich hinter sie 

Und fragte sich, welches Geheimnis 

Die Truhe enthielt. 

Isis sah sich wütend um, 

Ihre leuchtenden Augen blendeten ihn, 

Und er fiel tot ins Meer.


Als Isis das Land Ägypten erreichte, 

Versteckte sie die Leiche des toten Königs 

An einem geheimen Ort 

Und eilte in Richtung der Stadt Buto, 

Um ihren Sohn Horus zu umarmen, 

Aber ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. 

Zufällig kam Set bei Vollmond 

Im Dschungel des Deltas 

Auf die Jagd nach dem Wildschwein, 

Und er fand die Truhe, 

Die Isis aus Syrien mitgenommen hatte. 

Er ließ sie öffnen, 

Und der Körper des Osiris wurde herausgenommen 

Und in vierzehn Stücke zerrissen, 

Die er in den Nil warf, 

Damit die Krokodile sie verschlingen. 

Aber diese Reptilien hatten Angst vor Isis 

Und berührten sie nicht, 

Und sie wurden entlang der Flussufer verstreut. 

Ein Fisch Oxyrhynchus 

Hat den Phallus verschluckt.


Das Herz von Isis war voller Kummer, 

Als sie erfuhr, was Set getan hatte. 

Sie hatte sich ein Papyrusboot gebaut 

Und war auf der Suche 

Nach den Fragmenten des Körpers ihres Mannes 

In den Gewässern des Deltas auf und ab gesegelt, 

Und schließlich fand sie sie alle, 

Bis auf den Teil, den der Fisch verschluckt hatte. 

Sie begrub die Fragmente dort, 

Wo sie gefunden wurden, 

Und machte für jedes ein Grab. 

In späteren Zeiten wurden über den Gräbern 

Tempel errichtet, in denen Osiris 

Lange Jahrhunderte von den Menschen verehrt wurde.



SIEBENTER GESANG

KÖNIG DER TOTEN


Set regierte weiterhin über Ägypten 

Und verfolgte die Jünger 

Von Osiris und Isis 

In den Delta-Sümpfen 

Und entlang der Meeresküste im Norden. 

Aber Horus, der rechtmäßiger König war, 

Wuchs zu einer starken Männlichkeit heran. 

Er bereitete sich auf den kommenden Konflikt vor 

Und wurde ein starker und tapferer Krieger. 

Unter seinen Jüngern waren 

Gerissene Metallarbeiter, 

Die Schmiede genannt wurden, 

Und ihre Kriegswaffen waren hell und scharf. 

Auf ihren Kampfbannern 

War der Sonnenfalke zu sehen.


Eines Nachts erschien Horus 

In einer Vision sein Vater Osiris. 

Der Geist drängte ihn, Set zu stürzen, 

Von dem er so heimtückisch 

Hingerichtet worden war, 

Und Horus schwor, seinen bösen Onkel 

Und alle seine Anhänger 

Aus dem Land Ägypten zu vertreiben. 

So sammelte er sein Heer 

Und zog in die Schlacht.


Set kam bei Edfu gegen ihn 

Und tötete viele seiner Jünger. 

Aber Horus sicherte sich die Hilfe der Stämme, 

Die Osiris und Isis treu blieben, 

Und Set wurde erneut angegriffen 

Und in Richtung der Ostgrenze getrieben. 

Der Usurpator stieß einen großen Trauerschrei aus, 

Als er zur Flucht gezwungen wurde. 

Er ruhte sich bei Zaru aus, 

Und dort wurde die letzte Schlacht ausgetragen. 

Sie wurde viele Tage lang geführt 

Und Horus verlor ein Auge. 

Aber Set wurde noch schlimmer verwundet 

Und schließlich mit seiner Armee 

Aus dem Königreich vertrieben.


Es wird erzählt, dass der Gott Thot 

Aus dem Himmel herabgestiegen ist 

Und die Wunden von Horus 

Und Set geheilt hat. 

Dann erschien der Vernichter von Osiris 

Vor dem göttlichen Rat 

Und beanspruchte den Thron. 

Aber die Götter urteilten, dass Horus 

Der rechtmäßige König war, 

Und er etablierte seine Macht 

Im Land Ägypten 

Und wurde ein weiser und starker Herrscher 

Wie sein Vater Osiris.


Eine andere Version der Legende besagt, 

Dass Isis und Nepthys, 

Als die Fragmente des Körpers von Osiris 

Aus dem Nil geborgen wurden, 

Über sie klagten und bitterlich weinten. 

In einem der Tempelgesänge ruft Isis aus:


Götter und Menschen vor dem Angesicht der Götter 

Weinen gleichzeitig um dich, 

Wenn sie mich sehen!

Siehe! Ich rufe dich mit einem Jammern an, 

Das bis zum Himmel reicht –

Doch du hörst meine Stimme nicht. 

Siehe! Ich, deine Schwester, 

Ich liebe dich mehr als die ganze Erde

Und du liebst keinen andern 

Wie deine Schwester!


Nepthys weinte:


Bezwinge jeden Kummer, 

Der in unseren Herzen ist, deinen Schwestern.

Lebe vor uns 

Und wir wünsche uns, dich zu sehen. 


Die Klagelieder der Göttinnen 

Wurden von Ra gehört 

Und er sandte den Gott Anubis 

Vom Himmel herab, 

Der mit Hilfe von Thoth und Horus 

Die abgetrennten Körperteile 

Des Osiris vereinte, 

Die sie in Leinenbinden wickelten. 

So entstand die Mumie des Gottes.


Dann schwebte die geflügelte Isis 

Über dem Körper, 

Und die Luft aus ihren Flügeln drang 

In die Nasenlöcher von Osiris, 

So dass er wieder mit Leben erfüllt wurde. 

Danach wurde er Richter 

Und König der Toten.



ACHTER GESANG

DAS BUCH THOT


Ahura war die Frau von Nefer-ka-ptah, 

Und ihr Kind war Merab; 

Unter diesem Namen wurde er 

Von den Schreibern 

Im Haus des Lebens registriert. 

Und Nefer-ka-ptah, obwohl er der Sohn 

Des Königs war, kümmerte sich 

Um nichts auf Erden, 

Als die alten Aufzeichnungen zu lesen, 

Die im Haus des Lebens 

Auf Papyrus geschrieben 

Oder in den Tempeln in Stein gemeißelt waren; 

Den ganzen Tag und jede Nacht 

Studierte er die Schriften der Vorfahren.


Eines Tages ging er in den Tempel, 

Um zu den Göttern zu beten, 

Aber als er die Inschriften an den Wänden sah, 

Begann er sie zu lesen, 

Und er vergaß zu beten, 

Er vergaß die Götter, 

Er vergaß die Priester, 

Er vergaß alles, was um ihn herum war ihn, 

Bs er hinter sich Gelächter hörte. 

Er sah sich um und ein Priester stand da, 

Und von ihm kam das Gelächter.


Warum lachst du mich aus? 

Fragte Nefer-ka-ptah.


Weil du diese wertlosen Schriften gelesen hast, 

Antwortete der Priester. 

Wenn du lesenswerte Schriften lesen möchtest, 

Kann ich dir sagen, 

Wo das Buch Thoth verborgen liegt.


Da war Nefer-ka-ptah eifrig in seinen Fragen, 

Und der Priester antwortete: 

Thot hat das Buch mit seiner eigenen Hand geschrieben, 

Und darin liegt alle Magie der Welt. 

Wenn du die erste Seite liest, 

Wirst du den Himmel verzaubern, 

Die Erde, den Abgrund, die Berge und das Meer; 

Du wirst die Sprache der Vögel der Lüfte verstehen, 

Und du wirst wissen, was die kriechenden 

Wesen der Erde sagen, und du wirst 

Die Fische aus den dunkelsten Tiefen 

Der Erde sehen im Meer. 

Und wenn du die andere Seite liest, 

Könntest du, obwohl du tot 

Und in der Welt der Geister warst, 

In der Form, die du einst hattest, 

Auf die Erde zurückkehren. 

Und außerdem wirst du die Sonne am Himmel 

Mit dem Vollmond und den Sternen sehen, 

Und du wirst die großen Götter sehen.


Da sagte Nefer-ka-ptah: 

Bei dem Leben des Pharao 

Soll dieses Buch mein sein. 

Sag mir, was immer du willst, 

Ud ich werde es für dich tun.


Kümmere dich um mein Begräbnis, 

Sagte der Priester. Siehe, 

Dass ich wie ein reicher Mann begraben werde, 

Mit Priestern und trauernden Frauen, 

Opfergaben, Trankopfer und Weihrauch. 

Dann wird meine Seele in Frieden 

Auf den Feldern von Aalu ruhen.


Da sandte Nefer-ka-ptah einen Boten, 

U das Geld zu holen, und er zahlte 

Dem Priester hundert Silberlinge in die Hände. 

Als der Priester das Silber genommen hatte, 

Sagte er zu Nefer-ka-ptah:


Das Buch ist in Koptos in der Mitte des Flusses.

In der Mitte des Flusses ist eine Eisenkiste,

In der Eisenkiste ist eine Bronzekiste,

In der Keté-Holzschachtel ist eine 

Elfenbein- und Ebenholzschachtel,

In der Elfenbein- und Ebenholzschachtel 

Ist eine Silberschachtel,

In der Silberschachtel ist eine Goldschachtel,

Und in der Goldschachtel ist das Buch Thoth.


Um die große Eisenbüchse herum 

Sind Schlangen und Skorpione 

Und alle möglichen Krabbeltiere, 

Und vor allem gibt es eine Schlange, 

Die kein Mensch töten kann.


Als der Priester zu Ende gesprochen hatte, 

Rannte Nefer-ka-ptah aus dem Tempel, 

Denn seine Freude war so groß, 

Dass er nicht wusste, wo er war. 

Er rannte schnell, um Ahura zu finden, 

Um ihr von dem Buch zu erzählen 

Und dass er nach Koptos gehen 

Und es finden würde.


Aber Ahura war sehr traurig und sagte: 

Geh nicht auf diese Reise, 

Denn im Südlichen Land erwarten dich 

Ärger und Kummer.


Sie legte ihre Hand auf Nefer-ka-ptah, 

Als wollte sie ihn vor dem Kummer zurückhalten, 

Der ihn erwartete. Aber er ließ sich nicht zurückhalten, 

Löste sich von ihr 

Und ging zum König, seinem Vater.


Er erzählte dem König alles, was er gelernt hatte, 

Und sagte: Gib mir den königlichen Kahn, 

O mein Vater, damit ich mit meiner Frau Ahura 

Und meinem Sohn Merab 

Ins Südliche Land gehen kann. 

Denn über das Buch Thoth 

Muss und will ich verfügen.


So gab der König Befehle 

Und der königliche Lastkahn wurde vorbereitet, 

Und darin segelten Nefer-ka-ptah, 

Ahura und Merab den Fluss hinauf 

Zum Südlichen Land bis nach Koptos. 

Als sie in Koptos ankamen, 

Kamen der Hohepriester und alle Priester der Isis 

Von Koptos zum Fluss hinunter, 

Um Nefer-ka-ptah, Ahura und Merab 

Willkommen zu heißen. 

Und sie gingen in einer großen Prozession 

Zum Tempel der Göttin, 

Und Nefer-ka-ptah opferte einen Ochsen 

Und eine Gans und schenkte Isis von Koptos 

Und ihrem Sohn Harpokrates 

Ein Trankopfer Wein. 

Danach veranstalteten die Priester von Isis 

Und ihre Frauen vier Tage lang 

Ein großes Fest zu Ehren 

Von Nefer-ka-ptah und Ahura.


(Fragment)