STÖRTEBEKER


EPOS


VON TORSTEN SCHWANKE


meiner friesischen Mutter gewidmet



Ja du bist Schatten gegen den Sonnenstrahl

Und Schirm, o Freundschaft, gegen den Regenguss!

Wir fühlten es, da wir Störtebekers

Spähenden Hügel der Freude weihten!


Dort stehen die Eichen; unter den Eichen ruht

Der Namen-Sprecher. Wer von dem frommen Stein

Nur Moos klaubt, nur die Axt drauf ansieht,

Ob sie zu fällen die Beschirmer tauge,


An deren Sprössling zweimal die Weihende

Mit Stolz stand und: „Ich erwählte kein anderes Land“

Uns sang; (beim zweiten Zauber wiesen

Flämmchen den künftigen Platz des Denkmals,)


Dem sei der Sängerin Stimme ein Pfauen-Geschrei,

Der älteren Dame Lächeln eine Fratze!

Doch warum diese sanfte Schonung?

Rausche, Gesang, mir in anderen Tönen!


Mit Hohnlachen seh ihn der Gänsehirt!

Der Lehrer, welcher die Kinder schlägt,

Mit Hohnlachen! aber kalt verachtend,

Wer vor der Ähre die Sense wetzt!


Vom Ritterband umflattert und hell vom Stern

Müsse er mit einem Kammerkätzchen (sie,

Ja, sie sei schlecht vermählt!) sich vermählen

Und vor des Weibes Kothurnen unstet


Sein Leben verschnaufen! Wenn er, von jungem Grog

Erwärmt, einst umfällt, müsse den Schatten ihm

Störtebekers Schatten in des heißen

Acheron Wogenzischen kielholen!


(Nach Friedrich Gottlieb Klopstock) 





ERSTES ABENTEUER


Sommerabend. - Ein Rascheln reitet über die Wipfel 

Der Buchen auf den Dünenhöhen. In einer langen Kette 

Rollt das bewegte Gold der Sonne 

Durch die aufgeschreckten Äste. 


Und zwischen den grauen Stämmen steht bleich 

Und aufrecht die Stille und starrt 

Mit ihren unbeweglichen Zügen auf das tanzende Meer.

Doch das Meer spricht, seine Augen sind mal tiefblau, 


Mal purpurrot, und sie blitzen wild auf, 

Wenn das Element zu den Kreidefelsen hinüberruft, 

Die sich dicht unter die Wälder schmiegen 

Wie ein weißes Knie unter einem grünen Rock.


Keiner versteht, was das Meer ruft. Denn nur selten lauscht 

Ein menschliches Ohr dem Wind, obwohl es manchmal klingt, 

Als würde ein Ruf von draußen donnern 

Oder ein vergessener Schrei aus längst vergangenen Zeiten. 


Aber man ist nicht in der Lage, die Sprache 

Des Wassers zu deuten. Und dann liegt der riesige Spiegel 

Wieder still. Wie tief man sich auch beugt, 

Nie leuchtet er wieder das Bild des Einzelnen, 


Aber er malt die Bewegungen des Himmels, 

Die goldenen und silbernen Wagen rollen über seine Scheibe, 

Die Zeiten huschen über ihn und ein Kranz 


Von Völkern umschließt ihn. Sommerabend.

Und in der Wüste des Tages, gerade als der purpurne Ball 

Im Wasser abkühlt, erhebt sich eine andächtige Stunde. 

Dann hält der Tanz der Zeitalter über dem Meer an, 


Der Zug der Völker winkt deutlicher, 

Und die Vergangenheit schickt ihr Schattenschiff 

Vom Rand des Horizonts zu den Ufern der Lebenden.

Ich stehe am Ufer und sehe, wie die Scharen 

Der Schiffe an mir vorbeiziehen. Sie tragen 


Meine Gesichtszüge, sie sprechen meine Sprache, 

Es sind Menschen, die nicht tot sind, denn der Mensch 

Stirbt nicht auf Erden, weil sein Schicksal andauert. 

Unerwartet bin ich selbst in den Schirm 


Der Schatten gestiegen, und ich spüre, wie ich zurück 

In den Nebel der Jahrhunderte gleite. Oder vorwärts?

Von den Ufern der Vergangenheit zu den Ufern 

Der Gegenwart schwimmt das Schiff unaufhörlich 


Hin und her. Es trägt das Lebendige von den Toten, 

Und es trägt die Toten weg zu denen, die gewesen sind. 

Und dann erreicht es eine Linie, wo sich die Stimmen 

Beider Küsten unterscheiden, wo sie sich mischen 


Und ergänzen. Hört zu! Lasst uns zuhören!

Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts, dort, 

Wo sich heute Saßnitz mit seinen weißen Villen 

Terrassenförmig über die westliche Bucht 


Rügens erhebt, herrschte in den waldgekrönten Schluchten 

Tiefe Stille. Eine Siedlung gab es noch nicht, 

Und nach den brütenden Zisterziensermönchen 

Des nahen Klosters hatte der Küstenstreifen 


Seinen Namen nur, weil Graf Harro von Cona 

Dort einige seiner Sassen, die man auch Leibeigene 

Nennen konnte, in einer armseligen Holzhütte 

Untergebracht hatte, damit sie fortan für ihn fleißig 


Die seltenen Seelachse fingen. Den Zehnten ihres Fangs 

Durften sie behalten, den Rest mussten sie 

Mit einem Strandvogt abrechnen, der mit Zahlen 

Und einer Peitsche umzugehen wusste. 


Ein besonderes Privileg war, dass die Fischer 

Auch sonntags fischen durften. Nur die Beute gehörte 

Dem Kloster, denn Graf Harro galt als frommer Mann 

Und legte Wert darauf, seinen Lachs häufig 


In Gesellschaft des Abtes zu essen. Wann immer 

Der geistliche Herr an den Hof des Herzogs von Wolgast ritt, 

Ließ der Gottesmann unaufdringlich etwas 

Von den Wünschen des Grafen von Cona fallen, 


Und so hat sich der Lachs bezahlt gemacht, 

Und die armen Fischer haben heimlich und unwissentlich 

An der Größe ihres Herrn mitgewirkt. Natürlich, 

Aber nur mit Bewusstsein. Denn in der bescheidenen Hütte 


Lebte man ohne Wissen um die Dinge der Welt. 

Sie standen auf, fuhren aufs Meer hinaus 

Und warfen sich abends auf das Schilfbett, 

Wie ein Werkzeug, das man nach Gebrauch 


Wieder in die Ecke stellt. Aber das einheitliche Schweigen, 

Das sich die Bewohner der Hütte gegenseitig vermachten, 

Rührte dennoch von einem Ereignis her, 

Vor dem die Mitglieder der Hütte gerade für lange Zeit 


Verstummt waren. Es war um das Jahr 1366 geschehen.

Der Platz in der Hütte war wieder einmal vom Tod 

Ausgefüllt worden. Ein Vogt namens Klaus Becker 

Wurde in das Holzgebäude gestellt. Als der Vogt 


Ihn hineinführte, lachte der gräfliche Beamte und sagte: 

Pass auf, Klaus, dass du das Kreuzhölzchen 

Nicht beschädigst. Und diese Warnung war berechtigt, 

Denn der neue Bewohner musste sich tief bücken, 


Bevor er über die Schwelle trat. Er war zu riesig an Wuchs 

Und Gliedmaßen, und ein langer fuchsroter Schnurrbart 

Hing an seinem Körper herab. Wer ihn nicht besser kannte, 

Hätte ihn wegen der Wildheit seiner Haare 


Für einen reifen Mann halten können. Aber 

Er war erst fünfundzwanzig Jahre alt 

Und ein harmloser, gutmütiger Bursche, geschickt 

Im Legen und Binden von Netzen und ein Meister 


Im Umgang mit der Axt. Bald begann er, 

Alle möglichen Werkzeuge damit herzustellen. 

Er baute einen hölzernen Stall für ein paar Ziegen, 

Er wölbte einen Schornstein mit einem Rauchabzug 


Über der offenen gemauerten Feuerstelle, 

Und eines Tages begann er sogar, den lehmigen Boden 

Zu pflastern und Dielen zu verlegen. Alles, 

Als hätte er geahnt, was ihm bevorstand. 


Und so war der Herbst gekommen. Durch die Wälder 

Der Höhen wogte er, um die Hütte auf ihrem 

Einsamen Hügel knarrte und ächzte es, und das Seegras 

Auf dem gelben Sand pfiff und surrte, als würde die Sichel 


Auf einem Stein geschärft werden. Unten krachten 

Die Schaumschläger gegen die mächtigen Steine, 

Aber Klaus Becker merkte nichts von diesem ewigen Streit, 

Denn über der Leere wölbte sich eine düstere Nacht, 


Und er selbst hockte gelassen in seinem breitarmigen Stuhl, 

Den er erst vor kurzem aus grobem Eichenholz 

Gezimmert hatte, und rieb im Schein 

Eines rauchenden Buchenfeuers auf dem Herd 


Emsig einen eisernen Widerhaken, wie man ihn 

Zum Aalstechen benutzte. Sein roter Bart leuchtete 

Wie eine feurige Welle. Dazu grölte er ein altes Lied:

Mahlt gut, mahlt gut - Klaus ist Sigrun gut.


Obwohl er mit einem solchen Menschenkind 

Nicht verwandt war und den Träger eines solchen Namens 

Kaum kannte, tat dies der ergreifenden Wirkung 

Des Liedes keinen Abbruch. Das Buchenfeuer schnaufte, 


Und der Riese rieb seinen Stein immer eifriger 

Über das Eisen, bis blaue Funken unter seinen Händen

Hervorsprangen. Dann schlug er mit der Faust 

Zwei- oder dreimal gegen die Tür, das helle Holz zitterte, 


Und die Hütte hallte wider. Ruhig, murmelte Klaus, 

Der sich vor Erstaunen nicht aus seiner gebückten 

Haltung erheben konnte. Wie, was? Ein Mensch? 

Er versuchte sich zu sammeln und schüttelte 


In dumpfem Erstaunen den riesigen Haarbusch; 

So etwas gab es hier doch selten. Aufmachen, 

Forderte eine raue Stimme von draußen, 

Und wieder war ein kurzes Klappern zu hören.


Der Fischer schob den Querbalken mühsam 

Und ohne zu überlegen, ob er klug oder vorsichtig 

Handelte, zurück, und sofort schien das Licht des Kochers 

Nach draußen. Auf dem nassen, sturmgepeitschten Hügel 


Standen zwei gepanzerte Diener. Sie führten 

Ein verwirrtes, zitterndes Geschöpf zwischen sich, 

Bei dem man nicht wusste, ob es eine Frau 

Oder ein Mädchen war, dessen kurzer Rock 


Im Wind flatterten und dessen nackte Füße 

Tief im Sand versanken. Ein blaues Tuch 

War um den Kopf des Geschöpfes gewickelt. 

Hinter ihnen, kaum erreicht von dem rot flackernden Licht,


Bemerkte der Bewohner der Hütte 

Einen Zisterziensermönch, erkennbar 

An seinem grauen Gewand. Aber der Mönch 

Hatte seine Kapuze weit über die Stirn gezogen, 


Als ob er Schutz vor dem Sturm suchte 

Oder als ob er sein Gesicht vor dem verbergen wollte, 

Was hier geschah. In der Zwischenzeit hatte der älteste 


Der eisengepanzerten Männer die Schwelle überschritten. 

Dann deutete er auf die beiden blauen Kugeln, 

Die auf seinen Mantel gestickt waren.

Kennst du sie? fragte er kurz und bedeutungsvoll.


Verblüfft nickte der Fischer. Er starrte immer noch 

Von einem zum anderen, beunruhigt über die 

Unerklärliche Erscheinung. Nun, sagte er schließlich, 

Ihr seid die des Grafen. - Und der Graf, meldete 


Der Diener scharf und schob sich die Sturmhaube 

Von der Stirn, damit der andere ihn besser verstehen konnte, 

Lässt mich dir sagen… - Mir sagen lassen? echote 

Der Fischer und begann mit schwerer Zunge zu stammeln, 


Denn das Unmögliche wurde immer mehr.

Lass mich dir sagen, beendete der bewaffnete Mann 

Düster, während er den Schaft seiner Lanze 

Auf die neue Diele stieß, dass dies deine Frau ist.


Das ist… - Deine Frau. - Eine ganze Weile rührte sich nichts 

Unter den Menschen in der Hütte. Nur die keuchenden 

Atemzüge des Fischers und das Zerbersten 

Der brennenden Buchenscheite waren zu hören. 


Nur die hellblauen Augen lebten in dem versteinerten Gesicht 

Des Sassen; sie wanderten hilfesuchend 

Und ohne eine Spur von Verständnis von den Knechten 

Zu dem zerzausten Mädchen, das ebenfalls 


Mit gebeugtem Körper und gefalteten Händen 

Zu lauschen schien, bis sich der Rücken des Riesen 

Allmählich neigte, als hätte man ihm einen Baumstamm 

Auf den Nacken gelegt. Plötzlich aber sprang er auf. 


Das Blut schoss ihm in die blassen Wangen, 

Und seine rechte Hand tastete nervös nach der Axt 

Neben der Feuerstelle. Vielleicht hätte jetzt 

Ein schneller Gewaltakt alles entschieden. 


Doch bevor der schwere Holzstiel nach oben 

Taumeln konnte, drängte sich die graue Gestalt des Mönchs 

In den Kreis der Kämpfenden hinter den Dienern, 

Und eine jugendliche, von Schmerz erfüllte Stimme rief:


Füge nicht zu Leid und Sünde! Die Ermahnung klang so ernst 

Und mitfühlend, dass der leidgeprüfte Riese innehielt. 

Die Axt fiel von ihm, und mit beiden Händen griff er 

Taumelnd nach seiner Brust, denn eine Lanzenspitze 


Hatte bereits das dünne Hemd durchschnitten 

Und suchte dort bedrohlich Einlass. Daraufhin rief 

Der gepanzerte Diener: Wenn du leben willst, sei vernünftig. -

Vernünftig, vernünftig, ertönte es zwischen den verrückten,


Verwirrten Sinnen des überwältigten Mannes. 

Er wusste nicht, ob er lachen oder brüllen sollte. 

War das nicht Wahnsinn? Drehten sich nicht alle 

Niederen Dinge nach oben? Schwankte seine Hütte nicht 


Auf dem tobenden Meer, ohne dass er einen Ausweg 

Gefunden hätte? Oder hatten sie ihm vielleicht 

Sogar die Zunge herausgeschnitten und verlangten 

Immer noch, dass er sprach? Wer half? Wer half?


Verzweifelt blieb sein Blick auf dem jungen Mädchen hängen, 

Das man hineingezerrt hatte. Und warum? 

Weil es für den Fremden offensichtlich war, 

Dass sie schüchtern war, zitterte und gegen ihren Willen 


Hier stand, und dann, weil die Dirne, die sicher 

Von weit her mit ihren nackten Füßen 

Zu ihm getrieben worden war, auch ein Kind 

Der Masse war wie er, und daher gewohnt, 


Nicht nach ihrem eigenen Willen zu handeln.

Er trat gewaltsam auf sie zu und sah sie an. 

Das Geschöpf erschrak über seinen kräftigen Schritt, 

Und ein offenes Flackern der Angst trat in ihre Augen.


Was ist los mit dir? befahl er, ohne zu ahnen, 

Wie sehr sie sich vor seinen riesigen Armen 

Und den Haarbüscheln unter seinem Kinn fürchtete. 

Sie wusste, wozu ein grimmiger Mann fähig war. 


Doch dann faltete sie die Hände vor der Brust 

Und sagte leise, sich mit ihrem Schicksal abfindend:

Es geht mir schlecht. - Mehr nicht, allein 

Die wenigen Worte fanden den Weg zum Verständnis 


Des Riesen. Erstaunt wich er zurück, und tief 

In seinem Innern stieg zum ersten Mal ein Bewusstsein 

Für seinen Status und seine Situation auf. 

So ist es mit uns allen, murmelte er, fast betroffen 


Von der neuen Erkenntnis, dazu sind wir geboren. -

Genug geschwatzt, unterbrach der Diener des Grafen 

Ungeduldig und blickte sich hastig nach dem jungen 

Zisterzienser um, der mit gesenktem Kopf alles 


Mit angehört hatte, was in der Hütte vor sich ging, 

Wir haben noch einen langen Weg vor uns. 

Beeilt euch! - Dann schickte Klaus Becker 

Einen letzten sehnsüchtigen Blick zum Ausgang der Hütte. 


Doch als er sich davon überzeugt hatte, dass die Speerspitzen 

Ihn erneut bedrohten und gleichzeitig der Körper 

Der Magd auf eine ihm unverständliche Weise zitterte, 

Beschloss er, vor allem sein Leben zu retten, 


Sein nacktes Leben, das einzige kostbare Geschenk 

Gottes! So ergriff er die Hand der Frau gewaltsam, 

So dass sie taumelnd an seine Seite gerissen wurde, 

Und in einem rohen Ausbruch entlud sich schließlich 


Seine Wut in vollem Hohn: Kopf hoch, Kopf hoch, 

Ihr eisernen Schufte, ihr schnappenden Hähne, 

Wenn ich mich schon nicht gegen euren Unfug wehren kann, 

So macht wenigstens diese Schandhochzeit kurz.


Erregt trat der Mönch hinter die sinkenden Spieße. 

Die Spielfeuer zuckten über sein zuckendes Antlitz. 

Er machte das Kreuzzeichen in die Luft 

Und sprach mit zitternder Stimme:


Mühsal ist das Leben, Duldsamkeit das Gebot, 

Seligkeit der Abschied. Geh in Frieden.

Doch die Frau hörte nicht zu. Sie starrte starr 

In die Flammen des Kamins, den sie von nun an schüren sollte.


Seitdem schlich die Zeit mühsam dahin. Ein Tag ging müde 

In den nächsten über, und in der Hütte herrschte Stille. 

Sie lebte dort und ließ sich nicht mehr 

Aus dem engen Raum vertreiben. Wann immer die junge Frau


Versuchte, ein fröhliches Lied zu singen, 

Begegnete ihr ein seltsam drohender Blick 

Aus den trüben Augen des Fischers, und sofort 

Brach die Fröhlichkeit ab, und sie ging ängstlich 


Und niedergeschlagen ihrem Tagewerk nach. 

Sie wusste ganz genau, dass der mürrische Geselle 

Ihr übel nahm, dass man ihm das unwillkommene 

Frauenzimmer aufgezwungen hatte. Und das fand sie auch 


Ganz in Ordnung. Aber manchmal strich sie sich 

Über die weißen Arme, und ein natürliches Erstaunen 

Überkam sie, denn der Riese, der so nahe bei ihr wohnte, 

Mochte sie überhaupt nicht. Warum nur? 


Was ihr in der Vergangenheit widerfahren war, 

Fand sie nicht ungewöhnlich. Die Dienerschaft 

Musste auf eine solche Erfahrung vorbereitet sein. 

Das passierte vielen Mägden auf den Höfen der Mächtigen. 


Und da sie Unterschlupf gefunden hatte, glaubte sie 

Mit dem sicheren Bewusstsein eines starken Menschen, 

Dass es sinnlos sei, weiter an der Vergangenheit zu zerren. 

Klaus Becker war nur ein unbeholfener, sturer Klotz, 


Der nicht leicht zufrieden zu stellen war. Aber warte nur, 

Dachte sie mit weiblichem Trotz, die Katze fängt auch 

Die große Maus. Dabei entstanden unter ihren flinken 

Und doch seltsam zarten Händen allerlei nützliche Dinge, 


Die bis dahin im Rohbau von Brettern gefehlt hatten. 

Wenn Klaus von seiner Seereise nach Hause kam, 

Entdeckte er immer ein neues Möbelstück, 

Ein frisches Leinenhemd, eine geflochtene Strohmatte 


Oder sogar ein festes Bettgestell für den Ehemann, 

Alles Dinge, die über Nacht wie von Zauberhand 

Anstelle von etwas Altem und Abgenutztem 

In der Hütte gewachsen waren. Natürlich bemerkte 


Der Riese all diese heimeligen Veränderungen sofort 

Und gesondert, aber er nahm sie gleichgültig 

Und ohne Dank hin, warf sich auf den neuen, 

Leinenbezogenen Strohsack und ließ seine Gefährtin 


Wie bisher auf dem Schilfbett in der Ecke liegen.

Aber Dörte, so hieß das junge, entführte Geschöpf, 

Verlangte nichts anderes. Ja, es war ihr ganz natürlich, 

Dass der Fischer nicht einmal ihren Namen 


Zu kennen schien, denn in den kurzen Bitten, 

Die er selten an sie richtete, nannte er sie Frau oder Weib. 

Und daraufhin gehorchte Dörte und sprang zu ihm 

Wie ein gehorsamer Hund. Doch allmählich 


Wurden ihre Bewegungen langsamer. 

Auch das war Klaus egal, nur dass er sich manchmal 

Wunderte, wenn die Frau am Fenster lehnte 

Und von dort mit einem unverständlichen Lächeln 


Und großen, erwartungsvollen Augen 

Auf den in der Sonne blinkenden Eisrand 

Des Meeres hinunter starrte. Klaus verstand das nicht, 

Ärgerte sich auch über das ungewohnte Versäumnis, 


Und als er sie wieder einmal feiernd 

Vor ihrem Ausguck fand, brach es grob aus ihm heraus, 

Während er die großen Lederstiefel krachend 

In eine Ecke schleuderte: Was machst du da?


Sie wurde rot, warf ihm einen halb schlauen, 

Halb verlegenen Blick zu, stammelte und kroch 

Langsam zum Kamin zurück: Ich denke nach.

Sie hätte leicht sagen können: Ich träume, 


Denn ihre Gedanken waren jung und wandernd 

Und ließen sich nicht so leicht in das Versteck 

Der Stille verbannen wie ihr Körper. In solchen Stunden 

Sah die suchende Frau das dunkle Meer dort draußen 


Wie einen Tanzboden, und sie sah sich selbst 

Dort unten herum springen mit seidengeschmückten 

Männern, die sie streichelten und ihr dann goldene 

Schaumünzen um den Hals hängten. 


Doch als ein barsches Wort ihres Begleiters 

Schließlich allen Zauber hinwegfegte, da seufzte sie tief 

Und hatte insgeheim Mitleid mit dem störrischen Kerl, 

Weil er keinen Sinn für das feine, verborgene Spiel hatte.


Und doch, auch dieser Weg ins Freie sollte der Belasteten 

Eines Tages zum Verhängnis werden. Frühlingsstürme 

Pfiffen über die Dünen, Dörte stand in der offenen Tür 

Und sog gierig die warme Brise ein, die einen vagen Duft 


Von Veilchen und Tannenharz mit sich brachte. 

Hoch oben am Waldrand trat das junge Reh heraus 

Und blickte auf das glitzernde Meer. Dann kletterte 

Unten am Strand ein einzelner Mann 


Den gewundenen Fußweg hinauf. Dörte beugte sich vor 

Und spähte. Der Neuankömmling trug ein weites 

Blaues Wams und grobe Holzschuhe. 

In seinem Ledergürtel steckte eine kurze geflochtene Peitsche, 


Und seine Faust umklammerte einen mannshohen Stab, 

Dessen Spitze in einer kleinen silbernen Krone endete. 

Dies war der Strandvogt, eine stämmige Gestalt 

Mit einer grauen Seemannskrause und scharfen, 


Runden Augen. Als er mit schweren, knirschenden Schritten 

Auf sie zukam, war es offensichtlich, dass der Mann 

Sich für einen mächtigen Mann hielt, dessen Faust 

Das kleine, verstreute Leben hier am Strand schützen 


Oder zerstören konnte. Nun stand er vor der jungen Frau, 

Doch bevor er zu sprechen begann, blinzelte er zunächst 

Mit dem linken Auge und beobachtete sie. Im Grunde 

Wusste er schon, was er herausfinden wollte.


Gott sei mit dir, begann er und deutete mit seinem Stab 

Auf das Dach der Hütte, die Dachsparren auf der Luvseite 

Müssen doppelt sein. Vergiss das nicht. 

Sein einziges offenes Auge lief emsig weiter. 


Sieh da, auch ein Ziegenstall. Wie viele sind da drin? -

Drei, antwortete Dörte und rang mit sich selbst, 

Denn sie war sich des Unrechts bewusst.

Zu viele für einen, tadelte der Vogt und wiegte nachdenklich 


Sein ledernes Haupt. Nun, man wird Nachsicht walten lassen.

Man missgönnt dir den guten Fortschritt nicht. 

Er strich sich bedeutungsvoll über seinen grauen Bart 

Und trat gewichtig näher. Offenbar war er erst jetzt 


Zu seinem Vorhaben gekommen. Wo ist Klaus Becker? -

Auf See, antwortete Dörte zögernd und hielt den Atem an.

Ich weiß, bestätigte der Strandvogt. Er sah sich vorsichtig um, 

Als fürchtete er einen Lauscher, dann beugte er sich 


Ganz nah zu der Blassen. Wann erwartest du

Deine Stunde? erkundigte er sich ernst und eindringlich. 

Und als die Frau ihn düster anstarrte und sich 

In die Hütte zurückzog und allerlei gebrochene 


Und verworrene Dinge murmelte, drängte er 

Die Widerspenstige nicht weiter. Es ist alles in Ordnung, 

Sagte er, richtete sich auf und knöpfte 

Den großen Lederbeutel unter seinem Gürtel zu. 


Streite dich nicht, Dirne, ich hab nichts Böses mit dir vor. 

Sieh her - er griff in den Beutel und wog den Inhalt 

Auf seiner Handfläche - ich zahle dir etwas als Pfand. 

Es ist nicht wenig. Vier silberne Gulden.


Silber? rief Dörte, die aus ihrer hintersten Ecke 

Hervorstürzte, und ein warmer Triumph lag in ihrer Stimme. 

Jetzt wird sich Klaus freuen. Dann legte der Vogt 


Die vier Silberstücke breit auf den Tisch. 

Dann wandte er sich zum Gehen. Bevor er die Schwelle 

Erreichte, war Dörte schon wieder hinter ihm. 

Sie hatte das Geld bereits aufgesammelt.


Lass nicht zu, dass Klaus erfährt, von wem, 

Forderte sie barsch. Der Mann drehte sich kaum um. 

Nicht von mir, gab er ruhig zurück. Was kümmert mich 

Der Kerl? Solange er seinen Fang abliefert, 


Hege ich keinen Groll gegen ihn. Damit nickte er steif, 

Stieß seinen Stab in den Sand und schritt stämmig 

Den steilen Saumpfad hinunter. Dörte starrte 

Ihm finster hinterher, solange sie die Silberkrone sah.


Doch von diesem Zeitpunkt an wurde 

Die einsame Frau nachdenklich und schüttelte sich oft, 

Als müsse sie sich gegen böse Gedanken wehren. 

Dann überkam sie der Gedanke: Wie konnte sie 


Um das beraubt werden, worauf sie gewartet hatte? 

Waren die vier silbernen Gulden nicht das Kaufgeld? 

Schließlich erzählte man sich so heftige Geschichten 

Über den Cona-Herrn. Und war er nicht auch 


Mit dem jungen Herzog von Mecklenburg geritten, 

Als dieser an der Spitze von allerlei Räubern und Vagabunden 

Die Straßen der Kaufleute von Stralsund unsicher machte? 

Hat er ihr nach einem solchen Ritt nicht 


Das blaue Kopftuch zugeworfen? Wütend schlug sie 

Mit der Faust gegen den Türpfosten und reckte sich drohend, 

Doch sofort zuckte sie zusammen, und trotz 

Der milden Frühlingsluft fröstelte sie ein Schauer.


Warte, sagte sie, ihre Lippen bebten, ich sage es Klaus. 

Er wird sich nichts wegnehmen lassen. Im nächsten Moment 

Stand sie wieder wie erstarrt. O mein Gott, 

Was kümmerte sich Klaus um die seltsame Göre? 


Er kümmerte sich nicht einmal um seine Mutter, 

Die alles nach seinem Willen tat. Nein, nein, 

Es war das Beste, auf der Hut zu sein und das Geld 

Gar nicht erst zu zeigen, um nicht unnötigen Fragen 


Des Fischers ausgesetzt zu sein. So nähte sie 

Die silbernen Gulden in ihren Rock ein, 

Und nur manchmal berührte sie ihren Kameraden 

Ängstlich und erwartungsvoll, als wünschte sie sich 


Insgeheim von ganzem Herzen, dass er das Geheimnis 

Endlich entdecken würde. Aber seither war sie unruhig 

Und sang nicht mehr. Die Tage verstrichen immer schneller, 

Und ihr Gang wurde immer unsicherer.


Eines Abends kehrte Klaus nicht nach Hause zurück. 

Todmüde lehnte sich Dörte gegen die offene Luke 

Und versuchte, das unerkennbare Grau zu durchdringen.

Vergeblich, nichts löste sich aus dem schwarzen Dunst, 


In den der Sturm oft wie mit einem schweren Sack einschlug. 

Nur in entfesselter Wut brauste das Meer, 

Und in der Morgendämmerung erhob sich fast 

Ununterbrochen eine sich schlängelnde weiße Wand 


Aus den Strandsteinen. Solange die Dunkelheit andauerte, 

Hatte die verängstigte Frau von Zeit zu Zeit 

Einen brennenden Kienspan aus der Fensterhöhle gehalten, 

Als Zeichen für die auf der tosenden Oberfläche 


Umherirrenden, damit sie nicht in die Irre gingen. 

Doch jedes Mal hatte der rasende Windzug 

Das spärliche Feuerchen mit Heißhunger verschlungen, 

Und die nackten Arme und die offene Brust 


Der Frau zitterten vor Kälte. Jetzt wurde es heller. 

In der Hütte kamen Dinge und Utensilien zum Vorschein. 

Und draußen im Stall begann der Ziegenbock, 

Seine harte Stirn an der Tür zu reiben. Verwirrt 


Und schläfrig sah sich Dörte in dem engen Raum um.

Irgendetwas fehlte, irgendetwas war von seinem Platz 

Genommen worden, der sich zwar nie gütig 

Und freundlich zeigte, zu dem aber dennoch 


Alles hier passte. Sogar sie selbst. 

Und dem man wohl Gehorsam und Dankbarkeit schuldete. 

Das war alles, was sie wusste. Sie vergaß ihre eigene Kraft, 

Die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern verschwand; 


Unsicher packte sie einen rauen Ast und taumelte 

Halbnackt zum Strand hinunter. Unten, 

Über der sonst flachen gelben Oberfläche, 

Spielte das Wasser, schwärzliche Algenbündel 


Schlangen sich um die Füße der watenden Frau, 

Und der Sturm stemmte sich gegen sie wie eine gierige Faust, 

Die ihr die Kleider vom Leib reißen wollte.

Keuchend kämpfte sich Dörte weiter.


Ein Boot am ausgefranstem Seil scheuerte und zerrte 

An einer inzwischen halb versunkenen Stange, 

Die gestern noch ins Trockene gerammt worden war. 

Es war Klaus Beckers zweiter, kleinerer Kahn, 


Und daneben stand ein grobschlächtiger Mann 

In kräftigen Stiefeln aus der Flut, abgewandt, 

Die Ledermütze tief über die Stirn gezogen. 

Aber auch jetzt umklammerte seine rechte Hand 


Den gekrönten Stab. Gerade wenn er in Not war, 

Nahm er ihn nicht ab. Dörte erkannte ihn sofort. 

Vogt, stöhnte sie, er ist draußen. Der Aufseher nickte, 

Sagte aber nichts. Nur sein aufmerksamer Blick, 


Den er auf die aufgeregte Frau richtete, verriet 

Die Meinung, dass die Frau bald mehr Hilfe 

Brauchen könnte als der Verlorene. In der Zwischenzeit 

Hatte sich Dörte auf die Zehenspitzen gestellt. 


Um sich besser aufrichten zu können, stützte sie 

Ihre Hände mit besonderem Respekt 

Auf die Schulter des Landvogts. 

Er schien nichts zu bemerken.


Dann warf sie die rechte Hand vor. 

Das schwarze Ding da draußen, zeigte sie.

Ein Baumstamm, belehrte der andere. 


Ich habe es schon lange gesehen. Und halb tröstend 

Fügte er hinzu: Wir haben Seewind. Wenn er noch lebt, 

Wird er ihn hineinwerfen. Aber trotzdem, 

Kaute er mit geschlossenem Mund.


Damit wandte er sich ab und schritt langsam 

Die Dünen hinauf. Dort wollte er noch einmal 

Einen Ausguck halten. Draußen, hinter den sanften Bergen, 

Wippte das längliche schwarze Ding auf und ab. 


Und als die zurückgebliebene Frau ihr Augenlicht 

Bis zum Äußersten anspannte, glaubte sie 

In ihrer erschrockenen Phantasie einen dunklen Kopf 

Und eine greifende Faust zu sehen. Es drohte 


Oder winkte ihr zu. Sie konnte sich nicht länger festhalten. 

Ihr Mitleid war stärker als ihre Schwäche. 

Ungestüm beugte sie sich hinunter, so schwer 

Es ihr auch fiel, löste das hängende Seil und kletterte 


In das regengefüllte Boot. Ihr Glaube half ihr, 

Denn der Kahn befand sich an der Spitze einer Strömung, 

So dass das Schiff mit einer Kraft 

Und Beständigkeit hinausgetrieben wurde, 


Als hätte man unsichtbare Segel 

Auf den fehlenden Mast gesetzt. Die Dünung spritzte hoch, 

Und die zerbrechliche Vorrichtung stöhnte vor Schmerz 

Und Elend. Mit stummen Augen hockte die Frau 


Auf der morschen Planke, den Kopf unverwandt 

Auf den schwarzen Sarg gerichtet, 

Der herumgeworfen worden war. Jetzt, und jetzt, 

Tauchte sie wieder vor ihr auf, die Faust, 


Von der sie halb geträumt hatte. Mit einer wilden Bewegung 

Warf sich die Frau weit ins Boot und griff 

Nach den krallenden Fingern. Ein heftiger Kampf 

Entbrannte. Der hinfällige Mann dort unten 


Muss bereits zur Tiefe verurteilt gewesen sein, 

Denn er zappelte und wehrte sich, bis eine wogende 

Welle den schweren Körper plötzlich 

In den rettenden Kahn stürzte. Einen Moment lang 


Schäumten die Planken über und wurden begraben, 

Dann erhoben sie sich wieder, drehten sich wie wild, 

Und die rollenden Wasser trieben das Schiffchen 

Wie einen geprügelten Hund vor sich her.


Das Land zog sich düster in die Höhe, und hoch oben 

Am bedeckten Himmel war die Gestalt eines Mannes 

Zu sehen, der das Geschehen mit Erstaunen beobachtete.

Der Landvogt hatte den Schiffbrüchigen 


In die Hütte getragen. Der mächtige Körper ruhte nun 

Auf dem Bettgestell und rang mit dem Tod. 

Und in der Ecke auf dem Schilfbett erwachte 

Zur gleichen Stunde ein neues Leben. Dörte 


Jatte einen Sohn zur Welt gebracht. Ein schlankes Baby. 

Es schrie nicht, sondern ballte die Fäuste, 

Und seine schwarzen, nächtlichen Augen 

Waren in die Leere gerichtet. Nein, nicht in die Leere. 


Die Axt hing an der Wand am Fuß der Sänfte. 

Später erinnerte sich die Mutter daran, dass ihr Sohn 

In der Stunde seines Eintretens unverwandt 

Auf die Schärfe der Axt gestarrt hatte. Der Vogt 


Hatte einen der Zisterzienser aus dem Kloster 

Kommen lassen. Dieser arbeitete nun fachmännisch 

An den drei ohnmächtigen Menschen herum. 

Damals erfüllten die Mönche, ob jung oder alt, 


Bereitwillig die Aufgaben des Arztes 

Und der Wehmutter, und die Versorgten glaubten, 

Dass es so sein müsse. Bruder Franziskus 

War im Übrigen derselbe, der in jener unvergessenen Nacht 


Von Dörte den erzwungenen Bund gesegnet hatte; 

Nun tat er sein Möglichstes, um die bedrohte Gemeinschaft 

Zu erhalten. Bald goss er dem zusammengekauerten Fischer

Scharfe, seltsam duftende Tropfen ein, die er 


In einer venezianisch geschnittenen Dose 

Aus seiner Kutte zog; jetzt blies er unter die Flamme 

Des Kochers, um der Frau in den Wehen 

Einen warmen Trank anzubieten; ja, er reinigte sogar 


Das Neugeborene im ersten lauwarmen Bad. 

Dabei glitt ein angenehmes Lächeln über das ernsthaft 

Jugendliche Antlitz des Bruders, und während 

Seine rechte Hand zärtlich über die weichen Glieder 


Des Kleinen strich, sprach er mit der Festigkeit 

Des Erfahrenen: Ein edles Gebäude. Wie nach den Maßen 

Der alten Meister. Möge der Unerforschliche 

Dieses Kind zum Guten formen. - Dörte hörte es 


Auf ihrem Schilfbett. Und zum ersten Mal 

Zuckten ihre Lippen vor Stolz, als sie an die edle Herkunft 

Des Blutes des Säuglings dachte. Zugleich aber 

Blickte sie erschrocken auf das Bettgestell, 


Wo sich der riesige Körper ihres Mannes zu regen begann. 

Sofort griff sie hastig nach den Silbergulden, 

Die in das Bett eingenäht waren. Ja, das war das Mittel, 

Um sich im schlimmsten Fall von jeder Schuld 


Freizukaufen. Doch so schwer es ihr auch fiel, 

Die Veränderung zu begreifen, seltsamerweise 

Machte man ihr keine Vorwürfe mehr. Noch bevor 

Klaus auf seinen zerschmetterten Beinen 


Hin und her krabbeln konnte, hatte der Mönch 

Dem geschwächten Mann kurz die Geschichte 

Seiner Rettung erzählt. Stumm kauerte der Fischer 

Auf seinem Bett und ließ nur flüchtig einen fragenden Blick 


Über das Neugeborene gleiten. Er bedankte sich 

Weder bei ihr noch zeigte er irgendeine andere Dankbarkeit. 

Nach wie vor überließ er jede Hilfe für seine Frau 

Bruder Franziskus. Und doch, es kam vor, 


Dass er manchmal die Ziegenmilch in einer hölzernen Schale 

In die Nähe der Sänfte der jungen Mutter gleiten ließ. 

Niemand wusste, zu welchem Zweck, aber man konnte 

Annehmen, dass das Getränk für Dörte 


Und ihr Kind bestimmt war. Ein anderes Mal aber 

Geschah es, was der glücklichen Frau signalisierte, 

Dass der Damm des Grolls und der Missgunst 

Nun für immer gebrochen sein könnte. Eines Abends 


Hielt der Mönch nachdenklich bei der Sänfte 

Des Kleinen inne, bevor er sich auf den Weg machte, 

Und während er ihn, wie es seine Gewohnheit war, 

Zum Abschied segnete, sprach er mit fester Stimme:


Jetzt ist die Zeit gekommen. Morgen wollen wir das Kind 

Ins Kloster tragen, um es taufen zu lassen. 

Wie sollen wir es nennen? Daraufhin rührte sich Dörte nicht. 

Sie drehte den Kopf zur Wand und kratzte ungeduldig 


Mit den Nägeln an den Holzbrettern. Alles, 

Um das ungestüme Verlangen ihres Herzens zu betäuben. 

Statt ihrer aber erhob sich der Fischer von seinem Sitz 

Neben dem Herd, tastete sich schwerfällig zur Sänfte 


Des Säuglings, und nachdem er wie immer neugierig 

Und kopfschüttelnd in das schmale Gesicht geblickt hatte, 

Brach es plötzlich murrend und drohend aus ihm heraus, 

Als müsse er sich gegen einen Angriff verteidigen:


Der Name des Kindes ist wie meiner, nicht anders. 

Es soll Klaus heißen. Da nickte der Mönch 

Mit einem stillen Lächeln, aber die liegende Frau 

Hob ungestüm den Arm und wollte dem Riesen 


Fröhlich über die bärtige Wange streichen. Unschlüssig 

Und verletzt, schüttelte er sie ab. Doch als die junge Frau 

Nach der Taufe in der Hütte hin und her lief, 

Hörte sie ihren Mann draußen singen. Das war noch nicht alles.

Auf leisen Sohlen schlich sie hinein, um zu lauschen. 

Klaus saß im Sonnenschein und schärfte seine Axt 

Auf dem Feuerstein. Dazu summte er gemütlich 


Zum Funkenflug: Schärfe gut, dann schneide gut,

Klaus ist Dörte gut. Andere Namen kannte er nicht. 

Dörte, der schönste Name des alten Deutschland,

Lebte tief in der Seele des rauen Sohnes Frieslands.





ZWEITES ABENTEUER


Goldgrüne Schatten umspielten die Buchenwipfel 

Hoch über der roten Klostermauer. Auf einer 

Der baufälligen Grasstufen, die in weiten, 

Unkrautbewachsenen Abständen zum schmalen Eingangstor

Hinaufführten, hatte sich ein einsamer Bruder niedergelassen.


Sorgfältig trug er ein paar Krümel weißen Hirsekuchens 

In einer Falte seines Gewandes verborgen, 

Und nun streute er die Krümel in einem weiten Bogen 

Zu den Finken, Meisen und Amseln des Waldes, 


Die in der Ferne nach den köstlichen Häppchen pickten. 

Der einsame Mann hatte seine gefiederten Freunde 

Noch nicht allzu lange gefüttert, als die Schar plötzlich 

In die untersten Äste der Buche flüchtete, summend 


Und raschelnd, aufgeschreckt durch eilige Schritte, 

Die den Waldweg hinauf klangen. Der Mönch hob den Kopf. 

Der Schritt, dieses eilige, unberechenbare Ausgreifen, 

Kam ihm bekannt vor. Fast sechzehn Jahre lang 


Hatte er ihm zugehört, ihn geprüft und eingeschätzt. 

Und jetzt, aus dem schwarz-grünen Torbogen eilte es heraus. 

Ja, Pater Franziskus kannte die schlanke, geschmeidige

Knabengestalt im weißen Leinenkittel, er hatte oft 


Die wohlgemessene Form jener Knie und Waden 

In ihrer gebräunten Nacktheit bewundert, aber 

Mit heimlichem Grauen hatte er fast immer 

In die schwarzen begehrlichen Augen geblickt, 


Die wie zwei flackernde Abgründe in dem schmalen 

jugendlichen Antlitz brannten, ewig bereit, 

Nähe und Ferne zu verschlingen. Immer offen 

Für neue Forderungen. Nie zu müde, um zu suchen 


Und zu greifen. Zuvor hatte der Mönch nicht selten 

Ein beklemmendes Befremden empfunden, 

Denn diese rastlos schlürfenden Augen passten nur 

Allzu gut zu dem geduckten Dasein eines Kindes 


Der Masse. Ebenso wie die braunen Wellen 

Des Haupthaars das Gebot der kurzen Schur 

Rücksichtslos missachteten. In weiten, 

Geschmeidigen Sprüngen machte sich der weiße Schatten 


Auf den Weg durch den Wald. Deshalb blieb 

Seine Begleiterin, ein vierzehnjähriges Mädchen, 

Dessen roter Rock um ihre nackten Beine wirbelte, 

In einigem Abstand hinter dem Jungen zurück. 


Die blonden Zöpfe, die das Kind eng um den Kopf 

Geflochten trug, waren mit bläulichen 

Und rötlichen Muscheln verziert und gaben dem Mädchen 

Ein seltsames und wildes Aussehen. Der seltsame Schmuck 


Passte so gar nicht zu ihrem sanften Gesicht. Sie zögerte 

Und griff ein paar Mal verstohlen in ihre Locken, 

Offenbar aus Angst, wie das blinkende Stirnband 

An der Klostermauer beurteilt werden würde.


Tatsächlich war der ungewohnte Schmuck das erste, 

Was den Bruder störte, als er sich auf seinem grasbewachsenen

Schritt ein wenig aufrichtete. Halb unwillig zupfte 

Der Rastende ein paar Stängel heraus, bevor er 


Mit einer schnellen Kopfbewegung auf die Muscheln deutete:

Wozu, Anna? Was soll die Aufregung?

Kaum war die Missbilligung gefallen, lief ein tiefes Rot 

Über die Wangen der Getadelten, ihre blauen Augen 


Verdrehten sich ängstlich, und unwillkürlich 

Verschränkten sich ihre Hände vor der Brust. 

Abrupt blickte sie den Jungen im weißen Kittel an, 

Als wäre er der Herr, von dem sie und ihr Schicksal abhingen.


Auch er ließ sie nicht im Stich. Ich habe es ihr eingepflanzt, 

Sagte er lachend, und seine Augen ergötzten sich 

An seinem Werk, als könnten sie sich nicht 

Von dem blau-feuchten Glanz der Muscheln losreißen. 


Auch die schlanken Beine, die er schon gespreizt 

Gehalten hatte, strafften sich noch ein wenig mehr 

In ihren Sehnen, und der ganze Bursche sah unbeschwert 

Und keck aus, als ob Regen und Sonnenschein 


Zu seinem Vergnügen sein sollten. Der Mönch bemerkte dies 

Mit Unbehagen. Gerade dieses Aufbegehren 

Einer widerspenstigen Natur versuchte er zum Wohle 

Des Jungen zu unterdrücken. Der Fischersohn, 


Dem er zugetan war, musste vor seinem Blut 

Geschützt werden. Das war es. Das bedeutete, 

Dass seine Unwissenheit nicht zu sehr zur Schau 

Gestellt werden durfte. Er durfte sich auch nicht 


Über seinen Stand erheben oder gar, wie er es gerne tat, 

Seine Gedanken in einer Fabel in die Ferne schweifen lassen. 

Das Meer war verlockend für solche nebligen Fahrten. 

Aber ein solches Entgleiten war für ein Sassenkind 


Nicht förderlich, zumindest nicht in dieser Jugend.

Nimm der Dirne die Torheit aus den Haaren, 

Befahl er barsch. Klaus Becker bewegte sich nicht. 

Nur seine Augen blitzten stur auf und seine rechte Hand 


Machte eine ungläubige, schleudernde Bewegung, 

Als könne er damit die unverständliche und für ihn 

Unüberlegte Abneigung des Klosterbruders zerstreuen.

Es sieht gut aus, beharrte er, immer noch in Ehrfurcht 


Vor dem fremden Glanz. Es sind Herzmuscheln. 

Auch die Gnadenbilder in der Klosterkirche 

Und die Burgfräulein tragen solche bunten Steine. -

Gerade deshalb passt das Schmuckstück nicht 


Zu Anna Eberhard, der Tochter des Strohwebers, 

Belehrte Bruder Franziskus ruhig, streckte die Hand 

Nach dem abenteuerlichen Schmuckstück aus 

Und tat so, als bemerke er das heftige Zucken 


Des wilden Jungen nicht. Es gibt Unterschiede, 

Die in die Welt gesetzt werden. Sie kommen von Gott.

Er zupfte nun an der Muschelkette zwischen seinen Fingern, 

Und als er sah, wie sein halbwüchsiger Freund, 


Um den er sich sorgte, an seiner Unterlippe nagte, 

Fuhr er selbstgefällig fort: Schau dich um, Klaus, 

Schau dir den Wald an. Hier blüht der Haselbaum 

Und wird nur ein Strauch. Aber daneben wächst 


Die Buche über zwanzig Ellen hoch. Und doch 

Bilden sie zusammen den schattigen Wald 

Und müssen sich gegenseitig dulden. 

So ist es auch mit den Menschen.


Eine Weile rauschte der Wind in den Ästen. 

Dann lachte der Junge auf einmal hell auf.

Was ist denn los? fragte Franziskus erstaunt.

Grimmig reckte sich derjenige im weißen Kittel. 


Eine Spur von Schalk und frühreifem Spott 

Lief über sein schmales Gesicht, als er nun 

Die rechte Hand vor sich warf. Schau, Geweihter, 

Rief er selbstbewusst, denn er benutzte oft 


Die ehrfurchtsvolle Bezeichnung seiner Mutter 

Für den Mönch, der Haselbaum und der Buchsbaum hier. 

Ich frage mich, ob sie sich ähneln? - Nein, murmelte 

Der Zisterzienser, immer noch unsicher, 


Sie ähneln einander nicht. Sie sind von unterschiedlicher Art. -

Aber die Menschen sind einander ähnlich, 

Beendete der Junge nun herrisch, sprang in die Luft 

Und warf seiner Begleiterin einen schützenden Blick zu. 


Du hast selbst gesagt, dass wir alle nach dem Bilde 

Gottes, des Vaters, geschaffen sind. Missmutig 

Und stirnrunzelnd brach der Mönch das aussichtslose 

Gespräch ab. Zumal er das kleine Mädchen 


Dabei ertappen musste, wie es heimlich 

Über die Unverschämtheit des Jungen lächelte.

Du wärst besser dran, brummte er verärgert 

Und strich sich mit beiden Handflächen ratlos 


Die ergrauten Schläfenhaare zurück, wenn dein Vater dir öfter 

Mit dem Gürtel über den Rücken gefahren wäre.

Bei der Erwähnung seines Vaters verblasste 

Die freche Art des Jungen schnell. Sanftmütig 


Senkte er den Kopf und scharrte mit seinem nackten Fuß 

Auf dem moosigen Boden. Vater will mich nicht anfassen,

Berichtete er nachdenklich. Er sitzt den ganzen Tag 

Auf der Düne und sonnt sich. Jetzt strich der Bruder 


Dem Jungen mitfühlend über die gewellten Locken. 

Sein Groll war verflogen. Die Erinnerung 

An ein ehrenvolles, mühseliges Leben hielt ihn gefangen. 

Dein Vater hat eine verzehrende Sucht, sagte er sanft, 


Der Frühling ist eine gefährliche Sache für ihn. 

Und was tust du, um ihm sein Los zu erleichtern, Klaus? -

Ich? Der Verhörte sah sich suchend um. Endlich 

Schienen die scharfen Augen etwas erfasst zu haben, 


Als sie zurückschwenkten und einen schmalen Abschnitt 

Des Meeres entdeckten, der durch die Baumstämme 

Schimmerte. Ich gehe hinaus und lege seine Netze aus, 

Verteidigte er sich erwartungsvoll, gelobt zu werden. 


Ich bringe mehr nach Hause als er. Manchmal bin ich 

Die ganze Nacht unterwegs. Und ich habe ein schönes Segel 

Aus rotem Packtuch gemacht, fügte er zufrieden hinzu, 

Und ich kann den Wind vorwärts und rückwärts einfangen. 


Davon hat Vater nichts verstanden. Das ist eine neue 

Und gute Sache. Und es hat Mühe gekostet. -

Nicht du, erwiderte der Mönch unbeirrt und versuchte, 

Den wandernden Strahl der schwarzen Augen abzuhalten. 


Lüge nicht, Junge. Es macht dir Freude, auf dem Wasser 

Zu liegen und mit dem Wind zu kämpfen. Du hältst dich 

Für besser als andere Menschenkinder. Dort draußen 

Fängst du auch die grimmigen Gedanken ein, 


Die nicht gut für dich sind. Sag mir, was führt dich hierher?

Nun kam der Junge näher und küsste zärtlich 

Das feine weiße Gewand des Mönchs. Eine Staatskutte 

Der Brüder, die nur bei besonderen Ereignissen getragen wurde.


Ich habe mich nach dir gesehnt, Geweihter, 

Brach es inbrünstig aus ihm heraus, und er strich 

Verstohlen über den Stoff des faltigen Gewandes. 

Oft quält mich die Angst, wenn ich dich nicht 


Nach diesem oder jenem fragen kann. 

Denn du weißt alles, was mir fehlt.

Da verbarg Pater Franziskus ein halbes Lächeln.

Du Narr, wies er die überzogene Meinung bescheiden zurück, 


Ich weiß nicht einmal, was deine Genossin da 

Zwischen den beiden Mülldeckeln trägt. Was ist es? -

Ja, das errätst du nicht, rief Klaus Becker, der plötzlich 

In seine wilde Heftigkeit zurückfiel, und dabei stürzte er 


Auf das Mädchen zu und riss ihr kurzerhand 

Den grünen Zopf aus den Händen. Gib ihn mir, 

Ein skurriles Tier, stammelte er atemlos 

Und riss die Decke auseinander. In unseren Gewässern 


Gibt es keine anderen wie es. Und es gehört dir, 

Geweihter, dir allein. Eine riesige Scholle kam 

Zum Vorschein, dunkelgrau mit roten Flecken 

Und vielleicht eineinhalb Meter im Durchmesser. 


Der Fisch glänzte wie Perlmutt in der Sonne. 

Die drei standen bewundernd um den seltenen Fang herum, 

Und die Kinder lachten vor Freude, als der Pater 

Mit dem Ausdruck eines Kenners seinen Finger 


Zielsicher in den Rücken der Scholle steckte, 

Um die Festigkeit des Fleisches zu prüfen.

Ein prächtiges Stück, gab der Mönch selbstvergessen zu 

Und tätschelte dem Spender dankbar die Wange. 


Doch unerwartet hielt er inne, ein feindseliger Gedanke 

Schien sein offenes Verlangen zu hemmen.

Was ist? rief der Junge erschrocken.

Der Bruder musterte ihn prüfend von oben bis unten.


Hat der Landvogt deinen Fang gesehen?

Jetzt zuckte das kleine Mädchen 

Wie von einem Schlag getroffen zurück und sprang 

Hinter den nächsten Baumstamm, um Schutz zu suchen. 


Klaus Becker aber wurde seltsam blass. 

Dann begannen seine schlanken Glieder vor Wut 

Oder vor Scham zu zittern. Etwas Hasserfülltes, 

Von der Leidenschaft Überwältigtes, sprudelte 


Aus seinen schwarzen Augen. Der Landvogt weiß nichts,

Widersprach er barsch und schob die geballte Faust 

Von sich weg. Ich habe das Tier die ganze Nacht 

Zwischen den Strandsteinen versteckt.


Kopfschüttelnd wies der Mönch das Geschenk zurück, 

Insgeheim auch entsetzt darüber, wie wenig sich 

Sein Schüler zu Bescheidenheit 

Und geduldigem Dienen anleiten ließ.


Weißt du nicht, mahnte er heftig und hob drohend 

Den Finger, dass dein ganzer Fang dem Grafen gehört? 

Was soll ich mit dem Diebesgut machen? - Essen, 

Rief Klaus, immer noch zitternd und bebend. 


Und wie verräterische Pfeile schossen die Worte 

Aus ihm heraus: Der Graf hat genug. Wie kann er 

Uns nehmen, was wir fangen? Gehört ihm das Meer? -

Wem gehört es denn sonst? - Dem, der darauf segelt 


Und Netze auslegt, stieß der Bursche ohne zu überlegen hervor. 

Er warf den Fisch auf den Waldboden und stampfte 

Mit seinen nackten Füßen darauf herum. Klaus, 

Rief das kleine Mädchen hinterm Baum und flehte um Gnade.


Jetzt sprang der Bruder hinzu, bückte sich und packte 

Die Flosse. Dunkelrot färbte sich das weiße Gesicht 

Des Mönchs. Es blieb unentschieden, ob vor Anstrengung 

Oder weil er den feinen Mund des Fischersohns sah, 


Der zufrieden lächelte. Unsinn, wütete er 

In ehrlichem Unmut, Gottes blühende Gabe zerstören? 

Oh, ich sehe, ich bin zu schwach gegen den bösen Geist, 

Der in dir wohnt. Geh mir aus den Augen 


Und komm nicht so bald wieder. Einen Moment lang 

Herrschte Schweigen zwischen den dreien, 

Dann drehte sich Vater Franziskus, der den Fisch 

Immer noch in der flachen Hand hielt, um 


Und stieg mit großen Schritten die grasbewachsenen 

Stufen hinauf. Bald musste er das kleine Tor 

In der Mauer erreicht haben, das kaum mannshoch war. 

Dann geschah etwas Unerwartetes.


So schnell, wie Klaus Becker in Zorn und Wut geraten war, 

Wurde er nun von verzweifelten Gewissensbissen gepackt.

Plötzlich füllten sich seine funkelnden Augen mit Tränen, 

Und ohne sich darum zu kümmern, 


Ob seine kleine Begleiterin sein Handeln verstand, 

Stürzte er auf die unterste Stufe, wo er wild 

Die Arme hochwarf, als könne er 

Den Ausbrecher zurückhalten. Tu das nicht, Geweihter, 


Schluckte er, von Schmerz gequält. Ich liebe dich. 

Und wer soll mir die Hand auf die Stirn legen, 

Wenn ich von dem Schmerz gequält werde, der mich blendet?

Nein, tu das nicht, Geweihter, tu das nicht.


Die Schmerzensklage dieses wahren Jungen 

Zitterte noch unter den sonnenlosen Bäumen, 

Und der leicht berührte Bruder hatte sich noch nicht 

Ganz umgedreht, als in der Schwärze des Waldes 


Ein Horn erklang. Gleichzeitig waren die Hufschläge 

Der Pferde zu hören. Einen Moment lang verharrten die drei 

Wie angewurzelt auf der grünen Lichtung. 

Dann kam Leben in den Mönch, und während er eilig 


Versuchte, die Scholle auf einen Mauervorsprung zu legen,

Segnete er im Stillen Gott für die günstige Unterbrechung.

Wohltuend erleichterte sie ihm die ersehnte Versöhnung 

Mit dem aufgeregten Jungen. Sie kommen, rief er 


Dem verblüfften Fischer zu, der ohnehin längst 

Alles vergessen hatte, was bis dahin geschehen war. 

Ungestüm war er aufgesprungen, um nun, fieberhaft 

Vor Neugierde, in das dichte Gehölz einzudringen.


Vier, fünf, zehn Pferde, zählte er, schau, schau, Anna, 

Stählerne Rüstungen und seidene Mäntel. -

Dänische Herren, berichtete der Bruder aufgeregt 

Und glättete seine weiße Kutte, reiten bei Tag nach Stralsund 


Und suchen hier Schutz für die Nacht. Die Kinder 

Drängten sich angespannt an die beiden Seiten ihres Freundes. 

Er konnte ihnen kaum widerstehen. Dänen? 

Stammelte Klaus zweifelnd. Denn er konnte nicht 


Mit Bestimmtheit sagen, wo diese Leute angesiedelt waren. 

Was machen die denn in Stralsund?

Doch der Mönch schüttelte ihn ab, da er den steten 

Eifer des Wissbegierigen nicht befriedigen wollte.


Warum willst du das wissen, Klaus? lehnte er vorsichtig ab. 

Was kümmert dich der Handel von Königen und Fürsten? 

Diesmal geht es um eine gerechte Sache, fügte er hinzu, 

Mehr zu sich selbst, es geht darum, die Horde 


Gesetzloser Schuimer auszurotten. Da packte ihn der Junge 

Heftig am Kleid. Was sind Schuimer? drängte er 

Widerspenstig. Sag es mir. Der Mönch war erschrocken. 

Zu wild brannten die dunklen Augen des Jungen in die seinen. 


Das geheimnisvolle Wort, das unter dem Volk 

Für diejenigen kursierte, die unter der schwarzen Fahne

Umherzogen, schien ein Feuer in der unbeherrschten Seele

Entfacht zu haben. Wieder rettete der Vater 


Seine Verlegenheit hinter einer strengen Enmpörung.

Schweig, befahl er. Was kümmert sich eine Sasse, 

Der von der Herrschaft gut behütet wird, 

Um die Brut der Friedlosen, die von allen Ehrenmännern


Gemieden wird? Dankt Gott im Stillen, ihr, 

Die ihr ein nahrhaftes Gewerbe und einen sicheren Ort habt, 

Dass die Fürsten und Bürger dem wilden Treiben 

Ein Ende setzen wollen. Bedenke, Bursche, 


Solange das Ungetüm nicht vom Meer weggeschwemmt ist,

Kannst du, wenn du ehrlich bist, nicht ruhig 

Unter deinem Dach schlafen. Unter den Baumstämmen 

Waren bereits die bunt geschirrten Pferde zu sehen. 


So blieb Pater Franziskus nur Zeit, die Kinder 

Zur Seite zu schieben und den unbedarften Gaffern 

Gutmütig zuzuflüstern: Schaut euch die vorderen an. 

Ja, diese beiden. Das sind die Gesandten der Königin. 


Der Drost Reichshofmeister Henning von Putbus. 

Und der Hauptmann Konrad von Moltke. 

Sehr stolze und mächtige Herren.

Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Klaus Becker 


Nun das bunte Bild, das sich ihm bot. Er bemerkte nicht einmal,

Wie er krampfhaft die Hand seiner kleinen Begleiterin ergriff. 

Das goldene Leuchten des Großen hatte eine 

So überwältigende, betörende Wirkung auf ihn. 


Allmählich spannte sich ein feines, unwirkliches Netz 

Vor seinen starrenden Augen auf, und er zuckte 

Fast schmerzhaft zusammen, als ein besonders heller Blitz 

Aus dem Netz auf ihn zu schoss. Da!


Traten nicht der Abt und sein Prior aus dem Tor 

Oberhalb der grasbewachsenen Stufen hervor? 

Beide waren altersschwache Männer. 

In seinem schneeweißen Gewand, das goldene Kreuz 


An den dürren Gliedern, trabte der kleine Mann, 

Die Schleppe auf jeder Ferse vorsichtig anhebend, 

Auf den ersten der Reiter zu und reichte 

Dem kaiserlichen Hofmeister schließlich 


Mit zitternder Hand einen Silberbecher. 

Der Drost saß zurückgelehnt auf einem breiten Pferd, 

Die überlangen Beine gewaltig gespreizt, 

Denn das flickenreiche Zottelkostüm beengte 


Den großen Mann. Das Staatsgewand 

War kompliziert zusammengesetzt, links rot, rechts gelb, 

Während Arme und Beine andersherum bekleidet waren.

Außerdem saß eine riesige blaue Perlenmütze 


Auf seinem gekerbten Kopf, von der eine riesige blaue Fahne 

Fast bis zu den Knien herabfloss. Man sah ihm an, 

Dass der lange Ritt ihn heiß gemacht hatte, 

Denn er schob den schwarzen Ledergürtel luftig 


Unter den schmalen Hüften hin und her, 

Und wenn die tiefliegenden, lauernden Augen 

Ihm nicht widersprochen hätten, hätte man 

Den kaiserlichen Höfling der Königin Margarethe 


Für einen abgenutzten eitlen Höfling halten können. 

Aber die Augen wohnten in ihm unter den grauen Brauen 

Wie der Fuchs in seinem Bau. Wachsam, 

Bereit, zuzuschlagen. Und über die schrumplige Stirn 


Flog manchmal ein leuchtender Blitz. Nicht umsonst 

Ging die Legende, dass diese morsche, im Wind 

Schwankende Leiter die Sprossen geliefert hätte, 

Auf denen die zierlichen Füße seiner Königin 


Die kältesten Höhen der Staatskunst erklommen hätten. 

Aber die Legende tat ihm Unrecht, denn er selbst 

Hatte zuerst im Gemach der fürstlichen Dame 

Die unmerklichen Wendungen und kühlen Methoden gelernt, 


Die nun die nordische Welt in Atem hielten. 

Von ganz anderer Art war sein Begleiter, der dicht 

Neben ihm den verschwitzten Hals 

Seines gescheckten Schimmels energisch tätschelte. 


In einem regnerischen Ledermantel hockte 

Hauptmann Konrad von Moltke auf seinem getriebenen, 

Sehnigen Pferd. Sein linkes Bein, das von einem grünen 

Strumpf umgeben war, hatte er lässig hochgezogen, 


So dass er seinen Arm darauf abstützen konnte. 

Und auf diesem ruhte wiederum der völlig kahle, 

In der Sonne schimmernde Schädel, unter dem 

Eine krumme Geiernase hochmütig in die Welt ragte. 


Die eiserne Sturmhaube, die auf dem knochigen Schädel 

Zu sehr hätte lasten können, hing schwankend 

Von seinem Sattel, und die rot geschwollenen Augenlider 

Blieben hartnäckig geschlossen, vielleicht aus Müdigkeit,


Vielleicht aus Abneigung gegen das mönchische Gesindel, 

Dem seine Herrin so auffallend zugetan war. 

Es kursierten allerlei Gerüchte. Der verkniffene Mund 

Des Dänen sprach jedoch laut von Habgier und Beute.


Er sieht aus wie ein Seeadler, dem man die Federn 

Ausgerupft hat, dachte Klaus Becker erstaunt, 

Ohne seinen gierigen Blick von dem Knochenmann 

Abwenden zu können. Inzwischen hatte sich 


Die schlaffe Kindergestalt des Abtes 

Auf die Zehenspitzen gestellt. Ängstlich wich er 

Dem scharrenden Braunen aus und bot 

Dem kaiserlichen Höfling seinen Becher an. 


Das Männchen, dem ein paar einzelne graue Locken 

Einsam um die Stirn flatterten, erweckte unverkennbar 

Den Eindruck, sich hinter seinen Pergamentrollen 

Wohler zu fühlen als bei diesem ungewohnten Staatsakt.


Herr Henning von Putbus, lispelte er kraftlos 

Und kaum hörbar, Kaiserlicher Hofmeister 

Und Drost der Großmächtigen… Hier klatschte 

Der Knochenmann seinen Knebel höchst heftig 


Gegen seinen Hals und kniff seine Augenlider 

Immer unverständlicher zusammen.

Der Abt wurde verwirrt. Der Herr hat dich 

An die deutsche Küste geführt, um dich zu segnen! 


Stotterte er verlegen und begann mit dem Becher 

Hin und her zu zittern. Er hat dich an die Küste geführt,

Und möge die Tagesreise nach Stralsund so verlaufen, 

Wie du es wünschst. Höflich streckte der hagere Mann 


Die Beine noch steifer von sich, ergriff den Becher 

Und verbeugte sich so geschmeidig, wie man es 

Von der dürren Gestalt im Pelz kaum erwarten konnte. 

Da die gutgläubige Abneigung eures Ordens 


Gegen die Vergewaltiger des Meeres wohl bekannt ist, 

Sprach er ziemlich unbekümmert, werden eure Gebete 

Mit uns sein. Ich weiß, ich weiß. Er führte den Becher

Oberflächlich an den Mund, ohne einen Schluck zu nehmen. 


Sein Nachbar jedoch, Hauptmann von Moltke, 

Riss ihm ungeduldig den Becher aus der Hand, 

Bevor er überhaupt dazu aufgefordert wurde, 

Warf einen tiefen Blick hinein und stürzte 


Das Getränk gierig hinunter. Der Krieger 

War vielleicht durstig. Unerwartet hielt er inne 

Und schüttete, während er wütend 

Seine geschwollenen Augen weitete, den Rest 


Irritiert auf den Boden. Gemisch, knurrte er, 

Und seine Stimme klang, als würde er Scherben 

Aneinander reiben. Himmel und Hölle, ich...

In diesem Moment ertönte ein erneutes Pferdegetrappel 


Aus dem Wald, und der Reiter schluckte, 

Hob eine erschreckend dürre Hand und winkte 

Dem Neuankömmling zu. He, Cona, krähte er 

In demselben bitteren, verächtlichen Ton, 


Meine Seele, du bist gut genährt worden, 

Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. 

Erinnerst du dich an den Tagesausflug nach Wismar? 

Es heißt, Liebster, du hättest auf See 


Recht lukrative Geschäfte gemacht. Und du kennst 

Die Tricks der Schuimer aus eigner Erfahrung.

In dieser Anrede muss eine besonders giftige Anspielung 

Enthalten gewesen sein, denn der Kaiserliche Hofmeister, 


Der plötzlich noch blasser aussah als sonst, 

Hob abwehrend die rechte Hand, holte vergeblich Luft 

Und versuchte, sein Unbehagen hinter einem einladenden Lächeln

Zu verbergen. Er konnte sich jedoch nur ein Lächeln abringen,


Zumal er bemerkte, wie der Graf von Cona, 

Der nun in der Abendsonne in der Nähe 

Seines jungen Sohnes mitten auf der Lichtung stehen blieb,

Verärgert und beschämt über sein feiges Vollmondgesicht 


Eine Grimasse zog. Der wohlgenährte Mann 

Blickte in die Runde, um zu sehen, ob die Mönche 

Seinen Spott verstanden hatten. Dann strich er 

Mit der fleischigen Hand über den halblangen blauen Stoff, 


Der ihn wie ein Morgenmantel umhüllte, 

Und schließlich hauchte er in der Manier des dicken Mannes 

Kurz aus: Seid gegrüßt, meine Herren. Du auch, Moltke. 

Immer munter. Immer beweglich. 


Wir wollen absteigen und das Abendmahl einnehmen, 

Das der Abt für uns vorbereitet hat. 

Und aus einem leeren Magen entsteht allerlei wirres Zeug. 

Und wenn man es wirklich ernst meint 


Mit den Freibeutern, die für ein verstecktes Plätzchen 

Gut zu zahlen wissen, nicht wahr, nicht wahr? 

Dann werden wir es morgen in Stralsund sehen. 

Wir werden sehen, wo unser Vorteil liegt. 


Und nun zu Tisch, meine Herren. Er schwang das rechte Bein 

Vom Pferd und stöhnte schwer. Allein 

Die weit ausholende Bewegung des bulligen Körpers 

Hätte den dürren, unruhigen Gaul des dänischen Kapitäns


Irritieren können. Mit einem schrillen Wiehern 

Erhob sich das Tier senkrecht in die Luft. Ein einziger Schrei 

War ringsum zu hören. Doch ohne zu zögern, 

Schlossen sich die sehnigen Beine des Kriegers 


Um den Körper seines Schecken. Ja, er bewegte sich kaum, 

So fest saß er im Sattel. Gleichzeitig aber sah man 

Den Jungen im weißen Mantel hoch oben 

In den Zügeln des Schimmels hängen. 


Seine kleinen Fäuste rissen erbarmungslos 

An der Schnauze des Tieres. Lass los, krähte der Däne 

Entrüstet und fletschte seine stämmigen Zähne. 

Da war das Pferd schon auf die Erde gebracht worden. 


Und der Helfer stand nun, ganz und gar nicht selbstbewusst,

Sondern mit stolz in die Hüften gestemmten Händen, 

Von einem rauschenden Gefühl der Stärke geschwellt, 

In der Mitte des ihn umgebenden Kreises. 


Wieder bemerkte er kaum, dass sein Begleiter 

Auf ihn losgestürmt war, um ängstlich seine Brust 

Und Gliedmaßen abzutasten. Unsinn, schimpfte 

Der Hauptmann missbilligend. Ragazzaccio maledetto! 


Vollendete er seinen Fluch auf welsche Art, 

Denn seinen ersten Kriegsruhm hatte er sich 

In den italienischen Städtekriegen erworben. 

Gezwungenermaßen fummelte er an seinem Lederbeutel herum,


Um dem Burschen ein paar Scheidemünzen zuzuwerfen, 

Doch einer besseren Einsicht folgend, unterließ er 

Auch diese Spende auf halbem Wege. Wer ist dieser Bursche? 

Fragte stattdessen der Graf von Cona, der inzwischen 


Auf krummen Beinen neben dem kaiserlichen Kammerherrn

Stand, der ebenfalls herabgestiegen war. 

Und da er den schlichten Leinenmantel des Jungen 

Und seine prächtige Statur nicht recht erkennen konnte, 


Fügte er eindringlich hinzu, denn der nahe Tisch 

Lockte den stets hungrigen Mann: Schnell, schnell, 

Wer ist es? Das wäre ein hübscher Diener.

Es entstand eine Stille. Bis die Stille durch die Stimme 


Von Bruder Franziskus durchbrochen wurde. 

Einem unwiderstehlichen Impuls folgend, 

Hatte sich der Pater vor die Kinder gestellt. 

Nun gab er besorgt die Auskunft:


Es ist der Sohn des Fischers Klaus Becker. -

Das ist ein lauwarmer Hund, stotterte der Dicke, 

Der seine unangenehme Überraschung erst einmal 

Nicht überwinden konnte. Kümmert sich schlecht um uns. 


Und indem er sein Doppelkinn weit unter dem Kragen 

Des blauen Stoffes hervorstieß, begann er verlegen 

Zu grummeln: Was treibt der Sasse hier?

Hitze war in die Miene des Jungen gestiegen, 


Böse dunkle Augen zerrten an dem blauen Faltenrock.

Mein Vater! rief er. Dann wurde er von dem Mönch

Zurück gerissen. Gleichzeitig spürte er, 

Wie seine Lippen fest verschlossen wurden.


Er hat eine Sternscholle für den Tisch mitgebracht, 

Erklärte der Bruder ruhig und deutete 

Auf den Mauervorsprung, wo der riesige Fisch 

In der Abendsonne glitzerte. Neugierig drehte sich 


Der Graf um. Ob er nun durch den Anblick 

Des mächtigen Fangs versöhnt oder anderweitig froh war, 

Die lästige Begegnung los zu sein, legte er bequem 

Seinen Arm unter den des kaiserlichen Hofmeisters 


Und zog ihn mit sich. Man speist gut mit den Brüdern, 

Schmatzte er mit einem breiten Lachen. Wer weiß, 

Welche Überraschung auf uns wartet. Komm, Herr Drost, 

Ihr Herren, kommt. Man soll die Köchin nicht warten lassen.


So zogen die Gäste, angeführt von den Mönchen, 

Durch das schmale Tor über die Grasstufen. 

Die Diener lenkten die Pferde um die Mauer herum 

In die Ställe, und bald lag die Lichtung in Einsamkeit.


Nur ein einziger Reiter war zurückgeblieben. 

Er zögerte auffallend, abzusteigen, und lenkte sein Pferd 

Eher spielerisch hin und her, bis der junge Graf, 

Malte von Cona, sich entschieden haben musste. 


Mit einem Sprung setzte sein Pferd den bereits 

Heimkehrenden Kindern nach, und während die Faust 

Des jungen Mannes kühn und ohne Umschweife 

In die Haare des schreienden Mädchens griff, 


Rief er ihr, wie um sie zu beruhigen, mit einem ebenso 

harmlosen wie gebieterischen Lachen zu, 

Denn das Ganze sollte nach der Sitte ein Scherz sein.

Dirne, verstehst du Spaß? wo kommst du her?


Das kleine Mädchen starrte ihn mit blauen Augen flehend an 

Und begann vor dem vornehmen Herrn zu zittern.

Lass es, Herr, stammelte auch Bruder Franziskus 

In aufsteigender Entrüstung, sie ist noch ein Kind.


Doch der junge Mann warf dem Mönch 

Nur einen verächtlichen Blick zu; dem kahlgeschorenen Mann 

War es egal, mit wem sich der Wirt auf offener Straße 

Amüsieren wollte. Doch der Reiter war überrascht, 


Wie der Fischerknecht den gnädigen Scherz aufnahm. 

Atemlos lehnte sich der Weißkittel an eine mächtige Buche, 

Von der aus der Junge in rastloser Gier die bunte Pracht 

Des Edelmannes verschlang, ohne genau zu wissen, 


Was vor sich ging. Die überlangen Schnäbel 

Der rosafarbenen Strümpfe, die fest gepresste 

Rote Schecke des Wamses und darüber 

Der kurze gelbe Kragen, besetzt mit blitzendem Gold 


Und Silber. Und doch riss und zerrte die Faust des Jungen 

Auf seltsame Weise an einem kräftigen Ast. 

Wollte der Flegel etwa seine schuldige Ehrfurcht vergessen? 

Der Knappe zuckte ungläubig und verächtlich 


Mit den Schultern, dann ließ er seinen Blick erneut 

Stur über die feine Gestalt der Dirne gleiten, 

Die durch seinen Ruf so vollständig 

Der Sprache beraubt worden war. Komm zu dir, Rotmantel, 


Sagte er ungeduldig, obwohl er selbstgefällig 

Auf die nackten Füße des Mädchens hinunterblickte. 

Woher kommst du? Bist du die Schwester 

Von dem Sassen dort? Er hielt das Ganze immer noch 


Für einen Scherz, der zu ihm passte, und wunderte sich nur,

Warum das Mädchen so zitterte und bebte.

Nein, flüsterte sie und senkte den Kopf, 

Ich bin Anna Eberhard. - Und die Tochter 


Der Schwester meiner Mutter, sprach Klaus dazwischen. 

Er hatte den Ast heruntergezogen und trat nun, 

Auf alles gefasst, näher heran. Doch seine Glieder zitterten 

Wie im Frost, denn der ererbte Respekt 


Rebellierte gegen die Gier, ein Abenteuer zu erleben. 

Unruhig schwankte die Waffe des Zufalls 

In seiner geballten Faust. Er wusste selbst nicht, 

Wogegen er kämpfen sollte. Du bist nicht erwünscht, 


Schleuderte ihm der Junggeselle unwillig entgegen 

Und stieß gebieterisch die rechte Hand vor, 

Als wolle er das Herannahende, die unbegreifliche Revolte 

An ihren Platz verbannen. Gleich packst du mit an, 


Du Tölpel! Der Mann im weißen Kittel rührte sich nicht. 

Nur der Buchenast hörte auf zu zittern, ja, das Holz 

Gewann von Minute zu Minute eine immer festere Spannung. 

Eine Weile verharrten die drei Gestalten regungslos, 


Wie in den Tiefen eines Traums. Selbst das Pferd 

Stand gepresst unter dem fesselnden Druck. 

In diesem Moment konnte sich der Zisterzienser 

In seinem Herzschmerz am schnellsten 


Aus seiner Lähmung befreien. Kaltblütig, 

Als ob nichts Ernstes geschehen wäre, schritt er dicht 

An die Flanke des Pferdes heran und klopfte dem Tier 

Auf den Hals. Die Kinder, die aufgeregten, 


Beobachteten sein Tun mit großen Augen.

Ja, es sind Annerbäulken-Kinder, sprach er 

In dem weichen Dialekt der Gegend, und keine Hast, 

Keine Unruhe verriet in der ebenmäßigen Miene, 


Wie sehr er sich bemühte, mit der Überlegenheit 

Des Alters die entflammten Sinne der anderen 

Zu beruhigen. Anna Eberhards Vater ist ertrunken. 

Man sagt, die Schuimers hätten ihn ins Meer geworfen. 


Ihre Mutter hat sich nun eine kleine Hütte 

Bei den Beckers gebaut, und Mutter und Tochter 

Leben recht redlich vom Mattenweben. 

Ein mühsames Handwerk, das die Finger abschneidet.


Er hob den Arm des Mädchens weise an, 

Und der Graf bemerkte nun erstaunt, wie die Hand 

Der Blondine von schwärzlichen Kerben durchzogen war. 

Das war eine angenehme Ablenkung 


Für seine unbedachte Begehrlichkeit. Sofort versuchte er, 

Nach der Art der großen Herren, das Leid der Armen 

Durch Almosen zu lindern. Warum hast du das 

Nicht gleich gesagt, dumme Göre, tadelte er 


Wohlwollend, während er ungestüm an einer Silbermünze 

An seinem gelben Kragen herumwirbelte. Matten? 

Nun, da könnt ihr die weichsten eures Gewebes 

Auf unseren Hof bringen. Mein Hund soll auf ihnen liegen. 


Und hier, Rotkittel, hier hast du deinen Lohn im Voraus.

Lachend und mit einer großzügigen Geste 

Warf er dem Mädchen den abgerissenen Knopf vor die Füße. 

Und bevor die drei Zurückgebliebenen 


Auch nur denken konnten, hatte der geschickte Reiter 

Sein Pferd zur Seite geworfen und stürmte nun 

Um die Mauer herum in Richtung Stall.

Schnell nach Hause, drängte der Bruder die beiden Kinder, 


Die bestürzt das ferne Klirren von Silber- 

Und Goldmünzen hörten. Geht, geht schnell, der Mann 

Will euch nicht gesund sehen. - Und so

Beende ich hiermit das zweite Abenteuer.




DRITTES ABENTEUER


Sie saßen vereint in der Hütte der Beckers 

Bei einem mageren Abendessen. Die alten Männer 

Hatten ihren Hunger schon gestillt und hockten 

An der Feuerstelle, wo ein glimmender Kienspan leuchtete, 


Und ruhten sich aus. Zu ihnen gesellte sich 

Anna Eberhards Mutter, eine hagere, vorzeitig ergraute Frau 

Mit unzähligen Sommersprossen auf dem Gesicht. 

Sie sah bei der Arbeit verbittert aus, und die hagere Frau 

Fröstelte oft in der Kühle des Meeres.


Kalt, immer kalt, schüttelte sie sich. Dann hob sie 

Den geschenkten Silberknopf von ihrem Schoß 

Und strich ihn fast ungläubig gegen 

Den unsicheren Lichtschein. Warum er ihn geschenkt hat? 


Suchte sie in fruchtlosem Zweifel zu ergründen; 

Aber als die Hausfrau, die rundlich und mollig, 

Voll gesicherter, selbstbewusster Kraft ihr gegenübersaß, 

Eine heftige Bewegung gegen den Herd machte, 


Als wolle sie die Kostbarkeiten am liebsten 

In die Flammen schleudern, denn Dörte kannte 

Die Aufmerksamkeiten der Herren, schüttelte 

Die Teppichweberin müde den Kopf. Keineswegs, 


Wehrte sie sich gegen diesen Gedanken 

Ihrer gewalttätigen Schwester. Wie sollte ich jemals 

Wieder an einen solchen Schatz kommen? Morgen 

Werde ich nach Stralsund segeln und Decken für uns kaufen.


Hauptsache, wir haben es warm. - Ja, schön warm, 

Murmelte der alte Klaus Becker und zog 

Seine allmählich spindeldürren Beine tief unter den Sitz, 

Denn der Husten, der nicht ausbrechen wollte, 


Lähmte erneut seinen ausgemergelten Körper. 

Mit äußerster Kraftanstrengung bemühte er sich, 

Das laute Bellen zu unterdrücken. Nicht etwa, 

Um seine Umgebung nicht zu erschrecken, 


Denn der kranke Riese war noch immer nicht weich 

Und nachgiebig geworden. Nein, er mochte es einfach nicht, 

Die Augen der Frau so groß und scharfsinnig 

Auf sich gerichtet zu spüren. Die Frau wusste alles, 


Sie war klug und ließ sich nicht täuschen. 

Ja, der Fischer glaubte, dass sie ihm die Zeit und die Stunde 

Des kommenden Ereignisses von der Stirn ablesen konnte. 

Und er wehrte sich. So schlimm war es wohl noch nicht, 


Und er wollte sehen, wer härter im Nehmen war, 

Er oder ihre Augen. So strich er, scheinbar aufgeräumt, 

Über den roten Bart, der sich nun doppelt so stark 

Von den vergilbten, eingefallenen Wangen abhob, 


Und wandte sich, zum Tisch gewandt, 

Mit der wohlwollenden Ermahnung an seinen Sohn:

Iss, Junge, iss! Der Junge saß träumend vor dem rohen Teller, 

Den Kopf aufgestützt, und nur ab und zu steckte er 


Den Holzlöffel in die Schüssel mit dem warmen Hirsebrei,

Unsicher und unwillig. Seine sonst so strahlenden Augen 

Aber waren verschleiert; wie nach innen gerichtet, 

Schienen sie Bildern und Ideen zu folgen, 


Die auf dem Grund seiner Seele schwebten. 

Seine Lippen zuckten oft unwillig, als könne er 

Das Fliehende weder erkennen noch festhalten. 

Seine Verwandten beobachteten bestürzt 


Die entfremdende Art des stets ruhelosen Mannes.

Iss, Klaus, flehte die kleine Anna Eberhard, 

Die dem eingesunkenen Mann gegenüber saß 

Und es auch nicht schaffte, ihren Löffel 


Gegen die Schüssel zu richten, denn ihr Geist 

Beteiligte sich bereitwillig an dem völligen Schweigen 

Ihres Begleiters. Wir sind schon lange unterwegs, du bist müde.


Doch auch diese herzliche Bitte erreichte den 

In Fremdheit versunkenen Mann nicht. Offenbar 

Hatte er die sanfte, bescheidene Stimme nicht einmal gehört. 

Über die Schulter seiner Freundin hinweg 


Starrte er immer ausdrucksloser durch die offene Luke 

Der Hütte, dorthin, wo der letzte Abendschein 

In der Ferne auf dem Wasser schaukelte. Langsam erhob sich 

Die blaue Wand der Nacht über den Rand des Meeres. 


Und gleichzeitig verfinsterte sich die Stirn des Träumers 

Immer auffälliger. Wirst du antworten, wenn du gefragt wirst?

Drohte Dörte, seine Mutter, ungeduldig. Wütend 

War sie hinter den Schemel ihres Sohnes getreten. 


Nun ließ sie ihre Hand klatschend auf den Nacken 

Des abgewandten Mannes fallen. Ihr lebhaftes, 

Energisches Wesen sträubte sich gegen solch zweckloses 

Und unheimliches Dösen. Was musste sich der große, 


Kräftige Junge anhören, anstatt seinem unfähigen Vater 

Zu helfen? Immerhin verlangte der Gerichtsvollzieher 

Noch den vollwertigen Fang. Junge, willst du? -

Mutter, unterbrach der kranke Riese erschrocken 


Und kämpfte erneut gegen den gefährlichen Hustenreiz an,

Woraufhin er versuchte, sich zu erheben, 

Was ihm jedoch nicht sofort gelang. Lass, lass den Jungen. 

Wer weiß, was er hat. Er trägt Gedanken in seinem Kopf. 


Und Gedanken sind nicht immer zu verstehen.

Daraus war zu entnehmen, was Dörte schon lange wusste, 

Dass der alte Becker in schüchternem Respekt 

Vor der wilden, trotzigen Art seines Sohnes lebte, 

Dass er aber geradezu in Aberglauben und Bewunderung versank,


Sobald sein Schützling seltsame Fragen 

Und Ansichten äußerte, wie sie der Rotbart 

In seinem eintönigen Beruf nie für möglich gehalten hätte. 

Je weniger der plumpe Mann von solchen erhitzten Hirngespinsten


Verstand, desto vorbehaltloser fühlte er sich 

Insgeheim geschmeichelt, weil sich solche Dinge 

An seinem eigenen sitzenden Herd abspielten.

Lass ihn, Mutti, lass ihn, wer weiß?


Ah, was heißt hier, wer weiß? schimpfte Dörte. 

Was soll das bringen? Sie schlug wieder zu.

Mit einem Satz war der Junge auf den Beinen. 

Der zweite Schlag hatte ihn wachgerüttelt. 


Die Schüssel auf dem Tisch zitterte 

Durch den ungestümen Aufbruch; selbst der Kienspan 

Auf dem Herd ließ seine Flamme rauchend 

Im Luftzug aufsteigen. Was ist los? sagte der Bursche, 


Und seine Augen waren so dunkel und seltsam 

Um seine Verwandten, dass sie alle erkannten, 

Dass sein Körper gerade wie ein Stein 

Vom Himmel unter sie gefallen war.


Der alte Becker sah ihn erstaunt an, die Augen 

Weit aufgerissen, sein harmloses Gemüt tief gebeugt 

Über diese edle Entrückung in eine andere Welt. 

Abwehrend hob er wieder seine hagere Faust.


Lass es, murmelte er wieder, kaum hörbar. Die Mutter 

Jedoch wollte ihren Jungen aus seinem ziellosen Dösen

Herausreißen. Geht es dir gut? erkundigte sie sich unwirsch, 

Als sie ihm kurzerhand die Holzschüssel abnahm, 


Denn die Ziegen ließen sich von den Resten 

Noch ganz gut sättigen. Was hockst du hier 

Und starrst vor dich hin? Der junge Klaus 

Schüttelte sich heftig, dann sprang er zur offenen Luke 


Und riss sich trotz der feuchten Abendluft 

Den weißen Mantel vorne im Nacken auf, 

Bis der Fahrtwind über seine nackte Brust strich.

Kalt, zitterte die Mattenweberin wehleidig in ihrer Ecke. 


Auch der alte Fischer hustete unvorsichtig.

Zu warm, viel zu warm, verteidigte sich der Junge. 

Plötzlich aber warf er sein lockiges braunes Haar 

Ungestüm zurück und schlug mit der geballten Faust 


Sinnlos gegen die Bretter des Fensters. In Wut 

Und stürmischer Empörung entlud sich, was sich 

In seinem schwelenden Grübeln bedrohlich 

Gegen ihn erhoben hatte. Wir wissen hier nichts, 


Schrie er in bitterem Zorn, und seine funkelnden Augen 

Klagten alle Anwesenden der Reihe nach 

Eines unsäglichen Verbrechens an, wir wissen nichts 

Von dem, was draußen geschieht. Ohne zu verstehen, 


Maßen sich die anderen. Aber auch wenn sie nicht 

Verstanden, wonach diese entfesselte Seele, geblendet 

Von einem flüchtigen Lichtstrahl, schrie, so spürten 

Die Ungebildeten doch, dass sich hier etwas Ungewöhnliches 


Und Gefährliches in seiner Anmaßung regte, 

Etwas Aufmüpfiges, Aufsässiges, das mit den Fäusten 

Gegen den Käfig der Unmündigkeit und des Elends 

Zu hämmern begann. Und das erfüllte sie mit Abneigung 


Und Misstrauen. Die geduckten Hälse hatten längst verlernt, 

Sich zu strecken, und weil sie zu tief in Abhängigkeit 

Gekrümmt waren, hielten sie es fast für einen Segen, 

Ihre unwissenden Köpfe nicht dorthin erheben zu müssen, 


Wo die Blitze in der Höhe zuckten. Gott schütze uns 

Vor Unheil! Unwillkürlich schlugen sie 

Die Hände zusammen. Und nur der kranke Riese 

Atmete ein paar mühsame Seufzer, aber als er 


Sich anschickte, eine bescheidene Frage zu stellen, 

Zitterte etwas von unterdrückter Zufriedenheit 

In seiner gebrochenen und heiseren Stimme, 

Denn es schien ihm, dass seine Hütte durch all dies 


Sehr geehrt und begnadet wurde. Gott bewahre uns 

Vor dem Unglück! Was wissen wir nicht, Junge? 

Räusperte er sich demütig und umklammerte 

Mit beiden Fäusten die Lehne seines Schemels, 


Um aufrecht sitzen zu können. Was wissen wir nicht?

Der Mann biss sich auf die Unterlippe, und gleichzeitig 

Rüttelte er mit einer neuen Besessenheit am Rahmen 

Der Luke, als müsse er einen weiteren Blick erhaschen. 


Dazu wetterte er mit Verachtung gegen die Dumpfheit, 

Die ihn hier umgab. Weißt du, dass ein paar Meilen 

Von uns entfernt in Stralsund ein Tagesausflug stattfindet? 

Was ist ein Tagesausflug? Der alte Fischer 


Riss an seinem langmähnigen Bart, seine Brust 

Drohte zu erstarren, und der Schweiß rann ihm 

Durch das graue, wirre Haar. Sein Verstand 

Wurde vor Überraschung leer. Alle guten Geister, 


Was kümmerte sich die junge Brut darum?

Große Gentlemen, gelang es ihm schließlich, 

Sich aus seiner Atemlosigkeit zu befreien, sie reden.

Sein Schützling trat näher an ihn heran.


Worüber reden sie? fragte er eifrig. Der alte Mann 

War nun völlig fassungslos. Noch nie war er 

Zu etwas so Unnötigem aufgefordert worden. 

Und nun auch noch von dem Adoptivsohn. 


Und doch packte ihn der unbestimmte Verdacht, 

Dass in diesem Drang eine köstliche Luft wehte, 

Eine Luft, nach der er sich schon lange gesehnt hatte, 

Weil man sie einatmen konnte. Ja, atmen, atmen, 


Denn der Erstickungstod stand unmittelbar bevor. 

Er stöhnte hohl, dann keuchte er auf: Sie reden über uns 

Und was sie uns wegnehmen sollen. Es klang 


Wie das Heulen eines geschundenen Hundes. 

Alte Erinnerungen an Zwang und Demütigung 

Stiegen in dem Stottern auf. Und bei diesen 

Provozierenden Klängen beugte sich der Sohn 


Lauernd zu ihm herüber, und seine Augen drohten 

Bedrohlich in der Hütte umher, als suchten sie 

Bereits den Eindringling, der kommen würde, 

Um erpresstes Eigentum zu fordern. Gott schütze uns 


Vor Unheil! Welcher Geist war zu dieser bösen Stunde 

In das junge Blut gefahren? Du redest von uns? 

Und fragst nicht uns? rang er sich 

Aus dem erwachenden Bewusstsein. Sind wir Steine?


Der alte Klaus zitterte vor Angst. Plötzlich schämte er sich, 

Dass er sich von dem Fremden so weit hatte verführen lassen.

Lass es, junger Mann, lass es, wir verstehen nicht. -

Wir verstehen nicht, zischte der Junge. Perplex schlug er 


Sich mit der Faust an die Stirn. Eine schrille Stimme 

Erhob sich aus dem Kamin. Dort schob Dörte 

Wütend die Feuerzange unter ihre Töpfe. Eine Schale 

Klapperte in Scherben auf den Ziegelestrich.


Was ist das für ein Zeug? schrie sie in ihrer Angst, 

Dass die rächenden Hände des Meisters 

Nach ihrem lebenden Schatz greifen könnten. 

Habe ich euch gefüttert, damit ihr hier Unkraut sät? 


Glaubst du, wir können von Wortgefechten leben? 

Verschwinde von hier, wo du hingehörst. 

Oder willst du warten, bis die Peitsche 

Des Landvogts dir Beine macht?


So laut wie ihre Stimme klang, wandte 

Der schlanke Bursche seinen Blick auf die eifrige Frau, 

Aber ihre Vorwürfe glitten an ihm vorbei, als wären 

Seine Ohren noch verstopft für die Dinge des Alltags 


Und der eintönigen Gewohnheit. Aufrecht stand er da, 

Plötzlich ein Fremder unter diesen ängstlichen 

Kleinen Frechlingen, berührt vom Zauberstab 

Einer Erkenntnis, der er nicht gewachsen war; 


Und erst als das Wort "Peitsche" durch seine Träumerei pfiff,

Zuckte ein kurzer Schauer über seinen Nacken, 

Und seine Hände zitterten unwillig nach hinten. 

Sofort wurde aber auch diese Schwäche abgeschüttelt 


Und er konnte geschmeidig bis dicht an den Sitz 

Des alten Mannes heran gleiten, um dem lauschenden 

Fischer erneut etwas zuzuflüstern: Sag mir, 

Was sind Schuimer? - Oh, oh, wimmerte 


Anna Eberhards Mutter kläglich, und dabei 

Nestelte sie erschrocken an dem silbernen Knopf 

In einem Schlitz ihres Rockes. Böse Menschen, 

Klaus, glaub mir, böse Menschen. Sie segeln 


In ihren Räuberschiffen, sie plündern die Güter der Reichen 

Und morden die Armen. Ich kenne sie. Sie trinken 

Und verschlingen an einem Tag, was wir 

In einem Jahr zusammengekratzt haben.


Sei still, stöhnte Dörte an ihrem Herd. Bleich 

Wie eine Leiche war sie geworden, seit ihre Sorge 

Um den Einzigen groß war, die sich 

An einen bestimmten Gedanken klammern konnte. 


Bete ein Ave Maria, mein Junge. Ein frommer Christ

Darf die Rotte nicht kennen. - Gegrüßet seist du, 

Heilige Mutter Gottes, sprach die kleine Anna 

Gehorsam vor sich hin. Auch ihr Spielkamerad 


Schlug unwillkürlich die Hände zusammen, 

Denn der Wunsch der Mutter wurde 

Von dem verstörten Mann immer noch 

Als unumgängliches Gebot angesehen. 


Dennoch hinderte ihn die Bewegung nicht daran, 

Seinem Vater erneut etwas zuzuflüstern:

Aber wer hat die Menschen so weit gebracht? -

Ja, wer? murmelte der Fischer fassungslos. 


Plötzlich aber fasste er den Kopf seines Sohnes 

Mit beiden Händen, und als er seinen Kummer, 

Seine Krankheit und den Kummer eines ganzen Lebens 

Aus der Tiefe seiner Seele hervorholte, schrie er 


Unerwartet in einem wahnsinnigen Geheul auf:

Das Elend, mein Jünger, ich meine das Elend. -

Ja, das Elend, sagten die anderen nun ergriffen.

Dann hatte der fesselnde Zauber den Jungen verlassen.


Ungehemmt und in dem Wunsch, sich zu befreien, 

Brannte es ungebremst aus ihm heraus:

Und wer gibt den Herren seidene Gewänder 

Und uns Lumpen? Wer gibt ihnen Gold und Edelsteine 


Und uns die Peitsche? Und wer gibt ihnen 

Die fremden Sprachen, die wir nicht verstehen, 

Und uns... und uns nur die Dummheit? -

Ja, wer? wiederholten die anderen geistesabwesend.


Die armen Leute hockten da, als wären sie mit Nägeln 

An ihren Sitzen festgenagelt und müssten es dulden, 

Dass ihre Zungen den Eingebungen eines fernen 

Geistes folgen. Endlich riss sich Dörte 


Aus dieser lähmenden Verzweiflung. Mit einem Sprung 

War sie bei ihrem Kind, das sie der Macht des Teufels 

Zu entreißen glaubte; ein Schlag ihrer geballten Faust 

Traf sein weiches, fiebriges Gesicht. Mutter!


Dann riss sie ihn an seinen langen Haaren und zerrte ihn 

Fast bis zur Schwelle des Hofes. Gleich packst du dich 

In dein Boot, schäumte sie in übertriebener Wut, 

Obwohl eine unnennbare Angst ihre Seele zerquetschte. 


Geh, wir brauchen hier keine Müßiggänger 

Und Maulhelden. Bring lieber etwas Gutes mit, 

Damit wir Ruhe vor dem Landvogt haben. 

Und Gott helfe dir, wenn du jemals wieder 


Den Mund aufmachst über Dinge, die uns nichts angehen. 

Ohne Übergang fiel sie dem Mann, der bereits 

In die Nacht gestoßen worden war, um den Hals, 

Schlang ihre Arme fest um seinen Nacken, 


Und zum ersten Mal hörte der überwältigte Sohn 

Seine Mutter flehen und stöhnen: Tu's nicht, 

Mein liebes Kind, schlag dir solche Gedanken aus dem Kopf. 

Sie sind nicht gut für arme Leute, sie ruinieren dich 


Und uns. Siehst du, die Herren werden in Samt 

Und Seide geboren und leiden unter nichts anderem. 

Geh, sei wieder mein lieber, guter Junge, geh! 

Gewaltsam stieß sie den Zögernden von sich, 


Der in heißer, erweckter Zärtlichkeit ihren Mund suchte, 

Nicht wissend, dass sie ihn in sein Schicksal trieb.

Klaus war noch immer in alle Widersprüche verstrickt 

Und glitt die Dünen hinunter; aber je kälter 


Ihm der scharfe Seewind um die Ohren strich, 

Desto klarer wurden seine lebhaften Sinne, 

Und kaum spürten seine Füße den feuchten Strand 

Unter sich, da hatte der wendige Geist des Jungen, 


Der immer auf der Suche nach etwas Neuem war, 

Schon den Streit mit den Seinen vergessen. 

Er spannte energisch seinen Ledergürtel und lauschte 

Auf seinem Weg den Rufen der wilden Schwäne.


Nun eine Armbrust, die für einen Gentleman taugt, 

Dachte er, und ein paar stattliche Federn 

Für die Mütze sollten mir nicht fehlen.

Die Nacht und die graue Leere, die sich 


Wie ein offenes Tor öffnete, erschreckten 

Oder behinderten ihn so wenig, dass seine Augen 

Vielmehr halb spielerisch den Schimmer 

Der weißen Strandwellen von dem Gefieder 


Der belauschten Vögel zu unterscheiden begannen. 

Sie kämpfen da draußen, urteilte er angespannt, 

Sie stoßen sich gegenseitig in die Brust. 

Und dann schoss ihm durch den Kopf, 


Ob es nicht möglich war, ein so königliches Tier 

Zu zähmen? Aber das hatte noch nie jemand versucht. 

Es könnte schwer zu halten sein. Aber sein Herz, 

Das ewig nach Glanz und Pracht dürstete, 


War von der Idee völlig eingenommen. Er vergaß 

Fast die Jagd nach den unsichtbaren Kreaturen.

Man müsste sich gegen den Wind anschleichen, 

Murmelte Klaus, und dann... Da stolperte er. 


In der Nähe des Pfahls, an dem sein Boot festgemacht war, 

Erhob sich eine dunkle Gestalt. Der breite, 

Stämmige Mann musste bis dahin auf dem Bootsrand 

Gesessen haben, doch nun drehte er sich 


Zu dem Neuankömmling um, und vor allem 

Ein riesiger Schädel schimmerte durch die Nacht. 

Selbst wenn die schwere, massige Gestalt 

Noch tiefer in die Dunkelheit gehüllt gewesen wäre, 


Hätte dieses versteinerte Dach, von dem sich rechts 

Und links zwei dicke graue Haarwülste abhoben, 

Seinen Besitzer verraten. Außerdem stand niemand 

So gebieterisch auf gespreizten Beinen 


Wie der Gerichtsvollzieher. Schweigend beäugte 

Der Mann den Fischer, denn auch die Dunkelheit 

Bot seinem Blick kein Hindernis, und erst nachdem er 

Ein paar Mal über seinen kurzen Bart gestrichen hatte, 


Spuckte er, wie es seiner Natur entsprach, abfällig:

Der Mond ist schon aufgegangen. 

Warum kommst du so spät? - Ich? -

Ja, ich meine dich, wen sonst?


Oh, da war es wieder. Klaus Becker ballte die Fäuste, 

Bis die Nägel in sein Fleisch schnitten. Und doch 

Verrieten seine mühsam erzwungenen Atemzüge 

Deutlich, welche Anstrengung es ihn kostete, 


Seinen unbezwingbaren Hass auf den Zwang 

Hinunterzuwürgen. Zähneknirschend beugte er sich vor, 

Und seine Hände zerrten viel heftiger an den Seilen 

Des Bootes, als es nötig war, um die Knoten zu lösen. 


Dabei sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, 

Dass er ein Segel habe und deshalb viel schneller 

Segeln könne als selbst der Gerichtsvollzieher 

Mit seinen ungeschickten Rudern. Und außerdem, 


Die Ruhe war verloren. Er stemmte sich mit den Schultern 

Gegen den Kahn und begann, ohne Rücksicht 

Auf den Beobachter, das kleine Schiff 

Zwischen die großen Steine zu schieben.


Der Landvogt hörte aufmerksam zu. Schließlich nickte er, 

Als ob er sich über die Kraft des Jungen amüsieren würde, 

Und sagte dann mit Gelassenheit: Gut, du wirst 

Dein Segel brauchen, denn du bist im Rückstand. 


Ich werde nicht lange warten. Klaus Becker drängte, 

Er drängte, als wolle er den Strand von den Wäldern 

Und Bergen wegreißen. Ruhig ließ der Landvogt 

Es geschehen. Doch gerade als der Bug des Schiffes 


Ins Wasser eintauchen wollte, schlenderte er plötzlich 

Näher und legte seine Faust auf den Rand des Schiffes.

Mit einem Ruck fuhr der Junge hoch. Was ist los? 


Drohte er gepresst, und nun konnte er nicht verhindern, 

Dass sich das Weiße seiner Augäpfel unheimlich 

Zu drehen begann. Wofür hältst du mich, Vogt?

Voller dumpfer Warnung schnitt es durch die Nacht, 


Der salzige Wind trug buchstäblich die Vorahnung 

Einer Gewalttat, den Geruch eines heranstürmenden Raubtiers 

Mit sich; doch der Herrscher schien sich über diese 

Sich windende Bosheit eher zu amüsieren. 


Fast wohlwollend knurrte er: Sieh mal, Kleiner, 

Deine Lichter funkeln wie morsches Holz. Mal sehen, 

Ob wir sie für etwas Nützliches verwenden können. 

Er warf den Arm nach vorne und deutete auf das Meer. 


Schau hinaus, was siehst du? Erstaunt 

Über die Ernsthaftigkeit des Mannes drehte sich Klaus 

In die angegebene Richtung, insgeheim geschmeichelt, 

Weil der gefürchtete Mann offenbar seine Hilfe 


In Anspruch nehmen wollte. Und? erkundigte sich 

Der alte Mann nach einer Pause. Neugierig 

Beugte sich der Junge über das Boot und starrte hinaus. 

Zu seiner Linken, dort, wo die Kurve des Waldes 


Zur Stubnitz hin dunkel und schwarz wurde, 

Glühte ein schmaler Streifen Feuer auf dem Wasser. 

Ein schaukelndes rotes Becken schwankte, 

Immer wieder von der Ebbe auseinandergerissen 


Und ebenso oft wieder zu einem lockeren, 

Blitzenden Strom zusammengeführt. Das Glühen 

Hob sich auffällig von den blassen, silbernen Rillen ab, 

Die der am Horizont gleitende Mond gefurcht hatte.


Was konnte das bedeuten? Klaus Becker strapazierte 

Seine Sehkraft aufs Äußerste, er war längst 

Auf die angeschwemmten Strandsteine gesprungen, 

Und nun suchte er dort draußen, ob vielleicht 


Ein Schiff mit brennenden Pechfackeln dahinglitt.

Doch der Gerichtsvollzieher wies eine solche Vermutung 

Mürrisch zurück. Seit drei Nächten hatte er 

Vergeblich entlang der Linie gesucht. Auch dort 


Oben auf dem Plateau der Stubbenkammer 

Hätte er gesucht. Vergeblich, abgesehen 

Von ein paar Rehen, nichts Besonderes! 

Und doch, wie zum Hohn, flackerte die verfluchte 


Rote Haut auf dem Wasser. Verärgert wandte sich 

Der Alte ab, als wolle er das nachahmende Feuer 

Nicht länger betrachten. Sieh mal, Kleiner, 

Sagte er zum Abschied, und wieder klang er 


Giftig und überlegen, ob du schlauer bist 

Als der Rest von uns. Du hältst dich sowieso 

Für einen hübschen Hecht. Am Ende 

Wirst du ihn fangen. Du wirst sicher mehr Spaß haben, 


Als Heringe und Flundern zu ziehen. Aber pass auf, 

Fügte er beim Weggehen hinzu und hob warnend 

Seinen gekrönten Stab, dass du nicht in eine Falle tappst! 

Wer weiß? Vielleicht will die Bande den Herren 


Von Stralsund etwas zum Raten geben? 

Und schon außer Hörweite lachte er vor sich hin: 

Wer kann schon herausfinden, wo sich die Freunde 

Des armen Mannes gerne sehen lassen? 


Das ist ein Gaunerspiel. Im selben Moment löste sich 

Klaus Becker mit einem weiten Sprung 

Von seinem Stein ins Boot. Hoch oben peitschte 

Die Gischt, und der Wind trieb ein Heulen darüber.


Da ist anderes Blut in ihm, dachte der Vogt, 

Als in dem faulen Bauch. Bauernblut, Sassenblut, 

Das Blut des armen Mannes. Die Augen des Jungen glühen, 

Als ob eine Hütte brennen würde. Man wird ihm öfter 


Auf den Kopf schlagen müssen. Schade, 

Ich mochte ihn gern. Zur gleichen Stunde 

Bezogen die beiden dänischen Granden 

Ihre Betten im Gästezimmer des Klosters. 


Der kaiserliche Höfling Henning von Putbus 

Saß bereits unbekleidet auf dem breiten Polster 

Und sah mit seinen nackten Beinen so erbärmlich 

Mager und ausgemergelt aus, dass 


Hauptmann Konrad Moltke, der nach einem ausgiebigen 

Trunk mit der Öllampe in der Hand 

Durch den kahlen Raum taumelte und einen Nagel 

Für seine lederne Geißel zu finden versuchte, 


Von Zeit zu Zeit in ein Kichern des Ekels ausbrach. 

Als aber der Drost, während er tief grübelte, 

Eine spitze Nachtmütze über seinen langen Schädel zog, 

Kannte das Vergnügen des berauschten Mannes 


Keine Grenzen mehr. Bellissimo, lallte er 

Und hielt seinem Begleiter die Zinnlampe 

Fast unter die Nase, damit er ihn besser ansehen konnte. 

Du bist im Unrecht, Drost; bei meinem Schwert, 


Bitter im Unrecht, Drost. Ich weiß es jetzt,

Du bezauberst unsere erhabene Königin 

Durch die Schlagfertigkeit deines Witzes, sag nichts, 

Ich bezeuge es. Ja, wenn du noch ein Pfau wärst, 


So ein zarter, süßer, dann... Er schluckte ein paar Mal 

Krampfhaft, und die Erinnerung an die Tischfreuden, 

Die er soeben genossen hatte, drängte sich wieder 

In sein schwankendes Gehirn. So, so, gab er 


Den neuen Eindrücken nach und ließ sich, 

Die Lampe immer wieder zwischen den Fingern drehend, 

Auf einen geflochtenen Stuhl in der Mitte 

Des Raumes sinken. Reiche Zeiten kommen jetzt. 


Wir brauchen nur all die schönen Sachen 

Aus den Taschen der Schuimer zu ziehen, 

Die sie so fleißig zusammengekratzt haben, 

Und du kannst dir Königin Margarethe 


In einem seidenen Hemd vorstellen. Meine Seele! -

Steh auf und sieh nach, ob wir nicht belauscht werden, 

Sagte der Drost einsilbig anstelle einer Antwort.

Belauscht? der Krieger richtete sich etwas desillusioniert auf 


Und tastete verärgert nach der Stelle, an der früher 

Sein Kampfanzug befestigt gewesen war.

Du meinst die Kutten? Da soll es höllisch donnern!

Schwerfällig taumelte er zur schmalen Türöffnung 


Und spähte hinaus. Doch seinem trüben Blick 

Offenbarte sich nichts als ein dänischer Diener, 

Der unter einem Bogenfenster am Ende 

Des schmalen Ganges Wache hielt. Das Mondlicht 


Glitzerte undeutlich auf seinem Kettenhemd.

Der Hauptmann schlug die Tür ins Schloss. 

Dann fröstelte er. Nichts, stellte er müde fest 

Und blickte wieder glasig auf den langen Menschen 


Unter der Zipfelmütze. Wir haben ihnen einen 

Unserer Spieße in den Weg gelegt. Was sonst? -

Was noch? Mühsam war der Drost inzwischen 

Ins Bett gekrochen, und während er nun den Schlafsack 


Über sich zog, der für die Überlänge 

Dieser Gliedmaßen keineswegs ausreichte, 

Schielte er zu seinem Gefährten hinüber, 

Der wieder zusammengesunken war, 


Und schien zu prüfen, ob die Nase des Geiers 

Noch in der Lage war, einen Tropfen Vernunft zu wittern.

Wenn du mich verstehst, sagte er endlich 

Mit seiner sanften, salbungsvollen Stimme, 


Dann rate ich dir, Kapitän, den Hanseaten 

Und den Preußen morgen und vor allem 

Den misstrauischen Städtern alles zu versprechen, 

Was unter dem Himmel Platz hat. Wir Dänen 


Schicken Schiffe, dass man das Meer nicht mehr merkt, 

Und Barken so viele, wie die Sterne um den Mond 

Wandern. Greif tief in den Geldbeutel 

Unserer guten Absichten, und sei nicht sparsam.


Der auf dem Strohsessel hielt sich die Hand hinters Ohr, 

Um kein Wort zu verlieren, und der runde 

Glänzende Schädel begann lebhaft zu nicken. 

Die Aussicht auf die nahe Beute vertrieb 


Selbst die Weindämmerung ein wenig 

Von dem begehrlichen Mann. Richtig, richtig, 

Stimmte er gierig zu. Wir werden die Schuimer fassen. 

Du weißt schon, meine Erfindung. 


Wir packen sie in Fässer, fahren raus 

Und lassen sie treiben. Das ist ein guter Stoff, 

Und wir können gut davon leben.

Dann zog Herr Henning von Putbus 


Seine Nachtmütze ganz herunter und drehte sich zur Wand.

Ich sehe, du verstehst mich nicht, sagte er ruhig. 

Mach das Licht aus und geh schlafen. Und noch etwas, 

Mein Lieber, sei so nett, nicht zu schnarchen. Morgen mehr.


Aber der Kapitän zog seine niedrigen Lederstiefel aus 

Und knallte sie bösartig gegen die Wand.

Mitten in der Nacht erlosch das feurige Becken 

Auf dem Meer. Plötzlich und unerwartet, als hätte 


Ein riesiger Fuß das Feuer zerquetscht. Doch im Boot, 

Das dicht bewölkt zum Strand glitt, flüsterte 

Eine feine Stimme: Lass uns den Zufall anbeten, 

Schöner Junge. Wahrlich, eine mächtige Gottheit. 


Sollte mein Glück auf dieser schönen Insel 

Oder im Palast deiner Väter eine erfreuliche 

Wendung nehmen, dann verspreche ich 

Den wandelnden Göttern hundert Ochsen. 


Bist du erstaunt, schöner Fischer? Warum bist du erstaunt? 

Weil du mich in Lumpen siehst. Ich sage dir: 

Die Kinder des Zufalls spielen heute mit Bettlerpfennigen 

Und morgen mit Zeptern und Kronen. Pah, 


Ich habe in den Betten eines Königs geschlafen. -

Wer bist du? hauchte Klaus fast unhörbar. 

Er hielt sich an den Rudern fest und wagte es kaum, 

Sie Rede seines Gastes durch eine Bewegung 


Zu unterbrechen. Und als es wieder erklang, 

Fein und flüsternd, aus der milchigen Wolke, 

Musste der Junge überlegen, ob es ein Mann 

Oder eine Frau war, die da sprach. Wer bin ich? 


Lachte es zierlich, und eine zarte weiße Hand 

Glitt für einen Moment aus dem Nebel. 

Wenn du Magister probandus des Pariser Kollegium wärst,

Holder, hättest du dir keine schwierigere Aufgabe 


Ausdenken können. Aber lass uns nachforschen. 

Nach dem Testimonium logicum ist das ICH 

Vom BIN abhängig. Untersuchen wir die Frage 

Hingegen nach dem jure praesente, dann, 


Mein schöner Telemach, wäre ich Treibgut, 

Das von dir gefunden und nach deinem Gutdünken 

Verwendet werden kann. Gestatte mir daher, 

Die Untersuchung mit der Gegenfrage abzuschließen: 


Was gedenkst du mir, dem Hungrigen, zu tun?

Klaus Becker bewegte sich nicht. Sprachlos, 

Kaum ein gewürgter Laut in der Kehle, starrte er 

Zu der feingliedrigen Gestalt hinüber, und erst 


Als sich die Wolle des Nebels ein wenig lichtete, 

Wagte es sein scheuer Blick, über das zerrissene 

Braune Schiffswams des Fremden zu schweifen, 

Der so unverständliche Dinge sagte. 


Glühende Neugierde quälte ihn, ob sich hinter 

Den schmutzigen Lumpen wirklich ein Mann verbarg. 

Weiß Gott, es war zweifelhaft. Zu weich und zart 

Zeichneten sich mädchenhafte Gliedmaßen 


Unter den Lumpen ab, und man brauchte nur 

Die weiße Haut zu betrachten, die an manchen Stellen 

Der Nacktheit hervorschimmerte, oder das lange gelbe Haar, 

Das ein schmales, bartloses Gesicht umgab, 


Um erneut der Ungewissheit anheimzufallen. 

Und dann noch eine Sache. Wie ist der Landstreicher 

An die dicke Goldkette um seinen Hals gekommen? 

Wie kam er an den köstlichen Schlangenring 


An seiner rechten Hand? Nein, nein, Klaus rührte sich nicht, 

Denn die Ungewissheit betäubte ihn. Hatte er 

In der Höhle zwischen den Kreidefelsen 

Vielleicht eine Frau gefunden?


Mit einem zweideutigen Lächeln nahm der Fremde 

Diese heimliche Untersuchung auf, doch dann 

Schien ihn die Ungeduld zu übermannen, und plötzlich, 

Als wolle er sich ein für alle Mal zu erkennen geben, 


Riss er sich hastig die eng anliegende Lederkappe vom Kopf.

Gleichzeitig sprang er jedoch auf und schnappte sich 

Einen langen Hut, wie er nur in Welschland verwendet wurde.


Was war das? Der Fischerjunge fiel fast rückwärts 

In den Stern seines Bootes. Diese ungestüme, 

Kraftvolle Bewegung, die das Boot erzittern ließ, 

Obwohl es bereits zwischen den Steinen eingeklemmt war, 


Und dann vor allem die breite, blutige Narbe 

Auf der Stirn des Fremden, warfen alle Verdachtsmomente 

Des unerfahrenen Mannes über den Haufen. 

Gott bewahre, jetzt stand es fest, vor ihm, 


An den Hieber gelehnt, schwankte trotz allem ein Mann, 

Und offensichtlich kein harmloser, denn unter 

Den sanften Brauen des Fremden begann 

Ein verdächtiges, unsicheres Flackern zu leben. 


Und nun, das bemerkte Klaus erst jetzt, 

Besaß sein Gast zweifarbige Augen, ein blaues 

Und ein schwarzes, was eine unheimliche 

Zwiespältigkeit hervorrief. Denn während der blaue Stern


Unverändert lachte, schien aus dem dunklen 

Eine ernste Frage auf den Sitzenden herab zu blitzen.

Hör zu, mein Täubchen, sprach der Fremde mit Nachdruck, 

Und selbst das feine Flüstern war 


Aus seiner Stimme verschwunden, ich habe dir 

Opinio vulgi, die Vertrauenswürdigkeit 

Des gemeinen Haufens, geglaubt, als ich 

Aus meiner Abgeschiedenheit in deinen Kahn sprang. 


Ich habe dich nicht für einen Fuchs gehalten, 

Der einem in den Rücken fährt. Solltest du jedoch 

Einen solchen Scherz planen, dann, mein Prinz, 

Müsste ich diesen Kahn gegen meinen Willen 


Übernehmen, denn ich bin gar nicht so schlecht im Rudern, 

Wie ich dir bereits angedeutet habe, und wir würden 

Die acherontischen Gewässer schnell erreichen. 

Verstehst du mich? Schlank, mädchenhaft 


Hing die biegsame Gestalt, fast einen Kopf kleiner 

Als Klaus Becker, an ihrer fremden Waffe, 

Aber gleichzeitig hatte das blasse, bartlose Gesicht 

Einen so grimmigen, warnenden Blick, 


Die gepflegte rechte Hand zuckte so bedeutungsvoll 

An der dicken goldenen Kette, dass Klaus, 

Ohne selbst zu wissen warum, der Gedanke stach, 

Dass man mit diesem Schmuck wohl auch 


Jemandem die Kehle durchschneiden könnte.

Aber der Junge fürchtete sich nicht, er flog kühn auf, 

Und als er neben dem Fremden stand 

Und ihn um einen Kopf überragte, leuchtete 


Der Hilfswille der Jugend stolz und rein aus seiner Stirn. 

Der Landstreicher war von der unwillkürlich edlen Art 

Seines Fährmanns beeindruckt, und während er

Seine zwiespältigen Augen auf den anderen 


Gerichtet hielt, zwirbelte er nachdenklich 

Und prüfend sein gelbes Haar. Er schien 

Kein schlechter Menschenkenner zu sein.

Du kommst nur zu gemeinen Leuten, sagte Klaus, 


Mit einer Anstrengung seiner hellen Vernunft, 

Damit das Abenteuer nicht ganz Herr über ihn werde, 

Und deine schönen Worte gefallen mir gut, 

Obwohl ich sie nicht verstehe, mein Verstand ist ungelehrt. 


Hier stockte seine Stimme ein wenig und seine Fäuste 

Wollten sich ballen, aber sofort gewann seine frische Natur 

Wieder die Oberhand. Ja, er konnte seinen Gast 

Jetzt sogar offen anlächeln. Aber wenn es wirklich 


Deine Absicht ist, eine Weile als Fischerknecht 

Bei uns zu bleiben, weil du dich, wie du sagst, 

Vor den Verfolgungen der Reichen und Mächtigen 

Verstecken musst, wenn das alles wahr ist, dann denke ich, 


Ich werde meinen Vater dorthin bringen. Denn sieh her, 

Fremder, du gefällst mir, und da wir selbst 

Unterdrückte und gequälte Menschen sind, 

Kennen wir Hunger und Peitsche zu gut, 


Um den Verfolgten und Bettlern nicht gerne zu helfen. 

Nur eines... und er wandte sich dem kleinen 

Strohblonden Mann mit der ganzen Offenheit 

Eines Freundschaftswerbers zu und reichte ihm die Hand, 


Sag mir, meinst du es ehrlich? Über den Nebeln, 

Rot und blendend, war ein schmaler Streifen 

Der frühen Morgensonne in den Himmel gebrochen. 

Sie umrahmten die schwarzen Wolken, und ein sengender 


Strahl spielte ins Boot. Doch der Strohblonde 

Schien sich an der unerwarteten Helligkeit zu stören, 

er schwankte unsicher hin und her, und während er 

Sich unbehaglich in seine Lumpen hüllte, warf er 


Erst einen spähenden Blick auf das verlassene Ufer, 

Bevor er schließlich mit einem schnellen Griff 

Die angebotene rechte Hand des Jungen ergriff. 

Doch die zarten Finger drückten so fest, dass Klaus 


Hätte schreien können. Komm, Kleiner, sagte er wieder 

Mit lieblicher Mädchenstimme, du verstehst dein Handwerk, 

Du bist ein Menschenfischer, wie ihn der Papst

Nicht besser hätte gebrauchen können. 


Und willst du ein Zeichen dafür, wie viel du 

Dür meine arme Seele gefischt hast... Ohne zu überlegen, 

Riss er die goldene Kette von seinem Hals 

Und drückte sie zusammen mit der Feder 


In den Arm seines Führers. Gib mir ein Stück Brot dafür, 

Lieber Telemach. Aber schnell, schnell, denn ich lechze 

Nach einer Sänfte in der Ecke des Stalls.

Wohlwollend, fast zärtlich, streichelte er die Wange 


Des verwirrten Jungen, dann duckte sich der Kleine 

Und ging wie ein Wind zum Strand. Und das weitere

Besingt meine deutsche Muse im vierten Abenteuer,

Jetzt muss ich mich erst stärken mit Gottes Brot.





VIERTES ABENTEUER


Es bedurfte einer langen Beratung, bevor die Beckers 

Den Fremden zum ständigen Dienst in ihrer Wohnung 

Duldeten. Mehrmals standen sie laut streitend 

Vor dem Ziegenstall, wo sich der Ankömmling 


Wie ein Igel in einer Ecke zusammengerollt hatte. 

Denn ein Landstreicher, der goldene Ketten 

Verschenken konnte, erregte bei der Hausmutter 

Unstillbares Misstrauen. Und doch schwieg sie 


Und blickte mit mütterlichem Mitgefühl 

Auf das zierliche Püppchen herab, das, den Kopf 

Mit wirren blonden Haaren auf den Arm gestützt, 

In einen arglosen Schlummer gefallen war. 


Es war wahr, dass sich die Kluge nicht 

Von ihrem Haupteinwand abbringen ließ. 

Das Juwel, das der kleine Junge gewiss 

Nicht ehrlich erworben hatte, hatte sie 


Bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch hastig 

Und widerwillig unter seinen Heuhaufen gestopft, 

Und ihre Züge verfinsterten sich, als sie bemerkte, 

Wie sehnsüchtig ihr Sohn das Verschwinden 


Der Schnur beobachtete. Teufelsgold, sagte sie barsch. 

Fängt Seelen. Ich weiß es. Sie lehnte sich schwer 

An die offene Stalltür, und ihr Verdacht flog zu ihrem Mann, 

Der sich fragte, ob er das Wort verstanden haben könnte. 


Aber der kranke Riese hatte sich längst daran gewöhnt, 

Seine Frau zu beobachten. Er war auch zu sehr 

Mit seinem eigenen Verdacht beschäftigt, woher 

Der Fremde wohl die blutige Narbe auf seiner Stirn hatte. 


Damals sprachen solche Narben mit der Stimme 

Unserer Zeitungen, die jede ungeschulte Phantasie anregten 

Und beflügelten, und so kam es, dass selbst 

Die heimliche Parteinahme des großen, 


Schlank gewachsenen Jungen für den Fremden 

Beide Wangen färbte. Das Herumtasten, das Rätseln 

Über ein bereits beneidetes Leben, trieb seine Phantasie 

Über Stock und Stein, durch Heldentum und Verbrechen.


Es war eine Stunde des Erwachens.

Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, 

Als seine dunklen Augen, aufgeschreckt durch ein Wort 

Seiner Mutter, gezwungen waren, sich von dem 


Am Boden Liegenden zu lösen. Mann, forderte Dörte 

Ihren Mann auf, was denkst du denn? Da betrachtete 

Der alte Klaus Becker noch einmal genau den Hammer, 

Den er vorsichtig an sich genommen hatte, 


Wog das feine, biegsame Eisen und den seltsam 

Verzweigten Korb am Stiel ab, ein Stück, wie es im Norden, 

Wo breite Schwerter geschmiedet wurden, 

Nicht gebräuchlich war, und dann schüttelte der Kranke 


Wieder nachdenklich den Kopf. Mutti, flüsterte er 

Mit offenem Mund, als ihm die Herkunft und das Wesen 

Des kleinen Kerls immer unklarer wurde, Mutti, sagte er 

Und hob unsicher seine Waffe, er muss von weit her 


Gekommen sein. Und dass der Junge ihn 

In der Felsspalte gefunden hat, um ehrlich zu sein, 

Wusste ich nicht, dass sich dahinter eine so breite 

Höhle befindet, ja, man könnte meinen, der Mann 


Hat einen Grund, sich zu verstecken. Schnurrt, 

Er ist ja noch so jung, fügte er etwas herzlicher hinzu.

Nicht älter als ich, warf der Sohn ein, der schon bereit war, 

Dafür zu kämpfen, dass er in dem Schläfer 


Einen Kameraden gefunden hatte. Doch die Frau 

Beugte sich weit über die Stalltür, um das schmale Gesicht 

Des umstrittenen Mannes noch einmal genau zu untersuchen. 

Der Frau fielen die vielen scharfen Falten 


Um den Mund des Fremden auf, und daneben entdeckte sie, 

Wie sich die Lippen und Nasenlöcher des vermeintlichen 

Kleinen Mädchens selbst im Schlummer 

Genüsslich und verächtlich bogen. Nein, richtete sich 


Die Hausfrau auf und entschied fest, er hat viel durchgemacht. 

Hat sich vielleicht in Exkrementen und auf Seide gewälzt. 

Und zählt wahrscheinlich um die dreiunddreißig Jahre. -

Das wäre, murmelte der alte Klaus verwirrt 


Und strich sich verlegen den Bart glatt. Doch sofort 

Fasste er sich zu der Meinung, die schon lange 

In der Stille genistet hatte: Schau, Dörte, 

Es sind wilde Zeiten, sie werfen die Menschen hin und her. 


Ich merke es an mir selbst, eine Unruhe ist 

Über die Armen gekommen, so dass keiner mehr weiß, 

Wo sein Platz ist. Darum sage ich dir, Mutti, 

Wer ein Haus und ein Weib und ein Kind hat, 


Der soll einen solchen Unruhestifter nicht verjagen, 

Sondern ihn festhalten, wenn er wachsen will. 

Denn der Wind treibt uns alle an. Heute ich, morgen du. 

Wer kann wissen, wann wir selbst entwurzelt werden?


Da verstummten die Streithähne und blickten ängstlich 

In den hellen Tag hinaus. Aber als gegen Mittag 

Das zierliche Mädchen zierlich und sittsam 

Am Tisch der Gäste in der Hütte saß, 


Als sie ihre wohlgeformten Beine rücksichtsvoll 

Unter den Schemel zog, um den ohnehin 

Schon engen Raum nicht unnötig einzuengen, 

Als der blonde Gast nicht wie die anderen 


Mit der Faust in die dampfende Schüssel mit Brot 

Und Käsesuppe griff, um sich seinen Anteil zu holen, 

Sondern aus seinen Lumpen einen verzinkten Holzstab 

Hervorzog, mit dem er die Häppchen fein säuberlich 


Aufspießte. Und wie der Fremde vor allem 

Mit seiner wohlklingenden, schmeckenden Stimme 

Bescheiden und höchst verständlich, ja, ganz 

In der Sprache des Bauern, die alten Beckers 


Über ihre Herkunft, ihren Stand und ihre künftigen 

Absichten belehrte, da zerstreuten sich allmählich 

Die Bedenken der misstrauischen Häusler, 

Und ihr harmloser Sinn merkte gar nicht, 


Auf welch feine und schmeichelhafte Weise 

Ihr Widerwille in seidenen Faden gesponnen wurde. 

Aber wie der kleine Kerl zu erzählen wusste, 

Wie sich unter seinen Worten dicke Wolkenschleier 


Auftürmten, hinter denen die Küsten ferner Länder 

Auftauchten, und Schlösser und Städte und Handel 

Und Treiben der Welt. Wo war er überall gewesen, 

In welche verschiedenen Geschäfte und Berufe 


Hatte er seine sanften Kinderhände gelegt; 

Und vor allem, wie lebhaft er das Geschehene 

Und Gesehene zu formen wusste, um es gleich 

Auf den Boden der Kammer zu zaubern, 


Mal durch eine Bewegung, mal durch nachahmendes Spiel, 

Das seine Zuhörer bereitwillig an sich zog. 

Und mit einem kaum sichtbaren Lächeln trieb er 

Die gewonnenen Seelen vor sich her. Nur der junge 


Klaus Becker, der mit verkrampften Händen 

Und keuchender Brust lauschend neben dem Stuhl 

Des Fremden hing, als sei sein geistiger Lauf 

Noch nicht schnell genug, ließ hier und da 


Die Einwürfe kühler Vernunft durch seine leidenschaftliche

Bewunderung zittern, und dann kam ihm zwischen 

All der bunten Maskerade der Einwand, warum 

Der Neuankömmling zwei so verschiedene Sprachen sprach. 


Denn der aufmerksame Scharfsinn des Jungen 

Bemerkte sofort, dass die Art und Weise des Zierlichen 

Anders klang, seit er sich an die alten Leute wandte. 

Einfach, schlicht, bäuerlich, es fehlte all der vornehme 


Und unverständliche Firlefanz, mit dem er früher 

Seinen Fährmann im Kahn so bezaubert und geblendet hatte. 

Und der junge Klaus ahnte mit Widerwillen, 

Dass der gewaschene Mann offenbar bemüht war, 


Einen gewichtigen Teil seines Wesens zu verbergen, 

Als ob gerade das, was dem nach Wissen gequälten Jungen 

So köstlich und begehrenswert erschien, Gefahr brächte. 

Deshalb presste der Junge unwillig den Mund zusammen, 


Und die Angaben des Fremden über seine bisherigen Tätigkeiten,

Die er nun auf Bitten der alten Frau machte, 

Glitten unwichtig und unwahrscheinlich 

An dem verstörten Mann vorbei. Nein, nein, er hatte 


Bereits beschlossen, dass er in kurzer Zeit 

Eine vertraute Stunde finden wollte, um den geschickten

Taschenspielertrick härter zu testen. Klaus wappnete sich 

Also mit einer künstlichen Gleichgültigkeit, und doch, 


Kaum hatte der strohblonde Mann in seiner mitreißenden

Lebhaftigkeit mit der Erzählung seiner Reisen begonnen, 

Da schwirrte ihm auch schon der Jüngste der Zuhörer 

In den Ohren, und siehe da, ganz gegen seinen Willen 


Zog ihn die starke, fremde Strömung fort. Und doch 

War es nur ein Zwischenfall, gewollt einfach und alltäglich.

Nichts für ungut, hörte der Sohn den alten Becker tasten, 

Denn der Riese schämte sich, sein Wohlwollen 


An Bedingungen zu knüpfen. Wie magst du heißen, Mann?

Der kleine Junge zupfte an seinem gelben Haar 

Und lächelte unschuldig. Eine Erinnerung 

An seine Kindheit schien ihn aufzurütteln.


Hein Wichmann, antwortete er und verbeugte sich leicht,

Unterdrückte es aber in der Bewegung. Meine Wiege 

Hing in Hamburg zwischen zwei Lederriemen.

Da streichelte der junge Klaus unwillkürlich 


Den Hocker seines Gastes. Er wusste selbst nicht, warum, 

Aber der Name des kleinen Jungen machte Musik, 

Wie das Flötenspiel auf einem Jahrmarkt. Hein, 

Flüsterte er fast zärtlich. Die Mutter aber klopfte 


Abwehrend mit der flachen Hand auf den Tisch.

Und dein Vater? fragte sie lauernd. Hein Wichmann 

Schloss sein blaues Auge. Er war ganz wie ein braves, 

Sanftes Kind, wie er jetzt ehrfürchtig vortrug:


Ich brauche Ihnen nichts zu verheimlichen. Mein Vater 

War ein guter Sattler, und ich selbst hatte 

In seiner Werkstatt am Mönkedamm schon 

Mein Gesellenstück gemacht, einen Kutschbock 


Für den Ratsherrn Tschokke, als der Rat mich 

Mit anderen jungen Männern herausholte, damit wir 

Als hanseatische Garnison drüben im dänischen Schonen 

In der festen Burg Helsingborg untergebracht würden.


Dänemark, hauchte der alte Klaus leise vor sich hin 

Und hob seine Nase duftend gegen die Fensterluke, 

Hinter der sich die blaue Linie des Meeres hob und senkte. 

Für ihn lag das benachbarte Ufer unermesslich weit 


Entfernt hinter den schaukelnden Glashügeln. 

Skane? Helsingborg, so weit? dachte er 

Und schüttelte den Kopf. Sein Sohn hingegen 

Fühlte sich wie vom Erdboden verschluckt. 


Noch gestern waren die Abgesandten einer bunten, 

Kaum verständlichen Gemeinschaft an ihm vorbeigezogen, 

Die seidenen Fahnen ihrer Gewänder hatten ihn berührt,

Halb verstandene, aufregende Andeutungen waren 


In sein gärendes Hirn gedrungen, jetzt wurde der Mann, 

Der auf der Flut der Unwissenheit wütend 

Hin und her geworfen worden war, gedrängt, 

Sich an etwas festzuhalten. Wundersam bedrängt, 


Umklammerte er den braunen Lockenkopf 

Mit beiden Händen, und während er forschend 

Vor sich hinstarrte, löste er sich von ihm 

Wie die Hülle eines inneren Traums:


Dort herrscht eine Frau. Wer war es? Margarethe.

Der Ausruf klang wie die Sehnsucht eines Eingekerkerten, 

Wie der Hilfeschrei eines Unfreien, der in einer Grube kauert 

Und den Himmel um Licht anfleht, und sofort drehten sich 


Auch die Köpfe der Seinen unheimlich berührt 

Und mahnend zu dem in innerer Vision Verlorenen.

Was hatte das zu bedeuten? Woher hatte 

Der ungelehrte Mann diese Nachricht? 


Und konnte der Drang nach solch mächtigen Dingen 

Dem Sohn einer Sassin nicht Segen bringen? 

Denn das war alles, was für sie zählte. 

Sie wollten ungestört leben! Auch das halb geschlossene 


Schwarze Auge des Gastes hatte bei dem unerwarteten

Zwischenruf kurz gezuckt, aber dann bewegte er 

Gleichgültig seine schmalen Schultern, 

Und als ob nichts besonders Auffälliges 


Geschehen wäre, fuhr er ruhig mit seiner bescheidenen

Schilderung fort. Ja, ja, Margarethe, nickte er 

Und überlegte angestrengt. Ich meine, das ist der Name 

Der Witwe. Sie hat ein zartes kleines Mädchen, 


Für das sie sich um die Herrschaft kümmert. Sie mag es. 

Was scheren wir Kleinen uns um die Plackerei der Großen? 

Wenn wir nur pünktlich unseren Lohn bekommen 

Und sonst in Ruhe unser Brot essen können.


Ja, stimmte Dörte zum ersten Mal zu, das ist richtig so.

Den alten Klaus hingegen zog es vom Allgemeinen 

Zu etwas Näherem. Nun, hustete er angespannt, 

Habt ihr Hanseaten euren Lohn pünktlich erhalten? 


Habt ihr euer Brot in Ruhe gegessen?

Nun hob auch der junge Klaus den Kopf, 

Und aus seinen schwarzen Augen flackerten 

Ungestüme Flammen nach Abenteuer und Erfahrung.


Wie war's? stammelte er. Unruhig, laut, sagte der Kleine 

Und faltete die Hände auf dem Tisch wie ein braves Kind, 

Das eine Geschichte nacherzählt. Du kannst dir vorstellen, 

Dass die Frau viele innere und äußere Widersacher hat. 


Es ist schließlich ein Spinnrocken, und der Schnurrbart 

Beugt sich ihm nicht gern. Ganz in der Nähe, so sagt man, 

Streckt der Schwedenkönig Albrecht seine Finger 

Nach dem saftigen Erbe aus und treibt 


Seinen gefräßigen Spott über den Rock. In jeder Schenke 

Hörte man, wie er kürzlich der Pfaffen-Hure, 

So nennt er die Regentin, feierlich eine Schere 

Und einen Fingerhut geschenkt hat, zusammen 


Mit einem Wetzstein, damit sie ihre Nadeln schärfen kann. 

Und drinnen schreien die Ladenbesitzer darüber, 

Denn sie hat uns Hanseaten in Helsingborg, 

Falsterbo und Ikanör verhaften lassen, weil wir Deutschen, 


Heulen sie, ihnen den Markt wegnehmen. 

So kommt es oft zu Krawallen, und bei einer solchen

Versammlung, siehst du, hat mir ein frecher Schwertfeger 

Sein Zunftabzeichen auf die Stirn gemalt.


Da lachte der Strohblonde wie über einen gelungenen Streich,

Wickelte sein gelbes Haar spielerisch um den Finger 

Und ließ seine wohlgeformten Beine fröhlich schwingen.

Und du? stammelte Klaus erwartungsvoll, 


Denn seine anbetende Verehrung für den Fremden 

Verlangte dringend nach Vergeltung und scharfer Bestrafung. 

Was hast du getan? - Ich? Erst maß der Kleine 

Die alten Beckers, in deren stumpfen Gesichtern 


Sich der Abscheu vor bürgerlichem Unfrieden 

Und söldnerischen Übergriffen stillschweigend abzeichnete, 

Dann zuckte er ebenfalls unwillig mit den Schultern, 

Um sogleich in seiner unschuldigen Art zu hauchen: 


Um eine solche Ehrenschuld kümmere ich mich nicht. 

Daran darfst du glauben. Gott bewahre, 

Ich bin ein Bürgersohn, und ich hoffe nur, 

Dass es dem kleinen Ritz des ehrenwerten Mannes gut geht. 


Und damit er sich in diesem Punkt nicht noch tiefer 

Verstrickte, begann er auf der rauen Tischplatte 

Eifrig hin und her zu skizzieren, als müsse er 

Das Folgende schriftlich festhalten. Aber wie es so ist, 


Liebe Leute, es entstand ein wildes Getümmel 

Unter den Dänen, und schließlich waren unsere Hauptleute

Gezwungen, um des Friedens willen einige 

Ihrer Männer wegzuschicken. Unter ihnen 


War wie durch ein Wunder auch ich, Hein Wichmann. -

Hein, wiederholte der junge Klaus, von Liebe ergriffen, 

Und legte seinem Gast zärtlich die rechte Hand 

Auf die Schulter. Ergriffen wandte der kleine Junge 


Nun sein schmales Gesicht dem glühenden Jungen zu, 

Seine beiden Augen öffneten sich weit und zogen 

Die flatternde Seele des Ungeschützten förmlich an sich. 

Das geschah blitzartig, schnell, wie ein einfallender Lichtstrahl.


Die alten Beckers bemerkten nichts 

Von dem eingegangenen Band, denn alles, 

Was sich ihren alltäglichen Augen offenbarte, war, 

Wie der kleine Bursche emsig auf den Tisch klopfte, 


Wie jemand, der schnell das Wichtigste zur Sprache 

Bringen will. Da war eine Freibeuter-Kogge 

Kurz vor Helsingborg, sagte er und versuchte, 

Unauffällig vorbeizugleiten, und man hätte meinen können, 


Dass jemand, der eine dünne Eisdecke unter sich 

Brechen fühlt, eilig einen Sprung in Richtung Land macht. 

Ein mächtiges Schiff, wollte er fortfahren, handelt dort. 

Dorthin haben sie uns gebracht. Aber inmitten 


Der fliehenden Sätze fand er sich festgehalten, ergriffen 

Von sechs ängstlich zitternden Augen, die sich 

Wie eine Kette über seinen Weg spannten. Gleichzeitig 

Flüsterten heisere Stimmen in Angst und Schrecken 


Und schrien durcheinander. Wo haben sie dich hingebracht, 

Du Unglücklicher? - Gott! zu einem Wagen der Schuimer, 

Der Schwarzen Fahnen oder wie sie sonst noch heißen, 

Huschte der Kleine im Ton der Gleichgültigkeit weiter, 


Obwohl seine Finger noch viel unruhiger 

Auf der Tischplatte spielten. Sie werden überall geduldet, 

Die Freunde des armen Mannes, weil sie eine Zuflucht 

Für jeden sind, der in Not ist, und vor allem, 


Weil sie für billiges Geld sonst unerschwingliche Dinge 

Ins Land bringen. Gewürze und Stoffe, Bier und Rauch. 

Sagt man das nicht? Außerdem, meine Freunde, 

Wurde die See-Adler von einem mächtigen Mann 


Aus dem Hause Schuimer kommandiert, der weit und breit 

Großes Ansehen genoss. Kurzum, dieser Kapitän 

Sollte uns Verwundete nach Hause führen, 

Für Schiffsdienst und ohne Fährgeld. So hatte es 


Frau Margarethe arrangiert, denn sie öffnet 

Ihren Geldbeutel nicht sehr weit für Leute, 

Die ihre Zeit abgesessen haben. Aber seht ihr, 

Meine Lieben, auf der Heimfahrt unter den roten Segeln, 


Mit dem leichten Verdienst und inmitten des freien Volkes, 

Dem alles gehört und das überall seine Heimat hat, 

Fing der Kapitän meine Kameraden ohne viel Mühe, 

Einen nach dem anderen, sie wurden „Gottes Freund 


Und der Welt Feind“, wie ihr Eid lautet, und nur ich...

Und nur du? lallte der junge Klaus aus seinem wachen, 

Düsteren Traum und packte den Erzähler ungestüm 

An der Brust, als wolle er ihn daran hindern, 


Dem Schiff zu entkommen, das geisterhaft mitten 

Durch die Stube raste. Der andere schüttelte ihn 

Mit überraschender Kraft ab. Lass mich, wehrte er sich. 

Mein Leben riecht nach Leder und Ahle. Ich sehne mich 


Nach einem warmen Ofen und friedlichen Tagen. 

Wo ich diese finde, da wohnt mein Heiland. 

Darum, mein Kleiner, siehst du, bin ich eines Nachts 

Über Bord gesprungen, gerade als die Schuimer 


Hier dicht unter Wind lagen, denn sie lauerten 

Auf das Schiff der dänischen Gesandten, darum bin ich 

In Gottes und aller Heiligen Namen 

Über Bord gesprungen, hab mich am Felsen festgehalten, 


Bin in die Höhle geklettert, und von dort 

Habt ihr mich herausgezogen. Ich danke euch 

Und allen ehrlichen Menschen. Geschmeidig glitt er 

Von dem viel zu hohen Stuhl herunter, 


Und die schwankenden Schritte, mit denen er sich 

Durch den engen Raum schlängelte, wurden allmählich 

Zu einem lebhaften Tanz. Alle seine Sehnen 

Zuckten und sprangen, sein langes gelbes Haar 


Flatterte um die Schläfen, und dem verständnislosen Blick 

Des Hausherrn schien es, als hüpften 

Die ungleichfarbigen Augensterne des Fremden 

In seinem blassen Gesicht mit. Jetzt, beschwichtigte er 


Und streckte die Arme aus, so dass unter seinen Lumpen

Unerwartet ein paar raue, harte Muskeln 

Zum Vorschein kamen, jetzt werde ich dir zeigen, 

Wie man als Ruderer das Meer besiegt. Schau mal so, 


Mit so langen Schlägen, wie man über eine schöne Wange streicht.

Und dann der Fisch. Ich kenne das Pfeifen einer Bacchantin. 

Bei dem kleinen Liedchen strecken sie halb wahnsinnig 

Ihre grünen Schnauzen aus dem Wasser. 


Ach, lass mich nur machen. Plötzlich hielt Hein Wichmann 

Auf seinem Weg inne, als ob er darüber nachdachte, 

Dass er vor dem armen Sassen etwas Skurriles gesagt. 

Aber die Beckers blieben wie erstarrt auf ihren Plätzen 


Und grübelten wortlos darüber nach, wie man 

In ihrer dunklen Stube eine so helle Heiterkeit 

Entfesseln konnte. Und nur die Seele des alten Klaus 

Zerrte und zerrte an dem Widerhaken, an dem sie sich 


In dumpfer Nachgiebigkeit wand, denn von all 

Den leckeren Ködern war ein Köder 

Zwischen seinen Zähnen hervorgequollen, 

Bis er ihn nicht mehr herunterwürgen konnte. 


Halb murmelnd, in einer vagen, fernen Vorahnung, 

Stieg es aus seiner trockenen Kehle, zu der er 

Die Beine weit von sich gestreckt hielt, 

Gleichsam zum Schutz gegen die erwartete Antwort.


Nichts für ungut, Wichmann, wie sagt man, ich meine nur, 

Wie hieß der Kapitän, der dich gebracht hat?

Kaum war das gleichgültige Wort verklungen, da war es 

Mit dem Hüpfen und Springen des Kleinen vorbei. 


Ertappt ließ er sich in der Sonne auf dem Boden nieder, 

Die unruhigen Augen huschten wieder 

Von einem zum anderen, und die Stimme verfiel 

Wieder in das harmlose Kinderflüstern, 


Als er nach einigem Zögern antwortete:

Ich habe dir doch gesagt, dass es einen hübschen 

Unter den Freibeutern gibt: Gödeke Michael! -

Gödeke Michael? wiederholten die drei 


Und stiegen langsam in den nächtlichen Abgrund 

Ihrer Erinnerung hinab. Eine Weile herrschte Stille, 

Alle lauschten angespannt in den dunklen Schacht hinunter, 

Um zu hören, ob der Laut nicht doch noch nach oben hallte, 


Bis endlich etwas Gestaltloses, in Schrecken gekleidet, 

Vor dem kranken Fischer auftauchte. Lass mich, 

Ich habe es schon einmal gehört, Singsang, was war es?

Das Gesicht des Leidenden zeichnete sich noch gelber 


Unter seinem verfilzten Bart ab, als er mühsam 

Die einzelnen Fetzen zusammensammelte. 

Schüchtern, heimlich summte er vor sich hin:

Gödeke Michael! Er befiehlt auf dem schwarzen Schiff.


Dann rauschte es wie von selbst aus dem Kleinen heraus,

Unbekümmert um das, was sonst noch kommen könnte:

Seine Brust ist eine Elle breit,

Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung.


Aber Mutter und Sohn steckten die Köpfe zusammen, 

Sie hielten die Hände fest umschlungen, 

Und ihr Atem stockte, als die anderen nun lauter anstimmten:

Und tragt ihr Armen an dem Leben schwer,


Gerechtigkeit und Freiheit wohnt auf dem Meer.

Dort richtet den Reichen an Leib und Seele

Gödeke Michael! Er ist unser nordischer Seeheld,

Ihn feiern alle armen Kinder der Küste!


Viele Tage leuchteten aus dem Meer 

und versanken wieder in ihm, erloschen. 

Die Jahreszeiten kamen mit Schneeschauern 

und Sonnenwolken an die Küste, wie fremde Eroberer, 


die sich dann tief im Lande verlieren, 

und Hein Wichmann, der mädchenhafte Bursche, 

das blondhaarige Mysterium, 

war etwas Alltägliches geworden. 


Ein Ruderer, der bereitwillig seinen Seedienst verrichtete 

und von den Häuslern nicht geschont wurde. 

Selbst der Landvogt, der sich bald 

nach seiner Ankunft beharrlich nach dem Verbleib 


des Fremden erkundigt hatte, erkannte, 

dass dieses zierliche Geschöpf 

für die Ruderbank geboren sein musste, 

und er lobte insgeheim die geschmeidige Gewandtheit, 


mit der der kleine Bursche ein Boot steuerte. 

Ja, selbst der auffällige Drang des Fremden, 

bei Tag und Nacht immer wieder 

in die Wellen hinauszufahren, 


wurde von seinen neuen Kameraden schließlich 

als natürlicher Impuls eines Menschen angesehen, 

der sich mit ganzer Seele 

dem Handwerk verschrieben hat. 


Erstaunlich war aber immer wieder 

die unermüdliche Zähigkeit, die rastlose Frische, 

die aus allen Gliedern des kleinen Mannes strömte, 

dem nichts entging, der von jedem etwas wusste 


und überall tätig zu sein trachtete. 

Hein Wichmann verstand es, der Hausfrau 

seltsame Einblicke in die Kochkunst 

und in schmackhafte Gerichte zu geben, 


von denen Dörtes ungebildete Seele 

nicht nur noch nie ein Wort gehört hatte, 

sondern deren harmlose Rauheit sie anfangs 

für etwas fast Schädliches hielt. 


Doch mit der Zeit wurden auf dem Herd 

unter dem Kamin allerlei Experimente unternommen, 

und während das Strohhälmchen 

mit einem schelmischen Lächeln 


die verschiedensten Kräuter und Wurzeln 

in den großen Kessel warf, der süße Geruch 

eines etwas milderen Lebensstils 

wehte schon von weitem unter das Strohdach. 


Man löffelte und schmatzte 

und erfuhr zu nicht geringer Verwunderung, 

welch köstliche Erfindungen in Padua, 

in Wien oder auch in Paris die Köche 


großer Herren aus Pilzen, aus Schalentieren 

und getrocknetem Fischfleisch gemacht hatten. 

Wunderbar! Hein Wichmann war viel herumgekommen. 

Seine zweifarbigen Augen hatten auch 


auf die kleinsten Dinge geachtet. 

Dörte begann von ihm zu lernen. 

Nur zum Spielen, 

aber allmählich wurde es zur Sucht.


Auch der alte Klaus Becker hatte sich verändert, 

seit der wirbelnde Kerl in seiner Nähe wohnte. 

Bis jetzt war der Riese verfallen, still, 

selbstverständlich und unaufhörlich, 


wie der Wachturm einer verfallenen Festung, 

von dessen Mauern Tag für Tag schwere Steine bröckeln. 

Was nützte es, sich lautstark über die klägliche Schwäche 

zu beklagen? Viel besser war es, die Fäuste zu ballen, 


die Zähne zusammenzubeißen 

und selbst Bruder Franziskus, der ab und zu versuchte, 

den schmerzenden Rücken des Kranken 

mit dem weißen Saft des Bilsenkrauts einzureiben, 


einen trügerischen Trost vorzuspielen. 

Doch der Mörtel riss weiter 

und der Turm neigte sich immer weiter dem Fall entgegen. 

Doch nun war alles anders. Gott mag wissen, 

warum Hein Wichmann einen Blick 


auf die medizinische Wissenschaft 

seiner Zeit geworfen hatte. 

Fragte man ihn danach, wedelte er 

mit den feinen Händen und murmelte etwas 


von den Meistern der "Physika und der Erztney", 

was niemand in seinem Umfeld verstand. 

Was jedoch nicht zu leugnen war, 

war die Wirksamkeit jener Heilmittel, 


die er mit seiner unberechenbaren lachenden 

Überredungskunst auf den Kranken anwandte. 

Die Dorfbewohner standen sprachlos 

hinter dem ewig zappelnden Mann, 


sobald er den überwundenen Riesen 

halb entkleidet in den sonnenbeschienenen Dünensand legte, 

wo er dann den mächtigen Körper 

mit seinen zarten Kinderhänden einschmierte, 


kreiselte und wärmte. Und siehe da, 

für ein paar Stunden verschwanden 

die schweren Erstickungsanfälle des alten Mannes, 

und der Leidende konnte sich aufrichten, 


um gierig die kühle Seeluft einzusaugen. 

Doch als der Herbst seine dunklen Hagelschwärme 

gegen die Hütte warf und der Hustenkrampf 

die Lunge des Riesen zu erdrücken begann, 


versuchte der Strohblonde sein Meisterstück. 

Eines Mittags holte er zwei schwarze, 

schneckenartige Würmer aus dem Wald. 

Er hielt sie zwischen den geballten Fäusten 


und sie mussten ihre Rüssel auf die nackte Brust 

des widerstrebenden Hausherrn legen. 

Langsam füllten sich die verängstigten Körper 

mit dem fieberheißen Blut, 


und vor den Augen der staunenden Verwandten 

streckten sich die verkrampften Glieder des Vaters, 

und ein befreiter Seufzer der Entspannung 

klang durch die Hütte. Fast eine Woche lang 


wurde der gefürchtete Anfall heraufbeschworen.

So wechselten sich Weiß und Grün 

unter den Rändern des hohen Küstenwaldes ab, 

die Tage zogen vorbei wie ein Rebhuhn, 


einer nach dem anderen, und Hein Wichmann 

erwischte jeden einzelnen, um ihm vor den Augen 

der Hüttenbewohner seinen besonderen 

Stempel aufzudrücken. Immer passierte etwas. 


Die Zeit bildete für die einsamen Strandbewohner 

nicht mehr eine formlose Masse, sondern 

die Unruhe des neuen Ruderers trennte 

die einzelnen Stunden scharf voneinander.


In diesen Monaten vollzog sich im jungen Klaus 

ein unbegreifliches Wachstum. 

Der schlanke Körper des Knaben 

schoss sprunghaft in die Höhe, 


bald überragte sein Kopf mit den braunen Locken 

das kauernde Haupt des Vaters um eine Spannweite, 

seine Haltung bekam etwas Straffes, ja Königliches, 

sein Gang etwas Anmutiges und zugleich Herausforderndes, 


und seine Augen konnten neben ihrem wilden 

Flackern plötzlich einen schwärmerischen Glanz 

verbergen, der über die Dinge dieser Welt 

hinaus zu schweifen schien 


und etwas von dem regungslosen Flug 

eines träumenden Adlers an sich hatte. 

Und der arme Sassensohn, 

von unruhigen Geistern geplagt, 


badete wirklich in den Weiten eines neuen Lichts.

Hein Wichmann! Hein Wichmann war ein Zauberer 

für den wilden, durstigen Jungen, 

der nur die schlanke Kinderhand zu erheben brauchte, 


damit Sterne und Mond stillstanden 

und die Weisheit Salomonis 

aus allen Teilen der Welt herbei geweht wurde. 

Wenn die beiden Turteltauben in dem plumpen Kahn 


unter dem roten Segel schaukelten 

oder wenn sie hoch oben an den Hängen 

der Dünen im Sonnenuntergang lagen, 

dann verschwand die lächerliche Maskierung 


des vermeintlichen Ruderers wie von Zauberhand, 

die Bauernsprache verschwand, 

und ein anderer tauchte aus dem braunen Tuch auf. 

Derselbe, der einst die goldene Kette trug, 


derselbe, der mit seiner gehauchten Mädchenstimme 

spöttische Gelehrsamkeit aus sich herausschleuderte 

und für den es weder Bodenlosigkeit 

noch schüchterne Ehrfurcht vor allem Geschaffenen gab. 


In solchen Stunden der Verständigung 

konnte man deutlich bemerken, 

wie auch für den kleinen Kerl 

jenes unbändige Ausgelaugtsein 


ein unabdingbares Lebensbedürfnis bildete, 

ja, dass er sich trotz seines wegwerfenden Lächelns 

voller Eitelkeit und Stolz spiegelte, 

sobald sich sein Schüler über ihn beugte 


wie über einen tiefen Brunnen, 

in den man ungestüm Eimer auf Eimer hinab lässt. 

Dann sprudelte und sprudelte ein Trank 

nach dem anderen heraus, klar und trübe, 


unverdaulich und heilend, als ob alle Quellen 

der Erde in diesen Brunnen flössen. 

Mit dem nächsten fing es an. Klaus erfuhr, 

in welchem Volk er lebte, 


wie die Stände und Ämter aufgeteilt waren, 

wo Ungerechtigkeit und Unterdrückung begannen 

und worin sich sein Stamm von den anderen 

großen Menschengemeinschaften unterschied. 


Die Musik der französischen Sprache, 

die Hein Wichmann perfekt beherrschte, 

erklang vor dem verzauberten Jungen, 

und er lernte auch die lateinische Lingua, 


die Urmutter dieser Laute, bewundern, 

und in verhaltener Begeisterung 

blickte er hinab in das Sein und Tun 

jener verschwundenen Generationen, 


die mit diesen Lauten der alten Welt 

ihre Gesetze vorschrieben. 

Helden und Weise zogen vorbei, 

Religionsstifter und Abtrünnige, 


und ohne dass der Wissensdurst es ahnte, 

wurden Menschen und Dinge 

von dem bissig-scharfen Erzähler 

auf das eine Ziel gelenkt, nämlich wie sie 


der Befreiung und Erleichterung 

der um Licht und Brot ringenden 

Armen und Elenden gedient hätten. 

Denn dieser kleine strohblonde Zwerg sah, 


ohne jemals erregt zu werden, 

und obwohl er selbst kein Vergnügen vermisste, 

um sich herum seufzende Scharen von Sklaven, 

viele Millionen gefesselte und gestriegelte Unfreie, 


von denen er verkündete, dass sie niemals sterben würden. 

Und sein feines Lachen klang wahrhaft durchdringend 

und schrecklich, so oft er gegen alle Gewohnheit 

die Heils- und Ordnungsbringer lobte, den Kaiser, 


der doch den Frieden des Landes gebot, 

den Papst, der doch den Verängstigten 

die Vergebung der Sünden reichte, 

ja, sogar den Heiland, der die helle Halle des Himmels öffnete, 


zu den schlimmsten Vergewaltigern 

und Unterdrückern der in Dummheit 

blökenden Erde erklärte. Entrückt, 

von aller Gegenwart hinweggefegt, 


krallte sich Klaus dann in den mütterlichen Sandboden, 

sein Atem rauschte, als müsse er Mauern niederreißen, 

in seinen starren Augen flackerte 

das niedergehaltene Glas von Blut, 


Verbrennung und Gewalt, 

und doch zitterten alle Glieder im Frost der Angst, 

und das kalte Fieber des Zweifels 

und der Unentschlossenheit stieß den Unreifen 


doch immer wieder in die Schranken 

von Sitte und Konvention zurück. 

In solchen Momenten der Angst 

und des glühenden Verlangens 


packte er seinen Verführer oft an der Brust 

und schüttelte den Kleinen, als wolle er ihm 

das Herz aus dem Leib reißen, und rief:

Was bleibt uns noch? Hein, um aller Heiligen willen, 


sag mir, was soll aus uns allen werden? 

Denn der suchende Geist des Jungen 

wollte einen Weg zwischen dem Gestern 

und dem Morgen finden, eine Brücke, 


die aus dem Sturm herausführt. 

Aber Hein Wichmann, von diesem Ausbruch unberührt, 

ließ sich in das weiche Dünenlager zurückgleiten, 

lächelte mit seinen bartlosen Lippen 


gegen das in den Himmel fliehende Abendrot an 

und lispelte kaltblütig und grausam:

Wer kennt die Medizin für alle? 

Aber für mich und dich, Bube, 


ist das Beste ein seidener Pfühl, 

ein schlüpfriges Frauenzimmer darauf, 

und trinken und schwelgen bis zum siebenten Tag.

Dann richtete Klaus einen erlöschenden Blick 


auf den sich genüsslich reckenden Kleinen, 

warf den Kopf gegen das dunkle Meer 

und saugte verzweifelt 

an den ewig tränenden Strömungen.


Ekel, unerkanntes Mitleid 

mit einer zu erlösenden Welt 

und ein rasendes Verlangen, sich zu verausgaben, 

kämpften in der sich dehnenden Seele.


Es kam eine Stunde, in der die Arroganz des Jungen 

es nicht mehr ertragen konnte, von seinem Kameraden 

in Unwissenheit und Täuschung gehalten zu werden. 

Es war früh an einem taufrischen Herbstmorgen. 


Die Sonne wälzte sich gerade aus ihren Schleiern 

durch das dunkelblaue, zerklüftete Gewölbe. 

Weit über dem Schlaf des Meeres 

übten sich die schwarzen Streifen der Stare 


bereits für den kommenden Aufbruch. 

Und hoch oben, am hallenden Rand des Küstenwaldes, 

ertönte die Axt. Dort fällte der junge Klaus 

ein paar schlanke Eichenstämme, 


denn sie sollten ihm als neue Ruderstangen dienen. 

Doch mitten in der Arbeit schleuderte Klaus 

die Axt auf den Waldboden, sprang auf, 

und während er die Fäuste in die Spitzen stemmte, 


forderte er dröhnend, ohne Übergang oder Einleitung:

Genug der Vorspiegelung. 

Du bist kein Ruderer, Hein. Du bist keiner. 

Woher nimmst du sonst diese Gelassenheit? 


Und jetzt schnell und ohne Umschweife, wie ist es mit dir?

Einem anderen wäre es leicht gefallen, 

bei diesem ungewöhnlichen Ton die Fassung zu verlieren. 

Aber der kleine strohhaarige Mann, 


der vor einer riesigen Buche faulenzte 

und eifrig die Arbeit eines Spechtes verfolgte, 

hüpfte herum wie ein wippender Fink, 

tänzelte ohne jede Verlegenheit auf seinen Schüler zu 


und gab ihm von unten einen leisen Klaps auf die Wange.

Kluges Näschen, flüsterte er zufrieden, 

gut, gut, kleiner Junge, es wird Zeit, 

dass du endlich aus deinen Eierschalen herauskommst. 


Aber jetzt nimm deinen Hut ab, mein Freund, 

denn du stehst kurz vor etwas Wunderbarem. 

Weißt du, was eine Bacchantin ist?

Der Fischerjunge schreckte vor dem Glanz 


dieses Titels zurück, und doch erinnerte er sich, 

wie oft diese Lehrjungen und Handlanger der Wissenschaft 

durch die Dörfer und Kleinstädte der Insel zogen, 

hungernd und bettelnd, ja, dass sie an den Türen der Unfreien 


für Geld und Brot sangen. Wissen war damals 

noch verschworen mit dem Elend, 

und mancher Knecht wollte nicht mit dem dürren Skelett 

auf einer Lehrkanzel tauschen. 


Dennoch sagte er mit Ehrfurcht: Bist du so einer? -

Mehr, mein Lieber, viel mehr. 

Ich wollte erst die Raupe an dir vorbei kriechen lassen, 

damit dich der Flug des Schmetterlings 


in der Sonne nicht blendet. 

Aber nun, mein Freund, erfreue dich, 

ziehe deine Schuhe aus, wenn du es hörst, 

denn ich bin als etwas Kostbares 


und zugleich Zerbrechliches 

in das Heiligtum der Menschheit gestellt worden. 

Nimm dich zusammen, Holder, 

und gerate nicht außer Kontrolle, 


denn siehe, ich bin Magister, 

Magister Hein Wichmann, 

von den drei Universitäten Padua, Wien und Paris 

mit einem gesiegelten Lehrbrief ausgestattet, 


und Hosianna, ich verkaufe ihn dir 

für ein Paar Wollstrümpfe, 

denn meine Zehen gucken 

jämmerlich durch die meinen.


Da zog Klaus erstaunt seine Mütze ab 

und verbeugte sich vor dem kleinen Mann in Lumpen so tief, 

wie er sich bisher nur vor dem Abt 

des Klosters verbeugt hatte. 


Verwirrte Phantasien und ein tanzender Himmel 

schwebten über ihm. 

Unter dem Stroh und den Schindeln der Sassen 

hauste ein Liebhaber, ein Holdseliger. 


In aller Barmherzigkeit führte er das Ruder, fing Fische 

und ließ sich von den unwissenden Alten ausschimpfen. 

Und doch gehörte der kleine Strohkopf zu den Auserwählten, 

die, obwohl sie hungerten und froren 


und sich von Arbeitern herumschubsen ließen, 

so tief in das Sieben-Tage-Werk hineingeschaut hatten, 

dass ihr belebendes Wort ferne Gräber öffnete 

und nahe Kaiser erblassen ließ.


Fassungslos, hingerissen von Dankbarkeit und Ehrfurcht, 

wollte der Junge auf das kleine Menschenkind zustürmen, 

doch als sein schlanker Körper den anderen überragte, 

machte sich plötzlich etwas von der Überlegenheit 


des körperlich Stärkeren bemerkbar, 

und statt der glühenden Zärtlichkeit, 

die er eben noch zu spenden gedachte, 

begann Klaus eher misstrauisch, 


sich nach den Verhältnissen des Kleinen zu erkundigen. 

Warum hatte ein Magister keinen Platz 

unter seinen Kameraden, was trieb ihn fort 

und warum arbeitete er schon so lange 


für arme, einsame Menschen? 

Das war es, was er herausfinden musste, 

daran klammerte er sich.

Hein Wichmann hockte zusammengekauert 


auf dem gefällten Eichenstamm, 

lächelte spöttisch und anerkennend 

in das Gesicht seines aufgeregten Schülers 

und wickelte ruhig sein gelbes Haar um den Finger. 


Endlich hauchte er wie immer wohltuend und doch kalt:

Überanstrenge dich nicht, kleiner Junge. 

Der Mensch ist ein Trank, von dem man nicht mehr 

als fünf oder sechs Tropfen genießen sollte. 


Mehr ist schädlich. Aber da du die Narbe 

über meiner Stirn so genau beobachtest, 

erfährst du vielleicht, wo diese rote Fahne 

zum ersten Mal für mich gehisst wurde. 


Er trat zur Seite. Komm, setz dich neben mich, 

und dann lerne von mir das Beispiel, 

dass es schwach und töricht ist, wenn der Mensch 

Sehnsucht nach etwas zeigt, 


was der verschlingende Chronos längst verschlungen hat.

Klaus fühlte sich von einem festen Griff hinuntergezogen, 

dann schlang er stürmisch die Arme 

um den lächelnden Kleinen 


und lauschte, als ginge es um sein Leben.

Der Erzähler erzählte nicht, wohin er gegangen war, 

warum er die gelehrten Schulen verlassen hatte, 

er glitt darüber hinweg. 


Nur an einer Stelle hielt er inne und verfärbte sich. 

Mitten in einer wahnwitzigen, klirrenden Raserei 

muss ihn plötzlich eine Sehnsucht, ein Heimweh, 

etwas Unbegreifliches gepackt haben, 


nach den Bücherstühlen, nach den rauchenden Öllampen, 

die in kalten Kammern über alten Heften dämmerten, 

nach den schlurfenden, zechenden und studierenden

Bacchanten, nach den Disputen streitender Dozenten 


und nach den dunklen Gewölbesälen, 

in denen die Weisheit 

aus löchrigen und abgewetzten Professorenfellen 

auf hungrige Zuhörer niederprasselte.


Ein Affentheater, urteilte Hein Wichmann grimmig.

Aus seinen vorsichtigen Andeutungen ging auch hervor, 

dass sich der ehemalige Magister erst einmal heimlich 

einem widerstrebenden und spöttischen Kreis entziehen musste,


bevor er seinen dringenden Plan 

zur Tat reifen lassen konnte. 

Aus welcher Stadt er geflohen war, 

unter welchen Umständen auch immer, 


das verwarf der Strohblonde 

mit einer abschätzigen Handbewegung. 

Genug, eines Tages tauchte er 

unerwartet in Stralsund auf.


Und dort? drängte Klaus und rückte immer näher 

an seinen Freund heran.

Dort war ein Schwarm von Bacchanten versammelt. 

Sie hockten zusammen in einer Bodenkammer 


über einer Sattlerei, und für den Preis 

eines ordentlichen Vortrags stahlen 

und erbettelten die Jungen für ihren Magister, 

was sie unbemerkt hinaufschleppen konnten. 


Und so ging es eine Weile, auch ohne den Verkauf 

der goldenen Kette, die der kleine Junge 

aus nicht näher zu erläuternden Gründen 

gar nicht gerne ans Tageslicht brachte. 


Und die Bande hatte sich schon entschlossen, 

gemeinsam nach Halle zu gehen, 

wo der berühmte Doktor Pelicanus 

die Grammatik lesen sollte, als...


Ja, Bube, lächelte Hein Wichmann herablassend 

und hielt seine gespreizten Finger 

in das nicht mehr wärmende Sonnenlicht, 

aber dann, liebe Unschuld, dann kam der Winter. 


War dir schon mal kalt, Klaus? -

Ich glaube schon, antwortete der Junge 

mit großen, verständnislosen Augen.

Der kleine Junge nickte.


Ja, sagte er verächtlich, wenn der Nordwind 

einem von deiner Sorte ein wenig 

die scharfen Nägel in den Körper ritzt. 

Aber was es bedeutet, wenn dir die Zunge 


hinter den Zähnen gefriert, 

oder sobald du halbtot in der Ecke 

deines Fußbodens kauerst, 

wo deine Gedanken allmählich 


in deinen klappernden Knochen erstarren, 

davon wusste der Sohn deiner Mutter nichts. 

Nicht wahr? Ich sage dir, da führt man 

allerlei verrückte Tänze auf, 


ja, man vergisst sich sogar so weit, 

dass man betet, 

dass man um ein einziges Stückchen Holz 

für den leeren Ofen winselt. 


Siehe, so war es bei mir auch. 

Meine Hütte lag direkt gegenüber der Marienkirche, 

und durch die Klappen meines Fensters 

konnte ich den heiligen Johannes 


auf seinem Sockel stehen sehen. 

In seinem weiß-blauen Gewand war ihm nicht kalt, 

und er musste auch nicht von einem Fuß 

auf den anderen hüpfen. 


Da rief ich ihm zu, er solle ein Wunder tun; 

als er aber edel zerknirscht gegen mich blieb 

und sich nicht rührte, siehe, da packte mich der Zorn, 

denn ich schämte mich des hölzernen Heiligen, 


und ich beschloss, den Apostel zu zwingen, 

seine Pflicht zu tun. Eines Nachts, 

als weiße Strümpfe durch die Straßen schneiten, 

schlich ich hinüber, und eine Stunde später, 


ach, da hatte sich der heilige Johannes 

schon meines Ofens erbarmt, 

und himmlische Glut umhüllte meine Glieder. 

Der Heilige hatte ein warmes Herz für mich.


Du, du hast mit ihm gefeuert? stammelte Klaus. 

Ein Schauder wollte ihn überkommen, 

und in einer verschämten Bewegung 

strich er sich über die Stirn. 


Und doch packte den jungen Mann 

eine nicht eingestandene Lust, 

alles Konventionelle aufzubrechen, 

und die heimliche Rebellion, 


die immer von dem Strohmann ausging, 

zwang ihn immer widerstandsloser 

in die Gefolgschaft dieses provokanten Lehrers.

Deshalb ärgerte er sich auch nicht mehr 


über den Unglücklichen, sondern zeigte nur noch 

stumm und stur auf die Narbe des anderen.

Verstehe, erinnerte sich Hein Wichmann bereitwillig, 

du hast recht. Das da oben hat den Schlussstrich 


unter meinen Rückfall in die Frömmigkeit gezogen. 

Mein Wirt, der Sattler, hat das Feuer gerochen, 

er war nicht damit einverstanden, 

dass St. Johannes bei mir wohnt, 


und so sind nicht nur seine Gesellen und Nachbarn 

mit Knüppeln und Hellebarden gegen mich vorgegangen, 

sondern auch die Stadtwache meinte, 

einen seltenen Vogel in mir zu haben. 


Oh Zeus! der Kleine wiegte sein feines Köpfchen 

verträumt auf seinem Eichenstamm,

es wurde ein wunderbarer Handel 

zwischen den Rittern des heiligen Johannes 


und meinen Jungen. Aber was nützte 

die schönste lateinische Strategie? 

Pah Teufel, schließlich musste ich 

aus dem Fenster springen, ekelhaft, 


aus dem Hinterfenster, in einen Müllhaufen. 

Mit meiner goldenen Kette 

und dem schlanken Messer bewaffnet, 

stand ich stundenlang im Müll. 


Lerne daraus, wie all die Pracht und Würde der Erde 

in der Stunde der Not zu Gestank und Kot herabsinkt. 

Wobei nicht jedem ein reinigendes Bad zuteil wird wie mir, 

der ich nachts rittlings auf einem Balken 


durch den engen Sund schwamm. 

Was dann geschah, wollte der kleine Junge ruhig schließen 

und strich sich über die durchlöcherten Schuhe, 

doch plötzlich legte er vor lauter Spannung 


die Hand über die Augen, denn tief unter ihnen, 

am nahen Strand, leuchtete etwas Weißes

gegen die Sonne und das Meer. 

Was dann geschah, fuhr der Kleine hastig fort, 


weißt du, und siehe, zum Dank zeige ich dir nun 

die einzige vernünftige Gabe Gottes, 

die edelste und doch nie sättigende Speise,

nicht bloß für den Gaumen der Reichen aufgespart, 


kurz, ich zeige deinen dummen Augen 

die schäumende, hüpfende Aphrodite!

Er warf seine zitternde Hand weit nach vorn, 

und um seinen glatten Mund spielte 


der hemmungsloseste Zug von Lust 

und unerbittlicher Sinnlichkeit. Katzengleich, 

leise kichernd, glitt er an den freien Rand des Abhangs. 

Doch ein rascher Griff des Jungen warf ihn unsanft zurück.


Totenbleich, taumelnd, bis ins Innerste 

seiner ohnehin schon zerrütteten Seele aufgewühlt, 

schwankte der hochgewachsene Junge 

vor dem erstaunten Mann auf und ab. 


Was er vor sich selbst abwehren wollte, 

wusste der Halbwüchsige nicht, aber seine Scham, 

die schon von Stürmen geplagt war, 

tobte noch einmal in Wut und Entsetzen 


gegen das Geheimnis, das zu lüften 

ihm bisher der Mut gefehlt hatte.

Du sollst nicht, schrie er wie besessen 

und grub seine Augen angestrengt 


in das Laub des Waldbodens, 

das ist Anna Eberhard, die… -

Narr, erwiderte Hein Wichmann scharf 

und schüttelte seine Faust. 


Der Name fällt mit dem Gewand. 

Geh zum Spinnrocken deiner Mutter!

Da vergaß Klaus, dass er hier, trotz allem, 

mit dem Wohltäter rang, der ihn aus der Nacht 


in den Tag geführt hatte, besinnungslos, 

Funken vor den Augen, hob er die Faust, 

um dann zu erstarren wie eine statische Säule 

der Ratlosigkeit. Ein freches, spöttisches Lachen 


schlug ihm entgegen, lähmte seinen Arm 

und grub ihn wie einen Pfahl in den Boden. 

Schon erkannte der gebändigte Mann, 

welch furchterregende Kräfte im Körper 


dieses bartlosen Kindes verborgen fluteten. 

Stöhnend, geschüttelt von einem hemmungslosen Schluchzen, 

das die Lust des Kleinen nur noch steigerte, 

und selbst unter den Peitschenhieben 


eines unsichtbaren Peinigers musste 

der Fischersohn zusehen, wie der Strohblonde, 

auf dem Bauch liegend, alle Wonnen des Lichts verschlang, 

und Ekel und tiefer Schmerz 


über die verlorene Reinheit entluden sich 

in Klaus in einer wilden Tränenflut. 

Unbewusst weinte er 

über die in Sünde lachende Menschheit.


Frommes Schaf, spottete Hein Wichmann 

über seine Schulter zurück. 

Wir wollen dir ein Glöckchen um den Hals hängen.

Aber Klaus Becker hielt sich an Gott.




FÜNFTES ABENTEUER


Eine kalte, windige Nacht senkte sich 

über den ländlichen Flecken Bergen. 

In dem armseligen Dorf, 

das sich auf der höchsten Erhebung der Insel, 


zwei oder drei Stunden Fußmarsch vom Sassensitz entfernt,

zusammenkauerte, war ein Jahrmarkt abgehalten worden.

Außerdem waren Gaukler vom Hof des Herzogs von Wolgast

zurückgekommen, auf der Rückseite des Ringelplatzes,


Pferdehändler hatten die Gelegenheit genutzt, 

ihr Vieh zum Verkauf anzubinden, 

und die herbeigeeilten Fischer und Bauern 

ließen sich die seltene Gelegenheit 


zum Spielen und Feiern nicht entgehen. 

Auch jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, 

trieb das grölende und trunkene Volk sein Unwesen, 

und das Heulen des Sturms ließ 


die Posaunen, Flöten und Trommeln 

der fahrenden Musikanten und Gaukler 

noch lauter und ohrenbetäubender schrillen als zuvor, 

denn diese leichten Vögel marschierten tanzend und hüpfend 


an der Spitze einer Meute, die sich enthusiastisch 

und freudig auf den Höhepunkt aller Vergnügungen 

vorbereitete, das Rauchspiel. 

Zum Glück war ein halbnackter Bettler 


dabei erwischt worden, wie er ein Huhn 

unter seinen Lumpen verschwinden lassen wollte, 

und nun wurde der Unglückliche, 

der mühsam auf seiner Krücke und einem Holzbein humpelte, 


mit Stangen- und Stockhieben 

hinter dem Schütting her gejagt. 

Als sie diese ehemalige Räucherkammer erreichten, 

zündeten junge Burschen, denen das Amt 


wohl als Auszeichnung zugedacht war, 

das auf den Ziegeln der Hütte aufgetürmte Laub an; 

der Hühnerdieb wurde an einem Querbalken 

bis zum Dach der Stube hochgezogen, 


und nun knisterten die brennenden Zweige, 

dicker Rauch stieg an den Wänden empor, 

und es war ein Spaß, das Opfer niesen und husten 

und mit allerlei Verrenkungen 


gegen das Ersticken ankämpfen zu sehen.

Sieh mal, Fieke, sagte ein junger Bauer zu seiner Braut, 

die andächtig zu ihm aufblickte, die Schlampe 

hat ein Loch im Strumpf. 


Ich will sie ein wenig an den Zehen kitzeln.

Der Widerschein des Feuers 

fiel in langen, blutigen Schlieren 

durch die Ritzen der Hütte auf die Straße. 


An der fensterlosen Kalksteinwand des Nachbarhauses 

lehnten zwei Gestalten in unbekümmertem Schweigen. 

Ihre braune Fischertracht und die groben Stoffmützen 

hoben sie überhaupt nicht von der drängenden Menge ab. 


Nur wer sie genauer betrachtete, konnte 

trotz der Dunkelheit in ihren blassen Gesichtern ablesen, 

wie wenig sie sich von der allgemeinen 

Ausgelassenheit anstecken ließen. 


Der kleinere lächelte spöttisch über die rohe Aufregung, 

und als die Schreie des Geräucherten lauter wurden, 

zuckte sein schlanker Begleiter vor Unmut 

oder Mitleid zusammen und konnte nur 


durch den festen Griff des anderen davon abgehalten werden, 

in der Nacht zu verschwinden.

Um sie herum herrschte Zank, Gelächter und Aufruhr. 

Der Gott der deutschen Lust 


schenkte seinen Getreuen neue Freude. 

Unter der Linde, die vor der Räucherkammer 

ihre nackten Äste im Wind knarren und ächzen ließ, 

schimpfte der örtliche Bademeister wütend 


auf einen tabulosen Hausierer, 

weil dieser ihn angeblich 

mit einem stumpfen Schermesser betrogen hatte. 

Die jubelnde Menschenmenge 


stieß die beiden Kontrahenten gegeneinander, 

provozierte sie zu immer heftigeren Übergriffen 

und fiel schließlich über den örtlichen Krämer her, 

um ihn zur Sühne für sein Vergehen 


zur beliebten Rasur zu zwingen. 

Auf einem Ast der Linde hockend 

und von zahllosen Fäusten niedergehalten, 

musste sich der Verurteilte gefallen lassen, 


von dem gereizten Bartschänder 

nach den strengen Regeln der Zunft 

bei Fackelschein eingeseift zu werden. 

Doch statt Seife wurde ihm Dreck ins Gesicht geschmiert, 


und als Messer diente eine krumme Sichel, 

die mit Kratzen und Lärm ihre Arbeit verrichtete.

Donnernder Beifall übertönte das Stöhnen 

des geschundenen Mannes, und die Nacht 


verschlang den tanzenden Wirbel, 

der sich um die Linde herumtrieb.

Komm, zitterte Klaus und riss sich gewaltsam los, 

wir wollen nach Hause.


Schürzenjäger, spottete der andere 

und lehnte sich weiter schweigend an die kahle Wand, 

magst du es nicht mit deinen eigenen Leuten?

Der Junge runzelte die Stirn, wie er es immer tat, 


sobald sich ein anderer seinem Willen widersetzte, 

doch dann kratzte er mürrisch an der Wand.

Warum quälen sie sich? warf er verstört ein. 


Warum halten sie keine Harmonie untereinander, 

wo sie doch alle arme Diebe sind? -

Warum? Ein beißendes Kichern antwortete 

auf diesen Notruf eines grübelnden Gewissens, 


und während der Kleine pfiff 

und seine Hände in seinen Ledergürtel schlüpften, 

schien er sich innerlich 

über die Not seines Schülers zu freuen. 


Du rennst zu oft zu den Priestern, 

gab er ihm schließlich nach. 

Weißt du nicht, dass Priester und Fürsten 

nur so lange auf dem Buckel dieses Haufens reiten können, 


wie er roh und ungelehrt bleibt? 

Wenn der abgetriebene Gaul schreiben 

und lesen könnte wie du, würde er leicht 

ausschlagen und schrecklich werden.


Was würde er dann tun, Hein? 

flüsterte der junge Mensch unruhig. 

Vor ihm ertönte ein Schuss aus der Erde. 

Neblige Gebilde erhoben sich plötzlich 


aus dem kiesigen Boden der Landstraße 

vor dem fröstelnden Mann. 

Heil und Segen, die der fiebrige Junge 

in seinen Träumen trug, nicht für sich selbst, 


sondern für künftige Generationen, 

zogen in wirren Gestalten lobend und betend 

über ein grünes Feld an ihm vorbei. 

Er sah Räuchergefäße, Baldachine, 


mit Brot, Getreide und Wein beladene Wagen. 

Doch an der Spitze der Prozession 

sah er einen hochgewachsenen Mann, 

geschmückt mit allen Zeichen des Glücks, 


königlich gekleidet in Gold und Purpur, er selbst.

Bei der Linde wüteten die dunklen Schatten 

immer heftiger, der halb ohnmächtige Bettler 

wurde gerade aus dem Schütting ins Freie getragen, 


um sich auszuruhen, aber Klaus Becker 

durchbohrte die taumelnde Menge mit seinem Blick 

und schritt geisterhaft durch sie hindurch in die Ferne.

Was würde der befreite Haufen tun? murmelte er erneut.


Hein Wichmann hatte seinen Schützling 

mit durchdringendem Verständnis 

und doch fast mit Belustigung versinken sehen; 

jetzt rüttelte er ihn grob an der Schulter, 


denn der Genuss-Sinn des Kleinen verachtete nichts so sehr 

wie das Vergessen von Zeit und Gegenwart.

Was weiß ich? stöhnte er spitz zwischen den Zähnen. 

Vielleicht kämen deine tapferen Landsleute, 


wenn sie geweckt würden, auf die Idee, 

einmal das weiche Fell von Gräfinnen und Herzoginnen 

zu streicheln statt das von Schweinen und Kühen. 

Oder sie würden darauf bestehen, das herrschaftliche Land 


nach einer neuen Ordnung zu vermessen; 

aber am Ende würden sie sich auch damit zufrieden geben, 

den roten Hahn fliegen zu lassen. Was wollt ihr? 

Es ist ein schnelles und lebhaftes Tier.


Halt ein, nicht so, stammelte Klaus, 

stürzte von seinem hohen Himmel herab 

und warf entsetzt beide Hände nach vorn. 

Ohne Übergang entdeckte der Fischersohn 


plötzlich wieder die trunkenen Bauern um sich, 

und eine unnennbare Sehnsucht erfasste ihn 

nach der Einsamkeit des Meeres, 

nach der Mutter und nach seinen schönen, 


schimmernden Gedanken. 

Komm, rief er inbrünstig, lass uns gehen.

Aber der Magister ärgerte sich 

über die edle Zurückgezogenheit seines Schülers. 


Sie versetzte seiner Eigenliebe einen kräftigen Stich, 

denn die unverdorbene Natur des Jüngeren 

weigerte sich noch immer standhaft, 

jenes frivole Lotterleben anzubeten, 


das der Kleine ohne Scham und Reue 

als einzigen Trost, als einzige lindernde Salbe 

einer sinnlos in die Welt geschleuderten 

und sich nun in Knechtschaft und Zwang 


verzehrenden Menschheit anerkannt hatte. 

Wie kam der Junge dazu, nach etwas Besserem zu streben 

als nach Prasserei, Völlerei und Rausch? 

So viel Anmaßung bei einem Minderjährigen 


war nicht zu dulden. 

Mit beiden Händen umklammerte der Strohhaarige 

den Arm des Unentschlossenen und zog ihn mit sich.

Wo willst du hin, Hein? - Ins Himmelreich, Bube. -


Hein, ich traue dir nicht. 

Er wollte sich losreißen. 

Aber den Kleinen überkam die Wut, 

wütend krallte er sich an den anderen 


und schrie mit einer Stimme, 

die nichts mehr von Mädchenhaftigkeit in sich hatte:

Pah Teufel, zieh ein Mädchenhemd an. 

Wer wird dir deine Beinkleider noch abnehmen? 


Schande und Schmach! Glaubst du, die Welt 

braucht Männer, die aus einem Rosentopf herauswachsen?

Da hatte er den leicht Beleidigten, den Ehrsüchtigen so weit, 

wie er wollte. Als hätte eine Peitsche 


in seinem Rücken geknallt, bäumte sich Klaus auf. 

Von Vernunft war nichts mehr in ihm übrig. 

In diesem Moment wäre er über die Leiche 

seines Vaters hinweg gesprungen, 


nur um die brennende Schelte zu widerlegen. 

Aber noch mehr peinigte den atemlosen Mann 

die Angst und das Entsetzen, 

etwas Wertvolles zu verlieren. 


Was kann das sein? durchströmte es ihn noch, 

als Hein Wichmann ihn hinter sich 

um die Ecke der kahlen Wand zog. 

Er wusste es ganz genau und doch wehrte er sich 


entsetzt gegen seine eigene Erkenntnis. 

Der Wind heulte den beiden Zapfhähnen entgegen, 

zwei bissige Hunde kläfften aus ihrer nahen Hütte, 

und ein langer gelber Lichtstreifen wies 


die späten Gäste auf eine erleuchtete Kammer hin.

Das ist ein guter Platz, entschied Hein gebieterisch. 

Dann klopfte er ein paar Mal heftig auf die Bretter der Holztür.

Mach auf, Mann! Da sind edle Menschen. -


Ei, rief eine helle Stimme, 

als die beiden Ankömmlinge eintraten. 

Eine blaue Wolke aus Dampf rollte auf sie zu. 

An der Rückseite des beschlagenen Ziegelherdes 


tanzten bereits unruhige Flammen für die Nacht, 

und in ihrem hüpfenden, flackernden Licht 

erhob sich in der Mitte des Bodens, 

wo sie bisher gelegen hatten, 


eine junge Dirne auf Brusthöhe, 

stützte sich auf die Ellbogen 

und ließ ihre neugierigen grün-blauen Augen 

auf den beiden Männern ruhen, um sie zu mustern. 


Doch schon bald musste sie allein 

von der unberührten Schönheit 

des großen, schlanken Burschen, 

von seiner deutlich spürbaren Schüchternheit 


und Unruhe gefangen genommen worden sein, 

denn sie ließ eine gelbe Katze, 

mit der sie bis dahin ein gemütliches Geplänkel, 

offenbar zur Belustigung der Gäste, betrieben hatte, 


von ihrem Schoß herabspringen, 

setzte sich auf die Diele und wiederholte 

noch einmal mit allen Anzeichen von Zufriedenheit:

Ei. - Becki, mahnte eine raue Frauenstimme, 


deren hünenhafte, kräftige Besitzerin 

neben dem Herd hockte, wo sie unablässig 

eine hölzerne Kelle im kupfernen Kessel 

hin und her bewegte, wie oft muss ich dir noch sagen, 


dass du nicht herumliegen und faulenzen sollst, 

wenn gute Herren kommen? Bei Gott, 

ich werde dir den Hintern versohlen. -

Halt dein Maul, widersprach das Mädchen, 


völlig ungerührt, und streckte der Wirtin 

sogar die Zunge heraus. 

Hat der Stadtschreiber nicht erst neulich zu dir gesagt, 

dass der Rat mich nicht vermissen will? 


Wer bist du denn ohne mich, du böse Hexe? -

Nun, mein Püppchen, schluckte die Hexe am Herd 

und schlug mit der linken Hand auf ihre massive Brust, 

als müsse sie dort ihre saure Wut einmauern, 


zumal ihre anderen Gäste, 

die unter einer tiefen Einbuchtung in der Wand saßen, 

bereits aufmerksam wurden. 

Ich freue mich, dass der Rat dir so wohlgesonnen ist. 


Aber du musst auch gut auf dich aufpassen, 

damit es lange anhält. Und nun, mein Engel, 

stehe auf und frage, was den Herren willkommen ist? 

Ein Krug Met? Oder Apfelwein? Oder eine heiße Suppe? 


Oder etwas anderes? Es soll an nichts fehlen.

Damit blinzelte Frau Hedda, die Wirtin, 

mit ihren blau umrandeten Augen, 

die gerade hinter ihrem schmutzigen Kopftuch hervorlugten, 


in eine kleine Seitenkammer, 

in der Klaus nichts als ein zerknittertes Lager 

von Strohsäcken wahrnahm. 

Eine schummrige Öllampe baumelte 


in einem halb zerbrochenen Scherben von der Decke herab, 

und ganz im Gegensatz zu all der Kargheit 

war über das Fußende des Bettgestells 

ein rotes Seidentuch mit eingewebten Goldfiguren 


geworfen worden. Ein sichtbares Zeichen dafür, 

wie dankbar ein Seemann von hier abgereist war.

Steh auf, mein Täubchen, ermunterte die Wirtin wieder 

mit ihrer rauen Stimme, denn die stille Verzauberung 


der am Boden gefesselten langhaarigen Becki 

schien ihr zu viel Ehre 

für zwei ärmlich gekleidete Fischer. 

Was konnten solche Netzmacher anderes bei sich tragen 


als ein paar armselige Pfennige in ihren Ledertaschen? 

Wie sehr war die Mutter des Hauses erstaunt, 

als der kleine strohblonde Ankömmling 

sich mit einer Geste, die zwischen Frechheit 


und Herablassung schwankte, 

als seien Haus und Kammer, 

die Frauen und die Tante sein unbestrittenes Eigentum, 

auf die liegende Dirne warf, 


um sie vertrauensvoll zu umarmen 

und der überraschten Frau einen Kuss 

auf den nackten Busen zu drücken.

Wonneweib, rief Hein Wichmann schallend 


durch den gedämpften Raum, Wonneweib!

Die Gäste unter dem Mauervorsprung brummten 

und klopften mit ihren Zinnbechern 

applaudierend auf den Tisch. 


Die Dirne aber schlug lässig auf die tastende Hand 

des Unverschämten, obwohl der Rausch 

so wenig von ihr gewichen war, 

dass sie immer noch wortlos auf dem Estrich kniete. 


Doch als sie ihr Haar zurückschob, 

saugten sich ihre glitzernden Augen 

prompt und hungrig an das blasse Antlitz 

des erstarrten Burschen. 


Gerade seine kindlich verstörten Züge 

schienen ihr Mitleid zu erwecken, 

denn die bemalten Lippen der Becki bewegten sich, 

als wolle sie dem fremden Besucher Trost spenden.


Schönes kleines Mädchen, murmelte sie unhörbar.

Dann legte der Magister seinen Arm 

um den Hals des Mädchens, 

zwinkerte seiner Begleiterin auf eine Weise zu, 


die sie verstehen konnte, 

und flüsterte dem Mädchen, 

das nun zur Aufmerksamkeit gezwungen war, 

etwas ins Ohr. Das muss für sie sanft 


und verlockend geklungen haben, 

lachend sprang sie auf, schob sich 

mit verstohlen schwankendem Gang zur Schwelle, 

wo sie dann plötzlich und unerwartet 


die Hand des unentschlossenen Gastes ergriff. 

Kräftige, pulsierende Schläge hämmerten 

aus der weichen, runden Frauenhand 

in die erschrockenen Glieder des Knaben, 


und doch, so unbändig tobte der letzte Kampf 

in dem zur Niederlage Bestimmten, 

dass Klaus selbst in diesem Augenblick 

jähzornig die Faust hob und schwankte, 


ob er die wohltuende und doch so quälende 

Zärtlichkeit nicht mit einem Schlag 

in das rotwangige Gesicht vergelten sollte.

Tatsächlich spannte er bereits den Arm an. 


Doch die Becki schob sich noch näher an ihn heran, 

ließ ihre blaugrünen Augen von unten 

über ihn schweifen und sprach behaglich:

Komm, du Schöner!


Da stand er ganz still und lauschte 

in schmerzhaftem Erstaunen 

solchen nie zuvor gehörten Klängen. 

Und während die Becki seine Bewegungslosigkeit nutzte, 


um ihm schmeichelnd über die flaumige Wange zu streicheln, 

bis sie schließlich sogar versuchte, 

ihren Arm um seinen Hals zu schmiegen, 

glaubte der Verwandelte deutlich eine Strömung zu spüren, 


die sein früheres Bild und seine lichte Vergangenheit 

mit sich forttrug. Der Fischersohn verfolgte 

das Treiben seines verlorenen Wesens 

mit einem düsteren, verzweifelten Blick. 


Ja, er hätte sogar unter dem spöttischen Kichern 

des am Boden hockenden Magisters 

laut vor Trauer aufheulen mögen. 

Aber die Strömung ließ ihn nicht auftauchen. 


Plötzlich spürte er scharfe Zähne an seinem Ohr. 

Auf ein ungeduldiges Winken des strohhaarigen Mannes hin 

war die Dirne geschickt an dem Fischer hochgesprungen, 

nun trug er die vollen Glieder der Frau 


rittlings auf seinen Armen, 

und rechts und links trafen ihn 

die schnellen schmerzhaften Bisse. 

Sie verzehrten den letzten Rest seines Widerstandes.


Ein wilder, unnatürlicher Schrei der Entfesselung 

entrang sich der Kehle des Jungen. 

Selbst Hein Wichmann hörte erstaunt zu, 

als dieses schrille, grausame Signal 


von etwas Neuem und bisher Unerhörtem 

aus der Brust seines Schülers brach. 

Gleich darauf aber schüttelte der Kleine 

den leise aufkeimenden Zweifel, wie er es immer tat, 


leichtherzig ab, und sein heller Tonfall 

überschattete sogar das wilde Toben der anderen, 

als er nun vor Erregung mit den Füßen 

auf den Boden trommelte, 


weil er den mit Glut bedeckten Klaus 

seine Last zum Tisch schleppen sah. 

Dort warf er das Mädchen, deren Arme 

sich nicht von seinem Hals lösen wollten, 


mit einem Krachen auf die Platte. 

Krüge und Becher spritzten umher! 

Doch die Becki lehnte schnell ihre Wange 

an die ihres Ritters, 


gab ihm einen verliebten Nasenstupser 

und flüsterte aufgeregt, 

aber ungehört von den anderen:

Nicht jetzt, Lieber. Aber bleib hier. 


Ich werde dir etwas zeigen. 

Damit sprang sie vom Tisch herunter.

Es war ein Bild von der Art, wie es die nordischen Maler 

später aus einem dunklen Hintergrund 


heraus leuchten lassen würden, 

sobald die rohe, überschwängliche Lust des Daseins 

aus ihren kühnen Pinseln floss. 

Aber damals strahlte ein strenger, heiliger Himmel 


über der Kunst, und auch in der Wirklichkeit 

waren solche Ereignisse noch heimlich 

in den dunklen Winkeln 

böser Schlupfwinkel verborgen.


In der Zwischenzeit hatte der Magister 

den Weg in die Höhe gefunden. 

Nun riss er sich die Mütze vom Kopf, 

so dass die langen gelben Haarsträhnen 


wirr auf seine Schulter fielen, 

und schleuderte die Kopfbedeckung in die Luft.

Lass uns das Hochzeitspaar in Wein segnen, 

zwitscherte er mit seinem großen Spatzengezwitscher. 


Ertränken wir all die böse Plackerei in Traubenblut. 

Kannst du es nicht riechen? 

Die Freiheit ist versteckt in Frau Heddas edlem Haus. 

Greift danach, ihr Dummköpfe, 


ihr werdet sie nirgendwo anders finden. -

Ergreift sie, rief Klaus Beckers besessene Stimme. 

Der Junge erschrak kurz, als er sich selbst hörte, 

als die Fremde wie mit einer klirrenden Schere 


in seine Gedanken schnitt, 

aber sofort eilte er wie benebelt 

der entflohenen Dirne nach. 

Sie arbeitete gerade am Herd, als er nach ihr tastete. 


Beißend schlug sie ihm auf die rechte Hand, 

funkelte ihn an, 

denn das Verhalten des Gesellen war ihr nicht fremd, 

und herrschte ihn hochmütig an:


Nicht jetzt, du Hühnerhaufen. Ich habe es dir gesagt.

Und wieder stand Klaus wie gebannt, 

hörte erstaunt zu 

und schüttelte seinen schmalen Kopf.


Die Wirtin war bisher geduldig 

mit dem Treiben der beiden Fremden gewesen, 

aber jetzt war ihre Geduld am Ende. 

Mit einem verärgerten Husten 


erhob sie sich von ihrem Sitz an der Feuerstelle, 

und siehe da, als sie aufstand, reckte sie sich 

wie eine lange Stange, an deren oberem Rand 

schmutziger Schnee lag. 


Dann machte Frau Hedda einen langen Schritt 

auf den Magister zu und griff dem kleinen, 

so harmlos wirkenden Burschen 

kurzerhand in den halb geöffneten Kragen.


Was ist mit der Rechnung? wollte sie 

zwischen den Zahnlücken liebevoll pfeifen, 

als sich ihr Faltenrock im Kreis drehte 

und die Glieder, die er bekleidet hatte, 


gleichsam zurück auf den Holzstapel 

hinter dem Kamin flogen. 

Niemand konnte sich erklären, wie es geschah, 

denn alles war laut, 


aber sobald man wieder 

durch den aufgewirbelten Kiefernrauch sehen konnte, 

tanzte der Strohblonde wie von Sinnen 

in der Mitte der Schenke herum, 


während er ein abgerissenes Glied seiner Goldkette 

hoch über dem gelben Kopf schwang. 

Darauf flüsterte Hein Wichmann, sich nach allen Seiten hin

freundlich verbeugend, in den süßesten Tönen, 


ob er auch jetzt noch durch Wein 

und Liebe daran gehindert werden könne, 

die hier versammelten Hunde 

von ihren Stricken zu lösen?


Durch Wein und Liebe, 

wiederholte Klaus besinnungslos 

und sank ganz in die vor ihm aufgeschlagene Grube 

aus Rauch und Glut. Die Becki fegte an ihm vorbei 


und küsste ihn jubelnd auf den Hals.

Alles verschwamm vor dem bereits berauschten Mann

und drehte ihn nur noch hilfloser in den kreiselnden Strudel. 

Was dann geschah, tanzte vor ihm auf und ab. 


Mal flackerte es hoch, mal brach es zusammen 

wie die blauen Flammen des Kaminfeuers. 

Er sah sich eng an die Bank vor dem Tisch gepresst, 

und aus dem Zinnbecher duftete ihm Met entgegen. 


Er leerte den Becher mehrere Male, 

und seine Sinne flatterten fortan wie Schmetterlinge 

über dem süßen Getränk. Warum 

konnte er diesen oder jenen Gedanken nicht festhalten? 


Aufgeregt versuchte er es, aber es gelang ihm um keinen Preis.

Stattdessen musste er den Gängen der Becki folgen, 

die immer wieder die Trinkgefäße der Gäste nachfüllte, 

es reizte ihn, ihren kurzen Rock 


in ängstlicher Neugier zu berühren, 

und einmal brüllte er drohend, 

als die Dirne auf den Knien eines alten, 

glatzköpfigen Mannes verweilte, 


dessen feiner blauer Bürgerrock 

gar nicht hierher zu gehören schien.

Was ist denn mit dir los, Kleiner? 

hörte er die Pflegerin gleich darauf lachen. 


Unmerklich war sie an ihn herangeschlichen 

und beugte sich nun über den besinnungslosen Mann, 

wobei ihre Augen funkelten, als sie bemerkte, 

wie Reife und Knabenhaftigkeit in ihm würfelten. 


Dann klammerte er sich erbittert an die Arme der Frau, 

die vor Met und Hitze dampfte, 

und schwankend zwischen Wut, abgrundtiefer Verachtung 

und stöhnender Besessenheit, 


legte er seinen Kopf an ihre Brust.

Narr, zischte die Gefangene, du zerreißt mein Hemd. 

Aber es klang wie ein Keuchen, 

und sie zog sich mühsam zurück.


Von diesem schwindelerregenden Werben hingerissen, 

hatte sich Hein Wichmann auf den Tisch geschwungen. 

Da drückte das berauschte Kerlchen 

die rechte Hand ans Herz, 


obwohl seine zweifarbigen Augen 

noch immer so frostig waren wie eh und je, 

und sang mit durchdringender Stimme 

einen Reim, der zur Zeit 


der verhängnisvollen Münzsituation 

unter dem verzweifelten Volk durch Dorf und Stadt ging:

Dirne im Bett und Wenzels Geld!

Und sofort wieherte der Chor als Antwort:


Was gibt es Falscheres auf der Welt? -

Du bist ein Witzbold, Kleiner, 

sagte die Becki, gar nicht beleidigt.

Aber der Sänger strich ihr über das lange Haar.


Und du, ein schönes süßes Häppchen, Herzchen, 

erwiderte er überlegen, 

dennoch, ich gönne dir alles Gute.

Pfeifende Pfiffe, die aus der Ecke schrillten, 


belohnten diesen Scherz.

Und wieder tanzten die blauen Flammen vor Klaus, 

und die Schmetterlinge über dem Met 

taumelten schwer und flatterhaft.


Nach einer Weile ging die Becki 

in die Nebenkammer und räumte, 

über die Schulter zurückblickend, 

das zerwühlte Lager auf. 


Die bäuerlichen Feiernden nutzten die Pause, 

um die gottverdammte Zeit zu verfluchen. 

Zuerst war da der feine blaue Schöffenmantel. 

Der dickhalsige, immer lächelnde Glatzkopf 


musste tagsüber über die Stadtwaage 

sowie über Recht und Sitte wachen. 

Aber da er zu Hause eine zänkische Frau hatte, 

die ihn schlug, nahm ihm niemand übel, 


wenn er abends Frau Hedda und die Becki besuchte. 

Er wurde als Stammgast betrachtet 

und erhielt alle möglichen Privilegien. 

Deshalb war er auch der Einzige, der zufrieden 


und leise in seinen Krug blinzelte. 

Ganz anders die Bauern, die zu fünft oder sechst 

hinter ihren Töpfen in galgenhumoriger Bitterkeit lagerten.

Zwischen den haarigen Burschen schwelte es 


wie die Lust an der Verschwörung. 

Denn der Graf von Cona hatte im Streit 

mit der Stadt Bergen einfach die umliegenden Gehöfte besetzt,

und nun raubte seine Truppe den Bauern Vieh und Getreide 


als Wehrgeld für den Marsch gegen die Freibeuter, hieß es.

Das ist gegen das gemeine Recht der Hufen, 

stöhnten die verpfändeten Männer 

und riefen dem Ratsherrn drohend zu. 


Gibt es kein Recht? Verdammt noch mal, gibt es kein Recht?

Der dicke Mann aber zuckte mit den Schultern und schwieg. 

Er wusste, wie wenig ein Stück Pergament 

gegen Speere und Armbrüste ausrichten konnte.


Mit weit ausgebreiteten Armen lag Klaus 

über die Tischplatte geworfen, 

das glühende Gesicht auf beide Fäuste gestützt, 

und das Wehklagen und Jammern der Landleute 


floss wie zischendes Blei in die Adern des Jungen. 

Es zerstörte sein Hirn, 

es riss seine Augen auseinander, 

so dass vorübergehend sogar das Bild der wollüstigen Dirne 


aus ihnen herausstürzte; 

Der unverstandene Drang 

und die Jagd des Jungen nach Segnungen, 

die vom Himmel strömten, 


nach einem Wohlstand, der seine Hand 

gleichmäßig nach jedem ausstreckte, 

egal über welchen kargen Boden er schritt, 

diese gierige Sehnsucht, 


die sich so ungleiche Flügel geliehen hatte, 

den einen aus den bescheidenen Lehren des Pater Franziskus, 

den anderen aus den stacheligen Einflüsterungen 

des kleinen Magisters, 


nun rissen ihn die starken Flügel 

über seine irdische Besessenheit hinaus.

In der Kammer wälzte die Becki das Bett energischer, 

aber Klaus Becker ignorierte das provozierende Manöver, 


denn Zorn und Mitleid hatten ihn längst 

an diese entrechteten Bauern gekettet, 

deren Plage ihm pervers und unmenschlich erschien. 

In seiner Stimme lag ein bedrohliches Unbehagen, 


als er sich nun flüsternd erkundigte, 

ob sich denn keiner der Vergewaltigten 

gegen das schreiende Unrecht zur Wehr gesetzt habe? 

Die Landleute warfen dem unreifen Jungen 


scheue, verlegene Blicke zu, 

steckten aber schließlich die Köpfe zusammen 

und deuteten mit den Fingern 

auf einen stämmigen Mann am Ende der Bank. 


Er saß dort in seiner braunen Bauerntracht, 

einen unscheinbaren Tellerhut 

über den purpurnen Kragen gepresst, 

der sein zerfurchtes Gesicht teilweise verdeckte, 


aber selbst durch diese Verkleidung hatte Klaus bemerkt, 

wie der Mann, so oft er sich unbeobachtet wähnte, 

manchmal schwer vor sich hin seufzte. 

Bald griff der einsame Mann tastend 


nach dem Kurzschwert an seiner Seite 

und von dort wieder unsicher nach dem Stiel einer Axt, 

die er zwischen seine Knie geklemmt hatte. 

Doch kaum bemerkte der grüblerische Mann 


die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit, 

zuckte er zusammen 

und winkte der Wirtin heftig zu, 

dass er seine Rechnung bezahlen wolle.


Mach dich nur lustig, Frau, 

drängte er und schaute misstrauisch um die Ecke, 

bis sein unsicherer Blick schließlich 

an einem zusammengekauerten Sprengelbart hängen blieb, 


an einem schmutzigen Juden, 

der in seinem gelben Schamrock 

und der roten Zwangsmütze müde 

auf einem Holzklotz neben dem Eingang hockte, 


wo er, von allen übersehen, wie ein Nichts, 

still und leise eine Schüssel Suppe schlürfte. 

Der Mann mit der Axt aber schrie bösartig auf 

und schob wie in nagender Wut 


seinen flachen Hut tiefer über sein Kopftuch. 

Für den, für diesen verfluchten Juden, 

werde ich mitbezahlen, rief er schneidend, 

während die tiefen Furchen 


in seinem braunen, sorgenvollen Gesicht zuckten. 

Komm, Mosche, du bist der richtige Kerl für mich. 

Leck deine Schüssel leer, und dann weg. -

Was ist mit dem Hebraicus? 


unterbrach Hein Wichmann, 

der von seinem Platz am Tisch aufblickte. 

Die feinen Nasenlöcher des Kleinen 

schnupperten dabei wie die eines Jagdhundes, 


und sein ungleiches Augenpaar sprang 

die beiden Gefährten so lauernd und schneidend an, 

dass jeder von ihnen unwillkürlich 

nach seinen Habseligkeiten griff.


Was soll das? stammelte der Jude 

und richtete sich mühsam auf. 

Ich bin auf der Wanderschaft. -

Ja, und ich werde dir sagen, warum, 


kreischte Hedda und riss ihm die Schale aus der Hand. 

In Potthagen, wo du wohnst, 

hat das große Sterben schon wieder begonnen. 

Und was steckt dahinter? 


Ihr Krummnasen, ihr Mörder des Herrgotts, 

habt die Brunnen vergiftet. Ist es nicht wahr? 

Man sollte euch zu Tode prügeln, 

ihr widerliches Ungeziefer.


Ein einziger, heulender Schrei 

kam von den irritierten Bauern. 

Geballte Fäuste flogen durch die Luft, 

und ein schwerer Steinkrug flog gegen die Brust 


des verhassten Mannes. Was für eine Lust, 

das eigene Leid weitergeben zu können. 

Stöhnend sank der Jude in seinem Sitz zusammen, 

und erst nach einer Weile gelang es ihm, zu keuchen:


Gestern sind meine eigene Frau 

und mein Sohn gestorben. 

Glauben Sie? 

Er murmelte etwas Unverständliches.


Aber der Abscheu der Bauern wütete weiter.

Schiebt ihn ins Feuer, den Mäusefänger, 

soll er uns vielleicht den schwarzen Paten 

auf den Hals hetzen?


Die Männer hinter dem Tisch sprangen klappernd auf, 

ein fluchender Tumult umgab bald das Opfer ihrer Wut, 

und der Angehörige eines aus den Reihen 

der Menschheit ausgestoßenen Stammes 


ließ seine schwarzen Augen 

ungläubig von einem Bedränger zum anderen rollen, 

doch schon alles ahnend. 

Doch nirgends sah er Erbarmen, 


überall nur sinnlose Fremdheit und brodelnden Hass. 

Dann, fast im letzten Moment, was war das? 

Da setzte sich etwas Wirbelndes, Zappelndes, 

Strohblondes mit einem katzenhaften Sprung vom Tisch ab, 


um sich dem Angegriffenen zu nähern, 

ein helles Lachen brach aus, und seltsam, 

die kleine Kindergestalt wirkte plötzlich biegsam, 

massiv, hart wie Stahl, wie eine gute Klinge, 


die zum Schlag erhoben ist. 

Im selben Moment war natürlich auch Klaus Becker 

in das Handgemenge geschossen. 

Ihn leitete kein besonderes Mitleid 

mit diesem eingekesselten Juden, 


nur das stürmische Weh für alle Unterdrückten 

drückte sich auch hier vorbehaltlos aus. 

Es war eine wunderbare Bewegung, 

als sich die hoch aufragende Gestalt 


nun zum Schutz bereit nach vorn warf, 

halb geschmeidig, halb gebieterisch. 

Dazu loderten die schwarzen Augen 

in einem dunklen, fesselnden Feuer, 


und die metallische Stimme erfüllte das ganze Haus 

mit einem so mitreißenden Wirbel 

einer geschlagenen Trommel, 

dass selbst Becki, die neugierig 


am Pfosten der Kammer lehnte, 

ein seltsames Schaudern über den Nacken lief.

Wehe dem armen Menschen, schleuderte derjenige, 

der zum ersten Mal in eine wache Geisterwelt 


versetzt worden war, wehe dem armen Menschen, 

der einen anderen Unglücklichen schändet.

Die Bauern sahen sich an, verstanden nicht 

und wichen vor der drohend erhobenen Faust zurück. 


Eine Stille, ein Schweigen legte sich über den Tumult, 

um gleich darauf von einem wirbelnden, 

schallenden Gelächter abgelöst zu werden.

Hört, hört den Bußprediger, 


schüttelte sich Hein Wichmann, und sein Lachen 

legte sich wie eine Mauer vor den Juden. 

Glaubst du nicht, dass der Kleine 

gleich die Messe singen will? 


Ja, Priesterdienst, Kutte und Pantoffeln lecken 

ist eine gute Sache. 

Aber jetzt gebt mir ein Wort, 

ihr strohdummen Heufresser.


Was sagt er? murmelten die Bauern, die nicht verstanden, 

wie ein Zwerg es wagen konnte, sie zu beleidigen.

Ich sage, fuhr der Kleine in ruhiger Gelassenheit fort, 

während er gelassen vor dem Hebräer auf und ab ging, 


dass ihr einen Querbalken vor der Stirn tragt 

und Ochsen seid.

Die Bauern rührten sich nicht und hörten zu. 

Selbst Becki, der beim Anblick des glühenden Knaben 


nur schluckte, beugte sich vor.

Ich dachte, ihr wolltet edles Wild jagen? 

fuhr der Magister schneidend fort, 

und in seinen Augen funkelte eine verlockende Flamme 


der Bosheit und des verführerischen Aufruhrs. 

Eine Treibjagd gegen die zweibeinige Plage? 

Oder glaubt ihr, dass das beste Rudel das ist, 

das sich selbst zerfleischt?


Niemals zuvor hatte Klaus die rasende Gewalt 

des Kleinen gesehen, 

der sich auf eine aufgeregte Schar 

verzweifelter Männer stürzte; 


jetzt spürte er selbst, wie die feurige Erregung 

ihm den Atem raubte 

und dass er im Augenblick nichts weiter war 

als ein zitterndes Blatt 


an einem vom Wind umher geworfenen Busch. 

Blätter, vom Sturm ohnmächtig geschüttelt, 

murmelnde Blätter wurden auch die anderen. 

Mit gespreizter Brust, die wilden Augen 


starr auf den gerichtet, von dem 

eine unverständliche Losung auszugehen schien, 

vergaß selbst der Jude die Gefahr, die ihm nahe war, 

denn taumelnd richtete er sich auf.


Wo willst du hin? fragte Hein Wichmann plötzlich wieder 

mit seiner weichen, mädchenhaften Stimme.

Ich gehe zu Fuß, sagte der Verhörte hartnäckig.

Ja, wir gehen, wiederholte der Mann mit der Axt, 


der wie im Traum gelauscht hatte. Komm, Bruder.

Allein, noch bevor sich die beiden 

aus dem gefrorenen Kreis lösen konnten, 

stand der Kleine plötzlich zwischen ihnen, 


und leise, aber mit unentrinnbarer Eindringlichkeit, 

sagte er: Der Einzige, der die Flecken 

von deiner Axt wegwaschen kann, 

den wirst du jetzt nicht finden. Er ist weit weg.


Der Bauer wich einen Schritt zurück 

und stammelte: Wer ist das? -

Wer? Hein streckte ihm die rechte Hand entgegen, 

in die der andere, wie angezogen, einschlug. 


Wer? flüsterte der Kleine wieder. 

Und kaum verständlich, verborgen 

hinter einem Schauer von Verehrung und Geheimnis, 

hauchte er ihm ins Ohr:


Gödeke, Gödeke Michael,

Er allein befiehlt auf dem schwarzen Schiff.

Eine Welle muss das Haus der Hedda getroffen 

und alles begraben haben, was bis dahin 


aufrecht gestanden hatte. 

Aus dem Strudel schlängelte es sich hoch 

wie die Stimmen Ertrinkender. 

Ein allgemeines brüllendes Gebet erhob sich 


durch das Dach zum Himmel:

Seine Brust ist wohl eine Elle breit,

Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung!

Der Sturm heulte noch immer, 


als etwas Unerwartetes geschah. 

Der Hebräer hatte, trunken von der Gewissheit, 

in einer Gemeinschaft eingeschlossen zu sein, 

die Axt ergriffen. Nun taumelte er auf den Holzblock, 

schwang die Waffe fieberhaft über die vielen Köpfe 


und schrie, besessen von einem fanatischen Wahn:

Und tragt ihr Armen schwer am Leben,

Recht und Freiheit wohnt auf dem Meer.

Und wieder ertönte es ihm zur Antwort, 


ernst, schwer, feierlich, wie das Responsorium in der Kirche:

Dort richtet die Reichen an Leib und Seele

Goedeke, Goedeke Michael.

Aber das Letzte war schon auf der Landstraße zu hören. 


Der Schwarm war, einer inneren Kraft folgend, 

ins Freie geströmt. Alles, was sich ihm widersetzte, 

war weggebrochen, nur Becki und Klaus 

waren allein unter dem niedrigen Dach; 


beide wie angewurzelt, die Trümmer eines Traums, 

der sich langsam verflüchtigte.

Komm, ermutigte das Mädchen schließlich 

und streckte ihre runde Hand verstohlen 


nach dem versunkenen Mann aus. 

Die bloße Berührung ließ sie sich sehnen 

und unsicher fühlen. Je länger sie 

mit dem schlanken Jungen, 


der ganz auf die inneren Lieder hörte, 

allein blieb, desto mehr wurde ihr bewusst, 

dass dieser große, stolze, widerstrebende Junge 

mit den brennenden schwarzen Augen 


nicht zu dem Geschlecht der sich am Boden wälzenden,

viehähnlichen Vergnügungssüchtigen gehörte, 

die bisher ihren Körper geplündert und verspottet hatten. 

Eine verzweifelte Scham wohnte noch in ihm, 


eine gierige Hingabe, die beten wollte. 

Und das reizte die Dirne 

über ihre üblichen Grenzen hinaus, 

bis sie weich und nachgiebig wurde.


Komm, flehte sie eindringlich, 

du kannst tun, was du willst.

Es war eine heiße, betörende menschliche Stimme, 

mit der Klaus aus seinen himmlischen Gärten vertrieben wurde.


Wild und schmerzhaft fuhr er auf.

Was willst du? stammelte er entsetzt, angewidert, 

denn im aufziehenden Tannennebel sah er 

die entfesselte Brunft auf ihn zukommen, wie gewohnt. 


Nein, das nicht. Alles, was in ihm an Demut 

gegenüber seiner Mutter lebte, alles, 

was er an Feindseligkeit gegenüber 

seinem eigenen Geschlecht hegte, 


es empörte sich, und mit einem mächtigen Stoß 

schleuderte er die Ergebene vor sich auf den Estrich. 

Er hörte noch ihren dumpfen Fall, 

dann fand er sich draußen wieder.


Draußen war Dunkelheit, feuchte, spurlose Nacht.

Die Erlen und Pappeln der Landstraße summten, 

ein feiner Sprühregen staubte den abschüssigen Weg hinauf, 

und der matschige Lehm der Landstraße seufzte 


unter den Füßen des Flüchtigen.

Wohin führte der Weg? Klaus wusste es nicht. 

Er stand still, bot fieberhaft seine Stirn 

den kühlen Tropfen an und lauschte. 


Von der Höhe herab flackerte noch immer 

ein Feuerstreifen aus den Fenstern des Häuschens, 

das er gerade verlassen hatte, 

hinter ihm her, und weit weg, 


jenseits des Tropfens, schwirrten Fragmente 

des Bauernliedes davon. Ja, das war es, 

woran er sich festhalten wollte, das war es, 

woran er sich zu klammern wünschte. 


Aber während der einsame Mann versuchte, 

die vertrauten Strophen aus seiner keuchenden Brust 

aufsteigen zu lassen, wurde er verwirrt. 

Vergessen, vergessen waren die Worte und Bilder, 


die er bis jetzt aufgebaut und errichtet hatte. 

Dafür, er sah sich in der Dunkelheit wie gehetzt um, 

dafür leuchteten überall weiße Arme aus den Schatten, 

fingen ihn auf, und eine üppige Brust erdrückte ihn. 


Er wollte sich wehren, er schrie wie ein Unsinniger, 

aber das weiße Gewirr erstickte ihn 

und wies ihn zurück. Vergeblich, vergeblich, 

getragen von flatternden Flügeln, schoss er zurück, 


sprengte die Tür und sank wortlos 

in die Arme der jubelnden Dirne.

Über dem Haus der Hedda erlosch das Sternbild des Jupiter.

Also groß ist die Macht der Göttin Aphrodite!




SECHSTES ABENTEUER


Wenn das Eis erst einmal gebrochen ist, 

spritzt die trübe Gischt des Meeres heftig hervor, 

und man denkt, dass die strömende Flut 

nichts als Unrat mit sich führt.


Von dieser Zeit an hielt sich Klaus 

immer öfter in der Hütte der Hedda auf. 

Wenn ihn auch tagsüber, wenn die helle Sonne 

der Küste sein Tun beleuchtete, 


Ekel und Abscheu vor dem wilden Trieb quälten, 

der ihn an einem schneidenden Seil über die Berge zog, 

so schnürte ihm nachts die schmerzhafte Verstrickung 

alle Glieder zusammen 


und riss den Widerspenstigen fort. 

Bereitwillig ließ er sich von seinem spöttischen Lehrer 

einen Ring der goldenen Kette nach dem andern anlegen, 

und Hein Wichmann versäumte es nicht, 


seinem verbissen arbeitenden Zögling 

während der Tagesarbeit einzuschärfen, 

dass es in alten Zeiten ganze Schulen weltlicher Weisheit gab, 

die im Genuss, im Schwelgen und sinnlosen Auskosten 


die einzige Möglichkeit sahen, 

gegen den überall herumschnüffelnden Tod zu gewinnen.

Sieh mal, Kleiner, pflegte der kleine Junge zu sagen, 

während die beiden Kameraden im Boot 


durch den brausenden Morgennebel fuhren, 

es ist der letzte Tropfen im Weinkrug, 

der letzte, den die durstige Zunge auf sich herab lockt, 

gerade den begrüßen wir als den heißen Boten 


aus einer überirdischen, tanzenden Welt. 

Bei diesem letzten kämpft die Melancholie 

des Abschieds bereits mit der Hoffnung 

auf einen neuen Genuss. Oder meinst du, 


das Schwein hat einen anderen Grund, 

sich den Rüssel blutig zu reißen, 

während es nach der letzten im Boden 

verborgenen Eichel kratzt?


Angesichts solcher Einflüsterungen, 

obwohl sie ihn mit der Schärfe eines Rutenschlags trafen, 

blieb der große Junge, dessen Wangen immer schmaler 

und blasser wurden und dessen verbrannte Augen 


nun oft in selbstquälerischer Verzweiflung glühten, 

stumm und taub. Und der strohblonde Magister 

begann zu spüren, dass sein Geschöpf 

die provokative Absicht hinter seinen stacheligen Reden 


zu bemerken begann. Hinzu kam, dass die Arroganz 

und die herrische Art des Fischersohns 

immer herrischer wurden, und es kam nun häufig 

zu Streitereien und Auseinandersetzungen 


in der Hütte der Beckers. 

Der Sohn fragte nicht mehr, er forderte. 

Auch äußerte er manchmal Gedanken und Meinungen 

zu kleinen Ausflüchten, die bewiesen, 


wie hoch die Gärung in seiner Brust bereits gestiegen war.

Eines Tages saß Bruder Franziskus am Herd der Hütte. 

Er war, wie er sagte, im Namen seines Klosters gekommen, 

um bei den Fischern einen wirtschaftlichen Auftrag zu erledigen.


Aber in Wirklichkeit war er von Mutter Dörte 

gerufen worden, die keine Ruhe mehr fand, 

weil sie sich um ihren einzigen Sohn sorgte, 

der, wie sie glaubte, auf Abwege geraten war. 


Die treibende Angst beschattete sie nun fast stündlich, 

dass in ihrem Kind die bösen Gelüste 

seines wirklichen Vaters erwacht seien, 

die Lust am Vergnügen und am Raub, 


die wilde Gier nach Unterdrückung der Schwächeren 

und die kalte Verachtung von Recht und Moral. 

Ihre Brust bebte, als sie daran dachte, 

dass sie selbst nur gezwungen worden war, 


diesen fremden und doch geliebten Spross zu empfangen, 

und die Schärfe des mütterlichen Auges nahm auch wahr, 

wie das Wissen um den zukünftigen Mann 

plötzlich in ihrem Sohn hoch gepeitscht wurde 


und wie Scham und Verachtung 

dieses Wissens in ihm kämpften.

Ein kalter Novemberabend fröstelte über der Hütte. 

Am Buchenfeuer saß der Mönch, 


und neben ihm, in Decken gehüllt, hing der Hausherr, 

halb in seinen Lehnstuhl gelehnt, in der warmen Feuerluft 

mit einem pfeifenden Geräusch keuchend, 

das seine wunde Brust doch immer 


zu einem langen Husten veranlasste. 

In einer schattigen Ecke, wohin er sich absichtlich 

verzogen hatte, schärfte Klaus mit einem Stein 

den Aalspeer, während Dörte vor ihrem Gast stand, 


die Hände demütig über der Brust gekreuzt, 

als sei sie bereit, jedes Wort ihres geistigen Führers 

auf sich wirken zu lassen 

wie eine Predigt von der Kanzel. 


Draußen drückte sich der Nordsturm an die Hütte 

und keuchte begehrlich um das erschütterte Dach. 

Aber das machte den Raum nur noch geheimnisvoller. 

Und in der Behaglichkeit des warmen Ortes 


vergaß der Pater sogar, dass weit hinter seinem Rücken 

der kleine strohblonde Zwerg auf einem Brett 

unter dem Schornstein hockte und sichtlich bemüht war, 

so weit wie möglich in der rötlichen Schwärze 


des Hohlraums zu verschwinden. 

Der Magister war auch der Einzige, 

der mit einem spöttischen Lächeln bemerkte, 

wie Klaus bei seiner Arbeit immer unruhiger wurde, 


und er wusste auch, was seinen Zögling 

an brennenden Seilen von hier wegzog. 

Darüber war er froh. In der Zwischenzeit 

ging das Gespräch auf ehrbare Art und Weise hin und her.


Meistens stellten die alten Fischer 

ihrem Beichtvater diese oder jene wichtige Frage 

des täglichen Lebens und fügten sich dann 

mit bedingungsloser Zustimmung 


seinen Aussprüchen und Entscheidungen. 

Auf diese Weise hustete der Kranke seinem Gast aus, 

was in den letzten Tagen den Geist des Leidenden, 

der sich bereits in Gleichgültigkeit verlor, 


plötzlich versengt hatte. Man stelle sich vor, 

der Vogt habe im Auftrag des Grafen 

den Wehrpfennig gegen die Freibeuter eintreiben wollen, 

aber da er bei den Beckers nicht genügend 


Münzgeld gefunden habe, habe er den Ziegenstall geöffnet 

und eines der Tiere, die beste Milchspenderin, 

ergriffen und weggetrieben.

Als der schlaffe Riese sich an diesen Raub erinnerte, 


wurde der einst mächtige Körper von einer Wut geschüttelt, 

die den Sessel unter ihm erzittern ließ. 

Schweiß tropfte über den grauen Bart des aufgeregten Mannes, 

als er halb lallend fortfuhr:


Schande! da lag ich, und konnte ich mich bewegen. 

Nein, ich habe nur geschrien, 

immer nach Gott und den Heiligen. 

Die Ziege hat auch geschrien, 


aber was nützt das einem Sünder, 

dem das Wasser in den Knien gurgelt,

denn so hoch ist es bei mir schon, 

der Alte warf sich herum und nickte in die Ecke, 


wo sein Sohn fester an seiner Spucke rieb, 

dann keuchte er dankbar: 

Aber am Nachmittag kam Klaus, 

der Junge kam vom Meer, und da wurde alles anders. 


Er ist dem Landvogt nachgelaufen 

und hat unsere Ziege zurückgebracht. 

Wir haben sie wieder, die Geweihte, 

schloss er erleichtert und hauchte in seine erstarrten Hände.


Wie ist das passiert? fragte der Pfarrer mit Nachdruck.

Ich habe sie ausgelöst, antwortete Klaus leichthin.

Mit wessen Geld? - Ich habe es mir geliehen. -

Von wem? - Von einem Freund, beendete der Junge trotzig, 

konnte aber nicht verhindern, dass sein Blick 

wie zustimmend zu dem Strohblonden 

am Herd hinüber hüpfte. 


Er rückte noch näher an die Wand des Schornsteins heran.

Der Mönch schüttelte nachdenklich den Kopf. 

Dann sagte er mit seiner freundlichen Stimme, 

die empfängliche Gemüter wie das von Dörte sanft beruhigte,


wie ein beruhigendes Fiebermittel:

Ihr guten Menschen, streitet euch nicht. 

Es müssen Opfer gebracht werden, 

jeder nach seiner Kraft, 

wenn in der göttlichen Waage Recht gegen Unrecht 


und Ordnung gegen Widerspenstigkeit steht. 

Deshalb steht auch geschrieben: Gebt dem Kaiser, 

was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.

In den roten Feuerschein gehüllt wie in den Mantel des Elias 


und selbst von seiner Lehre zutiefst überzeugt, 

so urteilte der Mönch, und die alten Fischer 

sahen sein Wort in ihrer Hütte aufgehen 

wie eine Wunderblume, 


deren seltsame Pracht sie nicht begriffen. 

Da, entsetzlich, die Hüttenbewohner erschraken, 

sie trauten ihren Ohren nicht, etwas lachte laut 

und rücksichtslos gegen alle Ehrfurcht 


mitten in den frommen Sätzen, 

und in der Ecke stieß der junge Klaus 

seinen Speer senkrecht in den Estrich, 

so dass das Eisen zitterte und brummte.


Was ist denn los? murmelte der Vater, 

der vor Schreck stumm wurde 

und sich mühsam aufrichtete. 

Warum lachst du?


Der Sohn rüttelte kräftig an dem schlanken Schaft, 

und nicht im Geringsten eingeschüchtert, 

warf er blitzende Augen zum Vater hinüber:

Von wem stammen die törichten Sprüche?


Töricht? Dunkelheit fiel über Bruder Franziskus. 

Das Entsetzen über diesen Ungehorsam gegen den Himmel

erschütterte für ihn mit einem Knüppelschlag 

das weise Verständnis, das der Geistliche gewöhnlich 


seiner Umgebung und besonders der Jugend entgegenbrachte. 

Es schien ihm unmöglich, dass eine solche Unverschämtheit 

in einem menschlichen Gehirn heranwachsen konnte,

unbegreiflich, dass ausgerechnet der ihm lieb gewordene Junge 


sie aussprach. Gelähmt, unfähig, sich zu beherrschen, 

antwortete er, nur um zu spüren, dass seine Worte 

wie von selbst entweichen, ungehemmt, 

wie der Faden eines Garnknäuels, mit dem eine Katze spielt.


Klaus, sagte er voller Kummer und so leise, 

als spräche er zu sich selbst, der Allmächtige 

wird dir die Herausforderung abnehmen. 

Es ist unser Herr und Heiland selbst, mein Kind, 


der diese Botschaft verkündet hat.

Nun wandte sich auch die Mutter um. 

Ihre vorwurfsvollen Augen 

und die vor Entsetzen ausgestreckten Hände zeigten, 


dass sie erwartete, dass ihr Sohn 

bei dieser Belehrung auf die Knie fallen würde. 

Doch was entdeckte sie? Um die Lippen des Jungen 

flog nur ein arroganter, grausamer Blick, 


und nachdem er sich mit einem kurzen Blick 

des Beifalls seines zierlichen Herrn versichert hatte, 

setzte er zu einem neuen, noch respektloseren Schlag an.

Hat der Heiland das selbst geschrieben? fragte er ungläubig.


Aufrichtig schüttelte der Bruder sein feines Haupt. 

Schweiß perlte auf seinen ergrauten Schläfen.

Der Heiland hat nicht geschrieben, gestand er, 

und wieder entkam ihm die Antwort gegen seinen Willen, 


wie ein Hund, der von einem Mächtigeren angelockt wird. 

Seine Lehre ging durch viele Hände. -

Dann ist sie nicht mehr tauglich für ein späteres Zeitalter,

entschied der Junge nun fest 


und mit schrecklicher Überzeugung, 

abgestandenes Wasser macht krank. -

Klaus, jammerte die Mutter, 

und in ihrem überwältigenden Entsetzen glaubte sie, 


dass ein höllischer Dämon in der Ecke hockte 

und seinen schwarzen Speer auf ihr Herz 

und das Innerste der Welt richtete. 

Und doch war der Dämon immer noch schön und herrlich. 


Auch der Vater stieß nun ein schmerzhaftes, 

ängstliches Keuchen aus. 

Nur der Mönch lehnte sich stumm und starr 

auf seinem Stuhl, denn der Fels seines Glaubens 


wuchs unter ihm, so dass die Strudel ihn nicht erreichten.

Sündige weiter, Korah, sprach er fest.

Aus dem Feuer des Herdes aber 

ertönte ein spöttisches Kichern, 


und davon irritiert, brach es ohne jede Rücksicht 

aus dem Abtrünnigen hervor, die Leidenschaft, 

zu herrschen und andere nach seiner Überzeugung 

zu formen, schlug Flammen:


Ist Gott reich oder arm? -

Reich, antwortete der Geistliche schwach.

Ist der Kaiser reich oder arm? -

Gott helfe dir, reich, flüsterte der Priester gezwungen.


Da riss Klaus seinen Spieß vom Estrich, 

streckte dem Mönch das Eisen steif entgegen, 

und während sein vorgeschobenes Haupt 

von der Glut des Herdes erreicht wurde, 


rief er mit grimmiger Wut und funkelndem Auge:

So möge Gott endlich aufhören zu fordern und zu bedrängen, 

und der reiche Kaiser möge den Armen geben, 

was den Armen gehört.


Nach dieser hasserfüllten Entrüstung 

rührte sich eine Zeitlang nichts. 

Die alten Beckers schlossen aus dem aufgeregten, 

zerreißenden Ton nur, dass ihr Sohn, 


ihr einziges liebes Kind, in die kalten, dunklen Tiefen 

der Verdammten gestürzt sein musste, 

während er versuchte, die Ketten zu erschüttern, 

mit denen die Erde vom Himmel herabhing. 


Auch sie verstanden das nicht genau, 

und doch zog es die armen Menschen 

mit zwingender Kraft dazu, ihre ohnmächtigen Hände 

nach dem Verlorenen in der Höllenspalte auszustrecken. 


Sie schauten sich noch immer hilflos an 

und suchten Trost in ihren 

von keinem Verständnis erhellten Gesichtern, 

als sich Bruder Franziskus von seinem Sitz erhob, 


und während er sich fest und endgültig 

in sein Gewand hüllte, beugte er sich 

und starrte vor sich hin, bis er die Schwelle erreichte. 

Hier aber verringerte er seinen Schritt, 


und in das Holz der Brettertür hinein 

sprach das zarte Männchen nach hartem Ringen:

Rufe mich, Klaus, wenn dich die Not 

der Verlassenen drängt. 


Der Heiland wohnt auch in denen, die ihn lästern. 

Du wirst es erfahren.

Dann war er wie ein grauer Schatten entschlüpft. 

Und in der Hütte zitterte die Stille.


Aber die frommen Augen des Zisterziensers 

hatten deutlich genug in die zuckende Seele 

dieses kämpfenden Menschenkindes geschaut, 

denn etwas von der heilsamen Allbarmherzigkeit 


des Gründers der Christenheit 

pochte wirklich schmerzhaft 

in jedem Pulsschlag des Jungen. 

Und das, was den Mönch abstieß, 


war nur in jenem lodernden Wahn zu suchen, 

der den Ausgleich und die Verherrlichung 

der Bedrängten und Gequälten auf dieser Erde sofort, 

im nächsten Augenblick, womöglich 


durch wilde, durch erdrückende Gewalt herbeiführen wollte. 

In den Fieberträumen des gärenden Mannes 

erhob sich immer mahnender eine gepanzerte, 

goldglänzende Faust, seine eigene, 


die das jämmerliche Dasein zurechtrückte, 

und seine Nächte wurden ständig von der Qual gestört, 

ob er, der Schmutz-besudelte, sinnliche Lustmensch, 

das flammende Schwert wirklich 


in seine besudelten Hände nehmen dürfe. 

In solcher funkelnden Dunkelheit, 

wenn vor seinen weit aufgerissenen Augen 

der alte Klaus Becker, die Mutter, 


sowie Anna Eberhard in golddurchwirkten 

Purpurgewändern stolzierten, 

weckte er oft den neben ihm liegenden Magister, 

um in nicht mehr erträglichem Zweifel zu flüstern:


Muss es ein Reiner sein, der die Ehre auf die Erde bringt?

Aber der epikureische Zwerg ekelte sich 

vor solch ernsthaftem Zwiespalt, 

denn sein flatterhafter Geist hatte nie aufrichtig 


an Selbstprüfung gedacht, und so schlug er schläfrig 

nach der Hand seines Freundes 

und murmelte ihm zornig zu:

Lass mich in Ruhe, du Betbruder! 


Wer den leeren Bäuchen das Essen bringt, 

braucht nicht erst die Schüssel zu reinigen. 

Und nun schnarche und träume 

vom Schoß der Becki!


Aber Klaus träumte nicht mehr von dem Körper, 

der ihn unterjocht hatte, 

oder den er sich unterjocht hatte, 

er beutete ihn nur noch gierig aus, 


wie der Goldgräber, der in der Grube 

wahnsinnig nach dem letzten Funken sucht, 

und der Magister ahnte nicht, dass sein Zögling 

schon von Ekel und Überdruss 


in jenes verschlossene Herrenbewusstsein gejagt wurde, 

das selbst hinter dem weißen Kleid 

der schamhaftesten Frau die Hure wittert.

Ja, der Irre wagte bald nicht mehr, 


seine Mutter und die zur Jungfrau erblühte 

Anna Eberhard gläubig anzuschauen, 

so wenig ahnte er, 

was er in ihnen vermuten sollte.


Dunkle, düstere Winternebel zogen auf, 

und an ihrer grauen Wand schrieb 

schon eine geisterhafte Faust 

unverständliche Zeichen von dem, was kommen sollte.


Die Stunde des Schicksals dämmerte herauf.

Es war ein kalter, nasser Novembernachmittag. 

Aus dem Dunst geisterte es in schrägen Linien herab, 

aus ihm wurde der Rauch des Kamins rauchig 


um die Hütte gepresst, und das Meer 

zischte glasige Eisbrocken gegen die Strandsteine. 

Zu dieser Stunde, während der Vater schlief 

und die Mutter geräuschvoll mit den Töpfen klapperte, 


deckte sich Klaus wie in wütender Bitterkeit 

mit seiner Ledermütze zu, 

hüllte sich eilig in sein Robbenwams 

und schlich sich unbemerkt aus der Hütte. 


Als er den weichen Hagel um sich herum spürte, 

atmete er gierig und doch verstohlen die feuchte Luft ein, 

wie ein Dieb auf einer schlechten Flucht. 

Er wusste, dass der Pfad, den er zehnfach verabscheute, 


sein Maul wieder gegen ihn öffnete, 

um den Wanderer ohne Mitleid zu verschlingen. 

Seit einer Woche kämpfte er einen erbitterten Kampf 

gegen seinen Hunger, gegen die abscheuliche Lust, 


ein anderes Geschöpf zu entwürdigen 

und es dennoch in seliger Knechtschaft zu halten, 

aber jetzt, jetzt war aller Widerstand in ihm erschöpft 

und mit einem Mal gebrochen. 


In langen Sprüngen eilte er von den Dünen hinunter 

zum Strand, und richtig, da unten schob Hein Wichmann 

das Boot gerade zwischen den Steinen hervor. 

Dumpf, in abgehackten, mürrischen Worten, 


verlangte der Bursche von seinem Lehrer, 

dass er heute allein das Netz machen dürfe, 

weil er selbst, weil, kurzum, er würde 

gegen Morgen wieder zu Hause sein. 


Und seltsamerweise, ohne das übliche spöttische Lächeln,

nickte der kleine Junge diesmal schnell und zustimmend, 

ja, es schien fast, als ob es ihm nicht ungelegen käme, 

die Seereise allein und unbeobachtet antreten zu können. 


Eilig grüßte er den abreisenden Mann, 

lobte ihn dafür, dass er sich freute, 

mitten im Winter runde Äpfel 

vom Baum schütteln zu können, 


alles gleichgültig und ohne Mitgefühl, 

und wandte sich dann wieder seinem Boot zu, 

das doppelt so viel zu tun hatte. 

Doch Klaus zögerte noch eine Weile. 


Für kurze Zeit befreite sich der scharfe Verstand des Jungen 

von den üppigen Bildern, die ihn blendeten, 

und ahnungsvoll durchfuhr ihn die Erkenntnis, 

wie sehr sich das Wesen des Kleinen 


in den letzten Tagen verändert hatte. 

Seltsamerweise hatte eine treibende Unruhe 

über Hein Wichmann die Oberhand gewonnen; 

Klaus erinnerte sich, dass sein Freund 


nun Nacht für Nacht umherstreifte, 

vor allem auf den Höhen der Insel, 

ja, der Fischersohn erinnerte sich, 

wie er an einem der vergangenen Abende 


den Magister heimlich auf einem ins Meer 

ragenden Steinhaufen beobachtet hatte, 

wo der strohhaarige Mann ein unverständliches Spiel 

mit dem Feuer betrieb. 


Er hatte dort ein Reisigbündel angezündet, 

und zum Erstaunen des Zuschauers wurden 

die brennenden Äste von dem einsamen Mann 

nacheinander in die Abendluft geschleudert. 


Was hatte das zu bedeuten? 

Sollte hier jemandem ein Zeichen gegeben werden?

Als Klaus nach ihm rief, erschrak der kleine Junge. 

Was machst du da? hatte der Junge gerufen. 


Doch statt einer Antwort hatte der verstörte Junge 

das schwelende Bündel ins Wasser geschoben, 

mit den Schultern gezuckt und wütend zurückgegeben:

Meinst du, ich halte es hier vor Langeweile noch länger aus? 


Störe mich wenigstens nicht, während ich mich anmutig 

mit den dummen Fischen amüsiere.

Damit sprang er von den Steinen herunter 

und rollte wortlos in die Hütte. 


Seitdem aber hatte sich in seinem Schüler 

der Verdacht eingenistet, dass Hein Wichmann, 

dieses unentbehrliche Gefäß der krausesten Erkenntnis, 

dieser Galgenstrick, in dem die gemeinsten 


und liebenswürdigsten Eigenschaften 

in bunter Verwirrung wirbelten, ach, 

dieser unstete Wanderer gewiss schon seine Flügel 

zum Flug ins Unendliche ausbreitete. 


Und das Herz des liebevollen Jungen 

wurde davon verzehrt, neidisch unfähig, 

etwas zu opfern, was es einmal in Besitz genommen hatte. 

Sollte er nun vielleicht allein gelassen werden, 


um wieder in Dumpfheit und Knechtschaft 

unter den alten Leuten zu versinken?

Schon waren Stunden seit der Begegnung vergangen, 

nach hemmungsloser Ausschweifung 


hing Klaus ernüchtert 

und voller Selbstverachtung 

auf dem elenden Bettgestell in der Kammer Beckis, 

und das Gefühl, ein Ausgestoßener zu sein, 

ohne Ziel und Richtung zur Allgemeinheit 


verdammt zu sein, belastete ihn 

mit solchen Gewissensängsten, 

dass er den Kopf in beide Hände stützte 

und wie begraben vor sich hinstarrte. 


Was sollte nun folgen?

Wenn Hein Wichmann wirklich eines Morgens 

verschwunden war, würde ihn dann nicht nur 

diese elende Frau über die hoffnungslose, 

ewig unveränderliche Front 


eines unfreien Menschen hinweg täuschen? 

So blieb ihm nur der Ekel oder die grelle Trostlosigkeit, 

wenn er die Qualen eines an die Scheide

Einer Frau gefesselten Knechtes vergessen wollte! 


Entfliehen? Ja, wenn nur ein Leibeigener 

nicht für jede Bewegung die Zustimmung 

seines Herrn bräuchte. 

Warum war er dazu verdammt? Ausgerechnet er? 


Und gab es nicht unzählige andere hier, 

die diesem Fluch zum Opfer gefallen waren? 

Mit einem heftigen Ruck erhob er sich in die Luft, 

und seine Augen funkelten so dunkel und bedrohlich, 


dass die Becki, die hochmütig vor ihm 

auf und ab tänzelte, befremdet innehielt. 

Sobald sie ihre Fassung wiedererlangt hatte, 

lächelte sie sogar über den unreifen Wildling; 


denn sein gärendes Wesen 

wie auch das bunte Gefieder seines Geistes 

riefen bei der Denkfaulen außerhalb seiner Umarmungen

höchstens Spott und Hohn hervor.


Geh nach Hause, kleiner Junge, sagte die Dirne 

und schnippte mit dem Finger gegen ihre vollen Lippen, 

damit du deine Mutter nicht störst. 

Selbst meine Alte hört vielleicht auf zu schnarchen, 


wenn du die Tür wieder so zuschlägst.

Leise öffnete das Mädchen die Klappe der Kammer 

und spähte in den Schenkraum. 

Allein dort draußen lag alles im Halbdunkel, 


nur eine schwache Öllampe flackerte auf dem Tisch, 

und am Kamin schlief ein buckliger Querpfeifer, 

der den Gästen am Vorabend 

seine Melodien vorgespielt hatte. 


Jetzt ruhte sein pockennarbiger Kopf auf der Feuerstelle.

Du kannst gehen, riet Becki noch einmal, 

nachdem sie sich von dem freien Ausgang überzeugt hatte. 

Doch mit einem Mal geriet ihr herablassender Tonfall ins Wanken,


als sich ihr gleichgültiger Blick nun unerwartet 

mit dem ihres Besuchers verschränkte. 

Sie blieb wie gebannt auf der Schwelle stehen, 

und ihre zitternde Hand zog unwillkürlich 


das Leinen um ihren Hals fester.

Was schaust du mich so an? stammelte sie 

ziellos in springender Feigheit. 

Ich habe dir nichts getan.


Wie sehe ich dich denn an? erkundigte sich Klaus, 

den selbst, wie einen auf frischer Tat ertappten, 

ein kalter Schrecken 

aus seinen Gedanken geschreckt hatte.


Die vollbusige Frau aber zitterte immer noch.

Man könnte fast meinen, versuchte sie 

ihr Unbehagen hinter einem Lächeln zu verbergen, 

obwohl ihre zitternden Wangen sie Lügen straften, 


man könnte meinen, du wolltest mir an die Gurgel gehen.

Es sollte wie ein Scherz klingen, 

und das Mädchen streckte alle Glieder, 

als wolle sie die Kraft beschwören, 


die ihr immer geholfen hatte. 

Aber das ernste Gesicht des Jungen 

und vor allem seine vernichtenden Augen 

ließen sie nicht in ihr sicheres Gefühl zurückkehren. 


Und dann, hatte sie richtig gehört? 

Wurde sie nicht vielleicht doch 

von einem dubiosen Spuk getäuscht? 

Nein, nein, jetzt, es sprang ihr entsetzt in die Augen, 


der verfluchte Kerl dort griff wirklich 

in das Bettengewirr, drückte den Strohsack 

erbarmungslos zusammen und flüsterte 

heiser mit innerer Erniedrigung:


Hör zu, Becki, es wäre für uns beide besser gewesen, 

wenn ich dich früher in den Kissen erwürgt hätte.

Sie schrie nicht auf, sie zitterte nicht mehr, nein, 

vor dieser wilden Drohung, an deren innerer Wahrheit 


die erfahrene Frau keinen Augenblick zweifelte, 

gewann die Dirne vielmehr ihre alte Arroganz zurück. 

Sie erinnerte sich auch daran, dass sie nur 

zu schreien brauchte, um den Schläfer ins Innere zu locken. 


Sie richtete ihre Arme düster auf. 

Dann setzte sie sich ihrem Gast gegenüber 

auf ein Klappbrett, das sie von der Holzwand 

heruntergelassen hatte. So nah waren sich die beiden, 


deren Blut plötzlich von verzweifelter 

Feindschaft vergiftet war, dass sich ihre Knie fast berührten. 

Dann platzte Becki mürrisch, aber immer noch 

von einem hellen Strahl getroffen, heraus:


Du hättest recht, einen Menschen wie mich zu töten.

Es muss die dumpfe Nachdenklichkeit 

in dieser Anschuldigung gewesen sein, 

die den Jungen umstimmte. 


Er bewegte seine fein geformte Hand gebieterisch, 

als wolle er das Wort nicht geformt hören, 

dann sah er sich verwundert in der Runde um. 

Zum ersten Mal blickte er entgeistert 


auf den kahlen Hausrat, das elende, zerfledderte Bett, 

die grüne, schimmelige Feuchtigkeit der Wände 

und die rauchige Lampe an seinem Kopf. 


Auch die Wangen Beckis stachen ihm grell ins Auge. 

Wie vor etwas Unbegreiflichem schüttelte Klaus den Kopf, 

dann strich er sich schwer atmend die Locken aus der Stirn. 

Doch als sein Blick über seine zusammengesunkene, 


grübelnde Begleiterin schweifen musste, 

ergriff ihn die erdrückende Stille mit verzweifelter Kraft.

Sprich etwas! befahl er so bedrohlich, 

dass Becki taumelte.


Was soll ich sagen? erwiderte sie mürrisch.

Der Junge schlang die Hände umeinander, 

fand aber sonst wenig Ausdruck für sein Verlangen.

Wie du so geworden bist, so eine?


platzte er schließlich in grimmiger Verzweiflung heraus. 

Wie bist du so einer geworden?

Da starrte die Dirne ihren Peiniger sprachlos an, 

denn es war seine zärtliche Verehrung, 


die sie bisher gezwungen hatte, 

dieses Halbkind zu bemitleiden. 

Sie fletschte verärgert die Zähne, 

als könne sie sich kaum zurückhalten, 


ihm mit einem unerwarteten Biss ins Gesicht zu hacken. 

Doch allmählich verblasste die Feindseligkeit 

aus ihren grünblauen Augen 

und sie brach in schallendes Gelächter aus.


Du bist wirklich ein neugieriger Spatz, 

spottete sie unsicher, aber in ihrer Stimme 

lag ein raues Erstaunen. Verdammt, 

ich habe wirklich selbst etwas von dem alten Zeug gegessen.


Willst du das wirklich wissen? 

Pass auf, Kleiner, du kannst hier noch was lernen!

Mit einem sarkastischen Lächeln lehnte sie sich zurück, 

legte die Hände in den Schoß 


und schleuderte ihm dann ihre Dirne-Geschichte ins Gesicht,

abgehackt, bösartig, anmaßend, als wäre es 

eine lächerliche Selbstüberschätzung eines kleinen Mädchens,

überhaupt die Wege ihrer Zunft erkunden zu wollen.


Ja, du Milchbart, was zehn Mäuler 

an einem armen Hufbauer fressen, 

davon hat dir deine Mutter hinter dem Herd 

sicher nichts erzählt? 


Sieh mal, ich bin so ein Maulwurf! 

Auf unserem kleinen Feld ist gerade 

eine einzige Kuh verhungert, aber was hat es genützt? 

Das Stückchen Land ist noch nicht zerlumpt genug, 


der Edelmann aus der Nachbarschaft 

muss noch sein gnädiges Auge darüber werfen. 

So ist die Gegend voll von Geschrei 

über Raub, Diebstahl und Einbruch, 


bis eines Tages der Bauer im Turm des Gutsherrn 

seine eigenen Knochen anknabbert. 

Kaum ist das Skelett befreit, 

wird es vor den Hof des Herzogs von Wolgast gebracht. 


Die zehn Mäuler müssen gestopft werden, 

und irgendwo wird schon Recht gesprochen werden! 

Es kann doch nicht aus der Welt gelaufen sein? 

Zwei Jahre dauert der Streit, zwei Jahre, 


bis die Augen blind werden vor Heulen und Angst. 

Dann, hörst du, haben die Beamten, 

Schreiber, Ratsherren und Gerichtsvollzieher 

den Rest des Feldes aufgefressen. 


Hei, da stehst du nackt und bloß auf der Straße, 

und die Nachbarn schlagen dir die Tür vor der Nase zu. 

Was nun, Klaus, was nun? Ich werde es dir sagen. 

Was hat es gebracht, das Handwerk des Meisters zu erlernen? 


Man wird es einmal versuchen. 

In Wolgast gibt es einen reichen Bäcker, 

ich selbst habe die Gelegenheit ausgekundschaftet, 

er hat unseren Besuch zu nächtlicher Stunde empfangen...


Becki grinst und beißt sich in die Finger, 

aber ihre bemalten Lippen zittern jetzt wie vor Kälte.

Diesmal dauerte der Prozess nur kurz, schluckt sie 

und reibt mit unnatürlicher Gelassenheit ihre Hände, 


nach acht Tagen stand ich schon mit meinem Vater 

unter dem Galgen. Aber bevor sie ihn hochzogen, 

oh, das war gut, rief er mir über alle Maßen zu: 

Der Himmel hat große Pläne mit uns! 


Siehe, meine Tochter, ich werde in meinem Alter lernen, 

in der Luft zu tanzen, und du, meine Tochter, 

freue dich, du wirst eine Hure werden. 

Und vergiss nicht, mein Junge, das letzte Wort eines Vaters 


ist nicht zu entehren. - Mit diesen Worten 

stand die Erzählerin auf, drehte ihrem Besucher 

den Rücken zu und kratzte an der Wand, 

als ob es keinen Sinn machen würde. 


Plötzlich aber sprang sie zurück, 

schlang ihre Arme um seinen Hals 

und bedeckte das Gesicht des erstarrten Mannes 

mit unbändigen Küssen.


Komm, mein Junge, gurrte sie voller böser Angst, 

als wären ihr der Büttel und die Todesreiter 

wieder auf den Fersen, was nützen deine Torheiten? 

Die Hauptsache ist, jung zu sein. Jung! 


Horch, unsere Herzen! Springen sie nicht 

gegeneinander wie kleine Lämmer? 

Komm, gib mir Geld, meine alte Hexe hat dir 

wieder ein hübsches Sümmchen gewechselt, 


und dann braue ich dir da drin Met, 

und wir trinken, bis uns Flügel wachsen. 

Kopf hoch, kleiner Junge, küss mich 

und bleib bei mir. 


Berauscht und gleichzeitig erschrocken 

über sein starres Gesicht, klammerte sie sich an ihn. 

Was ist los mit dir? murmelte sie erneut, als sie merkte, 

dass sich ihre Begeisterung nicht auf ihn übertrug. 


Dann sank sie erschöpft wie ein schwerer Holzklotz 

vor ihm in sich zusammen.

Klaus aber stand neben ihr, unfähig, sich zu bewegen. 

Und obwohl seine Glieder zitterten und bebten, 


hatte die Dirne richtig gesehen, als sie spürte, 

dass ihr Gast nicht mehr bei ihr war. 

Ungläubig, halb erstickt, sah er hinter den seufzenden Scherben 

zu seinen Füßen die vergewaltigte Menschheit. 


Und er konnte nicht glauben, dass dies alles 

seine Brüder und Schwestern waren. 

Von den Türmen der Adligen sprangen verfaulte Scharen,

voreingenommene Richter hackten die Gerechtigkeit 


in den seidenen Kitteln, 

und überall sprossen Galgen aus der Erde, 

die den Armen und Elenden nachliefen 

und ihnen zubrüllten:


Freut euch, ihr lernt im Alter in der Luft tanzen, 

und oh Freude, eure Töchter werden zu Huren!

Nein, nein, das war nicht die Welt, die der Vater 

oder der Landvogt verkündeten. 


Als Klaus endlich die Augen aufschlug, glaubte er, 

aus der elenden Lampe über seinem Kopf 

zischten Blitze herab, deren schwefelhaltiges Licht 

ihn blendete und versengte. 


Seine Kleider fingen an, am Körper zu brennen, 

und über allem schwebte eine grenzenlose Angst: 

Was hatte er, der Frevler, getan, 

dass er sich den wütenden Galgen eingefangen hatte? 


Umgekehrt, umgekehrt, er hatte sich doch über eine 

der Verlorenen geworfen, um sie 

bis auf die Haut auszurauben 

und gänzlich auszuplündern.


In der Zwischenzeit war die Schwäche 

aus der Dirne gewichen. 

Mürrisch richtete sie sich auf.

Raus hier, du Lumpenhund. Was stocherst du in mir herum?


Klaus konnte das kalte Entsetzen, das ihn ergriffen hatte, 

nicht mehr zurückhalten. Unbewusst, 

sei es aus Mitleid oder aus der Sucht heraus, 

sich von dem Schuldspruch freizukaufen, 


schüttelte der Bursche mit fiebrigen Händen 

einen Regen von Silber- und Kupfermünzen 

über dem struppigen Haar des kauernden Mädchens aus, 

und der Flüchtige war so erregt, dass er sogar den Rest 


des Geldes nach dem schläfrigen Pfeifer warf, 

als wolle er sich wehren, als er durch den Schenkraum flog. 

Auch er war ein gepeinigter Mann, der nachts 

auf den Landstraßen fror und sein Elend 


aus den fünf Windlöchern hinaus wischte. 

Weg, nur weg von hier, um nie wieder 

der Wahrheit in ihr lächelndes Gesicht zu schauen. 

Doch der Pfeifer sprang den rollenden Münzen hinterher 


und war überzeugt, dass er es mit einem edlen 

Nachtschwärmer zu tun haben musste. 

Der Bucklige schnappte sich dankbar sein Instrument 

und eilte dem launischen jungen Herrn nach, 


entschlossen, dem so unvernünftigen Drängler 

durch seine Kunst den Weg abzukürzen. 

Draußen tauchte die Gestalt im Wams des Seehunds 

hin und wieder aus den morgendlichen Dämpfen auf, 


und der Dudelsackspieler keuchte stolpernd und stürzend 

den abschüssigen Weg entlang, während sein Instrument 

seltsam hohe, zerrissene Töne quiekte. 

Doch allmählich verlor der Verfolger sein Ziel aus den Augen, 


und an einer Biegung des Weges blieb er stehen, 

holte Luft und streichelte genüsslich sein Querholz, 

das ihm so hohe Ehren eingebracht hatte.

O Maria, lass mich in Ewigkeit dein Erbarmen besingen!




SIEBENTES ABENTEUER


Der Mond verblasste in seinem feuchten, blassen Hof, 

als Klaus aus den toten Ästen des Sassenwaldes 

auf die Höhe der Dünen trat. 

Unten fegte ein starker Wind über Strand und Meer, 


fegte den Dunst weg und öffnete einen weiten Blick 

für die Ankunft. Schwarz und düster wogte 

die anschwellende Weite am Rande des Horizonts, 

und ihre dunklen Hügel wanderten schräg 


in melancholischen Reihen 

auf die ferne Bucht von Binz zu. 

Dazu schwebte von überall her 

ein nicht enden wollendes Brummen über die Bahn, 


als ob schlaue Bienenschwärme 

im Morgengrauen den Heimweg suchten.

Und doch, dort unten war es hell, 

und das Gespenst der grauen Buchenstämme war überwunden.


Endlich! Der verschlafene Heimkehrer 

wandte sich noch einmal dem kalten, nebligen Wald zu, 

um sich ungläubig zu vergewissern, 

ob all die verwirrten Gestalten, 


die ihn bisher begleitet hatten, 

dort hinten zwischen den tropfenden Büschen 

wirklich vom Erdboden verschluckt waren. 

Aber nichts rührte sich mehr, 


und es war wohl nur seine verzweifelte Erinnerungsgabe, 

wenn scharfe, halb wahnsinnige Geräusche 

sein Gehör noch durchschnitten. 

Es klang wie das Weinen eines verstörten Kindes. 


Klaus schüttelte sich und wischte sich die Regentropfen 

von der Stirn. Dann trat er weiter hinaus, 

und seine Augen tranken durstig das 

immer noch große Bild. 


Ja, da draußen, murmelte er sehnsüchtig, da draußen! 

Die uralte Vorstellung der Küstenbewohner überkam ihn, 

dass der silberne Ring, der die bewohnte Erde umgab, 

auch die Macht besaß, alles Unglück, 


alles irdische Leid 

in Freiheit und Vergessenheit aufzulösen. 

Und er wusste noch nicht, dass alle Wasser der Ozeane 

nicht ausreichen würden, um die Verbrennungen zu kühlen, 


die seine zarte Seele heute Nacht empfangen. 

Der Wind knisterte um ihn herum 

wie der Klang von Fahnen, 

und das Meer sang sein tausendstimmiges Kampflied 


unter ihm und fegte den leicht entflammten Mann fort. 

Er warf beide Hände hoch und schrie zur Antwort: 

Ich will, ich will! Natürlich, wer konnte schon sagen, 

was er da mit heiliger Entschlossenheit schwor? 


Und doch, es war sein Bündnis mit dem Willen der Welt. 

Und der Wille der Welt gebiert die Tat. 

Und die Tat allein verändert, was geschaffen wurde.

Mit dem unerklärlichen Gefühl unverdienter Sühne 


bereitete er sich auf den Abstieg vor. 

Da wurde er noch einmal 

aus seinen goldenen Wolken gerissen. 

Tief unter ihm, wo das Häuschen von Eberhard, 


dem Mattenweber, eingekeilt 

zwischen den beiden vorspringenden Hügeln lag, 

bewegten sich trotz der frühen Morgenstunde 

ein paar unerkennbare schwarze Punkte. 


Es sah aus, als würden sich hungrige Krähen 

um einen Happen Fleisch streiten. 

Klaus stolperte. Das waren doch sicher Menschen? 

Was taten sie dort? An diesem einsamen Ort? 


Und in langen Sprüngen stieg 

der verdächtige Mann von den Dünen herab.

Fast im selben Moment trafen sich drei Männer 

vor dem schiefen Tor des Mattenweberhäuschens, 


das sonst nur für Eingeweihte 

sichtbar wie ein großer brauner Pilz 

zwischen den Trümmern hing. 

Vom Strand aus war es der Landvogt, 


der mit schwerer Faust und lautem Klopfen 

an die Tür schlug, während auf der anderen Seite 

des Dünenweges, kaum einen Gedanken später, 

ein pelzbekleideter Jäger und sein Knecht 


um die Ecke der elenden Siedlung bogen. 

Unmittelbar vor dem Eingang stießen sie aneinander. 

Überrascht und verärgert schob 

der vorderste der Bewaffneten seinen grünen Hut aus der Stirn 


und schnauzte den Vogt an, als hätte man ihn soeben 

bei der Überschreitung seiner Befugnisse erwischt. 

Doch gleichzeitig schwappte eine Welle der Verlegenheit

verräterisch über die Wangen des Jägers.


He, was ist los? rief er, überhaupt nicht erfreut 

über die Begegnung. Langsam zog der Landvogt 

die Lederkappe von seinem kahlen Schädel.

Ich bin es, Knappe, erklärte er ohne besondere Furcht. 


Gemäß dem Erlass des Priesters muss ich...

Doch bevor der Satz zu Ende gesprochen werden konnte, 

wurde der Querbalken von innen zurückgeschoben, 

und spähend, kaum bekleidet, beugte sich Anna Eberhard 


über die Schwelle. Gegen den Morgennebel 

krümmte das Mädchen die Schultern, 

nur durch ein Leinenhemd geschützt, 

und die nackten Füße zitterten unter dem kurzen Rock. 


Ihr reiches, blondes Haar fiel noch immer unordentlich 

weit über ihren Rücken. Statt ihn anzusprechen, 

legte sie nur flehend den Finger vor die Lippen, 

als Zeichen, dass vor allem die Ruhe nicht gestört werden solle;


dann glitten ihre noch immer kindlichen Augen 

schüchtern und flehend zum Grafen hinüber, 

und ihre ganze Gestalt begann zu zittern wie ein Tier, 

das auf den Schlag der Schlachtung wartet. 


Die Bewegung erzählte von unentrinnbarer Armut, 

von Verfolgung und Verstrickung 

und von dem jämmerlichen Elend 

des drohenden Unterliegens. Die Geste war so beredt, 


dass selbst der Junker von Cona 

ein unnatürliches Lachen ausstieß.

Hier bin ich, rief er, obwohl die Begrüßung 

fröhlich klingen sollte, und ohne dass der Jäger verstand, 


wie ein aufmerksamer Mensch leicht 

das Komplott hinter diesem Ausruf entdecken konnte. 

Eine Weile blickte auch der Vogt schweigend 

von einem zum anderen, doch dann zog er 


die zotteligen Augenbrauen zusammen, 

zuckte mit den Schultern und wandte 

seine massige, gehetzte Gestalt wieder 

dem Mädchen zu. Ja, es hat keinen Zweck, 


beharrte er, die Frist ist abgelaufen. Wie sieht es aus?

Bei der mürrischen Aufforderung lief der Ermahnten 

ein neuer Schauer über die Schultern, 

die Farbe ihrer Wangen veränderte sich, 


und während sie halbherzig zurück in die Hütte deutete, 

stammelte sie, um doch noch etwas zu antworten:

Wahrlich, wahrlich, Mutter liegt krank.

Der Gerichtsvollzieher krallte sich 


in die Halskrause seines Bartes; 

er schien an die Ernsthaftigkeit des Einwands zu glauben.

Ich weiß, gab er zu, was ist los?

Jetzt hielt sich die Blondine an dem Pfosten fest.


Das Feuer hat sie umgehauen, stammelte sie, 

getäuscht von der Aussicht, dass ihr Unbehagen 

doch noch ihr Mitgefühl gewinnen könnte. 

Ich kann weder etwas sehen noch hören.


Schlecht, murmelte der Landvogt, 

der schwarze Nebel ist schuld daran. 

Doch schon kramte er in seiner Ledertasche 

und fragte in Ausübung seines harten Berufes: 


Hat sie dir den Groschen gegeben?

Da weiteten sich die blauen Augen des kleinen Mädchens, 

und in der Überzeugung, dass ihre letzte Hoffnung 

nun schwand, senkte sie den erhobenen Arm 


und schüttelte zerknirscht den Kopf, auf alles gefasst. 

Sie sah aus wie ein gerade gefangener Vogel, 

der kampflos und fassungslos durch das Gitter blinzelte.

Ja, dann nützt es nichts, entschied der Vogt 


und knurrte nach einer Weile: Kannst du es dir nicht 

bei den Beckers ausleihen?

Es war noch ungewiss, ob das Mädchen 

in seinem Unverständnis den Faden, 


der ihm zugeworfen wurde, aufgreifen konnte, 

als etwas Schnelles und Unerwartetes geschah. 

Der junge Graf hatte diesen Verhandlungen 

schon lange zugehört, und von Zeit zu Zeit 


stieß er scherzhaft mit seinen beiden Doggen zusammen, 

die ihm wie Schlangen auf den Fersen waren. 

Nun aber drängte sich Malte Cona ungeduldig 

an das Mädchen heran, ganz dicht und eng, 


so dass der schmale Spalt in der Tür 

für die beiden Körper fast nicht ausreichte, 

und es war wirklich kaum wahrnehmbar, 

wie nun der Jäger seiner Nachbarin, 


die seine Hilfe nicht im Geringsten unterstützte, 

hinter ihrem Rock geschickt einen Lederbeutel 

in die Hand spielte. Kaum spürte die Weberstochter 

den prallen Gegenstand zwischen ihren Fingern, 


da vollzog sich eine auffällige Veränderung an ihr. 

Ihr ganzes Gesicht wurde so weiß 

wie Leinen auf der Bleiche, 

ihre Füße versagten ihr den Dienst, 


und ihre Augen, die vorher so klar waren, 

sanken dumpf und schuldbewusst auf das Schilf 

vor der Türschwelle. Dem Willen eines anderen gehorchend, 

ganz ohne eigenen Antrieb, hielt sie dem Landvogt vor, 


was sie erhalten hatte. Hier, murmelte sie tonlos. 

Und dann plötzlich, als ob etwas sie zwang, 

das Geld schnell wieder loszuwerden: Da, nimm es.

Der Vorgang sprach zu deutlich, 


um missverstanden zu werden. 

Wieder ließ der Gerichtsvollzieher seinen Blick 

von einem zum anderen gleiten. 

Doch dann nahm er den Beutel langsam, 


um den Inhalt nachdenklich und ohne Eile zu zählen.

Es ist zu viel, stellte er schließlich fest.

Dann behalte es der Bettler, rief der junge Graf grimmig.

Der Landvogt aber blieb so undurchschaubar wie immer. 


Die Eberhards haben nichts zu verschenken, 

sagte er ruhig, während er dem Mädchen 

den Rest bereits wieder aushändigte, 

und fügte rätselhaft hinzu: Vielleicht weißt du es nicht, 


Geld kommt selten zu armen Leuten.

Damit begann der zottelhaarige Mann, 

seine Ledertasche aufzuschnüren, 

und schien durchaus gewillt zu sein, 


Zeuge dessen zu sein, was nun folgen würde. 

Doch der Junker, dem die feuchte Kälte 

immer mehr zusetzte und der durch die Nähe 

des demütigen, zitternden Wesens daran erinnert wurde, 


dass er gekommen war, um zu jagen, 

um Männer zu jagen, beschloss, 

all den unnötigen Hindernissen, die er schon 

seit Monaten ertragen hatte, mit einem Ehrenwort 


ein Ende zu setzen. Komm, Dirne, 

forderte er ohne Zögern, aber mit einer Art 

gutmütiger Frische, ich will dir die Ehre erweisen. 

Gib mir einen heißen Schluck da hinein, 


und ich will dich loben.

Hier schnappte der Vogt heftig die Schnürsenkel 

seiner Tasche zusammen und brach 

in ein heftiges Wolfshusten aus. 


Das Mädchen aber, ohne die Anwesenheit 

des anderen weiter zu beachten, 

stemmte sich mit beiden Armen gegen die Türpfosten, 

so dass der Eingang versperrt war, 


und rief, die hellen Augen 

auf den stattlichen Mann gerichtet, 

in großer Sorge, aber zugleich wie in verwirrter, 

überstürzter Neigung aus:


Bedenke, Herr, das kannst du nicht wollen. 

Meine Mutter, sie sieht und hört nichts mehr.

Da lachte der Jäger halb in Trotz und halb in Scham, 

weil ein kleines Mädchen ihn 


von ihrer Schwelle vertreiben wollte. 

Hastig umklammerte er ihren Arm und schob sie beiseite.

Mach keine kleinen Mätzchen, sagte er zu ihr, 

was braucht die Alte mich zu sehen, wenn ich bei dir bin?


Schon setzte er seinen Fuß auf die Schwelle. 

Aber das schwache Geschöpf, das fühlte, 

wie sie jetzt von jeder äußeren und inneren Hilfe 

verlassen sein würde, 


lehnte beide Fäuste gegen seine Brust 

und atmete ohne Widerstand und Zorn:

Erbarme dich, lieber Herr, erbarme dich.

Wäre ihr Unterdrücker jetzt mit ihr allein gewesen, 


so hätte er vielleicht von ihr abgelassen und sie gescholten, 

denn die schlichte Reinlichkeit ihrer Jungfräulichkeit 

verfehlte ihren Eindruck auf sein herrisches 

und verdorbenes Gemüt nicht ganz. 


Aber leider sahen die beiden Fremden dem Spiel zu, 

und wie konnte der Grafensohn die Zurückweisung 

eines solchen Katzenweibes hinnehmen? 

Er schürzte spöttisch seine vollen Lippen 


und stieß einen schrillen Pfiff aus, 

so dass die beiden Tiere hoch über ihm aufstiegen.

Vogt, rief er mit seinen dunklen, funkelnden Augen, 

die in ihrem Jähzorn denen von Klaus Becker ähnlich waren, 


wie ist das? Gehören hier nicht schon lange 

ein paar Fischerknechte hin? Wie wäre es, 

das Nest auszuräumen 

und die Weiber auf den Hof zu bringen?


Die Drohung war wohl nur dazu gedacht, 

den Widerwillen der Blondine zu überwinden, 

aber sie hatte keine Wirkung auf den Gerichtsvollzieher.

Seelenruhig schloss der breitschultrige Mann seine Tasche, 


packte seinen Kronenstab fester 

und schüttelte schließlich entschlossen 

seinen massigen Kopf. Dazu habe ich kein Mandat, 

wies er die Zumutung ohne eine Spur von Zugeständnis zurück.


Ich tue, was mein Amt verlangt, mehr nicht. -

Na, dann pack dich, befahl der Jäger, dunkelrot und gereizt.

Nun, mein Herr, das kann ich tun, 

stimmte der Gerichtsvollzieher zu, 


immer mit der gleichen Besonnenheit, 

warum nicht? Lebe wohl.

Respektvoll, als ob nichts weiter geschehen wäre, 

lüftete er seine Mütze 


und schritt dann weit in Richtung der Dünen. 

Doch kaum hatte er den Rand des Weidengebüschs erreicht, 

ließ er sich auf eine Welle aus Sand hinuntergleiten 

und duckte seinen unförmigen Körper vorsichtig 


hinter die verbliebenen braunen Blätter der Stöcke. 

Mensch, Velten, dachte er bei sich, diese Spezies denkt immer, 

sie sei allein auf der Welt. Was glaubst du, 

wie lange sie sich noch den Rahm aus der Milch schöpfen lassen?


Damit stieß er seinen Stock in den Boden 

und legte sich auf die Lauer.

Vor der Hütte aber hatte die Sucht 

nach Besitzergreifung inzwischen den Streit entschieden.


Zwischen Aufforderung und Befehl 

hatte der Jäger das halbdunkle Zimmer betreten, 

und er wollte seine beiden Doggen 

nicht einmal daran hindern, schnüffelnd vor ihm herzulaufen. 


Nun tasteten sie in der düsteren Enge herum, 

bis die Tiere plötzlich wie auf einen Schlag 

vor einem traurigen Bettgestell stehen blieben. 

Blähend richteten sie ihre roten Zungen 


auf ein wächsernes Menschenbild, 

das tief in einen groben Strohsack gekrümmt lag, 

die Augen geschlossen und der Atem hechelnd. 

Es war ein erschreckender Anblick, 


als der Eindringling diesen Fieber-zuckenden Menschen

zum ersten Mal erblickte, und der unvorbereitete Mann 

schreckte vor den schwarzen Wangen 

und der spitzen, vorstehenden Nase zurück.


Gott schenke dir einen guten Tag, Frau, 

brachte er allmählich eine Begrüßung hervor, 

wobei er den ungebetenen Zeugen 

seiner wahnsinnigen Leidenschaft nach Kräften verfluchte. 


Wie geht es dir? Was machst du da?

Doch aus der Lade kam keine Antwort, 

nur ein schnelles Keuchen, 

das sich mit dem Hecheln der Hunde vermischte, 


und anstelle der Erschöpften 

gab schließlich die Tochter die Auskunft. 

Sie stand am Kopfende des Bettes, 

und während ihr Kopf und ihre Arme schlaff herabhingen, 


sagte sie ausdruckslos und verwirrt:

Sie weiß nichts. - Aber ja, nickte der Knappe.

Unbehaglich und benommen von der drückenden, 

erstickenden Luft unter dem niedrigen Gebälk 


ließ der junge Mensch einen schnellen Blick 

über das karge Elend seiner Umgebung schweifen, 

über die hölzernen Wände voller Rauch und Ritzen, 

über den kargen Hausrat, 


und sein Geruchssinn revoltierte heftig 

gegen den Dunst eines Haufens Binsen, 

der in besseren Tagen wohl zum Binden 

von Matten verwendet worden war. 


Jetzt lag es aufgestapelt zum Trocknen 

auf dem Dachstuhl unter der Decke. 

In all dieser hoffnungslosen Armut 

gab es nur einen einzigen Schimmer, einen Glanz, 


so schien es zumindest den immer wütender werdenden

Menschen, der von den langen Locken 

des Mädchens ausging. Weißblond 

schimmerten sie durch das Halbdunkel, 


wie ein fein gesponnenes Netz aus jungem Flachs, 

und der unbändige Wille des edlen Gastes 

klammerte sich nun an diese seidigen Fäden. 

Unruhig ließ er sich auf dem einzigen Stuhl am Tisch nieder, 


und da er seine Verlegenheit vor dem Wachsbild 

im nahen Bett nicht ganz überwinden konnte, 

versuchte er wenigstens, seine Absichten 

vor den Ohren der Lauscherin zu verbergen.


Komm her, Mädchen, flüsterte er.

Gehorsam schob sich die Gerufene näher heran 

und bemerkte kaum, dass sie ihre Füße bewegte. 

Dann stand sie dicht bei dem Jäger. 


Eifrig griff er nach ihrer Hand.

Siehe, murmelte er eindringlich 

und legte ihre Finger auf sein Herz, wie es klopft! 

Du hast es mir angetan. 


Doch als das Mädchen ängstlich den Kopf schüttelte, 

fuhr er eilig fort: Keine Angst, du dummes Ding, 

von nun an wird es dir besser gehen. 

Du hast nicht einmal ein Bett! 


Sag mir, wo schläfst du, du bleiche Leinwand? -

Dort, Herr. Sie zeigte auf den Kragen der kranken Frau.

Dort? Bei dem Gedanken, 


dass dieser jugendlich warme Körper 

jeden Abend neben dem grauenhaften Skelett 

seine Ruhe finden sollte, lief dem Mann 

ein sichtbarer Schauer über den Rücken. 


Beschwichtigend legte er seinen Arm um ihre Taille, 

doch kaum spürte er, wie sich die schlanke Kurve ihres Körpers

leise an ihn schmiegte, stieg ihm eine heiße Welle 

des Verlangens auf, und er versank in ihren roten Wirbeln.


Dirne, verflucht! stöhnte er in einer glühenden, 

unvernünftigen Hitze. Und während er die Blondine zwang, 

sich zu ihm auf den Stuhl zu setzen, 

kümmerte er sich weder um die kurzen Atemzüge, 


die den Strohsack dort in der Ecke schaukeln ließen, 

noch um die hölzerne Steifheit jener Gliedmaßen, 

die er jetzt geradezu zu biegen und zu brechen trachtete. 

In ihm brodelte nur die Glut und das planlose Durcheinander 


des Ergreifens. Goldfuchs, stammelte er, 

während er sich abmühte, komm schon, sperr dich nicht. 

Ich bin schon seit Monden hinter dir her,

ja, ja, das weißt du ganz genau. 


Du machst mich fast wahnsinnig! 

Oder sag mir, meine Liebe, bin ich dir zuwider?

Sie lag schon in seinen Armen, 

verwirrt vor Schreck, atemlos, 


aber dicht an seinem Mund flehte sie noch immer 

mit dem rührenden Bewusstsein der Verlorenen:

Herr, es ist nicht gut für mich, es zu wissen. 

Verschone mich.


Dann hörte er aus ihrem Ausatmen das Geständnis. 

Mit einem hellen Lachen jubelnd, nahm er sie ganz zu sich, 

und in der Leben-erschütternden Verschmelzung eines Kusses

verschwand alles Wesenhafte aus ihnen 


für die Dauer eines fallenden Regentropfens. 

Wie zwei glückselige Bienen, 

die selbst der Sturm nicht auseinandertreiben kann, 

hingen sie in einer blauen, golddurchwirkten Luft, 


und das einzige, was die Zeit zwischen ihnen maß, 

war der hämmernde Hufschlag ihres Blutes.

Aber dort am Kragen? Öffnete sich nicht ein Paar 

glanzloser Augen? Der tote Silberglanz 


eines geschlagenen Fisches hätte sie nicht 

seelenloser anstarren können, 

und so eifrig der verliebte Mann auch seinen Kopf 

hinter den Schultern des Mädchens verbarg, 


das blinde Metall dieses Blickes schmolz 

durch die lebendige Hülle.

Dirne, jetzt hast du nichts mehr. 

Die alte Frau wird dir nichts tun.


Auf dem Boden schnüffelten die beiden Doggen munter, 

sie wurden unruhig, schlugen an und schreckten dann 

vor dem Ansturm des Tageslichts zurück, 

das zur offenen Holztür herein schoss. 


Eine große, dunkle Gestalt hob sich schwarz 

von der Helligkeit ab.

Da entkam zum ersten Mal ein Laut den Lippen, 

die bisher aus Furcht vor dem Junker stumm gewesen waren,


scheu vor seinem seltsamen Glanz 

und versiegelt von seiner stürmischen Zärtlichkeit.

Ein Schrei schallte gegen die Decke und wurde 

vom Querbalken zurückgeschleudert: Klaus!


Dann wurde es wieder still. 

Furchterregend, betörend still. 

Man hörte nur noch das Klappern der kranken Säge 

durch den Raum schallen.


Endlich riss sich der Gutsherr zusammen, 

langsam, unsicher, denn nicht nur der Anblick des Mädchens, 

das beide Hände vor dem Gesicht verschränkt hatte, 

verwirrte ihn, nein, auch die unglückliche Scham 


des auf frischer Tat ertappten Mannes, 

der seine glühendsten Begierden im Zaum hielt, 

biss an seinem Hochmut. Außerdem ekelte ihn 

das rätselhafte Schweigen dieses elenden Hinterwäldlers, 


der bleich und atemlos vor ihm stand, 

als hätte sein zuckender Mund ein Urteil zu fällen, 

immer mehr. Was soll das? fuhr der Jäger plötzlich auf 

und packte seine Armbrust mit einem Griff. 


Warum arbeitest du nicht, du Flegel? 

Was hast du hier zu suchen? 

Weißt du nicht, wo dein Platz ist?

Ja, der große, schlanke Junge wusste wirklich nicht mehr, 


wo sein Platz in der Welt war. In diesem Moment 

fühlte er nichts als den gewaltigen, rauchigen Zusammenbruch 

all seiner kindlichen Träume, die so lange und zärtlich 

von seiner Mutter und dem Mönch gehegt 


und gepflegt worden waren. Nichts, nichts, die Träume 

waren von einem Lügner so glorreich gemalt worden, 

nur Gewalt wütete auf der Erde, und nur Gewalt 

konnte die rasende Wut der Mächtigen brechen.


In die weit aufgerissenen Augen des Jungen 

trat ein seltsames Wandern und Blinzeln, 

und obwohl sich der lange Körper kaum bewegte, 

bemerkte sein Widersacher mit Schrecken, 


wie sich die Finger des Jungen 

wie in einem Krampf öffneten und wieder schlossen.

Gespenster, schwarze, verzerrte Fratzen 

tanzten um ihn herum. Was ihm aus der bösen Nacht


entgegengesprungen war, heulte nun um ihn herum. 

Geschminkte Dirnen, entmenschlicht an Leib und Seele, 

zerrten an seinen Haaren, taumelnde Galgen 

fielen auf ihn herab, Entrechtete, 


die sich in Hungertürmen verschanzt hatten, 

spuckten ihn an, und jene, die aus Lust 

und Nutzen der Macht gehängt wurden, 

legten ihm ihre Stricke um den Hals 


und schnitten ihm den Atem ab. 

Kein Atem kroch aus seiner zugeschnürten Kehle, 

nur ein heiseres Wimmern riss sich mühsam 

aus seiner wunden Brust.


Erde, Erde, wo ist ein sicherer Hafen 

vor Erniedrigung und Schande? 

Wo eine Zuflucht für die Gequälten? 

Wo ein Richter für die Peiniger und Unbarmherzigen? 


Nirgends, nirgends! War nicht hier, vor seinen Augen, 

ein stilles, reines, heiliges Gefäß zerbrochen, 

geschändet worden, aus keinem anderen Grund, 

als weil es einem Feiernden gefiel, 


schon am grauen Morgen ein Fest zu feiern? 

Hier wollte ein kitzelnder Gaumen Speisen 

aus Klausens eigenem Fleisch und Blut zubereiten.


Vieh, brüllte der Mann, der aus seinem fiebrigen Strudel

heraus getaumelt war und besinnungslos hineinsprang.

Der Jäger hatte sich hinter den Tisch bewegt, 

jetzt flog die Armbrust an seine Schulter.


Knecht, zischte er in überschäumender, Hass-verzehrter Wut,

man wird dir deinen eigenen Galgen aufstellen. -

Natürlich, einen eigenen Galgen, ich weiß, ich weiß, 

damit ich jung in der Luft tanzen lernen darf. 


Und unsere Schwestern und Töchter, o Seligkeit,

werden sie zu Huren?

Ein Sprung, etwas Schwarzes zog über den Tisch, 

der Bogen und der Kolben der Waffe 


schwankten einen Gedanken lang in der Luft, 

formlos, bald oben, bald unten, dann ein Schlag, 

ein dumpfes, matschiges Geräusch, 

und der Graf hob beide Arme und sackte 


unter den vier Füßen der Platte zusammen.

Nicht für lange. Als der Vergewaltigte 

unter dem Tisch hervorgekrochen kam, 

die Ohren brummten und das Bewusstsein schwankte, 


glaubte er, seinen Dompteur weit hinter sich zu sehen, 

durch die offene Tür, der in langen Schritten 

den Strand entlangfuhr. Über die Schulter 

hatte der Bursche das Mädchen geworfen, 


jenes willige Mädchen, 

das nur aus Bosheit, aus Ungnade 

der Lust des Wirtes beraubt worden war, 

und ohne sich von der Last aufhalten zu lassen, 


schien der Schurke, der Rebell, auf den zu Recht 

der eiserne Kragen, die Stachelschraube 

oder der Galgen warteten, dem Schutz 

seiner heimatlichen Hütte entgegenzufliegen. 


Doch das sollte nicht sein. Auf allen Vieren 

schleppte sich der Gedemütigte zur Schwelle, 

doch während er hier auf die Brust sackte, 

so dass seine Lippen das Schilf küssten, 


sprudelte es in ohnmächtiger Raserei aus ihm heraus:

He, Thor, Freyja, ergreift, ihn, ergreift ihn!

Und noch einmal wälzte er sich nach dem Waffenträger, 

der sich auf seinen Herrn stürzen wollte, 


und stöhnte sinnlos auf: Schieß, du Halunke, 

wenn du den Mörder nicht triffst, 

wirst du die Peitsche schmecken! Himmel und Hölle, 

leg an, auch wenn du den Heiland mitten 


durch die Brust spießen solltest.

Zerrissen, zerstückelt, all diese Flüche 

wurden vom feuchten Wind zu Klaus getragen, 

und bald spürte er auch die Hunde, 


die über den nassen Sand huschten.

Vorwärts, vorwärts! Nur ein Plan schwebte ihm vor, 

diese entwürdigte Frau, die bei vollem Bewusstsein war 

und doch steif und kalt wie ein Stein aus seinen Armen ragte, 


der Gier ihres Peinigers zu entreißen. 

Die zukünftigen Mütter der Armen 

brauchten nicht überall geschändet zu werden.

Nur eine, stammelte er, keuchend, 

nur eine muss erhalten werden. Nur eine!


Er wusste nicht mehr, worum er bettelte, 

denn seine eigene Schande und Bedrückung vermischten sich 

mit dem Schicksal seiner Verwandten. 

Und so wunderte es ihn nicht, dass er keine Antwort erhielt.


Vorwärts, vorwärts! Da waren ihm die beiden Doggen 

schon dicht auf den Fersen. Körper an Körper 

peitschten die Tiere über den spritzenden Sand, 

und der heiße Dampf, den sie ausstießen, blähte sich 


im dichten Nebel auf. Der Flüchtige 

stieß einen schrillen Schrei aus, 

setzte aber seinen ungestümen Lauf 

in wilderen Sprüngen fort.


Nur eine, murmelte er noch einmal.

Ein Zischen ertönte. Ein warmer Regen sprühte 

über den Läufer. Und das steinerne Abbild zuckte 

und schwankte ein wenig in seinen Armen.


Anna! rief er und schüttelte sie.

Um ihn herum begann die eisige Flut 

mit tausend Stimmen zu singen, 

und während sein Körper immer tiefer sank, 


erkannte er noch die Worte des großen Liedes, 

das ihm Schlummer und Schmerzlosigkeit brachte. 

Sie sangen alle zusammen, die je 

sein Dasein umgeben hatten, Pater Franziskus 


und Becki, der Vater und Anna Eberhard, 

der junge Graf und die Mutter, 

Hein Wichmann und all die vielen Bauern, 

der Jude wirbelte die blitzende Axt um sein Haupt 


und stimmte in den mächtigen Chor ein, 

der trotz allen Leids die unzerstörbare Schönheit 

von Sonne, Erde und Meer 

und die Festlichkeit jedes wilden Geschehens pries.


Klaus gluckste, noch aus der Tiefe wollte er 

in dieses allgemeine Lob einstimmen, 

dann fühlte er, wie er sich ohne sein Zutun erhob, 

sättigende Luft drang zu ihm durch, Licht durchbrach 


die Schwärze und öffnete seine Augen, 

und weit vor ihm erstreckte sich die Freiheit des Unbegrenzten.

Er lag im Kahn, und Hein Wichmann beugte sich über ihn. 

Das Segel wurde herumgeworfen, 


der Bugspriet zeigte auf die offene See. 

Hinter ihnen schrumpfte die Küste immer dünner 

zu einem langen schwarzen Arm, 

der die dunkle Dünung liebevoll an sich zog. 


Kaum noch zu erkennen waren die höchsten Erhebungen 

der Insel mit ihren dunklen Waldkronen. 

Mühsam zog sich Klaus bis zur halben Höhe hoch 

und warf einen müden Blick in die Runde. 


Seine Glieder waren noch immer von seinem Willen 

und seinem Bewusstsein getrennt, 

und Wasser floss in Strömen von seiner Kleidung.

Hein, seufzte er, sein Herz klopfte unruhig 


in Richtung des weiten Raumes, der von Rauch 

und Nebel erfüllt war, wo bringst du mich hin? -

Wohin? Der andere streifte den am Boden liegenden Gefährten 

mit seinem seltsamen Augenspiel, 


dann brach er in sein übliches Kichern aus. 

He, Kleiner, kommentierte er, was für eine kitzlige Frage! 

Wohin geht ein Mann, wenn er den Fuß aus der Tür setzt? 

Weißt du das? Ich weiß es nicht, denn der Weg 


kommt gewöhnlich zu dem Wanderer. 

Aber fürchte dich nicht, ich glaube, ich kann sagen, 

ich werde dir deinen Weg zeigen.

Dabei stieß der kleine strohhaarige Mann 


versehentlich mit dem Fuß gegen etwas Klirrendes. 

Und siehe da, es war das Messer, das er 

bei seiner Ankunft getragen hatte, 

und daneben lagen die Reste der ehemaligen Goldkette. 


Und jetzt entdeckte Klaus auch, dass unter dem Steuersitz 

ein kleiner Weidenkorb versteckt war, in dem Brot 

und Milch lagen. Es war offensichtlich, dass alles an Bord 

für eine längere Reise vorbereitet war.


Hein, rang der Liegende seiner Schwäche ab, 

du wolltest dich von uns wegstehlen?

Er packte das Steuerrad fester 

und verglich die Spitze des Bugspriets 


mit dem silbernen Band des Mondes, 

dessen Phantom noch im Tageslicht 

durch den Seerauch dämmerte. 

Erst dann wies er den Vorwurf ausweichend 


auf die ihm eigene sophistische Art zurück.

Sei ruhig, Kleiner, was heute passiert, 

muss morgen nicht passieren. Mir scheint, 

es ist nicht schlecht für dich gelaufen, 


denn ich dachte, meine Tage hier seien erfüllt. 

Aber jetzt kannst du mir auch sagen, warum du 

mit Hunden vom Strand deines Vaters gejagt wurdest? 

Ist dir das nicht auch passiert, du frommes Kind?


Dann kroch Klaus auf die Steuerbank 

und ließ, die Arme leidenschaftlich um das Knie 

seines Lehrers geschlungen, alles, 

was ihm die jüngste Vergangenheit an Träumen 


und feindseligen, unbegreiflichen Realitäten geschickt hatte, 

in Tränen und Verwünschungen, in Hass und Zweifeln 

aus sich herausströmen. Es wurde zum überbordenden 

Bekenntnis eines Pilgers, 


der sich mit deutlich spürbaren Flügeln 

in den Himmel heben will 

und nun vor Schmerz aufheult, weil das geballte Knäuel 

aus Lehm und Kot an seinen Füßen klebt.


Sag mir, Hein Wichmann, flehte er am Ende inbrünstig, 

während er den Magister mit beiden Fäusten 

fast von seinem Sitz hob, wer hat diesen Ungerechten, 

diesen Blutsaugern und Peinigern 


diese schreckliche Gewalt gegeben? 

Wer hat diese Tausende von demütigen Hälsen 

unter ihre Füße gebogen, wer?

Mit bitterlich verzerrtem Mund blickte der Steuermann 


auf den in wild zuckenden Feuern Verbrannten herab.

Wer? wiederholte er, und so etwas wie Zufriedenheit 

über ein endlich erreichtes Ziel funkelte 


in seinen zweifarbigen Augen. Wer hat ihnen 

das alles gegeben, mein kleiner Klaus? -

Und wir? stammelte der Junge 

und sank enttäuscht zurück. 


Gib uns auch eine Hoffnung! -

Uns? Wir suchen nach unserer Freiheit. -

Suchen? - Aber wenn wir sie gefunden haben, 

sagte der Kleine und glühte unheimlich, 


dann werde ich die Tochter des Kaisers 

zu mir unter die Papstkuppel einladen, 

und du, kleiner Junge, darfst auf dem Sinai stehen 

und neue Gesetze in die Tafeln graben.


So segelten sie viele Stunden lang auf das Meer hinaus. 

Der Magister hielt das Ruder in seinen feinen Händen, 

und der Junge lehnte an der Schulter seines Freundes, 

den Kopf unwiderruflich dorthin zurückgedreht, 


wo nur noch der schwindende Horizont die Küste verriet. 

Längst war sie hinter den ruhig tanzenden Wellen versunken, 

und doch beschwor der Sohn eines Sassen unablässig 

das kleine Stück gelben Sandes vor sich herauf, 


und über ihm das tote Mädchen, 

dessen offene Augen auch jetzt noch 

verständnislos auf Leben und Vergehen zurückblickten. 

Noch einmal schlug sein Herz wie eine Trommel.


Allmählich sank der Tag, die Wellen wurden breiter, 

und ihre Hügel waren im Widerschein des Mondes 

mit tausend rastlosen Silberameisen bedeckt. 

Zum Bugspriet hin aber schwoll das Unbekannte an, 


der Dunst, das Geisterreich des Nebels öffnete sich. 

Dann, gerade als Klaus an eine Gefahr zu glauben begann,

bemerkte er, wie sein kleiner Gefährte plötzlich 

gegen alle Regeln das Ruder losließ; 


im nächsten Moment wurde das Segel heruntergerissen, 

und dann, in der Dämmerung Pforte, spielten 

erstaunliche Zeichen auf und ab. Ein rotes Licht tanzte heraus, 

ein grünes schoss darüber hinweg, und ein seltsamer Dialog 


von flackernden kleinen Feuern entstand. 

Und bevor der erschrockene Zuschauer 

seinem Begleiter etwas zurufen konnte, hatte der Magister 

eilig in seinen Gürtel gegriffen, und sofort schwang 

ein schriller und kreischender Triller über die Flut. 


Ein ähnliches Geräusch ertönte im Rauch. 

Nur vielstimmig, zehnfach, schwirrte es über die Oberfläche, 

und nun schwoll auch die riesige Brust, aus deren Tiefen 

dieses unheimliche Gackern drang, schwarz und hoch auf.


Plötzlich starrten zwei Sonnen-große Augen 

auf die Seeleute herab, rot und grün, eine breite Treppe 

stürzte das hohe Gebilde hinab, und wie im Traum 

fühlte sich Klaus von den willensstarken Fingern 


seines Führers die Stufen hinaufgezerrt.

An Bord des Schiffes, eines dreistöckigen Schiffes, 

wie es der Junge noch nie gesehen hatte, wurde es schon hell. 

Eine Laterne wurde vor ihre Gesichter gehalten, 


eine Schar bärtiger, verwegener Kerle drängte sich 

um die Fremden, und eine kräftige Stimme rief 

in wenig freundlicher Weise: He, ihr Vögel, 

wer hat euch unser Pfeifen beigebracht?


Du bist ein Kalb, Zeiso Ulbrecht aus Wismar, 

antwortete der Magister ruhig und gab 

dem Laternenträger eine schallende Ohrferige, 

kennst du jetzt meine Handschrift?


Es entstand ein Tumult, aber es war der Gezüchtigte, 

der sich mit Armen und Füßen gegen die springenden 

Matrosen wehrte und halb wahnsinnig vor Freude brüllte:

Jungs, Jungs, Mord und Hagel, der kleine Zwerg ist wieder da, 


der Feuerbrand von Hamburg, der Lateiner. 

Seht ihr nicht das goldene Jungfernhaar? 

Jungs, Jungs, wie jetzt die Goldstücke wieder springen werden.

Victoria für Hauptmann Wichmann!


Es lebe der lateinische Mann, 

Victoria für Hauptmann Wichmann! -

Es ist gut, nickte der Kleine ruhig, 

und nun führe mich zum Admiral.


In der Runde erhoben sich jedoch leise Einwände.

Er hält einen Kriegsrat ab, sagten sie.

Da gehöre ich hin, stellte der Magister stolz fest 

und wandte sich an seinen Gefährten, 


dessen Antlitz angesichts der jüngsten Enthüllungen 

so bleich wie nie zuvor durch die Nacht starrte, 

und sagte fast mitleidig: Nimm dich zusammen, Klaus, 

du bist auf der anderen Seite der Welt. 


Dort ist das ursprünglich Gute zum Schlechten verzerrt worden,

hier ist das ursprünglich Schlechte zum Guten genutzt worden.

Dummheit und Verblendung, 

auf der einen und auf der anderen Seite. 


Wir haben nur einen Vorteil gegenüber den anderen: 

Wir sind vorerst noch die Schwachen und Ausgestoßenen, 

aber aus ihnen geht immer das Heilige hervor! 

Komm, ich bringe dich zu meinem Herrn, Goedeke Michael.




ACHTES ABENTEUER


Es war um die Zeit des Ostererwachens. 

Das Jahrhundert, das vierzehnte, seit der Stern 

über Bethlehem leuchtete, rieselte dahin, 

und fast dreizehnmal war der Winter 


vom Sommer überholt worden, seit der alte Becker 

in seiner kahlen Hütte auf der Sassen-Insel 

die Hände über die wunde Brust legte und keuchte:

Mutti, es nützt nichts, unser Einziger ist weg. 


Pass auf, bald werden mir die Augen zufallen 

und sie werden ihn nicht mehr sehen.

Es war Osterzeit. Eine flammende Sonne 

ging über Kopenhagen auf und hüllte 


die damals noch kleine Stadt 

mit ihren verstreuten spitzen Kirchtürmen 

in einen wallenden Purpurmantel. 

Überall, von den Dachfirsten der niedrigen Holzhäuser ebenso 


wie von den Masten der Flotte, 

die auf der Reede vor Anker lag, 

rollte das Licht in langen roten Fahnen herab, 

so dass es aussah, als wolle die Gottheit 


selbst ein Fest schmücken. Und die Gottheit 

und die Menschen dieser schlafenden Stadt 

feierten tatsächlich ein Fest, 

ohne dass die noch schlafenden Bewohner es ahnten, 


denn der Friede neigte sich sanft der Erde zu, 

der Friede nach einer mörderischen, räuberischen Zeit, 

und die Sonne, die ihr rubinrotes Diadem 

hoch in den Osterhimmel reckte, 


wollte damit das Haupt des neu auferstandenen 

nordischen Reiches krönen! Doch das menschliche Haupt, 

das die drei Kronen tragen sollte, 

war für eine Frau bestimmt. 


Königin Margarethe von Dänemark, Norwegen 

und nun auch von Schweden 

stand unter der Fensternische ihres Arbeitszimmers, 

und von diesem Vorsprung ihres Schlösschens, 


das sich einst unweit der langen Linie erhob, 

nun aber längst von der Zeit zerfressen ist, 

schickte sie seit einiger Zeit ihren Blick hinaus 

zu den sonnenroten Masten der Kriegskoggen, 


die dort auf der weiten Fläche wie in einem Becken 

voll glühenden Rotweins schaukelten. 

Die schlanke, aber imposante und kraftvoll aufrechte Gestalt 

der vierzigjährigen Frau verharrte regungslos 


neben dem beiseite geschobenen Vorhang, 

und man hätte meinen können, die Regentin, 

die Freundin aller geistlichen Arbeit, 

gebe sich einer andächtigen Osterstimmung hin. 


Aber weder auf ihrer seltsam hohen Stirn 

unter dem dunklen, gewellten Haar, 

das nur sehr verdeckt, kaum merklich, 

mit einem blitzenden Silberstaub bestreut zu sein schien, 


noch in ihren großen braunen Augen, 

deren Schärfe und überlegener Spott 

Schrecken einflößen konnte, war auch nur eine Spur 

von hingebungsvoller Verzückung zu sehen. 


Nein, unter Margarethes schmaler, leicht gebogener Nase 

wäre sofort ihre eigene verächtliche Ader 

zum Vorschein gekommen, wenn man ihr 

so etwas ernsthaft zugetraut hätte. 


Denn der Heißhunger, mit dem sie sich 

auf das Studium der Bibel, der Kirchenväter 

und der Schriften der Mönche stürzte, 

die sie bekommen konnte, war nur ein Teil 


des Macht- und Geltungsdrangs, der sie beherrschte 

und möglicherweise am nächsten Tag 

von einem ebenso brennenden Eifer 

für die Gesetze des Ackerbaus 


oder die Schönheitsmittel der griechischen Hetären 

abgelöst werden könnte. Alles, was man lernen konnte, 

hatte diese Frau sich beigebracht. 

Sie hatte ihre schlanke Hand ohne Zögern 


in alle Fäden gestreckt, die die Welt lautlos durchzogen. 

Sie korrespondierte mit allen Gelehrten, Künstlern 

und Staatsmännern ihres Jahrhunderts. 

Nicht weil sie von einer heißen, inneren Sympathie 


getrieben wurde, sondern nur, um sich gegen die Feinde 

ihrer Generation neu zu wappnen. Auch die lächelnde Hingabe

ihres noch immer strahlenden Körpers 

an bedeutende, wenn auch vielleicht alte und hässliche Männer


ihres Landes entsprang dieser Neigung. 

Der spöttische Aberglaube der Prinzessin glaubte, 

dass sie in solchen Nächten die Fähigkeiten 

ihrer Gefährten magisch aufsaugen konnte. 


Oder sie kalkulierte nur kalt und nüchtern, 

dass die so Beschenkten ihr fortan hörig sein würden. 

Kein wärmerer Herzschlag pulsierte 

für die von ihr Auserwählten, 


nur ihre sicher einfangende, funkelnde und scheinbar 

so offen quellende Freundlichkeit zog sich hin 

und verbarg vor den weniger Eingeweihten 

die gefährliche Ambivalenz der Sprache, 


die ihnen so angenehm zufloss. 

In dieser Kunst aber hatte Margarethe 

einen solchen Grad der Vollkommenheit erreicht, 

dass sie selbst manchmal fast versucht war, 


das, was sie glänzend und leicht in die Luft malte, 

für körperliche Gestaltung zu halten.

Es lebte nur ein einziger Mann, 

der selbst am weichen, wohlklingenden Ton 


der Stimme seiner Herrin 

beim ersten Wort erkennen konnte, 

wann die Regentin die Pfade der Geradlinigkeit 

zu verlassen gedachte. Und wenn auch das bartlose, 


zerfurchte Gesicht des Drosten Henning von Putbus 

dieses Wissen nicht mit einem Wimpernschlag verriet, 

so spürte Margarethe doch mit ihrem seherischen Blick 

ganz genau, wie sehr sie und ihr schöner Wortschwall 


hier von einem Paar stumpfer, erloschener 

und oft wässriger Fuchsaugen durchschaut wurden. 

Aber gerade dieses gegenseitige Wissen 

um ihre tiefsten Ansichten verband die beiden Menschen 


in einer gemeinsamen hohen Bewunderung 

für ihre Klugheit. Es war die Allianz eines Fuchses 

und einer Löwin, die sich gegenseitig 

um ihre Schlauheit und ihre Pfiffe beneideten.


Auch heute blieb der kaiserliche Hofmeister 

wegen des frühmorgendlichen Besuchs 

in respektvollem Schweigen am Eingang 

unter dem Spitzbogen stehen. Er zweifelte nicht daran, 


dass seine Herrin, der er von einem Türwächter 

angekündigt worden war, sein Erscheinen 

längst bemerkt haben würde, aber er gestattete ihr 

den Triumph, ihren ersten Ratgeber warten zu lassen, 


bis es ihr gelegen kam, die tiefen Gedanken abzuschütteln, 

die sie ihm zeigte. Margarethe lehnte sich mit dem Arm 

an den Fensterbogen und trank das Spiel der Masten, 

die sich ihr aus dem roten Wasser entgegen neigten. 


Derweil war der überlange, grauenhaft abgemagerte Kanzler, 

der schon wie ein alter Mann zitterte, damit beschäftigt, 

sein schreiend buntes Prachtkleid zurechtzurücken; 

ja, er schien großen Wert darauf zu legen, 


dass die riesigen offenen Ärmel, die ihm fast 

bis zu den Knien hinunter hingen, nicht einmal 

eine einzige Falte warfen. Es war fast mitleidig zu sehen, 

wie unbarmherzig eng die Knochen in seinen himmelblauen, 


mit silbernen Ornamenten bestickten Mantel gepresst waren, 

und die gelben Hosen mit ihren überlangen Schnabelstrümpfen

verrieten fast grausam die ausgemergelte Magerkeit ihres Trägers.

Dennoch hätte der greise Dürre das unangenehme Gefühl 


des Unwohlseins um keinen Preis missen wollen. 

Denn der reiche und mächtige Mann brannte geradezu darauf, 

dem farbenfrohen Sinn seiner Herrin einen Blick 

der Verwunderung zu entlocken. 


Um ihrer vorbildlichen Stimmung willen 

spielte das morsche Gerüst den Trottel.

Jetzt endlich drehte sich Frau Margarethe um, 

und sofort begann ein freundliches, höfliches Lächeln 


um ihren etwas breiten, aber sehr ausdrucksstarken Mund 

zu gleiten. Schnell schritt sie auf den zusammengesunkenen

Drosten zu und reichte ihm die Hand. Wonach der alte Mann 

seine schlanken Finger an seine welken Lippen führte. 


Auch die Königin trug ein sehr enges, dunkelgrünes Gewand, 

das gerade aus dem Süden für sie eingetroffen war 

und ihre Figur, vor allem ihre Brüste, eng umschloss. 

Es wurde das Gefängnis genannt, 


aber die Prinzessin bewegte sich darin frei und anmutig. 

Als sie den Arm hob, zitterten zwei lange goldene Quasten 

bis zum Boden. Verzeiht mir, grüßte Margarethe 

den alten Mann, ich habe Euch nicht bemerkt. 


Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?

Der kaiserliche Höfling setzte sein mildes, 

väterliches Lächeln auf. Ich wollte den Blick 

meiner königlichen Gemahlin nicht unnötig 


von dem Bild der schönen Freibeuterflotte 

da draußen ablenken, sprach er in sanfter Ergebenheit. 

Und als wäre er von einem unerhörten Ergebnis 

hingerissen, keuchte und hustete er atemlos weiter: 


Ja, seht, seht, sechzehn kriegerische Koggen. 

Sie haben auch die neuen Lederschlangen an Bord. 

Und diese schlimmsten unserer Feinde sind gekommen, 

um Schwedens neuer Majestät zu huldigen.


Seine schwache Stimme brach, und die Erregung, 

die er hervorrief, ließ seine Knie merklich zittern.

Setz dich, befahl Margarethe sanft, denn in diesem Moment 

fiel der starken Frau der törichte Widerspruch 


zwischen der Schwäche ihres Kanzlers 

und seiner prunkvollen Maske auf.

Als der Drost sich weigerte, tanzte ein zweideutiger Funke 

in den großen Augen der Frau. Sie war es gewohnt, 


auch mit den Torheiten der Klugen zu rechnen.

Setz dich, Henning, forderte sie nachsichtig, 

rückte selbst einen der hohen Stühle von ihrem Arbeitstisch weg

und nickte, als der Drost zögernd darauf sank. 


Setz dich, mein Freund, du hast lange genug 

vor mir gestanden, als es noch gefährlich war, 

vor Spindel und Fingerhut zu stehen.

Die Regentin hatte oft Anfälle 


von überschwänglicher Dankbarkeit, 

und so streichelte sie auch jetzt sanft und behaglich 

über die Pergamentwange ihres ersten Vasallen. 

Herr Henning von Putbus aber schloss die Augen 


und war für diesen Moment überzeugt, dass seine Treue 

und Ergebenheit reichlich entschädigt worden war. 

Die Tatsache, dass die schöne Frau 

ihn so vertraulich beim Vornamen nannte, 


weckte auch alte, unerfüllte Erinnerungen. 

Hier, in Margarethes Arbeitszimmer, saß der gewiefte Staatsmann

oft und reckte sich wie ein verliebter Kater. Heute freilich 

übersah er das Rascheln eines großen Pergaments 

in seiner zitternden rechten Hand, 


von dem schon die großen Staatssiegel an Schnüren schwangen.

Margarethe aber bemerkte es, und da sie keine Freundin

langatmiger Kabinettsvorträge war, sondern lieber 

ihre wohlklingenden Worte auf andere wirken ließ, 


verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken 

und durchquerte den kleinen Teppichraum 

mit gemessenen Schritten, wie es ihre Gewohnheit war.

Ja, ließ sie ihre dunkle Stimme erklingen, der Allmächtige 


hat uns Gnade erwiesen. Nach sieben Jahren des Kampfes 

und des Elends haben wir endlich ein Ziel. 

Die schwedischen Adligen haben für uns gewonnen, 

ihren verspielten König, der auch unsere weibliche Ehre 


nicht verschont hat... hier warf sie im Vorbeigehen 

einen prüfenden Blick auf ihren Zuhörer, aber da das Gespenst 

im seidenen Wams noch immer wie schlafend kauerte, 

sprach sie beruhigt weiter: Gott vergebe ihm, 


er stammt von meiner leiblichen Verwandtschaft ab, 

und ich bin nur deinem Wunsch gefolgt, Drost, 

dass wir ihn so lange im Turm von Lindholm behalten. -

So ist es, murmelte der Kanzler und schloss die Augen.


Ihr wart immer streng und unnachsichtig in meinem Dienst, 

fuhr die Königin fort. Ich danke Euch. 

Aber jetzt lasst uns Gnade walten. 

Er soll gehen, der Unglückliche, und mit ihm sein Knappe, 


der Erbe der von mir gestickten Narrenkappe 

und seiner französischen Hure.

Auch dieses Mal zuckte der Kanzler nicht zurück. 

Er war zu sehr an die unerhörte Offenheit gewöhnt, 


mit der dies Weib von Dänemark es liebte, 

die geheimsten Dinge anzusprechen, 

besonders in Gegenwart von Männern. 

Diese Freimütigkeit war eines der Mittel, 


mit denen Margarethe ihre Zuhörer zu verblüffen suchte.

Plötzlich aber blieb die Königin vor ihrem Ratgeber stehen 

und stemmte die Hände in die Hüften.

Und wie verbürgen sich die Friedensboten von Falsterbo 


für ihren Schützling? erkundigte sie sich geschäftsmäßig, 

denn bei unserer verwandtschaftlichen Nachsicht 

brauchen wir eine festere Sicherheit, als die Wankelmütigkeit 

des entthronten Unruhestifters uns bieten könnte.


Der Drost deutete mit zitternder Hand auf eine Stelle 

auf dem ausgebreiteten Pergament.

Ich habe dafür gesorgt, zeigte er, während er zufrieden 

den Kopf wiegte, dass die Hanseaten sich zu einer Zahlung 


von 60000 Pfund Silber für ihren Verbündeten verpflichten, 

oder bereit sind, die Burg und das Gebiet von Stockholm 

nach drei Jahren in die Macht Eurer Majestät zu übergeben. -

O Stockholm, rief die Regentin grimmig, 


und eine schnelle Röte überflutete ihre Wangen, 

wenn das gesetzlose Piratenvolk da draußen 

diese ruhmreiche Stadt nicht über viele Jahre hinweg 

mit allem versorgt hätte, was sie braucht, 


bräuchten wir heute nicht mit den hansischen Kaufleuten 

um Bedingungen zu feilschen. Sag mir, 

wie viel mehr haben sie geboten? -

Sechzigtausend Pfund Silber, lächelte der Drost, 


schnalzte mit der Zunge und rieb sich die Hände.

Und Albrecht? fragte Margarethe hastig, 

und die Bosheit der beleidigten Frau blitzte in ihr auf, 

wo trägt er seine Narrenkappe? -


Seine Verwandten geben ihm eine Ruhestätte 

in Mecklenburg. Dort kann er weiterhin 

kleine Püppchen aus Brotteig kneten, 

wie er es im Turm von Lindholm gelernt hat. -


Das ist Frieden, beschloss Margarethe kurzerhand, 

gib ihn mir, ich unterschreibe ihn!

Sie breitete beide Arme weit aus, ihre prallen Brüste 

rundeten sich unter dem engen Gewand, 


und der Drost öffnete seine triefenden Augen 

und bestaunte seine Herrin 

wie ein wundersames Geschöpf.

Gib! - Sie ließ sich auf dem gedeckten Stuhl 


hinter dem Eichentisch nieder, 

schnappte sich die Schwanenfeder 

und setzte mit einem einzigen Strich 

ihren Namen unter das Dokument.


Für eine Weile herrschte Stille in der kleinen Kammer, 

die Weihe eines bedeutsamen Augenblicks erfüllte den Raum.

Aber nicht für lange. Wie im Traum 

hatte die Königin mit einem winzigen Hammer 


auf eine Silberplatte geschlagen, 

und nachdem ein heraldischer Diener 

auf den hellen Klang hin eingetreten war, 

befahl sie halblaut mit der verschleierten Stimme 


einer andächtig entrückten Frau:

Sagt es den Kirchen. Alle Glocken 

sollen so bald wie möglich geläutet werden. 

Der dreifaltige Gott hat uns und unserem leidenden Volk 


den Frieden gebracht.

Behutsam legte sie ihre Hände auf den Tisch 

und wartete, bis die Wache den Raum verlassen hatte. 

Dann aber lehnte sie ihre geschmeidige Gestalt 

mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung 


an die steile Wand des Thronsessels zurück 

und hob ihre scharfen Augen 

zu den Schnitzereien der Überdachung.

Norwegen und Dänemark, flüsterte sie 


mit der tiefen Kontemplation eines Schöpfers, 

Drost, lass auch die Arme Schwedens 

von morgen an über mir sein. 

Unsere Stimme wird für ein großes Reich erklingen.


Doch bevor der alte Mann bezeugen konnte, 

dass er das erhabene Wesen seiner Herrin 

verstanden hatte, geschah etwas Seltsames. 

Der Kopf der Prinzessin senkte sich langsam zur Seite, 


bis er auf der Schulter des alten Mannes, 

der dicht neben ihr saß, Halt fand. 

Und doch merkte der so Geehrte 

trotz seines Zitterns sofort, dass Margarethe 


nicht Zärtlichkeit schenken wollte, 

sondern wie sie nun wirklich handelte, 

aus Zwang und Besessenheit. Halb gezeichnet 

streckte sie den ganzen Arm nach den Masten aus, 


an denen die schwarzen Wimpel flatterten.

Siehe, mein Freund, murmelte sie, 

als spräche sie zu einem gegenwärtigen Traumbild, 

das soeben aus ihrem eigenen Atem aufgestiegen war, 


siehe dort! Meinst du nicht, dass ein höherer Ruf 

an uns ergehen könnte? 

Wie heißt es in der Heiligen Schrift? 

Schlagt eure Zelte weiter auf. 


Dort draußen schaukelt ein Schwert auf dem Wasser. 

Und unser Meer spielt nach England, 

Hispanien und Friesland. 

Wäre es Sünde, nach der Waffe zu greifen, 


die der Herr mit Winden und Fluten gegen uns führt?

Ihre großen, lebhaften Augen weiteten sich unheimlich, 

ihre Lippen murmelten unhörbar weiter, 

und ihr Atem stockte plötzlich. 


Diesmal war es gewiss keine Täuschung, 

denn der schöne Körper der Frau lag wie gebannt, 

als sei ihr innerstes unstillbares Verlangen 

aus ihr herausgetreten und sie führe nun 


ein Zwiegespräch mit ihrem leiblichen Dämon.

Der Fürst aber zuckte vor Schmerz zusammen, 

nicht nur, weil sein morsches Skelett das angenehme Gewicht 

des ruhenden Frauenkopfes nicht mehr zu tragen vermochte,


sondern auch, weil ihn der trockene Glaube plagte, 

Margarethe sei immer nur dann so hoch 

in den Himmel entrückt, wenn es galt, 

höchst irdische Geschäfte 


als von oben empfangen darzustellen. 

Deshalb war er auch ganz nüchtern in seiner Meinung 

und strich jede übernatürliche Sphäre beiseite:

Die Freibeuter wissen genau, was sie wert sind. 


Es sind ungeduldige, hoffnungsvolle Burschen. 

Man darf sie nicht zu lange warten lassen.

Kaum hatte das nickende Skelett im blauen seidenen Wams 

diese Worte ausgesprochen, wurde seine Meinung 


sofort durch ein äußeres Ergebnis bestätigt. 

Ein dumpfer Schlag kam von den Schiffen, 

eine Dampfwolke stieg auf, und die Königin, 

aufgeschreckt durch den noch nie gehörten Knall, 


sprang plötzlich auf, vergaß das Erwachen, 

das sie soeben empfunden hatte, 

und bewegte sich heftig und ohne jede Scheu 

zum kleinen Fenster. Draußen schwelte 


die graue Dampfwolke noch immer um die Schiffe.

Was ist denn? erkundigte sich Margarethe 

jugendlich ungestüm.

Ein wohliges Lächeln umspielte den faltigen, 


eingefallenen Mund des Drosten. 

Es gefiel dem alten Mann, seine Herrin einmal 

nicht so gut gelaunt zu sehen. 

So antwortete er gemächlich:


Das, meine Herrin, sind die drei Lederschlangen 

von der Agile, Störtebekers Admiralschiff. 

Nehmt Euch in Acht, er ist ein Fürst unter seinesgleichen,

unermesslich reich und von wildem, verwegenem Gemüt. 


Du weißt wohl, was das Volk von ihm singt? -

Ich erinnere mich, sagte die Regentin 

und blickte forschend zu Boden. 

Ein törichter, törichter Reim. 


Plump und grob wie alle Bauerngedichte.

Vom Mast wehen die schwarzen Fahnen.

Klaus Störtebeker ist Kapitän.

Der Wind pfeift, die Flut schäumt,


Das Schwert kreist, das Blut spritzt.

Kein Unrecht wird mehr vererbt,

Komm, holde Maid, komm mit mir an Bord.

Wir müssen unter Segel gehen.


Klaus Störtebeker ist Kapitän.

Lach nicht, schloss die Fürstin 

und wölbte abschätzig die Augenbrauen, 

und doch entdeckte der scheinbar so müde Drost, 


wie Margarethe ein paar Mal hemmungslos 

mit der Zunge über die Lippen wedelte. 

Warum preisen sie den wandernden Räuber wie einen Helden? 

Hat das Volk keine würdigeren Helden?


Die Königin wirkte ernsthaft verletzt, 

und so war es wohl nur ein Zufall, 

dass sie bei dieser Bemerkung prüfend 

den schweren Stoff über ihre Hüfte glättete. 


Der Kanzler hingegen beugte sich zustimmend vor, 

schlängelte seine langen gelben Beine umeinander 

und rollte gleichzeitig das Staatsdokument auf.

Verzeihe, Herrin, versuchte er die verärgerte Frau 


behutsam zu belehren, jeder, der lange gelebt hat, 

weiß, dass Recht und Unrecht, 

Gewalttat und Heldentat 

keine tatsächliche Farbe ausstrahlen. 


Vielmehr kommt es immer darauf an, 

von wo das Licht auf sie fällt. 

Und was diese Haufen da draußen betrifft, 

so besitzen sie Urkunden aus Rostock und Wismar 


und sind daher als kriegführende Macht anerkannt. 

Glaubt Ihr, dass die Condottieri 

Eurer italienischen Vettern 

mit ihrem entlaufenen Gesindel besser sind? 


Auch ihre Admirale Störtebeker und Gödeke Michael 

halten sich an eine unerbittliche Manneszucht 

und haben überdies den Titel Mehrer des Rechts erworben. -


Auch das, sagte die Fürstin finster 

und machte eine hochmütige Handbewegung. 

Wisst Ihr vielleicht auch, Herr Henning von Putbus, 

woher die Kapitäne diese göttliche Berufung haben?


Das Tiefste in der Frau war irritiert, 

ihr tief verborgener Stolz 

auf ihre alte heldenhafte Abstammung; 

Waldemar Attertags Tochter reckte sich, 


eine unbeschreibliche Abgeschlossenheit 

leuchtete von ihrer hohen Stirn.

Dann rang sich das dürre Gestell zusammen, 

schwankte und wankte seiner Herrin entgegen, 


und in seiner blechernen Stimme lag die seltsame, 

fast bösartige Furchtlosigkeit eines überalterten Mannes, 

der schon ein Freund des Todes war, 

als er fast warnend in das Ohr der Macht hauchte:


Göttliche Berufung, Margarethe? 

Kind, Kind, hast du schon die Hand gesehen, 

die dir eine solche aus den Wolken reicht? 

Nun, es genügt, dass ihr Auserwählten sie spürt. 


Aber es gibt noch einen anderen Ruf. 

Das wird gehört, das schreit nach Brot, 

rebelliert gegen Druck, 

seufzt mit Knechten und Leibeigenen. -


Hör auf! rief die Königin betroffen, 

die plötzlich wieder ganz der Erde angehörte 

und sehr wohl begriff, dass sie ein armes, 

ausgesaugtes Volk führen musste, Bürger und Bauern, 


die noch vor wenigen Jahrzehnten 

aus angeborener Verbitterung 

nichts als schwarze Trauerkleidung trugen. 

Schnell, Herr Henning, 


welchen der Condottieri wirst du mir bringen? -

Meide Michael, riet der kaiserliche Höfling fest, 

und über sein verschrumpeltes Antlitz breitete sich 

der Widerschein von List und Weltkenntnis aus, 


lass ihn beiseite. Ein kühler, wortkarger Mann, 

ein Rechner und Überleger, der nie etwas Dummes tut. 

Solche Leute sind nicht geeignet, Frauen zu überzeugen. 

Wähle den anderen, wähle den Störtebeker. -


Was ist er? fragte die Königin unparteiisch.

Die beweglichen blauen Augen des Kanzlers 

überflogen noch einmal die aufgerichtete Frauengestalt. 

Ein loderndes Feuer, entschied er schließlich. 


Alles an ihm ist Glanz, Glamour, 

Abenteuer und Überraschung. 

Der Eigendünkel seines Volkes haftet an ihm. 

Und was macht das schon, in seinem eigenen Hirn 


leuchtet ein Regenbogen unablässig. 

Wer weiß, eine königliche Frau wie du 

könnte ihn weit in Versuchung führen.

Um Margarethes breiten Mund wollte gerade 


ihr ansteckendes Lächeln gleiten, 

als von der Stadt her mit einem Mal 

dunkle und helle Glockenwellen zu schwingen begannen, 

und im selben Augenblick senkte die Fürstin ihren Blick 


auf den Estrich, faltete die Hände und entschied ruhig:

Nun denn, dein Wille geschehe. 

Morgen nach der Heiligen Messe wollen wir 

den Kapitän empfangen. 


Sorge dafür, dass er ein würdiges Geleit erhält. 

Und vergiss nicht, dass deine Freundin wieder einmal 

eine Stunde der Demütigung auf sich nimmt. Geh!


In der Admiralskajüte auf der Agile 

herrschte große Unruhe. Der Fürst 

des wandernden Volkes gab dort 

seinen berühmten berüchtigten Umtrunk, 


und der kaiserliche Höfling, der gekommen war, 

um die Einladung seiner Königin zu überbringen, 

musste sich zusammenreißen, 

um nicht dem seltsamen Bann der Umgebung zu erliegen. 


War dies eine der engen, langweiligen Kisten, 

die man gewöhnlich tief unten im Bauch 

selbst der geräumigsten Schiffe unterbringt? 

Nein, bei allen Heiligen, 


hier hatte ein kühner, ausschweifender, 

berauschter Geist das Erlesenste 

aus allen Ecken der Erde zusammengetragen, 

um fortan dem Vergnügen, der Lust 


und der ostentativen Ruhmsucht 

eines ungezügelten Geistes zu dienen. 

Noch einmal, vor seiner Abreise, 

zu der er seit langem begehrlich gedrängt hatte, 

lehnte sich der dürre Alte, 


der auf seinem hohen, mit Brokat gepolsterten Stuhl 

mehr hockte als saß, schwach zur Seite 

und betrachtete all die verschwenderischen Reichtümer 

dieses kleinen, gar nicht so bescheidenen Saales. 


Und der Adlige, selbst reich und verwöhnt, 

musste sich zwingen, von all den bunten Teppichen, 

köstlichen Schränken, Truhen 

und blitzenden Gold- und Silberutensilien 


zu den fünf Männern zurückzufinden, 

mit denen er den Abendtrunk am festen Tisch teilte. 

Es war schwer, sich eines nüchternen Endzwecks 

bewusst zu bleiben. Grünblaue, flämische Wandteppiche 


stellten das Leben des Achilles an den Wänden dar, 

und überall, wo sie zurückgeschoben wurden, 

schob sich massives Geschirr hervor, 

regelmäßig und erhaben in Felder unterteilt, 


und wölbte sich aus dem dunklen Boden. 

Ruhende Betten und goldene Kissen in allen Ecken; 

und in der Mitte der Decke schwankte 

eine mächtige eiserne Laterne, 


in deren Blätter anmutige Nymphen geschnitzt waren. 

Der gelbe Schein aus der Höhe war verschwommen 

und trübe. Doch das Besondere an diesem fürstlichen Raum 

waren die vier bunten Fackelständer, 


die an den Enden der Eichenwand angeschraubt waren. 

Hell und blinkend funkelte das Licht der Öllampen 

aus den seltenen venezianischen Gläsern 

und streute zuckende, unbestimmte Farbflecken 


auf die ungleichen Feiernden. 

Dazu dröhnte feine Musik vom Deck des Schiffes 

über die Stufen der breiten Treppe, 

denn die Flötenspieler und Harfenspieler 


der Freibeuter begleiteten unermüdlich 

die Vergnügungen ihrer Herren mit Reigen von oben.

So hatte es der junge, schöne Admiral, 

der stets alle Sinne blendete, gewollt, 


und deshalb verehrte ihn das wandernde Volk, 

mehr als jeden anderen, denn er war 

die lichte Vollendung ihres eigenen abenteuerlichen Daseins, 

das aus aller Konventionalität herausgefallen war 


und sich auf und ab bewegte.

Der Drost konnte seine Aufmerksamkeit 

nie von der hochgewachsenen, geschmeidigen Gestalt 

des Gastgebers abwenden. Als der etwa dreißigjährige, 

vor Gesundheit strotzende Mann 


in seinem roten Seidenwams ihm gegenüber lehnte, 

die linke Hand spielerisch 

auf einem winzigen Dolch ruhend, 

während die rechte seine leidenschaftlichen Sätze 


von Zeit zu Zeit mit einer raschen Bewegung begleitete, 

musste sich der aufmerksame Beobachter eingestehen, 

dass Legende und Gerücht die Anmut, 

ja die Magie dieses gefährlichen Seelenfängers 


eher unterschätzt hatten. 

Die flammenden schwarzen Augen 

versprühten eine heitere unbekümmerte Wärme 

in das Herz eines jeden Kameraden, 


auf der hohen Stirn wechselte ein unnahbarer Stolz 

bald mit blitzendem Gedankenwerk, 

und das braune Lockenhaar zitterte oft, 

wenn die eigene Bewegung des Admirals ihn fortriss.


Ob dieser strahlende, selbstbewusste Condottiere, 

auf dessen Haupt die Natur 

schon einen unsichtbaren Fürstenhut gesetzt hat, 

nicht ein zu überlegener Gegner 


für die leicht entflammbare Frau 

in dem Schloss dort drüben ist? 

Und wieder schob er den Becher unangetastet von sich 

und bemühte sich, das zu lange andauernde Festmahl zu beenden.


Sein Gastgeber fing diese Geste jedoch ungläubig auf 

und winkte abwehrend mit beiden Händen.

Nichts da, edler Herr, wehrte er 

mit einer leichten Verbeugung ab, 


und seine Stimme lachte und winkte, 

als spräche er zu einer schönen Frau 

oder zumindest zu einem geschätzten und verehrten Lehrer. 

Ihr habt meinem Wein bisher wenig Ehre erwiesen. 


Sieh ihn dir besser an. Gesteht, glänzt er nicht 

in seinem silbernen Boden, 

als hätten wir ein Stück Sonne 

aus Eurem Meer gefischt? 


Es ist Ingelheimer, Herr Drost, 

und man sagt, Carolus Magnus 

habe die ersten Reben gepflanzt. 

Kommt, der Geist des großen deutschen Mannes 


ist mir nicht zu schade, um das Wohl 

Eurer königlichen Gemahlin zu feiern. -

Richtig, nicht zu schade, wollte ich auch geraten haben! 

schluckte Konrad von Moltke, der Kriegsoberst, 


und rieb sich eifrig die rotglühende Hakennase, 

da er schon ein verdächtiges Jucken darin spürte. 

Er war vom Kanzler geholt worden, 

um Störtebeker bei seinen berüchtigten Saufgelagen 


zu widersprechen. Gebt mir das, ihr Schurken! 

Ingelheimer, Carolus Magnus soll leben. -

Wir danken Euch, warf der Kanzler, 

erschrocken über die Unhöflichkeit des Kriegers, ein, 


und mit einem leisen Seufzer nippte er 

an dem Becher mit dem viel gepriesenen Wein. 

Innerlich war ihm jedoch jegliches Gelage ein Gräuel, 

da es sein Gallenleiden beißend aufregte. 


Deshalb sammelte er sich und sprach bedächtig 

und zielgerichtet weiter: Unsere erhabene Majestät 

von Dänemark schätzt die Herren sehr.

An dieser Stelle lächelte der junge Admiral 


in der roten Jacke höflich. Gleichzeitig aber 

schweiften seine dunklen Augen blitzschnell 

und mit flehendem Einverständnis 

über die wettergegerbten Gesichter seiner Kameraden, 


bis sie an dem schmalen, feinen, jungfräulichen Antlitz 

von Kapitän Wichmann hängen blieben. 

Er hatte das Kinn auf einen langen Stiel gestützt, 

und der Schimmer der Laternen glättete sanft 


sein seidiges blondes Haar. Doch wenn man genauer hinsah,

konnte man erkennen, dass die Schläfen des Zwerges 

inzwischen ergraut waren und dass eine silberne Locke 

in seine Stirn hing, direkt über der breiten Narbe. 


Die Augen des Zwerges zuckten bösartig, 

als er auf die sanfte Einleitung des Kanzlers ebenso friedlich 

und ohne die geringste Veränderung seiner Haltung 

antwortete, wie ein braves Kind:


Sapienti sat, Herr Reichshofmeister. 

Wir sind überzeugt, dass Frau Margarethe 

uns sehr wohlgesonnen sein muss. 

So wie ein großer Geist immer 


einem gefährlichen Gegner huldigt. 

Denke nur an die Trojaner und Griechen, 

die sich auch auf Gesandtschaften 

liebevoll unterhalten haben. Haben sie das nicht? 


Außerdem, schloss der Kleine milde, 

wandelt Frau Margarethe vor aller Augen 

in den Fußstapfen Christi, 

und deshalb bietet sie auch die linke Wange 


zum Backenschlag an, obwohl die rechte 

schon angeschlagen ist. -

Nun, da irrst du dich", wollte der alte Höfling gerade 


seine gerechte Empörung über die Unverschämtheit 

dieses entlaufenen Magisters unterdrücken, 

als sich zum offenen Entsetzen des Kanzlers 

eine schrille, kreischende Stimme 


in den ohnehin schon unterirdisch zischenden Disput mischte 

und der Kriegsoberst Moltke wie ein bissiger Dorfköter 

durch seinen grünen Weinnebel bellte:

Wer redet denn hier Frechheiten? 


Will jemand Margaretes seligen Leib? 

Soll er sich melden, ich sage, soll er sich melden. 

Da aber niemand der Aufforderung nachkam, 

schlug der Trunkenbold in völliger Verwirrung 


auf sein knallrot flammendes Beinkleid 

und schimpfte halb klagend: 

Ihr Hurensöhne, ihr Schurken, 

ich würde lieber… -


Euch die Schädel einschlagen, 

fügte Kapitän Wichmann leise hinzu.

Es folgte das ruhige, überlegene Lachen 

eines einzelnen Mannes, und es war doppelt wirksam, 


weil die anderen ihr Gespräch 

halb angespannt und halb verlegen eingestellt hatten, 

während dem Kanzler der helle Angstschweiß 

von der Stirn seines verschrumpelten Greises perlte. 


Der Mann aber, der so ruhig sein Verständnis 

für die geheime Sehnsucht des dänischen Kriegshäuptlings 

zum Ausdruck brachte, saß auf einem rauen Schemel 

genau gegenüber dem Trunkenbold 


und hieß Gottfried Michaelis 

oder im Volksmund Gödeke Michael. 

Da er als einziger seiner Begleiter zum Empfang 

der vornehmen Gäste kein prächtiges Gewand angelegt hatte,


sondern gleichgültig das braune Lederwams 

seines Berufsstandes trug, war auch er bisher 

in einem spärlichen, beobachtenden Schweigen verharrt. 

Keine Bewegung störte die Ruhe seiner breiten Gestalt, 


und in seinem starren, düster blond umrahmten Antlitz 

zeigte sich weder Teilnahme noch Abwesenheit. 

Etwas Strenges und Verschlossenes beherrschte diesen Mann, 

und der Kanzler ahnte sofort, dass der Schweigsame 


nur gewohnt war, seinem eigenen Stern zu folgen. 

Nun löste der starke Mann die Verlegenheit 

auf ungekünstelte und natürliche Weise. 

Ohne Mühe hob er den riesigen Silberkrug 


und schenkte seinem Gegenüber einen neuen Trank ein.

Du hast recht, Herr, stimmte er im Ton 

eines ehrlichen Zeugen zu. 

Welcher Fisch lernt in seinem Alter noch 


in Milch zu schwimmen? 

Als wir uns in Wisby begegneten, 

haben wir uns besser verstanden. -

Ecco, antwortete der Schädel, 


weitete seine Fisch-Augen, 

und eine schwefelige Erinnerung überkam ihn, 

diavolo barbuto, dann, Herr, 

habe ich dir eine Ladung Bier 


und zwei Ladungen Weizen gebracht. 

Gut, mein Herr, ich bin froh, 

dass du endlich aufhörst. 

Wann sehen wir uns wieder, mein Herr?


Taumelnd streckte er dem ledernen Mann 

seine rechte Hand über den Tisch entgegen. 

Der schüttelte sie grob.

Warte, versicherte er ihm kalt. 


Die ruhigen Tage werden vorübergehen. 

Frieden ist ein flüchtiges Wort. -

Wahrlich, wahrlich, jammerte es 

von der Unterseite des Tisches 


aus einer dumpfen, zerknirschten Kehle, 

und ein Paar fleischiger Hände begann, 

die Perlen eines Rosenkranzes zu zählen. 

Friede bewahre nur die unschuldigen Engel. 


O du selige Jungfrau, 

o du gesegnete Helferin der Not, 

warum musste ich den frommen Bischof 

Tordo von Strangnäs nackt in den Schnee jagen? 


Oh, die Kreatur ist durch und durch böse.

Ein aufgeblasener, stiernackiger, grauhaariger Mann war es, 

der so gewohnheitsmäßig seine angeblichen Qualen vortrug. 

In seinen plumpen, geschwollenen Zügen wohnte Gemeinheit, 

und seine leeren blauen Augen funkelten oft 


in schüchterner Ehrerbietung zu seinen Kameraden 

unter dem struppig herabhängenden Haar, 

als ob er nicht verstand, wie er mit seinem Analphabetentum 

und seiner Bauernschläue 


zu den glänzenden Führern gekommen war. 

Das war auch schwer zu verstehen, 

denn Kapitän Wichbold stellte nichts anderes dar 

als einen gewöhnlichen Strauchdieb, einen Landstreicher, 


dem kein Verbrechen zu abschreckend, 

kein Diebstahl zu gering war, 

sofern er danach seine bedauernswerte Seele 

mit hundert Paternostern besänftigen konnte. 


Er schnitt kunstvoll jede Kehle durch 

und verpfändete dabei seinen Anteil 

an seinen Schutzheiligen. 

Deshalb wurde der wehleidige 


und zugleich heimtückische Patron 

von seinen Gefährten und vor allem 

von den beiden Admirälen 

nur mit größtem Widerwillen geduldet; 


allein der wilde Mann war ihnen 

vom großen Haufen vorgesetzt worden, 

halb als Beobachter, weil die finsteren Massen 

den politischen Plänen ihrer Befehlshaber nicht recht trauten, 


und halb als Hindernis und Bleigewicht, 

um die hehren Pläne der Führer 

immer wieder auf seine eigene erbärmliche Raublust

herabzusetzen. Seine bloße Anwesenheit 


diente den anderen als grimmige Mahnung, 

gerade dann, wenn sie sich am eifrigsten 

als Gestalter einer neuen Weltordnung fühlen wollten, 

an die Grundsteine zu erinnern, 


auf denen sie die Halle ihres Gerichts 

zu errichten trachteten.

Oh, vor Elend, heulte der aufgedunsene Wichbold 


noch einmal in seinen Becher, 

dass wir weder Frieden noch Recht halten können.

Seine Rosenkranzkugeln klapperten 

wie knirschende Zähne gegeneinander.


Bei all dem erschrak der kaiserliche Hofmeister. 

Er hatte zwar die Einladung seiner Herrin überbracht 

und in all seinen Andeutungen durchschimmern lassen, 

wie sehr sich die Prinzessin über den Besuch 


Störtebekers freuen würde. 

Aber bisher hatte er weder von den anderen 

noch von dem jungen Admiral 

eine verbindliche Zusage erhalten, 


und allmählich gewann der sensible alte Mann den Eindruck, 

dass die Befehlshaber dieser mächtigen Seemacht 

sich von dem soeben geschlossenen Frieden 

keinen besonderen Vorteil versprachen. 


Mehr noch, er spürte einen Widerstand 

gegen die Verhandlungspläne seiner Königin, 

die ihm noch verborgen waren. 

Hier galt es, den Zauderern schnell 


und genüsslich leuchtende Zauberfrüchte 

vor die Augen zu malen. Er schmatzte mit den Lippen, 

als ob er etwas Köstliches auf seiner Zunge spürte, 

und begann erneut zu beschwören:


Die Königin hat mit Vergnügen auf die große Flotte 

der freien Herrscher der Meere geblickt. -

Margarete, lallte Kriegsoberst von Moltke, 

der sich nach Art der Betrunkenen genötigt sah, 


äußerst deutlich zu sein.

Als Antwort strich Gödeke Michael 

über sein ledernes Wams.

Das freut uns zu hören, erwiderte er 


mit seiner undurchdringlichen Miene. 

Wir haben ihr zu Ehren ein Gewehr losgelassen. 

Ansonsten kommen wir, um euren Gefangenen, 

König Albrecht, zu holen.


Das war nun ein weiteres beleidigendes Kapitel. 

Nur allzu leicht wurde die Erinnerung 

an die gerade abgeschlossene Schlacht wach, 

und auch sonst war dem Kanzler die Erinnerung 


an die sieben mageren Jahre 

im Turm von Lindholm nicht geheuer, 

so dass er kaum merklich mit den Schultern zuckte 

und mitleidig weitersprach:


Wie ich ihm seinen Altersruhesitz in Mecklenburg missgönne. 

Der arme, schwache, redselige Mann. 

Ihn hat das schmerzlichste Schicksal ereilt. 

Nicht einmal euch, seine treuesten Freunde, konnte er belohnen. -


Wir brauchen ihn nicht, rief hier Klaus Störtebeker fröhlich, 

der sich bisher leicht zurückgelehnt hatte, 

um alle vergeblichen Bemühungen des alten Fuchses 

mit seinem feinen, scharfsinnigen Lächeln zu begleiten.


"Bemühe dich auf das Deck der Agile, edelster Herr, 

und du kannst meine Mannschaft leicht singen hören.

Und der Admiral selbst sang:

Die schwarzen Flaggen wehen in Wind und Wetter,


Sie werden von niemandem bezahlt,

Sie segeln hinaus auf Pech und Planken

Und kehren mit echtem Gold zurück. -

Ausgezeichnet, mit eitlem Gold, natürlich.


Das abgemagerte Skelett hielt inne. 

Es beunruhigte ihn sehr, diesen jungen, 

von fürstlichem Anstand geleiteten Seehelden 

Raub und Plünderung so hoch einschätzen zu hören. 


Denn seine nicht unbedeutende Menschenkenntnis 

suchte hinter dieser hohen, wetterleuchtenden Stirn 

eine andere, eine höhere Weltsicht. 

Trotzdem nahm er den schnoddrigen Tonfall an.


Sicherlich, lächelte er aus dem Wirrwarr 

seiner Furchen heraus, als er seinen Blick 

noch einmal die ganze markante Pracht kosten ließ, 

man sieht es. Es versteckt sich nicht. Es ist nur schade, 


er zischte einen Pfeil so harmlos wie möglich hinter sich her, 

dass eure Charta mit dem Frieden, 

den wir geschlossen haben, erlöscht. -

Unser Recht beruht nicht auf dem Papier, 


beharrte Gödeke Michael fest.

Worauf denn sonst, wenn es Euch gefällt? 

streckte der Drost diesmal schnell die Hand aus.

Dann leuchtete es auch in den schwarzen Augen Störtebekers.


Ein Hauch von Wildheit ging über das Gesicht, 

das eben noch so strahlend gewesen war. 

Es war, als ob ein Blitz in einen Garten eingeschlagen hätte.

Auf dem Unrecht der anderen, rief er strahlend.


Wem gehörte die Stimme, die das Innerste 

eines jeden Lauschers erregte? 

Die Posaune eines hellsichtig verkündeten Urteils 

dröhnte aus dieser Inbrunst. Und siehe da, 


die wenigen Worte legten sich wie ein Ring 

um den kleinen Kreis. Selbst der Trunkenbold hörte zu. 

Aber der Kanzler fühlte sich unwohl. 

Die beängstigende Vorahnung, in eine geheimnisvolle, 


noch unentdeckte Entwicklung hineingeworfen zu werden, 

ergriff den alten Mann plötzlich; 

ja, seine erregten Altherrensinne 

wurden unerwartet von der Vorstellung gequält, 


gegen seinen Willen dazu verurteilt zu sein, 

dem Brodeln des von grauen Mächten bewachten 

eisernen Kessels zu lauschen, in dem die Weltenwende 

und die Schicksale der Völker wie zerplatzende Blasen tanzten.


Nein, dafür war er schon zu alt, seine tropfenden Augen 

wollten solche Dinge nicht mehr sehen. 

Zitternd schüttelte sich das Skelett und dankte im Stillen Gott, 

als es zu bemerken glaubte, wie die Züge 


des jungen Admirals sofort wieder 

von der alten Fröhlichkeit erhellt wurden. 

Seufzend und mit einer letzten Anstrengung 

zog der unermüdliche Höfling eine neue Saite auf.


Ich will die Herren weder überreden noch bestimmen, 

sagte er, ganz als ehrlicher Freund und Ratgeber, 

Gott sei Dank. Aber mein Herz ist betrübt, 

wenn ich sehe, zu welch wertvollen Leistungen 


ein so prächtiges Instrument bestimmt sein könnte, 

sobald es einem bestimmten Gesetz 

oder einer anerkannten Macht dienlich wäre. -

Erspare dir das, wies Gödeke Michael streng zurück, 


und der alte Mann wurde mit einem dunklen Blick 

aus seinen stahlblauen Augen bedacht. 

Wir folgen trotz allem einem Gesetz. 

Einem, das so unerbittlich ist, 


dass du die einzelnen Artikel nicht ertragen würdest.

Der Drost nickte wehmütig. 

Mag sein, fuhr er fort, halb in Angst 

und doch beherrscht von seiner Aufgabe, 


aber die Umgebung und die Verhältnisse, 

die geworden sind, auf denen allein 

ein gutes Gewissen sorglos ruhen kann… -

Alter Mann, hat dir die Amme 


dieses amüsante Märchen vorgesungen? 

warf der blonde Zwerg bissig ein.

Mit Mühe überhörte der Drost diesen Zwischenruf 

und fuhr mit wachsendem Unbehagen fort:


Ihr werdet nicht leugnen, dass sich das Bestehende 

nicht wirklich in eure Sitten hineindenken kann. 

Es klammert sich zu sehr an altbewährte Regeln, 

die ihm allerlei Unersetzliches garantieren.


Der junge Admiral schnitt mit seiner Hand durch die Luft.

Erbschaft und Eigentum, Truhenschatz und Pergamentprivilegien,

edles Bettenpaar und Gottes Wort für die Armen, 

half er mit seiner verwirrten Liebenswürdigkeit nach. 


Darüber willst du doch reden, oder? 

Es klang fast gutmütig.

Auch das, gewiss, ist der Ausgangspunkt für viel Gutes 

für den Bürger. Aber ich habe auch an etwas Höheres gedacht.

Verzeih mir, aber wie schwer muss der Fluch und Bann 


des Heiligen Vaters allein auf dir lasten!

Der Einwand war noch nicht ganz zu Ende gesprochen, 

als der Kanzler sich völlig verständnislos umsehen musste. 

Ein schallendes Gelächter ging um den Tisch, 


und nur der dicke Wichbold, der vor Kummer 

und Trunkenheit weinte, schlug die fleischigen Hände zusammen

und stöhnte: Oh, ihr elenden, hoffnungslosen Menschen, 

lacht nicht, lacht nicht über Qualen und Fegefeuer! 


Warum musste ich den Bischof Tordo von Strangnäs 

an den Stockholmer Seen niederwerfen? 

Ich habe den heiligen Mann bis auf sein Hemd ausgezogen. 

Ein kostbares Seidenhemd, wie es Frauen tragen! 


Und jetzt, alter Mann, jetzt verzehrt der Frost 

meine eigene Seele. Ich klappere mitten im Sonnenschein, 

denn ich allein bin schuld, dass sich keine Kirchentüren mehr 

für uns öffnen. Ach, ich bin verloren, elendes Geschöpf, ich!


Sein dumpfes Heulen und Schmatzen 

verlor sich im Schlund des Bechers.

Voller Abscheu, verächtlich, sprang der junge Admiral auf. 

Doch noch immer tobte ein Widerschein wilden Gelächters 


um seinen feinen Mund.

Habt Nachsicht mit mir, entschuldigte er sich schließlich 

bei seinem erstaunten Gast 

und schlang selbstgefällig den Arm 

um einen der Fackelständer. 


Ich weiß, ich hätte mir eher die Zunge abbeißen sollen, 

als einen so verehrten Gönner 

durch ungebührliches Lachen zu beleidigen. 

Aber du konntest nicht wissen, dass für uns 


der römische Baalspaffe zu jenen hinterlistigen Narren gehört, 

in deren dunklen Nebel wir unser rotes Fackellicht stoßen wollen,

um die Welt zu erschrecken. Alter Mann, sei ehrlich, 

glaubst du wirklich, dass Völlerei, Leintuchspinnen, 


Mord, Ämterschacher und die Mitgift der Witwe, 

aufgezählt von Seelenschrecken, 

dich zu dem schwindlerischen Anspruch 

auf priesterliche Vergöttlichung berechtigen? 


He, du bist soeben den Henkern 

solcher alten Lügen auf den Leim gegangen.

Er schüttelte den Schaft der Laterne, und seine breite Brust 

wölbte sich unter der seidenen Hülle, als er hervorstieß:


Ist es nicht schon genug der müden Schwächlingsdoktrin selbst?

Einen anderen mit unserer Schuld und unseren Fehlern 

zu belasten, mit den eigenen, geheimsten Dingen des Geschöpfes,

gefällt dir das? Das nenne ich eine tapfere Kunst. 


Geh, bist du fromm, 

warum suchst du nicht deinen noch unbekannten Gott? 

Vielleicht wird er dir eines Tages begegnen. 

Mitten in einem Bett einer Hure! 


Doch was tut ihr? Ihr schlagt mit Knüppeln auf den Geist, 

der von ihm ausgeht, weil er sich überall gegen euch auflehnt.

Geht, geht, verrottende Gräber, geschminkte Heuchler.

Klaus Störtebeker drehte sich um 

und schritt hoch aufgerichtet durch den weiten Raum, 


dorthin, wo bereits dunkle Schatten 

an der getäfelten Wand auf und ab schwebten. 

Man konnte meinen, dass der Gastgeber den Tisch aufgab.

Zumindest sah der dänische Höfling das so. 


Dem alten Mann fiel die Kinnlade herunter, 

und er konnte sein Erstaunen über die unerhörte Kühnheit 

der Ansichten, die er gerade gehört hatte, 

immer noch nicht unterdrücken. 


Zwar dachten damals viele Geister ähnlich, 

doch der Aufruhr gegen die schöne Kirche 

wagte sich vorerst nur in die Studierzimmer. 

Langsam schob der Fürst seinen Stuhl vom Tisch weg 


und richtete seine lange Gestalt auf. 

Dabei packte ihn der Zorn bedrückend 

und hing ihm förmlich auf den schlaffen Wangen, 

weil man ihm auf die ehrenvolle Einladung seiner Prinzessin hin


keine freundlichere Bereitschaft entgegengebracht hatte. 

Ja, dass er im Grunde mit kaum halben Worten abgespeist 

und wie ein aufdringlicher Mittelsmann 

zurück ins Land geschickt wurde. 


Aber, um Himmels willen, nichts zeigen, 

sich nichts anmerken lassen. Auf sein Winken hin 

hängte ihm ein wartender Bursche 

seinen schwarzen Mantel um, und nachdem der Junge 


auch noch den Kriegsoberst Konrad von Moltke 

von seinem Stuhl gerissen hatte, was natürlich nicht 

ohne allerlei Handgreiflichkeiten abging, 

schickte sich der dürre Drost an, äußerlich unverändert, 


aber innerlich verletzt und beleidigt, 

seinen letzten Abschied zu nehmen.

Danke, knickste er vor der schweigenden Runde, 

obwohl sein Blick immer noch die abgewandte Gestalt 


des jungen Admirals suchte. 

Ihr habt uns willkommen geheißen, 

wie es sich für eure Macht und euren Reichtum gehört. 

Mein Zweck, euch kennenzulernen, meine Herren, 


ist damit erfüllt. Auch werde ich schweigen über das, 

was ihr mir von euren Feindseligkeiten 

und eurer Aufmüpfigkeit verratet. 

Außerdem bin ich ein guter Christ. -


He, edler Herr, halte still, 

ich würde Euch gern schöne Kritzeleien zeigen, 

unterbrach aus der hinteren Ecke 

die lachende Stimme des Admirals. 


Und ohne sich nach der Zustimmung seines Gastes umzudrehen,

schleuderte der schlanke Kommandant 

aus einer geräumigen Truhe ein Buch nach dem anderen, 

mit Leder und bunten Steinen besetzt, auf den Teppich. 


Seht, pikantester, römischer Wuchs. 

Ihr müsst wissen, ich war der Erbe 

des Bischofs von Strangnäs, 

den unser lieber Genosse so trostlos beweint, 


obwohl er ein Wucherer und Totschläger war. 

Und was stand auf der bescheidenen Stola? 

Ein guter, samthäutiger Geschmack, 

das kann ich Euch versichern. 


Hier, Liebeslieder von Petrarca an Donna Laura. 

Ein vollbusiges, braunhaariges Frauenzimmer, 

Euer Gnaden. Etwas für stille, zurückhaltende Menschen. 

Und da noch besser, Geschichten von Boccaccio,


an Fiametta. Oh, genieße das, 

dort knistern alle Bettpfosten, 

dort fallen dir die Dirnen scharenweise in die Arme, 

dort spucken die Ehegemächer und Dienerkammern 


ihre Köstlichkeiten aus. Und die Gewänder der Mönche 

flattern im Takt. Nimm, nimm, Herr, 

dieser Deckel ist mein Gastgeschenk. Du musst darin 

unterwiesen werden, denn du bist der Diener einer Frau.


Fassungslos, sprachlos stand der Drost da, 

seine triefenden Augen quollen vor Angst aus ihren Höhlen, 

als er die Schrift gewaltsam in seine Finger gedrückt fühlte.

Doch der Admiral legte ihm sanft die Hand auf die Schulter,


blitzte ihn mit seinen schwarzen Augen an und sagte tröstend:

Denke nicht, dass ich verwirrt bin, edler Herr, 

ich wollte dir nur zeigen, wie wir Wanderer 

auch die Strömungen auf dem Lande kennen. 


So mag ich Euch nicht mehr erschrecken. 

So meldet meine Verehrung der Margarethe, 

und morgen nach der Heiligen Messe 

werde ich vor ihr erscheinen. 


Und, bedeutungsvoll und plötzlich in eine andere, 

bis dahin verschleierte Gedankenwelt abtauchend, 

fügte der Admiral mit geschlossenen Augen hinzu: 

Gib ihr einen Stern, damit sie mich versteht.


Er wachte auf, schaute wie erstaunt 

auf seine lauernden Begleiter, änderte seinen Tonfall 

und rief laut aus: Lebt wohl, edelster Herr, 

und macht Euch keine Sorgen um Eure Abreise. 


Ich werde das Haupt des Krieges 

die Treppe hinauftragen lassen.

Und damit beende ich das achte Abenteuer.

Ein Seher gilt aber nichts in seinem Vaterland.




NEUNTES ABENTEUER


Das Glöckchen der Kapelle läutete noch leise, 

als das Tor in der roten Burgmauer knarrte 

und sich über den hölzernen Weg der Brücke 

ein Zug von unerhörter, einzigartiger Pracht bewegte. 


Außerhalb der Mauern blieb ein dichtes Gewimmel 

von versammeltem Volk zurück, das unermüdlich 

mit Tüchern und erhobenen Händen 

dem eintretenden Seeräuberfürsten zum Gruß winkte. 


Denn das arme Volk liebte diese umherziehenden Gesellen, 

mit denen es Nahrung tauschte, Kleidung und Schmuck 

aus fremden Ländern zu einem günstigen Preis. 

Und sie billigten auch das seltsame Freigericht der Seefahrer, 


weil der Hochmut ihrer Großen vor ihm zitterte. 

In einer gesetzlosen Zeit bildeten diese Urteile 

ein letztes märchenhaftes Wunder, 

fast wie die Tröstungen der Religion.


Der Burghof glitzerte. Lichtfunken sprangen 

aus einem goldenen Harnisch den Sonnenstrahlen entgegen. 

Kein legitimer Hirte eines Volkes, 

geschweige denn ein Untertan, hatte diesen Ort je 


in einem solchen, an Wahnsinn grenzenden Glanz betreten.

Hinter ihrem Fenster beugte sich Königin Margarethe vor. 

Obwohl sie bereit war, etwas Außergewöhnliches zu erleben, 

ließ die Schönheit der wilden Pracht 


und die überragende Würde und schlanke Stattlichkeit 

des bewunderten Besuchers 

ihren Spott zunächst verstummen.

Langsam, als wolle sie einen Traum abstreifen, 


fuhr sich die Frau über die Augen, 

die ganz von Licht und Blitz erfüllt waren, 

und ihre Stimme klang weniger klar als sonst, 

als sie sich ihrer mädchenhaften Begleiterin zuwandte, 


die mit ihr allein den engen Raum des Arbeitszimmers teilte. 

Es war die einzige Hofdame, die die Prinzessin 

als ebenbürtig betrachtete, denn Gräfin 

Karin von Ingerland stammte 


aus einem ur-norwegischen Geschlecht, 

von dem schon die Lieder der Edda sangen. 

Thor selbst hatte als Zeichen seiner Gunst 

einen Hammer in die Schwelle ihrer Sippe gehämmert.


Siehe dort, meine Tochter, die Regentin deutete unsicher, 

und es schien, als wolle sie sich mit menschlichen Worten 

zur Besinnung bringen, die kurze purpurblaue Tunika. 

Wie sie vor Gold starrt! 


Und was für eine königliche Figur, zögerte sie weiter. 

Ich habe nur einmal einen Mann 

in der gleichen Rüstung gesehen, 

König Wenzel von Prag. Aber er war klein und dick, 


erinnerte sich ihr schätzendes Urteil sofort.

Doch das blonde Mädchen ließ sich 

von keiner Neugierde anstecken. Eiskalt und abweisend 

griff sie nach einem langen schwarzen Kreuz, 


das nonnenhaft über ihrem weißen Gewand hing. 

Die Bewegung schien einen Spuk vertreiben zu wollen.

Was kümmert es uns, erwiderte sie, 

wie in das starre Leichentuch eines Heiligen gehüllt, 


woher der Unheilige seine Juwelen gestohlen hat? -

Nicht so. Die Prinzessin hob ihr weises Haupt. 

Sie war mit dieser harten Verurteilung 

nicht mehr einverstanden, seit ihr männlicher Blick 


auf dem strahlenden und blitzenden Seemann 

unter ihr ruhte. Vielleicht kam er, 

um ihre Macht zu vergrößern, und dann wurde es ihr 

in die Hand gegeben, Sünde in Tugend, 


Verbrechen in Staatsnotwendigkeit zu verwandeln. 

Nicht so, mein liebes Kind, belehrte sie nachdenklich, 

aber mit ihrem freundlichen Lächeln, 

dein frommer Ekel führt dich zu weit. 


Hüte dich im Allgemeinen, dass deine Sehnsucht 

nach dem Himmel sich mehr 

mit der Demut nach unten mischt.

Die Prinzessin hatte vielleicht schon vergessen, 


was sie gerade gesagt hatte, denn ihre ganze Aufmerksamkeit 

war auf drei riesige Matrosen gerichtet, 

die hinter ihrem Herrn eine breite Tafel 

auf den Schultern schleppten, 


die in einen Teppich eingewickelt war.

Möglicherweise ein Gastgeschenk, 

vermutete Margarethe zwischen Spott und Eifer.

Über die Wangen ihrer Herrin hatte der Vorwurf 


jedoch eine flüchtige Röte gejagt.

Du tust mir Unrecht, Königin, verteidigte sie sich stolz, 

meine Gedanken sind, wie du weißt, 

auf das Kloster gerichtet. Der irdische Kummer 


mit seinem Elend und seiner Ungerechtigkeit 

vertreibt mich. - Schritte knirschten auf der Treppe. 

Das leise Klirren von Rüstungen ließ sie erschauern.

Nun, wandte sich Margarethe hastig um 


und strich über ihr enges grünes Kleid, 

darüber reden wir, meine Karin, wenn du männlich bist. 

Und jetzt, ich werde nicht erwarten, 

dass du die Luft von einem atmest, den du verachtest. 


Du wirst nur so lange bleiben, bis er eintritt, 

damit ich nicht ohne Begleitung erscheine. 

Dann, sie lehnte sich erwartungsvoll gegen den Tisch,

werde ich allein sein, niemand wird unser Gespräch stören.


Schweigend verbeugte sich die Hofdame. 

Der Vorhang öffnete sich 

und ein blau gekleideter Wappenträger trat ein. 

Breitbeinig verkündete er: Klaus Störtebeker, 


Königin, bittet um deine Gunst. 

Er nennt sich Admiral und Mehrer des Rechts.

Eine Sekunde lang wollte ein bitteres Lächeln 

um den breiten Mund der Regentin huschen, 


fast verlegen strich sie über die unbewegliche Gestalt 

ihrer Hofdame, doch dann lösten sich ihre Brauen 

und sie nickte herablassend:

Er ist willkommen.


Im nächsten Augenblick stand der Admiral 

den beiden Frauen gegenüber. 

Ein goldener Schimmer ging von ihm aus, 

ein Hauch von Jugend und Kühnheit umspielte 


den hochgewachsenen Mann, 

und etwas von der Freiheit und Majestät des Meeres 

breitete sich in dem düsteren Raum aus. 

Unwillkürlich verlor die Königin den Zwang der Geste 


ihres vermeintlichen Herrschers; 

sie musste sich nun wirklich schwer auf den Tisch stützen, 

denn es kam ihr vor, als wäre noch nie 

ein so ungebrochener Mann, 


der sich deutlich von einem sichtbaren Stern leiten ließ, 

vor sie getreten. Wortlos, ohne Zeichen, ohne Gruß, 

betrachtete sie weiter ihren Gast, 

der sie mit seinen braunen Locken, 


seinem purpurblauen, von den Hüften 

abfallenden Waffenrock, den goldgestickten Löwen darauf 

und dem hohen Goldhelm in der rechten Hand überragte, 

und erst als der Admiral sich leicht 


und mit natürlicher Ehrerbietung vor ihr verbeugte, 

gewann ihr breiter Mund sein vertrautes Lächeln zurück. 

Halb abwehrend holte sie aus sich heraus:

Du bist willkommen, Klaus Störtebeker.


Es war ihr völlig entfallen, 

dass sie diesen gefährlichen Freibeuter 

mit Admiral ansprechen wollte, sie vergaß auch, 

ihm nach ihrer Absicht freundlich die Hand zu schütteln, 


so vorbehaltlos war sie von kindlichem Staunen erfüllt. 

Nur eines bemerkte sie mit den untrüglichen Sinnen 

einer Frau, nämlich dass ihre Hofdame, 

die nach der Verabredung nun gehen sollte, 


mit ihrer weißen, hochmütigen Miene 

ungehorsam oder gezwungen auf ihrem Platz blieb. 

Das blonde Mädchen hatte das schwarze Kreuz 

fest an ihre Brust gedrückt, 


als wolle sie sich gegen eine böse 

und sündige Macht wehren. Doch Margarethe 

hatte das Bewusstsein ihrer irdischen Souveränität 

noch nicht wiedererlangt, sondern stand zufrieden 


als Zuschauerin eines ungewöhnlichen Schauspiels da.

Inzwischen hatte der Admiral 

auch die so ungleichen Frauen untersucht. 

Ein kurzer, scharfer, keineswegs schüchterner Blick 


hatte die blonde Dame begutachtet, 

der Blick eines übermütigen Mannes, 

der es gewohnt ist, schnell und ohne viel Aufhebens 

um Waren zu feilschen. Die dunklen Augen 


verweilten länger und prüfend auf der Prinzessin. 

Alles ohne unterwürfige Demut, 

sondern wie der Überbringer eines neuen Gesetzes, 

das die Welt verändern würde. 


Doch als die Stille anhielt, 

rührte sich der Seemann entschlossen, 

so dass die langen Sporen 

an seinen goldumrandeten Schuhen 


einen scharfen Ton von sich gaben. 

Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, 

winkte er seinen Dienern, die immer noch 

unter dem Vorhang warteten, gebieterisch zu. 


Sofort wurde der noch verhüllte Tisch 

an eine leere Wand des Raumes gelehnt. 

Dann verschwanden die Pförtner.

Erhabene Dame, begann Störtebeker 


mit einer so hellen, schmeichelnden Wärme, 

dass es Margarethe vorkam, als würde 

die umgebende Luft mit weichen Händen 

ihren Hals streicheln. Die Frau gab sich 


dem ungewohnten Schauer hin, 

aber Gräfin Karin zuckte zusammen 

und ihre Züge nahmen plötzlich 

den Ausdruck bestürzter Feindseligkeit an.


Erhabene Dame, erklärte der Gast und deutete 

leicht in Richtung des Tisches, wer würde es wagen, 

ohne Fürsprache oder Begleitung 

vor eine Prinzessin zu treten, 


die nach dem bewundernden Urteil ihrer Zeit 

die Semiramis des Nordens genannt wird? 

Aber, o Königin, mein Begleiter spricht nicht so laut 

und vernehmlich zu denen, die gekrönt sind, 


sondern eher sanft und flehend zu denen, 

die ein warmes und mitfühlendes Herz haben, 

und besonders zu euch, ihr milden 

und barmherzigen Frauen. Seht her, ihr kennt ihn.


Ein schneller Griff in den Teppich, die Decke fiel. 

War es ein Ausruf des Erstaunens 

oder der göttlichen Freude, der die Herzen 

der beiden Überraschten sprengte? 


Vor ihnen, eingerahmt in einen geschnitzten Spitzbogen, 

der sanft aus einer üppigen Goldwand herauswuchs, 

hing der Heiland an seinem Kreuz. 

Und unter der leicht geneigten Stirn 


blickten zwei tiefschwarze Augen 

weit über die gemalten Zeugen, aber auch 

über die lebenden Schaulustigen hinaus, 

ernsthaft und eindringlich suchend 


nach etwas Unauffindbarem! Die Augen weiteten sich 

und öffneten sich immer weiter, 

je länger man ihre Frage ertrug. 

Rechts vom Pfahl kniete eine Schar anbetender Mönche 


in faltigen, blass glänzenden Gewändern. 

Jeder trug einen Heiligenschein um sein inbrünstiges Haupt. 

Die göttliche Mutter hockte vor dem Marterholz, 

umklammerte das Fußbrett und presste ihre Lippen 


auf die blutigen Spuren, um unsagbares Leid zu verkünden. 

Auf der linken Seite trauerten die Jünger, 

gekleidet in hellblaue und rote Gewänder, 

und der Heiland selbst war umgeben 


von kindlichen Engelsgestalten im goldenen Himmel, 

deren Körper der Maler ab der Mitte 

in Rauch und Wolken aufgelöst hatte, 

um das Überirdische anzudeuten. 


Das Ganze wirkte so verlockend und betörend, 

dass die Frauen von einem hemmungslosen Zittern 

ergriffen wurden. Zum ersten Mal traf das Wunder der Kunst 

diese nordischen Menschen, denn anstelle 


der üblichen leblosen Schaufensterpuppen 

offenbarte sich ihnen das Sterbliche und Göttliche, 

eingetaucht in die Qualen 

und die Heiligkeit des täglichen Lebens.


Und diese Erhabenheit 

wurde von einem Seeräuber dargeboten?

Die Königin schwankte. 

Sie war bleich wie ein Leichnam geworden. 


Die mahnenden Augen hatten ihr das Herz geöffnet, 

und in ihrem fließenden Blut brannte die Frage weiter, 

die der Menschensohn dort vom Kreuz aus 

in aller Einfachheit an sie richtete: 


Glaubst du mir wirklich? -

Wer? Wer hat das erschaffen?, stammelte die Regentin 

und warf die Hände hoch, 

als ob sie sich verteidigen wollte.


Aufmerksam stand der Admiral neben der Tafel. 

Auch er war erregt von dem ungestümen Drang 

des Künstlers nach Wahrheit und Inspiration. 

Aber er war mit dem Eindruck zufrieden. 


Mit einer bedeutungsvollen Geste erwiderte er:

Ihr seht, o Königin, dies wurde 

von einem rebellischen Geist geformt. 

Meister Giotto di Bondone aus Florenz, 


der sich auch nicht um alte überlieferte Satzungen kümmerte,

sondern das Stückwerk und die Stümperei 

aller menschlichen Dinge kannte. 

Wo siehst du hier eine gesegnete Verheißung? 


Nur Qualen und Selbstbefreiung sind uns verheißen. 

Nur dort winkt unsere Auferstehung, Königin.

Und als er merkte, dass er in der großen Bestürzung, 

die er erregte, noch mehr wagen konnte, 


fügte er mit bewusster Grausamkeit hinzu:

Du sollst wissen, ich selbst habe dieses Bild 

aus einer kleinen sienesischen Kirche genommen, 

die mir das dankbare italienische Landvolk geöffnet hat.


Langsam ließ Margarethe bei diesem Geständnis 

die Hand sinken. Sie starrte den kühnen Redner an. 

Um sie herum war sie verblüfft. Plötzlich aber 

überkam sie die Scham, weil ihr Untergang 


auch von einer anderen Frau erlebt werden würde. 

Und von diesen widersprüchlichen Empfindungen 

überfallen, wandte sie sich heftig gegen ihre Begleiterin. 

Was sie sagte, klang verdeckt und wütend.


Was ist das? Bist du noch da, Gräfin? 

Wir danken dir. Aber jetzt brauchen wir 

deine Hilfe nicht mehr. Du bist beurlaubt. 

Und mit einer höflichen Handbewegung 


sprach sie die Entlassung aus.

Seltsamerweise erhob die stolze Edeling-Tochter 

keinen Einspruch gegen die ungewöhnliche Behandlung.

Tatsächlich schien sie die Zurechtweisung 


kaum zu begreifen. Und doch, 

hinter der ruhigen weißen Stirn wirbelte es umso mehr, 

in den großen blauen Augen gefror ein offenes Entsetzen, 

denn das Letzte, woran sich diese Einsame klammerte, 


drohte einzustürzen. Aber wie? 

Ein Unglücklicher, ein Geächteter, 

tausendmal gebrandmarkt, hatte hier gestanden 

schamlosen Tempelraub, und doch stand er 


in Gold und Seide gehüllt, hochmütig und herrisch, 

und obendrein verwöhnt und verkostet 

von dem wohlwollenden Blick einer Prinzessin? 

Die wundersamste Offenbarung 


wurde durch verunreinigte Hände gegeben, 

und gleichzeitig wurde die tiefste und ewige Lehre 

durch grausame Verachtung erschlagen? 

Die Verheißung wurde vom Himmel gerissen, 


der letzte Trost für alle Verlassenen? 

Nie mehr, das konnten aufrechte Bekenner nicht dulden. 

Aus der Bahn geworfen, aber bis zuletzt bemüht, 

ihre gefasste, ablehnende Haltung beizubehalten, 


schritt die frierende Kreatur nach ihrer Verbeugung 

auf den Vorhang zu. Doch ihre Tortur 

war noch nicht zu Ende; sie sollte 

noch härter geprüft werden. Ein böser Blick 


muss es ihr angetan haben, denn unerwartet 

kam es ihr vor, als ob die schwarzen, feurigen, 

forschenden Augen der Götter 

ganz in ihrer Nähe auf ihr ruhten. 


Sie waren da und drängten sich an sie heran. 

Ihr weißes Gewand fühlte sich von ihnen durchbohrt, 

ihr Körper von ihnen berührt, und jetzt, 

erst jetzt bemerkte die verstörte Frau, 


dass der Mann im blauen Prinzengewand, 

der Freibeuter, der Gesetzesbrecher, 

diese heilig-unheiligen Erdensohn-Augen 

schamlos und gemein auf sie herab leuchten ließ.


Da erlahmte ihre Selbstbeherrschung, 

verwundet, riss sie ihr langes Gewand hoch, 

durchbrach den Vorhang und stand jenseits der Schwelle,

unbekannt und sich selbst entfremdet. 


Geheime Absichten gewannen Macht über ihren Verstand. 

Auch sie glich dem gestohlenen Bild einer Heiligen. 

Der Vorhang zitterte in ihrer entschlossenen Hand.

Jetzt sind wir allein, sprach Margarethe bedeutungsvoll, 


und darum lass mich deine Gabe verehren.

Demütig kniete sie nieder und versank 

in ein unhörbares Gebet vor der Tafel. 

Die geschmeidigen grünen Linien der Frau 


lagen wie frischer, gewölbter Torf vor dem Bild. 

Die Menschenkennerin hatte ihre Gelassenheit 

so weit zurückgewonnen, dass selbst 

der scharfsichtige junge Admiral zweifeln konnte, 


ob das, was hier ausgedrückt wurde, echt war 

oder der übliche Drang zur Darstellung. 

Aber um die Lippen des Matrosen 

spielte ein verstecktes Lächeln.


Die Königin muss es geahnt haben, 

denn sie erhob sich schnell.

Ich danke dir, Admiral, sagte sie herzlich 

und reichte ihrem Besucher die Hand. 


Es war eine weiche, bezaubernde Frauenhand, 

und in ihrer Umklammerung bebten 

die starken Kräfte des Willens und der Unterwerfung. 

Aber Störtebeker stand fröhlich vor ihr, ungebrochen 


und sie um einen Kopf überragend. 

Da erkannte Margarethe mit Bedauern, 

dass es an der Zeit war, diesem mächtigen Willen 

vorerst kleinliche Wünsche zu opfern. 


Voller Würde und mit einer freien Anmut 

ließ sie sich auf ihrem Hochsitz nieder. 

Ihre scharfe Miene nahm einen feierlichen Ausdruck an. 

Setzen wir uns, forderte sie, auch du, Klaus Störtebeker, 


setz dich hin. Hier, neben mich. 

Und dann werde ich dir verraten, 

warum meine Gedanken schon lange 

mit dir beschäftigt sind.


Aber Klaus Störtebeker rührte sich nicht. 

Unanfechtbar sicher klang es 

von dem aufrechten Mann zurück:

Ich kenne deine Gedanken, Königin. 


Und du brauchst mir nichts zu sagen.

Margarethe zuckte erschrocken zurück.

Was weißt du von mir?, fuhr sie den Mann an, 

der sie so mühelos zu vergöttern versuchte.


Unerschrocken, seinen dunklen Blick fest 

auf den ihren gerichtet, antwortete der Admiral:

Ich weiß, dass du ein Reich 

in Not und Kummer zusammengetragen hast. 


Aber auch der Dieb, der über die Mauer klettert, 

erträgt Schmerz und Plage. Nun willst du herrschen, 

wie vor dir unzählige andere deiner Art, 

Berufene und Unberufene, ihre Macht zärtlich gehegt haben. 


Und deshalb musst du deine Krone 

täglich mit dem Wort Gottes, 

mit dem Schweiß der Namenlosen, 

mit Tränen und Blut waschen, 


damit sie die Augen der Deinen blendet. -

Was wagst du?, hauchte die Frau.

Nichts wage ich, denn da du dich unaufhörlich krönen musst,

gebührt es dir, jeden glänzenden Stein von der Straße 


in dein Diadem aufzunehmen. 

Und ein solcher Stein bin ich.

Die Regentin hielt inne, 

klammerte sich verzweifelt an beide Armlehnen, 


und es war fast so, als wollte sie ihren Körper 

rächend gegen ihren Unterdrücker erheben. 

Sie war noch unschlüssig, ob sie das eben Gehörte 

bestrafen oder verachten sollte. 


Und sie war selbst erschrocken, 

als aus dem donnernden Wirbel zunächst 

nichts als ein demütiges Lamento hervorging:

Mann, siehst du nicht, dass ich eine Frau bin? 


Noch nie hat ein so respektloser Mann vor mir gestanden. 

Ich weiß nicht, was mich abhält, dich zu züchtigen. -

Aber ich weiß es, sagte Störtebeker jetzt 

und unterdrückte jeden Widerspruch, 


während er auf sie zuging. Die Sporen 

an seinen beringten Schuhen flüsterten 

und kicherten neckisch mit. 

Mach dir nichts vor, Prinzessin. 


Du bist in dieser Stunde wie gelähmt vor lauter Aufruhr 

in deinem Herzen. Zum ersten Mal blickst du 

aus dem blutigen, waffenstarrenden Ring 

deines vermeintlichen Rechts hinüber 


in den bereits anschwellenden Kreis 

der vermeintlich Rechtlosen. 

Dort herrschst du, hier befehle ich. 

Tausende verbluten und verwelken unter deinem Urteil, 


weil sie deinen Erwartungen oder deinem Nutzen 

nicht entsprechen. Doch sieh dir im Gegenzug 

meine Fäuste an. Sie dampfen mit dem Blut 

deiner Ergebensten, denn sie sind es, 


die meinen Hoffnungen im Wege stehen. 

Wer von uns beiden ist der Schuldige? 

Willst du das entscheiden? 

Du würdest deinen Herrgott für dich 


am Bart aus den Wolken zerren! 

Vergebens, denn dein Gott hat unzählige Male 

die Empörten gesegnet. Da der Gekreuzigte, 

zu dem du dich ängstlich drängst, 


war er nicht der schrecklichste aller Rebellen? 

Und du willst entscheiden? 

Du, deren verstopftes Ohr nicht einmal hört, 

wie unter der dünnen Decke deiner Füße 


schon Tausende meiner Stimmen schreien 

und heulen und jammern?

Unerbittlich erfüllte der helle Ton den engen Raum, 

die Glut einer verzehrenden Überzeugung 


wehte der halb betäubten Frau entgegen, 

alle ihre Gedanken waren darauf gerichtet, 

vor dem schrecklichen Eroberer zu fliehen, 

der mit Räuberfäusten auf ihr Bewusstsein einhämmerte. 


Aber, o Wunder, gerade aus ihrer natürlichen Todesangst, 

aus der Furcht vor persönlicher Zerstörung oder Schande, 

erhob sich, wie der weiße Stein aus der schäumenden Gischt, 

das ureigene Gefühl dieser Frau, das Gefühl 


ihrer königlichen Einsamkeit. 

Und daran gewöhnt, sich jede Hilfe, jede Rettung 

von ihrer herrschsüchtigen Seele zu holen, 

überkam sie ein Schauer widersprüchlicher Freude 


über die nahende Gefahr. Wie zufällig spürte sie 

sogar die Verlockung jener gewalttätigen, 

grausamen Männlichkeit. Nur eines entging ihr, 

und das war genau das Neue, das sie wahrnahm: 


das dumpfe Brüllen der dunklen, wilden Gestalten, 

die der fremde Mann gerade vor ihr heraufbeschworen hatte. 

In einem dumpfen Grollen erstarb das unheimliche Geräusch 

für sie hinter einem gut bewachten Eisentor, 


zu dem sie keinen Schlüssel besaß.

Doch stattlich richtete sie sich auf, 

bis sie in voller Höhe aus ihrem herrschaftlichen Sitz ragte. 

Als sie ihren Arm ausstreckte, 


blitzten die goldenen Schnüre 

im Sonnenschein zu Boden.

Hüte dich!, warnte sie schneidend, 


und gleichzeitig griff ihre sinkende Hand 

nach einem kleinen Hammer. 

Überlege dir, wo du stehst. Ein Schlag auf diese Platte, 

und meine bewaffneten Männer würden dich lehren, 


wer von uns im Namen des Ewigen richten darf.

Da stieß Störtebeker ein herausforderndes Lachen aus.

Kennst du kein anderes Lied?, 

zuckte er verächtlich die Achseln. 


Komm zu mir auf die Agile, 

und es wird dir nicht anders vorkommen. 

Aber, und er schlug sich heftig auf die Brust,


dieses Mal wird nicht gesungen. -

Woraus schließt du das? -

Mir geschieht kein Leid, Königin, 

beharrte der Seemann unnachgiebig, 


denn ich war nicht so töricht, dir mehr zu vertrauen 

als meiner Gewalt. Signifikant deutete er zum Fenster. 

Margarethe folgte der Bewegung, 

und in der Ferne auf der Reede schwollen ihr 


die schwarzen Rümpfe der Koggen der Freibeuter entgegen, 

und als sie sie schärfer betrachtete, 

fielen ihr mehrere dunkle Riesenaugen auf, 

die sie bedrohlich und lauernd anstarrten.


Der Admiral lächelte eigentümlich, 

und die Regentin versuchte, das gleiche Zeichen 

der Gelassenheit zu geben, obwohl die Heiterkeit 

nur wie ein bleierner Schein um ihre Lippen wanderte. 


Und doch, da draußen, diese schlanken Masten, 

an denen ihr ganzer Ehrgeiz hing. 

Über die schwankenden Planken dort konnte sie 

stolz und siegreich schreiten, beneidet 


und bewundert in die Ferne, 

durch die Jahrhunderte und zu fernen Ufern. 

Und von ihrer eigenen Leidenschaft getrieben, 

rannte die Frau fast unwillkürlich zum Ausguck. 


Als sie sich umdrehte, flackerte auf einmal wieder 

das ganze Netz ihrer Seelenfängerkünste 

in ihren scharfen Zügen auf. Und ihre großen 

braunen Augen blickten fraulich und versöhnlich.


Wunderbarer Mann, stellte sie sich dicht neben ihren Gast 

und legte ihre Hand leicht auf seine Brust, 

als wolle sie das stürmische Herz darunter beruhigen. 

Worüber streiten wir uns? 


Da du meine Absichten kennst, nenne deinen Preis. 

Und bei meiner Ehre, ich werde weder knausern noch feilschen.

Denn, Klaus Störtebeker, auch wenn du grob genug 

in meinen fürstlichen Schatz hineingestoßen bist, 


ich finde dennoch Gefallen an dir und deiner spritzigen Art. 

Und ich bin keine Undankbare!

Die Frau schmiegte ihre andere Hand sanft 

an die goldenen Löwen des blauen Wappens, 


und es gefiel ihr, wie der kräftige Atem des Matrosen 

ihre Finger gleiten und anschwellen ließ. 

Eine kurze Zeit lang sahen sie sich beide an, 

keiner von diesen stolzen Menschen war 


von der großen Nähe ihrer Körper betroffen oder bedrückt. 

Doch während die Frau allmählich begann, 

den kühnen Sturm des Fremden 

mit lebhaften Nasenlöchern einzuatmen, 


entledigte sich ihr Widersacher fast gänzlich 

jeglicher Lust auf Abenteuer und Rausch. 

Es war das überlegene Wesen der Prinzessin, 

ihr herablassender Blick 


und doch das verstohlene Spiel ihrer Hände, 

das ihn lehrte, dass er gekommen war, 

um ihre hochmütige, ungerechte Welt zu stören. 

Und kaum hatte er das gedacht, gab es 


für den entschlossenen Mann kein Zögern mehr. 

Er machte noch einen halben Schritt auf sie zu, 

und sie waren sich jetzt so nahe, als wollten sie 

sich umarmen oder sich die verborgensten Dinge zuflüstern.


Erwartungsvoll, spitzbübisch hob Margarethe den Kopf.

Königin, platzte Störtebeker plötzlich ungestüm heraus, 

und die Erregung des Augenblicks brannte 

auf seinen dunklen Wangen. Eine ungeheure Erwartung 


hatte ihn ergriffen, ein wildes Verlangen, anzugreifen. 

Du verlangst meinen Preis? Erwarte nichts Geringes; 

dich selbst fordere ich mit Leib und Leben!

Margarethe wich nicht zurück, 


denn sie war auf etwas Ähnliches gefasst. 

Sie schloss genüsslich die Augen, 

und es war fast so, als würde sie leise nicken. 

Die Wüste und der Wahnsinn dieses Werbens 


verstärkten nur ihr Missverständnis.

Versprich dich mir, sprach sie mit ihrer sanften, 

überzeugenden Anmut, und gleichzeitig ergriff sie 

die behandschuhte rechte Hand des Mannes 


als Zeichen des Bündnisses, 

versprich dich mir mit deinen Schiffen, 

deinen Lederschlangen und all deinen Gefährten, 

und welcher deiner Wünsche soll unerfüllt bleiben? 


Und als sie glaubte, die Finger ihres Gefährten 

schwer in den ihren ruhen zu spüren, 

und nicht so willig, wie sie erwartet hatte, 

fuhr sie heißblütiger fort: 


Gib dich mir hin, Klaus Störtebeker, 

und siehe, ich werde dir und den Deinen 

die Gesetzlosigkeit nehmen, die dich quält, 

keine Richterhand soll auf deine Taten blicken dürfen, 


und dich selbst werde ich als Dänemarks Marinechef 

auf die erste Stufe meines Thrones setzen. 

Graf von Gotland sollst du heißen, 

und es soll keinen geben, der mir näher steht als du! -


Das genügt mir nicht, sagte der Seemann dumpf, 

und mit einer harten Bewegung fügte er hinzu: 

Du ahnst auch nicht, Königin, 

dass ich für mich nichts verlange. -


Nichts für dich?, wiederholte Margarethe enttäuscht, 

und ihr scharfer Blick stahl sich fortan verständnislos 

um das bedrohlich entrückte Antlitz ihres Gastes. 

In abruptem Wechsel begann ihr die wilde Person 


wieder unheimlich zu werden.

Nenne deine Bedingungen, rief sie beleidigt, 

als sie ihre Hand von ihm zurückzog. 

Bei einem solchen Geschäft gibt es keine Geheimnisse.


Aber Störtebeker streckte sich, 

und indem er mit dem ausgestreckten Arm 

auf die Tafel Giottos zeigte, brach er von neuem 

in sein rücksichtsloses Lachen aus.


Glaubt Ihr wirklich, o Königin, dass ich Euch 

diesen nur zum Anschauen gebracht habe? 

Du irrst; denn er ist der einzige auf Erden, 

der mein Geheimnis begreifen könnte, 


wenn er am Leben wäre, 

und deshalb lehnt er an der Wand. 

Weil das sanfte Lämmchen nur 

die halbe Arbeit geleistet hat, deshalb stehe ich vor dir. 


Weil er sich nicht traute, die Waffen zu ergreifen, 

deshalb trage ich sie an seiner Stelle. 

Aber sei gewiss, wenn er mich hören würde, 

würde er herunterkommen und mir folgen. -


Lästere nicht, rief Margarethe, ehrlich bleich, 

den mörderischen Zorn gegen 

die große Unbestimmte fürchtend, 

vor der sie selbst abergläubisch, 


oder doch fast mit Überzeugung neigte. 

Und auch ihr Herz schlug unwillig gegen das Neue, 

das der Frevler ihr da anvertrauen wollte.

Komm zum Ende, ermahnte sie ihn deshalb ungeduldig, 


und sie schritt hinter den Tisch, 

wo sie sich gebieterisch abstützte. 

Ihre Miene trug nun deutlich den Ausdruck 

von Schüchternheit und Kränkung. 


Endige, damit ich mir überlegen kann, 

wie mein Vorteil im Vergleich zu deinem ist.

Klaus Störtebeker trat an das andere Ende des Tisches. 

Dann klopfte er leicht auf die Eichenplatte.


Jetzt sprichst du endlich, tadelte er mit verhaltenem Tadel, 

wie deine Welt dich gelehrt hat. Dein Vorteil,

mein Vorteil, Königin, und du fragst nicht einmal, 

woher die Stimme kommt, die sich jetzt 


in nie wiederkehrender Stunde an dein Ohr wendet? -

Ich weiß, woher sie kommt, warf die Königin spöttisch ein.

Glaubst du, ich wäre nicht schon früher 

über dich belehrt worden, du törichter Mensch? 


Ein Bastard bist du, stöhnte sie grimmig. 

Edeling-Blut und Knecht-Blut streiten sich in deinen Adern. 

Aber deine Abstammung von den Unfreien ist tiefer in dir, 

da du dich nicht scheust, mit einer Bande 


von Dieben und Mördern gegen 

unser besseres Blut den Richter zu spielen.

Oh, es tat ihr gut, als sie die Beleidigung 

gegen den schönen Mann geschleudert hatte, 


erst jetzt glaubte sie, wieder im Besitz 

ihrer Majestät und Macht zu sein, 

als sie das tödlich blasse Antlitz ihres Widersachers 

von einer wilden Verzerrung gezeichnet sah. 


Und sie hätte gejubelt, wenn der Freibeuter 

sich in diesem Augenblick zu einem schamlosen Ausbruch 

gegen sie hätte hinreißen lassen. Erwartungsvoll 

hielt sie bereits den Hammer in der Hand.


Nur in den dunklen Augen ihres Gastes 

funkelte der Hammer wild umher, 

aber seine hochgewachsene Gestalt klammerte sich 

mit beiden Fäusten an den Tisch, 


um in schockierender Zurückhaltung 

und fast flüsternd die bittere Erwiderung zu finden.

Aber du willst die Mörder und Diebe 

des Bankiers für dich rauben und stehlen lassen? 


Und ihren Anführer kannst du in den Rang 

eines Grafen von Gotland erheben?

Die Fürstin schwieg. 

Darauf wusste sie keine Antwort.


Frau, kochte es weiter in der bebenden Brust 

des herausgeforderten Mannes, 

und er schüttelte den schweren Tisch, 

als wäre er ein Spielzeug. Diebe und Mörder, sagst du? 


Merk dir, was du gleich erfahren wirst. 

Es ist nicht mehr und nicht weniger als das, 

was dein Gekreuzigter zu sagen vergaß. 

Wir sind alle Diebe und Mörder. Wir alle, hörst du? 


Nur dass ich und die Meinen sich immer nur 

blaue Flecken und Wunden stehlen, 

während du und die Deinen 

die köstlichen Speisen vom Tisch tragen. 


Glaubst du, es macht mir Vergnügen, 

durch die dunklen Seenächte zu segeln, um das zu richten, 

was nie ausgerottet werden kann? -

Ist dir das endlich klar?, warf die eifrige Zuhörerin 


triumphierend ein, denn sie freute sich, 

in dem Freibeuter so etwas wie Zerknirschung zu spüren.

Die Neigung der Glücklichen, uns arme Leute zu unterdrücken, 

zu plagen und zu entrechten, ist unausrottbar, Königin, 


fuhr der Freibeuter ruhig fort, 

seine schwarzen Augen starrten auf die leere Wand 

über der Regentin, als ob all die elenden Menschen, 

die er in seinem Wanderleben gesehen hatte, 


dort litten und starben. 

Aber auch der Hass, der Neid, die verzehrende Mordlust, 

die zerstörerische Wut der Geschundenen sind unabdingbar. 

Das ist das Natürliche. Und daran ändert 

weder deine Barmherzigkeit etwas, 


noch das dunkle Gericht, das mit mir über die Fluten jagt. -

Ist dir das klar?, fuhr die Königin auf. 

So etwas war der weisen Haushälterin noch nie aufgefallen, 

und doch hallte ihr Alter von den Verwünschungen 


und Aufbegehrensversuchen der Niedrigen 

und Unterdrückten wider. Sie war soeben 

niedergeschlagen worden, wie man ein bissiges, 

unvernünftiges Tier fesselt. Nun packte die Frau 


der seltsame Verdacht, dass hinter dem Toben 

des Tieres im Stall doch eine eigene Sprache steckte. 

Und so suchte sie, wie es sich für eine Frau gehört, 

zunächst einmal ihre Neugier zu befriedigen.


Und wem gibst du die Schuld an dem ewigen Streit?, 

erkundigte sie sich eifrig.

Störtebeker erkannte ihre Anspannung, 

mit einem frechen Lächeln erwiderte er:


Dein Gott! - Mann, hetze doch nicht so! -

Ich hetze nicht, ich leugne nur deinen Gott, 

weil er seinen Sohn zu spät auf die Erde geschickt hat. 

Wäre er am Anfang erschienen, 


als sich die Menschenhaufen zum ersten Mal 

zur Gemeinschaft versammelten, glaub mir, Frau, 

dann wäre unsere Sache nicht so miserabel geworden.

Das war es also, worum es ging? 


Als diese Anschuldigung der Königin 

entgegengeschleudert wurde, verzog sie 

ihren breiten Mund ein wenig und wies sie von sich. 

Der Mann vor ihr hatte offensichtlich 


zu viel nachgedacht und gegrübelt; 

das lange vergoldete Schwert, 

das in seiner linken Hand glitzerte, war wohl nicht 

das richtige Werkzeug für den Enthusiasten. 


Mit einem Mal verlor die energische Rechnerin 

die letzte Angst vor ihrem Gast. 

Mit dem Anschein von Müdigkeit ließ sie sich 

auf ihrem erhöhten Sitz hinter dem Tisch nieder 


und warf beiläufig, fast müde, ein:

Nun, da es zu spät ist, sich zu ändern, 

warum gibst du dich fruchtlosen Begierden hin? 

Ich weiß eine bessere Arbeit für dich. 


Lass mich dich anwerben, Störtebeker. -

Es ist noch nicht zu spät. - Wie?

Wer hat hier gesprochen? Ging es wirklich durch den Raum 

wie ein junges Erwachen? 


Margarethe war durch und durch erschrocken. 

Der Seeräuber hatte beide Armlehnen 

ihres Stuhls umklammert, jetzt beugte er sich über sie, 

als wolle er sie festhalten. Sie wusste nicht mehr, 


ob sie seine Worte von seinem Mund ablas 

oder ob sie bleiern aus seinen wilden, 

glühenden Augen flossen?

Königin, sein heißer Atem stupste sie an, 


die Zeit ist gekommen. Du bist dabei, deine Wahl zu treffen. 

Aber zukünftige Generationen werden dich dafür verehren. -

Was willst du?, murmelte das alte Weib entsetzt, 

während sie sich immer tiefer in ihren Stuhl kauerte. 


Und die Hände ausstreckend, stammelte sie unwillkürlich: 

Tu mir nicht weh.

Das dunkle Gesicht ruhte unverändert über ihr.

Du bist sicher, Königin, denn du wirst endlich die Erde reinigen,


die in Hass und Neid, in Brudermord und Ungerechtigkeit, 

in Hochmut und Verleumdung schwelt! 

Kain sollst du vertreiben und damit 

das Werk des siebenten Tages vollenden. -


Lass mich, du bist fiebrig. Ich verstehe dich nicht. -

Ja, ja, du bist das Werkzeug, denn ich enthülle dir jetzt 

mein Geheimnis. Du wirst mein Werkzeug sein. 

Höre! Klare Zeichen gehen durch die Welt. 


Was treibt die Geißelbrüder 

zu ihren blutigen Selbstquälereien durch eure Städte? 

Zu welchem Zweck schwärmen die Scharen 

halbnackter Kinder über die Felder 


und fallen wie Heuschrecken über die Früchte her? 

Welcher Wahnsinn, welche zitternde Unruhe 

jagt Knechte und Herren von dir weg 

dem Sonnenaufgang entgegen? 


Eine ungeheure Suche hat sie ergriffen, 

denn sie alle spüren, dass die Erde 

den tobenden Ekel nicht mehr ertragen kann. 

Eine andere will gebären. Nun erhebe dich, Königin, 


rufe die Menschheit endlich zusammen, 

endlich, nach Jahrtausenden des Irrtums, 

zu einem neuen Morgen der Schöpfung. 

Siehe, ich habe die Widerspenstigsten der Ausgestoßenen 


und Verlassenen um mich versammelt. 

Ihr Atem ist Hass, ihr Wort ist Neid, ihr Verlangen ist Mord. 

Führe diese Verzweifelten von ihren unsicheren Wegen 

an Land, in ein Land der Verheißung. 


Unzählige Hufe liegen unbenutzt vor dir, 

lass mich sie in gleiche Lose teilen für die Neuen, 

für die Verwunderten, lass mich ihnen verkünden, 

dass Pflug und Egge, Stier und Ross fortan 


zusammengehören zu ihrer großen glücklichen Vereinigung, 

lass sie sich selbst richten und schützen, 

wo es nichts mehr zu richten und zu schützen gibt, 

denn dann, o Königin, aber nur dann, 


wird den Seligen die Gewissheit der Götter dämmern, 

dass Hoch und Tief verschwunden sind, 

weil der Mensch, der ursprünglich gute und reine Mensch, 

wieder zu seinem unschuldigen Anfang gekommen ist. 


Ich will dies vollenden, es muss vollendet werden, 

höre, die Erde schmückt sich schon bräutlich 

für den Bund mit dem glücklichen Menschen. -

Das letzte ging in einen markerschütternden Schrei über, 


der junge Seemann stand da, erleuchtet 

von der Röte des Morgens, wie sie nur einmal 

für die Auserwählten aufgeht. 

Seine rechte Hand war an den Knauf des Schwertes geworfen, 


als ginge es nur darum, eine Schar 

siegestrunkener, begeisterter Menschen 

den kurzen Weg entlang zu führen, 

die seine glühenden Augen förmlich aus dem Nebel lockten.


Margarethes Gesichtszüge aber hatten sich verzerrt, 

ihr breiter Mund war feindselig geöffnet, 

ihre großen Zähne nach vorne geschoben, 

um sich an einem Faden festzubeißen, 


der um ihr Gesicht gewickelt war. 

Sie hatte nur eines begriffen, und zwar 

mit der ganzen Schlauheit der Frau und der Herrscherin, 

nämlich dass der Boden unter ihr bebte, 


weil der von einem Wahnsinnigen ausgerufene Bund 

sie und ihresgleichen nicht mehr brauchte. 

Ihr ursprünglicher Plan war vergessen, niedergemäht 

von der Schärfe ihrer selbstsüchtigen Forderungen, 


die Unmöglichkeit ihres eigenen Verzichts 

erweckte in ihr nichts als einen bitteren, giftigen Hass. 

Kaum sah sie, dass ihr Platz frei wurde, sprang sie auf 

und griff nach dem kleinen Hammer.


Dann sprach sie mit scharfer, ätzender Gelassenheit:

Sag, Klaus Störtebeker, sind deine Gefolgsleute 

schon von dir eingeweiht?

Bei der spöttischen Anrede erwachte der Admiral; 


trotzig setzte er seinen bewaffneten Fuß 

auf die Stufe des Sitzes und ließ seine rechte Hand 

nicht von der Waffe. Königin, warnte er ärgerlich, 

was Nacht und Elend mir in langen Jahren anvertraut haben,


wissen nur du und ich.

Die Königin wurde immer kälter.

Und mit einer Bande von Dieben und Räubern 

willst du ewiges Recht schaffen?


Das Gesicht des Seeräubers entfaltete sich. 

Wild rief er aus: Auch Rom wurde 

von Dieben und Räubern erschaffen. 

Aber Verantwortung, Arbeit und Gemeinschaft, 


das sind die Bausteine eines edleren Volkes. -

Und wenn meine restlichen Ländereien 

von der Empörung angesteckt würden? 

Wenn sie begännen, das anzugreifen, 


was sie längst erworben hatten, 

Ämter zu verjagen, die Gesetze zu verhöhnen? 

Glaubst du, dass das Blut der Zufriedenen 

weniger heilig ist als der Fiebersaft der Mörder? -


Weib, deine Augen verdeckt die Blindheit, 

wütete nun Störtebeker. Schaum kam ihm über die Lippen 

und er schüttelte drohend die Faust. Du siehst nicht, 

dass du dich nur von Raub und Diebstahl ernährst. 


Die große Hure bist du, die sich dem Gold hingibt. -

Und du bist ein Feind des Menschengeschlechts, 

sagte Margarethe, ungerührt. Ich bereue, 

dass ich dir mein Gesicht gezeigt habe. 


Erhebe dich von mir. Und von nun an 

sei Feindschaft zwischen uns, bis du ausgelöscht bist.

Da stieß der Admiral sein helles, schallendes Lachen aus, 

doch dann verneigte er sich plötzlich tief.


Noch einmal sitzt ein Leichnam auf dem Thron, 

zeigte er mit ausgestreckter Hand, 

noch einmal wäscht ein Schleicher seine Hände in Unschuld. 

Aber bei den Schwärmen und Lumpen der Bettler 


sei es geschworen, ich werde 

für ein königliches Begräbnis sorgen. -

Kein weiteres Lebewohl. 

Er riss den Vorhang auseinander und trat hinaus.


Da, dicht hinter den Falten stand er, wie ein weißes Bild. 

Eine schneekalte Wolke stand dort, zitternd und blitzend. 

Ein paar verwirrte Augen, geblendet vom frommen Wahnsinn,

wanderten hinter dem stürmischen Mann her. 


Er starrte, irgendwo musste er schon einmal 

eine ähnlich behütete Wohlfühlpuppe gesehen haben, 

und frech und unverschämt winkte er ihr zu, 

bevor er die schmale Holztreppe hinuntersprang. 


Aber auch die Königin hatte etwas Seltsames 

hinter dem geöffneten Teppich entdeckt. 

Wutentbrannt, noch immer erschüttert 

von den Eindrücken des eben Geschehenen, 


riss die Regentin mit einer Träne den Vorhang auf, 

um dann sprachlos auf der Schwelle zu verharren.

Was ist das?, rief Margarethe, bebend vor unterdrückter Wut, 

und eine fahle Blässe überzog ihre Wangen, 


denn die erschütternde Gewissheit überkam sie, 

dass der Ausgang ihres zweifelhaften Kampfes 

nun nicht mehr der Vergessenheit anheimfallen würde. 

Gräfin Karin, ich merke, dass du die Luft 


im Palast nicht verträgst. 

Wir sind um deine Gesundheit besorgt. 

Verlass sofort die Stadt und warte ab, 

was ich weiter für deine Heilung beschließe. 


Diskutiere nicht, geh, ich mag dich nicht mehr.

Und nachdem die weiße Wolke Schritt für Schritt,

traumwandlerisch, hinter dem engen Tor verschwunden war, 

eilte die Königin zurück 


und schlug besinnungslos auf den Silberteller.

Bringt den Kanzler auf der Stelle befahl sie 

dem eintretenden Wappenträger. 

Es klang eher wie ein bösartiges Gekreische.


Sie lag mit beiden Armen über den Tisch gestreckt, 

ihre Nägel kratzten unruhig auf dem Teller, 

als das bunt geschmückte Skelett ihres Beraters 

endlich vor ihr auftauchte. Sie hob nicht grüßend 


das gesenkte Haupt, sondern stöhnte, 

begleitet von einem widersprüchlichen Lächeln, auf:

Versammle Friedensschiffe, rüstet euch 

und alle Adligen. Gründet einen Bund der Hanse, 


schreibt an den Großmeister von Preußen, 

keine Ruhe bei Tag und Nacht, 

bis die Seeplage ausgerottet ist. Dies ist unser Schicksal, 

wie eine stechende Fliege sticht sie uns in die Augen.


Und voller Entsetzen sah der geplagte alte Mann, 

wie der schöne Busen seiner Herrin 

von krampfhaften Schluchzern inmitten 

eines hämischen Lachens geschüttelt wurde.




ZEHNTES ABENTEUER


Es war am selben Abend. Auf Schloss Ingerlyst, 

an der engsten Stelle des Öresunds, 

eine gute Stunde von Kopenhagen entfernt, 

saß Gräfin Karin in der Nische ihres niedrigen Saals, 


der ganz aus dunkler Kiefer gebaut war, 

und brütete einsam und weit weg 

über dem Aufeinanderprallen der dampfenden Schaumketten. 

Ein ständiges dumpfes Donnern stieg zu ihr empor, 


und hinter dem pfeifenden Seewind 

zitterten die Lichter von der jenseitigen schwedischen Küste. 

Das stille, blonde Mädchen war nicht allein. 

Ihr gegenüber, auf der zweiten Seitenbank, 


lehnte ein stämmiger, rothaariger Mann, 

dessen bedächtiges, bartloses Gesicht 

sich deutlich vom Otterkragen 

seines schwarzen Reisemantels abhob, 


denn Herr Klaus Tschokke, der junge, 

neu gewählte Bürgermeister von Hamburg, 

wollte noch in dieser Stunde mit dem Schiff 

nach Falsterbo zurückkehren, 


wo der Frieden unterzeichnet werden sollte. 

Und er hatte nur deshalb gezögert, seinen Besuch 

endgültig abzubrechen, weil er noch nicht 

den Mut gefunden hatte, diesem stolzen 


weißen Jungfrauengesicht zu offenbaren, 

was ihn wirklich hierher getrieben hatte. 

Nicht nur der seltsam abwesende Glanz, 

der manchmal über den stahlblauen Augen des Mädchens hing,


schränkte ihn ein, sondern er fühlte sich auch 

durch die Anwesenheit eines Zeugen beeinträchtigt. 

Am anderen Ende der kahlen Halle, 

nahe dem hohen steinernen Kamin, 


saß ein Geistlicher in einem braunen Reisemantel, 

und von Zeit zu Zeit streckte sich eine feine weiße Hand 

nach den brennenden Buchenscheiten aus, 

die vergeblich versuchten, die Kühle 


des kühlen Frühlingsabends zu mildern. 

Oft wehte ein Windstoß durch den Schornstein, 

und dann hustete Abt Franziskus vom Kloster Cona auf Rügen

kurz und unruhig, um sich gleich darauf 


der vorgeschriebenen Andacht zu widmen, 

dem Psalmodieren aus einem kleinen geschriebenen Brevier. 

Die Äbte des Cona-Klosters waren seit langem 

zu Gast in Ingerlyst, und dieser, 


der ebenfalls von Falsterbo herübergekommen war, 

hatte auch um ein Bett für die Nacht gebeten, 

weil er morgen die Ehre haben sollte, 

der Königin vorgestellt zu werden.


Die feine, geschmeidige Gestalt hing friedlich 

in ihrem Lehnstuhl, in Andacht versunken, 

die harten Seiten des Büchleins knisterten trocken und steif,

sobald man sie umblätterte, 


und gerade dadurch war Herr Klaus Tschokke 

allmählich in seiner kühlen, berechnenden Überzeugung 

bestärkt worden, dass er aus dieser Entfernung 

keinen Lauscher zu fürchten hatte. 


Ein Blick auf den weiß gedeckten Tisch 

in der Mitte des Saales hatte den jungen, 

weltgewandten Bürgermeister auch gelehrt, 

dass man die Zeit der Schlossherrin 


nicht über Gebühr in Anspruch nehmen sollte.

So hatte er sich einige Male an der schmalen Stehlampe, 

deren schwache Ölflamme zwischen ihnen schwankte, 

bewegt, um schließlich seine Schicksalsfrage 


an die schöne blonde Frau so würdevoll 

und gemessen zu stellen, wie er es sich 

auf der langen Reise überlegt hatte, 

mit Anstand und ehrlichem Selbstbewusstsein.


Nun wartete er ruhig und anständig auf ihre Antwort, 

und das kantige bürgerliche Gesicht 

mit der kräftigen Hakennase hütete sich, 

irgendeine Bewegung zu verraten, obwohl er sich wunderte, 


dass die Blondine ihre Augen auf ihn richtete 

wie auf ein fremdes Wesen, das sie nicht verstand.

Der Patrizier hatte ihre gegenseitige Beziehung 

zueinander abgewogen. Und ein Schauer der Erinnerung 


durchlief Karin, als die Ereignisse, 

die sie immer umgeben hatten, in der Schilderung 

des Kaufmanns einen so sachlichen Charakter annahmen. 

Es fröstelte sie, weil sie ihr Schicksal, 


losgelöst von sich selbst, 

von einem Fremden aufgezeichnet fand.

Trocken und ohne Umschweife, wie aus einer Chronik, 

hatte der Hamburger ihr das Bluten und Zersplittern 


ihrer Familie beschrieben. 

Ein harter, unnachgiebiger Stamm, 

verwildert in nordischer Blutrache und Familienfehde, 

und nicht selten von den eigenen Königen 


als Übeltäter auf den Block geführt. 

In roten Strömen verflüchtigte sich allmählich 

die Lebenskraft der widerspenstigen Sippe, 

bis in den letzten beiden Grafen von Ingerland, 


in Karins Brüdern, das böse Erbe nur noch 

in Landhunger und wilder Raubgier unterging. 

Ein erschreckendes Bild von Feuerlärm 

und schwelender Asche stieg vor der Lauschenden auf. 


Ihre Brüder hatten nicht davor zurückgeschreckt, 

ihre eigene Mutter, die mit ihrer minderjährigen Tochter

zurückgeblieben war, bewaffnet 

auf ihrem nordischen Witwensitz anzugreifen. 


In der Tat wäre den beiden ungehobelten Kerlen, 

die ihr Christentum nur verhöhnten, 

das unverzeihlichste Verbrechen wohl nicht erspart geblieben,

hätte nicht ein hanseatischer Gastfreund 


die beiden Frauen in der grausigen, 

feurigen Nacht schnell und entschlossen 

auf sein Handelsschiff gerettet. 

Der Retter führte die Verarmte gütig 


in sein herrschaftliches Haus in Hamburg, 

und hier, unter dem Schutz des ehrenwerten, 

warmherzigen Ratsherrn Hinrich Tschokke, 

des Vaters des Bürgermeisters, 


erwachte die kleine Flüchtige zum ersten Mal 

in dem Bewusstsein einer bürgerlich behüteten Situation. 

Fast ungläubig sah sie die regelmäßige Arbeit 

in den schummrigen Büros des Hauses, 


denn Herr Hinrich besaß die florierendste Brauerei 

der Handelsstadt. Mit großen Augen beobachteten 

die Frauen von den niedrigen vergitterten Fenstern aus 

die bunten Umzüge der Zünfte und Kaufleute, 


und sie erfuhren auch etwas von dem Stolz, 

mit dem die Oberhäupter der herrschenden Familien 

die Angelegenheiten ihres Gemeinwesens ordneten. 

Und doch, die Seele der Heranwachsenden 


blieb verschlossen gegenüber den Auswirkungen 

des frischen, aktiven Lebens um sie herum. 

Zu sehr nistete sich im Kern 

ihrer eng gefalteten Blüte das Grauen ein, 


das wie ein Wurm in ihre Kindheit hineinkroch, 

und ihr ängstliches Gemüt löste sich nicht 

von dem frühen Eindruck, dass Unrecht 

und Gewalt alle Macht auf Erden an sich gerissen hatten 


und wie der Einzelne schutzlos umherirrte 

und sehnsüchtig nach einem Retter Ausschau hielt. 

Ein krankhaftes Mitleid mit den Gebrochenen, 

Armen und Belasteten hatte das stille Kind ergriffen, 


und ihre schönsten Stunden kamen, 

wenn sich an Feiertagen die Kranken und Bettler 

unter dem mächtigen Ahornbaum 

im Hof des Kaufmannshauses 


um den dort sitzenden Ratsherrn versammelten, 

um Essen und kleine Geldgeschenke entgegenzunehmen. 

Dann war es üblich geworden, dass Karin selbst 

die irdenen Schalen herumreichte, 


und nur in diesen Momenten hellte sich 

ihr weißes, mürrisches Antlitz zu einem seligen Lächeln auf, 

und der junge Klaus, der Sohn des Hauses, dachte dann, 

dass die fremde Adelstochter mit ihren blonden Locken 


ein mildes Licht in der Lumpenschar verbreitete, 

wie ein schöner Bernsteinschmuck. 

Im Alter von fünfzehn Jahren, 

nachdem Karins zwei Brüder in der Schlacht von Fallkiöpping 


als Rebellen gegen die Königin 

ein grausames Ende gefunden hatten, 

verließ sie schließlich das deutsche Haus. 

Nun sah sich die kluge Margarethe veranlasst, 


sich mütterlich um die Waisenkinder zu kümmern. 

Für die konfiszierten norwegischen Güter des Hauses 

erhielten sie Schloss und Herrschaft Ingerlyst, 

und hier, dicht unter den Augen der Königin, 


saß nach dem Tod der Mutter 

der letzte Spross der verdorrten Dynastie, 

weltlich scheu und zurückgezogen 

als Hofdame der Regentin. 


Doch insgeheim sehnte sich ihr verwundetes Innenleben 

noch tiefer als zuvor nach dem unauffindbaren Trost 

gegen die täglich offenkundige Missachtung 

von Recht und Sitte, und fast verletzt verwarf sie 


den Gedanken, durch die Heirat 

mit einem rauen, habgierigen Herrn 

noch tiefer in die Geschäfte und Ungerechtigkeiten 

dieser Welt verstrickt zu werden. 


Immer näher kam ihrem sehnsüchtigen Blick 

die Klosterpforte mit ihren dämmernden Schatten, 

und immer bereitwilliger schritt ihr Fuß auf diese Schwelle zu. 

Bis heute. Dort, war das möglich? Heute, zum ersten Mal, 


war ihr traumhafter Schritt ins Stocken geraten, 

hatte gezögert. Welche heilige Wüstenvision, 

welche wetterleuchtende Wolke 

hatte ihr ganzes Gemüt und den noch kurzen Weg vernebelt? 


War es Wirklichkeit, oder hatte ihr verschlossener Geist 

selbst diese unheimlich blutige Gestalt der Gnade geboren? 

Nein, nein, während sie hier saß und fast gedankenlos 

dem unverständlichen Flehen ihres Hamburger Jugendfreundes


lauschte, begann aus dem Tosen der Strandwellen 

wieder jene heiße, markerschütternde Stimme zu sprechen, 

und bald wurde sie für die Zuhörerin zu einem Ruf, 

der über die ganze Welt hallte, um für Millionen 


versklavter Menschen von tauben 

und verstockten Seelen gebieterisch um Gnade zu flehen. 

Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer! 

Doch bei jedem Wort pfiff gleichzeitig ein Schwerthieb 


durch die Luft, und das höhnische Lachen 

des Räubers und Mörders mischte sich ein. 

Eine unschuldig befreite Welt wollte 

aus einem kreisenden Meer von Blut auftauchen.


Ihre Sinne verwirrten sich, 

ihr ganzes Wesen kippte fassungslos 

über einen Abgrund aus Höllenfeuer 

und Himmelslicht. Und während sie versuchte, 


sich an etwas zu klammern, hörte sie 

mit größter Deutlichkeit die Werbung 

des ehrenwerten Bürgers, in dessen wohlgeordnetem Haus 

Frieden und Sicherheit wohnten, 


und sie musste mit Entsetzen 

das Klopfen ihres erschrockenen Herzens hören, 

das sich im Stolz eines alten Edelmannes 

gegen die Sorgfalt im Krämerladen wehrte.


Wie um Gnade flehend öffnete sie 

ihre großen blauen Augen 

gegen den Mann in der schwarzen Ratsherrenuniform.

Herr Klaus Tschokke aber hatte in der Zwischenzeit 


im flackernden Licht der Stehlampe 

die Veränderung in den Gesichtszügen 

seiner jungen Freundin genau betrachtet. 

Auch er hatte sich wiederholt, was in langen Beratungen 


mit seinem Vater sorgfältig erwogen worden war, 

nämlich wie wichtig die Verbindung 

mit dem alten Grafenstamm 

für die aufstrebende Patrizierfamilie werden konnte. 


Die Tschokkes gehörten zwar nicht 

zu den ritterlichen Familien der Stadt, 

aber da sie durch Reichtum und Handel 

aufgestiegen waren, musste es für sie nützlich sein, 


ihre Ansprüche von außen bestätigt zu bekommen. 

Nach Meinung des alten Ratsherrn 

war dazu niemand besser geeignet 

als Gräfin Karin von Ingerland, 


da sie nur mit Argwohn neben dem dänischen Usurpator 

leben durfte und zudem durch die Bande 

der Dankbarkeit an die frühe Zuflucht 

ihrer Jugend gebunden war.


Doch als das im Luftzug wehende Licht 

das stolze weiße Gesicht des Mädchens erhellte, 

empfand der Bürgermeister wieder mit Erstaunen 

seine frühere Ehrfurcht vor der fremden Edelingstochter.


Ich wollte dich nicht erschrecken, 

wandte er sich schließlich unsicher an sein Ziel. 

Du solltest nur wissen, wie weit das alte Haus 

am Mönkedamm seine Türen für dich öffnen würde. 


Es hat jetzt ein sehr lustiges Gemälde 

vom Giebel bis zur Einfahrt, fügte er lobend hinzu, 

Narren und Engel, die um ein Fass Bier tanzen. 

Und was mich und die Meinen betrifft, 


so hat die Zeit dein Gedächtnis nicht ausgelöscht. 

Nur eines hat sich geändert, 

er richtete sich nun vorsichtig auf und klappte 

gleichzeitig seinen Mantel zurück, 


so dass die schwarze Ratsherrenuniform 

mit dem ziegelroten Revers deutlicher zu sehen war,

wie du siehst, habe ich jetzt den ersten Platz 

im Stadthaus inne, und ich darf wohl sagen, 


dass mancher Fürst sich wünschen würde, 

sich weniger als ich um die kümmern zu können, 

die ihm lieb sind. Bedenk auch dies, Gräfin Karin, 

denn die Zeiten sind gesetzlos und unsicher, 


und Ordnung gedeiht fast nur 

hinter sorgfältig bewachten Stadtmauern.

Als er das letzte sagte, drang eine schnellere Wärme 

zwischen die klare Vorbereitung, 


denn das blasse Mädchengesicht hatte 

in seiner Schüchternheit und Ratlosigkeit 

das Männerbewusstsein des festen Bürgers geweckt, 

und so wagte er es, ohne weiter an den Zeugen zu denken, 


seine rechte Hand auf die schlanke Wachshand zu legen, 

die sich gerade gegen die Ampel streckte. 

Die kühlen Finger blieben auch in den seinen ruhig, 

aber der kornblonde Kopf wandte sich 


wie angezogen der Nacht zu, 

und jetzt bemerkte ihr Gast nur noch, 

wie eifrig die junge Frau sich bemühte, 

das wilde Tosen des Wassers zu entwirren. 


Schlag auf Schlag krachte die Brandung auf den flachen Strand,

und Karin zitterte, ob ihr Begleiter auch 

die mächtige Stimme hören würde, 

die von unten herauf brüllte: 


Höre, Braut, die Erde schmückt sich schon 

für die Vereinigung mit dem glücklichen Mann. 

Dann Stille - und dann wieder das schreckliche, 

aufmüpfige Lachen. Nein, nein, da draußen 


lauerte das Verbrechen und der Wahnsinn, 

und hier, hier drinnen? Wie zur Flucht bereit, 

zog sie die Hand zurück, und als sie sich verzweifelt 

gegen das Fenster wandte, gab ihr das Entsetzen 


über sich selbst das Nächstliegende.

Du weißt nicht… - Was? -

Ich, ich habe schon gewählt. -

Gräfin? - So wenig hatte der Kaufmann 


mit einer solchen Möglichkeit gerechnet, 

dass ihm die Bedeutung ihrer Ablehnung 

zunächst verborgen blieb. Er blieb aufrecht 

auf seiner Bank vor ihr sitzen. 


Die Blonde aber tastete nach dem Kreuz, 

das noch immer über ihrem weißen Gewand hing, 

und hob es hoch, um es ihrem Freund zu erklären, 

aber auch sich selbst als Wegweiser 


aus dem Getümmel und den Fratzen.

Hier, hier, sie klammerte sich an das Stück Holz, 

als würde es immer deutlicher zu einem harten Balken, 

hinter dem sie sich verstecken konnte, 


hier lass mich gehen. Ich passe nicht in eure Welt. 

Und auch nicht in eine andere. 

Ich wäre für niemanden eine Hilfe oder ein Nutzen. 

Denn, Klaus, du weißt vielleicht, 


ich fürchte mich vor den Menschen, 

denn sie denken nur Böses, und keiner ist bereit, 

einem anderen Freude und Nutzen zu bereiten.

Keiner? Sie zögerte. 


Denn aus der Nacht schlug wieder die dumpfe Trommel 

am Rande des Strandes entlang, 

und im Wirbel schlug sie gegen die Wände des Hauses. 

Horch, bräutlich schmückt sich schon die Erde 


zum Bund mit dem frohen Mann. 

Da wurde die verwirrte Frau farblos, 

und das Kreuz fiel ihr in den Schoß.

Langsam gab der Bürgermeister seinen Platz auf. 


Er wollte nicht einsehen, dass ein weiteres Beharren 

seinen Wünschen nur schaden würde, 

denn er hatte es mit einem verschlossenen Geist zu tun, 

der aus dem Leben blutete. 


Die Wunde musste erst heilen, 

bevor sich neues Vertrauen entwickeln konnte. 

Und obwohl es ihm so vorkam, als erleide er jetzt 

einen Verlust, wie er ihn in seinen ledernen Büchern 


noch nie hatte vermerken müssen, 

ergriff er dennoch mitfühlend die Hand 

der verstummten Frau, in der ehrlichen Absicht, 

den Eindruck seines plötzlichen Werbens 


so weit wie möglich zu tilgen.

Ich wollte dich nicht erschrecken, Gräfin Karin, 

beruhigte er sie freundlich, 

du sollst nur herausfinden, wo immer ein Zuhause 


für dich vorbereitet ist. 

Ich will dich nicht weiter bedrängen, 

denn wir sind beide noch jung und werden uns nach dem, 

was ich dir gerade erzählt habe, kaum vergessen. 


Ich hoffe es. Aber was deine Entscheidung betrifft, 

so musst du mir versprechen, dass du dir 

eine Zeitspanne gönnst, bis ich dir wieder 

in Tag und Jahr erscheine. 


Denn mein Weg und mein Wille führen mich wieder zu dir, 

und die Zeit ist eine kundige Ärztin 

und eine gütige Fürsprecherin.

Damit kreuzte er seine kühlen Finger heißer, 


als er es selbst vermutet hatte, 

und schritt mit energischem Gang 

über die knarrenden Dielen der Halle, 

um sich vom Abt zu verabschieden. 


Der Abt hatte sein Buch gesenkt 

und seine tiefliegenden, weisen Augen 

waren schon seit einiger Zeit 

auf die beiden jungen Leute gerichtet. 


Doch noch bevor der scheidende Mann 

den Stuhl des Mönchs erreicht hatte, 

stockte der Bürgermeister 

wie von einer Eingebung gepackt.


Noch etwas, erinnerte er sich auf seine bestimmte Art, 

ist deine Dienerin zuverlässig, Karin?

Das Mädchen stand bereits an dem weiß gedeckten Tisch 

und musste nun über die unerwartete Frage lächeln.


Ich habe nur eine Schaffnerin, erwiderte sie kopfschüttelnd, 

ein paar Mägde und Knechte, 

und hier diesen Waisenknaben aus unserer Gemeinde, 

fügte sie hinzu und zeigte auf einen hübschen Burschen 


von etwa siebzehn Jahren in schwarzer, dänischer Tracht, 

der gerade eingetreten war, um den Tisch 

mit allerlei Geschirr zu decken. 

Und diesen wenigen verweigere ich nichts, 


was ich mir selbst gönne, fuhr die Herrin ruhig fort, 

nicht wahr, Heinrich?

Es lag so viel mütterliches Wohlwollen in ihrer Bitte, 

dass es nicht verwunderlich war, 


wenn dem Jungen die Wangen zu brennen begannen. 

Er warf einen jugendlich entrückten Blick auf seine Herrin 

und nickte verschämt, bevor er sich entfernte.

Nun schaltete sich der Abt in das Gespräch ein.


Warum fragt Ihr, Herr Klaus Chokke?, 

wandte er sich angespannt an den Bürgermeister. 

Euer Blick ist nicht frei von Sorge.

Der Hamburger schlüpfte in seine schweren Handschuhe 


und prüfte unwillkürlich den kurzen Dolch, 

der an seinem Ledergürtel hing.

Ich mache mir auch Sorgen, rang er sich schließlich ab, 

und verstohlen umarmte er noch einmal das Bild 


des blonden Fräuleins dort am Tisch. 

Und deshalb habe ich eine Bitte an dich, Hochwürden. 

Du weißt, dass die Gegend hier noch unruhig ist. 

Und wir haben durch Späher erfahren, 


dass die Freibeuterflotte am Mittag 

völlig unerwartet in See gestochen 

und aus dem Hafen verschwunden ist. 

Wohin, weiß niemand. 


Er strich sich unsicher über das glatte Kinn. 

Ich habe die Vorliebe mancher unserer hanseatischen Verbündeten

für dieses schändliche, gesetzlose Volk nie geteilt, 

fuhr er hastig fort, und ich werde nicht ruhen, 


bis der schwarze Fleck von unserem Ostmeer getilgt ist. 

Aber ich bitte dich, Hochwürden, 

nimm die Dame morgen mit in die Stadt, 

wo sie am Hofe des Königs sicherer sein wird 


als hier in dieser flachen, verlassenen Einsamkeit.

Er hatte noch nicht geendet, als der eifrige Mann bemerkte, 

wie aufregend sein Vorschlag für das Mädchen war, 

um das er sich kümmerte. 


Unruhig richtete sie ihren Blick auf das weiße Leinen, 

als suche sie dort etwas zu finden, 

und mehrmals kämpfte sie gegen 

eine schnell aufkommende Antwort an, 


bis sie sich endlich entschloss, 

die Ankündigung zu machen:

Ich danke dir, Klaus, 

aber ich darf Schloss Ingerlyst nicht verlassen. 


Die Königin hat mich gerade hierher bestellt. 

Und auf den fragenden Blick ihres Jugendfreundes hin 

gestand sie mit ihrer gewohnten bedingungslosen Ehrlichkeit: 

Ich habe mich in ihren Diensten 


eines Fehlverhaltens schuldig gemacht. -

Du? - Karin nickte, sagte aber nichts mehr dazu, 

denn wieder glaubte sie, dass Wellen 

von Scham und Entsetzen über sie hereinbrachen. 


Der Bürgermeister indes fragte nicht weiter nach.

Nun gut, Pater Franziskus, sagte er, 

dann nutze dein Ansehen bei Hofe, 

um hier eine Garnison aufstellen zu lassen. 


Tu dein Bestes, denn solange die schwarzen Fahnen 

in der Nähe wehen, rollen Recht und Gerechtigkeit im Sarg, 

und das gemeine Volk duldet nicht länger 

den frechen Umsturz alles Bestehenden. 


Deine Hand, ich verlasse mich auf dich. -

Dass kannst du, stimmte der Abt bereitwillig zu. 

Und nun, Herr Klaus Chokke, nimm meinen Segen, 

den ich für jeden aufrechten Mann habe. 


Wind und Wetter mögen dir wohlgesonnen sein, 

und mögen die besten Wünsche deines Lebens 

in Erfüllung gehen. - Der Bürgermeister 

richtete einen schnellen, prüfenden Blick 


auf das feine, heitere Gesicht, 

aber als er in den heiteren Zügen nichts 

als das reinste, gütigste Verständnis las, 

riss er sich schnell los, verbeugte sich noch einmal 


nach der steifen Sitte vor der jungen Dame 

und verließ, ohne eine einzige Falte 

ihres weißen Kleides berührt zu haben, 

mit festem, lautem Schritt den Saal.


Die Flamme der Stehlampe zuckte, hob und senkte sich. 

Sie war am Erlöschen. 

Stattdessen verströmte der eiserne Kranz des runden Reifs 

über den beiden Zurückgebliebenen 


das tänzelnde Licht seiner Kerzen 

und ließ die Nacktheit 

der geäderten Kiefernwand noch deutlicher hervortreten. 

Auf dem Sims des Kamins ließ eine Sanduhr 


ihren bunten Staub rieseln 

und erinnerte die plappernden Menschen 

an das schnelle Vergehen der Zeit.

Gräfin Karin und der Geistliche 


hatten ihr Abendessen beendet, 

aber der Zisterzienserabt machte noch immer keine Anstalten, 

sein Bett zu beziehen, sondern gab sich Mühe, 

seine aufmerksame, wenn auch stille 


und nachdenkliche Gastgeberin 

auf feine und anregende Weise zu unterhalten. 

Es war für die Zuhörerin leicht zu bemerken, 


welch unvoreingenommener und gerechter Geist 

sich hier über die Unzulänglichkeiten 

und Streitigkeiten ihrer Zeit verbreitete. 

Es war kein Zufall, dass ihr Gast 


auf die aufsehenerregenden Schriften 

des Oxforder Professors gestoßen war, 

der die kirchlichen Missstände so kühn angriff, 

und nun schien es, als wolle der Erzähler 


länger bei den Angriffen des Engländers 

auf das Mönchtum verweilen. 

Spielerisch zwirbelte er den Stiel 

seines silbernen Weinkelches zwischen den Fingern, 


während er den Kopf senkte, 

jedoch mit auffallendem Nachdruck:

Siehst du, liebe Tochter, wenn wir aufgeschlossen sind, 

finden wir fast immer etwas in den Anschuldigungen 


und Verunglimpfungen selbst eines Aufwieglers, 

das uns stutzig macht. Deshalb gefällt mir 

die Massenflucht der Weltmüden in die Zelle nicht. 

Die Welt selbst ist ja in unzählige Zellen eingeteilt, 


und der Mensch ist dazu da, 

für sich die richtige zu öffnen, 

um seinen Anteil am erreichbaren Schatz 

des Friedens zu erhalten. Glaube mir, 


er entspringt hier und da in größerer Fülle, 

als es sich die früh Besiegten erträumen können. 

Schließlich ist das Leben ein ebenso köstliches Geschenk 

wie der Tod. Und das Licht ist heiliger als die Finsternis.


Karin lehnte sich in ihrem Sessel zurück 

und beobachtete verträumt, wie der farbige Sand 

über die Schulter des Mönchs in die Uhr sickerte. 

Sie spürte sehr deutlich, dass der Abt 


ihre eigene Sehnsucht, in die Stille zu fliehen, 

keineswegs guthieß, ja, dass er 

das Aushalten und Ertragen aller Gefahren 

für würdiger hielt. Und doch spürte sie, 


wie ihr Naturell immer stärker dem Drang nachgab, 

stehen zu bleiben, weil gerade jetzt etwas 

in ihr ins Wanken geraten war, 

das sich nicht wieder ins Gleichgewicht bringen ließ. 


Fröstelnd drehte sie sich um und lauschte erneut 

dem hohlen Trommelschlag an der Küste. 

Doch als die gefürchtete Stimme nicht mehr zu hören war,

flüchtete sie zurück in das rettende Gespräch.


Hochwürden, tippte sie vorsichtig, und ihr Herz klopfte, 

als sie glaubte, sich mit jedem Wort 

an den weisen Mann zu verraten, 

du sagtest vorhin, man solle auch auf die Drohungen 


und Wutausbrüche der Unruhestifter und Aufrührer hören. 

Sag mir, glaubst du wirklich, dass solche Ausgestoßenen 

und Verwerflichen, die die Welt mit Abscheulichkeiten füllen,

jemals gesandt werden könnten, um Gutes zu tun?


Abt Franziskus setzte seinen Becher ab, 

und seine sprechenden Augen schienen tiefer 

in seine Gefährtin einzudringen, 

als ihr lieb war. Dann fragte er fest:


Sag mir, mein Kind, denkst du an einen lebenden Menschen?

Da zuckte wieder jene schreckliche Angst in ihr, 

von der sie verzehrt wurde. Bleich neigte sie 

ihr blondes Haupt, und während sie eifrig 


über das weiße Leinen strich, 

versuchte die Gräfin, dem drohenden Geständnis 

durch eine Ausflucht zu entgehen.

Die Erde ist jetzt voll von Gewalt und Umsturz, 


wich sie unsicher aus, man weiß oft nicht mehr, 

welchen Weg man wählen soll!

Der Mönch nickte sanft. Er bemühte sich, 

diese verstörte Seele zu beruhigen.


Nun, meine Tochter, stimmte er mit seiner milden, 

beruhigenden Stimme zu. Aber alle Wege, 

die der Mensch beschreitet, sind Gottes Wege. 

Das ist das Wunderbare an diesem Leben, 


das uns gegeben ist, dass es so bunt 

und farbenfroh gewebt ist. Der Ewige 

verkündet seinen Willen nicht aus dem Munde 

eines einzigen Menschen, sondern er will sich gerade 


im Widerstreit der vielen Stimmen offenbaren. 

Wer von uns schwankenden Schilfgürteln 

kann behaupten, dass er allein die Wahrheit habe? 

Wo ist die Wahrheit?, fragte Pilatus noch.,

,

Nachdenklich neigte der Mönch den Kopf auf die Brust, 

rückte seinen Sessel zurecht, und die verlöschende Glut 

des Kamins warf Flammenspritzer 

auf die Tonsur des alten Mannes, die sogar 


seine noch blonden Haarbüschel erreichten.

Siehe, verlor er sich im Springen und Laufen der Funken 

zu seinen Füßen, auf meiner Heimatinsel Rügen kannte ich 

vor mehr als einem Jahrzehnt einen Jungen, 


ein Kind von edler Kraft, 

dem großes Unrecht geschehen war. 

Er taumelte wie betrunken zwischen Himmel und Hölle, 

als wäre er ein Abbild oder Schatten 


der ganzen leidenden Menschheit. Und ich weiß, 

dass er aufrichtig mit seiner düsteren, grimmigen, 

sehnsüchtigen Leidenschaft für Wahrheit und Segen rang, 

nicht für sich selbst, sondern für die vom Leben Vergessenen 


und Verfluchten. Aber dann, bevor er fand, 

was nur einem Gott mit Weisheit vergönnt sein kann, 

verschlang die Welle der verrückten Zeiten 

bereits den Unvorbereiteten, und nur ein Gerücht 


berichtete noch von ihm, dass er ein mächtiger Mann 

unter den Geächteten und Ausgestoßenen geworden sei. 

Ich liebte ihn, und ich erinnere mich noch heute gern an ihn, 

weil ich vermute, dass er auch in seiner jetzigen Gestalt 


rastlos der Wolke der Wahrheit nachjagt, 

wenn auch auf verworrenen Pfaden. 

Wo ist die Wahrheit?

Wehmütig lächelnd schwieg der Abt 


und streckte seine feinen, durchsichtigen Hände 

näher an das Feuer. So bemerkte er nicht, 

dass seine Gefährtin von seiner Erinnerung getroffen wurde, 

als hätte sie eine Faust auf ihre Brust geschlagen. 


Atemlos und völlig unfähig, 

dem Sturm, der sie erschütterte, länger standzuhalten, 

richtete die bleiche Frau ihre erschrockenen Augen 

auf den Mönch und machte keine Anstalten mehr, 


sich zu verstellen. War das Störtebeker?, 

fügte sie mühsam hinzu. Der geistliche Meister jedoch, 

ohne sich über den misstrauischen Ton zu wundern 

oder den Zusammenhang anzweifeln zu wollen, 


schüttelte leise den Kopf. Ich weiß es nicht. 

Mein junger Freund hatte wohl einen ähnlichen Namen, 

aber vieles von dem, was über den Freibeuterführer 

im Volk erzählt wird, widerspricht meinem Bild zu sehr. 


Zum Beispiel seine ausschweifende Trunksucht 

oder seine kalte Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten 

und dem Leben der Menschen. Nein, nein, 

ich habe diese helle jugendliche Gestalt, 


wie sie mir vorschwebte, begraben 

und einen Segen über sie gesprochen. 

Gott gebe, dass kein anderer Mensch 

aus dem Grab auferstehen möge.


Damit versank der Mönch in erneutes Grübeln 

und ließ Karin Zeit, sich notdürftig zu sammeln. 

Sie zählte die Windböen, die um die Mauern heulten, 

und als irgendwo in den Gängen ein Schritt ertönte, 


ertappte sie sich dabei, wie sie alle Verstecke und Winkel 

der alten Seefestung durchwühlte, 

um sich dort womöglich zu verstecken. 

Ihr ererbter, nordischer Wikingermut 


hatte sie völlig verlassen. Plötzlich erhob sie sich. 

Ihre Brust hob sich schneller als sonst. 

Auch ihr Gast wurde aufmerksam.

Ich wünschte, ich könnte dir morgen 


in die Stadt folgen, Hochwürden, 

überwand das Mädchen einen Schauer, 

der ihr über den Rücken gelaufen war, 

und schritt dabei in die Nische, wo sie das kleine Licht 


zu sich zog. Es ist schlimm hier in den dunklen Wänden. 

Überall springen Gestalten aus den Wänden 

und rufen nach mir, ohne dass ich weiß, 

wie ich ihnen antworten soll. 


Sie sind die Ausgeburt der Einsamkeit, 

und ich habe keine andere Hilfe gegen sie 

als Schlaf und Gebet. - Und eine fröhliche Frauenarbeit, 

wie es sich für Mütter gehört, warf der Abt sanft ein, 


der geräuschlos seinen Platz verlassen hatte 

und nun teilnehmend vor ihr stand. 

Behutsam hob er seine rechte Hand gegen das müde Licht, 

so dass das triefende Blut in seinen Fingern 


zu schimmern begann. Alte Hausweisheit, 

erinnerte er sie mahnend. Die Sorge um Gatten und Kinder 

öffnet den jungen Frauen die eigene Seele. 

Alles davor ist ein Traum und eine Ablenkung. 


Aber nun, ich will mir nicht mehr von dir anmaßen, 

als du mir selbst gibst, nun, 

Friede sei mit dir in dieser Nacht.

Er wandte sich um, und die Gräfin folgte ihm, 


die Lampe in der erhobenen rechten Hand. 

Vor den schreitenden Menschen glitten schwarze Schatten 

über die rauen Kiefernwände, undeutliche, 

verzerrte Gestalten bogen sich aus dem Holz 


und griffen nach ihnen. Der Mönch war gerade dabei, 

das Tor zu öffnen, als die beiden wie verabredet inne hielten. 

Jeder las die Züge seines Gefährten, um zu sehen, 

ob der andere auch diesen hellen Schrei auffing, 


dieses hemmungslose tierische Kreischen, 

das mit schriller Verzweiflung 

aus dem Pfeifen des Windes ertönte, 

um gleich darauf wieder in einem langgezogenen Wimmern 


zu verschwinden. Karin zitterte, lächelte aber schwach.

Eulen, erklärte sie, sie horten oben auf den Türmen 

und fliegen jetzt aus. Sie sind meine Haustiere, 

wollte sie mit einem düsteren Lächeln hinzufügen, 


ohne ihren Worten Glauben schenken zu können.

In diesem Moment donnerte ein kurzes, scharfes Krachen 

durch das Gebäude. Ein dumpfer Schlag 

schien die Steine von den Wänden zu reißen, 


die Dielen schwankten, selbst auf dem Tisch 

gab das Metallgeschirr einen singenden Ton von sich. 

Ungläubig, verängstigt hielt sich der Mönch 

an dem Pfosten zwischen Saal und dunklem Gang fest, 


doch sein blasses Gesicht war der Gräfin zugewandt, 

als hoffte er auf eine tröstliche Deutung 

auch dieses herzzerreißenden Wütens. 

Und Karin, obwohl ihr Herz in Erwartung 


des drohenden Unheils zwischen Eisbrocken lag, 

sprach mit unnatürlicher Ruhe:

Der Sturm sprengt die Tore. Aber da du hier bist, 

Vater, wird Gott mit uns sein.


So standen sie eine Weile, 

und da sich sonst nichts rührte, begannen sie, 

sich gegenseitig ihre Kleinmütigkeit weg zu lächeln. 

Aber warum hielten sie seltsamerweise immer noch inne 


und lauschten auf einen einzelnen Schritt, 

der sich langsam, schwer und kraftvoll 

in den langen Gängen außerhalb des Saales ankündigte? 

Natürlich war es einer der Diener, der kam, 


um das Licht zu löschen. Nur hätte er sich 

schneller nähern können, dienstbereiter sein können; 

trotzdem, worauf warteten sie noch? 

Gemessen drehte sich die große Eingangstür in den Angeln, 


und dann wurde es still in der Halle, 

als sei der Tod eingetreten. 

Wirklichkeit und Wahnsinn tanzten miteinander. 

Keiner wagte es, auch nur durch einen Lufthauch zu verraten, 

dass hier noch ein Sinn für die gewöhnliche Ordnung 


der Dinge atmete. Auf der Schwelle stand 

ein übergroßer Mann, eingehüllt in einen nassen, 

schwarzen Mantel, die Ledermütze 

in die Stirn gepresst. Gleichgültig warf der Eindringling 


einen kurzen Blick in den Raum, 

dann schritt er ohne Eile, wie ein Bewohner des Hauses, 

auf den Tisch zu, warf Mantel und Mütze 

in die Mitte des Estrichs und warf sich 


in einen der leeren Sessel. Den Tisch, der ihn bedrängte, 

schob er mit einem krachenden Fuß zur Seite.

Holt Wein und Essen, befahl er den beiden leblosen Menschen,

und als die Gebannten sich nicht rührten, 


stieß er ein kurzes Lachen aus, 

ein helles, wohlklingendes Lachen, und winkte lässig ab. 

Ihr da, zeigt fröhliche Gesichter! 

was steht ihr da und beutelt Maulwürfe aus? 


Beeilt euch, ihr seid eingeladen!

Da kehrte das Leben in die beiden entsetzten Blicke zurück,

fieberhaftes, beißendes Blut, 

und während die Wirtin sich an den Pfosten lehnte, 


um die Hand gegen die Erscheinung auszustrecken, 

als ob sie dadurch die Macht hätte, 

diesen wahnsinnigen Spuk, 

der wohl nur aus vergifteten Gedanken entsprungen war, 


wieder zu verscheuchen, taumelte der Abt 

ein Stück weiter in die Halle, entschlossen, 

seine geistliche Würde 

gegen den Untergang aller Sitte zu setzen.


Wer bist du?, rief er, sein Zittern überwindend. 

Im Namen Gottes und seiner unumstößlichen Gebote 

frage ich dich, was du vorhast und wer du bist?

Die Stimme verstärkte sich, als der Sprecher das Echo 


von den Wänden zurückbekam. Bei dem großen, 

schlanken Eindringling schien sie jedoch jede Wirkung 

zu verfehlen. Das Bellen eines kleinen Hundes 

hätte ihn nicht weniger beunruhigen können. 


Der Schein der Kerzen aus dem runden Reif 

flackerte um ihn herum, als er nun 

den monströsen Weinkrug ergriff, 

um ihn kurzerhand mit beiden Fäusten 


an seine erhobenen Lippen zu führen. 

Durstig schluckte er das restliche Getränk hinunter, 

es war eher als ein Sturz zu bezeichnen, 

nur dass sein spöttisches Lachen hin und wieder gedämpft 


und grollend in dem geleerten Hohlraum weiterging. 

Der feierliche Ruf des Abtes von Cona 

schien ihn am meisten zu erfreuen.

Still, keine Predigt, Pinguin, hauchte er schließlich, 


als er das schwere Gerät auf den Tisch krachen ließ, 

und schob dabei, bereit für neue Taten, 

seine Lederjacke zurück, die weite Ärmel 

aus roter Seide freigab. Lass es gut sein.


Wer soll ich denn sein? Ein Mensch bin ich, 

das heißt, ein erbärmliches Ding, 

das von Gott kaum eine Spur 

und vom Teufel ein reiches Erbe erhalten hat. 


Er lehnte sich zurück und trommelte mit beiden Fäusten 

auf das Leinen. Aber willst du lieber nach Rang 

und Namen kramen? Komm, trink mit mir 

und denk dir in der Zwischenzeit einen Witz aus, 


warum sich deine Kumpanei vor dem einfachen Mann 

in seiner Armut und Nacktheit so fürchtet, 

du Anhänger Christi.

Ohne eine Antwort abzuwarten, 


bewegte sich der Fremde ungeduldig 

an den leeren Schüsseln, warf einen Blick hinein, 

drehte sich dann um und rief ein paar Namen 

gegen die Tür, als hätte er eine eigene Dienerschaft mitgebracht.


Draußen wurde es lebhaft, eilige Schritte 

waren in den Gängen zu hören, und von unten 

aus den gewölbten Hallen drangen undeutliche Frauenschreie 

und der Klang von Waffen.


Gibt es hier einen Mord?, zitterte Pater Franziskus.

Der andere lauschte angespannt 

und zog die Augenbrauen über den schwarzen Sternen 

enger zusammen. Blutvergießen, tadelte er schließlich 


und ließ sich zurücksinken, ist eine törichte 

und nutzlose Angelegenheit. Zerstören statt heilen. 

Aber warum sträubt sich dein Geiz auch so hartnäckig, 

wenn wir uns daran machen, rückwirkend 


ein wenig Ordnung in das Erbgut 

von Mutter Erde zu bringen? -

Mensch, du Schrecklicher, rief der Mönch, 

der nun all seinen Mut zusammennahm, 


als er bemerkte, wie sich auf dem schmalen, 

edel gebildeten Gesicht des Fremden 

ein grüblerischer Ausdruck zeigte. 

Was für verlogene Ausreden für Raub und Diebstahl 


denkst du dir aus? - Der im ledernen Wams 

schüttelte sich leicht, als zittere er, 

doch warf er plötzlich auch seinen Übermantel auf den Estrich 

und saß nun in seinem rotseidenen Schecken da, 


eine Goldkette quer über der breiten Brust. 

Seinen braunen Lockenkopf stützte er nachdenklich 

in beide Hände. Jammere nicht, Kutte, 

sagte er nach einer Weile nachdenklich, 


und es war, als spräche er eher mit sich selbst. 

Für dieselben Streiche, die du beweint und bejammert hast, 

als sie von dir und deinen Trabanten kamen. 

Er strich sich über die hohe Stirn und schüttelte sich erneut. 


Aber in diesem Punkt stimme ich dir zu: 

Es hat keinen Sinn und keine Vernunft, 

die hübschen Goldstücke nur ein wenig schneller 

von einer Hand in die andere rollen zu lassen, 


wenn sie für nichts anderes verwendet werden 

als für Sauferei, Hurerei und Prasserei. 

Obwohl auch das eine gute Sache ist. 

Heftig schlug er mit der Faust auf den Tisch, 


so dass die Zinnschalen in die Luft sprangen. 

Komm, bring die Dirne mit, 

sie hat einen rankenartigen Körper, 

und dann werden wir uns berauschen, 


dass Gott oder der Teufel 

sich eine schönere Lebensform 

für ihre zweibeinigen Ebenbilder ausdenken wird. 

Was gibst du mir, wenn der Gedanke schon auf dem Weg ist?


Vielleicht rollt er schon im Gehirn eines Übeltäters. 

Denn Halleluja, der Gedanke braucht wenigstens 

kein edles Haus, er wohnt überall!

Gerade als der Rotseidene sich noch einmal umdrehen wollte, 


um zu sehen, ob seine gebrüllten Befehle 

endlich befolgt wurden, sprang die Eingangstür auf 

und ein Schwarm grober, wettergegerbter Matrosen 

strömte vor den fassungslosen Blicken 


der Wirtin und ihres Gastes herein. 

Alte und junge Männer, verdächtig anzuschauen 

mit ihren vernarbten Gesichtern 

voller Rebellion und Unkeuschheit, 


und alle Arme beladen mit der Beute 

ihres wilden Handwerks. 

Einige schleppten Leinenballen und silbernes Geschirr, 

andere warfen jubelnde Schinken oder Schüsseln 

mit geräuchertem Fisch auf den Tisch, 


ja, ein paar junge Burschen rollten sogar 

ein verschimmeltes Weinfass heran, 

schlugen den Spund heraus und begannen, 

Krug um Krug mit dem roten Saft zu füllen, 


fluchend und mit derben Späßen. 

Spritzend ergoss sich das köstliche Nass 

auf die sauberen Dielen. Es sah so aus, 

als ob die fessellose, an keine Befehle gebundene 


Gesellschaft bereit war, den Rausch 

ihres so leicht erworbenen Besitzes 

gleich an Ort und Stelle auszukosten. 

Doch kaum hatten die ersten Tropfen des kräftigen Weins 


ihre Lippen benetzt, wurden sie alle 

von einem Freudentaumel erfasst, 

die letzte Zurückhaltung verschwand. 

Genießen, schlürfen, essen und trinken 


schien ihr einziges Ziel zu sein. 

Wo sie gingen und standen, fielen sie auf den Boden, 

stießen ihre Becher gegeneinander, 

grölten, lachten und zankten, 


und inmitten des wilden Tumults begannen sie 

ihre Zunftlieder zu schmettern. 

Gierige Blicke und geschwungene Becher 

richteten sich auf die Frau, 


die sich müde und mit geschlossenen Augen 

an den hinteren Pfosten lehnte.

Heiser brüllten die rauen Kehlen:

Zertrümmert die Kisten der Prassers,


Stiehl ihr Silber, trink ihren Wein;

in den weichen Leinen

eure bleichen Mägde zerrissen.

Dreht sie um, die verdorbene Welt,


Bis kein Pfennig mehr fällt!

Wer das nicht tut, ist nicht würdig,

Dass er zur Hölle fährt 

auf einem glatten Abhang.


Der Jubel überschlug sich, schrille Pfiffe schallten 

durch den Raum, die Enthusiasten 

wälzten sich auf den Dielen, zerrten an den Gewändern, 

die sich viele von ihnen über die Schultern geworfen hatten, 


und böse Reden flogen zu den beiden Menschen 

aus einer anderen Welt hinüber:

Da, seht den Glatzkopf und das fröhliche Frauchen! -

Ja, so ein Gebetbuch kennt den richtigen Platz. -


Aber seht, wie sie tanzen, wenn wir hier Feuer machen. -

Ein grässliches Gelächter brach aus, 

dann spritzte das Fass wieder, 

und der Wein klatschte auf den Boden. 


In all den Lärm hatte der Hauptmann, 

zu dessen Füßen sich das Gewirr verschlang, 

mit einem seltsamen, erstarrten Lächeln geblickt. 

Aber jetzt schüttelte er sich, 


als ob er sich von den Exkrementen befreien wollte, 

und um seinen herrischen Mund zog sich 

ein Zug von Grausamkeit und Verachtung.

Ja, das sind meine lieben Kinder, 


an denen ich meine Freude habe, 

sagte er und bewegte seine Hand, als wolle er sich 

das ganze Rudel vorstellen. Sie geben nicht vor, 

etwas anderes zu sein, als sie sind. 


Lüge und Betrug kennen sie nicht. 

Und als er das unermessliche Entsetzen, 

den Ekel und die Abscheu in den Augen 

seiner beiden Gefangenen las, stammelte er trotzig 


und voller grimmiger Rechthaberei: 

Folglich sind sie echt. Wer kann das schon 

von sich behaupten in dieser falschen Welt? 

Plötzlich ruckte der sitzende Mann herum, 


bückte sich und packte den vordersten der Gesellen 

unsanft an der Brust. Ein Ruck 

und der stiernackige Mann wurde auf die Beine gebracht. 

Dann hörten auch die anderen mit ihrem Gelage auf, 


und es wurde so still und lautlos, 

wie es zuvor wild und unbändig gewesen war.

Wulf Wulflam, befahl der Anführer scharf, 

was habe ich dir befohlen?


Der herkulische Bootsmann wurde verlegen, 

kratzte sich an der Halskrause 

seines kastanienbraunen Kapitäns und versuchte, 

wie ein Schüler vor seinem Lehrer, 


sich auf seine Aufgabe zu besinnen.

Du sagtest, Herr Admiral, du sagtest… -

Was, Mann? - Wir sollten Gold und Silber 

von hier zum Schiff bringen. Mehr nicht. -


Nichts weiter! Nun denn, das ist klar. 

Aber, Wulf Wulflam, und er zerrte ihn noch heftiger 

an der Brust, lauert hinter deiner Fratze 

nicht noch eine andere Lust? 


Unsicher starrte der Schiffer ihn an, 

allmählich erlosch sein Lächeln, 

und seine anfängliche Zuversicht wandelte sich 

in Schüchternheit und Unterwürfigkeit. 


Auch seine Kameraden hörten kleinlaut 

mit dem Toben auf, die Matrosen erhoben sich tapsend 

und versammelten sich heimlich um ihren Bootsmann. 

Lauschend reckten sie ihre Köpfe nach vorne, 


als gäbe es nichts Wichtigeres, 

als das kleinste Wort ihres Anführers zu hören.

Herr, versuchte sich der Bootsmann 

in verlegenem Trotz zu verteidigen, 


wir dachten, wir meinten, 

und er polterte unwirsch heraus, 

diese alte Kiste hier wäre auch schon längst reif für den Teufel 

und zum Ausräuchern.


Weiter kam er nicht. Eine Welle von Blut 

schoss dem Admiral in die Stirn, 

mit verbissenem Griff griff er nach seinem Dolch, 

riss ihn aus dem Gürtel 


und drückte das haarscharfe Messer direkt 

auf die Kehle des verängstigten Mannes. 

Ein lauter Schrei entrang sich den anderen, 

aber auch Karin und ihr Gast 


schlossen ihre Hände Schutz-suchend 

und fassungslos umeinander.

Du räudiger Hund, keuchte der Rotseidene 

mit einer Wildheit, die jedes Maß sprengte. 


Glaubst du, du bist der erste, 

den ich von meinen Kindern zum Schweigen bringe? 

Wir stehlen nicht, wir sammeln Schätze. 

Zu welchem Zweck, weiß nur ich. 


Und wehe dem, der meine Pläne durchkreuzt, 

ein Strick am höchsten Mast für den, der ihn durchkreuzt. 

Habt ihr daran gedacht? -

Sehr wohl, Herr, stammelte der Bootsmann gedämpft.


Ein Raunen erhob sich in der Menge, 

das verborgene, geheimnisvolle Ding, 

das hier angedeutet wurde, 

oder der unerbittliche Zwang, der von diesem ausging, 


er schloss die Ausgestoßenen wieder 

zu einem willigen Bund zusammen. 

Das dunkle Gefühl ihrer Mission ergriff sie wieder. 

Doch der Admiral winkte heftig mit der Hand, 


als hätte er zu lange mit der Bande geplaudert.

Hinfort, tut, was euch befohlen wird, 

und mit der Dämmerung sind wir weg.

Dann drängte die Meute geräuschvoll 


und eilig zur Tür hinaus, jeder froh, 

die Gesellschaft des einsamen Mannes drinnen loszuwerden.

Hinter ihnen blieb nichts als der sanft aufgewirbelte Staub, 

der sich blau und durchscheinend gegen das Licht erhob. 


Der Verlassene aber streckte die Arme aus, 

schüttelte das eben Geschehene 

mit unbegreiflicher Schnelligkeit ab, 

wie es seine Gewohnheit war, 


und nachdem er sein lockiges Haar 

achtlos zurückgeworfen hatte, 

beugte er sich hungrig über die vor ihm stehenden Schalen.

Hastig, aber mit der Geste eines großen Gentleman, 


begann er zu essen. 

Für eine Weile vergaß er dabei völlig die beiden Zuschauer, 

die, dicht an die gegenüberliegende Wand geschmiegt, 

entsetzt beobachten mussten, 


wie der riesige Weinkrug immer wieder 

an die Lippen des Fremden stieg. 

Von Zeit zu Zeit drehte sich der Seemann um 

und goss neues Getränk in den Krug. 


Doch bei einer dieser Bewegungen 

musste der Eindringling endlich 

die beiden Schatten dort drüben 

an der Kiefernwand bemerkt haben, 


denn er ließ den Weinkrug sinken 

und richtete seine schwarzen Augen 

mehr aus Verwunderung als aus feindlicher Absicht 

auf die unfreiwilligen Zeugen seines Festmahls. 


Das verzerrte Entsetzen auf ihren Gesichtern, 

die quälende Angst, mit der sie ihr Schicksal erwarteten, 

schien den Feiernden zu verstören. 

Unerwartet sprang er auf, so dass alles auf dem Tisch erbebte, 


und als er mit schnellen Schritten auf diejenigen zuging, 

die sich ihm hingegeben hatten, spürten sie 

trotz ihrer zunehmenden Verzweiflung 

die Verwunderung darüber, wie geschmeidig 


und unangefochten der Seemann selbst 

nach diesem unerhörten Getränk seinen Gang beherrschte. 

Kein Rausch hatte ihn überwältigt, 

nur die dunklen Augen waren unnatürlich geweitet 


und funkelten und blitzten, als stünden sie in Flammen.

Jetzt stand der große Mann dicht vor ihnen, 

stemmte die Hände in die Hüften 

und stieß endlich ein kurzes Lachen aus.


Kommt, ihr zwei Lämmer, forderte er sie auf, 

nehmt die Sache, wie sie ist, 

und stellt euch nicht vor den Henkerskarren 

wie die armen Schlucker. 


Müssen Blitz und Donner immer von oben kommen? 

Es kann auch von unten kommen, 

wie euch der Feuerberg auf Island gelehrt haben sollte. 

Und die Bewohner glauben dann, 


dass es ein fruchtbares Jahr geben wird. 

Spielerisch packte er den Mönch an der Kutte. 

Außerdem, Hochwürden, wie schrieb dein Freund, 

der Gesetzesbrecher Cicero? Varietas delectat, 


und ich füge hinzu: Das dachte sich auch der Teufel 

und aß Buttermilch mit einer Mistgabel.

Eindringlicher zerrte er den Geistlichen 

an seinem Faltenrock, denn er wollte ihn zwingen, 


ihm zu dem Tisch zu folgen; 

doch dieser wich schützend vor der Gräfin zurück 

und schlug plötzlich beide Hände zusammen. 

Ein verwirrter, verzweifelter Blick des Erkennens 


brach aus den guten Augen des alten Mannes.

Erbarmen, flüsterte er schwach. Klaus, Klaus Becker. 

Du bist es, versteck dich nicht. 

Auferstanden aus dem Grab wie eine blutige Geißel. 


Wie eine vergiftete Saat, an der die Menschen sterben. 

Mensch, Junge, deine Eltern, deine Mutter, deine Jugend!

Stille fiel in den Saal. So still, 

dass man den feinen Splitt auf dem Boden 


unter den Füßen der drei Menschen 

knirschen hören konnte. Schweigend, unbeweglich 

stand Störtebeker dem Mönch gegenüber, 

und man hätte meinen können, er sei wie gelähmt, 


erschüttert von der Erscheinung jener Gestalt, 

die längst verschwunden war. 

Doch dafür gab es keine Anzeichen. 

Weder reichte er dem unerwartet aufgetauchten Freund die Hand,


noch begrüßte er ihn mit einem freundlichen Wort. 

Nein, er starrte nur unverwandt 

in das Gesicht des alten Mannes, 

bis endlich ein tiefer Atemzug verriet, 


dass er aus der Erinnerung und Abwesenheit zurückgekehrt war.

Ist schon gut, alter Mann, wünschte er 

halb in einem Befehlston. Ich will dir nicht zu nahe treten, 

aber ich kenne dich nicht. Nicht dich, nicht dein Vaterland 


und schon gar nicht deine Gesetze. -

Klaus! - Pst, du hast nur in einem Punkt recht. 

Auferstanden aus dem Grab, zu einer neuen Sonne, 

deren Wärme du nicht mehr spüren kannst. 


Ohne eine Antwort abzuwarten, 

machte er einen kräftigen Schritt auf die Gräfin zu 

und hob ihren Kopf gewaltsam am Kinn hoch. 

Das Zusammensacken des Mädchens 


schien seine Verachtung zu wecken. 

Warum zitterst du, Frau?, fragte er scharf. 

Noch deutlicher packte er sie, 

um sie heftig ins Bewusstsein zu rütteln. 


Du siehst aus wie eine Heilige, 

rief er wild und beugte sich über sie, 

und deine Hand ist um ein Kreuz gekrallt. 

Willst du vielleicht weglaufen, 


weil dein Hab und Gut denen zu essen 

und zu trinken gegeben werden soll, 

die nicht so rein und gut gekleidet 

sind wie du, o Selige?


Da geschah etwas Seltsames.

Die blauen Augen des Mädchens, 

das in einem schweren Traum gefangen war, 

öffneten sich weit. Abwehrend streckte sie die Hände aus, 


als wolle sie das Grauen von sich fernhalten, 

aber während sich ihr Körper in irdischer Qual anspannte, 

faltete eine zwingende Kraft, eine Kraft, 

die ihr ganzes Dasein heiligte, ihre Finger zusammen, 


und Worte der Demut und des gesegneten Gehorsams 

kamen über ihre Lippen, wie sie sie nie 

vor Altar oder Gebetsstuhl gefunden hatte.

Nimm, was mir gehört, hauchte sie 


mit ängstlich-erschrockenem Lächeln. 

Da du gekommen bist, die Erde zu reinigen, 

so geschehe dein Wille. -

Meine Tochter, rief der Mönch entsetzt 


über diese fromme Anbetung 

und fasste sich verzweifelt an den fassungslosen Kopf, 

du lästerst, du gute Seele. Wach auf! 

In deine Augen spritzt die Schlange ihr Gift. 


Die Verführung, die selbstbetrügerische, 

schaut dir ins Gesicht. - Störtebeker 

drückte dem Alten plötzlich die Hand, 

so dass der Abt laut aufschrie.


Nicht schwätzen, alter Lügner!, schnauzte er ihn an. 

Meinst du, mein Wein wäre schlechter, 

weil er in einem Mistkübel serviert wird?

Aber die Frau, um die sich der Streit drehte, 

hörte nichts mehr. In roten Blitzen 

hatte sich ihr die Vision offenbart, 

um die ihre Verlassenheit Tag und Nacht gezittert hatte. 

Er war da, der ersehnte Mann war erschienen. 


Ein herrlicher Mann, blutig und gebieterisch zugleich, 

beugte sich zu ihr herab, eine rote Wolke umschwebte ihn, 

und tief unter ihm, aus der Dämmerung, 

hoben sich tausend und abertausend Hände 


lobend und sehnsüchtig nach ihm. 

Damit sank ihr Bewusstsein in die Knie. 

Erst im Erlöschen spürte sie, 

dass sie aufgefangen worden war und in Sicherheit war.


Klaus Störtebeker hielt den Körper 

der angeschlagenen Frau in seinen Armen. 

Ein Blatt, das auf ihn herab geweht war, 

hätte ihn nicht mehr beschweren können. 


Aber angespannt, fieberhaft, hingebungsvoll 

starrte er nun auf diese erste Seele, 

die er von den Zinnen der Menschheit gebrochen hatte 

und die sich doch zu ihm bekannt hatte.


Nur halb begreifend strich er ihr das blonde Haar 

aus den Schläfen und wandte sich erst unwillig ab, 

als er sich unerwartet durch einen Arm behindert fühlte.

Was willst du?, wies er den Mönch zurück, 


der sich noch einmal an ihn gedrückt hatte, 

um nun eine schwache Bewegung zu machen, 

als wolle er die Willenslose von ihm empfangen. 

Was willst du? - Klaus, fragte Pater Franziskus, 


der am ganzen Körper zitterte, ich will dir verzeihen. 

Ich will akzeptieren, dass meine und deine Zeit 

sich nicht verstehen können. 

Aber hier, gegen diese Ohnmächtige, 


lass mich meine Pflicht tun, wie ich sie gelernt habe. 

Gib hier meinem Amt nach, 

und ich werde dich trotz allem segnen, 

wie in alten Zeiten.


Es war eine Stimme, die vor Seelenschmerz 

und Güte brach, aber der, den sie besänftigen sollte, 

schüttelte hastig und düster sein dunkles Haupt.

Sie gehört mir, wehrte er sich, aufbrausend. 


Um Seelen wird nicht gefeilscht. -

Klaus, in Gottes Namen! Der Abt taumelte, 

kaum in der Lage, seine rechte Hand zu heben. 

Unglücklicher, denk an deine Mutter!


Da wirbelte ein schneidendes Lachen 

aus der Brust des Seefahrers, 

mit einem rücksichtslosen Stoß befreite er sich 

von dem alten Mann, und während er seine Last 


fester an sich drückte, schritt er schnell 

und sicher zum dunklen Gang, 

wo er die Tür dröhnend ins Schloss hinter sich warf. 

Dann drehte er den Schlüssel.


Sofort hallten schwere Schritte 

den gewundenen, endlosen Korridor hinunter. 

Nur ab und zu brach trübes Mondlicht 

durch ein Bogenfenster über den Steinfliesen, 


und dann konnte der Portier zwischen dieser 

und jener Wendeltreppe 

mit ihrem groben Geländer unterscheiden, 

die in ein höheres Stockwerk führte.


Immer wieder hatte der gewalttätige Mann 

Vorhänge zurückgezogen oder eine schwere Tür geöffnet, 

aber immer musste er in der Dunkelheit 

einen der kahlen Wohnräume erkennen, 


wie sie in solchen alten Festungen üblich waren.

Allmählich begann er jedoch, sich mit den Herzschlägen 

des stummen Wesens, das er an sich drückte, eins zu fühlen. 

Dicht und warm lag es an seiner Brust, 


nicht mehr wie eine unnahbare, frostige Heilige, 

sondern weich und biegsam, wie die zahllosen anderen, 

die der unbezähmbare Gedanke geschaffen hatte, 

nur um seinen körperlichen Durst zu stillen. 


Aber hier war etwas anders. 

Mit seinen unfehlbaren Nerven spürte er, 

dass diese hochgeborene, verschlossene Kreatur 

vor allem Unreinen schauderte, 


sah die goldene Flamme in dem Menschen aufblitzen, 

der sicher ein Räuber, ein unverschämter 

Wegelagerer sein musste, wie sie einst 

auf den Altären loderten. Und dieses Feuer 


wollte aus Kot und Unrat 

zur Gottheit emporsteigen, 

als Notschrei, als Anklage, als Signal! 

War sie nicht vor diesem Feuer niedergesunken, 


verstehend, gesegnet? Der Verwöhnte, 

der befehlen durfte, der Gesetze umstieß 

und verborgene Sehnsüchte freisetzte, 

hatte so etwas nie in seinen Armen gehalten. 


Ein Eigentum, unauflöslicher als jedes andere. 

Erworben, versklavt ohne Blut und Schwert!

Unsicherer wurde sein Schritt, schwerer seine Last, 

brummend hörte er das vom Wein 


und Siegesbewusstsein aufgepeitschte Blut 

in allen seinen Adern rauschen, 

und nicht gewohnt, seinem Willen eine Schranke zu setzen, 

riss seine rechte Hand den dünnen Schleier 


vom Hals seiner Last, und sein Kopf bettete sich 

suchend auf die kühle Brust seines Opfers.

Mein bist du, murmelte er, während er verwirrt 

auf den regelmäßigen Schlag seines Herzens lauschte. 


Mein! Deine Welt ist mein! 

Was kann man sich Besseres wünschen, 

als in das einzutreten, was man gekannt hat?

Und da stand er vor einer starken Brettertür, 


er stieß sie auf, und aus dem hohen Kamin 

erhellte eine einsame Kerze das starke, 

sechs Fuß hohe Bett, einen Baldachin darüber 

und einen schmalen, mannshohen Stuhl daneben. 


Und ohne zu zögern, freudig erregt, 

brach Störtebeker in den Frieden 

dieses nie entweihten Zimmers ein.

Denn die Liebe triumphiert über alles!





ELFTES ABENTEUER


Sie lag entblößt auf ihrem langen, breiten Bett, 

und der Wind der Morgendämmerung, 

der die Fensterläden aufgestoßen hatte 

und nun durch die eng vergitterten Fenster drang, 


ließ ihre Glieder unter der dünnen Leinendecke frösteln.

Empfindsam zog sie die Decke bis zum Hals, 

und die Augen der erwachten Frau 

wanderten unruhig über die glatt gespannte Oberfläche 


des Betthimmels, als stünde dort etwas geschrieben, 

worüber sie nachdenken müsse. 

Doch gelähmt, verwirrt, verstört 

verweigerten ihre Gedanken jegliche Selbstbetrachtung 


oder Erkenntnis, und trotz aller Bemühungen 

wusste die ausgestreckte Frau nichts weiter von sich, 

als dass ein wütender, zackiger Stein 

auf ihre Brust eingeschlagen war 


und dass sie zu schwach war, um dem Aufprall zu entgehen. 

Etwas atmete auf dem Strohteppich vor ihr, 

und als sie sich mühsam umdrehte, erkannte sie 

ihr schlankes Schoßhündchen, 


das sich gegen Morgen zu ihr gestohlen haben musste. 

Der kleine Hund lag mit dem Kopf zwischen den Pfoten 

und schaute misstrauisch über sein Halsband zu ihr auf.

Dann streckte sie die Hand aus und wollte das Tier rufen; 


aber seltsamerweise konnte sie sich nicht 

an den Namen ihres Gefährten erinnern, 

und in der Qual, ihr eigenes Wesen verloren zu haben, 

sank sie wieder zurück, eine Fremde, Unbekannte 


in ihrem eigenen geheimsten Bezirk.

Draußen, auf dem Ahornbaum, begannen einige Meisen 

zu zwitschern. Normalerweise war dies 

der Weckruf des Morgens, denn auf Ingerlyst 


standen Herrin und Dienerschaft mit der Sonne auf, 

aber heute blieb alles unverändert still, 

das Vieh brüllte nicht in den Ställen, 

und die Holzschuhe der Dienerschaft 


klapperten weder im Hof noch in den Schlossfluren. 

Auch die Zeit schien sich verändert zu haben; 

auch sie starrte leer und ausgeplündert, 

wie die Herrin hier auf ihrem kalten Bett.


Geduldig legte sich die Verlassene auf ihren Arm, 

lauschte ängstlich den zuckenden Schlägen ihres Herzens 

und wartete darauf, ob der Bann wieder 

von ihr genommen werden konnte. 


So hätte sie noch lange dösen können, 

verstoßen von ihrer Vergangenheit 

und unfähig, den Strudel vor der Gegenwart 

zu durchbrechen, wenn sich nicht 


ein leises Ticken gemeldet hätte, 

das vom Holzwurm kam. 

Ihr gegenüber, über dem schmalen Kamin, 

war ein altes, klobiges Holzkreuz 


in die Decke eingelassen, und in dem braunen Gebälk 

stocherte und pochte es manchmal, 

als sei selbst das heilige Symbol 

nicht vor Abnutzung und Verfall sicher.


Richtig, richtig, Karin riss sich zusammen, 

denn sie glaubte sich jetzt zu erinnern, 

dass sie jeden Morgen vom Lager aus 

ihre Arme zu diesem mächtigen Stamm erhoben hatte. 


Ja, ja, natürlich, alle möglichen kleinen Bitten 

und Wünsche lagen ihr immer auf dem Herzen. 

Und dann die eine große Sehnsucht nach Reinheit und Stille. 

Aber als sie auf den Kissen kniete, nackt, entblößt, 


frierend, hörte ihre ganze Bewegung plötzlich auf, 

starres Entsetzen überzog ihr blasses Gesicht, 

und wie vom Blitz getroffen, 

fiel sie rücklings auf ihr Leinen.


Ein Wunder! ein Wunder! 

vor ihren weit aufgerissenen Augen spielte sich 

die Herzlähmung ab. Ein fremder Kopf erschien 

auf dem Querbalken, ein brauner Lockenkopf, 


mit kussroten Lippen, und wilde schwarze Augen 

starrten auf ihren Körper. Und nun wälzte sie sich 

auf einmal in einem Meer von Feuer, das sie verzehrte.

Erbarmen, Erbarmen!


Allein das Feuer der Erkenntnis 

heulte über alle bisherigen Vorstellungen hinweg.

Zur Rettung! die Welt war zusammengebrochen! 

Die Erde taumelte und erschütterte alles Lebendige. 


Der Erlöser der Schmerzen 

wurde von seinem Holz geschleift, 

und an seiner Stelle lachte ein Unbändiger 

voller Grausamkeit, Macht und Willen. 


Schwarz war weiß, Verbrechen war Tugend, 

Sitte war Torheit, Entsagung war Wahnsinn; 

siehe, siehe, eine unwiderstehliche Faust 

ergriff das fliehende Glück, das niemand sonst halten konnte, 


und unterwarf es seinen Anhängern. 

Allen! Auch für dich, auch für dich, das Glück! 

Sie wollte schreien, aber sie fühlte, 

wie sie in unsichtbaren Armen verging, 


sie streckte alle Glieder, um zu kämpfen 

und Widerstand zu leisten, sie biss, sie würgte, 

aber in der Unterwerfung sank sie nieder, 

befreit von aller irdischen Schwere, 


eine Freie im Angesicht der Natur.

Als sie erwachte, war der Rausch abgeklungen. 

Sie kauerte tränenlos auf ihrem Bett 

und sah mit hohlen, gefrorenen Augen zu, 


wie sich die Blätter des Ahornbaums 

vor ihrem Fenster in Morgenröte kleideten. 

Drinnen, in der kleinen Kemenate, 

wogten noch immer die ungeheizten Schatten, 


und jedes der spärlichen Utensilien schien zu zittern, 

zu beben. Stumpf und teilnahmslos 

warf sich die blonde Frau ihre gewohnte Kleidung über, 

und je mehr vertraute Dinge sie erfasste, 


desto mehr dumpfes Erstaunen überkam sie, 

dass sie sich bewegte oder warum 

überhaupt noch Leben in ihr war? 

Unbegreiflich, nicht einmal messbar, 


sie war ermordet worden, 

ihr Name war von der Tafel verschwunden, 

auf der die Reinen und Ehrenhaften aufgelistet waren, 

die Faust eines rücksichtslosen Räubers 


hatte ihre Züge weggewischt, 

aus keinem anderen Grund, als weil sie gerade 

seine Beute geworden war. 

Sie, ihre Dienerschaft, ihre Besitztümer, ihr Haus 


und alles, was sie zuvor geliebt hatte. 

Eine kurze, ungestüme Lust hatte ausgereicht, 

um aus einer aufrechten Frau eine kauernde, 

mit unauslöschlicher Schande beladene 


Verwerfliche zu machen, die nur dazu bestimmt war, 

vor ihrer eigenen Abscheu in ein lautloses Ende zu fliehen. 

Das war das wahre Leben, es verkündete sich, 

ein Tier fraß das andere, ohne Güte und Erbarmen, 


und alles, was darüber hinaus 

von umfassender Bruderliebe 

unter den wilden Kreaturen geredet wurde, 

großer Gott, das war nichts als Wind und Wahn!


Ein Tier wurde von einem anderen aufgefressen. 

Hilfe! Hilfe! An welche lächerliche Torheit 

hatte sie früher geglaubt?

In der unermesslichen Angst, 


dass ihr bald auch der letzte, klare Verstand 

geraubt werden würde, fasste sich 

die nun aufgerichtete Frau an beide Schläfen. 

Ihre Gedanken sprangen auseinander 


und wollten sich an etwas klammern, 

an ein lebendes Wesen, das ihren Fall verstand, 

an ein Herz, von dem sie sich liebevoll trennen konnte. 

Musste sie sich nicht an etwas festhalten? 


Oder war sie schon immer wie ein dürres Blatt 

durch die Leere gewirbelt worden? 

Doch wohin die Verzweiflung sie auch trieb, 

immer fand sie sich allein vor dem Kreuz wieder, 


um das sich ihre rechte Hand krallte, 

weil ihre Knie vor Schwäche zitterten.

Das Kreuz! das Kreuz!

Eine schreckliche Pause des Wartens entstand. 


Fordernd, drängend tasteten ihre geweiteten Augen 

an dem toten Holz hin und her, 

und je mehr Zeit ergebnislos verstrich, 

desto verächtlicher begannen ihre Lippen zu zucken. 


Nichts rührte sich dort oben. 

Derjenige, der ihr oft in schwärmerischen Stunden 

am Kreuzesbalken erschienen war, 

dem sie sich geweiht hatte und dessen Güte 


sie sich bald ganz hingeben wollte, 

er hatte teilnahmslos, schwach, zugesehen, 

wie Leib und Seele seiner Jüngerin 

zu seinen Füßen verwüstet und besudelt wurden. 


Von einem anderen, der ebenfalls glaubte, 

zu den Armen und Beladenen hinabzusteigen, 

nur dass er seinen Weg mit Blut tränkte 

und der pestilenzielle Atem 


aller verdammten Laster ihn umnebelte.

Die gehetzte Frau drehte sich um, 

grub ihre Augen ungläubig in das zerwühlte Lager 

und strich dann unruhig über die Mauern, 

wie ein Tier, das einen Ausweg 


aus unüberwindlichen Mauern sucht. 

Und sie suchte auch nach etwas, 

der giftige Atem der Nacht muss sie verwirrt haben, 

denn sie suchte fieberhaft, rastlos nach einer Erklärung 


für ihren grausigen Zusammenbruch, 

nach einer Lösung des Rätsels, 

warum ihr Körper ihren geistigen Tod 

auch nur um eine Sekunde überlebt hatte? 


Vielleicht hatte der große, schöne, gewalttätige Mann 

ihre Seele mit Zärtlichkeit umschlungen, 

vielleicht dürstete, lockte er ihren Geist zu seinem Werk, 

das wie eine blutrote Erdsonne hinter ihm stand?


Nichts, nichts, alles Ausrede und Täuschung! 

Ihre Ehrlichkeit gestand ihr etwas anderes. 

Ein Gewitter hatte über ihr gewütet, 

in dessen kalte Blitze sie mit offenen Augen, 


fassungslos, entgeistert, demütig 

und duldsam geblickt hatte. 

Und nun war die Wetterwolke vorbeigezogen 

und hatte den geknickten Korridor 


gleichgültig zurückgelassen. 

Ihre Glieder prüfend, ging Karin hinunter, 

und nun endlich erlangte sie die ersehnte Gewissheit. 

Alles tot, gebrochen, leblos, 


alles, was sie noch zu tun hatte, war, 

den Leichnam wegzuschaffen.

Das war ihr Ziel, ihr letztes Ziel. 

Es deckte sich im Grunde mit ihren Kindheitswünschen, 


die immer nach dem Aufhören 

und der Stille gestrebt hatten.

Mit einer fliegenden Hand warf sie sich 

ihr zerknittertes Gewand über und schlüpfte 


in den dämmernden Korridor hinaus. 

Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, 

ihre Lederschuhe anzuziehen. 

Doch ihr verirrtes Bewusstsein spürte die Kälte 


der Steinfliesen nicht mehr. Sie hielt sich 

an den Wänden fest und taumelte 

ein paar der gewundenen Treppen hinunter. 

Überall offene Türen, ansonsten Stille. 


An einer Stelle blieb sie stehen. 

Von weitem konnte sie in den großen Saal sehen, 

in dem gestern Abend das wilde Gelage stattgefunden hatte, 

und für eine flüchtige Sekunde klammerte sich 


eine plötzliche Hoffnung an sie, 

ob der Abt, der mildherzige, verzeihende Lehrer, 

vielleicht noch zwischen jenen Mauern auf sie wartete. 

Gleich darauf zuckte sie schuldbewusst zusammen, 


und wäre der weite Raum nicht so gähnend leer 

und unruhig gewesen, hätte die abgrundtiefe Scham 

sie in einer sinnlosen Flucht 

am Gesicht des Priesters vorbei getrieben. 


Nein, nein, nur keinem Kameraden von gestern 

mehr in die Augen sehen müssen, nur schnell 

und unbemerkt irgendwo in die lodernden Flammen 

der Hölle stürzen, damit die Bräune vielleicht 


die grässliche Unreinheit reinigt. 

Selbst jetzt, wo ihr Aufenthalt auf Erden 

kaum noch in Augenblicken zu messen war, 

drückte die Scham, eine erschütternde Scham, 


beide Hände vor ihr Gesicht 

und ein wimmerndes Stöhnen entrang sich ihrer Brust.

Ach, wenn sie doch nur dieser überwältigenden, 

giftigen Verachtung entfliehen könnte, 


die überall wie Regen auf sie niederfiel; 

wenn sie doch nur schnell diesen letzten, 

heilsamen Entschluss fassen könnte, 

bevor das unschuldige Licht des Tages 


das Zwielicht, das der befleckten Frau 

so wohltuend war, vertreibt.

Weiter, weiter, die Treppe lief an ihr vorbei, 

die Hoftür war nur angelehnt, 


und als sie sich über den Hof schob, wurde ihr klar, 

dass auch hier alles Leben gestorben war. 

Nirgends war Vieh zu sehen, 

keine Knechte in den Ställen oder an der Tränke, 


die alten Mauern lagen trostlos und unbenutzt, 

und nur der Wind knarrte von Zeit zu Zeit 

durch die offenen Türen. 

Aber gerade diese unheimliche Trostlosigkeit war es, 


die dem Schatten, der hier vorbeiging, 

ein leichtes Wohlbehagen bereitete. 

Kein Auge, das sie in ihrer früheren Reinheit gekannt hatte, 

durfte sie fragend ansehen; 


ungestört durfte das namenlose, entehrte Geschöpf 

seines Weges gehen. Er führte sie nicht weit.

Am hinteren Wall waren ein paar Stufen 

in die Mauer gehauen worden, die schräg nach oben führten. 


Die verwöhnte Herrin hatte diese Katzentreppe 

noch nie benutzt, aber jetzt kroch sie 

ohne zu überlegen hinauf und bemerkte nicht einmal, 

dass der Mörtel ihre nackten Füße zerschnitt. 


Keuchend und schwankend erreichte sie 

die Spitze der Mauer. Sofort wehte die Meeresbrise 

in ihr Gewand und zerstäubte es. 

Ein letzter Blick, der bereits vom Drang 


zur Zerstörung getrübt war, zeigte ihr, 

dass sie am richtigen Ort war. 

Unter ihr zog der Wassergraben 

seinen grünen, fauligen Linsenteppich, 


aus dem bleierne Nebel aufstiegen 

und mit den Schatten spielten, 

die eine Reihe uralter Kastanienbäume 

vom gegenüberliegenden Ufer aus 


über das stagnierende Becken warf. 

Heiseres Froschquaken quoll aus dem Nebel, 

und manchmal hüpfte es in einem Sprung 

über die Oberfläche, und die grünen Kugeln 


wirbelten dann in einem engen Kreis auseinander.

Ja, sicher, hier öffnete sich das schräge Tor, 

hier konnte ein Wanderer eintreten, 

der bereit war, das Letzte zu zahlen, 


das Äußerste für das Vergessen 

und die spurlose Entrückung... 

Karin griff nach einem tödlichen Nachtschattenzweig, 

der im Geröll verwurzelt war, 


und während ihre Füße bereits den Halt lockerten, 

summte noch immer wohlwollend die Erinnerung 

durch ihre Sinne, dass schon zu Zeiten 

der Fehden gepanzerte Reiter mit Pferd und Speer 


von smaragdgrünen Armen 

dort hinunter in den Abgrund gezogen worden waren.

Es musste ein langer, traumhafter Abstieg sein, 

und dann würde es sein, als hätte eine riesige Faust 


eine Beule geglättet. Schon stolperte sie, 

schon war die Belladonna bis zum Zerreißen gespannt.

Aber es wurde anders über sie entschieden.

Kein erschrockener menschlicher Schrei störte sie, 


kein schützender männlicher Arm fing sie auf, 

nein, es war nur das Leben selbst 

in seiner überzeugenden Kraft, das auf sie zuging, 

um den angeschlagenen Menschen 


ein paar Spannen weiter als bisher 

in seine schillernde Vielgestaltigkeit blicken zu lassen. 

Das Rad, das so lange monoton gelaufen war 

und nun ins Stocken geriet, 


erhielt plötzlich einen unbegreiflichen Impuls 

in die entgegengesetzte Richtung. 

Hinter den Kastanienbäumen rauschte ein Windstoß, 

ein langes Brummen ging über das Meer, 


und dieser seltsame Ruf zog 

die Aufmerksamkeit der Verlorenen 

gebieterisch und gewaltsam mit sich. Siehe da, 

was für ein Anblick? Auf dem Meeresspiegel, 


der sich von der blauen Linie der schwedischen Küste abhob 

und aus milchigen Schwaden hervortrat, 

schwoll der dunkle Körper eines Schiffes an. 

Riesig, von nie zuvor gesehenen Formen, 


lag es in dem blauschwarzen Teppich, 

widerstand selbst dem leisen Schaukeln der Oberfläche 

und stieß zwei riesige Masten 

in den trüben silbernen Himmel. 


Und jetzt, waren da nicht undeutliche Stimmen, 

die vom Ufer auf dieser Seite herauf wehten? 

Eine Snyke, ein großes, breitbogiges Boot, 

hatte sich in den feuchten Sand gebohrt, 


und Karin, die sich immer noch an ihren Ast klammerte, 

sah, wie dort winzige schwarze Gestalten 

allerlei Vorräte über die Planken luden. 

Oh, jetzt wusste sie, dass das Eigentum dort unten 


ihr eigenes war, das vergewaltigt wurde, 

so wie es auch von ihr vergewaltigt worden war, 

und auf dem Schiff dahinter thronte ihr Zerstörer 

und schmiedete seine revolutionären Pläne. 


Willenlos ließ sie die Gerte los, 

strich sich das Haar aus der Stirn 

und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer 

der Erleichterung zurück, 


als hätte sie auf irgendeine unbegreifliche Weise 

einen Arm gefunden, der ihr Halt geben musste. 

Was war in diesem flüchtigen Moment mit ihr geschehen? 

Welche seltsame, überlegene Ruhe 


war in sie eingedrungen? 

Woher kam diese plötzliche Veränderung, 

die ein und dasselbe Wesen so vollständig spaltete, 

dass das Jetzt das Einst nicht mehr verstand? 


Unwillkürlich beugte sich Karin hinunter, 

um den Boden unter sich zu betrachten, 

um zu sehen, ob etwas verschluckt worden war, 

das sie noch kurz zuvor im Übermaß 


der geistigen Zerrüttung vor dem Morgen 

hatte verbergen wollen. Nun erhob sich 

der rote Triumphzug, schlug breite Brücken über das Meer 

zu dem fernen Schiff, und aus dem Wind 


rauschte eine quälende Stimme. Die sprach:

Warum stehst du und fürchtest dich? 

Geh über mich hinweg, denn dort ist dein Weg.

Entschlossen richtete sich die Verlassene auf, 


mit einer Entschlossenheit, die sie noch nie besessen hatte, 

und blickte staunend, fast gierig, 

in den sich ausbreitenden Tag. 

Trotz der roten Verklärung 


zeichneten sich Nähe und Ferne 

in glasklarer Klarheit ab; die blau und rot 

geschichteten Linien des Horizonts, 

die schwarze Krümmung des Schiffes, 


das steile Ruckeln seiner Masten, 

das kurze Anschwellen der schaumlosen Wogen, 

das Zittern der Oberfläche im Wind, 

der schräge Sturzflug eines Möwenschwarms, 


alles erfüllte sie mit Licht und Wahrheit, 

es verkündete sich so wahrhaftig und zielstrebig, 

dass die Zeugin dieser Dinge 

erschrocken und fast hungrig 


diese klare, weitblickende, hüllenlose Welt an sich zog. 

So hatte sie sie noch nie gesehen. 

Und während sie das tat, sank die nächste Sache ein. 

Sie selbst entglitt ihr. Was sie gewesen war, 


war vernichtet worden. Ob diese Zerstörung 

gerechtfertigt, schlecht oder gut war, 

darüber dachte sie nicht mehr nach. 

Was spielte es für eine Rolle, ob ein Mensch 


rein oder besudelt in dieser sich abmühenden Welt daherkam? 

Ob er heute fürstlichen Schmuck oder morgen Lumpen trug? 

Und ob derjenige, der das alles wollte 

und zu verantworten hatte, dafür als Schuft, 


als Ausgestoßener gebrandmarkt 

oder als siegreicher Rebell gefeiert wurde? 

Was war an diesem oder jenem, wie sehr er auch wütete? 

Aber, und die Erkenntnis einer neuen Offenbarung, 


die sie völlig überwältigte, leuchtete 

bis in die hintersten Winkel ihrer Seele, 

die sich wie von Spinnweben befreite, 

der Himmel möge uns helfen! 


Dort hinten hatte das mächtige Schiff 

eine köstliche Ladung an Bord, 

die nie zuvor der Welt preisgegeben wurde! 

Karin musste sich mit dem Rücken 


an die toten Kirschbäume lehnen, 

denn ihr Herz klopfte zum Bersten 

und ein sehnsüchtiges Verlangen leuchtete 

über ihr totenbleiches, verwüstetes Gesicht. 


Wie war das noch gleich? 

Das Schiff trieb nicht allein auf dem Wasser, 

es segelte durch die Luft 

und passierte Städte, Dörfer und Geister, 


denn es wurde vom Herzblut der Armen 

und Verlassenen getragen. 

Es war eine Barke des Heils 

und schloss den Gedanken eines menschlichen Gottes ein, 


gewoben aus Mitgefühl und Kraft. 

Hilf Himmel! Die Erde muss bald 

aus der Flut der Sünde und des ewigen Elends auftauchen, 

die Ungerechtigkeiten müssen vertrieben werden, 


die Hassenden und Mörder müssen wieder 

zu den sanften Trieben erblühen, 

die der Ewige im Anfang in sie gepflanzt hat, 

und ein weiches, goldenes Band muss sich 


um alles Lebendige legen 

und Herz an Herz schließen.

Wer auch immer es verkündete, 

der Wille war übernatürlich. 


Er machte ihre Augen blind. 

Sie war diesem Gedanken geopfert worden, 

als Mitglied eines Clans, der ihn nicht mehr fassen konnte, 

aber deshalb gehörte sie auch diesem Gedanken. 


Er war der einzige Besitz, den sie noch hatte, 

und deshalb durfte sie nicht zugrunde gehen, 

bevor sie nicht einen Strahl der Erfüllung erhascht hatte.

Himmel hilf! Sie wurde ermordet und neu geboren, 


geschändet und getauft zugleich 

in dem lodernden Geist, der dort draußen 

über den Wassern glühte, 

und mit einem trunkenen Schrei löste sie sich 


von der Mauer und taumelte über die Stufen zurück 

in den Burghof, das Eigentum einer fremden Macht, 

die sie unterjochte. In der leeren Festung 

wurden Türen auf- und zugeschlagen, 


eine fiebrige Hand suchte, riss und fand, 

und wenig später sahen die Männer am Boot, 

als es tiefer in die Fluten geschoben wurde, 

einen jungen, schlanken Burschen 


in der schwarzen Dänen-Tracht auf sie zukommen.

Seht, wies der Bootsmann Wulf Wulflam hin 

und schob seinen verschwitzten Stiernacken vor, 


da kommt einer, der ist nicht verkniffen! 

Was mag das Kindchen wohl wollen?

Auch die anderen Matrosen hielten in ihrer Arbeit inne,

breitbeinig, mit den Fäusten an den Seiten, 


und fragten sich, woher der blasse blonde Fant 

den Mut hatte, sich so selbstbewusst 

ihrer Meute auszuliefern, 

die nicht die Angewohnheit hatte, 


viel Aufhebens um Kundschafter und Späher zu machen.

Verflixt, schnüffelten ein paar der verärgerten Spürnasen. 

Seht euch die Hüften und die Beine an. 

Passt auf, da stimmt was nicht.


Und dann brummte der Bootsmann lauthals, 

kniff die Augen zusammen 

und legte seinen schweren Arm 

um die Schulter des Neuankömmlings.


Bist du ein Knabe?, lächelte er. Oder ein Jüngling? 

Sag es mir ins Ohr. Was willst du?

Der Junge wurde noch eine Spur blasser, 

aber er riss sich zusammen 


und zwang seine weiche Stimme 

zur Festigkeit, als er antwortete:

Wenn du ein Mann bist, führe mich zu deinem Herrn. 

Ich werde bei dir bleiben und mit dir gehen. -


Viel Ehre, wirklich. 

Der untersetzte Kerl machte eine scherzhafte Verbeugung,

zwinkerte dann noch frecher 

mit seinen geschwollenen Augen, 


winkte aber seinen höhnischen Begleitern 

mit beiden Fäusten zu. Haltet die Klappe, Gesindel!

Seht ihr nicht, dass ein edler Knappe 

sich zu uns herablässt? 


Ei, was für ein feines Tuch 

und was für eine geschorene kleine Krähe! 

Er leckte sich über die wulstigen Lippen 

und schlürfte vor Vergnügen. 


Verflixt, und wie gerade und voll 

die hübschen Beine sind! 

Wer wünscht sich nicht so einen schönen 

Schatz zum Freund?


Tastend ließ er seine Hand über die Rute 

des jungen Dänen gleiten und verstand selbst kaum, 

warum ihn ein verzweifelter Stoß der Hand 

des kleinen, kraftlosen Jungen 


so überraschend zurückschleuderte. 

Doch während der unbeholfene Junge 

unter dem fröhlichen Wiehern seiner Gefährten 

zum Rand des Schiffes stolperte 


und dort endlich Halt fand, 

wirkte der versteinerte Ernst in den Zügen des Jungen 

so skurril auf den Seemann, dass er mürrisch 

auf seine unangebrachten Scherze verzichtete.


Weißt du, Milchbart, knurrte er warnend, 

wobei sein Blick erneut die zarten Formen 

des Fremden streifte, was geschehen wird, 

wenn du bei uns keine Gnade findest? 


Dann wirst du kopfüber ins Meer geworfen. 

Denn nur die Stummen halten ihren Mund sauber. -

Das macht mir keine Angst, antwortete der Däne 

mit seltsam ängstlicher Stimme. 


Ich habe keinen Namen, keine Heimat, keinen Ruhm.

Der Bootsmann fuhr auf; um ihn herum 

waren die Leute still geworden.

Steig ein, murmelte er nachdenklich, 


dann bist du vielleicht einer von uns. 

Wir haben solchen Kerlen schon geholfen. 

Hilfreich reichte er dem Jungen die Hand, 

und wenige Augenblicke später knirschte das Boot 


in die Fluten hinaus, das verlassene Ufer 

schrumpfte hinter seinem Kiel zusammen, 

und nur das geplünderte Fort erhob sich über die Gegend, 

als erwache es aus seiner Starre, 


um ein rächendes Leben zu gewinnen.

Unter dem mächtigen Kriegsbau am Heck 

stiegen sie eine breite Treppe hinab. 

Dann kam ihnen eine eisenbeschlagene Tür entgegen, 


vor der ein bärtiger Matrose stand, den Speer erhoben, 

die Linke auf ein Kurzschwert gestützt. Er hielt Wache.

Lass den Jungen herein, Tielo, vermittelte der Bootsmann, 

der zögerte. Mir scheint, Klaus weiß es schon, 


wollte er zweideutig hinzufügen, 

doch von einem dieser unglücklichen Blicke 

fern der Erde getroffen, verbesserte er sich 

und polterte ungeduldig los: Lass ihn rein. 


Das wird ein Spaß für Klaus. Los, Bürschlein.

Vorsichtig öffnete er die Flügel nach innen, 

der Tag zog sich zurück, 

und ein bläuliches Zwielicht empfing den Eintretenden 


in dem tiefen, langgestreckten Raum. 

Ruhiges, sattes Morgenlicht strömte 

durch zwei kreisrunde Löcher, 

deren verbretterte Fensterläden zurückgezogen waren, 


und der blaue Widerschein des Meeres 

verlieh dem mit Teppich ausgelegten, 

fürstlich geschmückten Saal 

etwas Kühles und Fröstelndes. Aber nicht allein 


diese Wahrnehmung ließ das Herz 

der blonden Frau in Knabenkleidung, 

die dennoch von ihrem Genius 

unaufhaltsam hierher getrieben worden war, erstarren, 


nein, als sie nicht weit von sich, 

dicht unter der einen Fensteröffnung, 

einen überlebensgroßen Mann 

auf seinem Ruhebett liegen sah, 


der Frevler, der sie so hartherzig zermalmt hatte, 

sein verdorbener Bauch bäumte sich 

in all seiner Qual und Aufruhr auf, 

die Blässe einer Leiche bedeckte ihn, 


und wie ein schwerer Stein sank er auf die Knie, 

um starr und sprachlos liegen zu bleiben. 

Im selben Moment wurde jedoch auch der ruhende Mann 

durch den dumpfen Fall aufgeschreckt. 


Nicht gewillt, sich stören zu lassen, 

wandte er seine Aufmerksamkeit von einer Seekarte ab, 

die mit groben Strichen an die Wand 

ihm gegenüber gezeichnet war. 


Doch kaum hatte er sich halb aufgerichtet, 

zuckte er beim plötzlichen Erkennen 

eines der Kissen zusammen und eine heiße Welle 

spritzte ihm ins Gesicht. 


Das Bild der knienden Kreatur offenbarte sich ihm 

so überraschend und unglaubwürdig, 

es warf ihm seine eigene Schuld so wild ins Gesicht, 

dass er zunächst seine gebieterische Sicherheit verlor 


und eine widersprüchliche Wut gegen den Mahner 

seine Brauen zusammenzog.

Was willst du?, drohte er in unterdrücktem Zorn. 

Wer hat dich hereingelassen?


Keine Freundlichkeit verkündete sich 

in den heftig ausgesprochenen Worten, 

kein Schatten von Reue, 

nur die verletzte Arroganz eines, 


der jede Verantwortung verschmähte, wütete hier. 

Aber es war genau diese helle, durchdringende Stimme, 

die Karin aus ihrer bescheidenen Lage herausriss. 

Wie ein Pfeil schoss es ihr durch den Kopf, 


dass der Mann auf dem Lager 

ein rücksichtsloser Übeltäter war, 

dass ihm nichts heilig war 

als sein seltsamer, umstürzender Gedanke, 


und dass auch dieser nur durch ein unerklärliches Wunder 

direkt in seine kalte, spiegelglatte Hülle verschwendet wurde. 

Und fieberhaft getrieben, um wenigstens das Letzte zu retten, 

was sie noch an Hoffnung, an Himmel und Jenseits hatte, 


um sich nicht ausschließen zu lassen von jener Begnadigung, 

die hier allen armen Seelen gepredigt wurde, 

erhob sie sich und schritt zögernd 

auf den gefürchteten Mann zu. 


Ihre blauen Augen durchdrangen seine Augen

suchend, flehend, jeden Widerspruch 

von vornherein ausblendend.

Du hast mir alles genommen, Klaus Störtebeker, 


sogar die Ecke, in der ich mich verstecken kann, 

sagte sie mit einem unentrinnbaren, bebenden Ernst, 

der selbst ihren Zuhörer ergriff. 

Du hast mich getötet, obwohl ich dich nicht für böse hielt, 


denn ich habe dich vorher kaum zweimal angeschaut. 

Aber siehe, das, was besser ist als du, dein Werk, 

diese letzte Zuflucht der Geschundenen und Zerbrochenen, 

du kannst es auch mir nicht verschließen. 


Der Heiland spricht nicht mehr zu mir. 

Aber in deiner Hand leuchtet ein Licht, 

das mich glücklich macht. 

Lass mich dir dienen, Klaus Störtebeker, 


lass mich dir dienen, damit ich den Tag erlebe, 

an dem du das Licht zu den Unglücklichen trägst. 

Denn dies ist der Tag der Auferstehung.

In ihrer Stimme lag die ganze Gebrochenheit 


eines elendig zerschlagenen Wesens, 

aber gleichzeitig streckten sich aus jedem Wort 

zwei flehende Hände in letzter Angst 

nach einem schwankenden Lichtstrahl aus, 


als ob er zwischen ihren Fingern 

zu einem rettenden Seil werden könnte. 

Der Mann aber, ihr Zerstörer und Verderber, 

von dem ihre fassungslosen Augen meinten, 


das leitende Licht flackere in seiner rechten Hand, 

sprang finster auf, und während er entrüstet 

den Kopf schüttelte, prallte in ihm 

eine bedrückende Verlegenheit 


mit dem peinlichen Widerwillen zusammen, 

sich für sein lebendig gewordenes Verbrechen 

verantworten zu müssen. Der selbstgefällige Bonvivant 

war so etwas nicht gewohnt. 


Schließlich waren alle Frauen nur dazu da, 

ihre schmachtende Lust auf weichen Kissen zu befriedigen. 

Was spielte es für eine Rolle, 

ob sie unter geschwungenen Gläsern, im Rausch des Weines 


oder in berauschender Siegesstimmung akzeptiert wurden? 

Nein, nein, er würde den unangenehmen Vorwurf 

an seiner Seite nicht dulden. Frau, klang es scharf 

und hitzig über seine Lippen. Du träumst! 


Das Freibeuterschiff ist kein Ort für Frauentränen. 

Hier fließt Blut. Wir nennen uns nicht zum Scherz 

Feind der ganzen Welt!

Nur Karin senkte ihren ernsten Blick nicht.


Ich weiß, erwiderte sie ohne zu zögern, 

du bist ein Feind der verkommenen Welt. 

Aber, Klaus Störtebeker, auch ich 

habe meine alte Welt abgeschüttelt. 


Und du kannst mir glauben, ich werde nicht eher ruhen, 

bis ich, wie ihr Männer, nur noch das Flammenzeichen 

vor mir sehe, auf das ihr zusteuert. -

Frau, o Frau, unterbrach sie der Admiral 


mahnend und ungläubig, doch nur, um zu verbergen, 

wie sehr ihn die sehnsüchtige Hingabe 

dieses seltsamen Geschöpfes beeindruckte. 

Unruhig ließ er den weiten Raum Revue passieren, 


bis er plötzlich hart vor dem dänischen Jungen stehen blieb. 

In seinem schmalen Gesicht zuckte 

jene wilde Entschlossenheit, die seine Züge immer straffte, 

wenn es um Streit und Kampf ging. 


Frau, drohte er ohne Rücksicht und Scham, 

warum verstecken wir uns voreinander? 

Du bist von mir schlecht behandelt worden. 

Und ich weiß nicht einmal, was mich dazu getrieben hat. 


Ob es nur der Dunst des Weines war 

oder das Vergnügen, deiner Gönnerin 

einen Streich zu spielen. Aber täusche dich nicht. 

Ich bin nicht bereit, meine Tat wiedergutzumachen.


Der totenbleiche Junge hob die Hand, 

aber der Matrose ergriff seine Finger 

und drückte sie zur Seite. Mein Leben wird kurz sein, 

beeilte er sich fortzufahren, 


und ich werde es mir nicht 

durch deinesgleichen schmälern lassen. 

Wie viele von euch sind mir durch die Lappen gegangen, 

was seid ihr für mich?


Der große Mann stand aufgebracht vor ihr, 

als wäre er derjenige, der grimmige 

und berechtigte Vorwürfe 

über den Eindringling ausschütten könnte, 


weil ein Fremder es wagte, seine Existenz zu belasten 

oder dem Ungebundenen eine Richtung zu weisen. 

Außerdem hielt er immer noch die Hand 

des Jungen in seiner und umklammerte sie so fest, 


dass der Blonde einen leisen Schrei des Trotzes 

nicht unterdrücken konnte. Und doch, 

die verletzende Offenheit des wilden Mannes, 

die nur das elende Schicksal einer vernichteten Frau 


in seiner ganzen kargen Armut offenbarte, 

gerade diese schonungslose Rohheit, 

ließ die Edeling-Tochter einen Rest 

ihres alten, angeborenen Stolzes, 


das Bewusstsein ihrer geraden Natur wiederfinden.

Was redest du da von anderen Frauen?, 

beharrte sie fest. Begreifst du nicht, 

dass du mich für immer ausgelöscht hast? 


Gewiss, ich werde dich nie an mein Wesen erinnern, 

aber ich werde auch nicht dulden, 

dass es in der Erinnerung anderer wieder auflebt. 

Außerdem bietet das weite Meer ringsum 


in der Stunde der Gefahr 

einen freien Platz für jeden Mutigen.

Ruhig zog sie ihre Hand von dem Admiral zurück 

und hob die Mütze vom Kopf. 


Und nun bemerkte der erstaunte Mann, 

dass ihr Haar kurz geschnitten war, 

wie das eines Jungen. Kopfschüttelnd, 

mit einem halben Lächeln 


über die Hartnäckigkeit ihres Willens, 

trat Störtebeker zurück. Sein Gast aber sprach 

mit unvermindertem Nachdruck weiter:

Also, noch einmal, Klaus Störtebeker, 


toleriere mich. Denn mir ist, 

als könnte mein Leben erst enden, 

wenn ich das Glück der vielen Tausend gesehen habe, 

um derentwillen du geboren wurdest.


In dieser Bitte lag ein so seherischer Glaube, 

dass er jeden anderen in der Seele berührt hätte. 

Klaus Störtebeker indes begann plötzlich zu lachen, 

streckte sich auf dem Bett aus und warf sich, 


den Kopf bequem aufgestützt, hin:

Sag mal, wie heißt du eigentlich, Bübchen?

Obwohl sie ihre ganze Kraft aufbrachte, 

errötete die Gefragte.


Karin, antwortete sie und blickte an sich herunter.

Gut, lobte der Admiral und betrachtete 

die schlanke Gestalt neugierig, 

ich werde dich Milon taufen. 


Und auf ihre verständnislose Miene hin 

fügte er angeregt hinzu: Vergiss nicht, 

dein neuer Schutzpatron im alten Rom 

war einer von denen, denen weder Suppe noch Braten schmeckte,


solange die Hungrigen in ihren Pesthöhlen 

verfaulten Tiberfisch essen mussten. 

Du hast etwas von dem Mann an dir, das mir gefällt. 

Und nun suche dir hier ein Loch, um darin zu hausen. 


Warum sollte mich das interessieren? 

Es waren schon viele Frauen auf diesem Schiff. 

Du kannst so lange bleiben, wie deine Grille zirpt 

oder es dir sonst Freude macht. Geh, Milon!




ZWÖLFTES ABENTEUER


Getragen von ihrem roten Federkleid, 

glitt die Agile durch Tag und Nacht. 

Geschmeidig, zuverlässig, wie ein unermüdlicher Läufer 

lief das Schiff über die blaue Ebene, 


und sein Erbauer muss einen eigenen Zauber 

in seinen Kiel gelegt haben, 

denn es war in der Lage, mit unauffälligem Schwung 

mühelos den Ansammlungen 


größerer Flottenverbände auszuweichen, 

wie sie sich jetzt auf der Ostsee 

auffällig oft zu zeigen begannen. 

Das Gerücht von der Gräueltat auf Ingerlyst 


muss bereits über die Gewässer geschwirrt sein. 

Mehrmals am Tag wurde die Kogge 

von allen möglichen Schiffsgemeinschaften gerufen. 

Dann bemerkte Karin, die sich in ihrem schwarzen


Knabengewand hinter das hohe Brett lehnte, 

um in die Fluten und Wogen 

des ihr unbekannten Seeverkehrs zu blicken, 

eine wilde Bewegung unter den Freibeutern. 


Dunkle Grüppchen versammelten sich 

auf den Kriegsaufbauten über dem Bug 

oder achtern über Steuerbord, 

Armbrüste rollten sich heimlich zusammen, 


die Geschützmannschaft trat hinter 

den drei ledernen Schlangen in den Raum, 

und während gespenstische Stille herrschte, 

kletterte der Bootsmann Wulf Wulflam gewöhnlich 


auf den mannshohen Mastkopf, 

um von dort aus den Neugierigen 

Lügengeschichten entgegenzuschleudern. 

Bald nannte er sein Schiff "Roi de France", 


bald "Perle von Brügge", und die Flaggen, 

die er lauthals schwenkte, nahmen ebenso phantastische Farben an

wie seine Angaben über Ziel und Ladung des Seglers. 

Wenn sich die fremden Schiffer dann misstrauisch 


und unzufrieden näherten, dann begann auf einmal 

Störtebekers Erfindung zu spielen. 

Eine Hebevorrichtung beförderte die Lederschlangen 

mitsamt den Bombenschützen 


auf den Aufbau über dem Bug, 

und der donnernde Gruß aus den drei Mäulern 

vertrieb weitere Fragen der Neugierigen. 

Um Karin herum aber ertönte der infernalische Triumph 


der Freibeuter. Bei solch belanglosen Scharmützeln 

ließ sich der Admiral fast nie blicken. 

So oft der Blick des Jungen ihn auch suchte, 

er musste sich immer davon überzeugen, 


dass der Kommandant unsichtbar 

sein eigenes stolzes Schiff steuerte. 

Seltsam und hochmütig vermied er den Kontakt 

mit den Menschen auf dem Meer, 


und Karin entdeckte, dass dieser Herr 

der schwarzen Flagge eine Mauer um sich gezogen hatte, 

über die keiner seiner Untergebenen zu schauen wagte.

Stattdessen flüsterten sie sich gegenseitig 


alle möglichen geheimnisvollen Geschichten 

über ihn ins Ohr. Der Aberglaube der Matrosen 

spann bereits bunte Fäden um den lebenden Mann. 

Nicht einmal der jugendliche Schiffsjunge 


brauchte ihnen zu versichern, 

dass er eine Hexensalbe besaß, 

die ihn kugelsicher machte. 

Viele hatten es mit eigenen Augen gesehen. 


Bei Mondwechsel verteilte der Herr 

die Salbe auf seinem nackten Körper. 

Und dann wurde er wieder jung und schön, 

die scharfe Linie um seinen herrischen Mund verschwand, 


und sein Lachen bekam diesen silbernen Klang, 

der das Herz betört. Außerdem, das weißt du genau, 

waren für ihn sieben Höhlen in allen Ländern geeignet. 

Sie sind von unten bis oben 


mit den herrlichsten Schätzen angefüllt. 

Er ist der reichste Mann der Welt. 

Er hat einmal gewettet, dass er mit einer goldenen Kette 

das Ostmeer in zwei gleiche Teile teilen kann! 


Aber was bedeuten solche Nebensächlichkeiten? 

Die Hauptsache bleibt, dass der Wilde Klaus 

Beziehungen zur Geisterwelt hat. 

Er hat einen Pakt geschlossen. 


Und das ist gut für die schwarzen Fahnen, damit rechnen sie. 

Ein graues Männchen, ein Rauch, 

steigt manchmal zu Klaus herab; 

dann schließt sich der Admiral für einen Tag und eine Nacht 


in seiner Kajüte ein, selbst der wachhabende 

Matrose muss weg, und mit Schrecken hört man 

manchmal an Deck, wie der Störtebeker stöhnt und ächzt, 

weil er mit dem Kobold ringt, 


um ihm die Zukunft zu entlocken. 

Wenn der Anführer am nächsten Morgen 

wieder an Deck erscheint, sieht er totenblass aus, 

seine schwarzen Augen sind wie zwei trübe Brunnen, 


denn in ihnen hat sich die Zukunft gespiegelt, 

und sie können sich so schnell nicht an das Licht 

der Erde gewöhnen. In einer solchen Stunde 

zerstreut sich die Schiffsbevölkerung ängstlich 


vor dem Gezeichneten, ein weiter Kreis bildet sich um ihn, 

und die, die er ruft, zittern und bekreuzigen sich heimlich. 

Nur das Kreuz, das auf der nackten Brust getragen wird, 

schützt sie vor dem leeren, starren Blick. 


Aber wer weiß schon, mit wem das Geisterbanner 

die Nacht verbracht hat? Es muss ja nicht unbedingt 

eine ehrliche christliche Elfe sein. 

Vielleicht war es der Teufel Odin, 


der auch um die Zukunft weiß und noch lange nicht tot ist. 

Feuer und Elend, das Christentum gilt nicht immer!

So geschah es, dass sich in einer solchen Stunde der Einsamkeit

Karins fragender Blick mit dem des Führers verschränkte. 


Störtebeker lehnte aufrecht am Großmast, 

das braune Haar flatterte ihm in die Stirn, 

aber während seine sonst blitzenden Augen wie geblendet 

mit der Ferne kämpften, trat eine solche Blässe 


auf seine Wangen, dass das Mädchen, 

von plötzlichem Mitleid ergriffen, sich ihm näherte. 

Sie wagte zu tun, was noch nie jemand gewagt hatte zu tun.

Bist du krank?, fragte sie hastig.


Es war das erste Wort, das sie nach der Begegnung 

in der Hütte mit ihm gesprochen hatte. 

Doch ihr Mitleid fand keinen günstigen Platz. 

Wie von einem Stachel getroffen, 


richtete sich der Admiral auf, und ein unwilliges Ziehen 

legte sich um seinen Mund, als er sie kaltherzig zurückwies.

Dummkopf, warf er ihr vor, was kümmert dich das? 

Wir brauchen hier keine Quacksalber. 


Geh an deine Stricknadeln.

Dazu kam ein Blick voller Fremdheit und Verachtung, 

der ihr bewies, wie überflüssig ihre Anwesenheit 

für den Kommandanten noch immer war. 


Sie blieb für ihn eine Last, ein Vorwurf, 

dessen erzwungene Duldung er sich wohl selbst 

nicht verziehen hatte. Und doch wurde Milon, 

wie der Junge von der Mannschaft allmählich genannt wurde, 


von den lächelnden Schiffsleuten auserkoren, 

sich um die persönlichen Bedürfnisse 

des Admirals zu kümmern. Ohne dass Störtebeker 

es besonders bemerkte, wurde sein fürstlicher Hausrat 


durch ihren guten Geschmack in Ordnung gehalten, 

ja, wie ein adeliger Junge servierte sie 

dem Kapitän jeden Tag sein Essen. 

Dafür wurde sie manchmal mit einem lässigen Wink belohnt, 


aber Klaus duldete ihre Gesellschaft nie länger, 

als es ihr Dienst unbedingt erforderte. 

Stumm und beunruhigt sah er den schlanken Jungen 

sein Haus betreten, und fast immer gab er ihm 


mitten in seiner Arbeit ein ungeduldiges Zeichen, 

sich zurückzuziehen. So flog die Agile, 

getrieben vom Willen ihres verborgenen Steuermanns, 

ihrem Ziel entgegen, und schon begann 


die Besatzung zu munkeln, dass der Admiral 

als Ankerplatz die Stadt Wisby auf Gotland auserkoren habe, 

jenen einst weltberühmten Handelsplatz, 

den die Freibeuter seit einiger Zeit 


durch einen Coup de main in ihre Gewalt gebracht hatten. 

Dort, so versicherten uns einige besonders sachkundige Leute,

sollte etwas ganz Ungewöhnliches geschehen. 

Doch was diese Überraschung sein könnte, 


darüber gingen die Meinungen weit auseinander; 

vielleicht war es eine erneute Feindseligkeit 

gegen die Flotte der Königin, 

vielleicht winkte der unglücklichen Stadt 


eine erneute Plünderung, denn der Admiral 

hatte keine Vertrauensperson für seine Pläne.

Doch noch bevor das Schiff den Anker 

im sicheren Hafen lichten konnte, 


sollte Karin erfahren, welch blutiges Werk sie glaubte, 

mit dem Schicksal künftiger Generationen betraut zu sein. 

Eines Nachts lag sie in ihrem Verschlag 

unter dem Steuerbord-Aufbau, 


von dem man ihr gesagt hatte, er sei besonders luftig, 

und ein wilder Traum hatte seine Arme 

um ihre Hüften geschlungen. 

Die Wellen schlugen gegen die Bordwand 


wie ein fernes Lied. Dann wurde heftig 

gegen die Bretter der Hütte gehämmert, 

und als sie erschrocken aufschreckte, noch halb betäubt, 

hörte sie durch die Ritzen die raue Stimme 


ihres Nachbarn Wulf Wulflam, der ihr sagte, 

sie solle sich anziehen, es sei nicht sicher! 

Schon ertönte von allen Seiten schrill pfeifendes Getriller 

in ihren kämpfenden Gedanken. 


Bevor sie sich in ihrer Raserei anziehen konnte, 

bemerkte sie, wie die Agile von Minute 

zu Minute kleiner wurde, und über ihrem Kopf 

hörte sie die dumpfen Schritte vieler Männer. 


Spärlich bekleidet eilte sie aus ihrer Kammer. 

Die Morgendämmerung brach gerade über dem Meer an. 

Ein riesiger, bleierner Schatten lag 

in der Nähe des Admiralschiffs, regungslos aufgetürmt, 


als wäre das Spiegelbild des Seemanns selbst 

aus dem Wasser aufgetaucht. Von dort drüben 

war auch ein Surren und Klappern zu hören, 

und dunkle Flecken kletterten an den nebligen Masten empor, 


für den starrenden Jungen riesige Spinnen, 

die dicke Seile zu einem unheimlichen Netz verknoteten. 

Aber woher kam diese übermenschliche Stimme? 

Er hatte noch nie die Klänge einer Sprechblase 


aus nächster Nähe gehört, und nun glaubte 

seine zitternde Seele, dass nur aus der Brust 

eines menschlichen Ungeheuers 

solch furchterregend verstärkte Töne kommen konnten. 


Und doch klang die geisterhafte Stimme, 

die durch den Seerauch dröhnte, durchdringend verständlich, 

und obwohl jede einzelne Silbe wie ein Schlag 

an das Ohr des Jungen prallte, verstand er recht gut, 


wie von drüben in französischer Sprache gefordert wurde, 

der verdächtige Seemann solle sich sofort niederlassen, 

um sich einer Untersuchung seitens 

le Connetable zu unterziehen.


Ein Unheil nahte, Karin spürte es 

am unkontrollierten Zittern ihrer Glieder, 

Verhängnis und Henker-Schande 

schüttelten bereits ihre Köpfe, und doch starrte sie 


in fiebriger Spannung auf den mächtigen Schatten, 

der den Morgennebel immer stärker spaltete. 

Um sie herum rührte sich nichts, alles stand wie gebannt still,

kaum ein Flüstern drang unter die Besatzung der Agile.


Dann, inmitten der gepressten Stille,

ertönte plötzlich jene stählerne Stimme, 

die wie ein glühendes Getränk durch alle Adern schnitt, 

und sofort erhellte ein einziger Seufzer der Erleichterung 


die Brust des bedrohten Schiffes. Da, der Admiral,

Klaus Störtebeker lehnte am Hauptmast seines Schiffes, 

und als seine Gefährten ihn erblickten, den alleinstehenden Mann,

das feine Leinenhemd offen über der nackten Brust, 


die grobe lederne Schifferhose fest um die Knöchel geschnürt,

aber das lange Messer in den verschränkten Armen, 

vergaßen sie die eben geübte Vorsicht, 

und ein wilder Freudenschrei brauste in den kühlen Wind, 


der die Locken ihres Anführers spöttisch zerzauste.

Störtebeker ergriff ein Mundstück.

Connetable ist dein Name?, rief er gleichermaßen 

durch das Mundstück. Mort de Dieu, 


seit wann krabbeln die Seidenwürmer von Lyon 

in unsere Töpfe? Ist Charles, euer geistesgestörter König,

krank geworden, dass er glaubt, die Schiffe 

der Ostsee stünden ihm offen wie sein Nachtstuhl?


Woraufhin von drüben: Macht eure Ladung frei. 

Zeigt die Briefe eurer Gönner.

Worauf Störtebeker erwiderte:

Wenn dein Magen knurrt, ha, dann iss den Mörtel 


deiner Bastille. Wenn du aber durstig bist, 

dann leck den gepanzerten Schuh deiner Peiniger. 

Elendes, bedrängtes Volk, wie maßt du dir an, 

über windstille Menschen zu richten?


Dann von drüben: Wir haben Kriegswerkzeuge. 

Nenne deinen Namen, Mann, oder du wirst 

in einem Atemzug mit deiner Mannschaft gehängt.

Worauf Störtebeker mit einem schrillen Lachen antwortete:


Habt Ihr Lust auf meinen Namen? 

Cachez vous sous les lits de vos bien-aimées.

Seidige Höschen, ihr werdet schmutzig, 

wenn ihr meinen Namen hört. 


Da ist etwas drin, um Durchfall zu bekommen. -

Bist du Störtebeker? - Die Frage war noch nicht verklungen, 

als die Besatzung der Agile in einen trotzigen 

Kampfschrei ausbrach, denn allein der Name ihres Helden 


trieb das Blut noch ungestümer durch ihre Adern. 

Gleichzeitig aber sah Karin, die sich vor Aufregung 

nicht mehr beherrschen konnte, 

wie die überlebensgroße Gestalt des Admirals, 


alle Vorsicht vergessend, 

auf den Bugaufbau hinaufflog und dort, 

von der ersten Morgendämmerung stark verändert, 

sein Entermesser gegen die fremde Kogge schwang. 


Von dem halbnackten Mann ging eine solche Wucht aus, 

dass auf beiden Seiten eine erzwungene Stille eintrat.

Franzosen, schmetterte die helle Stimme, 

ja, Störtebeker spricht zu euch. 


Meine Fahne ist schwarz, denn ich trauere 

um das Leid der geknebelten Völker. 

Was seid ihr denn anderes als wir, zertretene Halme 

unter dem Eisenschuh eurer Unterdrücker? 


Die Ebenen zwischen Loire und Somme, 

wir kennen sie gut, liegen verödet, 

eure Städte sind durch Hunger und Seuchen entvölkert, 

eure Bauern leben als Räuber in den Wäldern, 


damit die Seidenwürmer in eurem Schweiß 

bequem baden können! Öffnet eure Augen und seht mich an! 

Ich bin gekommen, um den Fluch 

der Rassentrennung auszulöschen. 


Wenn ihr Mitleid mit euren Kindern und Enkeln habt, 

oh, dann kommt zu mir, ihr armen, blutigen, 

geschundenen Tiere, kommt zu den ebenso Elenden, 

damit wir gemeinsam das Reich 


der Kinder Gottes errichten können. 

Brüder, denn dies sind alle die Geschundenen und Geplagten,

brecht die gemalten Lügen eurer Rammböcke, 

das menschliche Herz kennt keine Grenzen, 


und wenn ihr mich liebt, wie ich euch liebe, 

frisch, bindet eure Gönner an die Masten 

und folgt mir nach Wisby! Dort, so wisst ihr, 

dort werden die Nägel der Armen aus der Erde kratzen, 


was ihr seit Jahrtausenden vergraben habt: Gerechtigkeit.

Es war wieder so, als ob der Mann dort oben 

mit der Sonne oder dem Meer in Verbindung stand, 

ganz allein. So hoch ragte er in die Unendlichkeit. 


Hunderte von Augen richteten sich inbrünstig auf ihn. 

Hunderte von Herzen schlugen unwillkürlich heißer, 

obwohl ihr enger, ungelehrter Verstand 

diesen vorauseilenden Geist nicht begriff. 


Nur vor dem blonden Dänenjungen 

schmolz die Gefahr dahin, 

ja die Planken des Schiffes verschwanden 

unter seinen Füßen, denn er allein nahm wahr, 


wie die riesenhafte Gestalt dort oben 

in die Herrlichkeit des Morgens hineinwuchs, 

er allein ahnte etwas von der glühenden Aufrichtigkeit 

der Verkündigung, und ein ungeheures Glücksgefühl 


überkam die ergriffene Seele 

und trug sie brüderlich zu den Füßen dieses Sehers. 

Was spielte es für eine Rolle, dass Untergang und Tod 

bald auf den Wellen heranrollten, 


was spielte ihre eigene Schande und Not für eine Rolle, 

da sie die Gewissheit erlangt hatte, 

dass sie in die Gefolgschaft eines Schicksalsboten 

aufgenommen war, über dem sich das Tor der Zukunft 


bereits in Firmament-Höhe wölbte? 

Der da oben stammte aus dem Geschlecht 

des verschwundenen Christus, 

doch statt eines Hirtenstabs schwang er ein Schwert, 

in dem die Strahlen der Morgensonne blitzten.


Ein raues Geräusch knarrte in die Verzückung 

der Verzückten. Eine Schwelle des Connetable 

war plötzlich zurückgeschoben worden, 

und zwischen den Mäulern zweier riesiger Eisenschlangen 


kam die zierliche Gestalt des französischen Kapitäns 

zum Vorschein. Es war ein vornehm gekleideter Herr 

mit schwarzem Spitzbart, und der Fremde 

rief scharf und abgehackt hinüber:


Hör auf mit deinem Gefasel, 

deutscher Dieb und Galgenvogel. 

Wir kennen das verlogene Gefasel, 

mit dem du deinen Aberglauben verschleiern willst. 


Nur noch eines, bevor wir dich hängen: 

Königin Margarethes erhabene Majestät 

hat 50 Goldmünzen auf deinen vogelfreien Kopf gesetzt. 

Du weißt, warum, Mädchen-Dieb. 


Und deshalb mögest du entschuldigen, 

dass ich, obwohl ich ein Adliger aus Armagnac bin, 

mich so tief herablasse, um mir 

das Kopfgeld auf dich zu verdienen.


Bei den letzten Worten krabbelten 

zwei grimmige Glühkäfer auf den Schlangen, 

im nächsten Moment brach Feuerdunst aus ihren Kiefern, 

zwei unförmige Steinkugeln donnerten 


auf das Deck der Agile, zerrissen das Jenseits in Stücke, 

und auf der weiten Gasse wälzte sich 

eine Anzahl zerfetzter Körper. Blut spritzte 

um den Mast, dann ein Knall, die Rippen 


des verwundeten Schiffes ächzten, 

ein Schwarm fliegender Bolzen zischte 

zwischen den schreienden Freibeuterinnen 

und Freibeutern hindurch, und über die Landungsbrücken 


sauste es, ein Gewirr von wütenden, verzerrten Gesichtern, 

ein Gebüsch von gebogenen Speeren reckte sich 

wie unter schneidendem Wind, und zwischen den Hämmern 

der blutigen Walkmühle stieg der widerliche Geruch 


des Mordens zum Himmel.

Von nun an wusste Karin nicht mehr, wo sie war. 

Sie wurde inmitten des wilden Gewühls nach vorne gestoßen, 

ein Schlag traf sie an der Brust, 


krampfhaft krallten sich Finger in ihre Locken, als sie fiel, 

Schreie und Gebrüll lähmten ihr Gehör, 

nur eines konnte sich an ihren verblüfften Sinnen festhalten, 

der goldene Schimmer eines Schwertes am Bug. 


Seltsamerweise lachte dort oben etwas, 

ein schreckliches, brennendes Lachen, 

das die Nüchternsten verrückt machen konnte. 

Ein regelmäßiger Kreis aus Blitzen schob sich vor, 


und in diesen sprühenden Reifen 

wurde alles hineingesaugt, Freund und Feind, 

als würde man betrunkenen Motten befehlen, 

sich in diesen Feuerstrudel zu stürzen.


Noch ein paar taumelnde Schritte, immer näher, 

immer überzeugter und verwegener 

klang das seltsame Lachen, dann ein schriller Angstschrei, 

wie ihn Tiere vor dem Schlachten ausstoßen, 


und wie von einem Messer scharf geschnitten, 

riss der Faden des Bewusstseins 

im Gehirn des gepeinigten Mädchens.

Wurde sie an der Wange gestreichelt? 


Oder wurde ihr tatsächlich an den Haaren gezupft? 

Noch deutlicher spürte sie natürlich, 

wie ihr jemand den Latz schüttelte, 

aber letztlich war es dasselbe unerklärliche Lachen, 


das sie plötzlich wie mit einem heftigen Griff 

in vertraute Räume zurückzog. Karin öffnete 

erstaunt die Augen. Um sie herum herrschte 

ungetrübte Stille, bläuliches und goldenes Licht 


rieselte langsam über die Teppiche, und über ihr, 

schwach auf einem Hocker an die Kabinenwand gelehnt, 

beugte sich der riesige Meister. 

Gerade zerrte er wieder an ihren Locken, 


aber er meinte es nicht böse, denn als er bemerkte, 

dass das Blau in ihren Augen wieder auflebte, 

klopfte er dem Jungen energisch auf die Schulter.

Grüß Gott, junger Kriegsheld, klang es hell 


in den Ohren der Erwachenden. 

Nun, was hast du vor, Milon? 

Hast du genug gehabt, mein Junge? 

Schnell, große Rettung ist dir widerfahren. 


Blinzle durch den Ausguck. 

Wir haben gerade die Überlebenden des Connetable 

in ein paar Snykes verpackt und als Morgengruß 

zu deiner Königin ins Bett geschickt. 


Ha, ha, die Dame weiß, 

wie man solche flinken Burschen einsetzt. 

Also beeile dich, es dauert nicht lange, spring zu ihnen. 

Und morgen hast du den ganzen blutigen Schrecken 


über Honig und Gewürzkuchen vergessen! 

Nimm den Rat an, Kleines, ich meine es ernst.

Hastig streckte der Admiral den Arm nach der Treppe aus, 

er schien den Abschied sofort zu erwarten, 


ohne Rührung und ohne Zeitverlust. 

Der Junge aber richtete sich zitternd auf 

und starrte mit kaum verhohlenem Entsetzen 

in das Gesicht des Kommandanten. 


Dies war nicht mehr das edle Gesicht, das er kannte. 

Blut floss über die Stirn Störtebekers 

und verwandelte die stolzen Züge in eine rote Maske. 

Ein Rinnsal sickerte auch über die Brust des Mannes, 


und unter dem Leinen seines linken Arms 

sickerte es unaufhaltsam in klebrigen Schlieren 

über die Hose des Schiffers. Dann wurde Karin 

von einer unnennbaren Angst ergriffen.


Es wird dich das Leben kosten, rief sie 

in plötzlicher Verzweiflung.

Ja, ja, das war es, das Leben dieses Menschen 

konnte vorzeitig enden. Aber erst musste es 


unvergängliche Wurzeln ausstrecken, 

musste höher, weit höher schießen wie andere Bäume, 

um durch Enge und Schatten 

tausend grüne Blätter zum Himmel zu tragen. 


Auch ihr Leben zitterte an seinem Stamm 

wie ein solches schwirrendes Blatt 

und zitterte nun vor Angst, heruntergezogen zu werden.

Es wird dich dein Leben kosten.


Störtebeker zog unwillkürlich die Augenbrauen zusammen, 

die leidenschaftliche Anteilnahme missfiel ihm, 

erinnerte ihn an etwas, das er schon 

vergessen zu haben glaubte. Dummkopf, 


zog er sich aus ihrer tastenden Hand zurück. 

Was soll das ganze Geschwätz von schäbigem Aderlass? 

Aber von dir, Milon, verlange ich eine Antwort. 

Wirst du mit den Franzosen kreuzen oder nicht?


Der Junge antwortete nicht. 

Er schüttelte nur entschlossen den Kopf.

Allein in dieser Bewegung manifestierte sich 

eine Entschlossenheit, die nur durch den Tod 


gebrochen werden konnte. Dann bleib, 

rief Störtebeker grimmig und enttäuscht. 

Den Kopf zurückgeworfen, die blutende linke Hand 

in die Weiche gestützt, wie es seine Gewohnheit war, 


musterte der Verwundete grimmig den langen Raum. 

In seinen Bewegungen lag wieder etwas Fieberhaftes 

und Zerstörerisches, und sein Temperament kochte hoch, 

als er jetzt, ohne wirkliche Absicht, 


eine der bunten Laternen auf dem Tisch umklammerte; 

eines der verzierten Gläser brach mit einem Klirren 

aus der Fassung, und als es auf der Tischplatte zerschellte, 

wich Klaus erstaunt zurück, bis er schließlich 


in ein verlegenes Lachen ausbrach. Das Ungezügelte, 

Jungenhafte seines Wesens hatte ihn bis zum Schluss 

nicht verlassen. Aber seine Wildheit 

war wenigstens freigesetzt worden, 


und so trat er wieder etwas gemäßigter 

vor den Jungen auf dem Hocker, 

um seine rechte Hand auf die Schulter 

des Sitzenden zu legen. Dann sag mir wenigstens, 


du halsstarriger Frosch, fuhr er fort, sag mir, 

damit ich mich endlich erinnern kann, 

was du hier eigentlich suchst? Ich habe noch nie gehört, 

dass geschnürte Eidechsen gerne Blut riechen. 


Oder willst du mich vielleicht nur hängen sehen? 

Er drückte die Schulter der sanften Frau noch etwas fester. 

Dann lass mich dir sagen, Knappe, 

die Leiche des Angebers, der dir das vorhin versprochen hat, 


ist gerade dabei, mit zwei Steinen beladen 

in die Tiefe zu fahren. Auf dieses Festmahl 

musst du bis zum nächsten Mal warten. -

Lass mich auf etwas anderes warten, sagte Karin leise 


und erschöpft. Sie faltete ihre Hände ergeben in ihrem Schoß, 

und ihre blauen Augen füllten sich wieder 

mit dem tiefsten Vertrauen. Es war dieser akzeptierende,

bedingungslose Ausdruck, der den blutigen Mann 


zuvor erschreckt hatte. Ein unerklärliches Frösteln 

erfasste ihn auch diesmal, und er wich zurück.

Also sprich, was ist dieses Wunder?

Karin richtete sich auf.


Es ist das Wunder, sagte sie leise 

und voller träumerischer Gewissheit, 

das du uns Unglücklichen versprochen hast. 

Aber beeil dich, Klaus Störtebeker, 


damit ich nicht so lange darauf warten muss.

Störtebeker schüttelte ungläubig 

und verständnislos den Kopf. 

Es war noch nicht die Zeit, 


in der Männer die Mitarbeit von Frauen begehrten, 

und so drängte sich dieses heiße Verlangen 

dem Freibeuter in erster Linie 

als ein unwillkommenes Eindringen auf, 


das seine ungestümen Zeugungsgedanken, 

die bisher nur wie ein Zug brennender Vögel 

durch die allgemeine Nacht geflattert waren, 

einzufangen und zu bändigen vermochte. 


Lange starrte er den zitternden Jungen an, 

dann stieß er endlich ein gepresstes Lachen aus 

und brach das Gespräch kurzerhand ab.

Na, na, beendete er, das ist Männerarbeit. 


Warte auf mich. Aber jetzt komm, Kleiner, 

damit du etwas Passenderes tun kannst.

Er warf sich schwer auf sein Ruhebett, 

riss sich das Hemd über der Brust auseinander 


und drückte die Ränder der frisch erhaltenen Wunde 

ohne große Mühe fest zusammen.

Nur Mut, Milon, rief er, scheuer den Unrat weg. 

Ihr übt die geheime Kunst in euren Schlössern. 


Nun zeige, was du gelernt hast.

Und der Junge sprang auf, 

als sei er zu einem Fest und Feiertag gerufen worden. 

Mit glühendem Eifer eilte er davon, 


kehrte aber sofort mit einer Schüssel 

voll kaltem Wasser zurück, beugte sich 

über den am Boden Liegenden 

und ließ in seiner Eile einen nützlichen Leinenstreifen aus, 


öffnete ohne zu zögern sein Wams 

und riss entschlossen einen langen Fetzen 

aus seinem eigenen Hemd. Die Brust der Frau 

glühte seidig unter dem dunklen Gewand, 


und in den Augen Störtebekers flammte blitzartig 

jenes züngelnde Feuer auf, das schon einmal 

in der Nacht des Untergangs über ihr geglüht hatte. 

Ungestüm griff er nach beiden Armen seines Opfers, 


aber siehe da, als das schmerzhafte Stöhnen 

des gefesselten Weibes an sein Ohr drang, 

ging ein düsterer Schimmer von Selbstverachtung 

über seine angespannten Züge, 


freiwillig ließ er den Umklammerten los, 

und nun stöhnte er selbst auf 

und warf sich gebieterisch zurück.

Bleib, bleib, murmelte er, mach Frieden mit dem bösen Geist, 


der in mir wohnt. Bei meinem ewigen Kummer 

wünsche ich mir manchmal, dass Milch 

durch meine Röhren flösse und ich gelernt hätte, 

weiße Lämmer zu füttern. Bleib, 


ich werde dir nicht mehr wehtun. 

Er streckte sich aus, schloss die Augen und wartete, 

scheinbar unbekümmert, bis Milon 

mit zitternder Hand sein mildes Werk vollendete. 


Erst als er spürte, dass eine warme Decke 

über ihn gebreitet wurde, setzte er sich auf 

und schob die Decke entschlossen zurück. 

Dann streichelte er sanft über die Locken seines Gefährten.


Armer Kerl, sagte er gutmütig, armer Kerl, 

ich wünschte, wir wären auf andere Weise 

Freunde geworden. Und als er die Blässe sah, 

die seinen Wächter befiel, gab er ihm einen Klaps 


auf die Wange und rief aufmunternd: 

Lass gut sein, Milon. Ein paar Unzen Blut 

sind dem Tier entzogen worden, jetzt wird es 

eine Weile nicht mehr beißen und nicht mehr randalieren. 


Lache, lache, mein Kleiner, aber dann bring schnell 

den Weinkrug und lass uns trinken!

Und auch ich, der Dichter, will nun trinken

Auf den Gott der Liebe und den Hass der Welt!




DREIZEHNTES ABENTEUER


Bis dahin hatte allein die Agile 

das blaue Feld des Ostermeers beackert, 

gefolgt von der Connetable, 

die von den Schuimers besetzt worden war. 


In den letzten Tagen tauchten jedoch 

von allen Seiten schwarze Flaggen auf, 

die allmählich zu einem dichten Schwarm wurden, 

der sich wie ein langer Sternenzug 


um die Kogge des Admirals scharte. 

Doch je stattlicher seine Flotte wurde, 

je zahlreicher die spitzen Pfeiftriller 

oder die wehenden Wimpel 


die eintreffenden Kameraden begrüßten, 

desto auffälliger wurde die Unruhe des Mannes, 

auf dessen Wink hin all diese Kiele ihrem Ziel zustrebten. 

Innere Unruhe trieb Störtebeker um. 


Bald musste Milon, den er jetzt so oft rief, 

wie er ihn früher verjagt hatte, 

ihm bei einer Schachpartie in der Kajüte Gesellschaft leisten, 

bald zog er den Jungen, nachdem er mitten im Kampf 


ungeduldig die Figuren hin- und hergeworfen hatte, 

auf das Deck, wo er weit vorn auf dem Bugspriet 

durch den Nacht- und Morgennebel spähte, um zu sehen, 

ob sich die gotische Küste noch immer nicht 


vom Horizont lösen wollte. Wisby, 

die märchenhaft prächtige Stadt, 

die jetzt aufgrund von Raub und roher Volkswut 

ein verlassener Trümmerhaufen war, 


schien den einsamen Mann 

auf magische Weise anzuziehen. 

Vielleicht, weil ihn der Verdacht quälte, 

dass das Schicksal ihn dort in seine Arme schließen würde. 


Bisher hatte er jeden Lumpen, 

der sich ihm als geschundener Mensch präsentieren konnte,

großzügig mit Gold und Schätzen überschüttet, 

doch nun nahte die Stunde, in der er mehr austeilen sollte. 


Sein Eigentum. Die Summe seiner heimlich geliebten Gedanken.

Und dann die Ungewissheit! 

Wie, wenn die versammelten Menschen, die ihm dienten,

Verbrecher, Diebe und Mörder, Juden und Heiden, 


Polen, Deutsche, Franzosen und Engländer, 

die kein anderes Vaterland kannten als die Planken 

zu ihren Füßen, vor allem, wenn die Segel 

sie so weit wie möglich von Rad und Galgen entfernten, 


wie, wenn diese Raub-begierigen, wilden Horden 

das Unrecht, durch das sie zu einem namenlosen 

Menschenbrei zermalmt wurden, 

noch weit weniger schmerzlich empfanden als ihr Anführer, 


an dem ihre menschliche Schmach 

wie eine eiternde Wunde fraß? 

Könnte nicht in solchen, von aller Konventionalität 

getrennten Gesellen die Gier nach Vergnügen 


und Unbeschränktheit heißer lodern 

als die Freude an der Möglichkeit, 

durch ein nie gesehenes Beispiel jene Welt zu beschämen, 

die sie verstoßen hatte? Was geschah, 


wenn der Pöbel bereits zu roh und verdorben war, 

um zur regulären Arbeit zurückzukehren? Zwang? 

Das war nicht der richtige Weg! In seinen Träumen 

war er zu oft von dem Jubel umgeben gewesen, 


den die bloße Ankündigung und Bekanntgabe 

seiner weltverändernden Pläne bei den Empfängern 

auslösen würde! Wie war es wirklich 

um die neuen Römer bestellt, 


mit denen die gereinigte Erde bevölkert werden sollte? 

Der verächtliche Zwischenruf der Königin 

kam ihm in den Sinn: Und mit einer Bande 

von Räubern und Dieben willst du 


die ewige Gerechtigkeit wiederherstellen? 

Und während er zum hundertsten Mal 

den Ankerplatz von Wisby auf der Seekarte betrachtete, 

pochte sein Herz vor Verwunderung, 


dass er bisher nur sich selbst, den Kopf 

des hellen Gedankens, gesehen hatte, 

während die Glieder, die den Gedanken doch erleben sollten, 

in einem gleichgültigen Dunkel vor ihm verschwanden. 


Worüber brütete die Masse? 

Und warum hielt er sie von sich fern?

He, Milon, unterbrach er in einem solchen Schreckmoment 

seinen Gefährten, der ihm bis dahin unaufgeregt 


und gehorsam aus dem Petrarca vorgelesen hatte, 

in die Ecke mit dem Eselsfell! 

Der Tagedieb aus Italien ist ein Narr, 

weil er an Frauen schnüffelt, 


nur der Mann ist die lebendige Erde. 

Komm, du ungelehrtes Kind, 

damit ich dir eine Handvoll 

unserer zukünftigen Arbeiter zeigen kann.


Hastig ergriff er den Arm des Jungen, 

zog ihn widerstandslos die breite Treppe hinauf 

und mischte sich, wogegen er sich selten wehrte, 

unter die Leute seines Schiffes, 


redete freundlich mit ihnen 

und begann sie nach ihrer Vergangenheit 

und Heimat zu befragen. Alles unter dem Vorwand, 

seine zarte Begleiterin unterrichten zu müssen. 


So manches Schicksal öffnete sich dem Verstand. 

Mit furchtbarem Schaudern sah der Junge, 

wie sich Sünde und Gegensünde 

zu einem Knäuel verwickelten.


Zuerst war da der Steuermann Lüdecke Roloff. 

Ein herkulischer Mann mit einem blonden Strohdach, 

das ihm verheddert über die Augen hing. 

Aber trotzdem wanderte der Blick des Steuermanns 


schüchtern und blinzelnd zur Seite, 

als ob ihn das Gesicht eines jeden Mitmenschen anwiderte, 

und nur in den Stunden vor der Schlacht und dem Kampf 

öffneten sich diese umgekehrten Sterne mit einer Rache, 


und ein Ring aus Blut umschloss sie, 

wie der eines rasenden Hundes. 

Der Mann hatte in seiner mecklenburgischen Heimat 

tanzen müssen. Tanzen? Ja, nicht freiwillig. 


Auf dem flachen Lande gab es einen ehrwürdigen 

und frommen Brauch: Sobald die Gutsherrin 

sich gesegnet fühlte, mussten die Leibeigenen 

zu ihrem eigenen Vergnügen um den Dorfteich tanzen. 


Die Frauen rutschten auf den nackten Knien, 

die Männer aber tobten und sprangen halbnackt 

mit ihren Sprösslingen an der Hand, 

ohne Pause, ohne Unterbrechung, 


bis sich in ihren Köpfen ein Wirbel drehte. 

Lüdecke Roloff aber war ein Spielverderber. 

Als er sah, wie seine Frau bei diesem Vergnügen 

in Ohnmacht fiel und Mareike, sein Töchterchen, 


mit Krämpfen in den Teich stürzte, 

hatte der wütende Tänzer den edlen Zuschauer erwürgt 

und dem Gutsherrn seinen Dolch durch den Hals gestoßen. 

Noch am selben Abend wurde der Tanz 


von einem Feuerwerk begleitet 

und das Schloss brannte ab. 

Seitdem war der Flüchtige mit einem unangenehmen 

Erbe zurückgeblieben. Als die Zeit für Kampf 


und Rache gekommen war, musste Lüdecke tanzen. 

Hüpfend und springend wandte sich der wütende Mann 

dem Kampf zu, und im verrückten Reigen 

griff er seine Opfer noch mit den bloßen Fäusten an 


und brüllte, sie zu erwürgen.

Als Karin diese Geschichte hörte, 

bedeckte sie das heitere Meer mit Nacht, 

aber Klaus Störtebeker strich sich die Haare aus der Stirn, 


denn er wusste nicht, ob er sich des Mannes sicher war.

Der schlaksige Arnold Frowein 

war ein ganz anderer Mensch. Immer lächelnd, 

immer lächelnd, was vielleicht daran lag, 


dass ihm das geistliche Gericht einmal auf der Streckbank 

alle Zähne gezogen hatte, einen nach dem anderen. 

Aber warum wollte der verstockte Rechtsaußen 

nicht zugeben, was er über Uris Besuche 


bei seiner Frau wusste? Die Nachbarn 

hatten doch nicht umsonst den riesigen schwarzen Kater 

eines Morgens schlafend auf Lisbeths Bett gefunden? 

Und anders war es nicht zu erklären, 


dass ein armer Töpfer es zu einigem Wohlstand gebracht hatte 

und dass auf den milchblassen Wangen seiner Frau 

nie ein Tropfen lebendigen Blutes zu sehen war. 

Aber am Ende hatte die Gerechtigkeit gesiegt. 


Punkt für Punkt wurde in den geistigen Akten bezeugt, 

wie oft Meister Urian knisternd auf das Bett sprang, 

und nicht weniger wurde entdeckt, auf welche Weise 

er seine Lust befriedigte. 


Es war alles wissenschaftlich belegt! 

Und nur eines blieb seltsam. 

In Meister Frowein selbst musste sich etwas 

Katzenhaftes eingeschlichen haben. 


Zu geschmeidig kroch er an den Wänden entlang, 

immer schnurrend, immer schmeichelnd, 

und es war wohl nur ein Gerücht, dass er im Kampf 

manchmal einen Sprung aus der Hocke machte, 


um seinem Gegner mit zahnlosem Maul 

an den Hals zu fahren. Ungeduldiger, unruhiger 

wühlte der Admiral in dem Menschenbrei herum. 

Er suchte. Er suchte nach Bürgertugenden 


und Bürgersehnsucht! Wie tief waren diese Dinge, 

die so selbstverständlich waren, verborgen?

Der Nächste: Ein himmelblauäugiger, rotmähniger, 

grimmiger Kerl, denn obwohl Patrik O'Shallo 


sich in den sanften Urtönen der grünen Irin ausdrückte, 

war er als streitsüchtiger Raufbold gefürchtet, 

aber noch berüchtigter als Anführer 

bei jeder maßlosen Ausschweifung. Frauen, Würfelspiele,


Schlägereien und Beute waren die vier Schlagworte 

seiner wilden Ausschweifungen. 

Und doch kam es seinen Kameraden manchmal seltsam vor, 

wenn dieser gefräßige Vielfraß seltsame Psalmen 


vor sich hinmurmelte, als käme er 

aus einem fernen, vergessenen Traum. 

Sie wussten nicht, dass Patrik O'Shallo, 

das uneheliche Kind einer wohlhabenden Wollweberstochter 


aus Dublin, von verängstigten Verwandten 

schon früh in die Zelle eines der irischen Klöster 

geschickt worden war, um durch Hunger und Geißelung 

für die geheime Verfehlung seiner Mutter zu büßen. 


Eines Tages jedoch, als er eigentlich Holz für die Küche 

aus dem Fluss holen sollte, hatte eine Flößerin 

den Jungen in ihre schwimmende Strohhütte kriechen lassen, 

und seitdem wussten die ausgemergelten Knochen, 


wie hell der Tag schimmern und wie betörend 

der Körper einer Frau glänzen konnte! 

Ho, nun aß er die Sonne und trank die Frauen, 

und sein größtes Vergnügen bestand darin, 


Nonnenklöster wie Vogelnester auszuweiden 

und die in die Kirche getriebenen Schwestern zu zwingen, 

nach allerlei Lust üble Lieder zu singen. 

Auch der Admiral beäugte diesen unermüdlichen Verehrer 


des Vergnügens mit einem zweifelnden Kopfschütteln, 

und ein zweifelhaftes Lächeln mischte sich 

in seinen herablassenden Gruß, 

als er sich von ihm verabschiedete.


Da, Milon, sieh dir die krumme Nase zum Schluss genau an.

Vielleicht haben seine Vorfahren schon mit dem Heiland 

um Säge und Hobel gefeilscht. Hast du jemals 

so verzweifelte hebräische Augen gesehen?


Der Admiral hätte hinzufügen können, dass der Jude 

ein alter Bekannter von ihm war. 

Denn der grauhaarige Jakob war derselbe 

unglücklich verfolgte Mann, den er als Knabe 


im Hause der Hedda aus den Händen 

abergläubischer Bauern befreit hatte. 

Jetzt war der stets introvertierte, bescheidene 

Menschensplitter zum grausamsten Würger 


unter den Schiffsleuten geworden. 

Als Zeichen seiner immer wieder aufkeimenden Rachegelüste

hatte er den gelben Judenfleck 

auf das Wams des Schiffes genäht, 


und je mehr die Freibeuter ihn dafür verspotteten, 

desto zärtlicher strich Jakob oft über den Fleck. 

Aber es lag auch eine unheimliche, vergötternde Liebe 

in dem Hebräer. Sobald der Admiral in seine Nähe kam, 


begannen Jakobs schwarze Augen 

die alte, tausendjährige Sehnsucht auszustrahlen. 

Er glaubte. Er glaubte unerschütterlich an den Messias, 

der die stinkende Erde von Verfolgung 


und Menschenfeindlichkeit erlösen würde. 

Und nach den Legenden seines Stammes würde 

der Bote Jehovas 

weder ein Lämmchen noch ein Schreiber sein, 


sondern ein Gerüsteter, in dessen rechter Hand 

ein goldenes Schwert über der Erde funkelte. 

Wer war das? Klaus Störtebeker! 

der schillernde, überlebensgroße, der Liebende und Befreier, 


er war es. Kein Zweifel! Der alte Jude war der einzige, 

der auf den Planken stand und das neue Reich 

im Herzen trug. Am Abend desselben Tages 

lag der Admiral singend und lachend in seiner Kajüte 


und trank den italienischen Wein, 

auf dessen Flut es schwirrte wie Glühwürmchen. 

Auch an Deck schwirrte und johlte es; 

dort grölten die Freibeuter ihre wilden Lieder 


zum Klang der Instrumente, denn es war eine laue, 

windstille Nacht, und die Agile kräuselte sich 

kaum auf ihrem Weg. Horch, warf Störtebeker 

dem Jungen zu, der, müde und schon vom Schlaf übermannt, 


den Unmäßigen bediente. Muntere dich auf, mein Junge! 

Du musst lernen, die Nacht zum Tag zu machen. 

Komm, flüstre mir ins Ohr, mein Bleichgesicht, 

wie gefallen dir meine Kinder? 


Hältst du sie nicht für Hengste, 

die sich nur vom Teufel reiten lassen?

Da erwachte Karin, riss sich zusammen, 

und ein sorgenvoller Blick ging über ihren Herrn, 


denn seine wilde Trink- und Prasslust 

schmerzte die ewig grübelnde Frau.

Wer den heiligen Gedanken trägt, 

antwortete sie mit leisem Vorwurf, 


was braucht er die Menge? Sie wartet an jeder Ecke auf ihn, 

und ich glaube, sie folgt immer dem Einsamen.

Seltsamerweise hatte das Wort eine unerwartete Wirkung 

auf den Feiernden, der lässig an seinem Stuhl hing. 


Kaum war es ausgesprochen, da sprang Störtebeker 

ungestüm auf die Füße, das sonnige Leuchten 

leuchtete unerwartet wieder aus seinen Zügen, 

und ohne einen zweiten Gedanken zu verschwenden, 


riss er den Jungen hoch, um ihn jubelnd 

an seine Brust zu drücken. Er spürte nicht, 

dass es das Herz einer Frau war, 

das gegen das seine pochte.


Gesegneter, jubelte er und hob seine Last hoch in die Luft. 

Du hast recht. Topp, die Einsamen gelten allein. 

Hat Atlas vielleicht eine Hand gebraucht, 

als er den Himmel trug? 


Komm, sei gepriesen, du schlauer Bube.

Und er küsste ungestüm das blonde Haar seines Gefährten. 

Doch der Junge wand sich vor Scham aus seinen Armen, 

wagte nicht, den Blick vom Boden zu erheben, 


und ein langes Zittern lief über seine schlanken Glieder.

In der folgenden Nachtwache war "Land" 

vom Masttop gerufen worden, und die Agile 

hatte einen Gast aufgenommen. 


Auf den Höhen von Wisby, 

schon unter den Lichtern der Stadt, 

hatte sich Kapitän Wichmann zu den Schiffen 

des Admirals gesellt, und nun hockte 


der strohblonde Zwerg seinem ehemaligen Schüler 

an der Festtafel gegenüber, vor ihm zerbrach der Tisch 

fast unter der Last der silbernen und goldenen Ausrüstung, 

und doch streckten die beiden Freibeuter nicht die Hände 


nach Speise und Trank aus, sondern ihre Blicke 

musterten sich gegenseitig, ihre flackernden Augen 

blitzten übereinander, als müsse jeder 

die geheime Schwäche des anderen ausspähen 


und dafür bezahlen. Sie führten ihr Gespräch 

im Verborgenen, niemand durfte den Führern beiwohnen, 

die Erzähler und Lauscher saßen einsam und erhitzt 

unter den brennenden Laternen, selbst Milon 


blieb mit der diensthabenden Wache 

hinter der verschlossenen Tür der Kajüte 

und wartete mit Herzklopfen darauf, 

ob ihn bald ein Ruf erreichen würde.


Schließlich hatte der Admiral die Tür geschlossen. 

Seine Rede, anfangs kühl und bedächtig, 

hatte sich immer mehr gesteigert, wie jemand, 

der Sprosse um Sprosse auf einer Leiter erklimmt. 


Schließlich loderte die brodelnde Glut 

hoch über dem Kopf seines Zuhörers auf. 

Er lümmelte sich in seiner schwarzen Robe auf einen Schemel 

und stützte sein weiches, weibliches Kinn auf, 


seine zweifarbigen Augen funkelten 

mal spöttisch, mal erstaunt, 

und seine kleine Hand griff eifrig in eine 

der Haarsträhnen. Schließlich konnte sein Schüler 


die gekünstelte Zurückhaltung nicht mehr ertragen. 

Rücksichtslos warf er das Geschirr beiseite 

und beugte sich weit über den Tisch. 

Seine Brust arbeitete so stark unter dem Seidenpantoffel, 


dass die Ringe seiner Halskette 

ein metallisches Geräusch machten.

Nun, Magister, rief er in kaum verhohlener Erregung, 

warum schmeckst du, als hätte ich dir die tägliche Milch 


in die Schüssel geschüttet? Hast du vielleicht 

die gleiche mit deinen Professoren geschlabbert?

Der Zwerg schloss die Augen 

und wiegte sanft seinen gelben Kopf. 


Er schien es zu genießen, den Entdeckerstolz 

des anderen zu quälen. Aber, Geliebter, hauchte er 

mit seiner mädchenhaften Stimme, das Jubeljahr der Hebräer 

und die Ackergesetze der Gracchen waren schon da. 


Auch in den Wäldern der Germanen geschah fast dasselbe. 

Du bist weit zurückgegangen. -

Zurück?, rief Störtebeker verletzt. Abrupt fuhr er hoch, 

als überkäme den Riesen das Verlangen, 


den Tisch mitsamt dem Gast umzuwerfen. 

Dann aber stieß er ein hochmütiges Lachen aus, 

schnappte sich gewaltsam den Weinkrug und leerte ihn 

in einem langen, begehrlichen Schluck.


Sei nicht so schüchtern, stöhnte er in Heiterkeit. 

Was gibt es sonst noch zu nagen?

Er warf sich auf den Tisch, dicht neben den Kleinen, 

und klopfte seinem Gast auf die Schulter, 


dass es hohl durch den Raum hallte. 

Doch der strohblonde Mann wankte nicht 

auf seinem Stuhl; unerschüttert hatte er 

den Schlag überstanden und damit dem Admiral 


einmal mehr bewiesen, dass er kein gewöhnlicher Mensch war.

Auf den ebenmäßigen Zügen des Kapitäns 

zeichnete sich nun ein nachdenkliches, 

etwas bösartiges Lächeln ab. Er tätschelte 


seinem ehemaligen Schüler das graue Bein, 

als ginge es vor allem darum, abzulenken 

und zu beschwichtigen. Geliebter, flüsterte er 

voller zärtlicher Bitterkeit, wobei die frechsten Teufel 


in den zweifarbigen Augen hüpften, 

ich bin nur ein schäbiger Wicht, der Zeit braucht, 

um sich an eine so schändliche Größe zu gewöhnen. 

Aber siehe, nun bin ich deinen Schritten nach geschlichen, 


und mein Herz zittert vor Freude, weil es dich fangen kann.

Störtebeker griff nach dem Weinkrug und schlug ihn 

seinem Kameraden hart über den Kopf.

Narr, sagte er ruhig, respektiere mich 


oder ich schlage dir den Schädel ein. -

Später, entgegnete der andere freundlich, 

ohne von seinen Liebkosungen abzulassen, 

zuerst soll meine Torheit bedeuten, 


dass sie eine große Vorliebe für dich empfindet. -

Was? - Nachdenklich lehnte sich der Kleine zurück 

und zeichnete auf den Boden. Die Freude am Sezieren 

und Disputieren schien den Junggesellen 


mächtig gepackt zu haben. Die Staaten haben sich gelockert,

murmelte er. Die Reiche sind zermalmt. 

Hunger und Elend sitzen zwischen dem Mörtel. -

Ein Faustschlag kann ihr elendes Bauwerk zertrümmern, 


warf der Admiral ein, der einmal mit weitem Schritt 

den Saal überblickte. Nur die Menge, 

und er hielt inne und zerrte an seiner Kette. 

Wird sie sich mit mir bewegen? -


Das wird sie. Die Fahne des ewigen Glücks 

auf dem neuen Gebäude lockt sie an. -

Halt die Klappe, rief Störtebeker, dunkelrot vor Zorn, 

und seine wilden Augen brauten Unheil. 


Er hatte sich an einen Wandteppich gelehnt 

und raffte nun den Stoff um sich, als würde er frösteln. 

Packt euch zum Teufel, ihr Hirnkrähen, 

was kümmert es euch, ob ihr meiner Seele nachfliegen wollt 


oder nicht? Ehrfurcht brauche ich, 

demütige Nacken, Gehorsam! -

Gut, gut, das brauchst du, o Ruhmreicher, 

aber ich gehe mit dir. - Du?


Der Zweifel hielt den Admiral noch immer gefangen, 

dennoch eilte er auf den Sitz des Kleinen zu 

und schüttelte den halb aufgerichteten Mann 

wütend an der Brust. Wenn du nicht an mich glaubst, 


schrie er dem Zwerg ins Gesicht. Hein Wichmann, 

du weißt doch, dass ich von allen 

die Schwachsinnigen und Lauwarmen am meisten hasse! 

Damit schleuderte er das strohblonde Bündel heftig hin und her,


als könne er ihm die gewünschte Antwort abtrotzen, 

und seine Wut stieg, als er die Zähigkeit 

dieser lächelnden Maske erkannte. 

Schon hatte sich das freundliche Gespräch 


in einen engen, gefährlichen Ringkampf verwandelt.

Dann glitt der Magister geschickt von ihm weg, 

holte Luft und ließ, nachdem er wie ein spielendes Kind 

auf dem Tisch herumgehüpft war, 


gemächlich die Beine herunterschwingen.

Sei ruhig, beschwichtigte er, dein treuer Lehrer 

wird dich nicht verlassen. Habe ich nicht monatelang 

in einer Goldschmiedehöhle in Paris gesessen 


und gewartet, ob das Gebräu aus Ton 

und dreizehn Erdkräutern den königlichen Löwen 

ergeben würde? Ha, und ich soll für meinen Schatz 

nicht wieder die Küchenschürze umbinden? 


Pass auf, du wirst Glück haben, du wirst Glück haben, 

solange du fleißig bei den Frauen bist!

Angewidert blieb Störtebeker wie angewurzelt stehen.

Mit den Frauen?, wiederholte er, 


als sei er mit einem Eimer kalten Wassers begossen worden, 

und unwillkürlich musste er zur geschlossenen Tür blicken. 

Wo können mir die Dirnen helfen? -

Wo sie dir immer geholfen haben. 


Schleppe sie zu Hunderten zusammen und sorge dafür, 

dass sie Klaus Störtebeker gebären. 

Dann wirst du ein Fürst im neuen Reich sein.

Da strich Klaus mit der Hand durch die erhitzte Luft, 


als könne er mit der Faust eine lästige Wolke 

vom Himmel pflücken, und ein unmäßiges 

und doch nicht ganz freies Lachen erleichterte seine Brust. 

Scharf hatte sein Verstand erfasst, wie um den Magister, 


zerfressen von giftigen Zweifeln, 

nur noch das Unkraut der Erde wuchs.

Erbärmlicher, unglücklicher Geist, 

rief er voller aufrichtigem Mitleid. 


He, Milon, wo bist du? Bring roten Wein, 

es ist nötig, eine dumpfe Seele zu berauschen, 

damit die Fledermaus sich wieder ans Licht wagen kann.

Und als Milon, der sich nach diesem Ruf sehnte, 


bereitwillig dem Befehl seines Herrn nachkam, 

zog ihn Störtebeker dicht an sich heran 

und strich dem Jungen brüderlich über die Wange, 

während er sich gezwungenermaßen an ihn lehnte.


Hast du wieder die Nacht durchschwärmen müssen, 

mein blasser Freund?, fragte er mitfühlend. 

Geh, zeig mir deine Augen, ob noch die reine, 

fromme Flamme in ihnen brennt? 


Und ohne auf das zweideutige Lächeln des Strohblonden 

zu achten, führte er das Kinn des Jungen nach oben, 

bis er endlich zu finden glaubte, was er suchte. 

Dann aber schallte der ihm eigene, glückselige Jubel 


zu seinen Gefährten hinüber. Freue dich, Milon, 

rief er, bei Zeus, du kannst fliegen. 

Ich wünschte, ich könnte dich wie eine weiße Taube 

fliegen lassen! Aber nun setz dich zu mir und sag, 


wie gefällt euch dieser kleine strohblonde Kerl, 

der nicht aus dem Schmutz der Erde herauskommt?

Ein begehrlicher Schimmer überzog 

die angespannten Züge des Hauptmanns.


Schöner Junge, flüsterte er, welche glücklichen Eltern 

haben dich zur Welt gebracht? 

Du bist ein anmutiges Kind!

Allein beim Sprechen schien ihm heiß geworden zu sein, 


denn er sprang auf, um eine der Schiffsluken zu öffnen. 

Und plötzlich verstummten die drei.

Dort drüben zuckten die Lichter von Wisby.

Die tote Stadt regte sich. 


Ihr prächtig geschmückter Leichnam erhob sich 

und wandelte. Unerwartet begannen die steinernen Adern 

zu zucken und zu pochen. 

Von den sechzehn trostlosen Kirchen, 


von den sieben verfallenen Toren 

löste sich die Stille und schwebte 

wie ein graues Spinnennetz über dem Meer.

Durch die gestern noch leeren Straßen von Wisby, 


wo jeder Schritt widerhallte, wo hungrige Hunde 

das Gras zwischen den Pflastersteinen rupften, 

drängte sich das Getöse der Menschenhaufen. 

Kopf drückte gegen Kopf, Schulter rieb sich an Schulter, 


das Scharren nagelbeschlagener Schuhe mischte sich 

mit dem Stimmengewirr, und das erste Licht 

der Morgendämmerung, das auf den kunstvoll 

bemalten Holzhäusern glühte, sickerte allmählich 


auf die zusammengekauerten Seeräuber herab, 

so dass manchmal Gesichter und Hände 

aus der Masse hervorblitzten. Unaufhaltsam 

wälzte sich die Menge, einem vorherbestimmten Befehl folgend,


aus den niedrigen Straßen hinter der Ufermauer 

in Richtung des hohen Marktplatzes. 

Und je höher sie kletterte, desto mehr entkam sie 

dem Zwielicht und desto heller wurden ihre bunten Ringe 


vom Licht getroffen. Das Ungeheuer gewann auch an Sprache. 

Oft konnte man es aus seiner Kehle brüllen hören: 

Wo, wo ist Störtebeker? - Grüß Gott, 

seid ihr nicht von Gödeke Michael? - 


Wir sind Wichmanns. - Verfluchte Hunde, habt ihr uns 

hier etwas in den bunten Kisten gelassen? - 

He, du Braune, mach Platz im Bett, ich komme mit.

Sie gingen an der leeren Kurie vorbei, 


schoben sich durch niedrige Säulengänge, 

hinter denen einst mächtige Kaufmannsherren 

ihre Zahlhäuser und Lagerhäuser unterhielten. 

Jetzt lauschte manch neugieriges Ohr vergeblich 


auf das Knistern von Federn oder das Rollen von Fässern. 

Oh nein, sie hätten früher kommen müssen. 

Der stille Rückzug des Handels hatte schon 

vor etwa dreißig Jahren begonnen. Damals, 


als der dänische König Waldemar Attertag 

das köstliche Nest mühelos ausweidete. 

Aber erst der Staatsstreich der Freibeuter 

hatte der kränkelnden Gemeinschaft den Rest gegeben. 


Von dem Augenblick an, als die trunkene Freiheit 

die Stadtgesetze in die Flammen geworfen, 

die verhasste Ordnung mit Füßen getreten 

und jubelnd die allgemeine Willkür ausgerufen hatte, 


jene ersehnte Losung aller Geknebelten und Unterdrückten, 

die nur einmal im Leben das Gefühl der Herrschaft 

genießen wollten, seitdem war der steinerne Körper 

von der Totenstarre befallen. 


Von da an bedeutete Wisby nicht mehr 

als ein Haufen Diebesgut, lichtscheue, 

heimliche Geschäfte wurden hier getätigt, 

wochenlang ertönte kein Laut in den menschenleeren Straßen, 


bis sie plötzlich wieder vom Gezänk der Händler, 

dem Geschrei der Huren, 

den Flüchen der Schiffer 

und den maßlosen Feiern der Lust, 


die ein festes Bett unter sich spürten, 

erklingen konnten. Doch trotz alledem hafteten noch 

Fetzen des einstigen Reichtums an dem Skelett 

der verfallenden Stadt, und manchmal strahlte 


noch ein liebliches Lächeln aus dem steinernen Schädel.

In der Nähe des Marktes, in den Fenstern des Gasthauses 

zum silbernen Bischof, ächzten die Holzrahmen 

unter dem Gewicht der Neugierigen. 


Die meisten von ihnen waren Prostituierte 

aus aller Herren Länder, die immer dann auftauchten, 

wenn die derzeitigen Herren des Ortes 

ihr blutiges Gold verschieben wollten. 


Aber auch Kaufleute und verwegene Händler 

scheuten das Abenteuer nicht, denn nirgendwo auf der Welt 

konnte man schneller und feiner verdienen 

als an dieser leicht verderblichen Beute.


Unten in der stickigen Stube saß Milon auf der Ofenbank. 

Andere machten die Wäsche. 

Die beiden Geschlechter saßen ohne Scheu nebeneinander. 

Zwei Schüsseln waren zu diesem Zweck 


auf Hockern aufgestellt worden, 

und es wurde nicht allzu ernst genommen, 

wenn der neue Reinigungsbedürftige noch 

das alte Wasser fand. Ein paar Schläfer 


lümmelten derweil auf den Holzbänken, 

andere schlürften bereits ihren dicken Mehlbrei, 

und ein Dudelsackspieler und ein Flötenspieler 

hockten auf der Diele und ließen ihre Musik erklingen. 


Ein gezähmter Affe tanzte dazwischen. 

Niemand nahm Anstoß an dem bunten Durcheinander, 

weder an der schlechten Luft 

noch an dem wimmelnden Ungeziefer, 


denn damals gab es noch keine 

nach Ständen getrennten Wirtshäuser, 

und der Fürst wohnte dort ebenso wie der Bettler.

Der Junge auf der Ofenbank 


verschränkte die Arme vor der Brust 

und ließ seinen leichten Kopf gegen die Kalkwand sinken. 

Aber es war nicht die Müdigkeit, 

die ihn die Augen schließen ließ, 


obwohl er die Nacht schlaflos 

in dieser übel riechenden Hölle verbracht hatte; 

nein, es bedeutete vielmehr einen Moment des Nachgebens

gegenüber der wilden Flucht, 


die an seinem inneren Auge vorbeiflog.

Hier war es entschieden. Heute würfelte 

ihr gottesfürchtiger Spieler um seine eigene Glückseligkeit, 

aber noch mehr um diejenige, die andauern würde, 


solange Menschen auf Erden lebten. 

Konnte das erreicht werden?

Der Atem des grübelnden Mannes wehte schneller, 

seine Lippen zuckten hemmungsloser, 


ein prächtiges, verführerisches Bild 

tauchte vor seiner Seele auf. 

Während er hier saß und mit zunehmender Bedrückung 

dem Geplätscher der Putzer, ihren derben Scherzen, 


dem Schlürfen der Trinker 

sowie dem Gekreische des tanzenden Affen lauschte, 

zog es den Träumer fort, es riss ihn fort zum Markt. 

Dort draußen, durch die ausweichenden Haufen, 


schritt Störtebeker. Über alles Volk 

ragte sein schmales Haupt unter dem goldenen Helm, 

die gestickten Wappenlöwen schimmerten 

auf seinem blauen Fürstenmantel, 


und als er sich der Menge zuwandte, ergriff der Zauber 

die Tausende, wie er den Einzelnen hier 

auf der schmutzigen Ofenbank unterjochte.

Begann nicht auch das Glockenspiel zu schwingen?


Ängstlich fuhr der Junge in die Wirklichkeit. 

Nun lauschte er, lauschte mit all seinen Sinnen. 

Nein, es war keine Illusion. 

Das Stimmenmeer hatte sich dort draußen beruhigt, 


eine atemberaubende Stille legte sich über das Getümmel, 

und was immer man sich vorstellte, es geschah. 

In der Nähe dröhnte der Klang von Glocken 

gegen das bebende Gebäude. 


Auch unter den Herbergsgästen erstarb jedes Geräusch, 

für einen Herzschlag erstarrte alles, 

um eine Deutung für das Geschehen zu gewinnen, 

doch dann bäumte sich der Sturzbach in Richtung Ausgang auf,


die Treppe knarrte und wirre Rufe wirbelten durcheinander: 

Störtebeker! Störtebeker! 

Die Leute zerstreuten sich polternd, 

um den seltsamen Moment nicht zu verpassen. 


Milon fasste sich ein Herz, 

er schwankte auf seiner Bank. 

Der Entschluss war gefasst. 

Jetzt ein Gebet, ein Gebet der Not - 


nur die Worte wollten sich nicht mehr 

zu einem Sinn verflechten. 

Stattdessen sprudelten immer wieder dieselben 

inbrünstigen Silben, die er selbst nicht verstand, 


aus dem kochenden Fieber heraus.

Erlösung! Für wen galt dieser Wunsch?

Draußen verschwand das letzte Beben der Glocken. 

Dann spürte Milon, der immer noch kraftlos 


an der Wand lehnte, wie eine tastende Hand in seine glitt.

Erschrocken beugte er sich vor. Zwischen seinen Knien 

hatte sich der halbnackte Körper der Flötenbläserin 

aufgerichtet, und nun streichelte die Dirne sein Knie.


Feiner kleiner Junge, schmeichelte sie ihm 

mit sanfter, zärtlicher Stimme, 

was hast du für ein zartes Gestell! 

Komm, Störtebeker kocht draußen gerade etwas Neues. 


Wer weiß, wie voll der großschnäuzige Kerl 

wieder seine Taschen trägt. Ich kenne ihn. 

Er feilscht nicht lange um den Preis von Kissen und Betten.

Komm, ich zeige ihn dir. 


Und ohne sich darum zu kümmern, 

in welches Taumeln ihr Begleiter geriet, 

ergriff die Reisende die ihr überlassenen Finger 

und zerrte den willenlosen Mann 


mit spöttischen Ermahnungen die Treppe hinauf. 

Fröhlich, fröhlich! 

hast du am frühen Morgen schon Met getrunken? 

Hier ist noch eine Stufe! So, und jetzt zum Fenster. 


Macht Platz, Aasgeier, damit der Knappe sehen kann.

Plötzlich hockte Karin, eingekeilt in das Gedränge 

von Prostituierten, Scherzkeksen, Wechslern 

und lichtscheuen Händlern, in der offenen Fensterhöhle, 


und während ihre Gönnerin schützend den Arm 

um ihre Hüften legte, mussten die Ohren der Halbbetäubten 

das unreine Geflüster der Nachbarinnen ertragen. 

Ihre Augen aber wurden auf das heilige Fest vorbereitet.


Unter ihr, Kopf an Kopf, ein Meer von Menschen. 

Es wogte nicht, es stand ganz still, 

schwarz und rötlich überfließend, wie Landseen starren, 

wenn die Spannung des Gewitters in ihnen verborgen ist. 


Aus allen Fenstern ein Rinnsal 

von unerkennbaren Gliedern, 

bunten Tüchern, gefangenen Augen, dünne Rinnsale, 

die in das große Becken hinabfließen. 


Selbst die Morgendämmerung hing schweigend 

an den Wänden. Sie lauschte. Ja, ein Gott 

zugewandtes Schweigen schien über die Welt 

gekommen zu sein, so mächtig, dass Karin erschauderte, 


als dieses bedingungslose Zuhören, 

doch gemischt mit Unglauben und Entsetzen, 

auch ihre vorbereitete Seele ergriff. 

Zitternd, atemlos lehnte sich ihr Körper 


aus dem Fensterrahmen, und sie bemerkte nicht einmal, 

wie der Arm der Dirne sie fester hielt, 

während ein Paar heißer Lippen ihr ins Ohr flüsterte:

Da drüben, Trauter, auf der Treppe, der Große 


im blauen Waffenrock, ja, das ist Störtebeker. 

Schau, wie die Affen ihm zuhören. 

Pah, ich kenne diesen Säufer! 

Der schubst uns Frauen herum, als wären wir Lumpen. 


Du bist mir lieber.

Eine brennende Wange schmiegte sich an eine kalte, 

und Karin ertrug es, so körperlos hing sie hier im Gedränge. 

Ihr Innerstes aber, ihre hingebungsvolle, 

blutig gepeinigte Sehnsucht, 


hatte sich längst von ihr gelöst und schritt nun 

über die vielen Köpfe hinweg zu den hellen Klängen, 

die hell und markig unter dem gerippten Portal 

des Bischofspalastes aufstiegen.


Alles andere war für sie verloren. 

Karin sah nur das edle, herrschaftsgewohnte Gesicht, 

das von einem in der Tiefe glühenden Feuer umhaucht war. 

Sie verstand seine Worte nicht. Was war der Sinn? 


Dennoch verstand sie jede Biegung, 

jede neue Rechtfertigung dieses Geständnisses, 

das nie zuvor vor menschlichen Ohren entstanden war. 

Unten ging ein grimmiges Stöhnen durch die Menge. 


Der fürstliche Herold dort auf den Stufen 

musste seinem Volk die Verfolgung 

und die Schande ihrer früheren Situation schildern. 

Aber jetzt hoben sich die Köpfe noch eifriger, 


sie drängten sich näher, denn der Admiral 

warf seinen Arm nach vorn, als wolle er 

seinen Schiffern eine nie dagewesene Reise ankündigen. 

Die Blondine hielt den Atem an. Sie wusste es. 


Jetzt erschien das gelobte Land 

vor den Geschundenen und Gequälten, 

vor dem Auswurf allen Lebens, 

jetzt wurden sie von einer Riesenfaust 


aus dem stinkenden Schlamm gezogen, 

und eine saubere Erde breitete sich vor ihnen aus, 

auf der sie fortan in unangefochtener, 

unschuldiger Gemeinschaft wohnen sollten. 


Still! Still! Karin presste ihre Hände 

auf ihr hämmerndes Herz. 

Hier öffnete sich der steile, unbekannte Weg! 

Würde das verdammte Geschlecht noch jung 


und hoffnungsvoll genug sein, 

um ihn mit Überzeugung zu gehen? 

Oder hielt es seine Verderbtheit bereits 

für das unheilige Geschäft der Rache?


Noch rührte sich nichts. Keine Welle lief 

über den menschlichen See. 

Und so tief sich Karin auch beugte, 

ihre brennenden Augen nahmen weder Hohn noch Abscheu, 


aber auch keine jubelnde Zustimmung wahr. 

Die Flut stand in eisiger Stille, rollte nur ab und zu 

auf ihrem Grund, wie ein langes, ängstliches Aufwühlen.

Horch, sagte das schwarze Frauenzimmer neben Milon, 


was plappert Störtebeker da? 

Will er Gold unter uns werfen?

Aufgeregt schüttelte sich die Flötenbläserin, 

verließ den Jungen kurzerhand 


und hockte bald darauf ganz vorne in der Höhle, 

wo sie ihre nackten Beine herunterschwingen ließ.

Und siehe, unter dem altersgrauen Portal 

des Bischofspalastes wuchs die ohnehin schon 


hoch aufragende Gestalt des Einsamen 

noch einmal merkwürdig an. Seine Glieder reckten sich 

über sich selbst hinaus, eine menschliche Pappel, 

die in ihrem Streben nach oben kein Ende finden wollte, 


und er stieß seine letzten Worte aus, 

selbstbewusst, gewappnet, fordernd, 

wie aufsteigende Lerchen, 

die sich trotzig jedem Pfeil aussetzen.


Und jetzt? Was geschah nun? 

In der gewaltsamen Überzeugung seiner Natur 

ballte der Irritierte die Faust vor sich und schüttelte sie, 

nicht nur gegen die starre Masse, 


die sich nicht erheben wollte, sondern vor allem 

gegen den stämmigen Mann in der Matrosenuniform, 

der kalt und regungslos eine Stufe unter ihm wartete. 

Gödeke Michael!


Doch das letzte, was man von Störtebeker hörte, 

war ein gewaltiges, anmaßendes Lachen, 

das ihn regelrecht erschütterte.

Die Menge stand verbissen in Taubheit. 


Unschlüssig brüteten sie vor sich hin. 

Tatenlos beobachteten sie allein 

die geballte Faust ihres Anführers aus tausend Augen, 

denn diese rechte Hand war soeben 


vom Sonnenlicht gefärbt worden, 

so dass ein schmaler roter Blitz 

aus dem Siegelring des Admirals aufstieg. 

Ein Strudel aus Feuer tanzte auf seiner Hand.


Die Menge rührte sich nicht.

Dann plötzlich, aus welchem Grund, weiß ich nicht, 

schrillte ein Schrei über den Markt. 

Die Prostituierte in der Fensterhöhle des Silberbischofs 


hatte sich aus Langeweile das Brusttuch vom Leib gerissen, 

so dass ihre Brüste völlig entblößt waren, 

und fuchtelte nun mit dem Tuch 

ungestüm in der stillen Luft herum, schreiend und lachend. 


Als hätte es nur auf dieses Zeichen gewartet, 

brach endlich das lang aufgestaute Gewitter 

über dem Menschensee los. Ein Donnerschlag antwortete, 

ein Tosen warf die schweren Wogen gegeneinander, 


ein Orkan von Stimmen tobte, 

tausend schwielige Hände griffen 

nach der Morgendämmerung, als ob es nun möglich wäre, 

die vorbeiziehende Sonne festzuhalten, und, 


von krampfhaften Erschütterungen aufgerüttelt, 

schwoll die tobende Menge zum Portal hin an.

Wollte sie den Menschen dort oben, 

der in tiefes Erstaunen versunken war, küssen? 


Wollte sie ihn ermorden? Unfähig, sich zu bewegen, 

saß Milon mit geschlossenen Augen da und lauschte. 

All die verwirrten Stimmen, die heulten und tobten, 

die versuchten, etwas zu unterdrücken, 


das den feinen Ohren des Jungen 

wie ein Schluchzen der Nationen erschien, 

all das hatte das blasse, reglose Menschenkind 

seit Wochen in seiner eigenen Brust kochend, überfließend 


und staunend beherbergt. Aber jetzt, 

wo das Unbegreifliche, oft in düsteren Stunden angezweifelt, 

sich zur Erfüllung neigte, wo die Ausgestoßenen glaubten, 

ihre Verdammnis durch Arbeit und brüderlichen Sinn 


lösen zu können, wo sie die Macht fühlten, 

das ursprüngliche Gute in sich anzubeten, 

um es immer weiter in menschliche Furchen zu streuen, 

da schauderte Milon, denn er fühlte sich 


von erbarmungslosen Fäusten zerrissen, 

und ein gebieterischer Mund küsste den Scheitel, 

wie er es schon oft getan hatte. Erlösung 

durch menschliche Hilfe, ein neuer Anfang, 


eine Wiedergeburt schon auf Erden, 

Gesegneter, o Gesegneter, der du 

diese Quelle des Heils unter dem müßigen Himmel 

erschlossen hast. O du, Geliebter, Gesegneter, Einziger!


Schluchzend presste der Junge beide Hände vor sein Gesicht, 

und während unten der Jubel kein Ende nahm, 

rannen ihm Tränen des Schmerzes und der Dankbarkeit 

in Strömen über die Wangen.


Sieh nur, wie der Narr weint, 

spottete die Flötenbläserin und stieß ihn 

im Vorbeigehen mit dem Fuß in die Seite.

Auf dem Markt war nun eine andere Stimme zu hören. 


An der Stelle, an der zuvor Störtebeker erschienen war, 

stand nun der Mann in der ledernen Matrosentracht. 

Kurze, schleudernde Handbewegungen deuteten darauf hin, 

dass er mit hartem Realitätssinn 


das eben Errichtete in die Luft riss. 

Doch der Triumph des anderen heulte über ihm. 

Das Volk wandte sich jubelnd von der nüchternen Vernunft ab, 

um dem zu folgen, der ihm soeben das Herrlichste, 


nie wieder Erwartetes, die Rückkehr 

zu Sorglosigkeit, Bürgersinn 

und menschlicher Achtung versprochen hatte.

Immer huldigender stürzten sich die Massen 


auf den aufrechten Läufer, sie küssten seinen Mantel, 

sie warfen sich vor ihm nieder, sie riefen verzückt 

seinen Namen, und doch war immer 

ein Zwischenraum zwischen dem Mann im blauen Wappenrock


und dem Namenlosen, denn die unsichtbare Mauer 

zwischen dem Schöpfer und den Empfängern 

konnte auch hier nicht überstiegen werden.

Vor der Tür des Silberbischofs drehte sich 


der Jubilar noch einmal um.

Amüsiert euch, warf er ein, 

in allen Tavernen fließt heute roter und weißer Wein, 

an jeder Straßenecke lasse ich für euch 


einen gemästeten Ochsen braten. 

So nehmen wir Abschied von den geplünderten Gütern.

Ein Gebrüll erhob sich in den Himmel, 

dann knarrten die Stufen, und der vertraute federnde Tritt 


kündigte sich an. Aber wie anders 

kehrte Klaus Störtebeker zurück, 

als der hochmütige Milon ihn erwartet hatte! 

Erhitzt, mit funkelnden Augen, 


an jeder Hand ein Mädchen schleifend, 

stürmte der prächtig geschmückte Mann herein. 

Als er seinen Begleiter erblickte, 

stieß er die beiden Frauen von sich weg 


und umarmte, trunken von seinem Erfolg, den Jungen 

und hob die zarte Gestalt spielerisch hoch.

Blondschopf, sagte er von seiner mächtigen Brust aus, 

hast du gehört? Was wehrst du dich? 


Warum starrst du mich an? Ja, es ist heiß, 

wenn der Atem der Zwiebelfresser 

um dich herum schlecht riecht! Pass auf, 

ich habe etwas für dich. Lauf zu Michael, 


er wohnt in der Kurie, und lade ihn für heute Abend 

auf die Agile ein. Spring, Kleiner, ich muss ihn haben! 

Schnell, das ist nicht gut für dich.

Damit griff er wieder nach den beiden Frauen, 


und während er die Flötenspielerin über die Schulter warf,

erreichte es noch den davon eilenden Milon, 

wie sich die helle, sieggewohnte Stimme 

in maßlosem Getöse überschlug:


He, ihr Venus-Tauben, nun zum Bade! 

Lasst uns abkühlen! 

Sei es auch nur des Teufels Schnee, um es zu tun. 

Beeile dich! - Und wie vom Bösen verfolgt, 


sauste der Junge durch die Straßen.

Störtebeker aber diente 

der berauschenden Venus des Meeres

mit allem Kult der maskulinen Kraft.





VIERZEHNTES ABENTEUER


Böses Wetter herrschte auf der Agile. 

Es war nicht so, als ob der Wind und die Wogen 

den Seemann zum Streit herausgefordert hätten, 

denn der Himmel lachte im hellsten Gold 


und die Gezeiten breiteten sich wie ein blaues Feld 

vor dem Seewanderer aus. 

Nein, es war die schlechte Laune des Admirals, 

die immer schwer auf den Schiffsleuten lastete, 


sobald die Unfähigkeit des besonnenen Wartens 

die Herrschaft über den Lebhaften gewonnen hatte. 

Die Tat, selbst die aussichtsloseste, nahm er mit Freude auf, 

aber das Grübeln, die Streitereien von Minute zu Minute 


konnte er nicht ertragen, und inmitten 

der erzwungenen Ruhe schoss er manchmal in die Höhe,

entschlossen, durch einen heftigen Wurf 

den Zaun zu zerschmettern, durch den er sich eingesperrt glaubte.


Aber das war die Situation, in der sich der Sieger von Wisby

seiner Meinung nach gerade jetzt befand. 

Die Tage würden für ihn niemals das Firmament verlassen, 

und keine noch so drohend erhobene Faust 


würde ihren Lauf beschleunigen.

Unerträglich, nicht lebenswert!...

Eines Morgens schritt Störtebeker unruhig 

auf der Galerie im hintersten Teil des Schiffes auf und ab, 


am Fuße des riesigen Aufbaus. 

Sein Haar flatterte ihm in die Stirn, 

und seine schwarzen Augen blickten 

über die gefurchte Linie des Kais zurück in die Richtung, 


aus der er gekommen war. Hinter ihm 

war die tote Stadt längst versunken, 

das letzte goldene Kreuz ihrer Kirchen 

hatte sich in Dunst aufgelöst, 


und auf der Wasseroberfläche waren nur noch 

die zwergenhaften Umrisse 

von zehn schwarzen Freibeuterschiffen zu sehen, 

die in einem weiten Radius dem Kurs der Agile folgten. 


Nur zehn? Wohin hatte sich der Rest 

der noch vor kurzem so stattlichen Flotte verloren? 

Und warum war Gödeke Michael nicht 

in der Gesellschaft seines Freundes? 


Wo waren der Magister 

und die fromme Schnapsdrossel Wichbold? 

Und noch etwas! Den Eingeweihten 

war schon seit einiger Zeit aufgefallen, 


dass sie dänische Gewässer verlassen hatten 

und an der deutschen Küste entlang fuhren. 

Verspürte der Admiral plötzlich eine Sehnsucht 

nach seiner Heimat und seiner Sippe, 


die er immer hoffnungslos verleugnet? 

Niemand wusste es, und die schwarzen Flaggen 

wehten ständig auf demselben Seeweg. 

An klaren Tagen konnte man die blauen Linien Rügens 


schon aus den Mastkörben aufdämmern sehen, 

aber man näherte sich nicht, sondern wartete.

Enttäuscht lehnte Klaus Störtebeker 

an der Wand des Aufbaus, verschränkte die Arme vor der Brust


und schickte wieder einmal einen hoffnungslos düsteren Blick 

in die lachende Ferne. Nichts. 

Das, was er erwartet hatte, die roten Segel, 

die in der Nacht seine Träume teilten, 


sie wollten sich nicht zeigen.

Lieber, sprach er schließlich spöttisch zu dem Jungen Milon, 

der zu Füßen des Admirals mit einem Stück Papier 

beschäftigt war, dass der fette Wichbold 


als unförmiger Bauchberg an uns vorbei schwimmt, 

als dass mich der trostlose Saufaus noch länger zum Narren hält.

Acht Tage! Wenn ich dem Widerspenstigen nur 

meinen Namen in den Wind heulen könnte, ich...


Mitten im Satz aber warf er alles andere von sich, 

um sich unerwartet zu seinem Gefährten hinabzubeugen, 

denn das Schweigen des Jungen 

ließ den Grimmigen erschauern.


Was bedeutet dein ewiges Gekritzel?, rief er hastig. 

Was hast du vor, Junge?

Der Mensch klappte gehorsam seine Tafel zu, 

aber seine Augen suchten weiterhin den Boden ab, 


während er leise antwortete: Ich tue, 

was du mir aufgetragen hast. -

Ich? - Plötzlich lachte der Riese 

und fuhr dem Blonden versöhnlich 


mit der Hand über die Locken. Er überlegte. 

Als er nach der Nacht in Wisby auf sein Schiff zurückkehrte, 

war ihm zum ersten Mal in den Sinn gekommen, 

dass es ratsam wäre, für die Nachwelt 


und die Nachkommenschaft jene Ereignisse festzuhalten, 

die seinem seltsamen Vorhaben geholfen 

oder es behindert hatten. Ohne sich dessen bewusst zu sein, 

war der sorglose Mann von einem dringenden


Verantwortungsgefühl gegenüber seinen eigenen Plänen 

ergriffen worden, so dass er das Gefühl hatte, 

sie müssten in ihrer ursprünglichen Form bewahrt werden, 

auch wenn er nicht mehr atmete.


Geh, Kleiner, hatte er seinen Gefährten sofort ergriffen, 

als Milon in dieser Nacht auffällig wortlos und teilnahmslos 

neben dem innerlich berauschten Mann herging. 

Du hast ein reines Herz. Nimm auf, was du hier entdeckst. 


Möge deine sanfte Seele eines Tages 

für mich Zeugnis ablegen gegen Betrug und Neid.

Und so griff der Junge in all seiner unbedingten Begeisterung 

und seinem heimlichen Kummer zu seiner Schreibtafel.


Heute entdeckte der Seemann, der endlich 

aus seinem bitteren Warten gerissen worden war, 

was sich längst in seiner Gegenwart entwickelt hatte, 

und riss dem Jungen sofort die Tafel vom Schoß, 


um sie in höchster Erregung zu überfliegen. 

Er lehnte noch immer an dem Aufbau, 

doch bevor er zu blättern begann, warf er dem Blonden 

zunächst einen seltsam fragenden Blick zu. 


Der hielt das blitzende Augenpaar ruhig, wie jemand, 

der mit sich und seinem Urteil im Reinen ist.

Dann schlug Störtebeker das Buch auf. 

Nun, Milon, sagte er neugierig, wollen wir mal sehen, 


was ein sauberer Spiegel zu berichten weiß?

Lautstark begann er zu lesen:

Ich schreibe dies um der Wahrheit willen, 

und damit man mir eines Tages verzeihen möge...


Störtebeker hat auf dem Markt in Wisby 

das ganze Volk zu sich bekehrt. 

Bis auf die wenigen um Gödeke Michael. 

Das ist schade, denn sie sind sehr tapfere Seeleute 


und von guter Erziehung. Aber die anderen 

streckten ihm die Hände entgegen 

wie einem Gott aus der Höhe, 

sie küssten seinen Mantel, 


manche ließen ihn über sich gehen, 

und ich habe so manches vernarbte Gesicht gesehen, 

das weinte wie ein Kind. 

Nie zuvor war den Verlassenen eine solche Verheißung 


gegeben worden, und ihre Herzen quollen über 

vor Dankbarkeit und Sehnsucht. Am Abend 

kehrte Störtebeker nach Hause auf die Agile zurück. 

Sein blaues Kettenhemd war übel zugerichtet, 


und er selbst benahm sich so jähzornig und unruhig, 

dass man hätte befürchten können, 

er habe seinen Stern in schlechter Gesellschaft verloren! 

Bei dieser Passage drehte sich der Leser erstaunt um, 


strich sich über die Stirn und schlug dann auf die Wachstafel.

Was hast du hier geschrieben, Fant?, rief er aus, 

ohne sich ganz sicher zu sein. Doch dann besann er sich.

Törichtes Kind, weißt du nicht, dass die Knochen 


des Menschen aus Lehm und Erde gemacht sind? 

Er kann den Funken nicht immer ertragen! -

Ich werde den Satz auslöschen, sagte der Junge sanft.

Nein, lass ihn stehen, entschied der Admiral nach einer Weile 


und versuchte zu lachen. Er meint es ehrlich. 

Lass uns weiterlesen. -

Heute Nacht kam Gödeke Michael an Bord. 

Mein Herr hatte ihn von mir demütigen lassen. 


Wir saßen zu dritt in der Kajüte. 

Michael hatte ein ernstes und undurchdringliches Gesicht, 

und sein ganzes Wesen war verschlossen. 

Es schien mir aber, dass seine Augen voller Trauer 


und Mitgefühl für Störtebeker waren. 

Da griff ihn mein Herr sofort scharf an und sagte: 

Gödeke, warum hast du dich heute gegen mich gewandt?

Weil, sagte der, du über den Wolken fliegst, 


und das Geschäft des armen Mannes 

wird auf der Erde ausgefochten.

Der Störer hielt inne und erwiderte: Weißt du denn nicht, 

dass ich gerne ein Asyl für sie eröffnen würde?


Der andere zuckte mit den Schultern und sagte: 

Wie willst du das denn machen? Auf den Schiffen sind wir stark,

aber an Land sind wir ein hoffnungsloser Fall. 

Mit so wenig Kraft wird nicht einmal ein Feld gewonnen.


Da lachte Störtebeker hell auf und sagte: Du liebe Güte, 

du denkst nur ans Schädelspalten. 

Ich aber will mein Land in gutem Frieden 

mit Gold und Silber tauschen.


Gödeke Michael schwieg eine Weile 

und dachte darüber nach, dann fragte er, 

wer denn so ein Land freiwillig verkaufen würde? 

Als er hörte, dass mein Herr 


den Hauptmann Hein Wichmann schon 

zu den Friesen geschickt hatte, da die großen Männer 

dieser Stämme aus Geldgier sogar 

ihre eigenen Frauen verschenkten, 


schüttelte er den Kopf und fragte schließlich:

Und woher willst du eine solche Menge Goldes nehmen, 

wie sie es sicher von dir verlangen werden?

Da zögerte Störtebeker ein wenig, und es war, 


als ob er sich schämte, aber dann schüttelte er es ab 

und sagte kühn: Ich kenne eine Stadt in Norwegen. 

Sie hat sich seit jeher gemästet, so dass sie vor Wohlstand 

und Überfluss fast erstickt ist. 


Auch die Hanseaten haben dort ihre Niederlassungen 

und nagen wie Ratten an dem Fett der Einheimischen. 

Dorthin werde ich den dicken Wichbold 

mit zwanzig Koggen schicken, damit er den feigen Bauch 


mit Tribut und Steuern ausbluten kann.

Kaum hatte Michael dies gehört, sprang er auf, 

schob den Tisch von sich und rief, 

während seine Zornesader anschwoll: 


Ist Wichbold schon weg?

Und als mein Herr bestätigt hatte, 

dass die Koggen schon seit Mondaufgang 

in See gestochen waren, war Michael außer sich, 


schlug auf die Tischplatte und verschwor sich 

und verschätzte sich; er war ganz rot im Gesicht, 

als er ausbrach: Wehe, ihr habt unsere Sache erwürgt 

und ins Grab geworfen!


Gödeke, unterbrach ihn Störtebeker, 

und er glaubte zu ersticken, sei vorsichtig! 

Mich hat noch nie jemand beleidigen dürfen.

Aber bevor noch mehr Unglück geschehen konnte, 


hatte Michael sich an die Brust gefasst 

und nun würgte und zappelte er fürchterlich, 

bis er endlich in seiner üblichen Art sagen konnte: 

Ich kenne deine Stadt. Heißt sie nicht Bergen?


Du hast es gesagt, antwortete mein Herr.

Und den fetten Wichbold kenne ich auch, 

schnappte der andere, diesen Wegelagerer 

und stinkenden Weihrauchbrenner. Nimm dich in Acht, 


in der linken Hand sein Gebetbuch 

und in der rechten Hand ein Bündel brennendes Werg, 

dann wird er die Leute von Bergen rösten, 

nachdem er ihnen das letzte Kissen aus dem Bett gezogen hat.


Weißt du auch, was dabei herauskommen wird? 

Die Dänen und die Hanseaten werden gemeinsam 

über uns herfallen, und das um so lieber, 

als die Schiffe des preußischen Ordens 


jetzt schon auf dem Weg nach Wisby sind. 

Zweifle nicht, das muss die schwarzen Fahnen 

in Fetzen reißen. - Als mein Herr so 

die nahe Gefahr verkündet hörte, 


richtete er sich auf, wie er es getan hatte, 

als die Steinkugeln der Connetable 

unser Deck zertrümmerten; lautlos schritt er in eine Ecke, 

holte von dort sein langes Messer hervor 


und streckte die Waffe gerade vor sich hin.

Hör zu, Gödeke, sagte er, und keiner von uns konnte ihm 

in die Augen sehen, so grimmig flackerten sie, 

so wenig, wie ich über dieses Eisen springen kann, 


während ich es in der Faust halte, 

so wenig wird dies alles geschehen. 

Hält Wichbold mich für ein Hündchen, 

das auf dem Schoß einer Dame schmeichelt? 


Er weiß, dass, wenn auch nur ein Haar 

eines Bergener Mannes verletzt wird, 

ich ihn selbst entehren werde, 

so dass kein Weihwasser den Fleck 


von seinen Pocken abwaschen kann. 

Sei gewiss, die Furcht wird ihm raten!

Damit warf mein Herr das Messer von sich, 


holte tief Luft und seufzte. 

Danach sprach er mit treuer und trauriger Stimme: 

Aber das ist nicht das Schlimme. 

Das Schlimme ist etwas anderes. 


Er legte dem anderen die Hand auf die Schulter. 

Stimmt es, Gödeke, dass du mich verlassen willst? -

Ja, rang Michael sich langsam los.

Meine Zeit ist gekommen.


Gödeke, rief mein Herr, bist du noch nicht müde 

vom Rauben und Stehlen?

Eine Röte lief über Michaels Gesicht. 

Ich habe den ganzen Tag nichts für mich genommen, 


rechtfertigte er sich schnell. Aber es muss doch einen geben, 

der als Racheengel für die Geknechteten 

und Geschundenen mitreitet. Was würde geschehen, 

wenn die Mächtigen nicht mehr vorm Würger zitterten?


Störtebeker nickte und sah vor sich nieder. 

Und du denkst nicht daran, wieder anzufangen?, fragte er.

Ich bin ein Mann des Krieges, zuckte Michael mit den Schultern.

Wir haben am Kreuz gestanden und den Herrn 


umsonst sterben sehen. Seitdem weiß ich, 

dass Blut für Blut gefordert werden muss. -

Also geh, fuhr Störtebeker wütend auf, 

und lass uns abwarten, wer unserer Sache mehr nützt.


So sei es, sagte der andere kalt und wandte sich ab.

So wären die beiden alten Kameraden fast 

unversöhnt auseinandergegangen, 

wenn Störtebeker nicht gerade in dem Augenblick 

hinter Michael her gesprungen wäre, 


als dieser die Treppe erreichte. 

Aber auch Michael drehte sich im selben Moment um 

und reichte meinem Herrn beide Hände.

Bruder, rief Störtebeker in einem Ton, 


den ich noch nie von ihm gehört hatte. 

Das Wort schien auch durch den anderen hindurchzugehen, 

denn er drückte die Hände seines Freundes an seine Brust 

und sah ihn lange Zeit an. Dann sprach er:


Klaus, seit du als Halbstarker zu mir gekommen bist, 

hast du ein reineres Licht auf mein Handwerk geworfen 

als je zuvor. Das werde ich nie vergessen. 

Deshalb kann ich nicht aufhören, mich um dich zu kümmern, 


auch wenn du weit weg bist. Aber wenn du 

in Schwierigkeiten bist, schicke mir unsere schwarze Flagge 

und hänge deinen Siegelring daran. 

Daraufhin werde ich meinen Kopf für dich riskieren, 


so wie bis heute. Und nun frisch, Klaus, 

tu, was dein Herz dich lehrt 

und was ich nicht mit dir tun kann.

Daraufhin umarmten sich die beiden Männer und trennten sich.


Hier schloss der Admiral das Buch, 

löste sich ein wenig von der Wand des Aufbaus, 

und sein Blick glitt abgewandt hinunter zur Kielfurche, 

die sich wirbelnd in der Weite verlor. 


Doch die Bilder, die sein Schreiber entrollte, 

befreiten ihn noch nicht, sondern hielten ihn 

in einem dicht bevölkerten Käfig gefangen, 

aus dem es kein Entkommen gab.


Nein, nicht das! Was war der Sinn des Verkehrs mit Schatten? 

Der entrückte Mann schüttelte sich heftig und griff, 

wie um sich zu retten, noch einmal nach der Tafel. 

Und siehe! Waren da nicht ein paar Zeilen 


eines Zusatzes in kleineren Buchstaben geschrieben? 

Klaus bückte sich, um sie zu entziffern. 

Und während er sie vorlas, kam dem Leser der Verdacht, 

dass der Schreiber seine Zeichen absichtlich 


noch krauser und undeutlicher gemacht hatte als zuvor. 

Sie lauteten: Dies schreibe ich für mich allein!

Als Michael gegangen war, stand mein Herr 

wie aus Stein gemeißelt da, als sei er aus der Welt verstoßen 


und verbannt worden. Aber das war nicht so! 

Jeder, der ihn richtig ansah, hätte bemerkt, 

dass während dieses ganzen Streits ein weißes Licht 

auf seiner Stirn leuchtete, 


so dass man vor ihm hätte niederknien können, 

um ihm zuzurufen: Nimm mich mit, 

wohin du dich auch wendest! Deshalb weiß ich, 

dass unsere Rettung nur in den Fußstapfen des Einen liegt. 


Denn er sucht das Gute. Auch wenn es tief verborgen ist, 

ist es nicht aus der Welt. Mögen wir alle es 

vor unserem Ende erblicken!

Tief durchatmend fügte Störtebeker 


die Wachstafeln zusammen, schlang die Bänder 

um den Holzdeckel und reichte die Tafeln an Milon zurück, 

der inzwischen aufgestanden war. 

In dem engen Raum hinter der Galerie 


standen sie dicht beieinander, es war unmöglich, 

ihnen auszuweichen. Der Junge hätte gerne gewusst, 

ob der Admiral mit dem Papierkram zufrieden war, 

aber er hatte sich abgewandt, 


so dass seine Gesichtszüge dem Blonden verborgen blieben. 

Da versuchte Milon, seine Hand bescheiden 

auf den Arm des Matrosen zu legen. 

Doch kaum spürte dieser den Druck, 


sprang er zum Entsetzen seines Begleiters 

mit einem Sprung herum, dann ein Moment der Erstarrung, 

und dem Blonden wurde klar, dass dies nicht mehr 

derselbe Mann war, der eben noch verächtlich, 


ungeduldig, bitter sein Schicksal ausspähte. 

Nein, wild, entrückt, über alle Maße geschleudert, 

so stand der leuchtende Mann vor dem verwirrten Menschen, 

der eine so plötzliche Veränderung nicht gleich begriff, 


dann ein selbstverständliches Greifen, 

in einem wahnsinnigen Schwindel 

fühlte Karin ihre Glieder nach oben geschleudert, 

und dann lag sie wie in einer mächtigen Wiege, 


und das edle und doch so furchterregende Gesicht 

ihres Eroberers beugte sich immer näher 

zu der Zitternden hinab.

Junge, Frau, was bist du eigentlich?, 


dröhnte eine heiße, verzehrende Stimme in ihr Ohr. 

Du Stern, der vom Himmel zu mir gefallen ist, 

was soll der Mummenschanz?

Da sprang das blaue Gewölbe 


über der Erhängten auseinander, 

Entsetzen und Verzückung stürzten zugleich auf sie herab, 

voller Schauder warf sie die Hand gegen die sündigen Augen, 

aber der erhobene Arm brach auf halbem Wege 


kraftlos zusammen, und nichts als eine lächelnde Starre 

offenbarte sich dem erschrockenen Belästiger.

Als dieses völlige Verstummen ihn erreichte, 

kam der geplagte Mann wieder zu sich. 


Eine bittere Verachtung verzerrte plötzlich seinen Mund, 

er hielt seine Last schützend fest, 

und zum ersten Mal warf er einen scheuen Blick in die Runde, 

um zu sehen, ob die Besatzung seine Verlegenheit bemerkte. 


Da es aber hinter dem hohen Aufbau 

keine Überraschung gab, öffnete Störtebeker entschlossen 

die schmale Hintertür und schlich wie ein Einbrecher 

tief gebückt in die große dunkle Kammer. 


Ein Lichtschimmer verriet das Bettzeug seiner Gefährtin. 

Nur Stroh und Schilf und eine grobe Decke 

dienten hier zum Ruhen und Schlummern, 

und eine heimliche, nie empfundene Bedrückung 


lehrte den Eindringling ganz unerwartet, 

an welche Kargheit sich das verwöhnte Geschöpf, 

das er nun so behutsam in den Armen trug, 

hier hatte gewöhnen müssen. Und warum? 


Weil sie, die Geschundene, unerschütterlich

an seinen Stern glaubte. Ein heißer, dankbarer Blick 

berührte das Toten-gleiche Gesicht, 

und während er den gefühllosen Körper 


sanft auf die Sänfte gleiten ließ, 

stieg in dem zu jeder Extravaganz bereiten Liebhaber 

der Pracht ein unbezwingbarer Hass 

auf die Armut dieses Lagers auf. Aber wie? 


Er schürfte selbst im Gold, und seine Nächsten 

sollten verhungern? Das konnte ihm nur Schande bringen, 

und die Lieder, die im Volk über ihn gesungen wurden, 

berichteten davon gar nicht.


Wulf Wulflam, befahl er seinem Bootsmann 

eine Weile später, als er über das Deck schritt, 

wir haben noch die Schlafkiste des Bischofs 

von Strängnäs an Bord. Der Priester lag auf Seidenkissen 


und unter einer purpurnen Decke. 

Schnell, bringt den Unrat zu Milon in die Kammer! 

Der kleine Kerl braucht sich nicht die Knie aufzuschürfen.

Der Kapitän wollte fröhlich lächeln, 


aber ein Blick in das hochmütige Gesicht seines Herrn 

ließ es ratsam erscheinen, die Mütze zu lüften 

und dann wortlos zu seiner Arbeit zu stapfen. 

Er wusste aus Erfahrung, wie wenig dieser Seetyrann 


gegen Zustimmung und Vertraulichkeit 

in derselben Münze eintauschen würde!

Tag und Nacht waren vergangen, 

und in seiner Kajüte wanderte Störtebeker 


unruhig auf und ab. Von Zeit zu Zeit 

hörte man das Geräusch einer harten Faust, 

die gegen die Holzwände unter ihm schlug. 

Zweimal wartete der Admiral. 


Er wartete auf die roten Segel, 

die nicht aus dem Horizont ausbrechen wollten, 

und ein heftiger Zorn quälte ihn, weil sein Junge heute 

zum ersten Mal nicht bei Tisch auf ihn gewartet hatte.


Was war das? Rebellion? Der irritierte Mann 

blieb stehen und sein verständnisloser Blick 

streifte die Lederpeitsche an der Wand. 

Er wusste nicht, was er wollte. 


Gleich darauf jedoch brach er in Hohn über sich selbst aus, 

und er verspottete sich selbst, 

weil in dieser unerträglichen Spannung 

Frauenkram seine Gedanken stören konnte. 


Er grübelte eine Weile und lauschte auf leise Schritte. 

Doch als sich nichts rührte, schoss ihm die Wut in die Stirn, 

und wie besessen eilte er zur Schiffsluke, 

um in ohnmächtiger Verzweiflung 


über die wacklige Ebene zu blicken. 

Nichts, nichts, von den fünf Wunden, 

nicht der Schatten eines Käfers war zu entdecken, 

und mit schmerzenden Augen taumelte 


der Unbezähmbare zurück und zerzauste 

mit einem Stöhnen sein Haar. 

Zwanzig seiner mächtigsten Schiffe, 

der Kern aller Schwarzen Flaggen, sie waren verloren, 


er hatte sie unter die Hand 

eines skrupellosen Henkersknechtes gegeben, 

und nun keimte in ihm die immer schärfere Erkenntnis, 

dass auf diesen Planken alle Hoffnungen 


der Armen und Elenden ruhten, 

zu deren Wortführer er sich gemacht hatte. 

Welches höhnische Gelächter würde an den Küsten ertönen, 

wenn man zum ersten Mal erfuhr, 


dass diese gefürchtete Waffe 

von einem seiner eigenen Kameraden 

gestohlen worden sein könnte? 

Die Angst vor Gödeke Michael stieg lähmend in ihm auf, 


und da er zu stolz und herrschsüchtig war, 

um auch nur den geringsten Vorwurf zu ertragen, 

suchte sich seine Wut ein Opfer. 

Warum kroch dieser blonde Tröster nicht 


wie ein demütiges Hündchen zu seinen Füßen, wie sonst? 

Das durfte der Herr doch wohl verlangen? 

Und wieder verweilte sein verwirrter Blick 

auf der Lederpeitsche, und seine rechte Hand 


griff krampfhaft nach ihr. Da, mit einem Mal, 

was für ein singender, langgezogener Ruf vom Himmel?

Störtebeker sprang auf, und so sehr waren alle seine Sinne 

zu einer einzigen Erwartung verzerrt, 


dass er die Gestalt nicht erkannte, die jetzt 

durch die tageshelle Öffnung der Tür drang.

Herr, jubelte Milon, wie immer ein Bote des Glücks, 

der Wichbold! - Da wurde ihm noch einmal der Freispruch 


von unerträglichen Qualen zuteil, 

die Entfesselung von etwas Wildem, Bösem, 

das bereits Gestalt annahm. Störtebeker warf 

beide Arme auseinander und eilte dem Ersehnten entgegen, 


als wolle er im Überschwang der Verzückung 

die feinen, schlanken Glieder noch einmal an sich drücken. 

Aber der mächtige Zug, der ihn überrollte, trieb ihn weiter. 

Nur die Hand des Jungen ergriff er, 


und ohne sich weiter um ihn zu kümmern, 

zog er den Blonden ohne Widerstand 

hinter sich her auf das Deck.

Oben ein glasklarer Sommertag 


und unter ihm die seidigen Wellen des blauen Meeres. 

Doch der Besessene blieb blind für die übliche Pracht, 

getrieben nur von der lodernden Wut seiner Natur, 

sein abergläubisch verehrtes Glück allein 


und weit über die Köpfe der anderen 

auskosten und messen zu dürfen. 

Er hatte sich nie dazu hergegeben, 

aber heute stürmte er, unempfindlich gegen seine Würde, 


die Strickleitern hinauf, und bald entdeckte ihn 

die erstaunte Mannschaft hoch oben 

in der rotgestrichenen Mastboje, 

warf sich weit über den Bügel, 


um seine ungeschützten Augen frech 

und durstig in der Sonne zu vergraben.

Ja, dort schwamm sein Glück; 

mit rot glitzernden Funken war die Straße gepflastert, 


über die es sich langsam bewegte, 

obwohl bis jetzt nichts zu erkennen war 

als eine immer größer werdende Zahl schwarzer Fahnen, 

die scheinbar von unsichtbaren Händen 


durch die Wolken getragen wurden. 

Störtebeker wartete nicht länger, 

bis sich die Rümpfe jener Schiffe zu zeigen begannen, 

noch fragte er sich in seiner Raserei, 


warum die Körper der Koggen so dünn und geradlinig 

am Horizont klebten, mitten in der lauen Luft 

wurde die riesige Gestalt da oben 

von einem übernatürlichen Sturm geschüttelt, 


und mit einem gewaltigen Griff zerrte er 

die schwarze Fahne vom Wimpelmast 

und schwenkte sie nun in langen, atemlosen Windungen 

durch den goldsprudelnden Äther, 


bis das dunkle Tuch selbst von Feuer und Glut 

ergriffen zu sein schien. Er grüßte sein Glück, 

er grüßte die Rettung der Unzähligen, 

die er nun unwiderruflich in seine Hände 


gegeben zu haben glaubte. Dann erhob sich 

der lang ersehnte Beifall unter den Schiffsleuten. 

Karin, die fast körperlos 

zwischen den schreienden, winkenden, 


wimmelnden Männern umherirrte, 

denn ihr Blick stieg über sie alle hinweg in die Luft 

nach dem trunkenen Fahnenschwenker, 

ertappte dennoch den Juden Jakob, 


wie er den kleinen zahnlosen Arnold Frowein 

bei den Katzenpfötchen packte 

und inbrünstig murmelte: Glaubst du jetzt, Bruder, 

dass sie da sind? - Wer?, miaute der ehemalige Töpfer, 


der sich ein gezwungenes Lächeln nicht verkneifen konnte.

Das neue Reich. Und der Messias!...

Vielleicht, zischte der andere, und ein grünliches Feuer 

flammte in seinen Augen auf. Aber die Katzen 


müssen erwürgt werden, damit Urian 

im neuen Reich keine Kinder zeugt. 

Und auf die Streckbank soll das gespannt werden, 

was sich Richter nennt! Meinst du nicht auch, Freund?


Der Jude sah ihn starr an, dann ließ er 

seine kratzenden Nägel los 

und grübelte ängstlich in sich hinein: 

Lass es, da ist die Freundschaft, wo sonst?


Inzwischen war Störtebeker geschmeidig 

an den Leichentüchern heruntergerutscht, 

und nun bildete sich eine stille, atemlose Menschenschlange,

durch die er schritt. Noch immer haftete ein Leuchten, 


ein Jubel an dem Riesen. Komm, Milon, 

befahl er, als er den Jungen erreicht hatte, 

hilf mir beim Schmücken. Die Spielleute sollen bereit sein. 

Lass uns Wichbold ein Festmahl geben, 


wie es sich Silenus und Bacchus nie erträumt haben. 

Komm, Kleiner, lass dich nicht von ihm überraschen!

Aber Wichbold kam nicht. Die Kajüte der Agile 

schimmerte längst in ihren reichen Farben, 


die Spielleute schickten ihre Melodien 

wie zum Hohn in den sinkenden Tag, 

und der Admiral saß bleich und verstört 

unter den brennenden Laternen in seinem roten Wams 


und ließ sich von Milon einen Becher 

nach dem anderen füllen. 

Der Erwartete tauchte nicht auf!

Durch die offenen Luken sah man grauen Schaum 


über die Flut rollen, allmählich liefen die Mondkäfer 

über die tanzenden Hügel, das Summen der Nacht 

kündigte sich an. Endlich konnte Störtebeker 

die getäuschte Erwartung nicht mehr ertragen. 


Geräuschvoll sprang er auf, und so beredt war die Geste, 

mit der seine rechte Hand in die leere Luft griff, 

dass Milon ihm ohne weitere Frage 

den schwarzen Mantel um die Schultern hängte. 


Achtlos nickte der Admiral, dann stieg er 

mit schweren Schritten die Treppe hinauf, 

und kaum hatte er die Schwelle des Schiffes 

an Deck erreicht, ertönte das Trillern von Pfeifen 


über das Meer und rief eine der begleitenden Snyken herbei.

Unmittelbar danach schwang sich 

die hochgewachsene Gestalt unter die Ruderer des Bootes. 

Bevor er jedoch den Befehl zum Ablegen gab, 


schüttelte er noch einmal den Kopf, 

denn er vermisste etwas. Milon 

lehnte sich an das Fensterbrett und beobachtete 

schweigend die Abfahrt. Da hatte der Riese gefunden, 


was ihm fehlte. Spring hinunter, befahl er dem Jungen. 

Und als dieser zögerte, noch einmal ungeduldig: 

Spring, dir wird nichts passieren.

Da verflog der Widerwille in dem blassen Jungen, 


er schloss gehorsam die Augen und ließ sich, 

ohne einen Laut von sich zu geben, durch den Spalt 

in die Schwärze fallen. Doch er berührte den Boden nicht, 

denn mit einem heftigen Aufprall fiel er 


in die offenen Arme Störtebekers.

Gut, murmelte dieser und setzte seinen Begleiter 

vorsichtig neben sich auf die Ruderbank. 

Jetzt zu Wichbold. - Das Boot verlor sich in der Dunkelheit.


Der Mond hing bereits am Nachthimmel, 

als die Snyke in die Reihe der Wichbold-Schiffe einfuhr. 

Diesmal aber musste auch dem Unparteiischsten auffallen, 

wie tief und schwer beladen die Fahrzeuge im Wasser lagen;


offenbar hatten sich die Ungeheuer bis zum Überdruss 

mit den Besitztümern vollgestopft, 

um die sich aller Streit in dieser Welt dreht. 

Vor allem die goldene Biene, 


das führende Rädchen des Wichbolds, 

lag unbeweglich in den schwarzen Fluten, 

und als die Besatzung von den Bootsmännern gerufen wurde,

antwortete zunächst ein dumpfes, bleiernes Schweigen. 


Leblos oder in dichten Schlaf gehüllt, 

ruhte die Biene auf der Flut. 

Jetzt stieß das Boot gegen die Wand, 

und zugleich richtete sich Störtebeker auf 


und führte einen harten Schlag 

mit dem Ruder gegen die Planken.

Wichbold, rief er. Es klang fast ängstlich.

Auf der Kogge war immer noch kein Ton zu hören, 


aber immerhin glitten ein paar Laternen die Masten hinauf 

und eine Strickleiter fiel mit einem Klappern über Bord. 

Ohne ein Wort zu sagen, schwang sich Störtebeker hinauf 

und Milon kletterte hinterher.


Auf dem Deck der Biene stand die Mannschaft Kopf an Kopf, 

eine dunkle, ununterscheidbare Masse. 

Doch seltsamerweise begrüßte kein Ruf 

den sonst so gefürchteten Anführer, 


schweigend, verlegen teilte sich die Menge 

vor dem einzelnen Mann, bis ganz hinten am Mast 

eine geschwollene, missgestaltete Gestalt sichtbar wurde. 

Sie sackte wie ein verfallenes Weinfass 


vor dem noch weit entfernten Mann zusammen, 

und man konnte fast annehmen, dass sie zur Begrüßung 

auf die Knie sinken würde. Allerheiligstes, 


gurgelte es tonlos aus dem Zober. 

Du, mein gesegneter Freund. 

Wütend fuchtelte ein Paar fleischiger Hände 

in der Luft herum. Doch trotz dieses demütigen Empfangs 


rührte sich der Neuankömmling nicht, 

er blieb starr aufrecht in der Menschengasse stehen, 

und nur die vom Laternenlicht grünlich gefärbten Augen 

des Admirals wanderten ungläubig, 


wie von aufsteigendem Wahnsinn entflammt, 

über die seltsame Beute der Biene. 

Natürlich waren dort Kostbarkeiten aufgestapelt, 

die man nicht oft zusammen findet. 


Truhen stapelten sich auf Truhen, 

die meisten davon halb geöffnet, 

so dass Gold- und Silbergeschirr, Kupferampullen, 

eiserne Lichterketten, Holzschnitzereien, 


bunt bemalte Wappen und Zunftschilder, 

riesige Deckelkrüge und Fetzen 

von unordentlich eingedrückten Teppichen herauslugten. 

Etwas weiter stapelten sich verschimmelte 


Wein- und Bierfässer übereinander, 

riesige Ballen unverarbeiteter Stoffe und Leinen 

ragten bis zur halben Höhe der Masten empor, 

Pferde und Kühe standen angebunden, 


Betten, seidene Frauenkleider, 

Schuhwerk und Waffen aller Art 

waren zu einem unerkennbaren Haufen verflochten, 

und ganz hinten im Aufbau, inmitten 


einer trostlosen Ansammlung von Weihrauchkesseln,

Messgewändern und Stolenstickereien, 

Opferschalen und Prozessionsfahnen, 

beugte sich eine überlebensgroße Mutter Gottes klagend zur Erde,


obwohl vor ihr nichts lag als ein Haufen 

scharf duftender Lederhäute. Erst allmählich 

schwamm dieses wahnsinnige Durcheinander 

aus dem undeutlichen Laternenlicht heraus, 


und je mehr Störtebeker über jedem Stück brütete, 

desto quälender breitete sich diese unbeschreibliche Strafe 

des Schweigens unter der Mannschaft aus. 

Einzelne wischten sich mit groben Fäusten 


den Schweiß von der Stirn. Herr, Herr, jammerte 

der dicke Wichbold von seinem Mast herab 

und schlug, ein paar Schritte vorwärts taumelnd, 

schallend die Hände zusammen. Das ist nicht mein Werk. 


Beileibe nicht. Wie es gut ist, den Ungerechten 

von ihrem Überfluss zu helfen, 

damit er unter die Armen verteilt wird, 

so ist dies hier eine Versuchung der Finsternis, 


nicht ich, nicht ich, so wahr ich gesegnet sein will.

Die Augen Störtebekers tasteten noch immer umher, 

er schien taub und unempfindlich zu sein, 

und so fasste der schwammige Buschmann den Mut, 


wieder einen Schritt näher zu treten. 

Um Verzeihung bittend, neigte er sein ergrautes Haupt 

und schlug sich anklagend an die Brust.

Ach, mein gesegneter Freund, flehte er, sprich zu mir. 


Willst du dich nicht überwinden? Ich weiß, 

dass du ungnädig denkst, aber was sind wir 

armen Sterblichen anderes als Läuse 

auf dem Körper eines heißen Mannes! 


Ein Schlag, und da! Wie gehorchte ich deinem Befehl, 

ich lernte ihn auswendig, ich kannte ihn 

auf dem Fingernagel wie einen Rosenkranz, 

ich sprach ihn voller Ehrfurcht aus, 


nicht anders als den gesegneten Namen 

Unserer Lieben Frau. Und siehe, ihr Segen 

ruhte unglücklich auf mir, denn alles war schon 

in bester Ordnung. Der Vertrag mit den frommen Bürgern 


von Bergen, der Tribut auf dem Tisch des Rathauses, 

sogar dein Siegel hing schon unter dem Pergament, 

da, ach über die Hinterlist der Schwarzen, 

da warf eine Hure im Streit 


ein brennendes Holzscheit gegen eines meiner Kinder, 

und, deine Weisheit ahnt es, 

die Holzhäuser, kein Lüftchen, 

ach und wehe, die Hitze---


Er zog seinen Rosenkranz hoch 

und warf die Holzperlen in rasender Flucht gegeneinander.

Ich kann nichts dafür, stammelte er, ich kann nichts dafür.

Woran aber hafteten Störtebekers Augen 


während dieser langen Rede so fest, 

dass sie sich nicht mehr von dem seltsamen Ding 

trennen konnten? Mitten in dem Durcheinander 

hing ein hölzerner Amselkäfig 


vom Kupferring eines Tores herab, 

und ein kleines schwarzes Tier hüpfte ängstlich 

und unruhig zwischen den Stäben hin und her 

und stieß immer wieder einen schrillen Pfiff aus. 


Gott allein wusste, 

aus welcher behüteten Ruhe das zahme Geschöpf 

gerissen worden war? Schützend, unsicher 

streckte der Admiral seine Hand gegen diesen Zeugen 


monströser Gräueltaten aus, doch plötzlich 

veränderte sich der zunächst so harmlose Griff, 

die Finger des verstummten Riesen spreizten sich, 

ein Schreck, und er hatte die schwere Eisenlaterne 


von der nächsten Mastleine gerissen, und dann, 

bevor die fassungslose Besatzung einzugreifen wagte, 

krachte das unförmige Gerät auf den Schädel 

des versteinerten Wichbolds, 


Flammen und Blut spritzten umher, 

und wie ein abgesägter Baum rollte der Bauch 

zu den Füßen des Angreifers.

Doch der Gefallene war nicht tot. 


Obwohl ihm die rote Galle dick 

und schwammig über die Stirn lief, 

behielt der Gezeichnete noch die Kraft, 

in kläglicher Unterwerfung zu seinem Dompteur zu kriechen, 


die Knie des noch immer Schweigsamen 

ganz fest zu umklammern. Wehe mir, keuchte er, 

kaum verständlich. Warum beschmutzt du dich an mir

Unglücklichem? Nackt im Schnee der fromme Bischof 


von Strängnäs, im Feuer die Mütter 

und lieblichen Jungfrauen von Bergen, 

in den Trümmern die Heerscharen, 

Todsünde rings um mich, wehe, wehe, 


vor wem soll ich noch stehen?

Sein aufgedunsenes Pockengesicht verzerrte sich 

und wurde blass, mit offenem Mund 

schlug er auf den Boden. Dann ging ein zorniger Blick 


über das schmale Gesicht des Admirals, 

er trat dem schwammigen Körper in die Seite, 

und während er sich tiefer in seinen Mantel wickelte, 

als würde er zittern, hob er den Kopf 


gegen die ungeduldig vorrückenden Freibeuter. 

Doch der Schwarm wich vor dem grimmigen Blick 

des Kommandanten zurück. Starr, geduckt 

standen die Männer um den Kommandanten, 


wie immer bereit, sich der Macht dieses Mächtigen,

Unbegreiflichen zu ergeben. Noch einmal 

stieß Störtebeker voller Verachtung 

gegen den aufgedunsenen Körper des Liegenden, 


dann sprach er mit seiner schneidenden Stimme:

Wahrlich, ich habe großes Unrecht getan, 

indem ich dieses Fass nicht vollständig auslaufen ließ. 

Er hat deinen Anfang mit Dreck beschmiert, 


so dass unser neues Haus ein Schweinestall 

genannt werden wird. Nun denn, lasst uns 

auf Dreck und Morast bauen, denn auf der Erde, 

so sehe ich ein, ist kein anderer Boden zu finden.


Er drehte sich um und nickte kurz.

Zieh nah an die Agile heran. 

Wenn Wichmann von seinen Kunden zurück ist, 

werde ich euch meinen Willen kundtun! Und jetzt Licht an!


Damit kletterte er als erster über Bord, 

und sofort verschmolz die riesige Gestalt mit der Nacht.

Nacht! Der Held muss immer durch die Nacht,

Bis er sieht die Wimpern der Morgenröte!




FÜNFZEHNTES ABENTEUER


Höre, Herr Klaus Tschokke, mahnte Königin 

Margarethe von Dänemark, und es schien der Erhitzten 

bei ihrer Annahme nicht aufzufallen, wie der Gast 

in seiner schwarzen Ratsherrentracht 


regungslos im Sessel ihr gegenüber lehnte, 

ohne auch nur durch ein eingestreutes Wort 

seinen Abscheu über die so ausdrucksvoll 

geschilderte Brandstiftung auszudrücken. 


Die Prinzessin aber hatte sich völlig vergessen, 

sie hielt den Kopf in beiden Händen, 

und ihre blitzenden Augen folgten dem Buchstabenwirrwarr 

auf dem Pergament, als ob sie von einem hohen Turm aus


leibhaftig in die brennende Holzstadt hinab starrte, 

auf die rauchigen Gassen, auf brennende Menschenbündel 

und auf den Einsturz altehrwürdiger Gotteshäuser. 

Eindeutig, aufregend, entsetzlich 


traf die Rinde der Verzweiflung die gebückte Frau, 

und ihr leidenschaftliches Herz drehte sich vor Zorn und Wut, 

als sie das spöttische Lachen der Beutejäger zu hören glaubte. 

Je mehr sie glaubte, in der verkohlten Stadt umherzuirren, 


desto unverkennbarer begegnete sie an jedem Ort 

der sinnlosen Zerstörung jenem überlebensgroßen Kerl, 

der dem rechtmäßigen Besitzer höhnisch ins Gesicht spottete, 

und mit kaltem Entsetzen musste sie mit ansehen, 


wie das Blut von der blauen Tunika des Täters tropfte 

und bissig auf sie, die Ohnmächtige, zeigte, 

als ob all der Mord und das Grauen nur zu ihrer Schande 

und Erniedrigung begangen würde.


Das war also der Beginn der neuen, 

vielgepriesenen Weltordnung, 

deren inbrünstige Verkündigung sie manchmal 

den Schlaf kostete? Die Finger der verwundeten Frau 


kringelten sich ratsuchend, sie blickte 

auf ihre beiden Vasallen, die eine Stufe unter ihr 

zu ihrer Rechten Platz genommen hatten. 

Doch der Kadaver des Reichskanzlers zitterte eiskalt 


in der Mulde des Stuhls, nur über die Goldmünzen 

seines prunkvollen Gewandes streichend. 

Der Kriegshäuptling von Moltke hingegen 

wandte seinen Schädel immer wieder 


einer summenden Fliege zu, denn er war versucht, 

das schwarze Ungeziefer unbemerkt erschlagen zu dürfen.

Margarethe wandte ihren schweifenden Blick 

wieder dem Bürger zu. Warum interessierte sich 


dieses kantige Kaufmannsgesicht so wenig 

für ihr gemeinsames Leid? Herr Klaus Tschokke, 

beugte sie sich über den Tisch, entschlossen, 

den anderen zu prüfen, es ist aus mit euch 


bergischen Hansebrüdern. Störtebeker hat eure Kontore

ausgeräuchert wie die Heringe im Schütting. Es ist vorbei.

Doch wie enttäuscht zuckte sie zusammen, 

als ihr Gast ohne besondere Aufregung antwortete:


Königin, Ihr werdet sicher erfreut sein, 

wenn Ihr etwas Besseres hört. 

Von unseren zweiundzwanzig Giebeln ist nur einer 

der Feuersbrunst zum Opfer gefallen. 


Die anderen wurden von unseren Kaufmannsgesellen 

hinter den Holzwänden verteidigt. -

Ach, und jetzt meint ihr Kontorinhaber, 

ihr müsst euch nicht mehr an der Giftstreuung 


gegen den tollwütigen Hund beteiligen?

Der Bürgermeister schwieg. Sie erhob sich und stand auf. 

Sie stieg geschmeidig vom Podest herab, und siehe, 

es war nicht mehr die Prinzessin, 


die sich von den anderen abgrenzte, 

nein, ganz unerwartet entzauberte sie sich selbst, 

so dass nun zum Entsetzen aller 

nur noch eine bösartig gereizte Frau durch die Zelle schritt, 


die auf nichts anderes brannte, als ihrem Gegner 

auf niederträchtige Weise das Herz aus dem Busen zu reißen. 

Mit einer seltsam ungezügelten Bewegung 

schob sie sich dicht an ihn heran, 


um es ihm ganz nah ins Gesicht zu schleudern:

Glaubst du, Herr Klaus Tschokke, dass Störtebeker 

so viel Zeit zum Nachdenken hatte, 

bevor er Schloss Ingerlyst betrat? 


Du weißt doch, dass der Mörder zwei Meter misst 

und erst die Frauen aus dem Bett zerrt, 

bevor er sich die Taschen vollstopft? Wie ist das bei mir? 

Hat dir der Abt von Cona nicht gesagt, 


dass der Galgenvogel auch dein zukünftiges Nest 

beschmutzt hat? - Es war die nackte Absicht, 

den vorsichtigen Mann zu kränken oder ihn vielleicht sogar 

zu sinnlosen Geständnissen zu provozieren. 


Selbst die beiden dänischen Großen schüttelten, 

obwohl sie die Vorliebe der Frau 

für unverständliche Scherze kannten, verwundert den Kopf. 

Der Hamburger hingegen hatte zunächst den Kopf 


an die Brust gepresst. Nun aber richtete er ihn 

entschlossen auf, und aus seinen blauen Augen, 

wie aus der festen Stimme des Mannes, sprach 

eine unerschütterliche Geradheit, die der Regentin auffiel.


Der Abt von Cona, Herrin, antwortete er ohne jedes Zögern, 

wird Euch auch berichtet haben, dass eine höhere Hand 

meine Rechnung durchgestrichen hat. Gräfin Karin 

ist tot und verschwunden, o Königin. -


Du irrst dich, mein Freund. - Die braunen, ausdrucksstarken

Augen der Frau überschatteten sich so mitfühlend, 

als ob sie es wirklich ernst meinte, 

ein bereits gezeichnetes Opfer dem Tod zu entreißen. 


Doch um ihren Besuch herum knackte die Erde. 

Jetzt verlor er jede Vorsicht. Was weißt du von ihr?

Da sprudelte Margarethes ausführliche, akribische 

Beschreibung hervor, wie der Seeräuber 


die ohnmächtige Frau über die Schulter geworfen hatte, 

um sie in böser Absicht fortzutragen. 

Und unter dem unehrlichen Vorwand, trösten 

oder entschuldigen zu wollen, fügte sie hinzu:


Sie konnte sich nicht wehren. Er misst sieben Fuß.

In der Miene des Bürgermeisters kämpfte 

die grünliche Blässe des Todes 

mit seiner eigenen unerträglichen Erniedrigung. 


Ein paar kreisrunde Blutkugeln erschienen 

auf seinen Wangenknochen, bevor er heiser aufstieß:

Aber seitdem hat der Schuft, wie zu erwarten war, 

die Erde verlassen. Am Tag des Jüngsten Gerichts 


wird auch ihr Gerechtigkeit widerfahren.

Die Königin schüttelte den Kopf.

Herr Klaus Chokke, auch hier irrst du dich.

Als sie dies bemerkte, verzog sie das Gesicht ein wenig 


und zuckte nun fast feindselig mit den Schultern. 

Im Grunde verstand sie nicht die Anziehungskraft, 

die das scheinheilige Nonnengesicht 

ihrer ehemaligen Hofdame 


auf den nüchternen Stadtbürger ausübte. 

Noch weniger konnte sie freilich ermessen, 

welche verderbte Lust den Retter aller Mörder 

zu dieser himmlischen Braut geführt haben mochte. 


Und in dieser Stimmung verkündete sie rücksichtslos, 

was sie selbst von den Flüchtlingen der Connetable 

über den Verbleib des Mädchens 

auf dem Piratenschiff gehört hatte.


Du sollst alles wissen. In Männerkleidern, 

in engen Hosen geht sie dort 

unter den Vitalienbrüdern umher. 

Sie bedient den Unhold bei Tisch, 


und er erwidert ihr Herz und ihre Zärtlichkeit. 

Was weiß ich, was er noch mit ihr macht?

Die Königin konnte eine Art von entfernter Eifersucht, 

die sie bei den letzten Worten quälte, so wenig unterdrücken, 


dass selbst ihr hinkender Kanzler 

die Lippen zweideutig schürzte. Der Mann jedoch, 

auf den allein die skurrile Beschreibung wirken sollte, 

schwieg zunächst völlig. Schließlich platzte 


Herr Klaus Tschokke starr und trotzig heraus:

Das ist nicht die Gräfin Karin. - Wer sonst? -

Kenne ich alle Huren auf der Agile? 

Aber Karin ist es nicht. Kannst du dir vorstellen, Königin, 


eine Seele, die nur für das Licht des Himmels offen ist, 

dass sie plötzlich zu einer Lache zerfließt? -

Ja, ja. - Margarethe sprach dieses Mal mehr zu sich selbst. 

Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt 


und ging im Zimmer auf und ab, 

nur mit sich selbst beschäftigt. Deshalb klang das, 

was sie in die Tiefen ihrer eigenen Brust 

hinabschickte, wahrer. Aber, aber, bringst du mir bei, 


die kühlen und heißen Frauen zu kennen? 

Die, die dort stehen, sind anders als die, 

die auf dem weichen Boden liegen. Tag und Nacht 

wechseln schnell unter unseren Zöpfen. -


Seht, murmelte der Bürgermeister verwirrt. 

Eine geraume Zeit verging in tiefem Schweigen. 

Dann holte der Hamburger schmerzhaft Luft 

und griff nach dem kurzen Dolch an seinem Rüstungsbügel. 


Gebt mir ein Dokument des Vertrags, 

wandte er sich barsch an den Kanzler, 

der sich vor Überraschung nicht erheben konnte. 

Und selbst wenn ich das Amt, das mir lieb geworden ist, 


verlassen muss, werde ich durchsetzen, 

was Ihr von mir verlangt. Ihr werdet mich 

im Frühjahr wiedersehen! Bewaffnet! 

Versäumt nichts, verzichtet lieber auf Schlaf und Essen, 


als in dieser Angelegenheit nachlässig zu sein. 

Und nun lasst mich an meine Arbeit gehen, o Königin.

Er verbeugte sich über die ihm dargebotene Hand, 

zog den Vorhang zurück und verließ das Haus. 


Die drei anderen blickten ihm nach, 

als würde sich ein gewöhnlicher Mensch 

in einer Traumform verlieren.

Mit brennenden Augen spähten die Freibeuter 


durch Luft und Erde, um zu sehen, 

ob ihr Späher nicht endlich nach Hause zurückkehrte.

Wie lange hat Josua auf die Boten 

aus dem gelobten Land gewartet?, 


fragte Störtebeker seinen Jungen, 

mit dem er ausgestreckt unter dem Sonnensegel lag. 

Sie spielten Würfel, aber ihre Gedanken 

fanden keinen Unterschlupf in dem Lederbecher.


Seit dem Zerwürfnis mit Wichbold 

war der Riese wortkarg geworden. 

Sein Stolz schien eine eitrige Wunde bekommen zu haben. 

Nur der Wein, wenn er die Macht 


über den Hartgesottenen gewann, 

schrie manchmal mit seltsamen, prahlerischen 

und drohenden Zungen aus dem Entfesselten. 

Aber auch dann entdeckte Milon in den grimmigen Augen 


des Wilden das ernste Bild der Gottheit, 

die durch ihn über die Erde rufen wollte.

Um die beiden Lagerbewohner herum 

hingen aus einem wolkenlosen Himmel 


jene kaum wahrnehmbaren silbernen Fäden, 

mit denen Uranos das Meer an sich zu binden 

und zu beruhigen sucht. Der Herbst war gekommen.

Das Meer wälzte rote Wellen 


gegen die fernen weißen Kreidefelsen, 

und über ihnen, auf den Höhen der Insel, 

glaubte das Auge des Seefahrers das Flüstern 

und Schwanken der schwarzgrünen Wipfel zu spüren, 


so oft, wie uralten Runen sich in ihrem Schoß regten.

Störtebeker ließ von Zeit zu Zeit die Ritter 

auf den Beinen springen, aber er sah sie nicht an, 

seine Seele war mit etwas Früherem verbunden.


Wie lange warten wir jetzt noch auf Wichmann?, 

fragte er und ließ sich zurücksinken.

Es wird bald der zweite Mond sein, Herr, 

zögerte der Bursche. Störtebeker streckte sich lang 


und drückte sich die geballte Faust schwer auf die Brust. 

Dann sprach er langsam: Ich sage dir, Milon, 

wenn der jüdische General so lange hätte warten müssen, 

wer weiß, ob sein Wille zum Handeln 


nicht gebrochen worden wäre. 

Das Warten hat zwei Arme aus Eisen, 

komm, ich möchte, dass mich sanftere Dinge umarmen.

Aber als sich nichts neben ihm rührte, 


schwieg der Riese eine Zeit lang, 

bis er endlich die Hand des Jungen suchte 

und die Finger seines Gefährten gewaltsam 

auf seine geschlossenen Wimpern legte, 


als wolle er sie kühlen. Und wieder, nach langer Zeit, 

fragte er, als ob er einen Traum hätte.

Sag mir, Junge, warum schaust du so aufmerksam 

auf die Dünen, seitlich von der felsigen Schlucht? 


Der liegende Mann warf seinen Arm nach vorne 

und zeigte auf die ferne, buschige Küste. 

Siehst du dort eine Holzhütte? 

Und daneben den Stall für die Ziegen?


Ich sehe nichts, Herr, antwortete der andere erstaunt.

Doch, das tust du, du kümmerst dich nur nicht darum. 

Rauch kräuselt sich aus dem Schornstein. 

Und im Schilf vor der Schwelle steht… -


Wer?, wagte Milon zu unterbrechen.

Ich selbst, stieß Störtebeker plötzlich ungestüm hervor, 

packte seinen Begleiter an der Brust 

und schüttelte ihn mit einem rauen, abwehrenden Lachen. 


Ganz in der Nähe brannte das wilde Gesicht des Freibeuters 

vor den sanften, erschrockenen Augen desjenigen, 

der sich ihm ausgesetzt hatte.

Torheit, rief der Grobian verächtlich, das sind Schatten. 


Was kümmert es mich, ob dort einer frisst oder mausert? 

Ich lasse mich nicht durch Weihwasser 

oder verwelkte Küsse von meinem Weg abbringen.

Angenommen, erschrocken 


von der kaum verständlichen Drohung, 

aber auch überwältigt und aufgelöst 

von dem schrecklichen Zauber des Menschen, 

so lag Milon vor seinem Herrn auf den Knien 


und sah zu ihm auf. Nun aber flüsterte er ganz leise 

und doch voller Unterwürfigkeit:

Wer, Herr, kann dich ablenken oder weglocken? 

Dein Weg ist durch die Wolken.


So klang es aus einer zur Gewissheit erhobenen Seele, 

so dass es den begierigen Zuhörer 

wie ein scharfer Trank durchströmte. 

Er brauchte diesen geistigen Wein, 


er konnte nicht mehr ohne ihn auskommen. 

Er stieß einen Schrei aus, der weithin widerhallte, 

doch dann beugte sich der Riese ungestüm hinunter, 

umarmte den knienden Mann, 


und indem er seinen schlanken Körper stützte, 

zerzauste er dem Jungen überschwänglich 

und im vollen Triumph die Locken.

So ist es recht, Kleiner, du findest immer eine gute Spur! 


Mit dir habe ich schon den besten Fang gemacht! 

Aber jetzt hör auf, über alte Frauen zu weinen. 

Willst du nicht lieber sehen, wer mehr Glück hat?

Damit warf sich der Admiral erneut neben Milon 


auf den Teppich und begann, den Würfelbecher 

mit einer unbändigen Geste umzuwerfen. 

Hastig riss er dabei seine Gürteltasche auf 

und schüttete einen Haufen Gold 


zwischen sich und seinen Freund.

Hier, filou, das werde ich gegen dich verwenden. 

Ich möchte dich all deiner Besitztümer berauben. 

Und als sein Gefährte ihm kleinlaut sagte, 


dass er nichts mehr an Gold und Besitz habe, 

lachte der andere zweideutig und sagte: 

Lüge nicht, Püppchen, es gibt noch viele gute Dinge, 

die man dir abjagen könnte.


Milon senkte plötzlich den Blick, zitterte 

und legte unerwartet beide Hände auf den Becher.

Was soll das?, rief sein Herr verärgert über die Störung, 

konnte aber dennoch nicht verhindern, 


dass sein Junge wie in Angst und Not 

in das Gespräch zurücksteuerte, 

das er gerade verlassen hatte.

Herr, brach er hilflos ab, ich verberge etwas vor dir. 


Heute Morgen haben zwei Schiffsleute 

auf dein Haus in Sassnitz hingewiesen. 

Und einer von ihnen sagte, der einzige Grund, 

warum du die Deinen nicht auf der Insel suchst, sei, 


dass sie arm und elend seien.

Jetzt sprang der Riese auf und stieß seinen Begleiter 

mit der flachen Hand heftig von sich weg.

Lass dir das nicht gefallen, flehte Milon erneut. 


Warum solltest du, Tröster, 

ausgerechnet deine Nächsten verachten?

Störtebeker war inzwischen 

zum eingebauten Bugspriet hinauf geschritten, 


wo die riesige Laterne als erster Orientierungspunkt 

des Schiffes in der Nacht ins Meer leuchtete. 

Hier stand er abgewandt, knabberte mürrisch 

an seinen Lippen und fuchtelte ausweichend 


mit der rechten Hand, als wolle er 

etwas Gebrauchtes ins Wasser werfen. 

Schließlich rief er schneidend über seine Schulter zurück:

Dass es in euren Hirnen nicht anders werden will 


als bei den Kohlköpfen, in langen, geraden Furchen. 

Ich will euch also zeigen, wer meine Nächsten sind! 

Ob ihr, die ihr mit mir auf dem Henkerstuhl 

ins Ungewisse geht, oder die, 


die sich vor mir unter ihren Schlafsäcken verstecken! 

Bei Sonnenuntergang, seid bereit! 

Narren und Strohpuppen, 

platzte er plötzlich anklagend heraus, 


wollen fliegen und kleben wie Lehm an den alten Nestern.

Sie beugten sich tief vor, als der prunkvoll geschmückte Mann 

im grauen Zwielicht an ihnen vorbeischlenderte. 

Hier und da standen die unfreien Sassen auf dem kargen Strand,


denn von weit hinter den Bergen liefen sie seit Wochen, 

um sich an den fernen Schatten der Likedeeler-Schiffe 

in ihrer schrecklichen Sehnsucht zu weiden.

Wahrhaftig, die da draußen waren die Lichter Satans! 


Das Kloster predigte es, 

der Landvogt bestätigte es, 

die von Gott Verfluchten wollten die Welt 

an allen vier Ecken in Brand stecken. 


Nur darum ging es. Die Anwesenden hatten dumm 

und verständnislos genickt. Aber als der Täter 

an ihnen vorbeiging, der finstere, leuchtende, 

sagenhafte, vor dessen unmittelbarer Macht 


der Abt, der Graf, ja selbst die kleine Souveränität 

des Herzogs von Wolgast verblasste, 

da pochte ihnen das Herz in den Zähnen, 

da gurgelte ihre Kehle vor Wut, Erkenntnis und Verzückung, 


da brachen ihnen die Rücken und sie sanken 

vor dem Traumbild ihrer müden Seelen in den Staub.

Du, du, stammelten sie mit hoch erhobenen Armen.

Selbst der Landvogt, inzwischen ein gichtiger Siebzigjähriger,


dem nur noch ein paar zerzauste weiße Strähnen 

an den Schläfen flatterten, ließ das Wunder 

mit offenem, zahnlosem Mund an sich vorüberziehen 

und hielt sich mühsam am Stab aufrecht.


Störtebeker aber erkannte ihn sofort. 

Er maß ihn mit einem mitleidigen Blick.

Lebst du noch?, fragte er.

Verlegen nickte der alte Mann, versuchte sich zu strecken 


und grub seinen Stock tiefer in die Nässe. 

Plötzlich bellte er heftig: Es ist verboten, 

an dieser Stelle zu landen. - Da brach Störtebeker 

in ein fast hemmungsloses Gelächter aus, 


selbst der Gerichtsvollzieher verfiel vor allen Zeugen 

in eine unausweichliche Verlegenheit, 

und ein einziges wütendes Gebrüll heulte und tobte 

über den ganzen Strand. Welch ein frischer Wind, 


welch ein Wirbeln unter dem jahrhundertealten Staub 

der Verordnungen. Endlich bezwang sich der Gleiche Reiter. 

Er riss seinem Jungen eine kleine Tasche aus der Hand. 

Er warf sie dem knurrenden Jungen dicht vor die Füße.


Ich mag dich, Klotz, gestand er. 

Dann deutete er auf die Dünen. 

Und da oben?, fragte er heimlich.

Leben, kam es einsilbig und ohne Dank 


aus dem Mund des Gerichtsvollziehers.

Na, dann kümmert euch nicht weiter um mich.

Ungeduldiger als zuvor schlang er seinen Arm 

um den des Jungen und zog ihn den Dünenweg hinauf. 


Doch schon nach wenigen Schritten hielt er inne 

und kehrte noch einmal um. Wenn ich zurückkehre, 

rief er mit seiner hellen, schmeichelnden Stimme, 

mit der er so oft die Herzen aller gewann, 


dann, Vogt, werde ich die Hafenrechte nicht mehr verletzen. 

Ich bin nicht gekommen, um die vernünftige Ordnung zu stören.

Ich möchte sie euch bringen, hört, sie euch 

in meines Herzens Schale bringen. Und nun, bleibt jung!


Da huldigten die Unfreien unten 

und warfen dem Menschenfischer ihre Mützen zu. 

Der Landvogt aber schwang seinen Stock 

in schiefen Zügen auf die Menge und nörgelte:


Nehmt euch zusammen, warum lungert ihr untätig herum? 

Wir wissen nicht, wer der vornehme Herr war, 

niemand soll ihn auf seinen Wegen stören.

Die faltige Fischerin trat auf die Schwelle der Hütte 


und warf einen brennenden Kienspan in die Dunkelheit. 

Ihre groben, nackten Füße setzten sich fest in den Sand, 

und ihre misstrauischen blauen Augen weiteten sich, 

als zwei seltsame Gestalten hinter dem Vorhang 


aus Kiefernrauch und feuchtem Seenebel hervortraten. 

Undeutlich leuchteten draußen Gold und Seide. 

Seltsam, seltsam, die alte Frau strich sich 

durch ihr glatt gescheiteltes weißes Haar 


und rückte unwillkürlich bewundernd zur Seite. 

Wie lange konnte es her sein, dass sie, das junge Mädchen, 

dem die Männer so heftig nachstellten, 

von einem ähnlich blitzenden Mann angesprochen worden war?


Vorbei! das war längst vergessene Bitterkeit. 

Allein die Art des Herrn brachte nichts Gutes 

in das Haus der Niedrigen! Und was hatte dieser, 

der sich wohl noch tiefer unter den Eingang bücken musste, 


als es ihr Verstorbener einst getan hatte, 

was hatte dieser, um so gebieterisch 

und sicher in ihre Hütte einzudringen?

Plötzlich ließ Mutter Dörte die Lampe fallen, 


so dass sie erlosch. Obwohl der Himmel 

und das Meer unter ihr gähnten wie ein schwarzer Abgrund, 

waren doch die Umrisse der Likedeeler-Schiffe 

vor ihrem geistigen Auge aufgetaucht. 


Dann hörte sie das geheimnisvolle Gemurmel der Nachbarn, 

sie spürte, wie Finger auf sie deuteten, 

und mit einem Mal fühlte sie, wie eine drohende Hand 

ihr Herz umklammerte, bis es ihr nichts mehr vermittelte. 


Weder Freude noch Scham, weder Neigung noch Entsetzen.

Nichts sprach in ihr als diese kalte, raue Stimme, die fragte:

Was will der Fremde? - Die Falten auf ihrer Stirn 

runzelten sich, und sie konnte ungerührt 


in die Hütte zurücktreten und dem Fremden folgen, 

wie jemand, der sein Haus in Ordnung halten will. 

Aber als die vorzeitig gealterte Frau 

die Kette des Fürsten unter dem Mantel ihres Besuchers 


im Schein des Herdfeuers aufblitzen sah, 

als ihr abweisendes, strenges Gesicht 

von den schwarzen, lebendigen, herrschsüchtigen Augen

festgehalten und angezogen wurde, 


ihre Beine unter ihrem Körper schwankten 

und die Gewohnheit, sich schweigend vor allem zu verneigen, 

was mit dem Anspruch auf Macht unter die Niedrigen trat, 

zog es ihren eben noch straffen Rücken ängstlich nach vorn.


Ehrfürchtig faltete sie ihre geäderten Hände zusammen.

Kennst du mich?, entkam es Störtebeker, 

der vor dem Ofen stand und gegen die lähmende Wirkung 

der Vergangenheit ankämpfte.


Sollte ich nicht?, murmelte die weißhaarige Frau, 

wich vorsichtig zurück und bekreuzigte sich.

Ihr Sohn machte einen kräftigen Schritt gegen sie, 

die Hütte dröhnte mit seinem Gang.


Gib mir deine Hand, verlangte er ungestümer, als er wusste.

Die Frau des Fischers blickte zu dem großen Menschen auf,

schüttelte dann verständnislos den Kopf und verbarg 

ihre Finger hinter ihrer groben Schürze.


Wir sind arme Leute, murmelte sie.

Ihr Peiniger aber ergriff ihre rechte Hand 

und drückte sie so lange, bis die alte Frau wimmerte.

Sei glücklich, drängte er, 


als könne er sogar Wärme und Zuneigung befehlen.

Wieder dieser verzweifelte Blick der Leere, 

und dann unter Schüchternheit und Zögern:

Ich weiß nicht mehr, wie das ist.

Dann endlich schwoll sie an, die erstickte Wut 


eines Vergessenen, die dumpfe Trauer, 

keinen Anteil an dem zu haben, was der Körper 

an Schmerz gebar. Und doch, der kluge Menschenverstand 

der Fischerin bedeutete ihm auch 


zu diesem späten Zeitpunkt noch, 

dass dies alles in der Ordnung der Dinge war, 

weil der Fischerkittel das Hämmern 

unter dem Wams des Herrn nie hören konnte, 


weil die Enge der Hütte das Treiben der Welt 

nicht fassen konnte und nicht zuletzt, 

weil die Jugend dem Alter immer davonlief 

wie Storch und Star, wenn sie die Kälte spüren.


Das alles ist längst vernünftig überlegt worden. 

Aber jetzt, wo das Fremde ihr nahe gekommen war, 

wehrte sie sich bitterlich gegen ihr Schicksal 

und schüttelte hartnäckig den Kopf. 


In der Stille, die sich einstellte, 

stand der Heimkehrer verdunkelt neben dem Herd. 

Und siehe, er hatte seinen Jungen bei der Hand genommen, 

als müsse er wissen, ob es in seiner Nähe jemanden gab, 


der zu ihm zählte, einen Bürger jener Welt, 

die noch ungeschaffen hinter Kreisen 

aus tanzendem Licht schlummerte.

Auch die alte Frau blickte fragend 


auf das hell glänzende Haar des jungen Mannes, 

auf seine biegsame Gestalt 

und auf die ausladende Weichheit seiner Hüften. 

Erneut wiegte sie misstrauisch den Kopf. 


Aber ein feuriges Leuchten schoss 

über die Wangen des jungen Dänen. 

Es stammte nicht von den brennenden Buchenscheiten 

auf dem Herd. Es war das erste Mal seit ihrem Fall, 


dass Karin einer ehrbaren Frau gegenüberstand. 

Ihr war kalt. Dann rührte sich ihr Herr. 

Der Glanz war aus seinen Zügen gewichen, 

aber er war völlig beherrscht 


von jenem kurzen, unbarmherzigen Griff, 

der die meisten Dinge kaum für prüfenswert hielt.

Was weißt du über mich?, warf er der alten Frau 

hart und sachlich entgegen. Sie stand da 


und beobachtete aufmerksam, wie der Riese 

den schwarzen Mantel über den Tisch schleuderte. 

Es schien, als wolle ihr Sohn länger bleiben. 

Die geschlossenen Lippen der Frau zuckten.


Die Leute reden viel, überwand sie sich schließlich.

Was?, verlangte Störtebeker und begann sich 

über ihre träge Redseligkeit zu ärgern.

Dann kam ein wenig mehr Leben in die Steifheit. 


Sie richtete sich auf, bis sie endlich wie früher 

stramm vor dem wartenden Mann stand, 

sobald ihr hitziges Wort oder ihre strafende Hand 

irgendeine Verfehlung gegen den Jungen sühnen wollte.


Stimmt es, erkundigte sie sich bereits mit zitternder Abscheu 

in der Stimme, dass du die Stadt Bergen angezündet hast?

War es allein das Auflodern des Feuers, 

in das der Seeräuber soeben mit aller Kraft 


seine Zange gestoßen hatte, das seine kühnen Züge 

so entsetzlich entstellt hatte? Er warf 

seinem bebenden Milon einen wilden Blick 

der Anerkennung, des Hohns, der ohnmächtigen Raserei zu, 


dann sank er auf die Ofenbank 

und riss sich gewaltsam 

ein hämisches Lachen aus der Brust.

Stimmt, rief er in perverser Freude über den Schrecken, 


den er entfesselt hatte, und was kommt als nächstes? 

Die Fackeln, die die Welt erleuchten, 

riechen oft nach Menschenfett! -

Barmherziger Jesus, vergib uns unsere Sünden, 


stöhnte die Mutter und schlug im Wehklagen 

über eine untergegangene Menschheit 

beide Hände vor ihr Gesicht. Doch nicht lange, 

denn gleich darauf schreckte sie auf 


und verbarg ihre Finger emsig unter ihrem Brusttuch. 

Alle ihre Bewegungen verrieten deutlich die Angst, 

dass auch sie irgendwie mit Asche, Blut 

und Schmutz besudelt sein könnte.


Was wollt ihr?, wehrte ihr Sohn den leisen, 

unangenehmen Angriff ab. Gib uns etwas zu essen.

Die Fischerin hörte nicht zu, sondern streckte den Arm 

gegen die Fensterluke, als könne sie durch sie hindurch 


auf die verbrannte Stadt zeigen, 

denn die verkohlten Dachsparren hoben sich für sie 

zackig von der Nacht ab. Bin doch dumm und ungelehrt, 

beharrte sie mit der Hartnäckigkeit des Bauern, 


darum sage mir, warum du dies begangen hast.

Da klammerte sich Störtebeker an seine Kehle, 

als könne er in diesem dumpfen Loch 

keinen einzigen freien Atemzug mehr tun; 


es war ein Ringen, das den Zuckungen 

des alten Klaus Becker glich, dann aber riss er 

plötzlich wutentbrannt die goldene Kette vom Hals 

und schleuderte sie mitten auf den Ziegelboden, 


so dass es ein hüpfendes Reißen und Klirren gab.

Nimm sie, rief er, in der verwirrten Meinung, 

sich freikaufen oder den unverständlich drohenden Mund 

der Frau schließen zu können. Was geht dich das an? 

Aber es ist nicht wahr, dass das Gute nur 


von weißen Lämmern in die Welt gebracht wird. 

Sieh mich an, trink das Blut bei der Handvoll, 

und strebe doch hoch hinaus. Frau, Kain und Judas 

waren große Herren. Erlösung geht oft durchs Böse.


Er streckte die Füße weit auseinander, 

stützte sich mit den Fäusten hinter sich auf der Bank ab 

und lauschte gespannt, ob diese alte Frau nicht 

wie alle anderen vor ihm zusammenbrechen würde. 


Mutter Dörte aber schritt schweigend zum Tisch, 

dort machte sie ernsthaft ein langes Kreuz in die Luft 

und sprach flehentlich: Ich werde meine Hütte schrubben, 

wenn du geschieden bist. Nur noch eines, 


damit ich sicher weiß, von wem du kommst: Bist du es, 

der wehrlosen Frauen Gewalt zufügt?

Das Gesicht des jungen Dänen wurde 

in der Nähe des Ofens farblos, er versuchte 


mit erhobenen Händen den Felsbrocken zurückzuhalten, 

der heftig gegen seine zarte Brust flog, 

aber er konnte nur ein unverständliches Flüstern hervorbringen.

Mühsam und taumelnd versuchte er, 


sich gegen die weißhaarige Richterin zu stemmen, 

doch bevor er auch nur eine Bewegung machen konnte, 

pfiff ein kalter Wind durch die Tür, 

und eine zierliche Gestalt erschien auf der Schwelle, 


verbeugte sich sittsam und winkte 

in übertriebener Höflichkeit mit der Mütze.

Hein, rief Störtebeker und sprang ungläubig 


von seinem Sitz auf, wobei er mit den Armen 

in die Luft griff wie ein Schwimmer, 

der mit ein paar letzten verzweifelten Zügen 

das schwere, faulige Sumpfwasser zu durchbrechen sucht.


Vergessen war der zermürbende Kampf, 

der abscheuliche Kampf gegen das, 

was ihm einst ans Herz gewachsen war, 

weggezogen, als lächerlich erkannt, 


das Anrennen gegen die bröckelnden Ruinen 

einer dummen, abgestandenen Zeit. 

Sturmwind rauschte an der Tür herein, 

er würde die schwankenden Mauerreste von selbst umstürzen,


Sturm blies die Fetzen und den dichten Rauch 

in der Hütte auseinander, und der da an der Schwelle, 

der die Windsbraut hereinließ, 

er war nur einer seiner ausgesandten Gedanken, 


die von nun an das faltige Gesicht des Geschaffenen 

verjüngen und veredeln sollten. Hein, rief er, unfähig, 

sich zu beherrschen, und packte seinen Späher an der Schulter, 

so dass der Kleine taumelte. Sendbote 


meiner liebsten Hoffnung, wirst du mir und dir 

und allen Sehnsüchtigen Vernunft, 

Frieden und Ruhe bringen? Werden wir Brüder sein? 

Oder müssen wir uns weiterhin gegenseitig umbringen?


In der Hütte verflüchtigte sich der Lebenshauch, 

selbst das strohblonde Kerlchen rang 

unter den Fäusten des zitternden Mannes um Fassung. 

Und seine schrille Stimme durchdrang Mark und Bein aller, 


die sie hörten, als sie spitz und schneidend aufstieg:

Dein Wille und dein Name haben gesiegt, 

Klaus Störtebeker. Die Adligen der Friesen 

wollen mit dir Handel treiben gegen Land und Siedlung. 


Deine Hoffnung ist erfüllt, das Tor bricht auf, 

du kannst als Fürst der Hungrigen eintreten 

und dein Brüderreich errichten.

Einen Augenblick lang schwieg der fürstliche Mann, 


eingehüllt in eine goldene Wolke, 

und lauschte ernst und fast kindlich einem fernen Fest. 

Doch schnell und fast ohne Übergang 

ergriffen die Dinge des Tages den für die Erde Geborenen. 


Das frostige Elend der Hütte, 

die rissigen Ziegel des Estrichs 

und vor allem das dumpfe Unverständnis 

in den zerknitterten Zügen seiner Mutter 


rissen ihn aus dem Tanz der Lüfte 

und zeigten ihm klar und deutlich, dass von nun an 

nur noch nüchterne Werkzeuge wie Spaten und Pflug 

den ersehnten Schatz aus den Schollen graben würden.


Ungestüm warf er seinen Mantel über, 

dann sah er sich noch einmal aufmerksam 

in der trüben, rauchigen Enge um, bis er ruhig 

und gelassen vor Mutter Dörte treten konnte.


Wir gehen zum Schiff, verabschiedete er sich von ihr. 

Lebe wohl, Frau. Entweder du und deinesgleichen 

folgen mir eines Tages, oder deine sündige Frucht 

soll im Gedächtnis der Menschen verrotten!


Die Hütte stand leer, in Sturm und Nacht 

waren die Gespenster des Aufruhrs verschwunden.

Da stieß Mutter Dörte nach einigem Nachdenken 

einen Eimer Wasser um und begann, 


wie sie es versprochen hatte, die Stelle zu säubern, 

wo ihr einziger Sohn gestanden hatte!

Mutter, Mutter, kannst du die Hütte reinigen

Von den Sünden deines Sohnes?




SECHZEHNTES ABENTEUER


Wer seid ihr, schlüpfrige Dirnen?, 

wunderte sich Störtebeker über das glitzernde Frauenvolk.

In der einsamen Leybucht schlich die Agile vorsichtig 

zwischen den grünen Wattflächen 


vor der Einfahrt zum Marienhafen 

an der ostfriesischen Küste.

Schon sah der fordernde Blick des Steuermanns, 

denn der Admiral stand selbst am Heck, 


die braunen Moosdächer des kleinen Hafenstädtchens 

aus den Sümpfen wachsen, schon läuteten die Glocken 

der weidenden Kühe von rechts und links 

über die schmale Fahrrinne, und dann wurde die Agile 


von diesen übermütigen, vergnügungssüchtigen Schwimmern

umringt, gefangen und umtanzt. 

Ruderarme schnitten durch die Flut, helle Körper blitzten auf, 

ein jubelnder Reigen bildete sich, und siehe, tief unten, 


auf dem unbeholfenen Ruderschwert, 

erhob sich die Anführerin der Meute bis auf Brusthöhe, 

und ein nasser Spritzer aus ihrer Hand 

flog Störtebeker ins Gesicht. 


Der Likedeeler aber war zuvor geblendet worden. 

Die kühnen braunen Augen unter der nassen Goldflechte, 

das Wunder der Nacktheit betörten ihn, 

so dass er in seiner glücklichen Gier 


für einen Herzschlag sich selbst, seinen Zweck 

und den Sinn seiner ernsten Reise vergaß. 

Völlig verzaubert warf er sich über die Brüstung der Galerie,

völlig verloren in dem unmöglichen Versuch, 


das Schauspiel des Meeres 

aus dieser Höhe für sich zu erfassen.

Da lachte es frisch von unten, weiße Zähne zeigten sich, 

und eine unerschrockene Stimme rief:


Bist du nicht Störtebeker? Der Schuimer, 

der hier ein ganzes Land rauben will? -

Das bin ich, antwortete der Admiral schwer atmend, 

denn das Blut war ihm von seinem tiefen Bücken 


heftig in Stirn und Wangen geronnen. Aber warum lässt du 

dich nicht fischen? Wer bist du? - Ich?, höhnte es von unten 

und ließ sich gleichzeitig von dem Brett fallen. 

Du wirst hier nichts fangen, Likedeeler. 


Ich bin Eala, frya fresena!

Das war die Parole der alten freiheitsdurstigen Gaue, 

die Störtebeker gerade betreten hatte. 

Im nächsten Augenblick wuselten und ruderten 


die Mädchen schon von allen Seiten des Schiffsungetüms, 

und bald hatte ein hohes Binsengestrüpp, 

das auf einer Landzunge weit in die Bucht hineinschnitt, 

den Schwarm jeder Verfolgung beraubt.


Störtebeker streckte sich behaglich, kam zu sich, 

und als er zum ersten Mal seinen Jungen erblickte, 

der düster und abgewandt von ihm weit 

über die sich biegenden und schwirrenden Wiesen starrte, 


klopfte er ihm grob auf die Schulter und rief 

noch ganz erfüllt von dem unerwarteten Gruß:

Was für ein schönes Land! 

Welche Freuden warten hier auf uns! 


Geh, fang keine Grillen, Milon! 

Lass uns lieber das freundliche Omen annehmen. 

Was hat das Ding gesagt? Eala, frya fresena!

Und er breitete beide Arme in der sanften Herbstsonne aus, 


als sollten sich seine Brust 

und die nahenden Weiden gegenseitig streicheln.

Aber warum konnte sich der Junge nicht 

von seiner stillen Versenkung losreißen? 


Etwas zitterte in ihm, wie wenn ein feines Glas zerspringt.

Enttäuscht, blass, verängstigt hatte er das nackte Treiben 

um das ankommende Schiff beobachtet. 

Und sein sehnsüchtiger Glaube wehrte sich erbittert 


gegen den Widerspruch zwischen der Heiligkeit 

seiner Erwartungen und dem frivolen Spektakel, 

das ihre fromme Ankunft hier begleitete. 

Zum ersten Mal, seit die entfremdete Frau 


dem gepanzerten Heiland, wie Karin 

ihren Eroberer hingebungsvoll getauft hatte, gefolgt war, 

wurde sein Bild durch Vorstellungen 

von ihrer früheren Existenz verdrängt. 


Ihre Augen öffneten sich weit für etwas Altes 

und doch längst Entfremdetes. Über die saftigen Wiesen 

der Sümpfe hinweg sah sie einen Wanderer, 

der sich hinter einer Wolke von Schmetterlingen bewegte. 


Er trug ein weißes Gewand, dunkle Locken fielen ihm 

tief über die Schultern, ähnlich wie sie es 

auf Giottos Gemälde gesehen hatte, und der Mann 

streckte seine Hände über die Köpfe der Krüppel 


und der gebrochenen Herzen aus, 

die am Wegesrand auf ihn warteten. 

Nur ganz hinten, in der Essenz der feuchten Brühe, 

folgte ihm eine Schar zaghafter Frauen. 


Die Schmetterlinge flatterten wie verrückt, 

die Erscheinung verblasste und kehrte zurück. 

Strahlte und leuchtete wieder auf.

Was hatte das zu bedeuten?


Karin zitterte und schloss die Augen. 

Die Angst hinderte sie daran, mehr wahrzunehmen.

Beeil dich, Milon, rief Störtebeker, der über das Deck schritt.

Lass den Wein an die Mannschaft verteilen. 


Und du selbst fliegst zu mir, mein kleiner Junge, 

damit wir ein Festmahl halten können.

Der Turm an der Hafenmündung näherte sich, 

Boote begannen das Schiff zu umkreisen, 


der Lärm von Werkstätten und Arbeit kündigte sich an, 

und die Agile ging vor Anker. Am späten Nachmittag 

ertönte aus der Brust der mächtigen Leitkogge 

ein einziges Heulen. Beflügelt vom Wein, 


berauscht von der unbegreiflichen Aussicht 

auf ein unangefochtenes bürgerliches Leben, 

jubelte, sang und pfiff die Besatzung, 

sie putzte und wusch, als ginge sie zum Tanz. 


Ja, der Ire Patrick O'Shallo, der mit fünf 

der klügsten Jungs ausgewählt wurde, 

um die schweren Geschenkkisten 

zum nahe gelegenen Schloss des Häuptlings zu tragen, 


ließ er sich von dem Hebräer Jakob 

einen Metallspiegel vorhalten und kämmte sich 

in herzlicher Zufriedenheit sein langes gelbes Haar. 

Schließlich steckte er sich sogar ein Büschel Heidekraut, 


das ihm eine kleine rothaarige Friesin 

über Bord geworfen hatte, an seine Lederkappe, 

und während er vor geschmeichelter Eitelkeit 

in die Luft sprang, biss er dem Juden in die Wange.


Jetzt bin ich frei, flüsterte er schwärmerisch, 

und pass auf, Moses, wie oft du mein Pate sein wirst.

Aber aus den Augen des alten Juden antwortete ein Fieber.

Inbrünstig, mit einer unheimlichen Sehnsucht 


verschlang er das nahe Land, und zuweilen starrte er 

entsetzt in den goldroten Abendduft, 

als wäre dies ein anderer Himmel, wie er sich nirgends sonst 

über Menschen und Siedlungen spannt.


Auch in der Kajüte des Admirals hallte es 

von Jubel und Gesang wider. Dort ließ Störtebeker 

seinen Jungen sorgfältig Stück für Stück 

sein blaues Prachtgewand anziehen. 


Und obwohl er oft in den von Kapitän Wichmann 

fein säuberlich aufgesetzten Verträgen stöberte, 

hatte er noch Zeit, seinem sanften Helfer übermütig 

an den Haaren zu kauen oder ihm sogar 


einen neckischen Klaps auf die Wange zu geben. 

Er merkte gar nicht, dass es sich um eine Frau handelte, 

die er verwirren konnte, und auch Milon 

verrichtete seinen Dienst in fröhlicher Distanz 


und schreckte nur ab und zu auf, wenn sein Herr 

ihm die Hand um den Hals legte und beteuerte:

Kleiner Junge, es soll dir gut gehen. 

Wenn du beten willst, werde ich dir eine Kirche bauen. 


Wenn du jagen willst, sollst du Hunde und Falken haben. 

Nur lachen und fröhlich sein. So wie jetzt.

Und ein gehorsames Lächeln erschien 

auf den Lippen des immer bereiten Menschen.


Ja, in dieser ersten Stunde hatte die Agile 

den offenen Himmel betreten. Die Flut strömte bereits 

in den Hafen zurück und der Mond ging auf, 

als zwei Voyageure der Häuptlingswitwe Gunda ten Broke 


vor dem an Deck wartenden Admiral erschienen. 

Sie brachten ihm den Geleitbrief für die Fahrt zur Steinburg, 

die sich dunkel und schwer von ihrem Hügel erhob, 

und die beiden Männer in ihren langen pelzbesetzten Röcken 


und schlauchartigen schwarzen Filzhüten, 

die ihre ererbte Freiheit spürten, stützten sich furchtlos 

auf ihre Speere vor dem mächtigen Seeherrn, 

ohne die geringste Geste der Entblößung ihrer Köpfe 


zum Gruß zu machen. Gunda stellt euch in unseren Schutz,

sagten sie in ihrer kargen, breiten Sprache.

Störtebeker musterte die beiden großen Männer aufmerksam. 

Er beurteilte das ganze Volk in seinem sicheren Gefühl 


der Stärke nach diesen ersten Boten, 

und eine heiße Freude überkam ihn, 

wenn er an die ruhige Würde, die natürliche Selbstachtung 

dachte, die die Freiheit gab. Ganz in der Nähe 


winkte schließlich das Land der Menschen.

Wir nehmen den Schutz Gundas an, sprach er 

daher weniger spöttisch, als er beabsichtigte. Kommt, Jungs.


Vielleicht hatten die Reisenden gemeint, 

einen wandernden Seeräuber zu finden, 

einen Angehörigen jener Friedlosen, 

mit denen man wenig Ärger hatte, 


aber das fürstliche Auftreten dieses Mannes 

brachte sie aus der Fassung. Ein paar Goldstücke 

kullerten ihnen zu Füßen. Der Admiral hatte sie ihnen, 

nachdem er sich zum Gehen gewandt hatte, 


wie Hundefutter zugeworfen. Bereitwillig bückten sich 

die Speerträger und hoben den fremden Schatz auf, 

denn auf ihrem Boden, der mühsam dem Meer 

abgerungen worden war, griffen die Menschen 


gierig nach Besitz und Reichtum.

Sie waren erschrocken, als sie das Schlagen 

der großen Trommel hörten, als der Anführer der Gleichen, 

gefolgt von seinem Jungen, das Schiff 


über die breite Treppe verließ, und sie erschraken ebenso 

wie die anderen Matrosen, als sie die riesige Gestalt 

des Anführers der Länge nach fallen sahen, 

sobald er den ersten Schritt an Land machte.


Was ist los mit dir?, fragte Milon bleich

und wollte nach seinem Herrn greifen.

Doch der wandte ihm lachend den Kopf zu, sprang auf 

und reichte ihm einen Krümel der Erde, 


auf die er gerade getreten war. Tor, flüsterte er 

dem erschrockenen Mann zu, begreifst du nicht, 

dass ich Alexander den Makedonier nachahme? 

Ich nehme dieses Land in Besitz. 


Und ich gebe es dir, Reiner. 

Und etwas nachdenklicher fügte er hinzu: 

Ich habe das Gefühl, dass ich es behalten werde, 

solange du neben mir gehst.


Dem Blonden rauschte das ganze Blut zum Herzen, 

seine Wangen färbten sich vor Entsetzen, 

aber über dem Abendgold des Himmels 

sangen wieder jene seligen Scharen für ihn, 


die so oft um den dunklen, eigensinnigen Herrscher 

musiziert hatten. Und der zum Schweigen 

gebrachte Mann schmiegte sich immer enger 

an seinen Herrn, während er schritt.


Doch nicht für lange. In der Nähe des Flusses 

hielt ein dritter Diener ein starkes weißes Pferd, 

das zu der wohlgenährten Art gehörte, 

die Brokmerland in jenen Tagen züchtete. 


Seine Mähne und sein Schweif waren 

mit langen bunten Bändern verwoben, 

die fast bis zum Boden hingen, und ein goldenes Schild 

lag dicht um die Stirn des Tieres.


Ei, rief Störtebeker gut gelaunt, 

als er sich in den Sattel schwang, Frau Gunda weiß, 

wie man ein gutes Geschenk macht.


Die Knechte lachten und murmelten untereinander. 

Bis einer von ihnen sein schwarzes Filzröhrchen 

aus der Stirn schob, um es sich 

mit der Information bequem zu machen:


Du kennst Gunda schlecht, Herr. 

Sie hat noch nie etwas verschenkt. 

Ihr ganzes Vieh würde verhungern, 

wenn wir es nicht heimlich füttern würden. 


Also ist auch dieses Pferd hier nur geliehen. -

Potz Velten, rief der Reiter, 

der inzwischen sein Tier getrieben hatte, 

ich will ihr die Stute in Silber aufwiegen. 


Was mir einmal diente, gehört für immer mir.

Der Knabe, der die Zügel ergriffen hatte 

und nun neben dem Schimmel herging, 

hob nachdenklich den Blick zu seinem Herrn. 


Und so machten sie sich über die einsamen Wiesenwege 

auf den Weg zur Burg. In der Burg der Brooks 

knisterten die Fackeln an den Wänden des langen Saals. 

Der Raum war so niedrig, dass ein großer Mann, 


wenn er sich ausstreckte, wahrscheinlich 

die unverzierten Bretter der Fichtendecke 

hätte greifen können. Manchmal knackten die 

von der Hitze des Kamins ausgedörrten Bretter dort oben, 


als ob jeden Moment ein neuer Riss 

die Holzstruktur sprengen würde. Ein kalter Wind 

wehte durch den schlecht beleuchteten Saal. 

Nur mit Mühe konnte ein Fremder im flackernden Licht 


die wechselnden Gesichter der Häuptlinge ausmachen, 

die sich auf Geheiß Gundas hier 

zur Beratung versammelt hatten. 

Alle diese kleinen Burgherren waren seit Generationen 


durch erbitterte Erbfehden, Blutfehden 

und Streitigkeiten voneinander getrennt, 

aber ihre Gier nach Vorteil und Gewinn fraß heftiger 

als selbst der alte Hass. Auch der gutnachbarliche Neid gebot, 


den Brooks keinen besonderen Vorteil zu gewähren, 

schon gar nicht der blutleeren, rötlichen Gunda, 

die wie ein gefährliches Gespenst den Namen Quade, 

also die Böse, erhalten hatte. Wahrlich, 


niemand konnte es den Edlen von Dornum und Norden

verübeln, wenn sie lieber auf Mord und Brand ausritten, 

als auch nur eine Stunde der heimtückisch lächelnden Quade

Gunda, der Witwe des verrückten Okko, gegenüberzusitzen, 


von der überdies alle, Freund und Feind, verraten, verprügelt 

und an Land und Leuten geschädigt worden waren.

Aber die Quade Gunda war schlimmer.

Man brauchte nur den braungebrannten Propst 


Hisko van Emden zu fragen, der auch heute 

mit den anderen Gästen auf einer langen Bank 

an der rechten Seite des Saales saß, während Gunda 

und ihre Tochter auf einem erhöhten Podest 


an der Mittelwand Platz genommen hatten, 

und er wusste, woher der Menschenhass der Wirtin 

und ihre Lust am ganz Bösen stammten. 

Vor dreißig Jahren hatte der Pfarrer, 


obwohl er damals weniger von geistigen Dingen verstand 

als heute, den verrückten Okko und seine Braut 

in dasselbe Zimmer zusammen gesetzt. 

Und dann geschah das Unerhörte. 


Auf die gewohnte Frage, ob die Frau bereit sei, 

mit dem ehrenwerten Ritter 

ein Leib und eine Seele zu bilden, 

regte sich die bleiche Braut endlich 


unter ihrem friesischen Brustpanzer 

und stieß plötzlich ein schneidendes Nein aus. 

Unmittelbar danach gab es natürlich einen Knall im Saal. 

Der Bräutigam hatte seine Verlobte so heftig geohrfeigt, 


dass die fassungslose Frau ihren Silberschmuck verlor. 

Die halb ohnmächtige Braut wurde daraufhin eilig getraut, 

obwohl die Hochzeitsgesellschaft, die in Aufruhr war, 

genau wusste, warum sich die Braut in letzter Minute 


so verzweifelt gewehrt hatte. Zur gleichen Stunde lag 

in einem Loch im Turm die Lieblingsmagd 

des jungen Mannes, die er nicht gehen lassen wollte, 

in den letzten Wehen, und als um Mitternacht 


das Burgfräulein von einem Bettler 

ins Hochzeitsbett geschoben wurde, 

schrie im Turm bereits ein Bastard. 

Seitdem war die brandrote Teufelsschönheit 


von der Neuen des wilden Okko unzählige Male 

malträtiert und geschändet worden, 

und so oft ein Kreischen und Wimmern 

zur Nachtzeit im Schloss zu hören war, 


bis in die letzten Jahre, dann lachten 

und sagten die umliegenden Bewohner:

Herr Okko geht auf die Jagd.

Nun aber war es um den starken Mann längst still geworden. 


In Aurich vermoderte er unter einem gesprengten Wachturm, 

denn in einer der Fehden hatte er 

seinen letzten Gang angetreten. Die Marienhafener 

aber erzählten, dass bei der Nachricht von seinem Ende 


die Fenster der Brookeburg festlich erleuchtet gewesen seien, 

und wie man bis zum Morgen eine wilde Frauenstimme 

in furchtbarem Jubel hätte singen hören.

An dieses Nest einer hornigen Kröte, 


die ihre ganze Glückseligkeit darin fand, 

ein verzehrendes Gift zu sammeln, 

klopfte an einem windigen Herbstabend des Jahres 1399 

Störtebeker, ein Mann, der wie eine Sonne 


über dem Glück unzähliger Menschen aufgehen wollte.

Er trat ein, den Arm um die Schulter seines Knaben gelegt, 

gefolgt von den beiden Gefolgsleuten, 

und als der Riese im blauen Fürstenwams, 


goldglänzend und selbstbewusst, 

im halbdunklen Saal stand, verstummte mit einem Male 

das laute Gezänk der Knappen, und ein heller, 

silberkehliger Schrei ging über ihre Köpfe hinweg. 


Eine Begrüßung, so frisch und übermütig, 

dass sie kaum für den gefährlichen Gast bestimmt war. 

Wer in diesem Kreis konnte seine Freude 

so sorglos zum Ausdruck bringen?


Es war die Stimme einer Frau.

Spürend, witternd, rückte Gunda auf ihrem erhöhten Sitz 

zur Seite. Mürrisch beäugte sie ihre schöne Tochter Eva, 

die sich gerade so auffallend vergessen hatte. 


Doch zu ihrem Erstaunen sah die alte Frau, 

wie die goldhaarige Frau neben ihr 

ihr feines, rothaariges Haupt 

zur Begrüßung der Fremden beugte, fast so, 


als müsse sie die Aufmerksamkeit 

einer ihr schon lange bekannten Person auf sich ziehen, 

ein zufriedenes Lächeln überzog 

das blutleere Gesicht der Quade, 


und in der Überzeugung, dass unter dem heißblütigen Jüngling

Unheil, Verirrung und Sünde entfesselt werden könnten, 

hüllte sie ihren dürren, hageren Körper noch fester 

in das graue Faltenkleid, um dem Gleichaltrigen 


mit harter Männerstimme zu befehlen:

Mach es kurz. Was willst du?

Damit zog sie einen grau-roten Haarschopf 

unter ihrer gelben Lederkappe hervor, 


wickelte ihn fest um den Finger, 

schlug ein Bein über das andere und wartete.

Störtebeker aber starrte sie fast mitleidig an. 

Nach den Schilderungen von Hauptmann Wichmann 


hatte er im Regentenstuhl von Brokmerland 

ein gefährliches Wesen vermutet, 

eine ansteckende Krankheit, die es zu vermeiden galt. 

Diese armselig gekleidete Auszehrung hingegen, 


aus deren erschreckend verkümmertem Gesicht 

nur ein Paar seltsam blutige Lippen hervorlugten, 

schien bestenfalls mit einer Bettlerin vergleichbar zu sein, 

die verbittert nach Almosen suchte. Aber siehe, 


neben dem Kadaver? Bei Zeus, 

wie kam dieses hübsche Geschöpf 

neben das rasselnde Gebein? 

Was für eine kaum erwachte Jugend, 


was für ein ungesättigtes Locken 

in den braunen Schelmenaugen, und vor allem, 

was für eine angenehme Zurschaustellung 

hinter dem tiefen Brustausschnitt. 


Wahrlich, ein goldener Apfel war im Begriff, 

vom Baum zu fallen. Ungeduldig öffnete 

Gunda ihre brennenden Lippen.

Wir warten, fingerte sie vorwurfsvoll an ihrem Rock. 


Sag mal, Likedeeler, willst du hier 

noch länger mit Maulwürfen hausieren gehen? 

Sag uns kurz, was dich hierher führt.

Da löste sich der Freibeuter von seinem Gefährten, 


reichte ihm den schweren Helm, 

so dass seine braunen Locken sichtbar wurden, 

und statt sich vor der Brokmer-Herrin zu verbeugen, 

lachte der Zügellose ihr nun ins Gesicht.


Es war der richtige Ton für die groben Burgtyrannen. 

Schadenfroh traten sie näher heran. 

Auch die schöne Eva beugte sich weiter vor, 

so dass ihr keine Bewegung des Fremden mehr entging.


Du hast gute Laune, Frau Gunda, 

höhnte Störtebeker von unten und setzte einen Fuß 

fest auf die Stufe. Was kümmert es mich, 

wenn die Junker wissen, dass du längst 


einen Vertrag mit meinem Abgesandten aufgesetzt hast? 

Wozu hast du mich sonst eingeladen, 

wenn ich nicht für Botenlohn durch die Welt laufe?

Hätte der Subversive die bröckelnde Decke 


mit einer Schusswaffe zum Einsturz gebracht, 

hätte der Aufschrei unter den Adligen 

nicht bedrohlicher und wilder sein können. 

Der Verdacht, dass die listige Gunda bereits 


das Hauptstück des fetten Bratens 

abgeschnitten haben könnte, erregte 

die selbstsüchtigen Männer zum höchsten Zorn.

Sieh her, du hoffnungsloses Weib, 


sprang der junge Folkmar Allena wütend auf das Podest 

und hielt der Herrin fast die Faust unter die Nase, 

auf welche hinterhältigen Wege bist du wieder geraten? 

Hat dein Sponsor noch nicht genug Raubgut 


nach Hause gebracht? Oder glaubst du, 

wir anderen ahnen nicht, wie du pfeifst und schleichst?

Die Quade aber blieb stocksteif sitzen; 

verächtlich schlug sie nur mit der Hand 


nach dem erhitzten Mann, als müsse sie 

eine aufdringliche Fliege verscheuchen.

Spar dir deinen Verstand, Folkmar Allena, 

riet sie steif und bissig. Verschwende ihn nicht so töricht 


wie deinen Hausrat, mein Junge. 

Du wirst ihn heute brauchen.

In dieser Verteidigung muss 

eine unbestechliche Bosheit gelegen haben, 


denn der schmächtige Junker stammelte plötzlich verlegen,

während seine Kameraden ein helles Lachen ausstießen. 

Es war ja allgemein bekannt, dass Folkmar Allena 

zu jenem Schwarm verliebter, 


zu jeder Dummheit entschlossener Männer gehörte, 

die der goldblonden, jungverheirateten Eva 

nachstellten wie einem fliehenden Reh.

Missmutig, mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Schöne, 


die heute nicht viel von ihm zu bemerken schien, 

drängte sich Allena zurück in die Menge 

der lautstark verhandelnden Adligen. 

Doch statt seiner löste sich nun eine andere Gestalt 


aus ihrem Kreis. Ein kräftiger, schwergewichtiger Mann 

in einem ledernen Jägerwams, 

über den er jedoch seltsamerweise 

einen zerknitterten Bischofsmantel geworfen hatte. 


Er humpelte herbei, nachdem er bei der Wildschweinjagd 

gerade einen schmerzhaften Sturz erlitten hatte, 

und legte nun vertrauensvoll seine Hand 

auf Störtebekers Schulter. Wie beiläufig versuchte er dann, 


mit der anderen Hand das Segenszeichen zu geben. 

Da der Seemann aber abweisend auswich, 

beschwichtigte Propst Hisko van Emden 

den Widerwillen des Fremden ganz bequem, 


indem er selbst eine wegwerfende Geste vollführte.

Salve Care, begann er mit einem besetzten Bass, 

denn dieser umtriebige Bauer liebte es, 

die wenigen lateinischen Fetzen, die er irgendwo aufschnappte,


gleich bei der ersten Bekanntschaft auszugeben. 

Herzlich willkommen, Klaus Störtebeker. 

Du bist ein großer Christ. Gib mir deine Hand. 

Deine Streiche haben mir immer gefallen. 


Bei der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, es ist gut, 

dass endlich eine starke Seemacht unsere Häfen anläuft. -

Nimm dich in Acht, knurrte der steife, hochmütige Enno 

aus Norden zwischen ihnen, der seine Umgebung 


mit einer begrenzten Frömmigkeit quälte, 

und er pfiff seine Worte durch eine dümmlich gerade Nase:

Denk an die Suppe, die er für die in Bergen gebraut hat! 

Wie wollt ihr euch schützen, wenn euch dasselbe 


von dem Seedieb widerfahren sollte? -

Mensch, das wäre ein sauberer Gast für uns, 

stimmten ein paar der kleinen Burgherren zu, 

denn die kriegsgestählten Heerscharen der Schuimer 


weckten in ihnen ein Grauen. 

Wer bürgt für den Brandstifter?, höhnten sie, 

stampften mit ihren schweren Holzschuhen auf den Estrich 

und spuckten breitbeinig auf den Holzboden vor ihnen. 


Wer hat hier geheime Verträge mit ihm geschlossen?

Da warf der Probst seine fleischigen Hände hoch.

Ihr boves malefici, sprudelte es aus ihm heraus, 

wobei sich sein Bauch vor Aufregung über den Gürtel wölbte, 


und der bullige Jäger schüttelte daraufhin zornig 

die Perle seines ungekämmten Haares, 

das ihm über die Stirn fiel, hin und her. 

Störtebeker, mein edler Freund, 


warf er über seine schmatzenden Genießerlippen, 

du siehst, tot homines, tot sententiae, 

so viele Menschen, so viele Meinungen. 

Halte dich also an mich. Ich sehe dich mit den Augen 


der verstehenden Weltkirche an. 

Ja, der Teufel soll mich holen, ich will. 

Und meine kluge Freundin Gunda denkt auch so. 

Hast du denen in Bergen einen Strich 


durch die Rechnung gemacht? Habeat sibi,

meinetwegen, vielleicht warst du ein Instrument 

der Gerechtigkeit. Was wissen wir schon 

von solch fernen Dingen? Hier in Friesland hingegen 


kommst du mit gut gefüllten Truhen,

wir werden für dich sorgen, du kommst 

für commercium et connubium. Öffne mir also, 

mein lieber Sohn, was bietest du uns? 


Denn die Freundschaft der Menschen ist zu erwerben. -

Zum Henker, sprang der wilde Folkmar Allena 

wieder mit geballten Fäusten hervor, 

möchten die Dickhäuter wieder ganz allein 


in ihren Schlund schütten? Der Schuimer 

soll endlich sein Maul aufmachen! Was starrt er uns an, 

als wären wir seine schelmischen Narren? -

Hört doch auf, ertönte plötzlich die Männerstimme Gundas.


Der verwirrte Tumult verstummte, 

jeder war von diesem rasselnden Ton getroffen worden. 

Gekauert, grau und unscheinbar, hockte die Kröte 

regungslos auf ihrem Regentensitz, 


nur ihre brandroten Augen liefen zufrieden 

von einem zum anderen, versprach es doch mehr Vergnügen, 

wenn man dem riesigen Menschen erst jeden Vorteil 

abpresste, bevor man ihn aushöhlte und zu Fall brachte.


Tritt näher, Störtebeker, befahl sie deshalb regungslos 

und legte ihre Hand hinter ihr rechtes Ohr, 

das wachsartig unter ihrer gelben Mütze hervorlugte. 

Tritt näher, damit ich dich jetzt vernünftig 


und vor aller Welt über deine Absichten befragen kann. -

Recte, Propst Hisko rieb sich eifrig die Hände 

und humpelte, um den anderen ein Beispiel zu geben, 

sofort zurück zur langen Bank. Folgt der Quade, 


edle Herren, sie ist eine weise Frau.

Geräuschvoll, mit den Holzschuhen aufstampfend, 

bewegten sich die Junker zu ihren Plätzen 

und räkelten sich, jeder auf seine Weise, 


auf dem glatt gescheuerten Brett, einige rittlings, 

andere streckten beide Beine weit in den Saal hinein, 

bis von allen Seiten ein Ruf durch ihre Reihen ging:

Macht ein Ende, damit wir zum Nachtimbiss können.


Giftig süß lächelte die Quade. 

Sie wusste, wie eng es bei ihr zuging. 

Es war auch ein köstliches Amüsement zu sehen, 

wie spöttisch und hochmütig die Person im blauen Waffenrock


ihre lieben Nachbarn bisher behandelt hatte. 

Nur eine Sache war ihr peinlich. 

Warum wandte der Fremde seine großen schwarzen Augen 

so begehrlich über den Kopf der Gunda hinweg 


zu den hintersten Deckenbrettern der Halle? 

Flammend, entrückt flackerte es dann 

aus den unheimlichen Feuersternen, 

und so fesselnd war die Macht dieses Blickes, 


dass die Hausherrin sich nach vergeblicher Gegenwehr 

selbst umdrehen musste, um verständnislos 

die gerissenen Balken am Ende der Halle zu untersuchen.

Nichts! Nur ein paar lange Spinnweben schwankten dort,


angetrieben von der Flamme der Fackeln. 

Seltsam, was suchte der mächtige Geselle dort, 

warum fiel er nicht lieber auf ihre lüsterne Tochter herein?

Doch dort hinten in der Dämmerung und Dunkelheit 


tanzten die ungestümen Begierden 

des umherstreifenden Mannes. Er spürte, 

wie sein Puls heftig hämmerte, schmerzhaft 

seine breite Brust dehnte, denn er war nur noch 


einen Schritt von seinem Ziel entfernt. 

Dort oben wimmelte es von unmenschlichen, 

gebeugten, triefenden Leibern, schwielige Fäuste 

streckten sich nach ihm aus, heisere, gequälte Stimmen 


riefen ihm zu, immer lauter, ohne übertönt zu werden:

Gib uns, gib uns, was uns zusteht.

Widerwillig warf der Riese seine Hand in den Raum, 

denn selbst aus seiner Fantasie war der herrschsüchtige Mann 


es nicht gewohnt, geschubst zu werden. 

Doch dann schüttelte er die Schatten 

mit einem Seufzer der Erleichterung ab 

und trat dicht an den Stuhl Gundas heran.


Was willst du wissen?, rief er ohne Rücksicht. 

Denn beim Teufel, es fehlt nur noch, 

dass du mich auf eine Armenbank setzt. -

Ruhe, Ruhe, mein Sohn, murmelte der Propst ängstlich 


und drehte sich auf seinem schmerzenden Knie.

Sag mir zuerst, begann Gunda, 

sich auf ihr umgestürztes Bein stützend, 

warum bist du allein 


und führungslos in unseren Hafen gelaufen? 

Wo waren deine Kameraden? 

Wichmann, Michael und Wichbold? 

Und wo ist der Rest deiner Schiffe?


Da lachte der Störtebeker und schlug sich an die Brust. 

Alter Mensch, antwortete er selbstbewusst, 

der Fuchs ist zu schlau für dich. 

Meine werden kommen, sobald du mir 


diesen Lappen mit Eid und Siegel umgehängt hast. -

Bene optime, lobte der Probst voller Bewunderung 

und schaute sich in der Runde um, um Beifall bittend. 

Allein unter den Zuhörern erhob sich Gezänk.


Ruhe, mahnte Gunda, ohne sich zu rühren, 

das verstehe ich, Störtebeker. Aber jetzt das Wichtigste. 

Du willst Land von uns erwerben. Angenommen, 

wir wären bereit, dir gefügig zu sein, 


was gedenkst du dann mit den Gütern zu tun?

Jetzt sprangen die Adligen wieder von ihren Sitzen auf, 

denn der Kern der Verhandlungen schälte sich heraus.

Soll er doch gleich von uns kaufen, riefen sie.


Das spielt keine Rolle, sprach Gunda in den Lärm hinein.

Doch, tut es, tut es. - Pass auf die Quade auf, 

schimpfte der wilde Allena, die Hexe betrügt uns. -

Was wollt ihr denn mit den ganzen Jochen machen?, 


wiederholte die Wirtin kalt. Mit einem Satz 

sprang Störtebeker zu ihr hinauf, 

und während er heftig an der Lehne ihres Sitzes rüttelte, 

sprang die ungezählte Schar hinter dem Rauch wieder auf, 


Kopf an Kopf, Hand in Hand, 

tausend unglückliche Augen starrten ihn an, 

und aus dem Geistersturm schallte es: 

Du Menschensohn, du Sohn der armen Leute, 


gib uns jetzt Brot und Kleider und ein menschliches Los.

Ein ungestümer, bebender Zorn ergriff den Besessenen, 

jener unbändige Zorn gegen die Unterdrücker und Mächtigen, 

die seiner Meinung nach das Elend in der Welt aufrechterhielten,


damit es ihnen zum Vorteil gereiche. 

Dann, fast gegen seinen Willen, brach die Barriere 

vor seinen argwöhnisch bewachten Schätzen zusammen, 

der Riese streckte sich zum Streit und zum Angriff, 


und wie wirbelnde Geschosse schleuderte er 

seine geistigen Edelsteine wütend und höhnisch lachend 

unter seine angeschlagenen Zuhörer. 

Aus seinem schäumenden Mund muss 


die Freiheit gebrüllt haben, die gleiche Aufteilung des Landes, 

die aus der Mitte der Gemeinschaft geborenen Rechte, 

die für alle erreichbar sind, und vor allem, ihr Flaneure, 

ihr Landjäger, ihr Menschenhändler, 


die Glückseligkeit einer befriedeten Brüderschar. 

Traum und Wirklichkeit rasten blind um seinen Kopf, 

er schrie und wütete gegen die hungrigen Gesichter, 

die von der Decke starrten, 


ebenso wie gegen die unterdrückerischen Herren, 

die sich mit weit geöffneten Beinen um ihn drängten. 

Aber nur zwei Frauen in dieser Versammlung 

von erdgebundenen, gierigen Menschen fühlten 


die Schönheit, die sich aus der Mischung 

von kämpferischer Energie und wilder Verzückung 

über den einsamen Mann ergoss. Die eine 

in der Knabentracht umklammerte krampfhaft 


den Goldhelm, den sie für ihren Herrn aufbewahrte, 

und drückte ihre Brust gegen das Metall, 

als müsse sie ihr glühendes Herz für immer 

mit der unnachgiebigen Härte verschmelzen. 


Die andere, die gesündere und blühende, 

lehnte genießerisch den Kopf 

unter dem roten Haarnetz zurück, 

ihre Zunge fuhr zwischen ihre Lippen, 


und ihr schlanker, ungekühlter Körper erhob sich 

ahnungsvoll und sicher zu dem glänzenden. 

Auch sie hungerte nach Besitz und Gewinn, 

aber sie wollte um unendlich viel mehr feilschen 


als selbst ihre geizige Mutter, sie wollte 

den geheimen, unbekannten Genuss der Hingabe 

und dafür die Macht über den ganzen Mann. 

Wie aber wirkte sich das große herausfordernde Gestammel, 


der noch nie gehörte Schrei nach Selbstbescheidung 

und Einordnung auf die stolz besitzergreifenden Häuptlinge aus?

Zunächst suchten die Grundherren, die im Begriff waren, 

die Narrenfreiheit ihrer eigenen Ortsbauern 


durch allerlei List, wie Anleihe, Aufkauf und Beschlagnahme, 

in eine feste Gefolgschaft zu verwandeln, 

aus den offenen Mündern der anderen zunächst einmal 

ihr eigenes völliges Unverständnis herauszulesen.


Wie? Was? Geschwätz! 

Was wollte der Hund, der reisende Sonnenbruder, 

der gestern noch den Leuten die Taschen leerte, 

wo er nur konnte? Gleiches Eigentum? 


Der ungewaschene Haufen sollte keinen Adel mehr 

um sich haben? Hast du schon gehört, Allena? 

Welche Schurkerei verbirgt der Galgenvogel dahinter? 

Glaubt die schwarze Fahne, sie könne uns hier 


einen Streich spielen? Und das anfängliche Erstaunen 

löste sich in schallendes Gelächter auf. 

Sie schlugen sich gegenseitig in die Seite, 

stießen sich in die Rippen, zwinkerten sich schelmisch 


aus sonnengebräunten Bauerngesichtern zu, 

trampelten mit ihren Holzschuhen, 

selbst Hisko, der Probst, der ein Muster 

an Sparsamkeit in den Sümpfen war, 


humpelte schluckend hinter dem verrückten Likedeeler her, 

und da klopfte er ihm so kräftig auf die Schulter, dass es knackte.

Geliebter Freund, platzte es aus seinen dicken Lippen heraus, 

was für eine windige Seemannsgeschichte hast du uns 


da gerade erzählt? Nicht wahr, Gunda, was denkst du denn? 

Ja, wir sind einfältig, animae stultae, piaeque, 

aber man darf uns nicht zu niedrig einschätzen! 

Du willst nichts für dich? Alles für dich selbst?


Unten wieherten die Junker belustigt und besserwisserisch.

Schon gut, schon gut, keuchte Hisko kurz, 

zog den Mantel des Bischofs nach vorne 

und schnäuzte sich damit die Nase, du kennst dich aus, 


du hast schon so manches Fass und so manchen Ballen 

von den steifen Böcken, den Hamburgern, gewonnen. 

Aber nun sag mir, mein Sohn, was kannst du 

noch ernsthaft für deine Sache sagen? -


Haha, ernsthaft? So lange hatte der Mann 

im blauen Waffenrock, der erwacht war, 

mit unheimlich rollenden Augen desillusioniert 

auf die blonden Männer herabgeblickt, 


die buchstäblich vor Heiterkeit 

und hochmütiger Unwissenheit schnauften. 

Jetzt aber überwand der Seemann das innere Lachen, 

das ihn fast zerfetzte und sich weigerte auszubrechen. 


Mit einem Griff führte er die große Hornpfeife an den Mund, 

und das vibrierende Signal fuhr durch den Saal, 

scharf und schrill. Erschrocken warfen die Friesen 

ihre langen Röcke zurück und griffen fassungslos 


nach ihren Kurzschwertern, selbst Gunda 

bewegte sich unbehaglich auf ihrem Platz. 

Doch ein waghalsiger Angriff war nicht beabsichtigt. 

Nur die Tür der Halle öffnete sich, 


und sechs Likedeeler trugen mit hallenden Schritten 

eine gewölbte Truhe herein. Da entlud sich 

die Anspannung der Adligen in einem lauten Freudenschrei, 

und ihre Augen blitzten plötzlich verständnisvoll auf. 


Keiner von ihnen nahm dem Fremden, 

der so unermessliche Schätze trug, übel, 

dass sich der Riese plötzlich durch ihr Gedränge drängte 

und schob. Ob der eine nach rechts taumelte, 


der andere nach links flog, wen von ihnen kümmerte noch 

die maßlose Verachtung, der wahnsinnige Spott, 

mit dem Störtebeker nun den Deckel der Kiste zurückschlug.

Frisch, frei, fröhlich, rief er in einer gespenstischen Vertrautheit,


die den Zuhörern zu jeder anderen Stunde 

das Blut in den Adern gefrieren lassen hätte. 

Kopf hoch, ihr Edelleute, gleich werdet ihr mich 

besser verstehen. Hier liegen meine Gründe, 


meine Pläne, meine Notizen! Flandrisches Blatt! 

Wie das? Womit? Mit der Elle? Torheit, 

ich messe meine Absichten mit dem Spieß! 

Sind ganz klar und ganz wichtig!


Und der Tolle riss einem der Diener die Lanze aus der Hand 

und begann, die weißen Wolken in langen, 

schwebenden Schwüngen auf den Estrich zu schleudern.

Hier sind Erklärungen für den Probst, 


hier ist ein anmutiger kleiner Geheimvertrag für Gunda, 

sachte, Allena und Rüstringen werden nicht vergessen!

Eine Weile rieselte, raschelte und rauschte der feine Stoff, 

wie große Schlangen hüpfte er aus dem Nest. 


Bald hatte der Schuimer natürlich genug 

von seinem Schnitzwerk. Er warf den ganzen Ballen 

in hohem Bogen unter die Adligen, 

und gleich darauf sauste die Lanze hinterher. 


Doch die Edelleute stritten sich um das kostbare Material. 

Halb im Scherz, halb im Ernst schob jeder 

seinen Nachbarn beiseite, um so schnell wie möglich 

an die reiche Quelle zu kommen, 


und nur mit Ungeduld ertrugen sie es, 

als Propst Hisko auf die unschuldige Idee kam, 

sich wie ein Kreisel in den Stoff wickeln zu lassen. 

Der dicke Bauer drehte sich geschickter, 


als es sein verletztes Knie vermuten ließ. 

Der Riese aber, von der höllischen Flamme 

der Versuchung getrieben, hatte sich von neuem 

über die Truhe geworfen, und nun schleuderte er besinnungslos


Gold, Silber, Brokate, Ringe, Armbänder, 

Seide und Messgewänder unter die geblendeten Friesen.

Ich, ich!, kreischte Gunda, die ihre Gier 

nicht mehr zügeln konnte und sich plötzlich 


mit gespreizten Reißzähnen von ihrem Sitz stürzte. 

Sollen Hiskos feige Mägde Ringe und Ketten tragen 

wie wir Edelfrauen? Damit krallte sie ihre spitzen Finger 

in die Wand der Truhe, beugte sich vor 


und machte sich bereit, mit aller Kraft 

auf den Schmuck zu drücken. Doch sie konnte es nicht mehr. 

Es geschah etwas, das in seiner grausamen Verrücktheit 

selbst den besinnungslosen Häuptlingen den Atem raubte. 


Das graue Skelett wurde von dem Matrosen 

mit beiden Armen aufgefangen. 

Und erschüttert von dem unheimlichen Spaß, 

diese zitternde Gier kurz vor ihrem Ziel verdursten zu lassen,


drückte Störtebeker seine Wange zärtlich und verliebt 

an das steife Pergament der Quade, 

und dann küsste er es schallend auf den Mund 

und die zerfurchte Stirn der blutigen Kröte.


Da erschrak selbst Propst Hisko van Emden, 

der sich in mancher Wein- und Männerschlacht 

behauptet hatte, stolperte über den Paravent 

und fiel mitten in den Saal. Störtebeker aber wurde 


immer lauter und tobte bei diesen Liebkosungen.

O du seliges Weib, o du Weinberg der schwellenden Beeren, 

was könnte ich nicht für dich tun? O, du großzügigste 

aller Frauen, lass mich selbst dir das Hemdchen von Seide 


oder Brokat abmessen. - Und obwohl die Gunda 

zischte und fauchte und mit ihren mageren Armen 

und Beinen fuchtelte, umarmte und liebkoste der Besessene 

das abscheuliche Gespenst nur noch hungriger.


O fruchtbarer Regen, rief er ihr ins Gesicht, 

o Wunder des Brokmerlandes, wie gesegnet bin ich, 

einen festen Bund mit dir geschlossen zu haben. 

Du wirst sehen, nie werde ich dich verlassen!


So tobte und raste der unbezwingbare Mann, 

und um ihn herum wirbelten Entsetzen, Abscheu 

und roher Beifall in brodelnder Verwirrung. 

Bis schließlich die wilde geistige Verwirrung 


auf die Zuschauer übergriff. Mit einem Mal 

hatten sich die blonden Männer an den Händen genommen 

und tanzten nun jubelnd im Kreis um das skurrile Paar 

inmitten der flämischen Leinen und der offenen Truhe:


Gut, gut, Störtebeker soll bleiben. Die Verträge sind gültig. 

Soll er der Quade Gunda einen Sohn zeugen. 

Und auf dem Estrich hockte immer noch der Probst, 

und während er sich verwirrt den Reigen 


zu erklären versuchte, murmelte er von Zeit zu Zeit:

Absolvo te. Aber er wusste nicht mehr, was das bedeutete.

Und dennoch erteilte der Probst die Absolution

Störtebeker in seinem wilden Tanz mit Gunda.




SIEBZEHNTES ABENTEUER


Über die braunrote Heide trabte ein Reiter 

auf seinem prächtig angeschirrten Schimmel. 

Die Hufe des Rosses schlugen schwer 

auf den unübersehbaren, bunten Teppich. 


Wie von einer unachtsamen Frau 

wurde das fröhliche Tuch 

zwischen dem grauen Schlamm der Sümpfe 

und der schwarzen Erde älterer Ackerflächen 


zu Boden geworfen. Eine helle Herbstsonne 

strahlte glasig vom Himmel, 

und der erste Frühwind sprühte gelegentlich 

bunte Tropfen von den Kräutern.


Das Tier hatte jedoch keine leichte Last, 

denn sein Fahrer hatte einen Jungen vor sich 

in den Sattel genommen. 

Mit der linken Hand hielt er ihn fest, 


und während er das Pferd allein 

mit den Oberschenkeln lenkte, 

zeigte seine rechte Hand ständig 

in die Nähe und in die Ferne. 


Jeder Tümpel mit Torf oder Moorboden, 

jede einschießende Wiese wurde mit hellem Jubel, 

mit freudvollem Stolz begrüßt.

Mach deine blauen Augen weit auf, mein Kleiner, 


forderte Störtebeker triumphierend auf, 

und dabei drückte er seinen Gefährten kurzerhand 

an seine breit anschwellende Brust, ja, 

er umarmte sogar stürmisch das flatternde blonde Haar, 


denn in diesem Moment konnte er nichts neben sich dulden, 

was nicht bedingungslos seiner Macht unterworfen war. 

Siehst du, dort und dort, vor uns, neben uns, 

alles mein, dein, alles unser.


Und berauscht vom ungeheuerlichsten Erfolg, 

berauscht von der Vorstellung, 

dass auf diesem morgendlich-frischen Boden 

die Veränderung der Menschheit wachsen sollte, 


so radikal, so segensreich, so geplant, 

wie sie nie zuvor auf deutscher Erde erdacht worden war, 

weder von Carolus Magnus, dem Ordensgründer, 

noch später von Priestern oder Laien, 


da ließ der Schöpfer, erfüllt von schöpferischer Lust, 

seinen Gefährten zur Seite sinken, 

warf sich über ihn und presste seine Lippen 

durstig auf den Mund der Frau. 


Was er hier streichelte, wurde unscharf. 

Er küsste seinen eigenen Gedanken, 

der für ihn in der Brust der Frau 

wie in einem Tempel aufbewahrt lag, 


er umarmte in diesem Körper, 

der sich zu ihm bekannte, gleichsam 

die Erfüllung und Vollendung seines Traumes. 

Und diesmal widerstand Karin ihm nicht. 


Selbstvergessen, verklärt, ganz eins 

mit dem mächtigen Willen, blickte sie 

mit großen, einladenden Augen zu ihm auf, 

und in ihrem kindlichen Lächeln lag die Überzeugung, 


dass alle Scham, alle Schande im Feueratem, 

in den tosenden Wehen des Werkes gereinigt 

und von ihr genommen worden war. 

Ein segenspendender Gott hatte sie geschwängert, 


und sie diente ihm im Gegenzug 

und erhielt als Lohn die Gnade des Sehens. 

Eine Verzückung durchströmte sie, 

und von einem Wirbel unvorstellbarer Empfindungen getragen,


gab sie sich dem hin, was sie nie zuvor gewagt hatte, 

und schlang schüchtern beide Arme um den Hals des Mannes, 

der ihr zugeneigt war, und hielt ihn fest. 

Selbst den wilden Mann überkam ein fernes Verständnis 


für die Opfergabe, die ihm hier dargebracht wurde.

O blondes Gold, rief er in freudigem Überschwang, 

wie froh bin ich, dich zu sehen! 

Du hast keinen Schmutz an dir, 


du bist nicht durch die Hände von Händlern gewandert, 

und man kann dir die Glückseligkeit leicht abkaufen.

Noch einmal hörte die Käfer-geschwängerte Heide 

neben dem regelmäßigen Hufschlag den hellen Jubel 


des zufriedenen Siegerglücks, 

und die Einsamkeit der Heide legte sich 

tröstend um ein verstörtes Frauenherz.

Und so zogen sie weiter, vorbei an dunklen Torfmooren 


und weiten Strecken gelben Flugsandes, 

und solange die silbrige Morgenstille mit ihnen wanderte, 

waren die Einsamen nicht nur 

durch den gemeinsamen Drang 


nach einem frommen, kindlichen Zeitalter 

eng miteinander verbunden, sondern auch 

das geheimnisvolle Gewebe zwischen Mann und Frau 

zog seine heißen Fäden um sie. 


Immer wieder, wenn das Hochgefühl seiner Mission 

die Brust des Reiters sprengen wollte, 

dann warf er sich an die schlanken weiblichen Glieder, 

und mit Herzklopfen und entzückter Duldsamkeit 


lauschte Karin all der Torheit 

und unbändigen Neckereien, die er ihr zuflüsterte.

Wo war ihre Sehnsucht nach dem Nonnenstand geblieben?

Sie waren gerade aus einer sumpfigen Senke aufgetaucht, 


als ein Wiehern ihres Schimmelpferdes 

die Versunkenen weckte. 

Heftig warf das Tier den Kopf herum. 

Vor ihnen erstreckte sich eine weite Wiesenfläche, 


verschiedene Wege schlängelten sich über die Grasebene, 

und an einer Kreuzung dampfte eine Staubwolke.

Ho, rief Störtebeker, froh, 

von den für ihn schon eintönigen Leckereien befreit zu sein, 


und legte die Hand auf die Augen. 

Siehe, eine Truppe von Reisenden. 

Mal sehen, wen sie so früh eskortieren?

Und sogleich gab er dem müden Pferd die Sporen, 


schnaufend und schnaubend trabte der Schimmel 

auf die Kreuzung zu. Vor ein paar Balken, 

die grob und kunstlos über eine Mulde gelegt worden waren, 

hielt ein Zug berittener Schergen an. 


Sie alle trugen den blauen Brokmer-Pfeil 

auf ihren schwarzen Filzschläuchen 

und warteten nur darauf, dass der elende 

zweirädrige Reisewagen, wie er damals 


von adligen Frauen benutzt wurde, 

sicher über den Balken ratterte. 

Die Dame selbst aber wartete nicht geduldig 

auf dem harten Sitz ihres Käfigs, 


sondern hatte längst das braune Pferd 

eines der Bediensteten bestiegen, 

denn es war Eva, die Tochter des verrückten Okko, 

die, kaum aus der Obhut ihrer Mutter entlassen, 


ihrem Hang zu lustigen Streichen verfiel. 

Rittlings schwang sie sich in den Sattel, 

und da sie heute ihren knielangen roten Friesenrock 

angezogen hatte, sah der herannahende Freibeuter 


mit Vergnügen, wie die eng geschnürten Beine 

der Reiterin den Körper ihres Rosses 

geschmeidig und gut sitzend umspielten.

Sofort schoss das Blut in den Adern 


des stets erhitzten Jägers. Das ungewohnte Bild 

jugendlicher Lebenslust, bereit zu jeder Verschwendung,

verzauberte ihn, und plötzlich sah er sie 

mit weißen Beinen unter dem dunklen Mantel reiten, 


das Meerwasser an Brust und Hals herabrieseln 

und das aufgelöste Gold ihres Haares 

feucht um ihre Schultern flattern.

Kein Zweifel, der begehrliche Mann atmete schneller, 


er hatte die Schönheit schon beim Eintreten betrachtet, 

so wie er sich alle Frauen vorstellte.

Mit einem Ruck schob Störtebeker 

seinen Begleiter zur Seite, 


um den Anblick frei und ungehindert genießen zu können. 

Und in der egoistischen Meinung, dass seine Gedanken 

auch unausgesprochen von allen verstanden werden müssten,

schwenkte er heftig die Mütze zum Gruß und rief hinüber:


Courte et bonne, bist du der Wasserteufel?

Die schöne Eva aber verstand. 

Auch sie wirbelte ihre gelbe Kopfbedeckung 

durch die Morgenluft und rief mit heller Stimme:


Und du, was bist du für ein vierbeiniger Reiter?

Da beugte sich der Seemann noch weiter vor 

und tätschelte, als er nahe genug herangekommen war, 

Evas Braunen am Hals.


Lass nur, antwortete er hastig 

und wollte nur die kurze Reitkutte der Blondine berühren, 

das ist mein Diener. Ich freue mich, 

dem Zarten jede Atempause zu gönnen. 


Aber nun, du Fisch und seltener Vogel, sag mir, 

wohin geht die Reise? - Langsam löste die Brooke-Tochter 

ihre braunen Augen von dem Burschen, 

der noch immer von der Hand seines Herrn 


am Fallen gehindert wurde, 

und da sie mit dem scharfen Auge der Frauen 

sofort das wahre Geschlecht dieses Dieners 

hätte erraten können, glitt ein schelmischer Zug 


über ihr feines Antlitz, und der Zwang überkam sie, 

den frechen Reiter sofort zu züchtigen.

Nun, du Allwissender, erwiderte sie mit Spott, 

da du die Gesellschaft edler Frauen zu kennen scheinst, 


sage mir, wohin gehört eine ehrbare Hausfrau 

mit mehr Recht, wenn nicht zu ihrem Mann? 

Meiner, damit du es weißt, ist Jörg van Neß, 

und ich hoffe, er denkt immer mit Sehnsucht an mich. -


Nun, ich wollte... fiel Störtebeker aus allen Himmeln, 

der seine Wut darüber ganz offen verriet, 

weil dieser glatte Vogel aus dem Garn zu hüpfen versuchte, 

nun, ich wollte, der tiefste Grund der Hölle öffnete sich! -


Wem?, lauerte die Goldblonde, 

zutiefst befriedigt über die Wirkung ihres Geständnisses, 

und beugte sich blinzelnd vor, während sie ihre Knie 

immer höher auf den Rücken des Pferdes zog.


Aber der Riese hatte seine erste Herausforderung gemeistert. 

Und da war er auch schon dabei, 

sich über sein bürgerliches Gewissen zu mokieren. 

Seit wann machte er vor Weihwasser und Sakramenten halt? 


Bei allen Wonnen des heißen Blutes, 

und wenn diese Eva mit ihrem Heer 

statt auf dem Karren im Ehebett 

durch die Lande rollen sollte, schwor sich der Wilde, 


dass er sie noch vor den Augen ihres Nutznießers 

aus den Laken reißen würde.

So tobte die unstillbare Wut auf den alleinigen Besitz 

von allem Schönen und Sinnlichen in demselben Heiland, 


der gekommen war, um den Groll und den Neid 

der anderen zu besänftigen. In diesem Augenblick jedoch

verbeugte er sich geschmeidig im Sattel, 

winkte noch einmal mit der Mütze und griff kurzerhand 


nach den Zügeln von Evas Braunem.

So denn, sagte der Schelm, bitte ich die Hausfrau 

des Häuptlings van Neß um gute Nachbarschaft. 

Und bevor eine Antwort gegeben werden konnte, 


warf er die Hand auf. Geh, 

drück deine schwarzen Filzschläuche beiseite, 

denn ich will dir mein eigenes Geleit geben.

Überrascht, mit jenem schwebenden Lächeln, 


das mehr versprach, als es zu halten bereit war, 

und vor allem brennend neugierig, 

was sie bei ihrer Begegnung mit dem blutigen, 

sagenumwobenen Gewaltmenschen wohl erwarten würde, 


nickte die schöne Eva 

und wandte sich schon mit einer kurzen Bitte an ihre Begleiter, 

als das so verheißungsvoll begonnene Abenteuer 

unerwartet unterbrochen wurde.


Gespannt auf jedes Wort, 

das sich nicht auf das Gemeinsame bezog, 

oder besser gesagt, auf die Aufgabe, die ihr allein oblag, 

hatte Karin, immer noch in den Armen ihres Herrschers, 


dem unbeschwerten Geplänkel zugehört.

Und jetzt? Diese kaum verhüllten Scherze hier 

auf heiligem Boden! Sie fühlte sich schwindlig, 

sie wusste nicht mehr, was sie tat. 


Oh, sie vergaß sich selbst. Zu ihrem Unglück 

löste sie sich aus dem Bann 

ihres früheren bescheidenen Dienstes.

Herr, drehte sie sich zitternd um 


und legte ihre bebende Hand auf die Brust des Riesen, 

du wolltest… Beunruhigt runzelte Störtebeker die Stirn, 

sein gebeugter Arm schob die Frau von sich weg.

Was habe ich gewollt, Milon?, 


mahnte er, als wolle er seinem Gefährten raten, 

rechtzeitig innezuhalten und nachzudenken. 

Was habe ich gewollt? - Aber Karin war von dem, 

was vorausgegangen war, von den wilden Liebkosungen 


ebenso wie von der Nähe des ersehnten Ziels, 

zu sehr aus der Bahn geworfen, 

als dass sie ihr bescheidenes, unaufdringliches Wesen 

völlig verleugnet hätte. Herr, mahnte sie 


mit einer dringenden, flehenden Geste, 

was willst du hier noch länger verweilen? 

Vergiss nicht, o vergiss nicht, dass deine Flotte 

und die künftigen Siedler auf dich warten.


War es die Zurechtweisung, die er hier 

in aller Öffentlichkeit erhalten hatte, 

oder drückte die Gewissheit ihren Stachel 

tief ins Blut des herrschsüchtigen Mannes, 


dass nun auch andere an seinen Plänen 

herumschnüffeln durften? Rot vor Unmut 

warf er sich herum, und die Bewegung war so heftig, 

dass Milon leicht aus dem Sattel geworfen wurde. 


Der halbbewusste Mann war kaum in der Lage, 

sich vor dem Sturz zu bewahren. Dennoch taumelte er 

ein paar Schritte über den grasbewachsenen Boden, 

bis er schließlich auf Evas Braunen Halt fand. 


Ohne Luft und in allen Gliedern zitternd, 

lehnte er sich an den Körper des Tieres.

Hanswurst, rief Störtebeker in einem schrecklichen Ton, 

und man sah, wie seine rechte Hand vergeblich 


nach der Lederpeitsche suchte, 

will der Knecht seinen eigenen Herrn 

für Botengänge anheuern? Pack zusammen 

und tu selbst, was du so schön beschrieben hast. 


Oder, bei allen Furien, ich werde dir Beine machen.

Schon hatte der gereizte Mann die Peitsche gefunden, 

und nun, entschlossen, ihn zu züchtigen, 

schleuderte er ihn so grausam durch die Luft, 


dass Eva, von einem Schauder ergriffen, 

sich schützend über den Jungen beugen musste.

Lass los, tadelte sie den wütenden Mann, 

dessen rollende, brennende Augen sie plötzlich 


mit Entsetzen erfüllten, und sie fügte bedeutsam hinzu: 

Willst du diese zarten Knochen zerreißen?

Da hielt der Matrose auf halbem Wege inne, 

aber auch Karin erwachte; 


sie richtete einen leeren, weiten, zerrissenen Blick 

auf den Mann, der bis dahin aufrecht vor ihr herging, 

dann schüttelte sie stumm den Kopf. Und wie jemand, 

der sich für immer verirrt hat, stürmte sie plötzlich 


über Wiesen und Heide davon.

Winziger und unkenntlicher wurde der schwarze Fleck 

hinter den Ginster-braunen Wogen der Erde.

Hätte sie sich noch einmal umgedreht, hätte sie bemerkt, 


wie der Reiter, der sie gerade züchtigen wollte, 

plötzlich die Faust hob, als könne er seinen Begleiter 

mit diesem einen Griff zurückhalten 

und auf seine Seite zwingen. 


Aber die Entfernung hatte sich bereits 

zwischen sie geschoben und alles verschluckt. 

Um den Flüchtenden herum kreiste die Ebene 

in langen, jagenden Schlieren. 


Bald wirbelten Sümpfe auf sie zu, 

bald tanzten Gräben um sie herum, 

dann sprangen plötzlich wieder Dornenbüsche 

aus dem wilden Sand, bis schließlich alle möglichen Wege 


auf sie zustürzten und um die verlorene Frau kämpften.

Nach Stunden kam ein staubiger, zerrissener, 

mit Exkrementen bedeckter Junge 

auf dem großen Schiff im Hafen an. 


Hohläugig und zusammenhanglos gab er 

der Mannschaft den Befehl des Kapitäns, 

dann kroch er unter den Aufbau, 

und bald wälzte sich ein verkrampftes, fiebriges Häufchen 


auf dem Prunkbett des Bischofs. 

Immer wieder umklammerte sich ein Paar blutleerer Hände,

um Wohlstand, Segen und Vollendung 

für das Werk zu erflehen. Auf das Werk, auf das Werk, 


das sich von seinem Schöpfer trennen wollte.

Nach mehrstündigem Ritt legten 

die gebrochenen Reisenden eine Rast ein. 

Auf Wunsch ihrer Herrin waren sie 


dem nachfolgenden Paar weit voraus geritten, 

so dass sie ihre Herrin und deren Begleiter 

fast aus den Augen verloren. Nun tränkten sie 

ihre Pferde an einem der seichten Heidebäche.


Die Dienerinnen konnten ihre Herrin 

jedoch nicht entdecken, denn die beiden hatten, 

während sie ihre Pferde friedlich grasen ließen, 

ihr Lager in einer der Sandgruben aufgeschlagen, 


um sich nun auch um den Rest zu kümmern. 

Trotz des trockenen Bodens war die Mulde 

über und über mit bunten Wiesenblumen bedeckt, 

und am oberen Rand blühten Ginster und Wilddorn. 


Ein verwunschener, geheimer Ort. 

Störtebeker hatte sich lang ausgestreckt, 

er spürte die heiße Erde unter sich, 

und je stärker er atmete, desto leichter fiel es ihm, 


den blauen Himmel einzusaugen. 

Mit halb geschlossenen Wimpern blinzelte er Eva an, 

die nicht weit entfernt saß. 

Sie flocht einen langen Kranz aus Marias Blumen. 


Doch sobald sie ihre braunen Augen 

über den scheinbar ruhenden Mann schweifen ließ, 

glitt ein spöttisches Lächeln um den herrischen Mund 

des Riesen, denn seine Ungeduld berechnete 


bereits den Moment, in dem seine Wünsche 

erfüllt werden würden. Hier, 

an diesem eigens geschaffenen Ort, musste das Fieber, 

das ihn so oft befallen hatte, gelöscht werden, 


sonst wäre es schändlich gewesen, 

seinen treuen Milon 

mit der Peitsche von seiner Seite zu vertreiben.

Als der Junge zu sich kam, 


schlug er seine schwarzen Augen auf, 

er schüttelte sich, und eine verwirrte, 

unbestimmte Rachsucht ergriff ihn, 

als ob der Sturz dieses nahen Menschen 


die schuldige Genugtuung für den anderen wäre. 

Und ohne sich von irgendetwas zurückhalten zu lassen, 

richtete er sich auf und stürzte wie eine große Schlange 

auf seine Gefährtin zu. Sie sah ihm erstaunt nach.


Hast du keine Angst?, erkundigte er sich, 

als er Eva erreicht hatte 

und stützte sich mit beiden Armen 

über der zusammengesunkenen Frau ab. 


Du kennst doch die Lieder, die man über mich singt? 

Mit schönen Frauen, die mir gefallen, scherz ich nicht lang.

Die Brooke-Tochter bewegte sich kaum, 

und während jenes schelmische Lächeln ihren Mund zierte, 


das ihren Unterdrücker stets zu Wahnsinn 

und Gewalttätigkeit reizte, warf sie 

dem geneigten Mann lässig 

ihre Blumenkette um den Hals.


Gewiss, du langer Mann, sprach sie achtlos, 

von dir wird mir nichts geschehen.

Doch Störtebeker hielt sich nur mit Mühe zurück.

Du kannst dich leicht irren, erwiderte er gepresst, 


und es klang wie das dumpfe Gemurmel 

vor einem Gewitter, was sollte mich hindern?

Da geschah das, was selbst den eigensinnigsten 

und herrschsüchtigsten Mann 


auf halbem Wege zum Stillstand bringt. 

Es war eine kleine Hand, die zuerst 

neckisch an der Blumenkette zerrte, 

bis sie ihm unerwartet einen leichten Schlag 


auf die Wange versetzte. Doch die Augen 

des Seeräuberfürsten brannten, 

tausend ungezügelte Stimmen schrien in ihm auf, 

die Züchtigung, und sei sie auch nur 


eine spielerisch eingebildete, trieb 

den Ungezähmten in einen Rausch.

Mit einem Mal spürte er einen sich windenden Frauenkörper 

in seinen Armen, er wollte ihn schonen, 


um sich umso ungestörter 

an seiner Beute erfreuen zu können, 

aber vergebens, sie glitt ihm wie ein Wiesel unter die Arme, 

und im nächsten Moment ging ein heller Schrei 


über die Ebene vom Rand des Hügels, 

auf den die Kurzröcke gesprungen waren.

Die Dienerschaft antwortete schon von weitem.

Merk dir das, du leichtsinniger Narr, 


sagte Eva unterdessen strafend, obwohl 

ihre blitzenden Augen 

und ihre schnell zuckende Brust 

mildere Dinge verhießen. 


Weißt du nicht, dass jeder, der die Ehre 

eines Friesen verletzt, mit dem Tod 

vor dem Upstalsboom bestraft wird? 

Auch wir, ihr Schuimer, scherzen hier nicht. 


Außerdem, ich bin eine Fürstentochter. 

Was würde mit dem neu erworbenen Land 

und euren Siedlern geschehen, 

wenn deine Missetat öffentlich bekannt würde? 


Bezweifelst du, dass die Schlossherren, 

meine Freunde und Vettern, froh, 

eine Ausweichmöglichkeit gefunden zu haben, 

sich auf eure kleine Bande stürzen würden, 


um die Gefährlichen wieder zu verjagen? 

Warum hast du auch so unklug gehandelt, 

das Meer zu verlassen, wo du ein Mächtiger warst, 

fürstlicher als alle Tyrannen hier in der Runde?


Als die wohlüberlegten Worte auf den Gescholtenen fielen, 

wurde der Mantel der Wollust und Üppigkeit, 

mit dem der Seemann diese junge Frau 

für einzigartig gekleidet hielt, zerrissen. 


Denn der Weltweise erkannte, 

wie hinter der goldenen Stirn, verborgen, 

aber bereits geformt, Absichten und Pläne wuchsen, 

die seiner Verwandlung der Erde feindlich gegenüberstanden. 


Der scharfäugige Mann ahnte deutlich, 

dass hier ein subtiler Eigennutz am Werk war, 

der, wie überall auf der verunstalteten Erde, 

die Not anderer ausnutzen wollte.


Da lachte Störtebeker über seine törichte Verblendung 

und sprang mit einem Satz, geheilt, neben die Reiterin.

Doch sie schenkte ihm keine weitere Beachtung. 

Vielleicht hatte sie die Gewohnheit gelehrt, 


dass es keiner stärkeren Fesseln 

als der von Blumen bedurfte, 

um einen so üppigen Jäger hinter sich herzuziehen, 

aber auf jeden Fall warf sie sich rittlings auf ihr braunes Pferd,


ohne auch nur einen Blick auf ihren Begleiter zu werfen, 

und ritt dann in schneller Flucht davon. 

Und doch glaubte der nachfolgende Freibeuter, 

der schlanke, feine goldene Kopf 


unter der gelben Lederkappe habe ihm 

einen gewissen, nicht misszuverstehenden Wink gegeben. 

Dann knallte Störtebeker während der nun 

einsetzenden Verfolgungsjagd fröhlich und kraftvoll 


mit seiner Lederpeitsche durch die Luft. 

Eine solche Pirsch war ganz nach seinem Geschmack. 

Er wusste, worauf er aus war. 

Der flatternde Rotmantel vor ihm mochte nur denken, 


dass er den Narrenstrick in der Kinderhand hielt, 

aber was kümmerte ihn, den Schicksalsveränderer, 

ein solches Bündel altbekannter Reize wirklich? 

Nur der Fang spannte seine Geister an, 


sie alle mussten ihm dienen, 

die Grenzenlosigkeit, das Abgründige des Besitzes allein

garantierte ihm in dunkler Vorahnung 

die Wahrheit seiner Mission.


Trotz alledem! rief er plötzlich, 

voll stürmischer Wildheit, während der Heidepfad 

unter ihm dröhnte und er beide Arme 

gegen den silbernen Himmel warf. 


Das war der Schildspruch, den sein Lehrer Wichmann 

ihm einst gegeben hatte: Trotz alledem!

Da drehte Eva, die vor ihm herflog, 

zum ersten Mal ihren Kopf ein wenig zur Seite.


Im Hof von Neß drehte sich seine Führerin um, 

um ihren Gast unter dem quadratischen Hauseingang 

zu betrachten. Komm, sagte sie kurz, 

damit ich dich führen kann.


Leicht bürstete sie den Staub von ihrem Überrock, 

dann ging sie ihm eine dunkle Treppe hinauf. 

Sie mussten sich in einem turmartigen Gebäude befinden, 

denn die Stufen schlängelten sich im Kreis 


und wurden immer enger und ausgetretener. 

Eine träge, klebrige Dunkelheit quoll ihnen entgegen 

und drückte ihren Atem nieder. Aber im Kopf 

des Schuimers regte sich eine ganz bestimmte Erwartung. 


Jeden Augenblick glaubte er, eine Hand 

würde die seine ertasten und dann irgendwo 

eine Tür aufstoßen, wo ihm die ersehnte 

Gastfreundschaft zuteil werden würde.


Allein seine Sinne strengten sich vergeblich an. 

Noch immer hörte er die hellen, flinken Schritte über sich, 

die Dunkelheit schien sich mit ihnen zu drehen 

und atmete eine feuchte Kälte aus.


Doch da endete die Treppe, ein ebener Gang oder Saal 

musste erreicht sein, denn plötzlich spürte der Gast 

seine Führerin dicht neben sich. Wieder streichelte sie 

ihm über das Gesicht und flüsterte:


Warte! Dann entfernten sich ihre Schritte, 

und der Fremde stand allein da, verschlungen 

von dem Schlund der Schwärze. 

Einen Augenblick lang befürchtete der einsame Mann, 


dass seine Wirtin ihm hier eine Falle gestellt haben könnte; 

ja, ihn, der zur Untätigkeit verdammt war, 

beschlich der Verdacht, dass die wilde, glorreiche Jagd 

nach allem Unerreichbaren in dieser Ecke 


ein Ende gefunden haben könnte. 

Doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, 

ließ ihn sein unerschöpfliches Vertrauen in seinen Stern 

alle derartigen Einwände hinter sich werfen. 


Und jetzt, nein, wirklich, ganz in seiner Nähe, 

nur gedämpft durch eine geschlossene Tür, 

vernahm er ein seltsames Grunzen, 

wie wenn sich ein Schwein über dem Trog wohl fühlt, 


und bald gesellte sich das feine Lachen von Eva dazu.

Störtebeker schoss das Blut ins Gesicht. 

Sein Jähzorn flößte ihm giftig ein, 

dass er wohl selbst die Ursache des heimlichen Vergnügens 


seiner Schönheit war, er, der gefürchtete Herrscher 

mit der schwarzen Fahne, der als getäuschter Mann, 

als demütiger Kellner 

vor der Tür einer listigen Frau lauerte.


Mit einem Sprung stürzte der Unbeherrschte 

in die Dunkelheit, und tatsächlich, 

seine geballte Faust traf dröhnend auf Holz und Planke.

Das wirst du mir büßen, du Hexe!, 


schrie der gereizte Mann, keuchend vor Wut 

und ohne sich darum zu kümmern, wer ihn hören könnte. 

Bei den Hörnern Satans, 

ich werde es in dich hinein trinken. 


Das Gewölbe über ihm hallte schallend zurück.

Doch dann stand der Seeräuber wie geblendet still. 

Unmerklich hatte sich eine niedrige Tür vor ihm aufgeschoben,

und der Anblick, der sich ihm nun bot, 


traf den Eindringling so unerwartet, 

dass er in einem plötzlichen Umschwung 

eine rohe Lachlust kaum bezwingen konnte. 

Wahrlich, Störtebeker klopfte sich auf die Brust, 


als müsse er den Spuk und die Augentäuschung 

unbedingt verscheuchen, dort drinnen, 

in dem kreisrunden Loch im Turm, 

unter allerlei verworrenen Messtischen, 


die nach der Torheit der Zeit dazu bestimmt waren, 

den Sternen ihre Geheimnisse zu entlocken, 

hockte auf einem niedrigen Dreistuhl 

ein Wulst von Speck und Fett, 


der sich gerade mühsam drehte. 

Es war der Häuptling Jörg van Neß, ein Mann, 

den selbst seine besten Freunde das Ferkel nannten. 

Seine menschliche Gestalt blieb fragwürdig. 


Kleine, triefende Schlitzaugen, 

eine monströse, weit vorspringende Schnauze 

und ein ebenso heftig vorspringendes Kinn 

gaben dem kurzbeinigen Fettklumpen in der Tat 


etwas von einem stämmigen Biest. 

Und es bedurfte nicht seiner grunzenden Stimme 

und der blonden Stacheln auf seinem flachen Kopf, 

um die unheimliche Ähnlichkeit zu vervollständigen.


Und das sollte der Ehemann der schönen Eva sein?

Störtebeker blieb mit offenem Mund 

und dem ganzen beleidigenden Unglauben 

eines von der Natur Gesegneten 


über die Tür gebeugt und starrte auf dieses Wunder, 

um bald eine Erklärung von der goldhaarigen Frau 

zu bekommen. Doch als er die junge Frau dabei ertappte, 

wie sie die kurzen Borsten des grunzenden Mannes zerzauste 


und dem Freibeuter hinter dem Rücken des Dicken 

schnippisch zunickte, löste sich 

die unermessliche Verstrickung des Geplagten 

endlich in einem langen, wilden Lachen. 


Sogar Herr Jörg, der gerade zur Begrüßung 

heran gewatschelt war, stieß ein zustimmendes Grunzen aus, 

und auch die Schlossherrin schloss sich 

der großen Heiterkeit an. Aber ihre Lippen zuckten 


wie bei jemandem, der das Ende kennt.

Sie allein kannte den Anfang.

Von ihrer eigenen Mutter, der Quade Gunda, 

mit diesem gemästeten Ungeheuer verkuppelt, 


sollte die heitere Lebensfreude der Jungfrau 

bald in Düsternis und Elend ersticken, 

wie es ihr Peiniger beabsichtigte. 

Doch diesmal erwiesen sich die Berechnungen der Quade 


als trügerisch. Da das Ferkel nur nachts 

auf der Sternenwiese weidete, 

stellte es keinerlei Ansprüche an seine irdische Gefährtin; 

ja, es geschah bald, dass Eva mehrmals am Tag 


in die Turmzelle ihres Mannes hinaufsprang, 

um ihm mit Genugtuung die Wünsche und Versuchungen 

ihrer jungen Verehrer zu offenbaren. 

Und während ihre kleine Hand 


das gemütlich grunzende Ferkel streichelte 

oder sein kurzes, borstiges Haar spöttisch kräuselte, 

hörte man oft, wie die beiden in unbändige Heiterkeit 

über ein entstehendes Liebespaar ausbrachen. 


Frau Eva behielt das Ferkel, so wie vornehme Damen 

ihrer Zeit so manches missgestaltete Geschöpf 

in ihrer Umgebung fütterten, und so hatte sich 

zwischen den Eheleuten allmählich die Vertrautheit 


guter Geschwister entwickelt, die beide Seiten befriedigte.

Auch der Klumpen muss zuvor einen ausführlichen Bericht 

über den Piraten gehört haben, denn während er ihn 

schnaufend und blasend begrüßte, blinzelte er 


aus seinen schräg stehenden Schlitzaugen 

fast mitleidig zu dem Riesen auf. Fast schien es, 

als bedauere der weise Mann seinen ungewöhnlichen Gast 

im Voraus. Doch dann erinnerte sich der Herr des Hauses 


an seine dunklen Künste, oder vielleicht an das, 

was ihm gerade in den flachen Schädel geblasen worden war.

Geheimnisvoll hüllte er sich in sein grünes Kleid 

und schüttelte ernsthaft den Kopf.


Du gehst zu weit, vertraute er seinem Besucher an. 

Zuckend und feucht bebte sein Rumpf dabei.

So ist es, nickte Störtebeker, immer noch unfähig, 

sich selbst zu begreifen, obwohl er seinen Blick 


mehr auf die Schlossherrin 

als auf den Klumpen gerichtet hatte, 

ich messe sieben Schuhe. -

Das ist es nicht, murmelte das Schweinchen mahnend. 


Dann ergriff er eine durch allerlei Striche und Zeichen 

geteilte Stange und hielt sie schräg gegen den Fremden, 

so dass die Sonne einen schwarzen Strahl 

über den Seeräuber malte. Du überschreitest die Grenze,


wiederholte er hartnäckig. Verflucht, 

warf Störtebeker munter ein und schlug den Pfahl frisch an, 

ich werde mein Begehren auch nicht messen, 

selbst wenn es bis zum Mond wachsen würde.


Rasch tauschte er einen Blick mit Eva, 

die noch immer hinter der Lehne eines Stuhles stand, 

und so frech und gefräßig flackerte seine Flamme wieder, 

dass er nicht bemerkte, wie dem Ferkel 


dieser heimliche Dialog gar nicht entging.

Vom Bösen, sagte der Mann mit den glasigen Augen, 

der sich nun seiner Sache sicher war. 

Einem jeden wurde sein Maß gegeben. 


Der weise Mann zählt die Regentropfen. 

Hör zu, du magst ein langbeiniger Bursche sein 

und auf der Erde laut wüten, aber weißt du, 

was für dich im Himmel geschrieben steht? -


Meine Seele, versicherte Störtebeker, 

der sich nun ungebeten auf eine Ecke des Herdes setzte, 

denn das Geschwätz des Dicken wurde ihm lästig, 

lass mich die Erde in Ordnung bringen, 


und wenn du unterdessen deine Frau herbeirufst, 

um mir einen Morgenimbiss zu servieren, 

so will ich dir Jupiter, Saturn 

und die beiden Dioskuren ohne weiteres verkaufen. -


Mach dich nicht über die Ewigen Wächter lustig, 

brummte der Klotz und hielt seinen Stab nun prüfend 

gegen das Fenster und direkt ins Sonnenlicht. 

Eva mag deinen Hunger und Durst stillen, wie es ihr beliebt. 


Ich werde ihr nichts verweigern. Sie ist frei. 

Denn alles, was geschieht, entspringt ohnehin 

dem Nebel des Lichts, der für jeden von uns gewogen 

und gezählt im Unendlichen schwebt. 


Eva mag dir das Nachtlager bereiten, 

und du wirst es nicht anders machen, mein Freund, 

als die Staubkörner, die gebieterisch über dir 

und in dir tanzen. Geh und versuche es.


Diese Gelassenheit überkam selbst 

den unbekümmerten Gewaltmenschen. 

Er sprang geräuschvoll vom Herd, 

und sein Erstaunen wuchs, 


als die Züge der goldhaarigen Frau 

triumphierend aufblitzten. 

Mühsam riss er sich zusammen, verbeugte sich 

und warf sich trotzig und wie zum Abschied zu Boden:


Nun, Jörg van Neß, ich nehme deine Gastfreundschaft an 

und hoffe, dass meine Staubkörner 

unter der Obhut deiner Frau gedeihen werden. -

Jeder muss auf das hoffen, was ihm bestimmt ist, 


sagte das Schweinchen düster.

Ruhig ließ der Geisterbeschwörer 

seinen Besucher zum Ausgang gehen, 

doch gerade als sich die ritterliche Gestalt 


unter dem niedrigen Tor hindurch beugen wollte, 

scharrte der Klotz, der sich inzwischen wieder 

auf den Dreistuhl gezwängt hatte, mit dem Fuß 

über ein Pergament, das auf dem Boden herumlag, 


so dass ein trockenes Rascheln zu hören war.

Nimm das mit, du übermütiger Tobsüchtiger im Käfig, 

grunzte er gleichgültig, ein Bote 

von unserer lieben Mutter Gunda hat es heute gebracht. 


Vielleicht siehst du daran, wie das Unsichtbare 

auf Erden uns immer verfolgt. Hier, 

er bückte sich und reichte seiner Hausfrau keuchend das Blatt,

das ist nur eine Hornisse aus dem großen Schwarm, 


schnarchte er schläfrig und sank in sein Fett.

Was für ein Lappen?, gab Störtebeker herrisch zurück.

Und Eva las. Es war eine Depesche der Hansestädte 

an die ostfriesischen Häuptlinge, 


eine freundliche Ermahnung, aber viel eher 

eine düstere Drohung, indem den edlen Junkern, 

Enno, Abdena, Beninga, Cankena, Neß, Broke 

und der Propstei Hisko van Emden 


auf das maßvollste verboten wurde, 

mit den Vitalienbrüdern, den Likedeelern, jenen Schwärmen 

und Beulen auf den Leibern der Handelsvölker, 

irgendeinen Verkehr zu haben. 


Und mit heller Stimme, fast jubelnd, verkündete Eva, 

während Störtebeker ihr amüsiert über die Schulter schaute, 

das Ergebnis: Aber von allen Abtrünnigen, 

von allen gotteslästerlichen Schurken, 


die jemals den Frieden, die Ruhe und die Ordnung 

in Stadt und Land gestört haben, ist Störtebeker 

sicher der verkommenste und wird der Strafe 

der Verdammnis nicht entgehen. -


Das wird er sicher nicht, unterbrach Eva schadenfroh 

und versuchte, denjenigen, der neben ihr stand, 

an einer seiner Locken zu zerren. Dann fuhr sie fort:

Es ist uns aber zu Ohren gekommen, 


dass dieser friedlose Übeltäter, 

nachdem er das Ostmeer durch Mord rot gefärbt 

und auch gestohlen und gebrandschatzt hat, wo er nur konnte, 

nun unter euch das lügnerische Gerücht verbreitet, 


er wolle eine Bruderschaft gründen, 

wie es selbst unserem Seligmacher 

Jesus Christus nicht gelungen ist. -

Hier stockte die goldhaarige Frau wieder, 


biss sich auf die Lippen und schüttelte unzufrieden den Kopf, 

bis sie endlich aufmerksamer weiter las:

Damit dieser neue Frevel gegen die Obrigkeit 

und die schuldige Demut nicht reife, 


aber auch damit der gemeine Kaufmann 

seine Ware weiterhin sicher über das Meer bringe, 

wird hiermit den Edlen der Friesen empfohlen, 

zu ihrem eigenen Nutzen und ihrer Frömmigkeit 


mit Ernst und ernster Sorge die räuberischen Gesellen 

ohne Zögern aus dem Lande zu jagen, 

ihnen Schlösser und Häfen zu verschließen, 

ihren Anführer aber zu ergreifen 


und ihn nach einem Strafgericht 

gnädig vom Leben zum Tode zu befördern. 

Sollte dies aber nicht geschehen, so werden die Hansestädte 

ihre ganze Macht einsetzen, um mit Hilfe des Himmels 


dem Schwärmen in euren Ländern ein Ende zu bereiten. 

Die Urkunde war unterschrieben mit Tschokke, 

erster Schöffe von Hamburg; darunter hing 

das schiffsgeschmückte Siegel der Stadt.


Störtebeker spießte das Manifest mit dem Schürhaken auf 

und warf es ins Feuer. Auf Schloss Neß 

wurde der Schuimer wie ein Fürst behandelt. 

Eva ließ ihm ein duftendes Bad bereiten, 


Knechte und Mägde bedienten ihn, 

frische Wäsche wurde dem Gast gereicht, 

und wer im Badezimmer laut sang, 

hörte immer die Hausfrau unweit der verschlossenen Tür 


sich bewegen. Diese Nähe bestärkte ihn 

in seinen wilden Absichten. Doch bald bemerkte er, 

wie die sanfte Tochter der Quade 

mit ihrem zweideutigen Lächeln darauf bedacht war, 


ihn zu necken und dem gewalttätigen Mann 

mit allerlei Schmeicheleien und trügerischer Höflichkeit 

die Hände zu binden. Ja, manchmal blitzte es 

in den Gedanken des Riesen auf, als ob das alles nur 


zur Belustigung des abwesenden Ferkels geschah. 

Eva saß während des Mittagsmahls neben ihrem Gast 

an der Seite des Hausherrn, aber der lange Saal 

war mit so vielen Dienern, Köchen, Mundschenken,


Spießgesellen gefüllt, dass jedes vertrauliche Wort 

verloren ging, und Störtebeker, 

nachdem er Tasse um Tasse hinunter geschüttet hatte, 

rebellierte plötzlich: Du Schönste, glaubst du, 


ich sei einer der beiden fresssüchtigen Päpste 

oder König Wenzel, der Hundezüchter, 

dass du so bunt geschmückte Pfauen vor mir auslegst? 

Und doch wisse, dass ich auf andere Speisen eingestellt bin.


Man erzählte sich damals, dass König Wenzel 

seine erste Frau eines Nachts 

von seinen wilden Hunden in Stücke reißen ließ.

Du könntest mehr sein, als du bist, 


antwortete die goldhaarige Frau und trat zur Seite.

Der Schuimer verstand dies nicht. 

Dann lass mich gehen, fuhr er wütend von seinem Stuhl auf.

Bleib, flüsterte Eva hinter ihrer Hand.


Da konnte sich der begehrliche Mann nicht mehr losreißen.

Am Abend fand auf Schloss Neß ein Festessen statt. 

Im Vorbeigehen waren Propst Hisko van Emden 

und Evas temperamentvollster Verehrer, der junge Allena, 


auf dem Fest eingetroffen, und nun saßen die Männer 

gemeinsam im langen Saal hinter den Weinkrügen 

und ließen abwechselnd den unsichtbaren Gastgeber 

und noch öfter die Schlossherrin zu Wort kommen, 


die sich so sehr um den Durst ihrer Gäste sorgte, 

und inmitten von Würfeln, Lärm 

und schelmischen Liedern wussten sie allerlei 

über die Angelegenheiten des Königreichs zu erzählen, 


das nun aus den Fugen zu geraten drohte.

Weißt du, mein Lieber, legte der Probst weinerlich 

seinen Arm um den Hals des Matrosen und brachte 

seine wulstigen Lippen dicht an das Ohr seines Gefährten, 


wir sind dabei, den Prager Judenmetzger 

in die Moldau zu werfen. Wir werden ihn verjagen. 

Kann auch in einem Weinfass Buße tun. 

Nimm dich in Acht, bald springt der Pfälzer auf seinen Stuhl. 


Es schlägt eine glückliche Stunde 

für tapfere Schwertkämpfer wie dich. 

Wie mancher Mann ist nicht unter einem Federhut ausgeritten 

und mit einer Krone heimgekommen. 


Was sagst du, Siebenschuhhoch? 

Wir könnten den Handel selbst abwickeln!

Störtebeker stieß den allzu vertraulichen Mann 

missmutig zurück, weil er Grimm in sich aufkochen fühlte, 


weil er Allena sah, der seiner amüsierten Wirtin 

seine verrückten Geständnisse zuflüsterte.

Hör auf mit dem Gefasel, Hochwürden, 

zischte er wütend und zerdrückte fast den Silberbecher 


in seiner Faust, mein Reich liegt 

auf einem weichen Frauenkörper, 

und mein Ehrgeiz sucht Nahrung für leere Münder.

Als der stattliche Mann erneut 


die Hungrigen erwähnte, warf Eva 

dem Riesen einen offen feindseligen Blick zu, 

doch der Probst brach in ein unvernünftiges Lachen aus. 

Sein Körper zuckte. Er verschluckte sich fast.


Du Schelm, schnaubte er 

und stieß dem Freibeuter die Faust fest in die Rippen, 

da wir hier in Liebe und Frieden beisammen sitzen, 

verrate uns doch, welch ein lukratives Gaunerspiel 


du hinter deinem wilden Gerede versteckst? 

Jedes Kind weiß, dass Reichtum und Völlerei 

ebenso ewig bestimmt sind wie das Knurren 

der Gedärme und die Eingeweide des Hungers.


Der Priester ahnte kaum, 

dass nichts Störtebeker so sehr beunruhigte, 

so tief rührte, wie der Spott über jenes nackte Elend, 

das sich seine Phantasie in jahrelanger grausiger Arbeit 


als ein düsteres Feld vorgestellt hatte, 

über das nackte Menschen 

steinerne Lasten auf Hals und Schultern 

in eine hoffnungslose Ferne schleppen, 


während Arme und Beine der Träger bereits verrotten.

Der Riese sprang auf, sein herrischer Mund bebte, 

als er an seine Jugend dachte, und in plötzlicher Wut 

schlug er nach dem Weinkrug, 


so dass dieser umkippte und seinen Inhalt verschüttete.

Wehe euch, rief er und maß jeden seiner Kameraden 

in tödlicher Fremdheit, 

denn in diesem Augenblick wurde ihm klar, 


dass die Binsenweisheit der schwarzen Fahnen 

sein eigenes Schicksal tatsächlich 

bis zum Rande erfüllte. Feind der ganzen Welt, 

hüte dich, es ist nicht gut für dich, 


den bösen Geist in mir gegen dich zu wecken, 

der du nichts anderes kannst als feiern und tanzen.

Das viele vergossene Blut seines Lebens 

sprang vor ihm auf dem Tisch 


in roten, zuckenden Flammen. 

Es wurde furchtbar still um den Tisch.

Und gerade jetzt will ich tanzen, 

verkündete Evas helle, neckische Stimme plötzlich.


Unerschrocken, nur darauf bedacht, 

die Spannung bis zum Äußersten zu steigern, 

ergriff die goldhaarige Frau 

unerwartet den umgestoßenen Krug, 


und indem sie ihn dem Seemann 

spöttisch entgegenstreckte, begann 

die Geschmeidige zum Erstaunen aller 

einen zierlichen Kreis in der Mitte des Saales zu drehen. 


Die Augen der Zuschauer weiteten sich, 

und für eine Weile war jedes Wort 

und jede Bewegung der Männer 

durch den seltenen Anblick gelähmt. 


Dies war nicht der schwerfällige Reigen, 

der im Brokmerland üblich war. 

Nein, nur der starrende Störtebeker wusste, 

dass nur hellenische Künstler 


ihre berauschten Nymphen 

auf schwarzen Vasen so zu formen pflegten, 

den Krug auf der Schulter, 

den Körper zurückgeworfen.


Dann brach plötzlich donnernder Beifall aus. 

Der Probst schlug mit den Fäusten auf den Tisch, 

Allena schleuderte seinen Becher durch die Luft, 

aber Störtebeker, von einem Wirbel 


in den andern gejagt, durch listige Berechnung 

vom Eis in die kochende Hitze gerissen, 

und vor allem unfähig, irgendwo eine Grenze 

für sich zu dulden, machte den Anschein, 


als ob er den Tisch umstürzen wollte, 

um mit zitternden Fäusten, 

gleichgültig gegen alle Zeugen, 

diese flinke Beute zu ergreifen.


Sachte, sachte, mein Freund, lallte der Probst 

und drückte den Bewusstlosen gewaltsam an sich. 

Ich rate dir, dein hungriges Reich zu meiden 

und Herrn Jörg, den Tanz und den Wein 


hier regieren zu lassen. Hört ihr?

In diesem Augenblick aber hielt auch Frau Eva inne, 

holte Luft, stellte ihren Krug auf den Boden, 

verbeugte sich dankbar vor dem Probst, 


und während sie ein paar Mägde zu sich winkte, 

sprach sie mit kaum verhohlener Zufriedenheit:

Es ist Mitternacht, meine Herren. 

Sucht nun leise euer Lager auf, 


damit ihr meinen Mann nicht stört. 

Denn sein Tagwerk beginnt erst, wenn wir anderen ruhen. 

Und, vor Übermut aufblitzend, fügte sie hinzu: 

Und träume jeder von dem, was er sich wünscht. -


Ach, verdammt noch mal, brummte der Emder 

hinter der schnell verschwindenden Frau 

und lockerte bereits seinen Gürtel. 

Soll man nicht einmal im Traum seine Ruhe finden? 


Komm, mein Lieber.

Damit wollte der weingetränkte Mann 

seinen Arm unter den des Seemanns schieben, 

aber Störtebeker stieß ihn zurück, 


so dass das Opfer in Allenas Arme taumelte, 

und die beiden Zurückgebliebenen mussten 

mit offenem Mund zusehen, wie der Riese 

wie ein Orkan aus der Halle fuhr, 


ohne sich zu verabschieden. 

Bald darauf verkündeten Hufschläge, 

dass ein Reiter trotz der Nacht 

und der fehlenden Wege seinen Weg suchte.


Propst Hisko strich sich verwirrt 

über die niedrige Stirn, dann, 

nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, 

sagte er gähnend: Der Kerl heißt zu Recht Schuimer. 


Wer weiß, wie lange seine Welle noch anhält? 

Wir wollen nicht ganz mit den Hanseaten brechen, 

Allena. Vorsicht ist ein sicherer Hühnerstall.

Über der nächtlichen Heide flackerte 


der weite Sternenhimmel, die Meeresbrise 

kroch summend durch das kurze Gestrüpp, 

und im Mondlicht wanderte der unmäßig 

verlängerte Schatten von Tier und Mensch 


seitlich neben dem trabenden Mann. 

Eine gespannte Stille bemühte sich, 

ihr Geheimnis in das Ohr des einsamen Mannes zu flüstern. 

Aber Störtebeker war mit dieser Sprache längst vertraut. 


Befreit lauschte er dem Atem der Weite, 

und als er den Geruch der Erde spürte, 

als die feuchten Nebel der Moore 

um ihn herum aufstiegen, brannte 


eine unerklärliche Sehnsucht in ihm, 

und ein wahnsinniges Verlangen ergriff 

den ungestümen Mann, sich mit dieser Erde zu vermählen, 

alle seine Wurzeln tief in sie hineinzustecken, 


um auf ihr zu blühen wie ein Baum. 

Unsichtbar, sichtbar erhoben sich vor ihm 

künftige Häuser und Gehöfte 

aus schwarzen, bläulich schimmernden Torfböden, 


er hörte Menschen aus der Leere singen, 

erkannte das Brummen von gesättigtem Vieh, 

und weit hinten in der Schwärze verlor sich 

das Stöhnen zusammenbrechender Körper, 


das bis jetzt immer den Unterton 

in der rasenden Musik seines Lebens geseufzt hatte.

Wie leicht war verzehrt, was er eben noch 

der Gier und Lust hatte entreißen wollen, 


nur die Ausdehnung für die versprochene Dauer, 

nur um alle Leben zugleich gelebt zu haben, 

was, ja, was allein sättigte, was befriedigte.

Das war die glücklichste Stunde des Gewaltmenschen. 


Traum und Erfüllung hielt er zu gleichen Teilen 

in seiner rechten und in seiner linken Hand. 

Mit einem Ruck zügelte er sein Pferd, 

warf sich weit zurück, so dass alle Sterne 


ihm standhalten mussten, hob die Faust 

gegen den brennenden Strudel, und schrie heiser 

vor Inbrunst in die immer tiefer werdende Gasse:

Lauert nur, blinzelt aus tausend zornigen Augen, 


ihr könnt den Samen nicht mehr aus meiner Brust reißen. 

Er wird sprießen, trotz euch, gegen euch!

Gegen Morgen zog er sein Tier hinter sich her 

zur Warf der Brokeburg. Gunda hockte 


in ihrem grauen Faltenkleid 

auf einer Steinbank im Hof 

und fuhr mit ihren Spinnenfingern eifrig 

über die breiten Zeilen des Hamburger Manifests. 


Doch kaum erblickte sie den abgetriebenen Reiter, 

als ein giftig-süßer Glanz über das blutleere Gesicht 

der Frau strich, und sie stopfte das Pergament in ihre Tasche, 

als müsse sie einen köstlichen Schatz vergraben.


Nun, fragte sie mit ihrer harten Stimme, 

bringst du mir Grüße von Eva, Mann?

Doch Störtebeker antwortete nicht. 

Sein Blick hatte vom Hügel aus den Hafen getroffen, 


und siehe da, dort unten in der schmalen Rinne 

lag ein Schiff nach dem anderen, 

eine Allee von Masten hatte sich gebildet, 

und überall flatterten die schwarzen Wimpel 


in den frühen Morgen. Nun, sagte Gunda, 

ohne sich zu rühren, die Deinen sind gekommen. 

Und hier im Schloss wartet dein Diener, 

dein Knappe, fügte sie mit Gefühl hinzu.


Der Riese stand immer noch sprachlos neben ihr. 

Nur seine Brust dehnte sich weiter, höher, 

bis sie aufbrach. Dort unten sein Schwert, 

sein Pflug, seine Werkzeuge. Hier oben die Schale, 


in die er seine Gedanken gegossen hatte, 

und weit herum unter der Dämmerung 

die Zukunfts-dampfende Erde.

Mächtig breitete er die Arme aus, 


und trunken vor Glück umarmte er im Tonfall 

des Bräutigams endlich das Unverschleierte und jubelte:

Mein, mein! Die See ist mein, ich gehöre der See,

Das Meer ist meine Braut und Herrscherin!




ACHTZEHNTES ABENTEUER


Der Herbst war schon weit in den Oktober vorgedrungen. 

Aber das Meer trug mit der Flut 

einen Südwind gegen die Sümpfe, 

die für die neuen Siedler seltsam 


nach fremden Blumen und würzigen Kräutern rochen, 

und tief unter dem hellen Himmel 

strömte Milde und Wärme.

Hungrig öffneten sich die Schollen, um sie aufzunehmen.


Etwa eine Viertelmeile von Brokeburg entfernt 

hämmerten fleißig Hämmer. Dort hatte 

der Ire Patrick O'Shallo auf einem Wiesenvorsprung 

hinter ein paar einsamen Pappeln 


ein notdürftiges Bretterhaus errichtet. 

Nur notdürftig und oben mit Moos und Schindeln bedeckt. 

Denn der umherziehende Geselle 

kannte noch nicht die Gewalt des Schneesturms, 


wenn er über die schutzlose Ebene fegt. 

Nun hämmerte der sangesfreudige Bursche 

schnell und ungeduldig an einem hölzernen Zaun, 

damit er sein künftiges Gärtchen schützen konnte. 


Schließlich waren die Hühner und Ziegen 

seines Nachbarn, des Hebräers Jakob, 

schon oft in die abgesteckten Beete eingebrochen, 

und das wollte der leicht erhitzte Ire nicht dulden. 


Außerdem sehnte sich der blonde Mann 

Tag und Nacht nach einer Frau 

und einem Mann, kurzum nach Wesen, 

die ihm einen Teil seiner Arbeit abnehmen konnten. 


Das bedeutete aber auch, dass sein Anwesen, 

das ihm durch die Güte dieses mächtigen Führers 

auf unbegreifliche Weise zugewiesen worden war, 

nicht dem Zugriff jedes Störenfrieds ausgesetzt sein sollte. 


Und so begnügte sich Patrick O'Shallo 

keineswegs mit dem Gartenzaun, 

sondern beabsichtigte, nach und nach 

das gesamte Anwesen durch Buschwerk abzugrenzen. 


Was er mit seinem sauren Schweiß kultivierte, 

brauchte nicht immer den arbeitswütigen Juden, 

der es anzapfte, der wie besessen und wie verfolgt 

bis in die Nacht hinein pflügte, streute und wühlte, 


wenn er nicht gerade wie ein Wurm durch die Erde kroch.

Seltsamerweise wusste der lustige Kerl auch nicht, 

wie das geschah, aber er konnte die unablässige Arbeit 

seines Nachbarn nicht mit ansehen, ohne zu murren 


und sich zu ärgern. Und seine Vorliebe 

für Vergnügungen, Spiele oder Ferien 

fühlte sich erst beschämt und dann beleidigt 

durch die rastlose Aktivität des Mannes, 


der nur auf Gewinn und Erfolg aus war.

So hielt er auch jetzt wütend 

mit dem Einrammen der Pfähle inne, 

wischte sich das rotblonde Haar 


und stützte sein Kinn auf einen der Balken. 

Wahrhaftig, wieder einmal packte ihn der Unmut. 

Denn nicht weit von ihm entfernt sah er 

den alten Jakob, der damit beschäftigt war, 


eine Rinne zu graben, um das Feld zu entwässern, 

das er bereits umgeworfen hatte.

In diesem Moment begann Patrick O'Shallo 

leise Verwünschungen zu murmeln.


Natürlich würde der gemeine Schleicher 

jetzt wieder einen Vorsprung bekommen, 

denn an solche Hilfsmittel hatte der Ire 

noch gar nicht gedacht, da er dachte, 


er müsse erst einmal für einen reichhaltigen Tisch 

und ein recht gemütliches Lager sorgen. 

Was soll's, er wollte doch eine junge Frau 

darauf betten, oder? Und jetzt? Ha, ha, 


um den alten eisengrauen Maulwurf 

da drüben herum schnüffelten 

ein paar kleine Ferkelchen herum? 

Wie ist der Kerl an die Neuerwerbung gekommen? 


Es sollte das schlechteste Wetter kommen! 

Denn was nützten das ebenso abgegrenzte Land 

oder die ebenso abgezählten Gulden, 

wenn der verfluchte Mauschel 


dort drüben keinen Schlaf fand? Keine Frauen, 

kein Trinken, keine Spiele und keine Feiertage? 

Vielleicht würde er, der kräftige, 

Frauen-verbrennende Geselle, 


noch immer von den Mägden verachtet werden, 

weil er sein Anwesen nicht so gründlich 

zu bewirtschaften vermochte 

wie das graue Schlurfen von drüben?


Eine rote Wolke hing vor den Augen des Iren.

He du, hilf mir, rief er zu dem Spaten-schwingenden 

Mann hinüber, denn sein Zorn sagte ihm, 

dass die Siedler vom Admiral den Befehl erhalten hatten, 


sich in allen Fällen gegenseitig zu helfen. 

Doch Patrick nahm es ihm nicht übel, 

dass er zwar ständig diese Unterstützung 

von dem alten Mann einforderte, 


es aber regelmäßig versäumte, 

seinem Nachbarn etwas Ähnliches zukommen zu lassen. 

Woran lag das? Der Sprenkelbart stammte 

aus dem Volk der Ausgestoßenen, 


und Störtebekers Ermahnung zur Brüderlichkeit 

aller Sterblichen konnte unmöglich 

an den Fremden gerichtet gewesen sein.

He du, hilf mir, rief er noch lauter als zuvor.


Auf den Ruf hin erhob sich ein eisengrauer Kopf 

über die Schlucht, gehorsam schlenderte 

die breite, stämmige Gestalt des Hebräers heran. 

Als er den Zaun erreichte, stützte er sich auf den Spaten.


Wo fehlt es denn?, fragte er bereitwillig. 

Brauchst du Nägel, mein Freund?

Der andere schüttelte energisch den Kopf. 

Da sie nicht mehr auf dem Schiff waren, 


störte ihn die Vertraulichkeit der Anrede.

Du sollst die Querbalken für mich halten, 

forderte er unwirsch, die Bastelei geht mir zu langsam.


Der Alte nickte verständnisvoll, 

und während er schon nach der langen Stange griff, 

damit sein Gefährte die spitzen Stäbe 

daran festhämmern konnte, 


huschte ein dunkles Lächeln 

unter seinem schneebedeckten Bart hervor.

Kannst du es auch nicht erwarten, 

Frau und Kind hier zu sehen?, murmelte er gepresst.


Doch dem Jungen fiel fast der Hammer ab. 

Der Gedanke, dass der gebückte Fünfzigjährige 

auch den gleichen Träumen frönen könnte wie er selbst, 

versetzte ihn in eine namenlose Wut.


Willst du auch, Jakob?, erkundigte er sich stammelnd.

Sein Helfer jedoch bemerkte nichts. 

Mit aller Kraft umklammerte er sein Brett, 

und tief gebeugt murmelte der Jude 


sein Geständnis in die Erde.

Ja, ja, sie wurden mir einst genommen, 

schwarzer Tod und Gewalt. 

Aber man will doch wissen, für wen man baut. 


Nämlich für uns, flüsterte er, seine Augen glühten, 

nämlich für uns. - Dann schleuderte Patrick 

seinen Hammer gegen das Brett 

und klopfte auch mit dem Fuß dagegen. 


Der Jude erwachte und taumelte.

Na, verdammt noch mal, stieß der Ire 

dunkelrot hervor und spuckte. 

Warum müsst ihr Beschnittenen es hier 


wie die Karnickel treiben? 

Gibt es nicht schon genug von euch 

Krummnasen auf der Welt? Aber ich nehme an, 

ihr betreibt das Feilschen nur, 


weil ihr euren Nachbarn einen leichten Gewinn 

nicht gönnt? Und er lachte höhnisch auf: 

Mir scheint, du hast nicht vergessen, 

wie Störtebeker solche Gleichen bestimmt hat, 


um sie nach ihrem Tode wieder zu verteilen? -

Nur, sagte Jakob, der die wahren Beweggründe 

des anderen nicht verstand, begeistert, 

liebe die Erde, die dir gehört. 


Ein eigenes Stückchen Land, Patrick, 

ach, ein eigenes Stückchen Land, 

das muss vererbt werden an Kind und Kindeskind. 

Hier, hier, aus diesen Schollen allein sehe ich es wachsen, 


mein Recht, meine Gleichheit, meine Brüderlichkeit. 

Und darum, er wandte seine schwarzen Augen 

anbetend zur fernen Brokeburg, 

so wie seine Vorfahren wohl einst ihre Augen 


zum Berg Zion erhoben hatten,

darum ist der da oben vom Blute des Messias. -

Ein Schwätzer ist er, wütete nun der Ire, 

dessen Vernunft völlig in Gift und Galle ertränkt war, 


da er sich zu endlosen Mühen verurteilt sah, 

denen er sich nicht stellen mochte. 

Warum behält der Schurke noch immer 

einen Teil der in den Schiffen angehäuften Beute, 


anstatt sie sofort bis auf den letzten Pfennig 

unter uns zu verteilen? He, ich will Herr sein 

wie andere Herren! Hast du mich verstanden? -

Bruder, stammelte der alte Jude betroffen 


und hob betrübt die Hände, 

bist du nicht Herr auf deinem Boden?

Aber der streitsüchtige Mann 

hatte nur noch den einen Wunsch, 


diesen unbequemen Mahner 

und vor allem den von ihm verehrten 

Menschengott niederzuringen und zu beschmutzen. 

Vielleicht, weil er das Streben und die Hingabe 


der beiden noch nicht verstanden hatte. 

Selbstgefällig steckte er die Hände in die Taschen, 

drehte seinem Kameraden abrupt den Rücken zu 

und schimpfte obszön:


Friss deinen geliebten Mist um meinetwillen, 

du demütiger Diener. Ha, 

ich sollte nur erst wieder auf den Schiffen stehen, 

dann wollte ich dir zeigen, wie schnell ich 


an Huren und Würfelgeld kommen wollte. 

Der Gehörnte soll euch Hirnlose holen.

Damit stürmte er wütend in sein verbrettertes Haus, 

und bald verriet ein sinnloses Sägen und Klopfen, 


wie der Wahnsinnige wieder einmal 

in verzweifelter, vergeblich verdampfter 

Anstrengung versuchte, den Hausrat 

für die ersehnte Frau zusammenzuschlagen.


Der alte Jakob aber umklammerte 

seinen Spaten fester, streckte ihn flehentlich 

gegen das Schloss und stammelte fanatisch:

Steh fest, du Sohn Davids, steh fest.


In einem der gewölbten, spitzbogigen Räume 

der Brokefeste ging Störtebeker derweil 

mit weiten, beschwingten Schritten 

durch den mit Teppichboden ausgelegten Raum, 


und jedes Mal, wenn er den rauen Eichentisch erreichte, 

strich er mit der Faust über allerlei 

mit Kohle auf die Tafel geschriebene Feldmessungen. 

Bis er schließlich aufatmend zu seinem Gast, 


Propst Hisko van Emden, hinüberrief:

Die Erde ist ausgebreitet, genug, mein heiliger Freund, 

lass uns nun den Schmutz des Feldes abwaschen! 

Ich jedenfalls stecke schon bis zum Hals in Torf und Moor. 


Dafür aber sollen wir uns mit einem Wunder 

von Frankenwein erfrischen. Kopf hoch, 

wir wollen eine Messe für Bacchus feiern.

Aufgeräumt, eilte er zur Tür, um einen Befehl zu rufen.


Laudabiliter, lächelte der dicke Mann, 

der fest in seinem Sessel hing 

und sich nun erwartungsvoll über die Lippen strich. 

Du hast recht, hübscher Jüngling. 


Sine Cere et Libero friget Venus. 

Allein, er besann sich plötzlich, 

denn der zweite Gast am Tisch des Admirals, 

ein käsig-gelber Langweiler, 


aus dessen Gesicht nur eine glühende Säufernase 

als einziges Lebenszeichen hervorblitzte, 

hatte sich soeben verstohlen geräuspert, 

so dass Propst Hiskos Aufmerksamkeit 


auf ihn gelenkt wurde. Schwerfällig und müde 

streckte der dicke Mann beide Beine aus. 

Verzeih mir noch ein wenig, mein Herr, 

drängte er den zurückkehrenden Störtebeker, 


aber da du in erster Linie ein Vater für die Deinen bist, 

musst du hören, was mein Gesprächspartner,

Jonkher van Sissinga, dir über die Roggensaat 


mitzuteilen hat, bevor du an deinen eigenen Ort 

geschickt wirst, wie beschwerlich das auch sein mag. -

Schon wieder? - Entmutigt zog der Freibeuter 

die Stirn in Falten. Sein fröhliches Wesen, 


das sich nach Lebensfreude und Vergnügen sehnte, 

ertrug nur widerwillig den ewigen Ansturm 

dieser kleinen zermürbenden Sorgen. 

Ja, wenn es galt, das große, leuchtende Gesetz 


in die Luft zu zeichnen, oder sobald es 

notwendig wurde, auszureiten, 

um der vorauseilenden Menge 

ein hinreißendes Beispiel zu geben, 


dann schoss die Flamme himmelwärts aus dem Lodernden. 

Aber das sorgfältige Markieren, das Abwägen 

und Berechnen der sich täglich wiederholenden 

wirtschaftlichen Erfordernisse erschien 


dem weitgereisten Mann kleinlich, 

und er fluchte oft, warum er sich nicht eine Herde 

von Krämern oder Kaufmannsdienern dazu geholt hatte.

Raus damit, fuhr er deshalb den käsigen Jonkher an, 


nicht gerade freundlich. Soll ich in der Propstei 

noch Roggenkörner kaufen? Mir scheint, 

ich könnte mit dem, den ich habe, das ganze 

heilige römische Reich in einen Mehlbrei verwandeln.


Es geht nicht, sagte Sissinga, ohne sich zu rühren, 

allein er holte den Satz aus so dunklen Kellertiefen, 

dass kein Fremder diesen dröhnenden Glockenschlag 

in dem klapprigen Gebäude vermutet hätte. 


Störtebeker schüttelte heftig den Kopf, 

halb über das unerwartete Geräusch, 

halb in brennendem Zorn 

über die immer neue Quälerei der beiden.


Mach dir nichts draus, warf der Emdener Wanst 

in diesem Moment ein, der den Zeitpunkt 

für gekommen hielt, die Ereignisse 

seines Gesprächspartners zu unterstützen. 


Der Riese aber, der sich in die Enge getrieben sah, 

riss an seinem rotseidenen Schecken, 

so dass alle Nähte aufplatzten, 

und stieß ein böses Lachen aus. 


Dann stand er unter dem gewölbten Fenster, 

von dem aus er die abgetakelten Schiffe 

im Hafen überblicken konnte, bis er schließlich 

verächtlich über die Schulter warf:


Mach's kurz! Der römische Wolf zieht es vor, 

anderen aus der Tasche zu fressen. 

Aber auf Judas' dreißig Silberlinge, meine Herren, 

werde ich ihm einen auf die Schnauze hauen, 


sobald er zu gierig schnüffelt.

Die beiden anderen am Tisch verständigten sich 

mit einem kurzen Blick hinter seinem Rücken. 

Unmittelbar danach begann die Totenglocke zu läuten:


Du tust uns Unrecht, Ruhmreicher, 

denn du solltest lieber dich selbst anklagen. 

Muss ich dir sagen, dass du nichts 

von Landwirtschaft verstehst? -


Recte, bestätigte Hisko, als sowohl die Hitze 

als auch die Überlegenheit des kundigen Landwirts 

in ihm erwachte, die Buschleute, Pardon, 

ich meine die Siedler, wissen nicht, 


wie man die Wurfschaufel benutzt. 

Sie verstreuen die Körner einfach oben 

auf die Furchen, das ist schade. -

Und der raue Wind und die Feldmäuse 


tun ihr Übriges, ergänzte Sissinga.

Grimmig wandte sich Störtebeker wieder dem Tisch zu. 

Doch kaum hatte er ihn erreicht, knallte er mit dem Fuß 

gegen die Querbalken, so dass das Holz ächzte.


Kommt zur Sache, Edelleute, sagte er äußerlich ruhig, 

aber innerlich schon wütend, 

weil die beiden Berufsmänner es wagten, 

ihn ungestraft zu bescheißen. 


Wo ist der Handel? Was ist mit dem Profit? 

Was wollt ihr in eure Beutel stecken?

Vorwurfsvoll schluckte der Jonkher noch ein paar Mal, 

bevor er schließlich mit seiner ehrenwerten Stimme erklärte, 


dass er einen Ort an der holländischen Küste kenne, 

wo Störtebeker drei Schiffsladungen 

Roggensaat feilbieten könne, und zwar viel billiger 

als im Brokmerland. Und ich rate bei klarem Verstand… -


Einverstanden, winkte der Admiral ungeduldig 

mit beiden Händen, der sich inzwischen 

auf einen Stuhl geworfen hatte und voller Erleichterung war, 

dass sich der Weg aus dieser unwegsamen Gegend auftat. 


Was soll das ganze lange Gejammer? 

Du könntest schon bei Wichmann im Hafen sein. 

Soll er doch mit drei Schiffen auf einmal auslaufen. 

Und das Geld..., er schleuderte das Unerfreuliche 


wie einen Stein von sich, soll Milon dir bezahlen. -

Deine Weisheit trifft immer das Richtige, 

verabschiedete sich der Bekehrer 

unter einer tiefen Neigung und ging fort.


Der Wirt blieb mit seinem geistlichen Freund allein zurück. 

Bald ging das dumpfe Scharren der Weinkrüge 

über den Tisch; ja, der Freibeuter stimmte 

in einem Anfall von unbegründeter 


und deshalb umso grellerer Heiterkeit 

einen fröhlichen Singsang an, während er zechte. 

Aber seltsamerweise war es das alte, stürmische 

und sinnliche Schuimer-Lied, 


das die freiesten und sonnigsten Tage 

des Seehelden begleitet hatte.

Vom Mast wehen die schwarzen Fahnen.

Störtebeker ist Kapitän.


Warm und voll erfüllte die Stimme des Admirals 

den gewölbten Raum, das Lied schien ihn 

an die See zurückzuversetzen, die Lust 

des Kommandos trat in dem schmalen Antlitz scharf hervor, 


aber allmählich verebbten die Strophen 

immer unmelodischer, und als sie ganz verklungen waren, 

ließ der Freibeuter die Faust mit dem Becher 

zu Boden sinken. Ein unsicheres Lächeln 


wanderte um den herrischen Mund.

Wundersam, sinnierte er nachdenklich, 

die Freude an alten Abenteuern, Ruhm 

und klirrenden Waffen spielte noch in den schwarzen Augen. 


Ich singe, und auf dem Kiel der Agile 

beginnen Muscheln und andere Schalentiere zu nisten. 

Er schüttelte den Tisch, als wolle er sich selbst aufwecken. 

Mein ganzes Leben lang bin ich auf dieses Ufer zu gesegelt,


sprach er hart und bestimmt, und jetzt bin ich hier.

Eine Zeit lang stockte das Gespräch zwischen den beiden 

und versank in Schweigen. 

Friedlich kräuselten sich die Sonnenstrahlen 


über die Zeichnungen auf dem Tisch.

Der geistliche Bauer aber wusste, 

was das alles zu bedeuten hatte. 

Zu oft hatte er erlebt, wie Gutsherren 


von Jagden und Kriegen wohlbehalten zurückkehrten, 

aber Pflug und Sense hatten ihnen 

die Adern durchgeschnitten.

Vorsichtig strich er über sein ledernes Jägerwams, 


drückte seine geschwollenen Äuglein zu, 

um sein Wissen nicht vorschnell zu verraten, 

und streckte sich noch bequemer 

und tastete sich vorsichtig weiter:


Hör zu, mein kleiner Sohn, 

auf dem Weg hierher habe ich die schöne Eva getroffen. 

Ich mag sie und ihre rosige Haut nicht. 

Sie ist eine ungestillte kleine Eiche, 


die ein großes Tier in ihren Ästen festhalten möchte. 

Nimm dich in Acht vor ihr.

Bei dieser Warnung warf der Admiral jedoch 

hoffnungsvoll den Kopf zur Seite 


und schlug mit der Hand in die Luft wie jemand, 

der ein schemenhaftes Bild zerstören will, 

das gespenstisch aus dem Boden wächst.

Was ist mit ihr?, drängte er abweisend 


und mit so zögerlichem Widerstand, 

dass der listige Hisko sofort erkannte, 

wie oft die Goldhaarige in den Tagen des Riesen 

ein Alp gewesen sein musste.


O, sie lässt dich nur in aller Anständigkeit fragen, 

murmelte der Dicke in seinen Krug, 

wie lange es wohl dauern würde, 

bis du Fortuna für dich und die Deinen 


endlich an die Kandare nimmst?

Selbst in der Wiedergabe des dicken Mannes 

klang der Befehl schelmisch genug. 

Und trotz aller Vorsicht konnte der Probst nicht verhindern, 


dass ein Strahl mitleidigen Spottes 

aus seinen geschwollenen Äuglein blinzelte. 

Aber Störtebeker ließ sich nicht täuschen. 

Sein heller Verstand hatte längst durchschaut, 


wie der Unglaube seiner Umgebung 

am liebsten jeden Tag, jede Stunde vergiftete 

Dornen in sein warmes Herz gestoßen hätte. 

Dafür spuckte der Riese natürlich nichts 


so voller Ekel aus wie den lauen Tagtrunk 

und Nachttrunk dieser ewigen Schnuller. 

Der Seemann warf sich mit einem Krachen 

in seinen Stuhl zurück und schwang nun 


seinen Krug mit einer solchen Übertreibung 

nach seinem Gefährten, dass man hätte meinen können, 

er wolle das Gerät gegen die nächste Wand schleudern.

Komm, lass mich dich noch einmal füllen, 


du mein gesegneter Bauch, 

übertraf er sogar die Wildheit, an die er gewöhnt war, 

und lachte und dröhnte dazu, 

so dass dem erschrockenen Zuhörer die Ohren klingelten. 


Beeil dich, du verdienst einen Botenlohn, 

wenn du noch heute der schönen Eva 

und ihren Freundinnen erzählst, 

in welch vorzüglicher Verfassung du 


mich in Trunk und Gesang getroffen hast. 

An den Wänden der Brokeburg nistet schon 

der Weinschwamm. Hört ihr? 

Sie werden sich freuen, die Lieben, ich kenne sie. 


Und sag ihnen auch, was für seltsame Augen 

in meinem Kopf sind. Haha, sie sind in der Lage, 

Wachstum und Blüte zu sehen, 

auch wenn der Stamm noch tief in der Erde schlummert. 


Verstehst du, lieber Bruder, das ist so ein Narrenspiel, 

wie es die Gaukler auf den Märkten preisen? 

Und schließlich, ganz ehrlich und nebenbei, 

alles Gute braucht seine Zeit. 


Und auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. 

Du verstehst, Freund, den gemeinen Hafer, 

wie ihn die Mähren an den Pritschen kauen.

Mit einem dumpfen Aufprall, 


als hätte sich der Freibeuter zu lange festgehalten, 

krachte der Krug tatsächlich gegen die Wand, 

Scherben polterten an der Wand herunter 

und ein wütender Regen aus edlem Wein 


prasselte auf die beiden nieder.

Der Probst war entsetzt und duckte sich tief.

Ich habe es nicht so gemeint, wollte er sich schütteln. 

Doch auch diese dürftige Entschuldigung reichte nicht aus, 


denn die Tür wurde aufgerissen 

und der Admiralsjunge erschien auf der Schwelle. 

Blasser als je zuvor, hob sich sein geistiges Gesicht, 

das nun von einer verzehrenden Leidenschaft erfüllt war, 


von der schwarzen dänischen Tracht ab.

Milon, fuhr der Störtebeker auf, 

denn die Anwesenheit dieses Wesens 

rief ihn stets und wie unter Zwang 


zu seinen reineren Eingebungen zurück, 

was bringst du? - Auf den Ruf hin 

verstummte der Jüngling und stützte sich nur ganz leicht 

am Pfosten des Eingangs ab, bevor er 


zwischen Empörung und Hilferuf ausbrach:

Herr, es ist etwas Schlimmes passiert. 

Als ich den Siedlern das Essen brachte, 

wie du es befohlen hattest, musste ich feststellen, 


dass zwei unserer Seeleute, der schlaksige Arnold Frowein 

und der Stotterer Lubbert Onderdonk, 

dem Bootsmann Wulf Wulflam Gefallen getan hatten. 

Sie sagen, sie wären lieber Diener eines kundigen Mannes, 


als länger hungrig und ziellos herumzusitzen. 

Herr, Herr, wie ist das zu verstehen? -

Ei der Tausend, wiegte der alte Propst 

in wohligem Mitgefühl den Kopf. 


Non omnia possumus omnes.

Langsam schritt die aufrechte Gestalt des Freibeuter 

an die Seite des Pfarrers. Eine Zeit lang 

sprach er kein Wort. Auch die beiden Zeugen 


irrten sich, wenn sie erwarteten, 

dass eine Sturmflut von Zorn und Wildheit 

den letzten Rest von Selbstbeherrschung 

aus dem zügellosen Mann heraus fegen würde. 


Nein, es war nur jenes bittere, eiskalte Mitleid 

mit der menschlichen Torheit, 

das sein Gesicht in eine fahle Blässe tauchte, 

obwohl er solche Verirrungen seit seiner Jugend 


überall gefunden und mit ihnen gerechnet hatte.

Jetzt aber rebellierten sie vor seinem letzten Ziel, 

vor dem Zweck seiner Mission.

Sich selbst belastend, ließ er seine Hand 


auf die Schulter des dicken Mannes sinken, 

so dass der Probst noch tiefer in den Sessel sackte, 

bevor er kurz, abgehackt und voller bissiger 

Anschuldigungen sprach: Du hast ehrlich 


auf Erden geherrscht. Glaubst du, 

dass es mit den Gottesbildern noch viel weiter 

bergab gehen könnte? Jahrhunderte lang 

habt ihr sie mit dem Löffel der Knechtschaft gefüttert, 


bis ihre Mägen sich nun vor der Freiheit erbrechen. 

Darum schämt euch, denn nun muss sogar der Arzt 

die Gepeinigten schlagen und züchtigen, 

um sie zu heilen. Doch wehe euch, wehe euch, 


wenn der Tag kommt, an dem ihr selbst 

den Trank schlucken müsst, den ihr gebraut habt. 

Ihr werdet daran sterben.

Düster winkte er dem Jungen zu, 


und Hisko, der benommen auf dem Fensterbrett lehnte, 

sah zu, wie Herr und Diener kopfüber 

die Warf hinunter jagten.

Die Zeit verging, Schneeflocken wirbelten 


über das flache Land, plumpe, gemästete Körper 

schwebten wie weiße Vögel über Felder und Dächer.

Ich wünschte, ihr könntet geschlachtet werden, 

sprach der Steuermann Lüdeke Roloff, 


der frierend und arbeitslos unter den Pfosten 

seiner baufälligen Schindelhütte lehnte, 

und er wandte seine auf den Kopf gestellten Augensterne 

grimmig gegen das Gedränge. 


Seit er in seiner mecklenburgischen Heimat 

zur Belustigung der Edelfrau gezwungen worden war, 

abscheulich zu tanzen, 

mochte der Mann keinen Reigen mehr dulden. 


Nicht kreisen, dampfte er in die Kälte hinaus. 

Fliegt lieber in meinen Topf und werdet zu Hühnern. 

Seit zwei Tagen ist der Bube des Admirals

wieder nicht da mit dem Futter für Vieh und Mensch. 


Und die friesischen Schwarzbrenner 

in der Nachbarschaft wollen auch nichts mehr verkaufen. 

Haben Angst zu verhungern, 

das hartherzige Gesindel. 


Er schnürte sich die Kehle zu, 

denn der Schauer wollte ihm die Zunge lähmen. 

Wozu hat uns Störtebeker hierher geschleppt?, 

bohrte er in sich hinein. Was nützt mir 


der Sandhaufen, wenn er mich auszehrt 

und doch nichts hergibt? Der Tod und der Teufel, 

die Rote Seide auf der Brokeburg 

ist nichts weiter als ein solcher Kraftprotz. 


Frisst und trinkt und lässt uns tanzen. 

Sie sind überall. Aber bei allen Vierzehn Nothelfern, 

es muss umgekehrt werden, umgekehrt!

Die Schiffe im Hafen waren längst vereist, 


das Brokmerland gefror allmählich 

unter der schneidenden Kälte, 

und die dürftigen Häuschen der Siedler 

versteckten sich im Schnee 


wie Bettler unter einem Schafspelz. 

Tagelang kräuselte sich kein Rauch 

aus den versunkenen Mahlzeiten, 

denn es wurde immer schwieriger, die Kolonisten 


mit Nahrung und Lebensmitteln zu versorgen.

Aus der Stille, aus der oft schmerzhaften Totenstille 

der Ebene, die einen unerträglichen Gegensatz 

zu dem heimlich rauschenden Fieber 


in seinen Adern bildete, rettete sich Störtebeker 

an solchen Tagen oft zu seinen Schiffen 

in den Hafen. Zu der großen hölzernen Herde, 

zu den geflügelten Rössern, 


die sich sonst um ihn herum getummelt hatten 

und ihm zu Füßen lagen. Jetzt lagen sie erstarrt, 

gefangen, fast wie er selbst.

Dann suchte der Unruhige, 


nun immer von einer bohrenden Sorge getrieben, 

in seinen friesischen Schafspelz gehüllt, 

das Schiff des Admirals auf, 

wo der kleine Wichmann seit langem das Kommando 


über die spärlichen Wachmannschaften hatte. 

Seltsamerweise war dieses Überbleibsel 

seiner alten Schuimer der einzige verlässliche 

Stamm der einst gefürchteten Freibeuter-Truppe geblieben, 


und er wurde von dem Zwerg 

ohne viele Worte und wie von selbst 

in scharfer Manneskraft gehalten. 

Ein bitteres Gefühl der Verwunderung 


überkam Störtebeker oft bei solchen Wahrnehmungen. 

Was war hier los? Das gewohnte Handwerk, 

die gedankenlose Unterwerfung unter ein eisernes Gesetz, 

das keine Gnade kannte 


und den Willen des Einzelnen ausschaltete, 

es schmiedete diese Menschen 

zu einem nützlichen Werkzeug, 

es erfüllte sie sogar mit einem ausgeprägten Stolz 


auf ihren Beruf, während die anderen, 

die Befreiten, die Glücklichen...?

Entmutigt und verängstigt schüttelte sich der Riese. 

Natürlich bestäubte er sich nur mit Schneeflocken, 


und dennoch schaute er sich beim Erklimmen 

der breiten Schiffstreppe misstrauisch um, 

um sich zu vergewissern, dass keine Späher beobachteten, 

was er vielleicht noch abwerfen wollte.


Durch die hohen Fenster der Agile 

schimmerte ein weißes Spiegelbild 

der umliegenden Schneemassen. 

Dies verlieh auch den Strickereien an den Wänden 


ein geisterhaftes, schwebendes Leben. 

Inmitten der Pracht dieses fürstlichen Zimmers 

lag der kleine Wichmann auf einem Ruhekissen 

und ließ ein paar mächtig geschnitzte Holzdeckel 


auf den vertrauten federnden Tritt seines Schülers sinken. 

Es war ein Exemplar des Seneca, 

ebenfalls eine Beute aus der Reisebibliothek 

des Bischofs von Strängnäs. 


Der Zwerg betrachtete den hochgewachsenen Besucher 

eine Weile, richtete sich langsam 

mit seinen zweifarbigen Augen auf, 

denn der andere schaute sich in der bekannten Halle 


so heimelig, so besitzergreifend um, 

als sei diese bunte Schöpfung gerade 

seinem Wunsch und Willen entsprungen.

Nun, alle neun Musen küssen dich, Magister, 


begrüßte der Riese, erwärmt von seinem Anblick, 

seinen ehemaligen Lehrer 

und warf das unbequeme Schafsfell 

auf den Laternentisch, während er auf und ab schritt. 


He, sag mir, du auserwählter Genießer, 

wie ist es, in meinem Nest zu nisten, 

unter meinen Büchern und bei meinem Wein?

Der Kleine streckte sich bequem und strich sich 


mit den Händen über sein leicht ergrautes Haar.

Ich bin es gewohnt, auf Kosten anderer zu leben, 

erwiderte er und betrachtete ruhig 

die Vertäfelung der Decke, nur hier fehlt mir das, 


was selbst die Nächte zu einem Kampf 

und die Tage zu einem Vergnügen macht.

Es war die alte unbeschwerte Art, 


die sonst sicher Blitze und Funken 

aus dem Sturm von Störtebekers Leben geweckt hätte. 

Heute aber zuckte er hoffnungslos mit den Schultern. 

Und als er vor der Pfanne mit brennendem Torf stehen blieb, 


mit der die Stube gewärmt wurde, streckte er die Hände 

über die Glut und murmelte vor sich hin:

Fütterst du immer noch das Feuer und glaubst, 

du wirst es löschen? Du Tor, 


segne wenigstens meine Flamme, 

solange sie noch brennt.

Nie hatte der Kleine einen Zweifel 

oder gar eine Klage von dem beständigen Menschen gehört, 


über dem immer Erfüllung und Vollendung schwebten. 

Deshalb war der Zwerg von dem unerwartet 

offenbarten Schwanken des selbstbewussten 

Anführers so grundlegend überrascht, 


dass er katzenartig aufsprang, 

um den Abgewandten nun in höchster Neugier 

zu durchbohren. Aber es war nicht die ängstliche 

Teilnahme eines Freundes, sondern eher 


die Erregung eines Alchemisten, 

der, gefesselt und angezogen, 

die Entwicklung seiner eigenen Künste erwartet.

Ehernes Gefäß des Weltwillens, 


sammelte er sich schließlich, und seine hohe 

knabenhafte Stimme klang so sanft wie immer, 

leugne nicht die seligste der Lehren deines Meisters. 

Was murmelst du von Tropfen, 


wenn nur ein anschwellendes Bad 

die Geister des Homo supra hominem erfrischen kann? 

Mir scheint, ich hörte die schöne Eva läuten, 

um dir dieses edelste aller Elixiere zu geben?


Nun bewegte Störtebeker die Glutpfanne 

geräuschvoll hin und her. Verdunkelt, 

mit weit aufgerissenen Augen, starrte er ins Feuer.

Lass mich in Ruhe mit diesen Kindereien, Hein, 


forderte er vehement, die Zeit weiß Höheres zu tun. 

Und doch, willst du dich nicht verschwören, 

bring den frechen Spatz in mein Nest, 

und er soll ein weiches Plätzchen finden.


Er bewegte verächtlich die Hand, 

und es war offensichtlich, dass er nicht in Scherzlaune war. 

Der weiche Mund des Magisters verzog sich:

Ist mein kleiner Junge so zahm geworden?, 


sank er verwundert und ein wenig verächtlich zurück. 

Wo fehlt es noch? Wollen die neuen Knödel 

nicht von Prometheus' Händen geformt werden?

Kaum war dem Zwerg der leichte Spott 


über die Lippen gerutscht, drehte sich der Admiral, 

über das Feuer gebeugt, abrupt um. 

In dem geröteten Gesicht sprang ein Leuchten 

hin und her, durch die dunklen Augenhöhlen 


fegte eine Inbrunst, dass der Kleine, 

der einen so tiefen, zermürbenden Ernst 

bei seinem Gefährten nicht vermutete, 

den Atem anhielt. Schwerfällig erhob sich 


Störtebeker, und nachdem er nahe genug 

an die Ruhestätte herangetreten war, 

zog er den Magister mit einem Faustgriff hoch. 

Der Unglückliche lag nun vor dem Riesen auf den Knien, 


und dieser umfasste zunächst mit beiden Händen 

sanft den strohblonden Haarschopf des Kleinen, 

bevor er ihm, wie ein Junge seinem Spielzeug, 

mit einer zitternden Bewegung 


das tiefste Geheimnis anvertraute:

Hein, wollte er flüstern, aber es klang scharf, 

wie das Kratzen eines Messers, 

das in hartem Gewebe auf Widerstand stößt, 


der Lehm, aus dem die Brut gemacht werden sollte, 

ist schon von rohen Fäusten verstümmelt worden. 

Schwer, diese Masse zu kneten, 

wie wir es immer vorhatten. 


Und dann, kannst du mir folgen, mein Freund? 

Du lächelst nicht, nicht wahr? 

Ich würde dich erwürgen, wenn du jetzt lächeln könntest, 

dann, woher bekomme ich das Messer, die Axt, die Säge, 


damit ich dem einen den Kopf aufsetze, 

durch den der andere höher ragt? 

Und die Füße und Hände, die ich abhacken muss? 

Und die vielen Sehnen und Glieder? Hör zu, Hein, 


und die schwarzen Sterne des Sprechers 

weiteten sich mehr und mehr zu großen, glanzlosen Sonnen, 

die ihre eigene Farbe verzehrt hatten, 

ich meinte, dass die Freude es bewirken würde. 


Die Freude an gleichem Besitz, der Jubel der Freiheit, 

sie könnten der räuberischen Brut 

den alten Geist austreiben. Den Rost aus ihren Seelen. 

Neue Menschen würden den neuen Tag begrüßen. 


Er schüttelte seinen krausen Kopf 

und kam dem knienden Mann so nahe, 

dass sich ihre Atemzüge vermischten. 

Es ist nicht so, sprach er bedrückend. 


Bald wird es so sein. Bald. Aber jetzt noch nicht. 

Wir müssen noch warten. Diesen Winter! 

Nur diesen einen. Aber das Warten 

ist der Weg zum Tod. Mein Atem gefriert 


auf dieser Straße. Ich mag es nicht, zu warten. 

Ich kann mich nicht auf die Lauer legen. 

Deshalb, du Schatz meiner Jugend, 

und die große Gestalt warf sich neben den Kleinen 


und umklammerte dessen Hals, 

deshalb brauche ich Teilnahme, Unterstützung, 

ich muss zu mir ziehen, was ich besitze.

Und nun folgte, stürmischer denn je, der Streit, 


der schon oft zwischen den beiden 

Freibeutern ergebnislos ausgebrochen war. 

Heute aber warf sich der Admiral 

mit so eindringlichem Zureden auf seinen alten Gefährten, 


dass er dem klugen Mann ahnungslos 

die ganze Bitterkeit seines Strebens offenbarte.

Da hörte es der Magister wieder.

Von Anfang an, und besonders seit der Landung 


in Marienhafe, hatte Störtebeker 

das komplizierte Werk der Ansiedlung 

allein und selbstherrlich 

auf seine mächtigen Schultern geladen. 


Er kaufte das Land, er zahlte die Summen 

und er teilte die Ländereien und Felder 

nach seinem Gutdünken auf. 

Keiner der Waffenbrüder war bereit, 


auch nur einen kleinen Teil der Last mit ihm zu teilen. 

Selbst Hein Wichmann hatte 

unter allerlei fadenscheinigen Ausreden, 

dass er kein Landsmann sei 


oder dass ihm die Arithmetik zuwiderlaufe, 

von Anfang an seinen Verbleib 

auf dem Admiralschiff verfolgt. 

Und von den anderen Anführern genoss keiner 


so viel Prestige, dass der Riese 

ihnen ein Verständnis für die Möglichkeit 

einer neuen Sternstunde zutraute. 

Schon gar nicht dem dicken Wichbold. 


Zum Glück lag Wichbold, seit Störtebeker ihm 

nach dem Brand in Bergen 

den Schädel zertrümmert hatte, 

mit dick bandagiertem Kopf 


in der Kajüte der Goldenen Biene, 

und sein Fluchen und Stöhnen kam oft 

aus dem Bauch des Schiffes. 

So war es wohl nur eine der sprunghaften Ideen 


des Zwerges, als er Störtebeker 

mit einem zweideutigen Lächeln beiläufig mitteilte, 

dass der Kranke nachts auf geheimen Pfaden 

durch die Gegend gestreift sei.


Das darf er, pflegte der Riese kalt zu antworten. 

Soll er doch seinen Strick auf dem Lande suchen. 

Ich darf meine Hände nicht wieder 

mit dem Eiter beschmutzen. 


Aber du, Hein Wichmann, du, 

schloss der Glühende heute seine Werbung ab, 

und er strich dem Zwerg brüderlich 

über das lange gelbe Haar, 


hast einst das verschlossene Gehirn 

des Fischerjungen aufgeschlossen, 

so dass Hochmut und Pracht 

und dieses verzweifelte Lauschen 


auf den gleichen Schlag aller Lebewesen 

Einzug halten konnten. Und jetzt? 

Will mein Bruder, mein Freund, mein Lehrer 

dieses lüsterne Fieber nicht teilen? 


Will er, ein Hochgesinnter, den Blinden nicht erklären, 

was das Licht ist, das jetzt auf ihren Schaufeln brennt? 

Ja, es sogar mir erklären, 

da es mich manchmal verwirrt und blendet?


Wer hätte diesem mit Schönheit und Anmut 

gesegneten Mann widerstehen können, 

dem sogar die goldenen Bienen der Beredsamkeit 

ihren Honig auf die Lippen trugen? 


Wahrhaftig, selbst dem Zwerg schien es schwer zu fallen, 

sich der Verstrickung des anderen zu entziehen. 

Allein, bedächtig und abweisend, 

schüttelte er dennoch den Kopf. Dann setzte er kalt ab:


Nein, Kleiner, das kann dir nichts nützen. 

Ich bin ein Gauner und ich bleibe ein Gauner. 

Ich bin nur einer von diesen Bücherwürmern, 

die ihr Leben lang um das Wort herumkriechen. 


Ich kann es ausdenken, aber es ist ein langer Weg 

von meiner Zunge zu meiner Hand. 

Pfui, und der Schweiß, denke ich, ist ein saurer Saft. 

Ja, wenn es dir gelingt, Bruder, 


dann schreibe ich ein Loblied auf dich, 

und wenn es scheitert, dann zeige ich dir gleich danach, 

wie man es besser hätte machen sollen. 

Zu etwas Edlerem bin ich nicht tauglich, 


und es tut mir nicht leid.

Diese schneidende Selbsteinschätzung 

muss etwas Erfreuliches gehabt haben, 

denn ein anerkennendes Lächeln kräuselte sich 


um die Lippen des Zuhörers. Unbeirrt erhob sich 

Störtebeker, streckte sich und schritt 

mit seinen breiten, entschlossenen Schritten 

ein paar Mal über den Teppich. 


Plötzlich zuckte ein Blitz aus seiner Stirn. 

Er warf sich seinen Schafspelz über 

und erkundigte sich schnell:

Weißt du noch, Hein, was der Pharao gemacht hat, 


als er die Hebräer zum Tribut gezwungen hat? -

Er hat ihnen Rücken und Hintern gebleicht, mein Schatz. -

Aber die Pyramiden sind trotzdem 

aus Schweiß und Blut gewachsen. 


Wir haben sie gesehen. Die Ewigkeit 

weht um ihre Gipfel! In solcher Luft 

ist es leicht zu atmen. 

Ich werde etwas Ähnliches versuchen.


Er drückte krampfhaft die Hand des Strohblonden 

und sprang schnell die Treppe hinauf. 

Doch der Kleine warf sich auf das Kissen, 

strampelte mit den Füßen und krähte wie ein Gockel.


In der Gegend um Brokeburg gab es Kämpfe. 

Als der Winter nahte, konnten die Freibeuter 

Frost und Hunger in ihren hellen, baufälligen Baracken 

nicht mehr ertragen, und da ihre alte Gewohnheit 


sie zum Raub verleitete, sammelte sich eine Bande 

unter dem jähzornigen Iren Patrick O'Shallo, 

um den umliegenden Friesen mit Gewalt 

Mehl, Hühner und Feuer zu entreißen. 


In einer Winternacht loderte der Feuerschein 

im eisblauen Himmel, die Waffen klirrten, 

die Schreie der aus dem Schlaf gerissenen Frauen 

mischten sich mit dem Brüllen des Viehs 


und dem Stöhnen der Verwundeten, 

und nur die wütenden Streiche 

des halb bekleideten Admirals, 

der von der Burg herbeieilte, 


trieben die verzweifelten Männer auseinander. 

Doch nachdem der wütende Ire gefesselt 

und in den Burghof gebracht worden war, 

schlug Störtebeker ihn selbst mit der Peitsche 


einmal, zweimal besinnungslos ins Gesicht 

und zwang den blutenden Mann, 

seinen Raub bis ins kleinste Detail aufzugeben.

Doch damit war der Streit keineswegs beigelegt, 


wie er befürchtet hatte. Denn als der Riese, 

aufgewühlt und benebelt vom Blutnebel, 

an der Seite seines Milon die dunkle Treppe hinauf tappte, 

erfuhr er von einem Diener, dass Gunda 


ihn kurzerhand in den großen Saal beorderte.

Pack dich, knurrte Störtebeker gereizt 

und stieß dem Mannr drohend die Faust entgegen. 

Es ist Schlafenszeit. Warum schnarcht die alte Hexe nicht?


Da standen sie schon vor der doppelflügeligen Tür, 

und in einem Anfall höllischer Neugierde 

riss Störtebeker sie ganz auf. Geräuschvoll 

drängte sich der aufgepeitschte Mann 


in die dunkle Halle. Nur eine einzige Fackel 

begann in ihrem Wandring zu leuchten 

und versprühte ein paar bläuliche Funken. 

Das veranlasste monströse Schatten, 


sich in dem unruhigen Raum zu versammeln, 

die zuckten und sich wie in einem Kampf 

der Giganten übereinander warfen. 

Sobald das Licht die beiden Sessel 


auf dem Podest erreichte, entdeckte man 

in einem von ihnen eine weiß gekleidete Frauengestalt, 

die sich einen blauen, mit Goldblech besetzten 

Friesenmantel übergeworfen hatte, 


um ihre Nacktheit zu bedecken.

Es war Eva, die erst seit wenigen Stunden 

bei ihrer Mutter zu Gast war 

und sich nun mit der Anmut verbeugte, 


die sie dem Seemann gegenüber 

immer an den Tag gelegt hatte.

Da begann das Herz des aufgeregten Mannes zu klopfen. 

Die zuckende Nacht und in ihr das weiße Bild 


raubten ihm jede Erinnerung 

an den blutigen Ort des Aufruhrs, 

den er gerade verlassen hatte.

Hallo, presste er heiser hervor, 


welche holde Dame lädt mich zum Diskurs ein? 

Wer fürchtet sich in dieser Einsamkeit?

Ein schlurfendes Geräusch erhob sich 

von der Seitenwand. Ich bin es, 


grollte die raue Männerstimme der Gunda, 

und erst jetzt tauchte die graue Falkengestalt 

aus ihrer rastlosen Wanderschaft im Fackelschein auf. 

Was ist das für ein einfältiges Geplänkel? 


Wisst ihr nicht, dass eure Räuber unsere Verträge brechen? 

Weißt du nicht, dass es in den Bezirken 

von Allena und Beninga genauso ist? 

He, Störtebeker, habt ihr vergessen, 


dass ihr Geächtete seid? Überall an den Küsten 

trommeln die Dänen und die Hansen. 

Ihr habt euch die Ohren zugedrückt, was? 

Ich werde euch verjagen, hast du mich verstanden? 


He, wer bist du eigentlich?

Mit geballten Fäusten und gespreizten Beinen 

hatte der Riese dem stummen Bild 

auf dem erhöhten Stuhl 

und dem grau gefiederten Falken verächtlich zugehört. 


Jetzt aber riss er die Fackel aus ihrem Ring, 

schwang sie um seinen Kopf 

und zog sie dann dicht an Gundas 

blutleeres Gesicht heran. Die roten Augen 


der Hexe begannen schmerzhaft zu tränen, 

und voller ohnmächtiger Wut 

widerstand sie dem Schuimer.

Wer bin ich?, brüllte er nun, 


so dass der Ton von einer Ecke zur anderen flog. 

Ich bin dein Herr, Frau. Sieh genau hin. 

Glaubst du, du könntest ohne meinen Willen 

lebendig aus deinem Modern heraus flattern? 


Sieh dir meine Fäuste an, 

sie haben schon andere Vögel gerupft. 

Ein Wink an den Wichmann, 

und unsere Lederschlangen würden dir 


überdies ein Grabmal auftürmen, 

wie es Semiramis in Babylon kaum fand.

Die Hexe holte Luft, sie wollte wieder zuschlagen, 

aber Störtebeker tätschelte ihr schon 


mit der freien Hand wohlwollend die Wange, 

was ihren zappelnden Aufruhr nur noch verstärkte.

Sei still, Liebe, nickte er ruhig, du weißt, 

dass ich dich schätze, und wer kann schon sagen, 


wie nahe wir uns eines Tages kommen werden? 

Dabei strich er über die weiße Gestalt im Sessel, 

die sich nicht rührte, und fuhr ordentlich fort: 

Aber jetzt, meine Taube, rate ich dir, 


picke gutwillig die goldenen Körner, 

die ich auf deinen Hunger streuen werde. 

Dreißig Pfund Gold werden dein Elend wie auch das 

deiner Untertanen in Freude verwandeln.


Milon lehnte sich dicht an die Tür und seufzte. 

Er allein wusste, wie bedrohlich 

der einst so stattliche Schatz 

der Freibeuter bereits dahinschmolz. 


Gunda aber war bei diesem Vorschlag 

von Zorn und Gier hin und her gerissen. 

Feindselig reckte sie ihr spitzes Kinn vor, 

entschlossen, den Streit zu erneuern, 


aber gleichzeitig griffen ihre dürren Finger 

schon nach der Aussicht, während ihre Augen 

vor rabenschwarzer Lust funkelten.

Wir sind im Geschäft, bezwang der Admiral 


schließlich ihr hartnäckiges Schweigen. 

Milon darf zehn Pfund Silber dazugeben. 

Was ist daran so schlimm? Und nun, komm, Stute, 

betrüge nicht wieder den Schlaf um sein Recht, 


sondern schmücke sein Lager.

Lachend drehte sich der Seeräuber um 

und reichte seinem Jungen die Fackel, 

um den Weg zu beleuchten. 


Gunda zeigte natürlich keine Anzeichen 

von Beschwichtigung. Zitternd schlang sie 

ihren grauen Flaum um sich 

und rief dem scheidenden Mann laut hinterher: 


Das ist das letzte Mal. - Dann flüchtete sie 

durch einen Seiteneingang. Die anderen stiegen 

mehrere Treppen hinauf und trennten sich schließlich 

in einem langen, gewundenen Korridor. 


Als Störtebeker Eva zum Abschied 

die Hand reichen wollte, war die leichtfüßige Frau 

bereits in ihr Gemach geschlüpft. 

Auch Milon verabschiedete sich, 


nachdem er seinem Herrn bis zur Schwelle 

seines Gemachs das Licht angezündet hatte. 

Müde verschwand der Fackelschein 

allmählich hinter der Biegung des Korridors.


Störtebeker streckte sich 

und lauschte noch einmal zurück. 

Es war ihm, als ob eine warme, fröhliche Stimme 

seinen Namen rief. Ein heißer, frecher, begehrlicher Klang. 


Sollte ihn das Summen seines eigenen Blutes 

geweckt haben? Angespannt, blutdürstig wie ein Raubtier, 

schlich der Riese dorthin, wo er Eva verlassen hatte. 

Ein Stoß gegen die schwere Brettertür, sie gab nach. 


Doch siehe da, durch die dicke Wand 

vom Gebälk getrennt, war der Raum 

noch immer durch eine Reihe 

von kreuz und quer verlaufenden Eisenstäben verschlossen, 


die zwar den Durchblick erlaubten, 

aber jeden unwillkommenen Besucher zurückhielten. 

Erstaunt beugte sich Störtebeker vor. 

Mitten in der kahlen Schlafkammer, 


die nur spärlich von einer schwachen Öllampe 

beleuchtet wurde, fand der rastlose Blick 

des Seemanns sofort die weiße Gestalt, 

die ihn hierher gelockt hatte. 


Sie hatte ihren Mantel abgeworfen, 

und ihre Arme reflektierten den Schein der Lampe 

in einem vagen, seidigen Licht. 

Ein seltsames Lächeln, halb ängstlich, 


halb voller Neugierde, umspielte den Mund 

der Einsamen, als sie beobachtete, 

wie der Eindringling ohne ein weiteres Wort 

seine Schultern und Fäuste 


zwischen die Gitterstäbe steckte, 

beherrscht nur von dem einen, fast natürlichen Drang, 

die Barriere zu durchbrechen. 

Wer konnte sich anmaßen, Riegel und Schlösser 


gegen den Entschluss dieses Erderschütterers zu erzwingen, 

der in seinen besten Stunden immer noch 

davon überzeugt war, dass er das Schicksal 

der Welt auf straffen Armen 


an die Menschheit heranschleppte? Und jetzt? 

Eva stieß einen unterdrückten Schrei aus. 

Tatsächlich, das Eisen verbog sich, 

das Keuchen des gewalttätigen Mannes 


verwandelte sich in ein Stöhnen, 

aber im selben Moment sanken seine Fäuste 

wie abgeschnitten herab, und, von der Scham 

über die Erfolglosigkeit überwältigt, 


drückte er sein Gesicht gegen das Gitter 

und flüsterte, von Wut geschüttelt, hindurch:

Was wolltest du von mir, du? -

Ich? Da zuckte Eva schon wieder beschwichtigend 


mit den Schultern. Was hätte ich mit dir zu tun?, 

gab sie neckisch zurück. Geh sittsam weg, 

oder ich werde bei meiner Ehre, die du missachtet hast, 

den Schlossinsassen deine Schwäche zeigen.


Störtebeker holte zu einem weiteren dröhnenden 

Schlag gegen das Eisen aus, doch da 

außer einem Brummen nichts zu hören war, 

versuchte er es noch einmal mit einer List.


Gib mir nur ein wenig deine Hand, beschwor er.

Aber auch diese Bitte war vergeblich, 

denn Eva schüttelte ihr schmales Haupt, 

ohne sich von der Stelle zu bewegen.


Du Schuft, sagte sie mitleidlos, glaubst du wirklich, 

eine Fürstentochter würde sich 

vor einem solchen Bettlerkönig verbeugen? -

Was sagst du da?, taumelte der Schuimer bleich zurück, 

und nun bückte er sich und versuchte, schäumend, 


die nahe Vergeltung schon vor Augen, 

den ganzen Rahmen aus den Angeln zu heben.

Ein langes, rostiges Ächzen wurde hörbar. Allein, 

die Tochter der Brokeburg sprach ohne Zögern weiter:


Ja, wenn du noch ein Prinz des Meeres wärst, 

wie du es einst warst… - Was dann?, keuchte der Einbrecher.

Jubelnd fuhr die weiße Gestalt 

zu dem knienden Mann fort: 


Wenn du von deiner sündigen, gottlosen 

Arme-Leute-Torheit ablassen würdest, 

sondern deine Macht nutzen würdest, 

um all die kleinen Tyrannen hier zu unterjochen… -


Was dann?, stöhnte Störtebeker, 

dass ihm die Brust platzte. Ich weiß es nicht, 

hielt die Frau listig inne, ich kenne die Zukunft nicht, 

wie mein Mann, fügte sie lächelnd hinzu.


Sie war dem Gitter sehr nahe gekommen, 

und der kniende Mann hatte den Eindruck, 

als hätten ein paar flinke Finger sein Gelenk gestreift. 

Doch als er aufsprang, entschlossen, sie zu fangen, 


entdeckte er nur, wie Eva, 

nachdem sie das Lämpchen ergriffen hatte, 

in ihrem Schlafgemach verschwand, 

ohne sich umzudrehen. Vorsichtig hörte er, 


wie sie den Schlüssel umdrehte.

Tiefe Nacht herrschte um ihn herum. 

Sie kochte, sie brodelte, wie ein Kessel, 

in den seine Gedanken geworfen wurden. 


Er schrie nicht, er wütete nicht, er tat etwas, 

was er noch nie in seinem Leben getan hatte, 

er wurde schlaff. Beide Hände 

vor dem Gesicht verschränkt, sprach er 


laut durch den hallenden Korridor:

Soll ich der einzige Sehende unter den Blinden sein? 

Ich schaffe nichts mehr. Alles zerbricht 

unter meinen Händen. Ich laufe nur noch, 


weil ein Wind mich antreibt.

Leer, desillusioniert, schwerfüßig strebte er 

seiner Ruhestätte entgegen. Und er bemerkte nicht einmal, 

dass hinter den Windungen des Ganges 


noch ein dünner Lichtschimmer über die Kacheln lief 

und dass sein innerstes Bekenntnis 

nicht nur an gefühllose Wände verschwendet wurde. 

Kaum ein paar Schritte von dem müden Mann entfernt, 


dicht hinter dem Schwung, verweilte Milon 

noch immer in der Mitte des Ganges. 

Mit einer Hand stützte er sich mühsam 

an der kalten, feuchten Wand ab, 


während er mit der anderen die flackernde Fackel hochhielt. 

Etwas Gestaltloses und Schreckliches 

muss sich vor ihm erhoben haben, 

denn der Junge zitterte am ganzen Körper, 


und ein Schwindelgefühl ließ ihn 

sich an den Boden klammern, 

als würde jeder weitere Schritt 

ihn in einen Abgrund stürzen.




NEUNZEHNTES ABENTEUER


Die Zeit verging wie Wein in einem Becher!

Wieder einmal schien sein sprichwörtliches Hexenglück 

über Störtebeker, und die Besatzungen flüsterten, 

Klaus habe wieder einmal mit dem grauen Mann gehandelt. 


Ein Sommersegen überflutete die Felder des Brokmerlandes, 

wie ihn selbst die Eingeborenen selten erlebt hatten, 

und selbst auf den Feldern der Siedler, 

die ohne viel Wissen und nur oberflächlich 


bewirtschaftet worden waren, sprossen 

die neuen Halmfrüchte, dünn und doch trächtig, 

als hätte ein unterirdisches Feuer ihre Wurzeln gewärmt. 

Dennoch waren die Kolonisten nicht glücklich 


über die sichtbare Hoffnung. 

Sie waren aus dem Überfluss und der Völlerei gekommen, 

das freie, wilde Schwärmen auf dem Meer 

hatte ihnen leichten Erwerb gesichert 


und dazu die grausame Lust auf Vergeltung 

gegen die sesshaften, im bürgerlichen Recht 

lebenden Menschen, von denen sie glaubten, 

dass ihr arroganter Wohlstand 


nur von einer schweren Sünde 

gegen die Armen und Unterdrückten herrührte. 

Und jetzt? Draußen hatten sie die Abwechslung genossen, 

das wilde Vergnügen der rächenden Macht, 


den täglichen lärmenden Triumph, 

die Keller und Truhen jener Genießer zu leeren, 

die früher das murrende Verlangen 

der Dunklen und Namenlosen 


mit Hungertürmen und Folter beantwortet hatten. 

Solch rasendes Glück schenkten die Wellen. 

Und nun? Was erwartete die von allen Gewohnheiten 

Befreiten in den Gängen? Gott verdamme 


die wahnsinnige Begeisterung eines Wahnsinnigen, 

der Fluch ruhte auf dem Land. 

Was war ausgetauscht worden?

Still, still, zischte der Ire Patrick O'Shallo 


einer Meute von Schnittern zu, mit denen er 

in einer Bodenmulde mürrisch feierte, 

denn die Ungeübten hatten ihre Sensen zu tief 

in die Steine und die Härte des Feldes getrieben, 


so dass das Werkzeug wieder einmal zackig 

und unbrauchbar geworden war. Ich rate dir, 

lass das schnüffelnde Mannweib, nichts wissend. 

Ist genauso besessen wie der verrückte Klaus. 


Aber sag mir, warum sitzen wir hier 

und ertrinken in Schweiß? Was haben wir gehandelt? 

Ist Störtebeker nicht unser Herr, 

wie keiner je zuvor war? 


Fährt er nicht wie eine Geißel durch das Land, 

schlägt er uns nicht den Buckel blutig 

und zwingt uns zu arbeiten, bis die Knochen knacken? 

Wer hat ihm die Macht gegeben, dies zu tun? 


Hm? Hast du seine Peitsche 

für solche Dienste geflochten? Hm? -

Ich mag ihn nicht, brummte ein Franke, 

der dem Ausbruch der Bauernmorde 


in seiner Heimat nur knapp entgangen war, 

aber immer noch den unglücklichen Ballast 

des heimlich schwelenden Aufstandes 

auf seinem gebeugten Rücken mit sich schleppte. 


Wozu sollen wir den Zehnten wie zu Hause besteuern? 

Sagen wir, er will unseren Kindern 

neue Güter dafür eintauschen. Will sich allmählich 

über die Erde ausbreiten. Ha, Kindermärchen. -


Die schwarzen Röhren geben nicht mehr viel Erde her, 

riefen andere. Bei der Erwähnung künftiger Nachkommen 

stieg dem Iren das Blut ruckartig in die Stirn, 

halb wahnsinnig sprang er auf 


und schnitt mit seiner Sense durch die heiße Luft, 

als müsse er einen nahen Verfolger köpfen.

Seht, schrie er, die Schiffe sind vor uns. 

So nah, so nah! Sollen wir warten, 


bis der Bluthund uns alle aufgescheucht hat? 

Ich kenne jemanden, der uns besser helfen kann. 

Er blickte sich geheimnisvoll um. 

Der dicke Wichbold war erst neulich bei mir. 


Er ist einer von uns. Und er rät… -

Passt auf, warnte ein unterdrückter Ruf.

Erschrocken hoben die Schnitter ihre Köpfe 

über die Senke. Dumpfe Hufschläge donnerten 


über die Heide, zwei Reiter, Störtebeker und sein Junge, 

blitzten barhäuptig auf. Was faulenzt ihr hier, 

ihr gotteslästerlichen Leute?, schrie Klaus, 

riss sein Ross dicht an den Abgrund, 


und seine schwarzen Augen sprühten ein böses Feuer. 

Schämt ihr euch nicht für die Fleißigen? 

Hört ihr nicht, wie die Felder mit zahllosen Stimmen 

nach uns rufen? Braucht ihr immer den Treiber


wie die Stiere? Ich werde euch lehren!

Die Lederriemen zischten herum, der Franke 

wurde auf den vorzeitig gebeugten Rücken geschlagen.

Erschrocken, niedergeschlagen, zerstreuten sich 


die Schnitter nach allen Seiten.

Doch die beiden Reiter flogen weiter, 

wie Gedanken, die ausgesandt wurden, 

um eine Welt zu erzählen. Der Abend zog sanft 


und nachdenklich über das Land. 

Zu seinen Füßen glitzerte das Bild der Sterne 

in den Moortümpeln. Zu dieser Stunde saß Jakob, 

der Hebräer, an seiner Feuerstelle 


und röstete ein Stück vom Ende einer Wurst

über dem Rost. Während er leise arbeitete, 

sang der grauhaarige Mann in tiefen, gutturalen Lauten 

eines jener seltsamen, schmerzhaften Lieder, 


in denen sein geflüchteter Stamm seine Sehnsucht 

nach den Zelten, Herden und Weinbergen 

der längst verlorenen Heimat beklagt. 

Ab und zu lehnte sich der Sänger jedoch an die offene Tür, 


und dann schien sein zufriedener Blick 

den glückseligen Frieden 

dieses schlummernden Bodens zu segnen.

Das Glück eines sesshaften Mannes hing über ihm.


Dann tauchte eine Gestalt aus dem Tor der Nacht auf. 

Zögernd trat sie auf die Schwelle. 

Erst als der Fremde sich aufrichtete, erkannte der Jude 

das zuckende Antlitz seines Nachbarn Patrick O'Shallo.


He, rief Isaac erstaunt, was bringst du, Freund? 

Doch der andere schien durch die Antwort 

beunruhigt zu sein und blinzelte verwirrt 

in die Ecken der Hütte, in der das Feuer des Herdes loderte.


Mich reizt der Geruch von Fleisch, entschied er schließlich, 

ich habe es heute nicht geschafft, des Magens Brummstimme 

zu füttern. Der da, und er deutete durch die Dunkelheit 

auf die ferne Brokeburg, hat uns 


bis zum Einbruch der Nacht 

wieder auf den Feldern herum gejagt.

Der Jude überhörte den Vorwurf.

Dann setz dich, lud er den Grübler ein, und sei mein Gast.


Der Ire murmelte etwas, das kaum an Dankbarkeit 

erinnerte, und nachdem er sich auf einen Schemel 

fallen ließ, verschlang er gierig das Stück Fleisch.

Woher hast du diesen Happen?, fragte er kauend 


und mit niedergeschlagenen Augen.

Eingetauscht, schmunzelte der Hebräer 

und fummelte am Herd herum. 

Gegen Eier von meinem Hühnervolk.


Und woher hast du all diese Hühner?, drängte Patrick weiter, 

ein Zittern überwindend. Der Jude strich sich zufrieden 

über seinen grau gesprenkelten Bart, 

dessen sichtbares Aufblühen ihn 


seine übliche Zurückhaltung vergessen ließ.

Ich habe sie in Brokeburg gegen Anis und Leinsamen 

aus meinem kleinen Gewürzgarten eingetauscht. 

Der Anbau von Kräutern ist in dieser Gegend 


nicht sehr bekannt. Aber jetzt iss, Freund, 

fügte er hinzu, als er die grün glühenden Augen 

seines Kameraden auf sich gerichtet spürte. 

Unwillkürlich griff er nach einem Holzspan 


und schürte ihn auf der Feuerstelle an, 

damit es heller wurde. Der Ire blickte sich gequält um 

und bewegte sich hin und her, 

als wolle er am liebsten davon stürmen.


Was ist denn los? erkundigte sich Jakob

und wurde aufmerksam. In diesem Moment 

ertönte aus dem nahen Stall erst ein Schnauben 

und dann ein markiges Brüllen. 


Die Wände der Hütte bebten davon. 

Da wurde Patrick O'Shallo noch blasser als zuvor.

Sind das die Stiere?, stammelte er, unfähig, 

seine Aufregung länger zurückzuhalten. 


Sind das die Zugtiere, die wir in Brokeburg 

gekauft haben, um unser Getreide 

in die Dreschscheune zu bringen?

Beinahe flehend hob er die Hand, 


denn der verzweifelte Mann wollte alles 

von sich fernhalten, was seinen zerfressenen Geist 

noch mehr vergiften könnte. Und nun verstand 

auch der Hebräer den Zustand seines Gefährten. 


Kurz und bündig versuchte er, die bösen Gedanken 

des Iren von sich abzulenken.

Lass gut sein, beschwichtigte er, wandte sich ab 

und rührte in einem Kessel mit Haferbrei, 


man hat mir die Tiere vor dir geliehen, 

weil meine Garben schon lange gebunden sind 

und weil meine Ernte wider Erwarten reichlich war. -

Und währenddessen verbrennen und verdorren 


meine armen Büschel. Ich habe denselben Boden wie du, 

aber ich kann nichts anbauen. 

Selbst wenn ich es wollte.

Das seltsame Schielen trat wieder in die Augen 


des Jungen. Angewidert warf er einen Knochen, 

an dem er noch immer nagte, in die Ecke.

Du wirst eine gut gefüllte Scheune haben, 

wenn die Gazelle des Orients 


in dein fruchtbares Bett geschlüpft ist, 

sagte er mit einem heiseren Schluchzen, 

wann wird das sein, du Maiblut-Bräutigam? -

Was geht dich das an?, unterbrach ihn der Jude mürrisch 

und blickte zur Tür. Dank dem Großen in Brokeburg 

ist jeder Mann Herr in seinen vier Pfählen. 

Ich kann tun und lassen, was ich will.


Jetzt sprang Patrick auf und griff sich an die Kehle, 

um wenigstens einen Atemzug zu schaffen. 

Ein verzweifeltes, wahnsinniges Lachen stieß er aus:

Rechts, rechts, sind freie Männer. 


Unter Peitsche und Rohrstock, freie Männer. 

Ha, wir sind wohl im gelobten Land. 

Ich danke dir, Jakob, dass du mich daran erinnert hast. 

Man sollte es nie vergessen. Niemals. Ich danke dir.


Damit sprang der irritierte Mann aus der Tür. 

Sein Gastgeber wollte ihm die Hand schütteln, 

doch der Ire war bereits halsbrecherisch 

in den aufsteigenden Nebeln verschwunden.


Kopfschüttelnd stellte der Hebräer 

beide Querbalken vor den geschlossenen Eingang.

Bis zum Morgengrauen kletterte die Flamme 

zu den blassen Sternen hinauf, 


dann war die Hütte ein Aschehaufen, 

und der frühe Wind fegte verkohlten Staub 

über die verrottenden Reste der Garben. 

Die Kadaver von Mensch und Tier 


zerfielen in den mütterlichen Boden.

An der Spitze einer Schar von Siedlern, 

die den Wahnsinnigen gefangen genommen hatten 

und mit seiner Tat prahlten, eilte Milon, 


stumm und in seinem Innersten erschüttert, 

Zu demjenigen, der es unternommen hatte, 

das Schicksal so vieler Sterblicher zu ordnen.

Eine rote Morgensonne war gerade 


aus den bunten Strudeln des Meeres aufgetaucht 

und glühte nun mit einem tiefen, milden Feuer 

über dem Burghof und dem Wipfel 

einer mächtigen Linde. Sie trieb auch Störtebeker

einen blutigen Reif auf die Stirn, 

denn Klaus saß auf der steinernen Bank, 

die den Baumstamm umgürtete, 

hatte beide Ellbogen auf die raue Tischplatte gestützt 


und betrachtete nun ungläubig, seltsam, verständnislos 

die schwarzen Bänder sowie das schwarze Siegel 

einer Briefrolle, die unerklärlich auf dieser Platte 


auf ihn gewartet hatte. Niemand wollte sie ihm bringen, 

niemand wusste etwas über die Botschaft. 

Doch je öfter der Riese die wenigen, 

unbeholfen geschriebenen Worte des Schreibens überflog, 


desto heftiger pochte sein Herz, 

und desto stürmischer wurde sein Wille zerrissen.

Dort stand in den großen, bekannten Buchstaben 

von Gödeke Michael geschrieben:


Mein Bruder! Ich hätte kaum gedacht, 

dass ich dich jemals brauchen würde. 

Aber mein Besitz ist in einem schlechten Zustand. 

Hamburger und Dänen, 


die mir immer eine sehr fette Rechnung stellen, 

halten mich jetzt in der Helgoländer Bucht 

so fest umschlossen, dass nicht einmal eine Maus 

aus meinen Schiffen entkommen kann. 


Auch leiden wir an Hunger und Durst. 

Deshalb, Klaus, wenn dein Herz 

noch für deine alten Freunde schlägt, 

zögere nicht und tu, was du kannst. 


Es ist eine böse Sache, wenn einen später 

das Bedauern quält. Es geht hier um Leben und Tod, 

aber auch um das Geschäft des kleinen Mannes. 

Und noch immer ist mir der Spatz in der Hand lieber 


als die Taube auf dem Dach. Bedenke dies gut, 

mein Bruder, aber vor allem, dass wir Rächer 

nur eine kostbare Sache hüten, die Treue zueinander.

Geschrieben auf der fliegenden Burg 


am Fest Mariä Himmelfahrt. Goedeke Michael.

Der Admiral stieß einen gellenden Schrei aus, 

nachdem er sich endlich aus seiner seltsamen 

Benommenheit befreit und den vollen Ernst 


dieses Schicksalsrufs begriffen hatte. 

Rasch flog er auf und warf seine rechte Hand 

ohne Umschweife nach den Schiffen im Hafen, 

als könne allein sein gebieterisches Winken 


den Schwarm um sich versammeln, 

den Schwarm wilder Vögel, mit dem er sofort 

losstürmen wollte, um zu retten, um zu helfen. 

Aber noch während er den Kopf drehte, 


verfing sich sein Blick in der rot erleuchteten Ebene, 

auf der sich gerade die menschliche Tätigkeit, 

die Arbeit, zu regen begann, die er selbst 

zwischen die Schollen gesenkt hatte. 


Nun spross sie dem Licht entgegen, 

unwillig und widerstrebend, nur seinem harten, 

zugleich mitleidigen und mitleidlosen Willen gehorchend. 

Der Arm, den er soeben erhoben hatte, sank schwer herab, 


denn die Gedanken dieses mächtigen Mannes 

griffen einander an, es entstand ein innerer Streit 

und Kampf, der zu auflösend und vernichtend war, 

als dass er in der Brust eines eisernen Mannes 


ausgefochten werden könnte. 

Mit einem schmerzhaften Stöhnen 

griff er nach dem ledernen Wams 

und schob es hin und her. Ein Ausweg, ein Ausweg!


Freund, Bruder, Wohltäter, hörte er, 

losgelöst von sich selbst, seine Stimme 

über das trennende Meer rufen. 

Du bist doch ein Teil von mir, 


ich kann dich nicht vermissen, 

darf die Ungnade und Schurkerei 

deiner Männlichkeit nicht dulden. 

Du kannst auf mich zählen, Goedeke, 


für alles, was uns heilig scheint, 

denn ich werde einreiten, kraftvoll, fröhlich, 

wie du mich gelehrt hast.

Das alles bekräftigte Klaus, 


der noch nicht an eine Pflichtaufgabe gebunden war, 

sondern durch die Welt geweht wurde, 

wohin der Wind oder der Zufall ihn trug. 

Aber dieses heiße Gelöbnis 


wurde auch von dem erlösten Enthusiasmus 

derer widerhallt, die dort unten auf dem rauen Boden standen, 

die er auserwählt hatte, um das jahrelange irdische Elend 

für sich und künftige Generationen weg zu schaufeln, 


auserwählt, obwohl sie sich, wie er wohl wusste, 

in ihrer Dumpfheit nach nichts Köstlicherem sehnten, 

als Pflug und Hacke wegwerfen zu dürfen, 

um ihr altes Streunerdasein neu zu beginnen.


Was, wenn er sie selbst auf die gefährlichen Planken führte? 

Eines blieb gewiss, er würde die Widerspenstigen 

nie wieder auf jene verlassenen Felder der Mühsal 

und der Pest führen können, das Bild, 


das er mit Blut und Erde gemalt hatte, 

würde unvollendet bleiben, es würde sich abnutzen 

und vergilben und allmählich den Zuschauern 

zum Gräuel werden. Und der Feldherr, 


dessen Entschlusskraft sprichwörtlich war, 

umklammerte den Stamm der Linde und versuchte, 

ihn mit seiner gewaltigen Kraft zu schütteln, 

als ob die Krone imstande wäre, guten Rat zu verstreuen.


Ein Ausweg, ein Ausweg!

Da bewegte sich die Schar der Siedler 

geradewegs in den Burghof, und der starrende Mann erkannte, 

wie ein wütender, beschmutzter Bursche 


in ihre Mitte geführt wurde, die Hände gefesselt 

und die spitzen Augen frech, widerspenstig 

und voller Rebellion gegen den einsamen Mann 

unter dem Baum gerichtet.


Schwer, wie angezogen, ließ sich der Admiral 

bei diesem Anblick auf der Steinbank nieder. 

Die anderen traten vor ihn hin. 

Allen voran Milon, der sich vor seinem Herrn niederwarf, 


stumpf, verstört, flügellos. 

Ratlosigkeit drückte sich in der seltsamen Geste aus, 

aber auch die unerschütterliche Gemeinsamkeit 

ihrer Glück-suchenden Flucht.


Nun waren sie beide auf die Erde gefallen. 

Störtebeker fühlte sich durch die Berührung erfrischt, 

denn nur aus dieser Welt bezog er alle seine Genüsse. 

Vorsichtig stopfte er das Pergament in sein Wams, 


und es war sein eigenes unheilvolles Lächeln, 

das sein Gesicht veränderte, als Milon 

endlich seinen Bericht mit der Klage beendete:

Herr, der uralte Fluch hat also auch dein Reich 


der Brüder getroffen. Kain erschlug Abel. -

Warum hast du das getan?, fragte Klaus, 

nachdem der Ire dicht an den Sitz 

des Admirals geschleppt worden war, 


und seine heisere, fast flüsternde Stimme 

erweckte in den Zuhörern 

ein viel nachhaltigeres Entsetzen, 

als wenn der Gefürchtete gewütet hätte. 


Sag mir, warum hast du das getan, Patrick? 

Hattest du nicht genauso viel Land 

wie alle deine Gefährten? Hattest du nicht 

dieselben Werkzeuge, dieselbe Nahrung? 


Habe ich dir nicht alles gegeben, was du brauchst? -

Du?, jammerte der Ire und schlug sich 

mit den gefesselten Händen an die Stirn. 

Schon jetzt war es offensichtlich, dass die Flammen, 


die er entfachte, in seinem eigenen Gehirn 

weiter knisterten und dass es grünliche Funken 

des Wahnsinns waren, die er ausstieß. 

Du hier in deinem Schloss? Du in Samt und Seide? 


Mit werbenden Dirnen und Völlerei? Du? 

Wärst du nicht gern ein Fürst? 

Hast du dir den Wahnsinn nicht nur deshalb ausgedacht, 

um aus unserer Haut einen purpurnen Mantel 


für dich zu machen? Du vaterloser Fischerbastard, 

du geißelst unsere Rücken blutig, 

damit unser Schweiß für dich zu Wein wird? 

Sag mir, wann hast du jemals selbst die Hacke 


in die Hand genommen, gehackt oder gepflügt? 

Weißt du, was Hunger und Frost sind? 

Und vor allem, lass dir sagen, warum du nicht tagein, 

tagaus in unseren Reihen stehst, 


um alle Freuden deiner Gaukelei 

am eigenen Leib zu spüren? -

Halt!, stammelte der Junge, 

der immer noch auf den Knien lag.


Da wurde Störtebeker, der sich an den Tisch klammerte, 

bleich wie eine Leiche: Verrate mir, 

warum du deinen Nachbarn gedemütigt?

Wollte er dir etwas antun? - Nein. -


Hat er sich in deine Angelegenheiten eingemischt? -

Nein. - Patrick O'Shallo, deine Zeit ist kurz. 

Warum hast du ihn dann getötet? -

Schon bei den letzten Worten 


war eine seltsame zuckende Beweglichkeit 

in den Täter gekommen, alle seine Glieder 

spielten verrückt, ein Krampf 

schien seine Knie zu schütteln, 


und es war ein völlig Besinnungsloser, 

der nun seine gefesselten Fäuste 

über den Kopf schleuderte, während er 

zwischen seinen Gefährten herumsprang, 


als wolle er sie bis zum letzten Widerstand aufrütteln.

Warum? warum?, schrie er. 

Man soll ihn hören, den kleinen Clown, 

denn er ist ein Betrüger, ein Färber von Worten, 


ein Menschenfresser, ein prassender Totengräber. 

Wollte er uns nicht Zufriedenheit vom Himmel bringen? 

Neidloses Glück? - Er sprang dicht vor den Matrosen. 

Reiß mich auf, du Schurke, und sieh zu, 


wie meine Galle vor Neid kocht. Armer Kerl, 

was hast du dir eingebildet? 

Kannst du es für den einen regnen lassen, 

wenn der andere Sonnenschein braucht? 


Kannst du mir Jakobs Geist 

und seinen schlauen Verstand geben? 

Kannst du meinen Hunger teilen, 

wenn er doppelt so groß ist wie der meines Nachbarn? 


Du Gaukler, du Schurke, du selbstgefälliger Narr, 

du wolltest uns um deines Wahns willen schnitzen 

wie aus Holz, und wir sind Menschen, Menschen.


Rund um den Kreis war es so still geworden, 

dass man die verdorrten Blätter der Linde 

zur Erde fallen hören konnte. Auf den Gesichtern 

der Siedler lag ein tiefer, zerfurchter Ernst. 


Aber auch Störtebeker bewegte sich nicht. 

Hölzern, gelb, leblos saß er auf der Bank, 

und nur einmal tastete er unter sein ledernes Wams, 

um den Brief von Gödeke Michael 


noch sicherer zu verbergen. 

Rote Schwärze hatte sich vor den Augen 

des Hellsehers zusammengeballt, 

er wusste jetzt in der Nacht, 


dass er seinen Freund, den einen, den besten, 

um dieser vielen, treulosen, unmündigen willen 

würde verlassen müssen. Gequält, atemlos, 

fuhr er sich mit der linken Hand an die Kehle, 


die rechte erhoben und starr über sich 

auf die starken Äste des Baumes gerichtet.

Was wollte er? Keiner verstand ihn. 

Das Schweigen wurde nicht gebrochen. 


Störtebeker deutete wieder in seiner unnatürlichen Ruhe. 

Doch als auch dieses Mal die Lähmung 

die Männer nicht verließ, reckte sich der Anführer 

zu seiner vollen Größe 


und bog selbst einen der Äste herunter.

Habt ihr mich nicht verstanden?, drohte er noch einmal 

mit seinem furchtbaren Ernst, 

und nun erhob sich ein wirres Getümmel; 


Angst, Entsetzen, Widerspruch 

drängten den Schwarm enger zusammen, 

zitternde Hände rührten sich, 

ein Strick wurde über den Ast geschleudert, 


eine Schlinge schwang über einem einzelnen 

schweißnassen Kopf, und mitten in diesem Getümmel 

wirbelte die heiße, schon vor Qualen brechende 

Stimme auf, die noch einmal, 


als könne sie nichts mehr vermissen, 

ihren ganzen wahnsinnigen Hass keuchend, 

unbesonnen in alle vier Winde hinaus brüllte:

Wer ist von den Gleisnern am falschesten? 


Da steht er, der die Armen zu schäbiger Arbeit verdammt. 

Der uns einredet, dass Kuhmist wie Gold sein kann. 

Der die Elenden und Schwachen 

durch Lügen und Täuschung in die Verzweiflung stürzt. 


Der uns nichts geschenkt, 

dafür aber unsere Freiheit gestohlen hat. 

Doch dem Teufel sei Dank, 

dein Untergang ist nah, Störtebeker. 


Der Böse hält dich schon am Bein, 

der Henker schwingt schon sein Schwert über deinem Hals. 

Fahr zur Hölle, du Fluch der Menschheit, 

Fluch deiner Todesstunde, Fluch!


Die Verwünschung erstickte, 

die Glieder des Iren wurden lang, 

sein Körper entschwand im grünen Laub.

Der ohnmächtige Milon 


wurde von Störtebeker schützend weggetragen.

Von da an wanderte der Aufstand offen 

und barhäuptig unter den Siedlern umher. 

Er entlud sich zunächst blutig vor den Dreschscheunen, 


als das Korn für jeden Einzelnen 

nach seiner Leistung abgewogen wurde. 

Wie kam Wulf Wulflam dazu, 

zwanzig Säcke wegzufahren, 


während der Ochsenknecht Lüdeke Roloff 

nur mit sieben beladen war? 

Sollte der Tänzer dafür büßen, weil seine Fläche 

durch das Meerwasser versalzen war 


und jeder Pflug an den scharfen Trümmern 

zersplittert war? Fäuste wurden geballt, 

Knüppel geschwungen, die Männer gingen 

sich wie wilde Tiere an die Gurgel, 


und die allgemeine Auflösung wurde 

nur dadurch verhindert, dass ein noch furchtbarerer Feind 

als Neid und Gier den wütenden Bruderzwist unterbrach.

Das Meer! Schon oft hatte der kundige Bauer 


Propst Hisko van Emden 

bei gemeinsamen Feldbegehungen 

auf die breiten Deiche hingewiesen, 

die er und seine Landsleute in mühevoller Arbeit 


zum Schutz der Felder errichtet hatten. 

Eines Nachts heulte der Nordosten 

sein unheimlich gefräßiges Schlachtlied, 

weißmähnige Wölfe durchstreiften 


in wilden Sprüngen die Ebenen, 

zerrissen und verschlangen alles, 

was sich ihnen entgegenwarf, 

und aus den von ihnen umringten Hütten, 


aus der Ruhe der Arbeit und des gesunkenen Schlafes 

ertönten Furcht und Entsetzen 

in einem einzigen Schrei des erschütterten Entsetzens. 

Am nächsten Morgen, 


als sich der erste bleierne Schein 

aus der Düsternis stahl, 

lagen die Felder unter Schlamm begraben, 

Seetangbündel verrotteten dort, 


wo eben noch Früchte geblüht hatten, 

und Muscheln, Schutt und verfaulende Fische 

wuchsen an ihrer Stelle auf den wirbelnden Schollen.

Jetzt war es notwendig, den menschlichen Arm 


gegen die Brust des Elements zu drücken, 

um neues Eindringen zu verhindern. 

Mit einer Schar von Knechten, 

an der Seite seines Milon, 


ritt Störtebeker durch das Land, von Hütte zu Hütte, 

von Hof zu Hof, und ob er auch überall 

mit zornigem Schweigen 

und gerunzelten Brauen empfangen wurde, 


die Anwesenheit und der einschüchternde Anblick 

des gefürchteten Mannes, und nicht zuletzt 

die noch nicht ganz zerbröckelte Gewohnheit, 

in diesem schönen Menschenbild 


den Träger ihrer Hoffnungen zu sehen, 

trieb die Männer zu einer letzten verzweifelten 

Gefolgschaft. Noch einmal gelang es seinem Ruf, 

Plan und Ordnung in das Ameisengewimmel zu bringen.


Schaufeln wurden geschultert, 

schwer mit Erde beladene Wagen knirschten 

durch die schlechten Wege, 

Bretter und Holzschwellen wurden behauen, 


um sie auf wunden Schultern zur Küste zu schleppen, 

und die Grenze zwischen Tag und Nacht 

verschwand auf einen kurzen, grimmig lachenden Wink 

des Admirals aus dem Bewusstsein 


der hungernden, frierenden 

und schwer arbeitenden Arbeiter.

Drei Tage lang ging das so weiter. 

Denn diesmal stand Störtebeker selbst unter den Seinen, 


sein wilder, trotziger Weckruf feuerte sie an, 

und sie hörten, wie der Riese, 

fast bis zu den Knien im schwammigen Sand versunken, 

mit immer neuer Beharrlichkeit 


Stein auf Stein, Erdhaufen auf Erdhaufen 

gegen die graue Flut unter ihm auftürmte, 

höhnisch und schimpfend.

Kopf hoch, ihr Schuimer, sind wir nicht Söhne 


der alten grauhaarigen Vettel da unten? 

Und wir sollen dulden, dass diese bösartige 

Nervensäge uns wieder in die warme Suppe spuckt? 

Seht, seht, schon rafft sie ihre schmutzigen Lumpen 


zusammen und kriecht zurück. 

Noch einer, und noch einer! Ja, genau, Lüdeke Roloff! 

He, Milon, schnell, 

Gunda soll uns Glühwein schicken! 


Wir wollen die Abfahrt der Nordsee feiern.

In einem Strudel wirbelte der Sturm 

die Anmaßung mit sich gegen die Abendwolken, 

und wie in einem Rausch und Betäubung 


stürmte der todmüde Junge davon!

Als er zurückkehrte, fand er nicht mehr 

dieselbe rastlose Schar vor, die er verlassen hatte. 

Einsam hockte sein Herr auf einem großen Strandstein, 


der auf die bereits auf Körperhöhe angewachsene 

Böschung gehoben worden war, 

um den Massen Gewicht und Halt zu geben. 

Der Mond, der gelegentlich aus den unsteten Wolken auftauchte,


beleuchtete ab und zu ein gespenstisches Antlitz, 

und der grüblerische Mann wandte 

seinen Blick nicht von dem ständig brodelnden 

und zurückweichenden Strudel ab, 


als sei seine Seele bereits von der Flut überschwemmt 

und erfasst worden. Das Schreiben von Gödeke Michael 

raschelte in seiner Hand, doch schenkte er ihm 

ebenso wenig Beachtung wie den dunklen Gestalten, 


die in Rufweite von ihm arbeiteten.

Ein unbeschreiblich bitteres Lächeln der Scham 

verbarg sich in den Mundwinkeln des beunruhigten Mannes, 

als der Junge behutsam auf ihn zuschritt 


und nachdenklich die Finger des treuen Mannes 

zwischen seine beiden gefrorenen Hände legte, 

als wolle er sich an dem jungen Blut wärmen.

Hör mal, murmelte er, wie das Meer grollt und flucht. 


Es muss auch ein Gewissen haben. 

Oder vielleicht rollen die Gedanken auch mit ihm. 

Ich würde sie gern verstehen, obwohl ich glaube, 

die Stimme zu kennen. Sie klingt so wütend 


und voller Verdammnis.

Langsam zog er seine Gefährtin zu sich heran.

Sag mir, mein Schatz, presste er hervor, 

würdest du mich auch um des Dunklen willen verlassen?


Seine Arme legten sich um den schlanken Körper, 

und eine solche Hingabe offenbarte sich, 

dass Milon, mit pochendem Herzen 

und verzehrendem Willen zu helfen, 


weder maß noch hörte, was er antwortete. 

Trennen? Von wem sollte er sich trennen, 

von dem erlösenden Segen, 

der bereits auf die Erde rieselte? 


Oder von seinem Herrn? 

Er schüttelte seine Locken in stürmischem Zweifel. 

Aber Störtebeker nahm es als das erwartete Dementi.

Glaube es, erwiderte er düster. 


Welcher reine Mensch wäre zu so etwas fähig? 

Es braucht eine Seele aus Stein, 

um nur ein einziges Gebot in sie eingraviert zu haben.

Unmenschlich, unnatürlich, verflucht sind die, 


die mit dem Stein belastet sind. Aber komm, 

lass es uns dennoch vollenden.

Damit setzte er die Hornpfeife an die Lippen 

und wollte gerade das Signal ertönen lassen, 


das die Arbeiter zu neuer Arbeit 

um sich versammeln sollte, als Milon es wagte, 

seine Hand sanft, aber hinderlich 

auf den bereits erhobenen Arm des Admirals zu legen.


Herr, mahnte er besorgt, willst du die Männer 

nicht verschonen? Siehe, sie sehen ohnehin 

nur noch wie hagere Schatten aus, 

und ihre Augen fallen vor Müdigkeit zu.


Noch nie hatte der Junge einen Befehl 

seines Herrn vereitelt, so dass sich Störtebeker 

abrupt und fast ungläubig zu ihm umdrehte, 

doch im nächsten Moment lauschte er wieder 


gespannt dem dunklen Trommeln des Meeres 

und schüttelte hartnäckig den Kopf.

Torheit, sagte er, wer bei mir ist, 

muss besessen sein, wie ich, 


verblendet, blind für alles andere, sonst… -

Er lachte hämisch; bald schrillte der spitze Triller 

der Pfeife über Land und Meer, 

der Wind warf sie hin und her.


Stille! Dann lauschten die beiden, 

denn in der Dunkelheit, in der apathischen Einöde, 

war eine Beklemmung, etwas Unheilvolles 

ballte sich im Nichts, als wolle das Schicksal 


aus Schwärze und Stille eine Gestalt formen.

Und riesenhaft, erdrückend, unabänderlich 

kroch es aus der Nacht. Schau, in einer langen Reihe 

rollte es lautlos über die Böschung, 


ein wellenförmiger Heerwurm 

aus ununterscheidbaren Menschenköpfen, 

bis sich seine hundertfachen Schuppen fest, 

unauflöslich um den Anführer selbst wanden.


Eine Vorahnung stieg in Störtebeker auf, 

das Weiße seiner Augen drehte sich 

und glitzerte unheimlich in dem laut atmenden Kreis.

Wozu schart ihr euch, Männer?, rief er 


in unterdrückter Vorahnung, denn er glaubte 

auch jetzt noch felsenfest an das Wunder 

und die Heiligkeit seiner souveränen Mission. 

Warum kommt nicht jeder an seinem Platz zurecht?


Er war in Aufruhr. Als wäre durch seinen Trotz 

die letzte Umklammerung erst ganz gelöst worden, 

strömte Leben in den gefrorenen Ring, 

und während der durchdringende, grässliche Schrei 


der Revolte, der überwundenen Angst, 

die bisher so fest verschlossenen Kehlen sprengte, 

begann es über die vielen Köpfe zu sausen, 

Hunderte von Hacken und Schaufeln flogen 


wütend in das klatschende Meer hinaus, 

und ein einziges, freches, übertriebenes Lachen 

erschütterte die Nacht. Willst nicht mehr schuften, 

du Schuft, heulte es, brummte und zischte, 


und sie packten die Fäuste des Überrumpelten 

und hielten sich an ihm fest wie eiserne Gewichte, 

wir wollen feiern und frei sein, wie du. 

Graben und hacken darf, wer dazu geboren ist; 


wir sind ein umherziehendes Volk 

und fressen am liebsten, was andere gebaut haben. 

Was hat Patrick gesagt? Aus Kuhmist wird nie Gold.

Ein Mann trat aus der Menge hervor. 


Es war der Tänzer Lüdeke Roloff. 

Er stützte sich schwer auf seinen Knüppel, 

und seine sonst so unsicher flackernden Augen 

richteten sich diesmal hohl und glasig 


auf den Anführer, der nun von seinem fürstlichen Sitz

heruntergestoßen werden sollte, 

durch das überhängende, verworrene Dach 

seines Haares. Mein Herr, sagte der herkulische 


Kapitän langsam, wie nach reiflicher Überlegung. 

Dein Wille war gut, nehme ich an. 

Aber es hat keinen Sinn. Es liegt an uns. 

Wenn das Brandmal der Ungerechtigkeit 


und der Ausgestoßenen einmal 

in einen Menschen gesät wurde, 

ist sein Blut vergiftet, 

so dass er zu nichts anderem mehr taugt 


als zum Ersticken, Verbrennen und Rache nehmen. 

Sieh dich um, allen schmeckt das Werk bitter, 

denn wir lieben nicht das Leben mit seinen Schmerzen, 

sondern wollen es umkehren, damit es ein Ende hat. 


Bis dies geschehen ist, bleiben noch überall 

Hohe und Niedrige, denn du selbst 

bist uns ein Zeichen dafür.

Der Redner reckte den Hals vor, 


und in seine Glieder kam wieder 

die seltsame Lust zum Tanzen 

und zu erzwungenen Sprüngen. 

Noch leidenschaftlicher fuhr er fort:


Darum sind wir alle übereingekommen, alle, alle, 

dass wir uns nicht mehr von dir anspannen lassen wollen.

Stattdessen wollen wir heute Nacht als schwarze Brüder, 

als ein wanderndes Volk auf die Schiffe gehen, 


und du wirst uns führen, Klaus Störtebeker.

Plötzlich begannen in der Menge wilde, 

johlende Stimmen zu singen:

Von den Masten wehen die schwarzen Fahnen,


Heißa heißa! Klaus Störtebeker ist Kapitän.

Doch mitten in der Melodie sprang 

der schlaksige Arnold Frowein 

mit einem gewundenen Sprung aus ihren Reihen, 


und während die tiefen Falten in seinem Gesicht 

noch unnatürlicher lächelten als sonst, 

brummte der ehemalige Töpfer:

Weißt du etwas Neues, Klaus Störtebeker? 


Du hast uns belogen und betrogen! 

Du hast den Brief von Gödeke Michael vor uns versteckt. 

Wir kennen deine Pfeifen. 

Aber wir wollen uns zu ihm durchkämpfen, 


um wieder Gericht zu halten. Wir wollen hören, 

wie unsere Hälse geknackt 

und unsere Brust gerüttelt wird. 

Gericht, Gericht, das Jüngste Gericht!


Und von dem Haufen schlug es nun wütend 

und brüllend gegen den Nachthimmel:

Dort richtet die Reichen an Leib und Seele

Der Goedeke Michael, der Goedeke Michael.


Führt ihn ab, befahl der Steuermann Lüdeke Roloff 

und deutete auf Störtebeker, und behaltet ihn im Auge. 

Die Torheit ist hinter uns.

Die Trommel ertönte wie üblich, 


als der Zug das Deck der Agile betrat, 

während der Admiral Schritt für Schritt brütete. 

Wie ein von eisernem Schlummer geplagter Mann 

hatte sich der Riese bis dahin von der Menge 


vorwärts treiben lassen, aber sein auf die Brust 

gesenkter Kopf schien von keinem Geräusch 

der Außenwelt mehr erreicht zu werden, 

denn er lauschte stur in die Tiefe 


und verfolgte nur das gespenstische Getriebe 

seines Inneren. Erst als die Menge, 

schon bedrückter und kleinlauter, 

die Hüttentreppe hinuntergeströmt war, 


als das gleißende Licht der venezianischen Laternen 

das blau-weiße Gewebe der Wände belebte, 

als der blitzende Schimmer all der köstlichen Schalen 

und Geräte seine spitzen Pfeile 


gegen die Sinne des Dösenden 

mitten in der Stille des Raumes schoss, 

da hob der Riese mit einem Mal den Kopf, 

sah sich mit dem ernsten Erstaunen 


eines aus einem Schacht Aufgestiegenen um, 

und plötzlich erhielt sein Bewusstsein 

oder sein eigenes Leben einen solchen Ruck, 

dass er mit einem wilden Ruck die Hände, 


die ihn noch hielten, von sich wegschleuderte.

Mit furchtbarem Ernst, die Adern des Zorns 

hoch geschwollen, stemmte er sich 

mit dem Arm gegen die Tür.


Geht, befahl er seiner Eskorte, 

die sich hier auf den Planken wieder als Matrosen fühlten 

und der Macht dieses Einzelnen unterworfen waren.

Niedergeschlagen wichen sie 


vor der abscheulichen Verachtung zurück, 

die ihnen entgegenschlug. 

Auch wenn sie den Ausbruch ihres Anführers 

nicht verstanden, so schlug der Hohn seiner Worte 


sie doch ohne Widerstand die Treppe hinauf.

Habt Dank, ihr schönen Söhne Adams, 

ihr edlen, ihr sauberen, ihr menschlichen Wesen, 

fuhr Störtebeker ihnen nach. Gott sei Dank, 


ich sehe wieder, was ich sehe, ich rieche, was ich rieche, 

welche Lust, die Dinge in ihrer Nacktheit zu begreifen. 

Geht, wiederholte er wütend, durchforstet die Schiffe, 

bestückt sie, legt Proviant hinein. 


In acht Tagen muss ich die Küste hinter mir haben. 

In höchstens acht Tagen! Und dann, Likedeeler, 

Seeräuber, Rächer, Glückliche. Ha, ha, 

allen guten Engeln sei Dank für das passende Wams! 


Und in die Senkgruben alle Gewänder der Verstellung.

Stille trat ein, das letzte scharrende Geräusch 

des Verschwindens war verklungen, 

der Admiral und sein Junge standen sich allein 


unter den geschliffenen Gläsern der Laternen gegenüber.

Unbeobachtet, ungestört, denn der kleine Wichmann 

verbrachte diese Nacht wieder mit den Vergnügungen 

der Marienhafener Kneipen.


Als wäre dies nun die wichtigste Angelegenheit, 

zog er sein ledernes Wams aus 

und hängte seine Mütze sorgfältig an einen Nagel, 

alles Dinge, die er sonst seiner Kellnerin überließ. 


Schließlich tastete er mit einer eiligen Suche 

vorsichtig das offene Leinen über seiner Brust ab, 

bis er schließlich über die Schultern und Arme 

seines Jungen strich. Und das alles, 


ohne sich von der Totenblässe seines Begleiters 

abschrecken zu lassen. Dann, als hätte er es gefunden, 

schüttelte er den Verstummten und murmelte ihm zu:

Lehm, Staub, Erde. Deine weiße Haut, Täuschung, 


mein zierlicher kleiner Junge. Spürst du nicht, 

wie sie darunter anschwillt und vor Sehnsucht 

nach dem Dreck drückt? Warum täuschst du dich 

und mich mit Eingebungen, 


die deinem Wesen zuwiderlaufen? 

Lache, Kleiner, lache, die Törichten werden 

wieder sehend und schämen sich ihrer verklebten Augen. 

O, ich möchte meinen Kopf in ein Kellerloch stecken. 


Er unterbrach sich und hörte zu. 

Hörst du, wie sie oben jubeln und tanzen? 

Da will der Mist Mist sein, da will der Mist Mist sein. 

Allen guten Engeln sei Dank, 


ich werde sie dorthin werfen, wo es am stinkendsten 

nach Verwesung dampft! Zucke nicht mit der Lippe, 

wenn du dein Leben riskierst, Junge, 

widersprich mir nicht. Ich schwöre dir, 


wenn ich noch einmal einen Verrückten treffe, 

der glaubt, dass sich auch nur ein Haar 

auf unserem Kopf in einen goldenen Faden 

verwandeln lässt, dann hänge ich den Rosstäuscher 


selbst an der Rah auf und reiße ihm die Zunge heraus!

Mit einem wiehernden, rollenden Gelächter 

warf er sich auf sein Ruhebett und streckte sich aus, 

alle mächtigen Glieder erstarrten wie auf einen Schlag, 


und nur die rastlosen schwarzen Augen 

wanderten noch ruhelos auf der Deckenvertäfelung umher. 

Kaum verständlich, stöhnend vor innerem Vorwurf, 

stammelte er vor sich hin:


Patrick, Patrick! - Warum rufst du die Toten?, 

trat Milon zitternd näher. Noch so jung, 

flüsterte der Liegende unbeweglich weiter. 

Und schon so ein Ankläger des Herzens. 


Ich wünschte, er stünde an deiner Stelle, 

und ich würde ihn ins Herz schließen.

Wieder herrschte Schweigen. Alles, was zu hören war, 

war das knirschende Hämmern an Deck.


Wie eine Totenwache lehnte Milon 

am Fußende des Bettes und wandte seinen Blick 

nicht von dem dort ausgestreckten Mann ab, 

der immer mehr in die Stagnation des Schlafes sank. 


Und unterdessen rutschte der Boden 

unter den Füßen des Wächters weg. 

Betäubung und Klarheit wechselten sich 

in seinem Hirn ab, denn vor ihm entstand die Gewissheit, 


dass dieser Erdengott, der zerstören wollte, um zu erlösen, 

nun selbst zerbrochen dalag, erdrückt von seiner Mission, 

die er lästernd und fluchend 

in die Wolken zurück schweben ließ. 


Und deshalb all die Geopferten? 

Die Mütter und Kinder der Berge? 

Die Ertrunkenen und Erschlagenen? 

Die Gehängten wie Patrick? 


Und die Verdorbenen wie Karin? 

Vor seinem wandernden Blick bewegte sich 

eine Prozession von Leichen über die Erde, 

einem braunen Kreuz folgend, dem rauen Holz, 


das einst in Karins Schlafgemach eingelassen war, 

und die Skelette zeigten alle mit knöchernen Fingern 

auf sie, auf sie, die allein zurückgeblieben war, 

um eine Grube voller Dreck zu hüten. 


Oder war es dieses üppige Kissen, 

auf dem der Mann das Vergessen suchte?

Herr, Herr, rief sie aus. Aber sie wusste nicht mehr, 

welchen ihrer Götter sie meinte. 


Benommen, schon halb entführt, 

öffnete der Schläfer noch einmal seine Augen.

Komm, meine Liebe, murmelte er.

Da fiel Karin, halb besinnungslos, 


vor dem Lager nieder, umschlang den Riesen 

mit ihren Armen, wie man einen letzten Besitz 

vor der Zerstörung zu bewahren trachtet, 

und all ihre unendliche Angst 


vor der verdienten Verdammnis 

entlud sich herzzerreißend:

Herr, entweihe dich nicht. 

Fliehe vor neuer Gewalt 


und verkünde irgendwo auf Erden, 

was dir offenbart worden ist. Glaube, glaube, 

es ist der Geist allein, der die Toten lebendig macht. 

Ich will dir dienen vom Morgengrauen bis zur Nacht, 


was immer du mir auftragen magst.

Aber Klaus war schon zu sehr in den Fesseln 

einer dumpfen Erniedrigung, um die Opferbereitschaft 

dieser einzigen Seele, die er je wirklich verklärt hatte, 


anders als mit ungläubiger Verachtung aufzunehmen. 

Seine Glieder lockerten sich mehr und mehr, 

und während er, kaum bewusst, 

das blonde Haar der Gefallenen streichelte, 


murmelte er, oft unterbrochen und bereits in voller Verzückung:

Narr, das Feuer dieses Sterns will erlöschen. 

Wer weise ist, wird sich noch ein letztes Vergnügen 

aus dem Aschenhaufen holen. 


Saufen, Weiber, Raub, Geplänkel mit dem Tod, 

das ist, was bleibt. Gib mir dein Herz, mein Kind.

Damit sank er in sich zusammen.

Seine Wächterin aber lehnte noch einige Zeit neben ihm 


an der Wand, und je länger er über die Vergangenheit 

und die Zukunft grübelte, desto bitterer 

veränderte sich das blasse Frauengesicht. 

Jetzt zeigte sich, dass nicht nur das Göttliche 


des entrissenen Mannes in diesem Wesen 

Wohnung genommen hatte, sondern auch, 

wie sich die Schrecklichkeit seiner Vorsätze 

allmählich in ihm festgesetzt hatte.


Sie trat näher heran und versuchte zu sehen, 

ob ihr Herr noch einmal ermutigt werden könnte. 

Aber der Riese ruhte, ein Bild aus dunklen Rissen.

Dann sprach sie laut in sein Gesicht, 


als ob er es noch hören müsste:

Du wirst nicht zu den Dienern des Lasters zurückkehren, 

Klaus Störtebeker. Du wirst in der Unschuld 

deines Willens gehen. Möge der Himmel dir gnädig sein.


Hastig bedeckte sie sich mit Störtebekers Ledermütze, 

warf sich seinen Schafspelz über, 

und bald glitt ein Boot unauffällig 

die dunkle Hafenstraße hinunter. 


Es legte an der Kogge von Wichbold, 

dem angeblich kranken Mann, an. 

Dort blieb es bis zum Morgengrauen.

O Karin, o Milon, Störtebekers Liebe!




ZWANZIGSTES ABENTEUER


Kapaunen, Kapaunen gefüllt mit süßem Kuchen, 

bring mir mehr davon! Und du, Stadtschenke, 

vergiss den öligen Rotwein nicht, 

so schmatzte und schnaufte der dicke Wichbold 


in einer der braun geräucherten Kammern 

des Hamburger Rathauses an einem der letzten 

Septembertage des Jahres 1402, 

und in der Freude über die erlesenen Köstlichkeiten, 


die gebraten und gekocht den Tisch 

dicht um ihn herum bevölkerten, 

knöpfte er ein paar Seitenknöpfe 

seines grünen Matrosenkittels auf 


und machte Platz für weitere Genüsse. 

Neugierig verschlang er bereits mit den Augen 

einen der roten Hummer, der auf einem Silberteller 

liebevoll seine Scheren nach ihm ausstreckte.


Gut, gut, lobte er kurz den gebückten Stadtschenken, 

der ihn bediente und während des gesamten Imbisses 

ein merkwürdiges Lächeln im breiten schwarzen Kragen 

seines Wamses verschwinden ließ. 


Ihr guten Bürger Hamburgs wisst, 

was ihr einem frommen Seemann zu verdanken habt. 

Beim heiligen Paulus, euer Verlust soll es niemals sein. 

Ich werde es euch ehrlich vergelten. 


He, erinnerte er sich, nachdem er sich 

einen weiteren vollen Schluck 

des dicken Italischen Weins eingeschenkt hatte, 

weißt du schon, mein Lieber, wo dein Gast 


heute Nacht übernachten wird? 

Es würde mich freuen, einen Gebetsschemel zu finden, 

denn ich habe der heiligen Anna 

auf einer gefahrvollen Reise eine Wache gelobt.


Bei dieser Frage des alten Helden sank das Kinn 

des Schenken wieder tief in die Schwärze seines Kragens, 

und es dauerte einige Zeit, bis ihm eine Antwort einfiel.

Ich höre, beugte er sich vor, dass der Rat 


ein eigenes Haus für dich vorbereitet.

Erstaunen stieg in den Augen des Vielfraßes auf. 

Auf so viel Ehre war er nicht vorbereitet, 

und sein schlauer Verstand überlegte eine Weile, 


ob seine Geheimnisse für die geizigen Krämer 

wirklich so teuer sein konnten. 

Doch die Köstlichkeit der Mahlzeit 

und die respektvolle Art, mit der sie empfangen wurde, 


zerstreuten bald die aufkommenden Zweifel 

des dicken Mannes, so dass er gerade beginnen wollte, 

den Hummer mit gesteigerter Empfänglichkeit zu essen, 

als ein bewaffneter Mann eintrat. 


Er stieß seine Hellebarde auf den Boden und berichtete:

Der werte Bürgermeister Tschokke lädt dich 

nun zu einem Verhör ein. - Sieh an, sieh an, 

quetschte sich Wichbold hinter dem Tisch hervor, 


erneut verstört. Wovon redest du, mein Freund? 

Es handelt sich nicht um ein Verhör, 

denn ich habe dem Rat eine Befragung angeboten, 

im Gegenzug für ein kostenloses Geleit.


Ich weiß es nicht, antwortete der Wächter unwirsch.

Hinter der Tür gesellten sich noch ein paar 

schwarze Hellebarden zu der Prozession, 

und während sie durch dunkle Gänge 


und die krumme Treppe hinaufgingen, 

begannen die alten Kopfwunden des grauhaarigen Sünders 

zu pochen, und sein Herz krampfte sich 

in feiger Hilflosigkeit zusammen, wobei er sich fragte, 


ob ihm seine Rachegelüste nicht 

einen allzu dummen Streich spielten. 

Doch kaum hatte er den weiten, 

niedrigen Ratssaal betreten, gewann er neue Zuversicht, 


denn ein einzelner Mann saß an einem grün gedeckten Tisch 

an der Seite des Fensters, und mit einer müden 

Handbewegung wies er die Stadtknechte an, 

sich zu entfernen. Sie blieben allein.


In dem einsamen Raum schwirrte ein Schwarm Fliegen 

unter der Decke umher, und durch die vergitterten Fenster 

hörte man gelegentlich das Rollen von Fuhrwerken 

und die Geräusche einer Handelsgemeinschaft. 


Alles schien friedlich, vor allem aber die Person 

hinter dem Tisch. Über dem karmesinroten Kragen 

seines schwarzen Ratsherrengewandes 

hob sich ein einst voller, jetzt faltiger Kopf, 


und seltsamerweise fiel grauweißes Haar 

auf die harte Stirn des noch nicht gealterten Mannes. 

Der Mann musste vorzeitig gealtert sein.

Mit einem Mal richtete der Würdenträger 


ein Paar stahlblaue Augen auf den Freibeuter, 

und dieser Blick hatte etwas so Kaltes 

und Abschätzendes an sich, dass der dicke Mann 

zu zittern begann. Es gefiel ihm auch nicht, 


dass man ihn nicht einlud, sich zu setzen, 

obwohl man ihm einen mächtigen Lederstuhl 

hinterhergeschoben hatte. Wer bist du?, 

erhob der Bürgermeister ruhig seine Stimme.


Ich? - Der dicke Mann gab sich zugeknöpft. 

Ich bin Hauptmann Wichbold, stieß er hervor, 

faltete aber zugleich demütig die Hände über dem Körper, 

ein Diener Gottes, der mit Freibriefen 


aus Rostock und Wismar die gute Stadt Stockholm 

geplündert hat. Endlich habe ich die goldene Biene 

zum Wohle des gemeinen Mannes geführt.

Die ungerührte Miene des Hamburger Territorialisten 


änderte sich bei dieser harmlosen Schilderung 

nicht im Geringsten; er wühlte gleichgültig 

in ein paar Pergamenten und antwortete:

Ich kenne deine Taten. Du kommst von der Störtebeker.


Gott verdamme ihn, mischte sich der Hauptmann hier ein, 

als die roten Narben zwischen seinen grauen 

Haarwülsten aufzuflammen schienen. 

Möge dieser Volksverderber ein unrühmliches Ende finden.


Was nun?, drängte der Bürgermeister 

und putzte sich eine große Schwanenfeder.

Jetzt sah der dicke Mann, dass er seine Karte 

ausspielen musste, wenn er nicht jede Bedeutung 


und Wichtigkeit verlieren wollte. In heiliger Entrüstung 

wiegte er daher seinen dicken Kopf, 

und seine hochgezogenen Lippen zuckten vor innerer Not, 

als er sich zerknirscht erhob:


Eure Würden, nicht jeder kann sagen, 

welchem Herrn er dient. Meiner, 

gepriesen sei sein Name in Ewigkeit, 

hat mich nicht umsonst durch Undank und Schmach, 


durch Eiter und Eiterung gewälzt, 

so dass meine Seele zur Besserung und Reue bereit ist. -

Mann, sag jetzt kurz, was du vorhast, 

dass wir es hinter uns bringen, sonst...


Herr, rief nun der Bauch gereizt aus, 

wobei ihm unwillkürlich alle Unbefangenheit 

abhanden kam, ich bringe euch, was mehr ist 

als euer Bier, Leder, Erz oder Getreide. 


Und ihr werdet es mir gerne in angemessenem Maße 

zurückzahlen… - Sei dir dessen sicher, 

lehnte sich der Ratsherr entschlossen zurück.

Gut, gut, so übergebe ich den Erzfeind 


eures Handels und der friedlichen Schifffahrt 

in eure Hände, damit diese Geißel 

des Menschengeschlechts, nachdem ich sie reumütig 

als solche erkannt habe, nicht wieder 


durch Prahlerei, Laster und Unzucht 

allen Gesetzen Hohn spricht.

Bei der Erwähnung des unglücklichen Lebenswandels 

von Störtebeker verfielen die Gesichtszüge des Mannes 


hinter dem Tisch zum ersten Mal in eine seltsame Starre. 

Eine wächserne Leblosigkeit ließ sie für einen Moment 

fast durchsichtig erscheinen, und er bedeckte seine Augen 

mit der rechten Hand, bevor er dem Freibeuter 


signalisierte, fortzufahren. Dieser freute sich 

über den sichtbaren Eindruck und folgte schnell 

und klappernd seinem Vorschlag.

Herr, grunzte seine trunkene Heiserkeit, 


und seine geschwollenen Äuglein glitzerten dazu, 

in spätestens vier Tagen wird sich Störtebeker 

in Marienhafe bereitmachen, um sich auf den Weg 

zu Gödeke Michael zu machen. 


Doch seine Flotte ist vermoost, zudem nur halb ausgerüstet, 

seine Besatzung schwierig, selbst die Friesen 

in seinem Rücken nehmen dem verrückten Räuber übel, 

wie sie sich die verkauften Ländereien 


wieder aneignen möchten. Wenn man die Zeit nutzt, 

kann man ihn noch zwischen den Inseln abfangen. 

Ich selbst werde euch, von meinem Gewissen getrieben,

Führungsdienste leisten, und dann dürft ihr den Herold 


eines gotteslästerlichen Zeitalters foltern, 

pfählen und peinlich zu Tode bringen, 

dürft ihr den Verbreiter aller stinkenden Lüste foltern, 

pfählen und peinlich zu Tode bringen.


Er atmete schwer und mit Genugtuung.

Herr Klaus Tschokke lehnte sich ebenfalls auf den Tisch 

und hielt seinen ergrauten Kopf noch eine Weile 

über seine Pergamente. Dann sagte er wie beiläufig:


Deine Angaben sind nur zur Hälfte richtig. 

Störtebeker wird nicht zu Gödeke fahren. -

Mit Verlaub, warum nicht? -

Weil man die Toten nicht besucht. 


Der Kopf von Michael liegt schon verwesend 

zwischen den vier Pfählen auf unserem Grasbrook. -

Gerechtigkeit des Himmels, stammelte der Freibeuter. 

Mit offenem Mund, grüner Blässe 


auf seinem schwammigen Fleisch, sank er 

unaufgefordert in den großen Ledersessel, 

denn eine düstere Befürchtung um seine Person 

ließ seine Brust erstarren. Welchen Verdienst 


würden diese Gauner haben, wenn sie es wagten, 

den mächtigsten Seeherrscher des Tages, 

den Verbündeten von Königen und reichen Städten, 

wie einen gewöhnlichen Wegelagerer der Schmach 


und dem Schwert auszuliefern? Möge Petrus 

mir ein leichtes Erwachen beim Abendmahl gewähren, 

stöhnte er geistesabwesend, und seine Angst 

veranlasste den verwirrten Mann, 


nach Rechtsgründen zu suchen, 

gilt denn keine Charta mehr? Michael war 

in ehrlicher Fehde mit euch!

Als hätte der andere gar keinen Einwand erhoben, 


fuhr der Bürgermeister kaltblütig fort, 

mit seiner Feder zu fummeln, bis er endlich, 

ohne jeden Versuch einer Rechtfertigung, 

die Schwanenfeder wegwarf, um von neuem zu beginnen:


Sag mir nun, wer bürgt für mich, dass deine Aussagen 

wahr sind? Hast du ein Zeugnis dafür, 

wie weit man dir und deinesgleichen trauen kann? -

Oh, der heiligen Jungfrau sei Dank, die Rettung war nah. 


Der dicke Mann atmete auf, wischte sich 

die runden Schweißtropfen von der Stirn, 

und während er hastig, aber unendlich erleichtert, 

eine dünne Goldkette aus seinem Kittel nestelte, 


richtete er seinen gebrochenen Körper 

wieder zuversichtlicher auf.

Hier, Ehrwürden, versuchte er vertrauensvoll zu lächeln, 

obwohl es immer noch eine angestrengte Grimasse blieb, 


das hat mir ein sehr zartes Mädchen für dich gegeben, 

damit du weißt, dass alle meine Worte 

aus ihrem Munde kommen. Sie lebt schon lange 

mit Störtebeker zusammen, 


weil er ihr schändliche Gewalt angetan hat, 

und auch jetzt schleppt sie sich in Männerkleidern dahin, 

weder mit Zucht noch mit Scham. Es ist ein Elend, 


dieses schöne Ding zu sehen. Hier, überzeuge dich selbst.

Mit zitternden Fingern legte er das Juwel 

dicht vor dem Würdenträger auf den Tisch.

Doch Herr Klaus Tschokke rührte sich nicht. 


Nur von der Seite warf er einen fast ängstlichen Blick 

auf das Schmuckstück, um sich zu vergewissern, 

ob es sich wirklich um die Schaumünze handelte, 

die an dem Kettchen hing, 


das Karin einst als Kind 

aus den Händen seines Vaters erhalten hatte. 

Und als er sich von der Echtheit des Stücks überzeugt hatte, 

blieb er regungslos sitzen und schloss erneut die Augen. 


Nur einmal zuckte seine bereits geöffnete Hand 

von dem Schmuckstück zurück, als ob ihr Flecken 

und Krankheiten anhafteten. Doch Wichbold entging 

die eigentümliche Schwäche des Mannes nicht.


Nun, erkundigte er sich selbstbewusst, 

traust du dem Ding? - Das blasse Gesicht 

mit den geschlossenen Augen nickte.

Dann bezahlt mich nach dem Honorar, zischte Wichbold 


frech, denn die Gier verführte ihn, 

und er schlug mit der Faust auf das grüne Tuch. 

Wie wollt ihr mich bezahlen? - Wie du es verdienst, 

drang plötzlich eine Stimme durch den stillen Raum, 


die vom Himmel zu fallen schien, 

so wenig traute man dem beherrschten Stadtherrn 

mit solch stählerner Leidenschaft.

Was hatte das zu bedeuten?


Nun, mit einem seltsamen Schaudern in den Knien, 

sah sich der Freibeuter um. Bevor er überhaupt 

an sich denken konnte, an den Ort, an dem er sich aufhielt, 

an den hartgesottenen Bürger, 


mit dem er einen so gefährlichen Streit führte, 

war ein Blitz durch ihn gefahren, 

der bis ins Gehirn reichte 

und den schwammigen Körper des Schuimers


widerstandslos in den Sessel schleuderte. 

Er wollte die Hände ausstrecken, aber er konnte nicht. 

Er wollte etwas sagen, am liebsten ein Flehen um Gnade, 

aber stattdessen zwang ihn sein schrecklicher Mangel 


an Willenskraft, seine Worte zu verschlucken.

Der Bürgermeister hatte sich erhoben, 

seine kalten blauen Augen blickten prüfend 

in die Qualen seines Gegenübers, er winkte, 


die Wachen schwärmten zur Tür herein, 

und auf ein neues Zeichen des grauhaarigen Mannes 

hoben sie den Stuhl samt Last in die Höhe 

und trugen die zum Schweigen verdammte Masse fort.


Eine Weile blickte der Bürgermeister ihnen 

regungslos hinterher, dann ließ er sich nieder, 

schob das Kettchen weit von sich und strich 

mit seiner Schwanenkralle über das Pergament.


Auf den Schiffen Marienhafes 

hämmerten derweil Hämmer, knarrten Sägen, 

wurde morsches Holz ersetzt, lieferten die Seiler 

neue Taue, und die Weber halfen, die Segel zu flicken. 


In erstaunlich kurzer Zeit bekleideten sich 

die aufgetakelten Skelette mit der Haut 

und all den Nerven, die die toten Seevögel 

wieder zum Fliegen befähigten; ja, man konnte 


die hüpfende, fiebrige Ungeduld ihres Anführers 

förmlich in den mächtigen Holzkörpern pochen 

und vibrieren hören. Aber der Mächtige, 

der wilde, unbeherrschte Mensch, 


von dem sie glaubten, dass er allein 

ihre Sehnsucht nach Raub, Rache 

und uneingeschränktem Besitz aller Güter 

der Erde garantieren könne, wurde in diesen Tagen 


der Vorbereitung ungestümer und wütender 

denn je umhergetrieben. Oft musste Milon, 

der jeden seiner Schritte aus der Ferne beobachtete, 

sich unter Tränen eingestehen, 


dass die Schande der enttäuschten Hoffnungen 

oder die Schande der Niederlage vor der Menge 

in dem Meister nichts anderes als die Gier geweckt hatte, 

all den Glanz in sich auszulöschen, 


der ihn bisher von den Verdorbenen unterschied. 

Nächtelang brüstete er sich in den Tavernen des Dörfchens 

mit allerlei verderbten Frauen 

und organisierte zu seinem eigenen Vergnügen 


sogar Einbrüche und Diebstähle in den Werkstätten 

und Geschäften der Eingeborenen, 

nur um die davon Betroffenen 

mit wahnsinniger Großzügigkeit zu entschädigen. 


Die fürstliche Natur des einst von Gott 

so gesegneten Mannes zeigte sich nur 

in Verschwendungssucht oder in der Sucht, 

die Korruption der Herrschenden zu übertreffen.


Als er auf die Agile zurückkehrte, hager, 

mit tiefliegenden, flackernden Augen, erfrischte er 

seinen Geist nicht mehr wie früher durch das Studium 

der Dichter und Philosophen, in denen er einst 


so vergnügt gewühlt hatte, sondern streifte 

wie ein gefräßiger Wolf über das Deck, schimpfte 

und tobte, suchte nach Fehlern und Auslassungen.

Erledigt, erledigt, war das einzige Wort, 


das er den fieberhaft Arbeitenden entlocken konnte. 

Zu diesem Zweck schlug und malträtierte er 

die aufgebrachten Matrosen, wozu der Adlige 

nie seine Hand missbrauchte, 


oder er zwang seine Untergebenen, 

aber auch das gemeine Volk, 

zu Zechgelagen und waghalsigen Kartenspielen, 

bis die weniger Ausdauernden unter den Tisch 


der prächtigen Kajüte fielen, verfolgt 

von seinem höhnischen Gelächter.

Es war klar, dass der Wein dieses Lebens 

schal wurde und in Fäulnis überging.


Einmal fragte ihn der kleine Wichmann, 

der selbst diesen Verfall seines Schülers 

mit der Aufmerksamkeit eines messenden 

und vergleichenden Gelehrten beobachtete:


Nun, Klaus, zu welchem Endziel 

voll purpurnen Glanzes und betörender Klänge 

willst du uns nun lenken?

Das Ende eines dieser ausschweifenden Karussells 


war gerade herangerückt, so dass der Riese 

nun allein mit dem ehemaligen Magister war, 

der hinter dem Wein-getränkten Tisch lehnte. 

Aufgeschreckt aus seinen Grübeleien 


hob Störtebeker den Kopf und strich sich 

die wirren Locken aus der Stirn. Offensichtlich 

musste die Frage des Zwerges 

einen ähnlichen Verlauf genommen haben 


wie seine eigenen Gedanken, 

denn der benommene Mann griff 

nach der winzigen Hand seines Gefährten, 

als wolle er sich davon überzeugen, 


ob Fleisch und Knochen diese Information 

von ihm verlangten. Dann legte er den Kopf schief 

und sprach mit einem gequälten, inneren Lächeln:

Hein, hast du schon einmal daran gedacht, 


dass dieses ganze Gejammer aufhören könnte? 

Welcher Friede muss kommen, 

wenn das Herz der Erde seinen letzten Schlag macht. 

Er riss den roten Schecken über seiner Brust auf, 


um nach seinem eigenen Schlagwerk zu greifen. 

Es pochte laut und stürmisch. 

In den Eissagen unserer Vorfahren, 

wie sie hierzulande noch erzählt werden, 


fuhr er dann in sich gekehrt fort, läuft ein Wolf herum, 

der die Sonne verschlingt und erst satt wird, 

wenn er alles Leben verzehrt. 

Ich kenne die Bestie jetzt, Hein. 


Es ist dein und mein Geschlecht und heißt Mensch. 

Es stürmt nach Zerstörung. Welch ein Helfer wäre der, 

der ihm den Weg leuchtet! Bruder, 

und dabei zerdrückte er fast den Becher in seiner Faust, 


ich würde das vom Teufel bewohnte Reich 

an allen vier Ecken in Brand stecken und dann, 

wie Sardanapalus, mit Weibern, 

Suff und Glücksspiel in Schutt und Asche legen.


Hinter ihm folgte ein Seufzer auf diesen wütenden Wunsch. 

Der Feiernde drehte sich um und sah 

in das müde Gesicht seines Jungen. 

Allein der traurige Blick verschlimmerte 


die schlechte Laune des Matrosen um ein Vielfaches.

Was starren deine Augen an, wie zwei offene Gräber? 

Bete den Tag an, feiere und tue deiner Natur 

keine Gewalt an. Willst du von den Würmern, 


die das Ende machen, verachtet werden? 

Verschwende, was du gerettet hast, 

und singe die Lieder der Schurken.

So machte der Zerschlagene seinen Nächsten zornig, 


und je näher der Tag der Abreise rückte, 

desto gieriger suchte er dem Land, 

das er verlassen musste, allerlei 

letzte Freuden zu entlocken.


Was fehlte noch? Eines späten Nachmittags 

sah man von den Schiffen im Hafen aus 

den Reisewagen der Häuptlingsfrau van Ness 

langsam die Höhe der Brokeburg hinauf knarren. 


Da stieg der Admiral, als ob er mitten 

in einem dringenden Befehl steckte, hinauf 

und winkte einem der Schiffsjungen heftig zu, 

sich zu ihm zu gesellen. Plötzlich errötete er, 


denn er schämte sich fast dafür, dass er das, 

was seine Flamme schon fast entfacht hatte, 

unzerstört lassen sollte. Geh, befahl er 

ohne Rücksicht auf die Umstehenden, 


unter denen sich auch Milon befand, 

sag der Frau des Häuptlings, dass ihr Wunsch 

in Erfüllung gegangen ist. Die Flotte ist auf dem Weg. 

Deshalb hat der Admiral sie zu einem Abschiedstrunk 


auf der Agile eingeladen. Sag, es soll ein Fest werden, 

das ihrer würdig ist. - Ungeduldig warf er 

dem Boten ein Silberstück zu, dann rief er 

demjenigen nach, der noch über Bord sprang:


Schone deine Lunge nicht, Junge. 

Lobe und preise mich. Es ist Eile geboten.

Schweigend hatte die schöne Eva 

die Botschaft vernommen. 


Nun saß sie auf dem Ausguck ihrer Kammer, 

von wo aus sie die Lichter der Flotte 

in der Dämmerung zucken und blinken sah, 

und ihr eitler Geist überlegte, 


welchen Entschluss sie fassen sollte.

Die Einsamkeit tat ihr nicht gut. 

Der Raum, in dem sie sich aufhielt, lag im Dunkeln, 

und nur der schwache Schein einer Öllampe 


schwebte aus ihrem offenen Schlafgemach. 

Nur die spärlichen Strahlen brachten ihr etwas Besonderes. 

Jetzt, da der Augenblick nahte, 

in dem der geniale Seeräuber, der Mann 


des Zufalls und des Abenteuers, 

in das Ungewisse seiner gefährlichen Laufbahn 

gerissen werden würde, jetzt, wo man den legendären Mann, 

mit dem ihre Phantasie nicht nur oft gespielt, 


sondern dessen schicksalhaftes Leben 

sie auch geprägt hatte, dessen schicksalhafte Männlichkeit 

sie aber durch ihre Künste schon gebändigt 

zu haben glaubte, leicht für immer verlieren konnte, 


kam eine bittere Erinnerung, ein Vergleich 

über das Verkaufte, und ihr bisheriges Dasein 

erschien ihr nicht mehr so spielerisch 

und harmlos wie früher.


Seltsame Gestalten tauchten 

aus dem dumpfen Schein zu ihren Füßen auf. 

Zuerst glaubte die Verlassene, 

die flüchtigen Lichtflecken würden sich 


zu einem menschlichen Klumpen formen, 

und obwohl ihre Sinne unbeirrt und grobkörnig waren 

wie die der meisten Frauen ihrer Zeit, 

wich sie beunruhigt zur Seite, 


als sie sich in dem Glauben wiegte, 

das Ferkel würde sich zu ihr beugen, 

um seinen struppigen Kopf animalisch 

an ihrem Knie zu reiben. Die trübe Wärme 


wurde ihr unangenehm. Geh weg, 

verscheuchte sie das allzu nahe Phantom und erwachte. 

Mit offenen Augen sinnierte sie dann weiter 

in die neblige Luft des versunkenen Tages. 


Dort drüben, zwischen den schummrigen Lichtern, 

wartete der Riese sicher auf sie, 

denn hinter seiner Einladung, das wusste sie, 

lauerte der Wunsch, sie endlich in die Arme zu nehmen 


und zu unterwerfen. Er hatte nie einen Hehl 

aus seinem brennenden Verlangen gemacht, 

so wie sie selbst kaum aufgehört hatte, seine Lust 

durch ein beiläufiges Versagen zu schüren.


Die Goldblondine lächelte wehmütig 

und stützte ihren Arm auf die Wandplatte. 

Es bereitete ihr ein unendliches Wohlgefühl, 

sich das alles vorzustellen. 


Noch war sie ungebrochen, 

und es war ihre Freiheit und die Geschicklichkeit, 

mit der sie ihren kostbarsten Besitz verteidigte, 

die sie mit bitterem Stolz erfüllten. 


Doch nun, da die feuchte Seeluft ihre Wangen kühlte, 

begann in ihrem Geist jener heimlich nagende Ehrgeiz 

zu schmerzen, den sie von ihrem verrückten 

Vater geerbt hatte, und allerlei weitmaschige Pläne 


von möglicher Größe und künftiger Herrschaft 

zogen das Netz zwischen ihr und dem Fernen enger. 

Zumindest versuchte die Schwankende, 

dieses unerklärliche Treiben und Drängen 


in ihrem Blut so zu deuten. Warum sollte sie sich nicht 

die Kräfte jener Unbezähmbaren zunutze machen, 

die mit Schätzen, Fürstentümern und Kronen 

ebenso unbekümmert spielte 


wie mit der Huldigung betörter Männer? 

Warum sollte sie nicht ihren Fuß auf die Hand setzen, 

die sie hoch ins Licht heben wollte? 

Unermesslich hoch, vielleicht. 


Draußen in der Welt war man im Begriff, 

einen König zwischen Burg und Mauern auszuhungern. 

Wohin sollte ein kühner Mann, der schon 

in die goldenen Fäden des Volksliedes verstrickt war, 


nicht mit kühnen Füßen greifen? 

Vor allem, wenn eine begehrenswerte Frau 

ihm List und Wahnsinn ins Ohr flüsterte? 

Vielleicht war sie sogar klug genug, 


um selbst diesen gewalttätigen Mann 

noch einmal zu zähmen. Gerade dieses letzte, 

dieses ungewisse, gefährliche Spiel, dachte sie, 

reizte ihre Abenteuerlust aufs Äußerste.


Ja, sie war entschlossen, 

und während sie in ihr Schlafgemach eilte, 

um sich heimlich und allein anzukleiden, 

überkam sie der ganze Rausch, 


von dem sie kaum wusste, dass eine Frau 

ihn zu erwecken und zu vermitteln vermag. 

Eine Metallscheibe zeigte ihr ihre Gestalt, 

und sie genoss das Vergnügen, 


ein unsichtbares Schwert um die Hüften zu tragen, 

das auf ihren geringsten Wunsch hin 

blutige Gesetze schreiben würde.

In diesem Moment umarmte sie den Entfernten 


und lehnte ihren Kopf an seine Wange.

Eva wählte sorgfältig ihr schönstes rotes Faltenkleid 

aus Leyden, und als sie es mit flinker Hand anzog, 

spürte sie selbst mit Befriedigung, 


wie der starre Goldschmuck des Kleides, 

der sich über ihrer Brust zu einer Art Sonne verdichtete, 

den Heiligenschein des Reichtums um sie schloss. 

Noch einmal spähte sie vorsichtig aus dem offenen Fenster, 


aber es war keine Menschenseele 

in dem dunklen, feuchten Hof zu sehen, 

sie hörte nur, wie der Wind Wolken 

von trockenen Blättern von der Linde wehte 


und dann kichernd mit den Fegen tief unten 

auf die Steine schlug. Jetzt war es so weit!

Eilig warf Eva ihren grünen, 

ebenfalls mit Goldplättchen besetzten Mantel über, 


zog ihn sich nach dem Brauch der Friesinnen

über den Kopf und huschte leichtfüßig 

die Steinstufen hinunter. Wie ungewohnt 

hämmerte ihr Herz, wie schwer atmete ihre Brust, 


und doch konnte sie sich nicht erinnern, 

jemals ein ähnliches Vergnügen gekostet zu haben. 

Vorwärts, vorwärts, damit ihre seltsam lustvolle 

Sehnsucht durch kein Hindernis gebremst würde. 


Jetzt schlich die dunkle Gestalt schon über den Hof, 

jetzt drückte sie gegen das kleine Tor der Mauer. 

Gott sei Dank, es war offen. 

Von der Anhöhe aus blickte die Broketochter 


noch einmal über die nächtliche Landschaft. 

Der Seewind, der über die Ebene pfiff, 

wehte ihren Mantel um, die bunten Lichter 

der Flotte stiegen und fielen 


wie monströse gezähmte Glühwürmchen. 

Dies war die Sprache, in der Störtebeker 

zu den Seinen sprach. Aber plötzlich 

umspielte ein eigentümlich überlegenes Lächeln 


den Mund der Flüchtigen, so wie durch die Signale 

dort unten die Nacht erhellt wurde; 

wie, wenn der Zügellose, den sie zu verführen gedachte, 

sie nicht mehr aus seinem Griff entlassen sollte, 


wenn er sie mit sich schleppte? O Schande, ihr Stolz 

konnte es nicht ertragen, sich einen solchen Untergang

vorzustellen, und das goldene Stirnband, 

das der Abenteurer ihr soeben gereicht hatte, 


verschwand leise im feuchten Nebel der Dunkelheit.

Gerade als sie ihr Gewand kürzen wollte, 

um zurück auf die Straße zu eilen, stolperte sie, 

und in ihrem ersten Schreck fiel ihr der Mantel vom Kopf. 


Dicht unter ihr knarrte etwas Unstetes aus der Schwärze, 

das durchdringende Quietschen trockener Räder 

war zu hören, und bevor Eva sich entschließen konnte, 

wieder durch das Tor zu schlüpfen, 


wurde ihr Gesicht vom flackernden Licht 

einer Fackel gezeichnet. Ein Diener trat 

hinter dem Wagen hervor. Auch er hielt inne, 

als er seine geschmückte Herrin sah. 


Unter dem Zeltdach aber grunzte 

wie in einem gespenstischen Traum 

jene bestialische Stimme, vor der ihre Jugend 

eben noch vor Abscheu geschaudert hatte. 


Stumm und regungslos musste das schöne, 

von Fackeln erleuchtete Bild mit ansehen, 

wie zwei Männer die gemästete Rundung 

des Ferkels aus dem Gestell hoben, das Ungeheuer 


auf sie zu kroch, sich dann lange an der Pracht 

und dem Schmuck der Gehfähigen labte, 

während die schmalen Schweineaugen 

fast bösartig funkelten. Schließlich schnaufte 


der Klumpen so leise, wie er konnte:

Wohin, meine Liebe? - Zu Störtebeker, 

platzte Eva wütend heraus, da sie ihrem Mann 

keine Geheimnisse vorenthalten wollte.


Stimmt, nickte der Sterngucker zustimmend, 

als ob an dem Verhalten seiner Frau 

nicht das Geringste auszusetzen wäre, 

ich dachte, ich sollte dich warnen.


Bei diesen Worten ergriff seine schwammige 

rechte Hand den Arm der Schönen, schob sich fest 

unter ihren Mantel und schob die immer noch 

zögernde Frau mit sich in den Innenhof. 


Erst unter dem Hauseingang löste sich der dicke Wulst 

von seiner Begleiterin und deutete keuchend 

in den bedeckten Himmel.

Was guckst du denn da oben am Wandelgewölbe?, 


stöhnte er bedeutungsvoll, und es sah fast grausig aus, 

wie die dicke unförmige Gestalt die Hand 

mit der Gewissheit des Besitzes 

nach dem dunklen Gewölbe ausstreckte, 


als wolle er dort oben einen Schrein 

voller kostbarer Gegenstände aufschließen.

Aber Eva erwies seiner Wissenschaft nicht die Ehrfurcht, 

die das Schweinchen sich wünschte.


Ich sehe nur, dass es regnen wird, antwortete sie spöttisch 

und wollte sich abwenden. Doch der Klumpen 

hielt sie zurück. Rücksichtsloses Kind, grunzte er, 

und ich habe die schmerzhafte Reise um deinetwillen 


auf mich genommen. Siehst du nicht, 

wie die sieben Sterne sich Luna nähern? 

Und wie von der anderen Seite die Schar 

der Plejaden gegen die Sichel drückt? 


Das bedeutet den Niedergang 

und den Tod eines Mächtigen. 

Überlegene Macht sammelt sich. 

Mit vierzig Koggen segeln die Hamburger 


schon in Sichtweite der Inseln, 

so dass es kein Entrinnen gibt. 

Wer morgen in Marienhafe die Wäsche wäscht, 

wird sie rot gefärbt herausziehen.


Dann lehnte sich Eva wortlos an den Torpfosten, 

aber wundersamerweise verflüchtigte sich 

ihre heiße Erregung vor dem nahenden Unheil 

oder Zusammenbruch erstaunlich schnell, 


so dass es fast nur noch der Schock 

über ihre eigene Verbindung mit dem Gezeichneten war, 

der sie erzittern ließ. Wer hat dir das alles zugemutet, 

Jörg?, fragte sie viel vertraulicher.


Der dicke Mann strich sanft über ihren Mantel, 

bevor er zögernd, aber mit einem verschmitzten 

Zwinkern in seinen schweinischen Augen antwortete:

Lass mich gerne mein Wissen überprüfen, Eva. 


Ich bin nicht stolz darauf. 

Diesmal waren es einige Fischer, 

die Hisko in Lohn und Brot hält. 

Ja, der Pfarrer hat sogar einen Unterhändler geschickt, 


um die Hansen zu treffen.

Als die geschmückte Frau über diesen nackten 

Bericht von Abtrünnigkeit und drohender Schande 

nachdachte, überkam sie fast eine Art Dankbarkeit 

für den rechtzeitigen Warner. 


Unverfroren, wie immer, klopfte sie ihm 

auf die dicke Wange. Du bist ein kluges, 

rücksichtsvolles kleines Geschöpf, nicht wahr?, 

lobte sie ihren Gatten und gab ihm einen leichten Klaps, 


der das Ferkel jedoch vor Zufriedenheit knurren ließ. 

Komm, es ist kalt hier. Lass dir von Mutter 

etwas warmen Wein in den Trog gießen.

Schritt für Schritt zog sie das schwankende Ungetüm 


die unbequeme Treppe hinauf. 

Aber selbst während des beschwerlichen Aufstiegs 

klammerte sich der Klumpen fest unter ihren Arm 

und schnaufte ganz aus dem Grunde seines Herzens, 


fast wie ein ehrlicher Beichtvater, 

der zu seinem Seelenkind spricht:

Meinst du nicht, Liebes, 

dass dieser Versucher Gottes 


mit Recht Qualen und Block verdient? 

Gibt es einen böseren Anfang, 

als die frommen Satzungen der Reichen 

und Armen umzustoßen, so dass zuletzt der edle Rock 

an deinem schönen Leibe nicht mehr gilt 


als der Kittel des Bettlers? - Komm, komm, 

rief Eva schaudernd, setzen wir uns an das warme Feuer. 

Und dann lass uns die Ausgeburt 

eines tollwütigen Mannes für immer vergessen.


Die grünen und roten Lichter bewegten sich 

stromabwärts. Eine langsame, gleitende Bewegung 

war in die hölzernen Massen gekommen, 

und während die Ungeheuer im Schein ihrer Laternen,


schemenhaft nachgeahmt und wie flach 

über das Land geworfen, ihre huschende 

Wanderung begannen, war von allen Seiten 

ein schrilles, trillerndes und pfeifendes Geräusch zu hören, 


als ob die großen Vögel nun auch ihre Stimmen 

wiedergefunden hätten, um sich gegenseitig zu warnen. 

Aber es war gar keine Warnung, 

denn es war der Gesang des Angriffs, 


des Stoßes und des Ausbruchs aus dem Käfig. 

In derselben Stunde, in der Evas Gatte ihr 

die dunklen Sprüche des Himmels offenbarte, 

standen drei Snykenführer, 


die seit Tagen auf offener See Vorpostendienst geleistet hatten, 

vor ihrem Admiral, und was sie berichteten, 

das war der Ruf des Lebens und des Todes zugleich, 

das war die ernste unerbittliche Ordnung 


und das fröhliche leidenschaftliche wogende Chaos.

Zwischen ihnen auf den Wellen schwankte die Waage.

Der Feind war da. Erschien auf unbegreifliche Weise. 

Wie der Dieb in der Nacht. Vierzig kriegerische Koggen. 


Das ganze hanseatische Kontingent, 

hauptsächlich Hamburger, und an ihrer Spitze 

ein unbeholfenes, plumpes, breitspuriges Schiff, 

das die Flagge des Admirals in die Spitze gesetzt hatte. 


Die Bunte Kuh. Es war der Name des Schiffes, 

der Störtebeker beim Kriegsrat in der Kajüte, 

beim Klirren von Hellebarden und Schwertern, 

zum ersten Mal ein hämisches Lachen entlockte:


Ha, Brüder, klopfte er sich auf die Brust, 

was für ein gutes Omen! Wir wollen das Hamburger Tier 

erst melken und dann schlachten. 

Ich habe meine Kinder schon lange mit solcher Milch verwöhnt.


Und jetzt, er wanderte weit durch den hell erleuchteten Raum, 

zog ein paar der Lukenbretter zurück, 

um dem vorbeiziehenden Land einen Blick zuzuwerfen, 

jetzt, Hein, sprich, mein Freund, 


wie siehst du denn das Ding an?

Der Kleine lehnte sich gegen den Tisch 

und stützte sich auf seine Waffe. 

Ein dunkler Ernst lag in dem faltenlosen Kindergesicht.


Dass die Krämer mit solcher Überlegenheit auftreten, 

sagte er fest, beweist mir, dass Michael befreit ist. -

Ich wünschte, die Furien würden dich erwürgen, 

unterbrach ihn hier Störtebeker, dunkelrot, 


denn seit seiner Kindheit hatte sich 

der unbändige Mann immer dagegen gewehrt, 

in beleidigter Empörung ohnmächtig 

gegen ein schwarzes Wetter anzustarren. 


Gödeke lebt. Mein Kopf für ihn. Ich sehe ihn, 

ich höre ihn sprechen. Meinst du, der Satan 

würde mir einen Dietrich und ein Brecheisen 

ins Wappen stecken, wenn es nicht 


um der guten Geselligkeit willen wäre?

Wütend schlug er gegen die Bordwand. 

Ein widersprüchliches Gemurmel erhob sich 

unter den Anführern. Unbeirrt strich sich 


der Magister kühl über das Kinn.

Wie dem auch sei, beharrte er, jetzt ist nicht die Zeit, 

Klaus, dich in den römischen Mantel des Triumphs zu hüllen. 

Ich habe meine ganzen Tage damit verbracht, 


auf die Ehre zu pfeifen. Ha, man kann ohne Ehre leben, 

aber niemals ohne einen Kopf. Ich bin dafür, 

dass wir fliehen, solange noch Zeit ist.

Die anderen schwiegen.


Auch der Admiral stand wortlos am Ende der Kabine, 

wo sie sich sanft verjüngte. Ohne es zu wollen, 

hatte er sich einen dicken Wälzer 

aus der Truhe geschnappt und knabberte eifrig 


an seiner Unterlippe. Jetzt aber warf er 

den Wälzer polternd auf den Boden 

und richtete sich abrupt auf.

Habt ihr, rief er mit seiner durchdringenden Stimme, 


die jedem von ihnen ein Messer in die Brust stieß, 

während ich euch Aufenthalt und Unschuld 

schenken wollte, nach Blut und Beute verlangt? -

Ja, sprachen die Männer gemeinsam.


Und ist es nicht euer einziger Freibrief, 

dass ihr es wagt, mit dem Beelzebub Karten zu spielen, 

ganz gleich, ob der Gehörnte die Bilder 

in seiner Klaue hält und ihr die Nieten? -


Ja, riefen die Freibeuter mit Überzeugung. 

Aber gleich darauf wurden sie wild. 

Wir haben selbst einen Trumpf in der Hand, 

sein Name ist Klaus Störtebeker.


Da glitt ein stolzes, zerrissenes Leuchten 

über das dunkle Gesicht des Riesen, 

das man bei ihm bisher nicht kannte.

Habt mir nur den Kamm abgebrochen, 


ihr wetterwendischen Unbelehrbaren, 

grummelte er mehr zu sich selbst, aber egal, 

er löste die Seekarte von der Wand 

und warf sie auf den Tisch, ich will 


das Kunststück vollbringen, um des Kunststücks willen. 

Komm schon, Hein, gib auf, wir schlagen morgen zu. 

Und jetzt kümmere dich um 

ein sehr ordentliches kleines Stückchen Plan.


Es war schon tief in der Nacht, als der Admiral 

in seine Kabine zurückkehrte. Bis dahin 

hatte er jeden Winkel seines Schiffes 

bei Laternenlicht untersucht, die Waffenkammer besichtigt, 


die Winden der drehbaren Geschütze geprüft, 

an den Leinen und Segeln gezogen, um sie zu testen, 

und überall hatte er die wagemutigen Matrosen, 

die ihm ihre Geschicklichkeit 


an ihren Flaschenzügen zeigen mussten, 

in jene gespannte Spannung versetzt, 

die immer die letzte, unwiderstehliche Waffe 

auf der Agile gewesen war. Nun waren die Schiffe, 


bereits außerhalb der Inseln, vor Anker gegangen, 

Ruhe war vor dem roten Erntetag angesagt, 

und Störtebeker selbst betrat müde 

und in sich gekehrt seine Behausung. 


Er hatte sein Haupt noch nicht entblößt, 

als er seinen Jungen in der Mitte 

eines der dicken Teppiche auf dem Boden liegen fand, 

den wohl der Schlaf übermannt hatte, 


während er auf seinen Herrn wartete. 

Nachdenklich hielt Störtebeker 

vor dem friedlichen Bilde inne, 

denn das scharfe Licht der venezianischen Gläser 


zeigte ihm deutlicher als je zuvor, wie hager 

und ausgezehrt die Wangen seines gehorsamsten 

Gefährten eingesunken waren, ja, wie tief 

die ganze schwärmerische Gestalt seiner Züge 


in Trauer ruhte. Wahrlich, der Sturz, 

den diese ihm ergebene Seele 

von einem verheißenen Himmel gemacht haben musste, 

hatte dem Ärmsten gewiss für immer 


jenen Eifer geraubt, in dem er wie eine steile Flamme 

aufstieg und ohne den sein Dasein zu Asche sank. 

Menschlichkeit war der Name des großen Tempels, 

in dem dem Gläubigen eine Vormundschaft 


zugesichert war. Wohin sollte sie nun fliehen, 

da es offensichtlich geworden war, dass die Fratze 

des Wahnsinns an der Tür des vermeintlichen 

Heiligtums lächelte? Leise berührte der Schauende 


mit seinem Fuß die weiche Stelle der Schläferin, 

um sich zu vergewissern, dass der Schlummer 

ungestört weiterging, doch dann verfinsterte sich 

seine Miene, und er sprach dumpf zu sich selbst:


Scherbenhaufen! Um deinetwillen könnte ich Reue lernen. 

Keine morgendliche rote Insel mehr in der Ferne, 

mein Kleiner, nur die Reise in den Teich, 

über den das Fieber tanzt. 


Es wäre besser für dich, du blasser Traum, 

ganz in den Schlaf zu fallen.

Vorsichtig beugte er sich hinunter, 

nahm den schlaff hängenden Körper in die Arme 


und las eine Weile in den entspannten Zügen, 

die ohne das Licht der Augen nur den Ausdruck 

einer versunkenen Ruhe zeigten. 

Doch gerade diese unbeteiligte Distanz 


schien den Späher zu trösten. Ruhig 

ließ er seine Last auf die Kissen zurücksinken, 

blickte noch einmal mit vollem Verlangen 

auf die Pracht des kostbaren Raumes, 


dann löschte er selbst das Licht, 

und bald verkündeten kräftige Atemzüge 

von seinem Bett aus, dass auch dieses unruhige Gehirn 

der Betäubung erlegen war. Eine beklemmende Stille 


wehte in der weiten Kammer, und nur 

das regelmäßige Wiegen des Meeres 

zählte in der Dunkelheit seinen eigenen Herzschlag.

Und doch, da war noch ein anderes Hammerwerk, 


das, gestört in einer menschlichen Brust, 

fieberhaft seine enge Kammer zu sprengen drohte.

Karin schlief nicht. In den Armen ihres Herrn 

war sie aus ihrer schweren Verstrickung erwacht, 


sie hatte seine dunkle Prophezeiung gehört, 

und nun lag sie da, den Atem anhaltend, 

von der Kälte geschüttelt, und versuchte zu ergründen, 

ob sie wirklich das Wesen war, 


das mit sich selbst im Reinen war, in dessen Brust 

das Schicksal Urteil und Hinrichtung zugleich 

gelegt hatte. Draußen schlugen die Wellen unablässig 

gegen die Planken: Du musst, du musst, 


und während die Zähne der Gestrandeten 

angesichts dieser Verzweiflung aufeinander klapperten, 

warf ihr schäumendes Gehirn allerlei Fetzen 

der Verhaltensregeln zusammen, 


die ihr vom gemeinsten aller Verbrecher, 

dem dicken Wichbold, überliefert worden waren.

Schau, du musst erst dies tun, mein kluges Mädchen, 

und dann musst du das tun, aber vorsichtig, 


damit er dir nicht die Sprünge stiehlt.

Er, das war der Mann, der den Glanz, das Strahlen, 

das Gold seines Egos schon verloren hatte 

und nur noch dahin raste und seine Niederlage 


hinter wilden Lastern verbarg. Kein Messias mehr, 

sondern ein frecher, sich selbst verhöhnender Judas! 

Kein Lamm mehr in seinen Händen 

für die schmachtenden und gebrochenen Herzen, 


nein, nein, eher ein Halsabschneider, 

der in seiner Selbstverzweiflung glaubte, 

seinen Opfern Gutes zu tun, weil er sie abschlachtete.

Der Morgenstern, verloren in einem Haufen von Kot.


Niemals! Karin erhob sich. In ihrer Blässe 

zeigte sich wieder jene unerbittliche Treue 

zu ihrer Entscheidung, die ihr in der langen Zusammenarbeit 

mit dem Mann der Gewalt zum Erbe geworden war. 


Jetzt hörte sie nicht mehr zu, stellte keine spitzen 

Fragen mehr, getrieben von einer dunklen

Notwendigkeit, furchtlos und überzeugt, 

schlich sie unhörbar die Treppe der Hütte hinauf.


Wie hatte der dicke Wichbold das gemeint?

Immer auf sein listiges, heiseres Flüstern lauschend, 

schritt der Schatten über das Deck, schlängelte sich 

dann zwei schmale, steile Treppen hinunter, 


dorthin, wo tief im Bauch des Fahrzeugs 

die rote Glut der Schiffsschmiede glühte. 

Vorsichtig öffnete Milon die rußige Höhle, 

doch die halbnackte Zyklopen-Schar, 


die noch vor wenigen Stunden Pfeil- und Lanzenspitzen 

an ihren Ambossen geglüht und gehärtet hatte, 

lag nun irgendwo in der Schwärze verborgen, 

ihr Atem entwich mit der rasselnden Kraft 


arbeitender Blasebälge. Halblaut, tastend, 

rief der Schatten ihr zu: He, Detlev, du Satan!


Doch als es nirgends ein Zeichen des Verstehens gab, 

wandte sich der Junge dem verlassenen Herd zu 

und stieß einen der Schmelztöpfe 

in die noch lebende Glut. Dann bückte er sich 


und blies seinen eigenen ängstlichen Atem 

in die müde Asche. Und immer wieder versuchte es 

der nächtliche Gast dabei mit den hängenden Schmieden: 

He, Detlev, du Satan, und du heiliger Olaf.


Vergeblich. Keiner von ihnen bemerkte 

das zitternde Menschenkind, als es die Nägel 

in den gemeinsamen Sarg warf, rötlich beleuchtet 

und doch mit geschlossenen Augen.


Einen Augenblick später wurde eine Strickleiter 

über die hintere Galerie der Agile geworfen, 

der geschmeidige Schatten glitt hinüber 

und tauchte am monströsen Ruder 


von Rippe zu Rippe hinab. Tiefer und tiefer.

Der Wind pfiff sein eintöniges Lied, 

und die Wache im Mastkorb sang zum Zeitvertreib 

ein Lied von Heimkehr und Mädchentreue.


Man beschloss, die hanseatische Übermacht 

zunächst durch eine Scheinflucht nach Westen 

zu zerstreuen, um dann nach einiger Zeit 

umzudrehen und die klobigen Koggen 


der Kaufleute einzeln anzugreifen und zu versenken.

Später, auf dem Hamburger Fischmarkt, 

erzählte man sich viele Geschichten 

von dem glücklichen Ereignis.


Es war ein nasser Oktobermorgen. 

Die schwarzen Fahnen, angeführt von Wichmanns 

Goldener Biene, waren längst nach Westen ausgeschwärmt, 

nur die Agile lag noch verhaftet an ihren Ketten, 


ein riesiger Adler, der den Abflug 

seiner Küken zu decken versuchte. 

Oder war Störtebeker nur in Versuchung, 

sich für eine Ladung seiner Steinkugeln 


kugelsicher zu machen? In Lederwams und Mütze 

stand er breitbeinig auf dem Bug, 

nicht mehr das goldene Leuchten im Gesicht, 

sondern von einer grimmigen, schrecklichen Wut ergriffen, 


die sich auf alle übertrug, die auf diesen Mittelpunkt 

ihres Schicksals starrten. Jetzt kam der erste Befehl.

Schießt!, forderte er nach einem scharfen Spähen 

die ihn umgebenden Bombenschützen auf. 


Er sprach ruhig. Die Zünder senkten sich, 

ein Rollen, und drüben in der langen hölzernen 

Linie begannen Takelage und Leinen zu regnen.

Gut, meine kleinen Kinder, lobte der Admiral, 


und das unheimliche Feuer in seinen Augen 

staubte noch ein wenig höher. 

Es war nur zum Aufwärmen ihres morgendlichen Breis. 

Er riss sich die Mütze vom Kopf 


und winkte spöttisch mit ihr zur anderen Seite. 

Seid gegrüßt, meine Herren. Die Diebe 

mit dem Brecheisen grüßen die Gauner vom Gänsekiel! 

Gibt es etwas zu verhandeln? Wir haben 

nur unsere Freiheit, und die ist ein teures Gut!


Damit setzte er die Redetrompete an seine Lippen: 

Anker lichten! - Die Ketten rasselten, die Brust 

des Schiffes hob und senkte sich wie ein Schwimmer, 

der versucht, die erste Glut zu kühlen.


Schüttet die Segel aus. Schweigt, kaltes Blut, 

meine Kinder. Bevor die Gauner da drüben 

ihre Leinen mit der Elle messen, sind wir weg. 

Jetzt die Pinne hart nach Steuerbord; lebe wohl, Hamburg!


Aber die Agile machte nicht die gewünschte Wendung. 

Wie von unsichtbaren Geisterfäusten gepeitscht, 

raste der Renner auf den Halbkreis seiner Verfolger zu.

Plagt dich der Böse, Wulf Wulflam?, brüllte Störtebeker 


von seiner erhöhten Position aus halb töricht 

über das Deck und schob sich in ratlosem Erstaunen 

die Mütze aus der Stirn. Hund, dreh dich sofort 

gegen den Wind, oder ich lade deinen Kopf 


in die nächste Lederschlange. Hölle und Grauen, 

was ist denn hier los? - Inzwischen war der Freibeuter 

Lüdeke Roloff neben den stiernackigen Wulf 

und seine Gefährten gesprungen, beide Männer 


drückten sich gegen den Baum, 

so dass ihnen das Blut aus den Wangen spritzte. 

Doch die Agile setzte ihren verrufenen Ritt 

unverändert fort. Mit einem steifen Südwestwind 

in den Segeln, der vom Land kam, 


schnitt das Schiff durch die scharfen Wellen, 

als müsse es sein Ziel in wenigen Sprüngen erreichen.

Herr, keuchte es jetzt zweistimmig aus dem Heck, 

wir sind erlöst, es ist Blei in die Scharniere gegossen.


Einen Atemzug lang blieb alles still, 

Entsetzen machte sich an Bord breit. 

Doch dann wirbelte vor aller Augen eine riesige Gestalt 

aus der Luft die zwei Stockwerke hinunter, 


schoss durch die heulende, kreischende Mannschaft 

und warf sich sofort mit ihrer ungeheuren Körperkraft,

verzehnfacht durch Verzweiflung und Wut, 

gegen die Pinne. Das Holz ächzte und knackte, 


das Ruder rührte sich nicht. Nun lockerten sich 

die Fesseln des Gehorsams. Die schwarzen Brüder 

verließen ihre Posten, die meisten warfen 

ihre Waffen weg, sie irrten umher wie Ameisen, 


und der Wahnsinn fächelte sie mit seinen Mohnflügeln. 

Das Unsinnige gewann die Oberhand.

Reißt die Segel herunter!

Als ob das verlangsamte Schiff weniger verloren wäre!


Flieht, flieht, in die Boote!

Als ob die aufgepeitschte Menge im Angesicht 

des Feindes und bei der Geschwindigkeit der Flucht 

noch Platz in den kleinen Kähnen finden könnte!


Immer schneller eilte der Springer 

über die wogenden Hügel. Doch gerade in dem Moment, 

als er das Halfter, das ihn zähmte, völlig zertreten wollte, 

fühlte sich das Ross wieder von der stählernen Faust gepackt, 


die es bisher immer bezwungen und beruhigt hatte. 

Hoch oben auf dem Heck hob sich 

der schwarzen Fahne Fürst in seinem verwitterten 

Lederkragen vom trüben Dunst ab. 


Nicht ein Haar anders als sonst stand er da, 

daran gewöhnt, die letzten Befehle 

für den siegreichen Angriff zu geben. 

Nur die bösartige Wut war aus seinen Zügen gewichen; 


tatsächlich lächelte er jetzt, ein geläutertes Lächeln, 

wie es nur Sterbliche kennen, die befreit sind.

Die Gefahr, die drängende Sorge um andere, 

hatte unbemerkt das Beste in diesem Mann geweckt.


Hört ihr mich, meine Kinder? - Ja, Klaus, 

riefen sie hoffnungsvoll. Sie scharten sich 

um dieses Geräusch wie um einen schützenden Turm.

Das Spiel fängt gerade erst an, ihr Schuimer. 


Schüttelt die Segel aus, bindet die Leinen los, 

der letzte Fetzen muss fliegen. -

Segel? Sie dachten, er würde im Fieber reden.

Ich sage, bindet eure Hemden an die Rahen, Jungs, 


und fegt durch die Luft. Gleich werden 

unter dem Bug die Schädel knirschen. Schießt!

Was dann geschah, sauste von der Rolle, 

ruckartig, unpersönlich, gedankenlos, 


denn alle Menschen, die Tod und Verderben anlächelten, 

hatten ihre eigene Überlegung, ihre Glieder, 

ihr Tun und Lassen diesem einen übergeben, 

und er riss nun an ihren Fäden 


und lenkte seine Figuren, willkürlich, unbarmherzig, 

nur für den einen Zweck des Lebens.

Sie passten ihm alle, bis auf die Schwächste 

und Bedürftigste. Sie lehnte an der Fensterbank, 


die Hände über der Brust verkrampft, 

aber zum ersten Mal richtete sich ihr 

unausgesprochenes Gebet 

nicht an den Herrn ihres irdischen Loses, 


sondern sie rief und flehte das Schicksal an, 

es möge größer und barmherziger herrschen 

als jener lebende Tote, der jetzt dort oben 

die letzte Geisterschlacht schlug. 


Sie bereute nichts, sie widerrief nichts, 

sie fühlte, dass Mitleid und Erbarmen 

nur mit ihr waren, die mit ihrer schwachen Hand 

das Tor der Bösen und Verworfenen 


vor dem sterbenden Messias verschloss.

Vor ihren gefluteten Augen verwandelte sich 

das Schiff in eine langgestreckte Kirche, 

in der es von Menschen wimmelte. 


Der schwarze Himmel wölbte sich 

wie eine tiefe, unergründliche Decke 

über die Kathedrale, und die Musik des Meeres pfiff 

und stürmte in fernen Orgelklängen einen Engelsgruß.


Sie sah nur den einen, dessen blasses Gesicht 

schon hoch über dem Irdischen schwebte.

Ein Krachen! Ein herzzerreißender Schlag. 

Die Hamburger hatten eine alte nutzlose Kiste 


mit Breitseite gegen das Schiff des Admirals 

geschleudert, das unter stärkstem Druck dahinflog,

die Agile zerschnitt es mit ihrem Rammsporn, 

wie dünnes Glas. Triumph, schrien 


die berauschten Gleichgesinnten, die durch das Wunder 

bereits in eine andere Welt versetzt waren, 

und jeder griff nervöser nach seinem Speer 

oder seiner Armbrust. Ein wildes, stürmisches Gebrüll 


erhob sich in den Himmel.

Dann schwang wieder der schrille, kreischende Triller 

des Admirals, die schwarze Fahnentrommel wurde gerührt, 

der alte schwungvolle Strudel zuckte durch die Herzen.


An Bord, rief Störtebeker von seiner Höhe.

Er befahl es mehr mit seinen blutig glänzenden Augen, 

mit dem hoch erhobenen Säbel, 

mit der weit ausgestreckten Linken.


Feind der ganzen Welt, antworteten die Vitalienbrüder 

mit ihrem fanatischen Schlachtruf.

Die Brücken klapperten, ein splitterndes Reiben 

und Knirschen meldete, dass sich zwei 


der monströsen Rümpfe dicht aneinander 

geschoben hatten. Die Agile biss 

in die Wange der Bunten Kuh.

Und inmitten dieses Gewirrs aus Lanzenspitzen, 


zischenden Bolzen, Schießpulverdampf, 

krachenden Spieren und den Schreien 

der Getroffenen lehnte Karin noch immer 

wie unbeeindruckt neben dem hohen Brett. 


Steinkugeln heulten an ihr vorbei 

und rissen das Deck auf, so dass ihr entsetzter Blick 

in das Innere des Holzkörpers schweifen konnte; 

dicht neben ihr wehten die unheimlichen Bilder, 


mit denen die Hamburger ihre Segel geschmückt hatten. 

Ein titanischer Schwan bauschte sein Gefieder 

und starrte die einsame Frau 

mit roten Augen gefräßig an. 


Dahinter flatterte ein steiler Turm 

und schleuderte ihr die Ziegel an den Kopf. 

Doch all das Grauen ging an ihr spurlos vorüber, 

denn sie erkannte in den abscheulichen Kreaturen 


nur ihre Helfer, die sie gerufen hatte, 

um den verlorenen Heiland 

in seinem Grab zu bestatten.

Ein goldener Schimmer blendete ihre Augen, 


und sie wusste, daß dort auf der Bretterbrücke 

die Klinge des Mächtigen ihre zischenden Kreise zog; 

sie hörte in dem dichten Haufen ein menschliches 

Fanfarengeheul, das jedes Ohr weckte:


Meine Schuimer, meine Kinder, auf, schlagt, spießt und stecht 

und melkt die goldene Kuh!

Und sie lächelte nur blass über diese geizige Torheit.

Doch dann kam der Augenblick, 


in dem ihr Geist geöffnet wurde. 

Ihr Gebet wurde erhört. Dumpfe Schläge erschütterten 

die Agile in schneller Folge. Von zwei Seiten 

wurde das überflutete schwarze Schiff 


in der Mitte getroffen. Seltsame Menschenmassen 

strömten über das Deck. Blutende Männer 

sprangen zu Hunderten ins Meer. 

Und von der Kommandobrücke, 


wo eben noch der goldene Kreis gesummt 

und gesungen hatte, stürmte ein höllisch 

schreiender Mob zurück. An seiner Spitze 

ein Wahnsinniger, der noch retten wollte.


Milon, schrie er aus vollem Halse, Milon! 

In seiner Stunde der Not erinnerte sich der Riese 

an seinen eigenen Besitz. Dann leuchtete 

der Junge glückselig auf.


Ja, der Himmel öffnete sich, ein goldener Pfad 

aus Licht leuchtete dem Sterblichen entgegen, 

und eine Schar von Heiligen trug einen Sarg herab.

Das göttliche Ende war da.


Als sich das Gewirr löste, sah man 

einen blutüberströmten Mann, 

der mit dem linken Arm an den Hauptmast gefesselt war, 

während der rechte Arm noch das Schwert führte 


und um ihn herum schwang, 

und dazu rief eine klagende Stimme:

Wer, wer hat mir das angetan?

Sein rollendes Auge, das in Wahnsinn und Aufruhr brach, 


ergriff den Treuesten, klammerte sich an ihn 

und ließ ihn nicht mehr los.

Da sank der schöne bleiche Knabe mitleidig 

vor dem Verurteilten auf die Knie.


Klaus Störtebeker, sagte er verklärt, 

diese Hände haben dein Ruder gestoppt, 

du wirst mit weißen Segeln in die Ewigkeit segeln.

Wütend wurde er hochgezogen, 


und mit erhobenen Armen warf sich der Blonde 

in das Gebüsch der halb gesenkten Lanzen.

Derjenige am Mast ließ sein Schwert fallen. 

Verständnislos richtete er seine Augen zum Himmel,


verständnislos spiegelte er die verstummte, 

blutige Männerschar. Er stöhnte tief 

und sein Kopf sank auf seine Brust.

Er sah ein wenig aus wie der andere Mann, 


der sich ebenfalls an das Holz geklammert hatte und sagte:

Herr, Herr, warum hast du mich verlassen?...

Am Abend des 19. Oktober 1402 

sprang ein Gaukler durch die Wind-verwehten, 


regennassen Gassen Hamburgs, 

und der bunte Narr schlug zur Freude der Menge 

Purzelbäume, ließ seinen Dudelsack erklingen 

und kreischte dazu: Hei, hei!


Morgen wird das gefährlichste Kliff 

der Nordsee weggespült, so manches stolze Schiff 

wird dort gestrandet sein. Hei, hei!

Dann blieb er stehen und wies mit seiner Rassel 


auf die Haube des Katharinenturms, 

von der die ganze Nacht hindurch 

Loblieder geblasen wurden.

Hört, krähte er und schüttelte seine hageren Glieder 


mit kaltem und fröhlichem Entsetzen, 

pfeift das Schlaflied Störtebekers. 

He, Anne, willst du dich jetzt zu ihm legen?

Aber der Gefangene, auf dessen letzten Gang 


sich die Stadt so feierlich vorbereitete, 

brauchte weder Gesellschaft noch Aufmunterung. 

Denn obwohl er in einem lichtlosen Kellerloch 

unter der Kanzlei auf Stroh lag, 


hockte sein Lehrer Wichmann mit ihm 

auf einem Schemel, und beide tranken bald 

aus dem riesigen Weinkrug, den ihnen 

der Rat geschenkt hatte, und grölten Witze 


und Lausbubenlieder, so dass die Wache 

vor dem vergitterten Fenster ehrlich entsetzt war.

Ein alter, graugesichtiger Stadtknecht 

drückte deshalb seinen Kopf gegen die schmalen Eisengitter, 


um die beiden verurteilten Männer 

zu einem ehrenvollen Verhalten zu ermahnen.

Bedenkt, ihr Schurken, riet er, 

wem ihr bald Auskunft geben müsst. 


Soll euer schändliches Maul mit Schmutz überlaufen?

Da näherte sich die riesige Gestalt Störtebekers 

dem Gitter, und im Schein einer Laterne 

erschien sein hochmütiges, nun aber totenblasses 


und verwüstetes Gesicht. Unwillkürlich 

schauderte der Stadtsoldat vor diesem 

immer noch schrecklichen Bild gefallener Größe.

Du irrst dich, grauer Rostfleck, antwortete der Matrose. 


Weißt du nicht, dass wir oben an der Tafel 

des schwarzen Mannes sitzen werden? 

Dort unten gibt es ewige Freude, 

Saufen, Unzucht, Völlerei, 


Diebesglück und Übervorteilung. 

All das gelingt hier nur halb. 

Wer die Welt klug zu wenden weiß, der gewinnt sie! 

Geh und küss den Hintern deines Pfarrers. -


Gott sei mir gnädig, stöhnte der alte Mann.

Dann jubelten die beiden und spielten weiter Poker.

Aber je schläfriger es auf dem Gang wurde, 

je eiliger die Nacht voranschritt, 


desto mehr verstummte der laute Gesang der Schuimer, 

und allmählich erkannte der Hellebardier 

nur noch am Rascheln des Strohs, 

dass ein schlafmützender Mann seinen Weg suchte.


Es war schon spät, als Störtebeker, 

nur knapp von dem zitternden Balken getroffen, 

vor dem blonden Zwerg stehen blieb. Der Zwerg pfiff 

leise vor sich hin und kümmerte sich um nichts.


Hein, schickte der Admiral in die Dunkelheit hinunter 

und holte etwas Versunkenes hervor. 

Mein Freund, mein Bruder, sprich, was denkst du, 

wie unsere nächste Reise verlaufen wird? 


Nicht als ob es mir leid täte, 

aber es beunruhigt mich, 

ob man Land spürt oder nur Fahrt? 

Ob man nur Schiff ist, oder auch Steuermann?


Ein amüsiertes Kichern erklang aus der Dunkelheit, 

dann schlugen ein paar sanfte Finger leicht 

gegen die Hand seines Freundes.

Warum bleibst du nicht der große Bacchus, 


der du warst, du stolzer Herkules! 

Du glaubst, du müsstest überall dabei sein. 

Schade, dass ich dir morgen Mittag nicht zeigen kann, 

wie wir eine Linie passieren, wo Bewegung 


und Stillstand dasselbe sind, 

wo du auf weißem Lichtschimmer hundertfach 

in die Windrose schießt, während dein wahres Ich 

ganz friedlich auf deinem Seneca schlummert, 


wo alle ruhen, die noch auf ihre Geburt warten.

Störtebeker rührte sich nicht.

Nichts?, erkundigte er sich nach einer Weile barsch.

Nun, natürlich, erwiderte die feine Jungenstimme bissig: 


Willst du den großen Segen anprangern, 

du ewig herumgetriebener Mensch? 

Die Hamburger Pfeffersäcke könnten 

Mitleid mit uns haben. Nur eine Sache! 


Und der kleine Mann kratzte sich am Hut 

und schien näher zu kommen. Natürlich, 

man muss hier einen Pakt mit dem Nichts 

geschlossen haben. Glaube nicht, dass irgendetwas 


von uns übrig bleibt, Unerfülltes, Lebenswertes 

oder auch nur so etwas wie ein Segen. 

Törichter Vielfraß, hier oben spricht das Nichts, 

drüben ist es still. Sonst macht es keinen Unterschied.


Eine Weile war alles still, Störtebeker schob 

nur sein Wams hin und her, als würde es ihm zu eng. 

Doch dann drückte er dem Kleinen die Hand 

auf die Schulter und lachte schadenfroh:


So können wir unbesorgt abreisen, mein Lieber. 

Nehmen nichts mit und lassen keine Erben zurück. 

Wahrlich, das ist kein geringer Trost.

Damit ließ er den Kleinen los, der ruhig weiter trank, 


und streckte sich auf seinem Strohbett aus.

Um ihn herum drückte die Dunkelheit wie ein Sargdeckel, 

und der Riese schlug ein paar Mal mit der Faust 

nach vorne, als könnte er den Verschluss öffnen. 


Es war seltsam, wie schnell sein Herz schlug 

und wie sehr er auf das kleinste Geräusch achtete, 

das ihn jetzt erreichte. Gierig hörte er 

eine Ratte an der Wand entlang huschen, 


und schon bald zählte er die Schritte des Wachmanns 

draußen im Korridor. Unbemerkt ernährte sich 

diese Kreatur von den Geräuschen der Erde. 

Auch konnte er sich nicht von dem Lichtschimmer trennen, 


der fahl und schmutzig um das Eisengitter sickerte. 

Er wartete, er wartete ungeduldig, als ob die Welt 

ihm noch eine Antwort schuldig wäre.

Und siehe da, die Antwort kam zu ihm.


Er mochte noch einige Zeit so liegen, er wusste genau, 

dass seine Seele nicht vom Schlaf getrübt war, 

denn er spürte den heißen Blick seiner Augen, 

die angespannt die schwarzen Linien des Gitters einsogen. 


Gerade war der Schatten des Stadtsoldaten 

über sie hinweggegangen, da runzelte der Riese die Stirn 

und hielt den Atem an. Dann drückte sich 

ein hustender grün-blasser Kopf gegen die Gitterstäbe, 


und ein rot-grauer Schnurrbart lugte hindurch.

Was willst du?, murmelte der Wächter, unfähig, 

sich aus seiner Lähmung zu reißen. 

Geh, du Atmender, du machst mir keine Angst.


Doch der Kopf des alten Klaus Becker bewegte sich nicht, 

er begann vielmehr, hustende Worte zu spucken, 

so wie er es im Leben zu tun pflegte.

Armes Kind, knurrte er in seinem hohlen Bass, 


es war dein Pech, dass du zu uns gehörtest, 

ohne unser zu sein. Seidene Kleider, Ringe, 

Ketten in der Fischerhütte, Rache am Glanz, 

Gier nach dem Glanz, wehe!


Das Gesicht nickte und entschwand. 

Doch vor den Gittern war es lebendig geworden, 

lautlose Schwärme zogen vorbei, 

bis sich wieder zwei Hände in die Gitterstäbe hakten. 


Funken flackerten durch die Haare der Frau.

Liegst du endlich auf dem Misthaufen, meine Schöne? 

Auch dort verrottet. Kein Hund hat Mitleid 

mit mir gehabt, sondern in mir gewühlt und gehäutet, 


so dass meine Armut das Einzige hergeben sollte, 

was ich besaß. Das ist das Leben. Lust 

und Vergnügen kümmern sich nicht um Gnade! Wehe!

Draußen erlosch das Flackern, 


als würde es vom Laternenlicht verschluckt, 

und die Prozession der Schatten schritt weiter.

He, du Hurensohn, schrie plötzlich eine hitzige Stimme, 

und in der Höhle tauchten die blutleeren Züge 


des Iren Patrick O'Shallo auf. Ein Strick 

schlängelte sich um seinen Hals, 

und seine Zunge fiel ihm oft aus den Zähnen. 

Ist dir nicht der Henker prophezeit worden? 


Wer, wie du, hat sich gegen die menschliche 

Schwäche versündigt? Glaubst du, 

ein ehrgeiziger Mensch kann das Elend 

in eine Form pressen? Du schlimmster Vergewaltiger, 


du Trunkenbold unseres Schweißes, 

du Anführer der Narren, du gehst voran. 

Zu spät! Wehe! - Störtebeker dachte daran, 

sich in seinem Sarg zu rühren, um mit Gewalt aufzustehen, 


aber er konnte keinen Finger rühren. 

Er starrte starr vor sich hin und musste erkennen, 

wie sich ein weiterer Kopf gewichtig 

vor der Öffnung bewegte. Ein krauser Bart 


umrahmte die braunen Wangen, 

und die großen Augen blickten ernst und trauernd.

Verlorener Bruder, erhob sich die markige Stimme 

von Gödeke Michael, was hast du dir 


für den Treuebruch erkauft? 

Wem gegenüber hast du denn dein Wort gehalten? 

Du wolltest die gültigen Gesetze 

der menschlichen Brust verändern. 


Das Böse in Gutes verwandeln, den Neid in Hingabe. 

Und wusstest nicht, dass auch die Laster 

Sinn und Zweck kennen. Verloren im Nebel, 

wer bist du, da nur ein Stärkerer dies tun kann. -


Wer bin ich?, suchte der Liegende zu begreifen.

O Zeit, o Sitten, wehe! - Das Gespenst löste sich 

in Kälte auf. Muss ich das auch ertragen?, 

rief der Eingekerkerte schmerzlich nach ihm. 


Hat mir all meine Pracht nicht Eine Seele eingebracht?

Das fahle Morgenlicht kroch bereits durch das Gitter, 

doch aus der Blässe formte sich erneut 

ein fast durchsichtiges Bild. 


Tränen liefen ihm über die Wangen.

Ich, klang es leise, dein Junge. 

Dafür, Klaus Störtebeker, hast du mich befleckt 

und besudelt. Wehe, jetzt weiß ich, 


dass nur ein reiner Mensch 

das Unerfüllbare denken darf. Wehe!

Da hatte der Beraubte, um sein Letztes betrogen, 

endlich den Bann von sich gerissen, 


er sprang schäumend auf, 

stürzte wie ein Wahnsinniger auf seinen Kameraden zu 

und entriss ihm den Weinkrug, dessen Rest er 

in Einem Schluck hinunterspülte. 


Was kümmerte es ihn, wenn in diesem Augenblick 

die Diener der Stadt hereinstürmten, 

um den Verurteilten ihre seidenen Prunkgewänder 

zu bringen, denn der Rat hatte ihnen 


diese lüsterne Pracht für ihren letzten Gang überlassen. 

Ohne auch nur einen Blick auf die Schergen zu werfen, 

stürzte sich der losgebundene Mann 

auf den erstaunten Magister, und nachdem er 


den Kleinen hochgehoben hatte, streichelte er 

ihm frenetisch über Mund und Stirn.

O Weiser, rief er und drückte den Kopf des Zwerges 

unauflöslich an sich, wie unsagbar köstlich 


hast du versprochen! Komm, tummle dich, 

damit wir es nicht verpassen. Diese Wölfe, 

mit denen wir bisher gelaufen sind, 

mögen uns am Ende beneiden. 


Er packte einen der Diener an der Kehle. 

Hör zu, du Unglücklicher, wenn du ein ehrlicher Mann bist, 

dann geh hinaus und verkünde, dass die Dunkelheit 

dem Sehenden mehr bedeutet als das Licht, 


dass der Verfall uns heißer küsst 

als das Leben im Brautbett 

und dass deine Exkremente schöner duften 

als alle Rosenbeete von Schiraz.


Sie entsetzten sich vor ihm. 

Aber sie glaubten, dass die Angst vor dem Tod 

den Geist des Sünders wohltuend gelockert hatte. 

Selbst der Magister verstand nicht bis auf den Grund, 


wie erst jetzt, während der fürstliche Abenteurer 

in die alte, prächtige Tracht gekleidet war, 

jener unerbittliche Peiniger an ihn herankam, 

nachdem er ihn sein Leben lang gemieden hatte, 


der Ekel vor sich selbst. Aus der niedrigen Tür 

des Rathauses taumelte der ehemals glänzende Mann, 

ein landflüchtiger Fürst, der seinen letzten Pfennig 

verprasst hatte, nun aber voller Bettlerstolz 


nur noch den nutzlosesten Schein 

aufrechtzuerhalten suchte, obwohl er 

in seinem Herzen die Schmähungen 

seiner Verfolger billigte.


Da standen sie alle, Männer und Frauen, 

ja, sie hoben die Kinder auf ihre Schultern, 

damit sie von dem mächtigen Seefahrer, 

dem grausamen Unterdrücker ihrer Stadt, 


einen winzigen Blick auf sein Gewand 

erhaschen konnten, an dem sie und ihre Nachkommen 

sich unvergesslich weiden sollten. 

Es war eine Prozession, die eher einem Fest glich. 


Trommler und Dudelsackspieler führten den Zug an, 

gefolgt von Meister Rosenfeld, dem Scharfrichter, 

der alle mit einem Lächeln begrüßte, 

als feiere er seinen glücklichen Ehrentag. 


Eingerahmt von Hellebardieren wurden 

Hauptmann Wichmann und sein Schuimer 

hinter ihm hergeführt. Ungehemmt schritten 

die Männer in stattlicher Rüstung und sangen immer noch 


das Störtebeker-Lied voller roher Lebensfreude 

und trotzigem Aufbegehren. Und seltsamerweise 

stimmten Jungen und Mädchen in das Lied ein, 

denn das vage Gefühl der Jugend lehrte sie, 


den Schicksalswandel dieser Abenteurer zu ehren. 

Doch als der Mann im blauen Waffenrock 

zwischen zwei Ratsherren erschien, 


brach der Jubel ab, und ein ängstliches Schweigen 

der Bewunderung begleitete den hoch aufragenden 

Wanderer. Selbst jetzt noch ließ seine blasse, 

verwüstete Schönheit die Herzen der Mägde 


höher schlagen. Nur ein paar Kaufleute, 

Bierbrauer und Lederhändler, denen er 

Schaden zugefügt hatte, versuchten, 

den immer noch hochmütig aussehenden zu belächeln.


Sag mir, du Prophet Elias, tönte es aus ihren Reihen, 

reitest du jetzt in einem goldenen Wagen 

in dein tausendjähriges Reich?

Störtebeker verbeugte sich und machte 


eine obszöne Geste zu den Spöttern.

Ihr könntet mitfahren, ihr ewig Blinden, 

wenn euresgleichen sich nicht seit Jahrtausenden 

in diesem Gefährt den Hintern verbrannt hätte.


So schritt er mit Unverfrorenheit 

und kaum verhüllter Entschlossenheit 

durch die sich zurückziehende Menge, 

und überall, wo sein brennend hohler Blick auftraf, 


da segneten sich die Menschen 

und machten heimlich ein Kreuz.

Wahrlich, ein gezeichneter Mann ging seinen Weg.

Mit langen Schritten hatte er eine Kreuzung erreicht, 


als er unerwartet zum Stehen kam, 

so dass die ganze Prozession 

zum Stillstand gezwungen war.

Der geschmückte Mann hob erschrocken die rechte Hand. 


Was war das für eine Rügener Bäuerin, 

die da neben dem unscheinbaren Männlein 

in grauer Mönchskutte stand? 

Sie hatte ihren Schal tief über das Gesicht gezogen, 


als schämte sie sich vor den zahlreichen Fremden, 

und doch verriet sie sich dem Sohn 

durch ihre unruhigen, unbestechlichen Augen.

Was willst du?, erkundigte sich Störtebeker 


unschlüssig und zugleich ein wenig zurückhaltend.

Noch immer demütig vor der Pracht 

des Verschwenderischen, machte Mutter Dörte 

eine hilflose Bewegung, als wolle sie ihre Hand 


mitfühlend auf die Brust des Riesen legen, 

zog sie aber zaghaft zurück. Dann, 

fast wie zur Entschuldigung, brachte sie hervor:

Du liebes Elend, weil du doch von meinem Blut bist.


Der Riese hob den Kopf. Der Tonfall klang anders 

als alles, was er bisher gehört hatte. 

Lag darin auch etwas, das ihn an die Sehnsucht 

jener Nacht erinnerte? Lange suchte er 


in diesen ernsten, traurigen Lichtern, 

und siehe da, er fand in ihnen all 

das hockende Leid, um dessentwillen er 

einst ausgezogen war, es zu lindern.


Und dieses Leiden dauert ewig?

Zögernd trennte er sich von der schweigsamen Frau, 

und als er ihren Begleiter berührte, 

geschah etwas Wunderbares. Abt Franziskus 

erhob sich mitfühlend, und die verdorrte Hand, 


die schon den Eintritt des Fischerjungen 

liebevoll begrüßt hatte, obwohl er 

nach dem damaligen Glauben 

nur ein Sohn der Erde war, 


zeichnete nun schweigend die Linien des Kreuzes.

Der Priester segnete den scheidenden Mann.

Aber Störtebeker lachte schrill.

Spare dir dein Zeug, alter Mann, rief er schneidend, 


erst gestern habe ich einen deiner Kumpane verjagt. 

Wo ich hingehe, gehst du auch hin. 

Glaube mir, der Fährmann wird niemanden mehr 

nach Riten und Sakramenten fragen.


Damit wollte er sich gerade ohne Gruß entfernen, 

als das Ungewöhnliche noch einmal wiederholt wurde. 

Der Priester streckte seine weiße Hand noch entschiedener aus

und segnete erneut. Der Schuimer war erstaunt.


Weißt du nicht, sagte er düster, 

sein glühendes Auge nun ganz auf den alten Mann gerichtet, 

wem du dein Heil gibst? Hast du mich nicht selbst 

in Unzucht und Raub betroffen? Ich sage dir, 


der Leichenberg, den ich in meiner Verblendung 

aufgetürmt habe, ist weit höher als der Berg 

der Trauer, zu dem sie mich jetzt führen. 

Darum geh weg von mir, 


damit dein Gott sich nicht wundert!

Und doch verließ ihn der Mönch nicht, ja, 

während er das Kreuz ein drittes Mal zeichnete, 

öffnete er endlich seinen feinen Mund 


und sprach sehr sanft und barmherzig:

Du williger Mensch, du Mann im Sturm der Taten, 

ich, ein Christ, segne dich. Siehst du, 

in meiner engen Zelle, als ich dein Leben betrachtete, 


dämmerte mir endlich sein Sinn. 

Das, was die Erde bewegend ist, 

donnernd im Reich der Geister, das, 

was sich ungebremst über Erde und Mensch ergießt, 


das, mein Sohn, wirkt fast immer zum Unheil der Zeit, 

denn Schollen und Sterbliche können nur Tropfen ertragen. -

Du sprichst die Wahrheit, alter Mann, rief Störtebeker 

und packte das Kleid des Mannes mit beiden Fäusten. 


Siehst du, ich bin wie eine Wetterwolke. 

Plötzlich zerriss ich und brachte nichts 

als Verderben und Untergang.

Dann umarmte der Priester den ihm Nahestehenden 


und küsste ihn zärtlich auf beide Wangen.

Wirf dich nicht nieder, Stürmer, flüsterte er ihm zu. 

Wenn die Flut weg schwemmt, dringen 

manche dieser Tropfen über Jahre hinweg 


in tiefere Schichten ein und wecken dort 

ungeahntes Wachstum und Blühen. 

So wirkt, was in der Gegenwart lärmt 

und sich auflöst, in der fernen Zukunft. 


Geh in Frieden. - Der gesegnete Mann richtete sich auf. 

Heller Sonnenschein glitzerte über der feuchten Kreuzung, 

helles, goldenes Licht breitete sich auf den Zügen 

des Seefahrers aus, so weitläufig und strahlend, 


wie es ihm sein ganzes Leben lang erschienen war. 

Er atmete auf, schaute sich um und stellte fest, 

dass er all die Menschen, groß und klein, 

die ihn von jeher und bis zuletzt fast ehrfürchtig 


umgeben hatten, geschätzt und geliebt hatte.

Dann überschritt die Verführung, 

die der Zauberer zu wecken vermochte, 

noch einmal alle Grenzen der Konvention. 


Die Trommler wirbelten, die Dudelsackspieler 

schmetterten, blonde und braune Jungfrauen 

streuten Blumen in den Weg ihres Feindes, 

und das Volk rauschte um ihn herum wie Halme, 


die sich vor dem Schnitter biegen. 

Aber er schenkte ihnen keine weitere Beachtung. 

Er schritt weiter, heiter, entrückt, ein Macher, 

und jenseits des Hügels der Sorgen 


begrüßten ihn Zukunft und Legende!

Ende. Ich weihe dieses Lied der armen Seele

Meiner Mutter, dem reinen Herzen der Jungfrau

Und Gott, Vater und Sohn und Heiligem Geist.