Von Torsten Schwanke
„Siehe, hier ist mehr als Salomo!“
(Wort Jesu)
ERSTER TEIL
1
Im Frühlingshauch, mit ihres Körpers Frühlingsblüte, wandelt im Walde des Libanon Magdalena und sucht Messias überall, von Liebe geleitet, von sieben Dämonen mit Siinnesverwirrung betört, da wird sie von der Freundin Johanna angesprochen:
Unter dem Hauch, der die roten Nelken heimsucht, unter dem Busch, wo die Honigbienen summen und die Nachtigallen flöten, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Wo die Frauen von Jerusalem um sich und ihre Kinder weinen, wo die Zedern des Libanon über die Weinranken sich erheben, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Wo der Moschus duftet und die schlanken Lilien wie Lanzen der Sonne strahlen, die das Herz des Messias durchbohrten, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Wo die Krone des Königs David ist golden wie die Sonnenblume, wo über den nektargefüllten Kelchen der Rosen die Bienen summen, wie Pfeile aus dem Köcher des Davidfreundes Jonatan schwirrten, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Wo die auferwachten Sonnenblumen anschaun die lachende Schöpfung, Zweige des Magnolienbaums wie herzverwundende Lanzen strahlen, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Wo vom Wein umrankt die Ulme steht und durch die Büsche des Hermonberges der Jordanstrom sich schlängelt, wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Der Zimtbaum enthaucht sein Gewürz und die Balsamstaude fließt über von fließenden Balsamölen, die selbst den Asketen der Asketen, Johannes den Täufer berauschten. Dort wandelt Messias im Frühling. Tanze, Magdalena, mit deinen Freundinnen. Ostern ist schön durch die Liebe!
Aus den Samenflocken der Zähne der Löwen webt der Frühling sich ätherische Zelte in den Hainen. Der Hauch des Frühlings ist wie der Atem des Heiligen Geistes, die Herzen entflammend. Die Cherubinen lenken den strahlenden Thronwagen durch die goldenen Gassen des Himmels.
Auf den Messias weisend, den alle Töchter Jerusalems lieben, auf den Liebe überfließend schenkenden, schönsten aller Menschensöhne, der in der Nähe ist, spricht Johanna zu Magdalena:
Mit Myrrheöl und Nardenöl gesalbt sein brauner Körper im nahtlosen Leibrock, mit den Dornenkrone in den braunen Locken, eine Schnur mit dem Kreuz um den Hals, vom gnädigen Lächeln der Weisheit leuchtend, so wandelt Messias mit den Töchtern Zions. Mit seinen Jüngerinnen spricht er über Frau Weisheit.
Mit dem vollen weißen Busen umfängt Johanna den angebeteten Retter, Messias, und singt den Psalm nach der Melodie: Stirb für den Sohn! So wandelt Messias mit den Töchtern Zions. Mit seinen Jüngerinnen spricht er über Frau Weisheit.
Magdalena, die den Eros Gottes angeschaut in den feurigen Augen des Messias, des Königs der Rosen, steht versunken in tiefes Sinnen über den Schönsten der Menschensöhne. So wandelt Messias mit den Töchtern Zions. Mit seinen Jüngerinnen spricht er über Frau Weisheit.
Susanna schmiegt sich an die Wange des Messias und umschlingt seinen starken Nacken. Sie küsst mit zärtlichen Küssen der Liebe die Tulpenlippen des Geliebten. So wandelt Messias mit den Töchtern Zions. Mit seinen Jüngerinnen spricht er über Frau Weisheit.
Maria, die Mutter und Gefährtin Christi, zieht vom Jordanstrom den Messias fort und führt ihn zur Ölkelter in den Olivengarten. Sie nähte ihm den nahtlosen Rock. So wandelt Messias mit der Tochter Zion. Mit seiner ersten Jüngerin spricht er über sich und sie, spricht er über Frau Weisheit.
Als die Zimbeln erklingen, tanzt Johanna wonnig, als der Hirtenknabe die Flöte bläst, schwenkt Magdaalena ihr frauliches Becken, als das Saitenspiel erschallt, bewegt Susanna die schlanken Füße gemessenen Schrittes. Messias ist der Tanz und die Töchter Zions sind die Tänzerinnen.
Johanna umarmt er und presst sein Herz an ihren vollen Busen, Susanna reicht er zärtlich die Hand, aber Magdalena, seine Lieblingin, küsst er leidenschaftlich auf den scharlachroten Mund. Messias ist der Bräutigam seiner weisen Jungfraun.
Er, der die allgemeine Glückseligkeit aller Kreaturen ersehnt, dessen reiner Lilienleib ist der Leib des leiblosen Gottes, den alle weisen Jungfraun Jerusalems als ihr Ein-und-Alles lieben, siehe! Magdalena! wie sich Messias an deiner Liebe berauscht!
2
Während Jesus alle Jungfraun von Jerusalem liebte, ging Magdalena fort, betrübt, weil sie nicht seine einzige Liebe war. In den Scharon-Wiesen, südlich des Karmelgebirges, da die Bienen über den Mariengräsern summten, sprach Magdalena:
O Jesus! Deine Lilienlippen fließen über von Nektar, wenn du zur Flöte des Hirten den Psalm spielst nach der Melodie: Jungfrauen! Deine bezaubernden gnädigen Blicke preis ich und deine Ohren, die Gebet erhören. Ach, ich muß an Jesus denken, wie er mit den Töchtern Zions wandelt und von den Freuden des Geistes spricht.
Mit einer Pfauenfeder möchte ich deine braunen Locken schmücken, Pfeil und Bogen dir hängen um die Schulter, von welcher der Mantel meines Rabbi herunterfällt. Ach, ich muß an Jesus denken, wie er wandelt mit den Töchtern Zions und von dem Jubel im Heiligen Geiste spricht.
Die Töchter von Tyrus mit den schönen Lenden und die Töchter von Sidon mit den weiblichen Becken schauen auf Jesu Lippen, die wie Lilien von Nektar überfließen. Ach, ich muß an Jesus denken, wie er mit den Töchtern des Morgenlandes von den Freuden des Paradieses spricht.
Als der gute Hirte umarmt er mit seinem rettenden Arm zehntausend Mutterschafe und geliebte Lämmlein. Seine Hände wie Elfenbein mit Jaspis-Ringen und seine Beine gleich Marmorsäulen des Tempels erleuchten die Finsternis dieser Welt. Sein Herz gleich einer glühenden Rose ist das Licht des Kosmos. Ach, ich muß an Jesus denken, wie er als Gottessohn die Menschentöchter besucht und von dem Jubel des ewigen Lebens spricht.
Von seiner gesalbten Stirn zum Antlitz, das die Sonne verdunkelt, ergießt sich das Licht vom göttlichen Licht. Seine Linke umfängt die Herzen alle, die pochenden Herzen unter den schwellenden Brüsten. Ach ich denke an Jesus, wie er wandelt mit den weisen Jungfraun von Jerusalem und von den Wonnen der Hochzeit des Lammes spricht.
Eine Kirsche hängt über seinem Ohr, das Gebet erhört, und Salben duften in dem Barthaar seiner Wangenbeete, er schreitet in den Sandalen und im Pilgermantel und ist umgeben von Salomo und Samson und von Gotteslöwen und Morgensternen. Ach ich denke an Jesus, wie er mit Mitka, Marias Schwester, von den Vereinigungen der heiligen Hochzeit des Himmels spricht.
Er lehnt sich an die Zeder des Paradieses, um den Geist des Todes zu besiegen. Er überwand die sieben Dämonen in meiner Seele durch einen einzigen Blick voll glühender Liebe. Ich denke an Jesus, wie er die mystische Freundin Magdalena erwählte und zu mir als der Schwester der Engel vom Tanz der Engel sprach.
Jesus zählt alle meine Tränen und alle meine Gebete. Er verstößt mich nicht, denn er ist der König der Versöhnung, er tilgt meine Schuld. Wenn Jesus auch mit allen Menschentöchtern in Liebe wandelt und meine Seele ihn des Nachts zwar sucht und doch nicht findet, ich kann aber nicht anders, ich muß ihn dennoch suchen, denn wohin sollte ich sonst gehen als zu ihm? Denn er hat Worte der ewigen Liebe!
Ich bin verborgen unter den Malven von Magdala und er ist am Ufer des Sees Genezareth im Schatten der Kapernbüsche. O meine Freundin, Mutter Maria, mir, der Jesus Betrachtenden, bringe Jesus, der das Lächeln Gottes ist, bring ihn zu mir, Maria, den Sieger über die sieben Dämonen!
Ich erröte vor Scham, wenn ich Jesus sehe, ihn, das Wort Gottes, den Gesandten der ewigen Liebe. O meine Freundin, Mutter Maria, Jesus, den Sieger über die sieben Dämonen, bring ihn zu der Freundin seiner Liebe, daß er in der dunklen Nacht der Seele sich mit mir vereint!
Gras ist mein Lager, Zedernbalken und Zypressenbretter mein Bett. Mir zu Seite ruhe der Herr! Ich bin bereit für die Küsse des Heiligen Geistes, zur Umarmung ewiger Allbarmherzigkeit! Ich bin bereit, zu saugen aus dem Kelch des Hochzeitsfestes den Wein der Ekstase! O meine Freundin Maria, bringe mir den Sieger über die Dämonen, bring ihn zur Hochzeit des Lammes, daß er die Liebe in mich einströmt in der mystischen Nacht der Vereinigung!
Meine Augenlider sind gesunken, meine Wangen glühen vor Scham. Ich fließe über vor Liebe! Bebend liebe ich den Heiland, zitternd vor Todesangst will ich umarmen den Retter aus dem Tod! O Freundin Maria, den Sieger über Satan, Jesus bring du zu mir zu der Gottesehe, zur Einswerdung mit der Einen Natur der Gottheit!
Nachtigallen umschweben mich und singen mir, der mystischen Rose der Morgenröte. Ich glühe für den Helden der Minne, den strahlenden Ritter Gottes! Malven von Magdala, Hennablumen von Zypertrauben wallen in meinen langen schwarzen Haaren. An seinem Busen seh ich Spuren von Nägeln. O meine Freundin Maria, ihn, den Sieger über Tod und Teufel, Jesus bring du zu mir, zur Hochzeitsnacht im Brautbett des Kreuzes!
Glöckchen und Zimbeln klingen an den Kettchen an den Knöcheln der Fesseln meiner Füße. Er durchwandelt das gelobte Land in bestaubten Sandalen. Ich trage den Liebreiz gegürtet um die Lenden meines Gemütes. Ich suche ihn, denn ich will seine Füße waschen mit dem Tau meiner Tränen und seine Füße trocknen mit meinem langen Haar. O Freundin Maria, den Sieger über den ewigen Tod, Jesus bring du zu mir, daß ich eingehen darf in Gottes Schoß, das Paradies!
Ich bin wie tot in der Erfahrung der höchsten Glückseligkeit! Seine Augen sind wie Feuerflammen! Mir sinkt die Blüte meines Körpers hin, doch er ist der Triumph der göttlichen Liebe! O Freundin Maria, den Sieger über das ewige Nichts, Jesus bringe du zu mir, daß ich mich mit Gott vereinige als die mystische Gattin Gottes, daß ich aus lauter Gnade Gottes vergöttlicht werde zu Gottes mystischer Göttin! Hallelujah!
3
Jesus, der himmlische Sieger über den Gott dieser Welt, nahm die Schönste aller Schönen, Maria, an sein Herz. Er ließ alle neunundneunzig Frauen und umarmte die einzige Immer-Jungfrau.
Gen Osten und gen Westen ging der Messias, den Feuerpfeil der göttlichen Liebe im Herzen, ging der Messias Maria nach. Im Wildbachtal des Jabbok bei Mahanajim ruhte er am Ufer eines Wassers im Schatten grüner Myrrhebüsche bei Maria.
Ach, als Maria mich sah, sprach Johannes, der Jünger der Schönen Liebe, wie ich mit Johanna spielte und ihren Kindern und wie ich brannte lichterloh für Magdalena, die Schöne, und wie ich höflich war zu Susanna, und wie ich Mitka nicht vergessen konnte, da ging Maria davon. Ich hielt sich nicht auf. O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Welchen Plan ersinnt sie? Über welche Weisheit denkt sie nach? Was kann mir die Schönheit dieser Welt und Ruhm und Gold mir geben? Wie sinnlos ist ohne Maria das Leid und wie freudlos das Leben! O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
An ihr Antlitz denk ich. Ihre feinen Brauenbogen sind wie die Waage der Wahrheit im Weltgericht. Ihr Antlitz ist wie eine weiße leuchtende Lilienblüte. Wie eine vom Fleiß der Honigbienen gewobene Honigwabe schimmert ihr Antlitz. O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Ich trage sie immer im Herzen. Ihr Bild schwebt immer vor den Augen meiner Seele. Soll ich sie zwischen den Fichten suchen? Ist all mein Klagen vergebens? O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Schlanke Jungfrau, himmlische Herrin, überhimmlische Jungfraun-Diva! An dein Herz muß ich denken, das von sieben Schwertern der Schmerzen durchbohrte Mutterherz! Wohin wandelst du? Kann ich dir folgen? O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Du bist mir erschienen, apokalyptische Jungfrau! Wahrlich, wahrlich, Ja und Amen! Ich sah dich mit diesem meinen Augen vor mir am nächtlichen Himmel lächeln! Ach, warum war die Begegnung nur so kurz? Darf ich immer noch als dein geliebtes Söhnchen in der Beuge deiner Arme ruhen? O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Verzeih mir, himmlische Herrin, daß ich dich verließ! Nie wieder will ich mich von dir abwenden, Frau! Schau mich an mit jenen deinen barmherzigen Augen, Schönste aller Frauen! Ich schmelze hin in himmlischer Wonne vor deiner Lieblichkeit, Liebste! O Herr Herr, wie ist die Gekränkte davongegangen!
Diese Fesseln um mein Herz sind nicht von der alten Schlange. Diese Würzkräuter in dem Beutel an meiner Brust sind nicht von giftigen Zauberdrogen, die da täuschen den Geist. Weihrauch brenn ich nieder und streue mir Asche auf das Haupt. O liebe mich oft und heftig und lange, denn ich bin einsam und elend und krank vor Liebe!
Du verwechselst mich mit Jesus - oder warum lächelst du mich so voll immerwährender Mutterliebe an? Nimm den Bogen und den Köcher, Lichtjungfrau, und ziele auf mich! Schieß den Pfeil der Liebe Gottes deinem Freunde, dem Hirsch auf den Scheidenbergen, in den Busen!
O deine Augen sind Taubenaugen! Von deinen liebevoll-zärtlichen Liebesblicken glüht mein Herz im Herzen! Mein Herz war all mein Leben lang krank vor Liebe... Du bist die Liebe meines Lebens, Ewig-Geliebte!
Deine feine schwarze Braue ist der Bogen, deine geschwungene Wimper, die lange, seidige Wimper ist der Pfeil, dein Muschel-Ohrläppchen ist die Sehne. O Liebe Gottes, wie hast du dieser herrlichen Himmelskönigin alle Waffen Gottes verliehen!
Von den Brauenbogen den Pfeilschuß eines unendlich liebevollen Blickes schießt du, diese Liebe muß tödlich sein! Der schwarze Schleier deiner nachtschwarzen Haare, der langen glatten Seidenhaare, sind bis in die Spitzen hinein besessen vom Eros Gottes! O du bist voll der Minne-Magie, Marie!
Berausche mich, du überschöne Jungfraun-Diva, berausche mich dein weinroter Mund mit Küssen des Heiligen Geistes! Doch deine makellosen Brüste, jugendlich fest und wohlgeformt, wie spielen sie zärtliche Liebesspiele mit meinem unsterblichen Geist!
Die himmlische Zärtlichkeit, die unerschöpfliche Liebe deiner liebkosenden Blicke, der süße Duft der Lippenrose, der fließende Wein deines weisen Wortes, die paradiesische Wonne deiner verschmelzenden Liebesküsse...
Da das Gedächtnis deines Liebeswerkes dich gegenwärtig vor mir darstellt, wie kann das Elend der Verbannung auf Erden noch dauern?
4
Den am Ufer des Jordanstromes bei den Kapernbüschen wandelnden Jesus grüßte Mitka, die jungfräuliche Schwester Marias.
Sie verbrennt den Weihrauch aus Myrrhe und Narde, Zimt und Aloepuder. Der Schimmer des Mondes macht sie krank am Gemüt. Die Lüfte scheinen ihr vergiftet vom Gift der Schlangen auf den Bergen bei Aschtaroth. Sie ist liebeskrank, sie leidet an der Trennung von Jesus. Jesus, verwundet von dem Feuerpfeil der Liebe will ich dich ewig freien!
Um dich vor der Lanze des Hauptmanns und dem Stachel des Todes zu bewahren, schirme ich dein Herz mit einem Schild aus meiner Minne. Mitka baut dir ein Bett aus Malvenblüten. Sie ist krank vor Liebe im Jammertal der Verbannung. Jesus, verwundet von dem Feuerpfeil der himmlischen Liebe will sie dich allein als Geliebten freien!
Aus den Rosen der ewigen Liebe und den Lilien der Jungfräulichkeit für den Himmel baut sie dir ein Liebesnest, bereit zu der ewigen Liebesumarmung der Seligkeit, der Seele Glückseligkeit im Liebesbett des Paradieses! Sie ist krank vor Liebe, bis sie bei ihrem Jesus ist! O Jesus, verwundet von dem tödlichen Pfeil der göttlichen Schönheit begehrt sie dich allein zum Gatten!
Die weiße Lilie ihres jungfräulichen Angesichts schimmert vom Balsam der Tränen, wie der Vollmond Nachttau träuffelt. O sie ist krank vor Liebe, im Exil fern vom Vaterland Christi! O Jesus, durchbohrt vom tödlichen Liebesgeschoß der göttlichen Schönheit wählt sie dich allein zum Gemahl der Seele!
Mit Scharlachschminke malt sie dich als das Feuer im brennenden Dornbusch, der brannte, doch sich nicht verzehrte. Sie betet vor dem Bild des unsichtbaren Gottes. In den Händen hält sie die Harfe und singt den Psalm nach der Melodie: Die stumme Taube unter den Fremden! O Jesus, wie wund ist sie fern von dir! O Jesus, entflammt von der Liebe, den Flammen Jahwes, wählt sie dich zu ihrem einzigen und ewigen Ehegemahl!
Sie singt der Wiederkunft Christi entgegen: O Fürst des Friedens, ich falle dir zu Füßen und bete dich an! Wenn du mich anschaust, fließt Wein statt Wermut in dem Becher meiner Seele. Sie ist krank vor Sehnsucht nach dem fernen Geliebten! Tödlich getroffen von der Gewalt der Liebe Gottes, brennt sie einzig für Jesus, ihren Geliebten!
Ihre Gedanken erfassen dich nicht, o Gott, die Augen ihrer Seele sehen dich nicht, o Gott. Sie weint, sie klagt, sie leidet, sie ringt in der Nacht der Seele mit sich selber, sie stirbt den Tod des Ich, sie siegt im Martyrium himmlischer Minne! O Jesus, sie stirbt aus Liebe zu dir! O Jesus, zu Tode verwundet von dem Gott des ewigen Lebens, schwört sie ewige Liebestreue dir in der Hochzeit des Lammes mit der Nymphe Jerusalem!
Selbst der herrliche Rosenkranz, der ihren schlanken Hals so herrlich schmückt, scheint ihr eine Fessel zu sein, Mitka, fern von dir, Messias!
Duftreiche Salbe von Aloe, Zimt und Ylang-Ylang selbst scheint ihr Schlangengift auf ihrem jungfräulichen Körper zu sein, Mitka, fern von dir, Messias!
Ihrer Seufzer nicht endender Hauch scheint ihr das Feuer im Dornbusch zu sein,
Mitka, fern von dir, Messias!
Sie wendet hierhin und dorthin die Mandelaugen, wie Mandelöl entträuffelt den Mandelaugen Tränentau, Mitka, fern von dir, Messias!
Voller Kummer betrachtet sie ihr jungfräuliches Blütenbett, das einsam ist, so einsam, daß es ihr scheint der Pfuhl der Höllen-Gehenna zu sein, Mitka, fern von dir, Messias!
Sie legt die blasse Wange in die schneeweiße Hand und trauert wie in der Nacht ein melancholischer Mond, Mitka, fern von dir, Messias!
Herr Herr! ruft sie in der Verbannung auf Erden, du Taube Gottes! Schau mich an! Und sie sehnt sich aus Liebe zu dir zu sterben, Mitka, fern von dir, Messias!
Sie fürchtet sich, sie leidet, sie bangt, sie ist schwermütig, ihr graut, sie ist einsam, ihr ist elend zumute, ihr ist weh zumute, sie weint, sie verschmachtet, sie will sterben! Nur deine Gnade hält die holdselige Jungfrau noch am Leben. O Heiland, du Seelenarzt, du bist ihr einziges Heil!
O Heiland, du heiliger Seelenarzt, du allein weiser Gott, wenn du die Liebeskranke, deren Heil allein der Wein deines Blutes ist, wenn du die Liebeskranke nicht herausreißt aus dieser bösen Welt, o Gottes Sohn, so bist du grimmig wie Gottes Zorn!
Unter dem Brennen, Stürmen, Beben und Säuseln der Seufzer der Liebe fühlt die einsame Jungfrau, an Weihrauch und Lilien und den Vollmond denkend, untröstliche Schwermut. Sie richtet den inneren Sinn allein auf den Körper Christi. Noch atmet die Stille im Lande und schwindet schon hin...
Die durch einen lächelnden Blick deiner unendlich liebevollen Augen sonst getröstet ward, nun leidet sie zu sehr an der Entfernung vom Geliebten! Wie schmerzt es sie so sehr, daß der Frühling wiederkommt – und sie immer noch fern der himmlischen Heimat ist!
5
Jesus sprach zu Maria: Geh zu Magdalena, bring ihr meine Werbung! Und bring sie zu mir! So vom Sieger über den Satan gesandt als Gesandte, eilte Maria zu Magdalena und sprach zu ihr:
Wo die Frühlingslüfte wehen und den Blütenstaub und die Schmetterlinge tragen, wo die Glockenblume sich der saugenden Biene öffnet, wo Freund und Freundin sich nacheinander sehnen, o Schwester, wie schmachtet dort Jesus im Dornenkranz nach dir, du ferne Geliebte!
Mitten am Tage verfinstert sich die Sonne. Jesus ist bereit, aus Liebe sein Leben zu geben! Ihm im Herzen brennt der Feuerpfeil der göttlichen Liebe! Er klagt: Mich dürstet! Wie schmachtet Jesus im Dornenkranz nach dir, du ferne Geliebte!
Vor dem Summen der Honigbienen muß er die Ohren verschließen, zu süß ist ihm der Honigseim der Liebe. Getrennt von seiner Freundin, ist seine Seele freudlos. In dunkler Nacht der Seele vergeht er vor Kummer. O Schwester, wie schmachtet Jesus im Dornenkranz nach dir, du ferne Geliebte!
Im Walde des Libanon betet er. Er hat den goldnen Tempel verlassen. Im Olivengarten wälzt er sich im Staub der Erde und wird blaß und bleich vor Todesangst und seufzt wehmütig nach der Braut. O Schwester, wie schmachtet Jesus im Dornenkranz nach dir, du ferne Geliebte!
Wo der Liebe Ziel erreicht ist, die Hochzeitsfreude im Garten des Paradieses, in den Gefilden der Seligen weilt er im Geist schon mit der Angetrauten. Ah! Wie dürstet er nach dem Becher deines Beckens mit dem Wein der ekstatischen Liebesvereinigung, dem Blut der Ganzhingabe!
Wenn er in das Haus des Vater gekehrt ist, in die Glorie ewiger Liebe, o Magdalena, gegürtet an den Lenden des Gemütes, dann rühre ihn an, den König der Liebe! Unter dem Lebensbaum im Säuseln des heiligen Geistes wartet auf dich der Geliebte im Dornenkranz!
Er spielt auf der Hirtenflöte das Lied zur Hochzeit des Königs, ein Lied der Liebe zur Melodie: Rosen. Er atmet den Wind ein, den du ausgeatmet in deinen Seufzern. Unter dem Lebensbaum im Säuseln des heiligen Geistes wartet der Geliebte im Dornenkranz!
Schwebt die Turteltaube aus dem Ritz in der Spalte des Felsens, liebkost der Wind den Busch, so meint er, Magdalena komme. Dann bereitet er das grüne Bett der Einigung im Garten der Seele und wartet auf dich in seiner Liebe Passion. Unter dem Lebensbaum im Säuseln des heiligen Geistes wartet der Geliebte im Dornenkranz!
Laß die Zimbeln, den klingenden Zaubergürtel um die Hüfte, die Kettchen um die Knöchel, die Spangen an den Armen und die Lapislazuli-Ohrringe, hülle dich in schwarzes Linnen und geh in der dunklen Nacht der Seele vor Liebe weinend zum Kreuz! An dem Lebensbaum im Sausen des heiligen Geistes wartet auf dich der Geliebte im Dornenkranz!
An deinen beiden Brüsten, die verschleiert sind von deinem schönen langen schwarzen Haar, an deinen Brüsten will er ruhen und will wohnen in deinem Herzen wie im strahlenden Thron des dritten Himmels. Unter dem Lebensbaum im Wehen des heiligen Geistes wartet der Geliebte in seiner Dornenkrone!
Laß deine langen schwarzen Haare mit den roten Hennablüten wallen und weine Ströme zu Füßen des Geliebten und umschlinge mit deinen bloßen Armen die Beine des Geliebten! An dem Lebensbaum im Blasen des heiligen Geistes wartet im Dornenkranz der Geliebte auf dich!
Jesu Herz ist sanftmütig, demütig, siehe, die Mitternacht der Welt ist da. Eile, Magdalena, mit dem Pochen der Liebe im schwellenden Busen und stille Jesu brennenden Durst mit dem Tau der Küsse deiner Liebe! An dem Lebensbaum im Brausen des heiligen Geistes wartet im Dornenkranz der Geliebte auf dich!
Die Sonne hat sich verfinstert. Du schüchterne Freundin, Jesu Liebesverlangen brennt in tiefster Mitternacht! Wie die liebeskranke Nachtigall ruft Maria zur Rose Magdalena: Eile, liebe Schwester, liebe Braut! Die Stunde ist gekommen zur Hochzeit der Gottheit und der Menschheit in der dunklen Nacht!
Magdalena umschlingt Messias mit ihren starken Armen, sie küsst seine Wunden, sie stillt den brennenden Durst seiner Liebe mit den Strömen ihrer Tränen, sie schenkt ihm ihr Herz im bebenden Busen ganz hin! Gottheit und Menschheit waren in der Sünde getrennt, siehe, sie sind jetzt ganz intim vereinigt, denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes mit der Nymphe Jerusalem in der tiefen Mitternacht des Kreuzes!
6
Auf ihn sind die Fehler und Zielverfehlungen aller geworfen, alle Sünden der Nachtwandlerinnen, auf ihn, den lichten Mond der Nacht, der Unbefleckte ist davon befleckt, der Mond, am Mund der dunklen Nacht ein blutroter Tropfen Wein.
Da der Mond sich verfinsterte, rot wie Blut ward, sah Maria, daß Messias einsam sterben mußte! Da hob mit lauter Klage Maria an zu weinen:
Ach, ich bin einsam im Garten der Dornen, meine Jungfräulichkeit verliert nun die Leibesfrucht! Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Dem ich nacheile in die Einöde und die Wüste, ihm durchbohrt die Lanze des Todes das Herz! Mir bohren sich sieben Schwerter der Schmerzen ins Herz! Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Mitgekreuzigt zu werden mit dem Gekreuzigten – was bliebe mir sonst? Sollte ich ohne den Heiland diese tödlichen Schmerzen tragen, den Heiland zu verlieren? Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Welche unsagbaren Schmerzen bringt mir diese tödliche Frühlingsnacht! Wer hat diese Frühlingsnacht in Liebeslust durchlebt? Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Die Rose press ich an mein brennendes Herz, sie durchbohrt mit ihrem Dorn mein Fleisch! Der Dorn der Rose ist wie der tödliche Feuerpfeil der göttlichen Liebe! Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Jesus geht den Frauen von Jerusalem nach und spricht zu ihnen: Ihr Frauen, weint nicht über mich, weint über euch und eure Kinder! Wem soll ich klagen? Die Freundinnen haben mich alle allein gelassen!
Sie sieht Messias von Gott verlassen! Maria sieht sich selbst vom Messias verlassen! Da träumt sie in der Mitternacht der Todesstunde Christi von der Hochzeit des Lammes und der Nymphe Jerusalem im Liebesgarten des himmlischen Paradieses.
Den Rock geschürzt als Mutter der schönen Liebe, Hennablumen in den langen schwarzen Haaren, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Trunken vom Wein der Liebe des Herrn, während der Myrrhebeutel zwischen ihren Brüsten lag, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Das Mondgesicht, das lichtübergossene Antlitz, von langen schwarzen Haaren verschleiert, saugend am Becher des Mundes den Wein der Liebesküsse, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Mondstein und Lapislazuli an dem Muschelohr als Schmuck und den Zaubergürtel aller Anmut um das mütterliche Jungfrauenbecken, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Lächelnd mit charmantestem Lächeln, sich freuend am freundlichen Lächeln des weisen Meisters, flötend mit gespitzten Lippen auf der Knochenflöte den Psalm zur Melodie Jungfrauen, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Ehrfurchtsdurchschauert, sanftmütig, demütig, seufzend vor unaussprechlichen Seufzern des Geistes, blickend mit jenen ihren barmherzigen Augen, von Liebe ganz erfüllt, sah ich dem Herrn vereinigt die selige Herrin!
Wie das heilige Antlitz des Herrn ist der lichte Mond in der dunklen Nacht. Er breitet über mein Herz unendliche Liebesschmerzen! Auf das vor Liebe glühende Antlitz der Lieblingin, auf den kusslichen Scharlachmund der Geliebten malt der Fürst des Friedens mit Moschus ein Zeichen. Er ist der Hirsch auf dem Mond und sie die Hirschkuh auf dem Mond. O wie spielt jetzt Jesus an den Teichen im Garten Eden!
In der Nacht der langen schwarzen Haare, die fließen um die schöngewölbte Wange, flicht er Nelken und Margarithen, die wie Licht und Feuer glühen. O wie spielt jetzt Jesus an den Teichen im Garten Eden!
Der Brüste paradiesische Augenweide, die Weide des Lebens, behängt er mit Sternen aus Saphir und Lapislazuli, der Schweiß im Tal der Brüste ist der Tau des Mondes. O wie spielt jetzt Jesus an den Teichen im Garten Eden!
Die lilienarmige Jungfrau mit der schlanken Schneehand schmückt er mit Honigbienen aus Gold und Rosen aus Rubin und ziert die Hand der Herrin mit dem Ehering aus Gold des Paradieses mit dem Schoham-Stein von Eden. O wie spielen jetzt Jesus und die Jungfrau an den Teichen im Garten Eden!
Um die Wonne des Bechers, des Beckens der Geliebten, um die Lenden des Gemütes band er den Gürtel allen Liebreizes, allen himmlischen Charmes. O wie spielen jetzt Jesus und die Jungfrau im Garten Eden!
Die feurigen Pfeile der Liebe im Herzen, die juwelenen Schwerter der Liebesschmerzen in der Seele, pressen sie Herz an Herz. O wie spielen jetzt Jesus und die Jungfrau im Garten Eden!
Da also der Sieger über den Tod, der Sohn der Ewigen Liebe, die liebliche Jungfrau liebkost, ach weh mir, was leide ich hier sieben Todesschmerzen und Leiden der Passion, die Gefährtin Christi, ohne allen Trost? O wie spielen doch Jesus und die Jungfrau im Garten Eden!
Wie mußt du leiden, Gefährtin Christi, da der liebenswürdigste aller Menschensöhne gekreuzigt wird! Stirbt der Sündlose, muß auch sterben die Makellose! Zur Hochzeit des Lammes und mystischen Gottesehe soll nun meine Seele wallen durch die Nacht des Todes!
7
Endlich ist vorübergezogen die Nacht des Kreuzes. In der Morgenfrühe, da die Strahlen der Morgenröte glühen wie feurige Pfeile der göttlichen Liebe, sprach zu dem in ihren Armen ruhenden toten Gott Maria, die Pieta:
Deine Augen weinten am Kreuze blutige Tränen, deine Stirn ist noch blutig vom Dornenkranz, dennoch sind selbst deine erloschenen Augen mir noch Spiegel der Liebe Gottes! Herr Herr, geh nur ins Reich der Toten, Retter, geh nur hinab zu den Toten, Erlöser, Geliebter mit den Taubenaugen, kehre zurück zur Gefährtin Maria!
Deine purpurnen Rosenlippen küssten die von Tränen verwischte schwarze Augenschminke Magdalenas, daß deine Rosenlippen nun blauschwarz wie die Nacht sind, und so nächtlich ist uns auch dein heiliges Herz, Messias. Herr Herr, geh nur ins Totenreich, Retter, geh hinab zu den Verlornen, Erlöser, und kehre zurück zur Gefährtin Maria!
Der Kampf mit dem Tod schrieb dir mit Nägeln und Lanzen blutige Wunden auf deinen Körper, Christus, wie Gott einst schrieb mit dem Finger Gottes auf die steinernen Tafeln die göttliche Weisung. Herr Herr, geh nur hinab ins Schattenreich, Retter, geh zu den toten Seelen, Erlöser, und kehre zurück zur Gefährtin Maria!
Glänzen nicht deine Füße des Friedens noch von den Tränen der liebenden Sünderin? Siehe, sie begoß deinen Leib mit dem Tau der Liebe. So ist der Gekreuzigte selbst am Holz des Kreuzes zum Lebensbaum des Paradieses geworden und der Körper Christi zur Frucht der Unsterblichkeit! Herr Herr, geh nur hinab zu den Gestorbnen, Retter, erwecke die Toten, Erlöser, und kehre zurück zur Gefährtin Maria!
Ich biß mir vor Schmerz mit den Elfenbeinzähnen, die wie frischgewaschene Zwillingslämmer glänzen, biß mir auf die purpurnen Rosenlippen, die wie scharlachrote Schnüre sind, und biß mir die Lippen blutig. Bewahre ich den Körper des gekreuzigten Gottes auch gut in meinem Mutterschoß für alle Zeit? Herr Herr, steige hinab in den Hades, Retter, und erlöse die Schatten aus der Macht des Hades, Befreier, und kehre mit den Seelen zurück zur Gefährtin Maria!
Wandle bald nur wieder in den Gärten der Morgenröte, neugeboren wie ein himmlisches Kind, und erfreue deine Gefährtin und besuche die weinende Sünderin Magdalena und entflamme alle deine weisen Jungfraun mit dem Feuer deines Herzens, der Liebe, den Flammen Gottes! Herr Herr, rette die Toten aus dem Nichts, Erlöser aller Seelen vom ewigen Tode, Befreier, und kehre zurück zu deiner dich liebenden Braut Maria, und kehre zurück zu allen deinen dich liebenden Jungfraun-Marien als Bräutigam ihrer unsterblichen Seelen!
8
Zu der Betrübten, zur Freundin Magdalena, sprach die heilige Mutter Maria, als Magdalena weinte um den fernen Messias:
Der Herr mit den Morgenstrahlen des Ostermorgens besucht dich! Auf Erden gibt es nichts Schöneres als den Ostermorgen Christi, seine Frucht ist deinem Gaumen süß! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem Freunde!
Deine Brüste sind süßer als Datteln, entziehe dich nicht der erotischen Mystik deines geistigen Freundes, Geliebte! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem Freunde!
Ich sag es immer wieder in einfachen Worten: Verschließe dein Herz nicht, sondern gib dich ganz dem liebenden Herzen des Freundes hin! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem Freunde!
Warum bist du so in dich gekehrt? Warum bist du so verschlossen? Warum bist du so in deiner Wehmut gefangen? Komm, singe doch fröhlicher! Alle Jungfraun Jesu sind begeistert von der Auferstehung und jubeln! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem geheimnisvollen Freunde!
Siehe, im Ostergarten bereitet der mystischen Bräutigam dir das grüne Bett der geheimnisvollen Vereinigung! Erwache und werde satt an dem Bilde der Liebe in ihrer Schönheit! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem mystischen Freunde!
Verjage aus deinem Herzen die Traurigkeit! Höre meine Botschaft: Nichts soll dich scheiden von der Liebe Gottes! Sei nicht kühl, du Kühle, sei nicht kühl zu dem dich liebenden Freunde!
Jesus wird kommen am Ostermorgen in den Liebesgarten. Ein verschlossener Garten ist seine Freundin Braut. Er dringt durch die Blumenpforte ein und will dich küssen mit den Küssen der Liebe! Verscheuche allen Kummer und freue dich, denn Jesus liebt dich und will dich ganz überströmen! Du Kühle, sei nicht kühl zu deinem liebevollen Freunde!
Verhärte nicht dein Herz vor dem heiligen Herzen Jesu, versage dich nicht den Liebkosungen deines himmlischen Freundes, wende dich nicht ab von der süßen Zuneigung Gottes, sei nicht Feindin deinem göttlichen Freunde! Sonst wird dich der Schimmer der Mondin stechen wie Sonnenkatastrophen, sonst wird der Morgentau dir zu verzehrendem Feuer, sonst wird das süße Liebesspiel der himmlischen Minne für dich zum ewigen Tod!
9
Nachdem Messias seine Gefährtin Maria, Maria mit den Brüsten wie Gazellenzwillingskitze und Augen wie Turteltauben, am Morgen gegrüßt, ging er in den Garten der Olivenbäume und Zimtbäume und Jujubendatteln als der Gärtner des Gartens der Seele. Da sprach die Menschenfreundin Maria zu ihrer Freundin Magdalena, die sich die schwarzen Haare mit Henna gefärbt und geflochten hatte und eine goldene Spangen in den Haaren trug:
Der Versöhner, der mit dem Gesang der Liebe auf den Lippen dir die Füße umfängt, er wartet nun im Garten der Seele auf dich, er wartet unter dem Ölbaum der Weisheit. Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Deinen fruchtbaren Busen wie Weintrauben trage in den Weinberg des Geliebten! Deine Lenden des Gemütes gürte mit dem Gürtel der Grazie Gottes! Lasse klingeln die Schrittkettchen und die Glöckchen an deinen Knöcheln und wandle wie ein Rebhuhn in den Garten zu Ostern! Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Hörst du die Stimme des guten Hirten, du einziges Lämmchen, du Lieblingsschäfchen? Unter dem Gesang der Nachtigallen, die von Minne flöten, geh in den Rosengarten der Minne! Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Die Hainbuchen winken dir mit grünem Laube, das im Winde rauscht. Die Blutbuche rauscht dir vom Erlöser auf dem Blut. Der Efeu schlingt sich zärtlich um den starken Stamm der Eiche. Der Wein rankt treu an der Ulme auf. Sie mahnen dich alle zur Eile. Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Dies mein Herz, entflammt von der Liebe, diese Brust wie Jadegipfel und diese Brustspitzen wie Jadeknospen, diesen Busen Marias frage nur, Mädchen. Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Von Susanna und Johanna, von Tiphsah und Tirza und von Mitka begleitet, schlage die Pauke und lasse klingen die Zimbeln, die klingenden Zimbeln des großen Halleluja, und tanze im Anbetungstanze zur Bundeslade des Wortes Gottes! Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Leg deinen starken Arm um Maria, deine wahre Freundin, und lasse deine Perlenschnüre um den Schwanenhals den Sohn Marias allzeit mit Segnungen grüßen. Frau, dem nahen Meister nahe dich, Magdalena!
Der Messias betet: Kommen wird die Geliebte und mich grüßen und segnen, und ihre Seele wird meine Seele liebkosen!
Im Geiste voll Gedanken der Weisheit schaut der Messias im Ostergarten nach Magdalena aus, ob sie komme. Ihn durchschauert die Macht der Liebe, er jauchzt im Jubel der Liebe, er schmilzt in Glut der Liebe, er wandelt liebend in der Liebe der Natur, der geheimnisvolle Freund.
Blaue Augenschminke auf den Lidern, Efeu in den Locken, am Herzen die Rose der neuen Morgenröte, gehüllt in ätherische Schleier aus Seide, lauscht die Morgenröte zwischen den Edeltannen. Und der Frühling tröstet die traurigen Jungfrauen Christi.
Die traurigen Jungfrauen Christi im Leib wie weiße Seide, mit Augen wie Diamanten, sie wandeln leise. Die blaue Nacht der alten Edeltannen prüft das Gold ihres Glaubens auf ihre Reinheit.
Bei der Heckenrosenpforte strahlte die goldene Spange in der schwarzen Haarflut Magdalenas, glitzerte silbern der Gürtel ihrer Grazie, schimmerten die Rubine an den Kettchen ihrer Füße. Da schaute Magdalena den Messias, den Schönsten der Menschensöhne!
Hier in das grüne Erscheinungszelt des auferstandenen Gartengottes tritt ein! Spiele Liebesspiele in seliger Wonne, Magdalena, am Herzen des Messias!
Wo sich die Gräser zum Bette breiten im Schatten des rauschenden Bambus, spiele Liebesspiele und lasse erklingen die Perlenschnur auf deinem vollen Busen, Magdalena, am Herzen des Messias!
Wo den Tempel Salomos der Magnolienbaum erbaut, vom Morgentau gesalbt und geweiht, spiele Liebesspiele in scheuer Zärtlichkeit, Geliebte, die du wie die Seele der Blüten bist, o Magdalena, am Herzen des Messias!
Wo die Winde rauschen wie der süße Odem des heiligen Geistes, da singe, du Muse des Meisters, mit dem Lied der Lerchen Gesang zum lichten Himmel, Magdalena, am Herzen des Messias!
Wo die Hummeln Zuckerwasser trinken und die Fühler der Falter saugen begierig in der Glocke der Glockenblume, spiele zärtliche Liebesspiele, Magdalena, am Herzen des Messias!
Wo nach dem schluchzenden Flöten der Nachtigallen der Jubelhymnus der Lerche fröhlich erschallt, da sinke in süßer Begierde versunken, Magdalena, am Herzen des Messias, sinke hin in süßer Begierde an die Brust des Messias, Magdalena, und gib dich ganz hin...!
ZWEITER TEIL
1
Messias sprach: Ich sah eine Frau, die war makellos schön, die Schönste aller Frauen, sie war ein unbefleckter Vollmond und eine fruchtbare Rebe, ihre Augen waren Zwillinge von blauen Blumen, von einer sanften Abenddämmerung mit Abendsternen, blaue Blumen, die schwammen in stillen Teichen von Milch, die schimmerten auf den Wellen der schönen Liebe, ja, ihre Augen waren Zwillinge von Turteltauben, die girrten von Minne im Lenz, von der Seele der Natur gepaart in einem Frühling der Liebe. Um ihren langen schlanken Hals trug sie die Perlenschnur des Rosenkranzes mit Kugeln von weißem Elfenbein. Die Perlen spielten mit ihren hübschen bloßen Brüsten. Mir war, als ließe die göttliche Liebe Ströme vom Himmel strömen aus der Muschel der göttlichen Liebe, sich ergießend auf die hölzerne Statue eines Gartengottes! Wer Weihegaben der Ganzhingabe opfert, der wird gesegnet mit solchen überwallenden Strömen der göttlichen Liebe! – Siehe, so ist mein Messias, der Bräutigam liebender Seelen, sprach der Dichter Dodo.
2
Messias sprach: Warum kreuzte diese Tochter des Mondes meinen Weg? Ein tiefer Zauberblick des Seelenfunkens aus ihren Augen in meine Augen, die Spiegel meiner Seele, ein streifender Blick voll geheimer Lust, wie schlug er eine Liebeswunde in meinem Herzen! O Tag der Liebesschmerzen, Nacht des Liebestodes, warum bist du aufgegangen? Mein zärtlicher Blick und mein träumender Sinn verloren sich selbstverloren an ihren hübschen bloßen Brüsten mit dem Muttermal der linken Brust. Die Liebe läßt sich nicht löschen. Selbst Ozeane löschen nicht das Feuer der Liebe, die Flammen Gottes! Ihre Worte sind lieblich und freundlich und gehen sanft meinen Ohren ein. Ich wollte fortgehn von ihr, doch meine Füße blieben wie gebannt durch einen magischen Zauberkreis in ihrer Gegenwart. Der Sehnsucht Fesseln fesseln meine Seele. – Aber, sprach der Dichter Dodo, Liebe ist wie ein grenzenloses Meer!
3
Messias sprach: Heut ist der Tag der Wonne! Ich schaute die Geliebte in ihrem Bad! Ströme von reinem Wasser flossen durch ihre langen schwarzen Haare wie Perlenschnüre des Rosenkranzes aus kristallenen Tropfen! Sie salbte ihr wunderschönes Antlitz mit Öl der Freude, als reinigte sie einen unbefleckten Spiegel Gottes! Sie offenbarte mir ihre beiden bloßen Brüste, die wie Alabaster-Becher waren! Frei ließ sie niederwallen ihren Charis-Gürtel allen Reizes! Aufgeschlossen war das Schloß der virginalen Zone! Nun war meiner Sehnsucht keine Grenze mehr!
4
Messias sprach: Wo meiner Geliebten Zwillingsfüße wandeln, da blühen die Rosen auf. Wo ihr Körper in Schönheit vor mir erstrahlt, da durchzucken mich elektrische Blitze. Der Glanz ihres Antlitzes leuchtet schöner als die Sonne. Sie besitzt einen Thron in meinem Herzen. Wenn ihre Augen mich anschaun, seh ich liebevolle Sterne des Kosmos. Wenn ihr leises Lachen, ihr sanftgedämpftes Girren voll feinen Humors mir die Seele erfreut, da wird vor Eifersucht der Wabenhonig bitter. Wenn sie ihre Wimpern aufschlägt und mich die Wimpernspitzen durchbohren, da durchbohren mich Myriaden Feuerpfeile der göttlichen Liebe. Um solche Schönheit anzuschauen, hab ich die Welt erschaffen! Um sie nach meinem Tode nur ein einziges Mal anschaun zu dürfen, leide ich gern meinen Kreuzestod! – Dodo sprach: Messias, weil ich dich liebe, will ich die Geliebte zu dir führen als eine fleckenlose Braut und makellose Freundin!
5
Magdalenas Freundin Salome sprach: Welche sanfte Melancholie in Magdalenas Seele! Sie liebt das Alleinsein. Sie wandelt allein in ihrem Garten und sieht die Rosen an und lauscht dem Gurren der Taubenpärchen. Sie blickt gedankenvoll die Sonne an und schaut verträumt den Wolken nach. Sie vergißt vor Versunkenheit zu essen und zu trinken. Sie trägt das schlichte Gewand einer frommen Eremitin und sieht doch herrlich aus wie die Himmelskönigin. Sie nimmt sich den grünen Efeukranz aus dem Haar und schüttelt die langen schwarzen Locken, zurecht ist sie stolz auf die schöne Pracht ihres Haares. Sie hebt die Hände zum Himmel und spricht mit dem Wind. Was mag sie dem Geist des Windes sagen? – Dodo sprach: Liebe zum kosmischen Christus erfüllt Magdalenas Herz wie ein Morgenstern!
6
Magdalena sprach: Wie soll ich aussprechen können, wie schön ist mein Jesus, mein Jesus, mein Jesus! Wie soll ich mit menschlichen Worten beschreiben die Traumgestalt der Vision? Seine Erscheinung gleicht dem offenen Himmel der unendlichen Nacht und ist doch lichter als ein Blitz. Braun sind seine langen Locken und braun ist sein dichter Bart. Seine Gewänder duften nach Zimt und Aloe, daß der ganze Wonnemond des Minnemaien nicht so lieblich duftet wie mein Messias. – Dodo fragte: Was soll ich anderes nun noch sagen? In ihm hat die Liebe des Schöpfers die Schöpfung erschöpft!
7
Magdalena sprach: Ich hatte mir betend gewünscht, Messias zu schauen. Als ich ihn schaute, ward ich von tiefer Ehrfurcht vorm lebendigen Gott der Liebe erfüllt. Seit jener Nacht bin ich für immer verliebt in Jesus und töricht vor Liebe. Die Leute sagen: Sie ist von Sinnen! Was red ich, was tu ich? Aus meinen Augen tropfen unaufhörlich Tränen. Das Herz in meinem Busen pocht unaufhörlich wie ein Hammer. Was trieb mich zu Jesus? Nun liegt mein Leben ganz in Gottes Hand. Wie soll ich sagen, was der Herzensdieb um Mitternacht mir angetan? Er raubte mir mein Herz, er stahl meine ganze Liebe und ging davon. Aber bei seinem Abschied schenkte er mir solch große Liebe, daß ich ihn nie vergessen kann! – Dodo sprach: Höre mir zu, o liebe Frau, du wirst den Herrn bald wieder schauen!
8
Salome sprach: Kann ich von der Liebe Marias und des Messias sagen? Als sie einander erkannten als reine Spiegel der göttlichen Weisheit, da erwachte die ewige Glückseligkeit der menschlichen Seelen in ihren brennenden heiligen Herzen! Als der Feuerpfeil der göttlichen Liebe wie eine Lanze und wie ein Schwert ihr Herz durchbohrte, da blieb in ihrer beiden einzigem Herzen nur eine einzige brennende Sehnsucht! Wenn ihre Seelen vereinigt werden, die Seele des Lammes und die Seele der Nymphe, dann werden sie ewig eine vereinte Seele sein. Das sei euch allezeit bewußt, daß euch niemand und nichts besiegen kann als allein die ewige Liebe Gottes! Denn eure Augen glühen wie Funken und offenbaren, daß die unbefleckte Jungfrau dem Herrn gehört und der Menschensohn sich Unserer Lieben Fraue weiht! Ja, sein Lichtleib und ihr Lichtleib werden zusammengeführt in der Glorie heiligen Geistes im Paradies, in dem Lichtglanz Gottes, in der Rose des Herzens Gottes! Wie lange wird er so gekreuzigt werden, wie lange wird sie so mit ihm gekreuzigt werden? Werden sie ewig so ihre blutenden Herzen voll Liebe verströmen? Werden sie ewig so töricht vor Liebe sein? Verschweige deine Sehnsucht, Maria, verschweige deine Leidenschaft, Messias, denn eurer Demut Stolz ist das mystische Schweigen der geheimnisvollen, unaussprechlichen Liebe! – Dodo, der Dichter, hat dies gesungen, und seine Königin Frau Weisheit versteht dies zutiefst.
9
Messias sprach: Geliebte Freundin! Dein schwarzes Haar beschämt den Raben, es gleicht der Herde schwarzer Ziegen, die niederwallen am Bergeshang. Aus Scham vor deinem glanzüberflossenen Antlitz wird der Vollmond am Himmel purpurrot. Die Tauben des Friedens scheuen deine sanften zärtlichen Augen. Die Nachtigall des Minnesanges verstummt, wenn deine holdselige Stimme flötet wie eine Friedensflöte. Vor der Anmut und dem Liebreiz deines Ganges verbirgt sich aus Demut die Schwanin im Weiher. Warum kommst du nicht zu mir und sprichst mit mir, Holdselige, Sanftmütige, Demütige, Friedfertige, Mädchenkönigin des Maien? Alle Schönheit der Mutter Natur verblasst vor deiner Schönheit, Schönste aller Menschentöchter! Fürchte dich nicht vor mir, Geliebte, öffne weit den Herz dem kosmischen Christus! Die Magnolienblüten fallen vom Magnolienbaum nieder zu deinen Füßen aus Huldigung für deine hübschen bloßen Brüste! Der Alabaster-Becher voll Wein der Liebe springt in das Osterfeuer aus Begierde nach deinen bechergleichen Brüsten! Die Äpfel fallen vom Stamm aus Huldigung für deine Apfelbrüste und der Granatapfel glüht vor Scham vor dem Reiz deines majestätischen Busens! Der Stamm des Gartengottes steht in deinem Garten vor großer Begierde, wenn du dich bückst zu deiner Furche im Beet! Die lange weiße Lilie neigt sich in Demut vor dem Weiß deiner nackten Arme! Es zittern die Schilfhalme zärtlich und voller Ehrfurcht vor der Feinheit deiner blassen Hände, der Schlankheit deiner femininen Finger! – Dodo, der Dichter, fragte: Wieviel Magie der Minne soll ich noch lallen mit Betörung-Beschwörung, auf den Grundton der ewigen Liebe gestimmt?
10
Magdalena sprach: O meine Freundin Maria, wie sag ich dir all meine innere Wehmut? Die Flöte Christi gießt süßen Gift-Balsam der Liebe durch alle meine beseelten Glieder! Er schwärmt vor mir, er wirbt um mich, er beschwört mich bei den Zwillingskitzen der Gazelle auf der Wiese, ich höre ihn um meine Liebe flehen mit dem Hohenlied der Minne. Mein Körper schmachtet nach süßer Lust und meine Seele sehnt sich nach der wahren Liebeswonne! In den innigsten Augenblicken der Liebeserfüllung will der Becher meines Innern überfließen vor fließendem Feuer! Da schließe ich meine Augen, daß nicht Flammen aus meinen Augen schießen. Wenn ich im Hause meiner Mutter weile und mich die Lust der Liebe durchschauert, schlag ich meine eigenen Arme um meinen eigenen Körper und schaffe Frieden den verzehrenden Gluten meiner Minne zum fernen Geliebten! Leise, leise wie eine Katze schleiche ich Nachts durch mein Haus auf samtenen Pfoten. Ein gütiges Schicksal hat geheimnisvoll meine Liebe im tiefsten Innern verborgen. Meine Seele ist magisch verzaubert von der Innerlichkeit der geheimnisvollen Liebe. Der Zaubergürtel allen Reizes gleitet von meiner Hüfte, meine virginale Zone erwartet den Geliebten, daß er mich erkenne in der dunklen Nacht meiner Seele mit der Kraft seiner Liebes-Ganzhingabe! - Was kann der Dichter Dodo noch sagen, wo die geheimnisvolle Stimme der Vorsehung selber spricht?
11
Salome sprach: Als Magdalena das erstemal zu ihrem Freier Christus kam, da pochte ihr das Herz im Busen vor Scham und Ehrfurcht. Ganz still war Magdalena wie ein goldenes Heiligenbild, sie sah nicht zur Linken und nicht zur Rechten. Da nahm Messias Magdalena bei den Händen und setzte sie an seine Seite in den Thronsessel seiner Minne. Die holdselige Schönheit verschleierte ihr glühendes Antlitz mit dem Schleier ihrer langen schwarzen Haare. Er strich ihr die Haare aus der Stirn (allein der Gott der Liebe selbst vermochte mit ewig zärtlichen Händen ihr die verwirrten Locken aus der empfindlichen Stirn zu streichen). Da küsste Christus mit friedlichen Küssen der Liebe Magdalena auf den scharlachroten Mund. Die Freundinnen Magdalenas waren eifersüchtig, doch Christus küsste allein die auserwählte Freundin Magdalena auf den Mund. Da barg sie sanft ihr Haupt an seinem Herzen. – Dies ist ein jauchzender Psalm des Dichters Dodo, der das heilige Herz seines Fürsten Jesus erfreut!
12
Salome sprach: Ich sehe den jungen Jesus in allem Stolz seiner blühenden Jugend. Er schwärmt von der Erinnerung an die Nacht des ersten Kusses: O wunderschöne Magdalena mit dem süßen Antlitz! Wie hab ich dich doch mit grenzenloser Lust in meiner innersten Seele empfangen! Wie hast du mich so sanft und keusch geküsst in der liebestrunknen Nacht! Du lächeltest mit deinem feinen leisen Lachen, dem sanftgedämpften Girren, das klingt wie das kleine Silberglöckchen beim Hochzeitsmahl des Lammes. Du bist in tausend inneren Bildern mein Entzücken, mein Traum von überschäumender Wollust der Liebe! Deine Worte sind süßer als Honig. Deine Lächelblicke schauen so schelmisch. Du hast mit deinem Blut mir deinen Namen in mein Herz geschrieben! - Dies, sprach Dodo, ist der Psalm vom ersten Kuß.
13
Magdalena sprach: O Maria, meine Freundin, welche Schmerzen muß ich leiden! Was kann ich tun, daß Messias meine Liebesschmerzen lindert? Ich bin jung in meinem Herzen, jünger als Messias, der uralt ist in seiner ewigen Weisheit. Ich bin schüchtern und sanft. Grausam war der Herr zu mir, er schickte mir viele Schmerzen der Seele! Wie kann ich all die Leiden der dunklen Nacht der Seele sagen? Liebe brannte in mir, ich verlor mich selbst. Mein Ich zerbrach in mir. Wann schloß er das Schloß meines Gürtels auf? Er umarmte mich, da war ich wie gelähmt vor Wonne. Das Herz in meinem Busen pochte wie ein Hammer. Ich war ein Sturmwind in der Gewalt seiner Liebe! Er sah, daß meine Augen überströmten von heißen Liebestränen. Hatte Messias Mitleid mit mir? Mein Geliebter verbrannte mir die Lippen mit dem feurigen Wein seiner Küsse! Der Mond in meiner Nacht ward aufgefressen von der alten Schlange. Jesus schlug die Nägel in meine Brust! Ich sehe das Krokodil mit dem Löwen kämpfen und denke an den Kampf meiner Liebe mit Christus. – O du liebende Frau, sprach Dodo, du weißt, wie Christi Liebe die Geliebte kreuzigt!
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Maria sprach: Eile, mein Mädchen Magdalena, eile zum Jüngling Messias, Holdselige, denn der Liebende wartet auf dich! Die Nacht fällt von den Sternen herab. Bald kommt der Tag, da kann sich die Liebe nicht mehr verbergen im Schoß der Mutter Nacht. Lieblichste Freundin, laß dein Antlitz nicht schauen, dein glanzübergossenes Antlitz, sonst wird leuchten die Nacht. Die Turteltaube im Garten hält dein Antlitz für den Mond, und dürstend nach Tau, wird sie girren vor deinem Antlitz, zu trinken das fließende Licht deines Antlitzes. Schweige, sanftmütige Stimme, denn wenn du redest, wird der Falter dich für Nektar halten und dein glühendes Antlitz für eine Rose und mit dem zärtlichen Fühler tasten nach dem Kelch deiner Lippen, sich festzusaugen. Du suchst die schöne Liebe, die ewige Liebe. Die Mainacht ist kurz. Also eile, Freundin, und kehre ein in das Haus der Liebe. - Dodo sang dies seiner Herrin Maria.
14
Messias sprach: Dunkel ist die Nacht und tief die Dunkelheit. Wann kommt zu mir die Geliebte, die holdselige Frau, die all meine glühende Sehnsucht ist? Steil ist der Pfad und dornenreich und es wimmelt von giftigen Schlangen. Wie groß ist die Gefahr und wie zart sind ihre bloßen Füße! Gott im Himmel, ich will dir meine Liebste vertrauen. Schütze die Schönheit und führe sie zu mir! Schwarz ist die Nacht und feucht der Grund. Mein Herz in meinem Busen glüht. Der Weg ist so schmal. Dicht ist die dunkle Nacht. Engel, gib acht, daß sie ihren Fuß nicht an einem Steine stößt. Wie Sterne ihr Blick, ihre Seele wie ein heiliger Engel! Sie ist die Hagia Sophia in Menschengestalt! – Ja, sprach der Dichter Dodo, eine liebende Frau kennt keine andere Macht als die Macht der Schönen Liebe!
15
Messias sprach: Ich habe dich mit meinem Blut gekauft. Nun kommst du zu mir. Ich sehe deine Liebe zu mir. – Magdalena sprach: Ach Immanuel, deine Wolke der Herrlichkeit rief mich am Tag und die Feuersäule deiner Herrlichkeit rief mich in der Nacht und führte mich zu dir. – Messias sprach: Groß ist die Versuchung. Dunkel ist die Nacht. Ich kann deinen Körper nicht sehen in der Finsternis. Wie hast du den Weg zu mir gefunden? – Magdalena sprach: Gottes Blitz zeigte mir den Pfad, Geliebter. – Messias sprach: Durchs dunkle Tal und die tiefe Schlucht, durch Jammertal und durch Tal der Tränen ging dein Weg. Ritzten die Dornen dich wund? - Magdalena sprach: Ich hatte Todesmut wie ein Singschwan, das flößte mir Trost ein. – Messias sprach: Die Nacht der Seele ist tief und du bist allein. – Magdalena sprach: Und doch bin ich nicht allein, denn bei mir ist meine Herrin, die Schöne Liebe!
16
Magdalena sprach: Heute ist die Schüchternheit von mir genommen. Der Geliebte stillte meine Sehnsucht! Was soll ich sagen, o Liebe? Ich muß leise lächeln. So wundervoll war heute seine Liebe! Der Regen ergoß sich auf die Erde. Der Berg ragte auf bis in die Wolke. Ich schaute in den smaragdenen Spiegel des Wassers und war in einer anderen Welt. So voller Weisheit ist mein Geliebter und machtvoll bezaubert sein Wort meine Seele. Er gab der Ruhelosen eine Ruhe. Ich barg mich an dem heiligen Herzen, das für mich glüht! Der Fürst des Friedens setzte mich auf seinen Schoß. Er spielte mit meinem feinen Schleier, bis ich einschlief. – Dodo rief: O selige Liebeswonne!
17
Magdalena sprach: Wie soll ich von ihm sprechen? Er ist ja der namenlose Name! Ob ich ihn im Traum sah, ob ich ihn in Wirklichkeit sah, als ich ihn liebte, weiß ich nicht. Er war ganz nah und doch jenseits der Welt. Der Blitz durchzückte die Nacht. Die Nacht durchschlängelte nektarsüß ein himmlischer Strom. Die Nacht nahm den Mond in den Mund. Die Sterne schauerten, regneten Funkenströme. Der Himmel tat sich auf. Die Berge bebten. Die Erde spaltete sich und ergoß sich in Glut. Der Wind blies mächtig. Die Falter taumelten trunken. Die Meere fluteten über. Aber es war noch nicht das Ende der Welt. – Wie kann das alles wahr sein, fragt der Dichter Dodo.
18
Salome sprach: Verwirrt hingen ihre schwarzen Locken mit rotem Henna um ihr berückend süßes Antlitz, wie schwarze Gewitterwolken um den lichten Vollmond. Mondstein-Ohrringe schaukelten an ihren Muschelohren. Schweißperlen glitzerten licht wie Diamanten auf ihrer weißen Stirn. Frau Schönheit, dein Antlitz spendet Wonne. Willst du weiter kämpfen im Liebeskampf, Magdalena, wie soll Messias sich retten? Armspangen um die bloßen Arme, Silberringe um die schlanken Finger, Kettchen um die nackten Knöchel, das alles ist wie Musik im Rhythmus der Liebe. Betrunken vom Wein der Liebe gibt die Liebe ganz sich hin! Triumph! Blast die Flöte! Streicht die Zymbel! Nun war Stille um die Lenden der Geliebten. Der Kämpfer im Liebeskampf war besiegt, der ewige Friede eingekehrt. – Der Meister des Dichters Dodo vollendet das All in Liebe, Himmel und Erde vereinigen sich.
19
Dodo, der Dichter, sprach: Betrunken vom schweren Rotwein der Liebe zieht Messias Magdalena auf seinen Schoß. Sie blickt so schelmisch und lacht mit leisem Girren wie ein Lenzschalk und Herzschelm. Zärtlich schmiegt sie sich an ihn. Ihr Leib ist Musik der Liebe. Verliebt ist Magdalena, Messias ist voll Leidenschaft! Herz und Herz vereinen sich! Trunken sind beide, der Feuerpfeil der göttlichen Liebe steckt zitternd im Ziel des fleischernen Herzens! – Dodo sang von dieser großen Liebe.
20
Salome sprach: O solche Liebe gab es noch nie! So innig zwei Herzen vereint! Sie sind noch beieinander, schon seufzen sie aus Furcht vor einem Augenblick der Trennung. Ist sie ihm nur einen kurzen Augenblick verborgen, schon weint er Tränen der Sehnsucht. Wenn er fern von ihr ist, dann ist er wie ein Fisch, aus der Flut gezogen und an den Strand geworfen. Nein, unter Menschen ward solche Liebe nie erlebt. Die Sonne liebt die Rose, doch die Rose welkt, die Sonne wandert fröhlich weiter von Ost nach West. Die Nachtigall nennt man den Freier der Rose, seiner Minneherrin, doch Nachtigall und Rose kamen nie in Liebe zusammen. Wenn der Falter mit seinem zärtlichen Fühler am Kelch der Blume saugt, so kommt zwar der Falter zur Blume, doch die Blume kommt nie zum Falter. – Nichts in dieser Welt, sprach Dodo, läßt sich der Liebe des Messias vergleichen.
21
Magdalena sprach: Mein Geliebter, du bist mein ewiges Leben! Dir weihe ich Leib und Seele, Herz und Geist, alles was ich bin und habe, dir weihe ich meine Familie, mein Volk und die ganze Erde, dir weihe ich mein unsterbliches Schicksal: Ich bin ganz dein, Geliebter! Du bist mein Gott, o kosmischer Christus, du König des Universums! Angebetet wirst du von allen bräutlichen Seelen, Gott! Ich bin nur die arme Magd des Ewigen, wenig Weisheit nur ward mir zuteil und ich weiß nicht recht zu dir zu beten. Dennoch biete ich mit Leib und Seele dir meine Ganzhingabe der Liebe! Du bist mein Weg, meine Wahrheit und mein Leben! Du bist meine Auferstehung und mein ewiges Leben! Mein Herz kennt keine andere Ruhe als dich allein, mein Gott! – Die Heilige und die Hure sind beide von Gott geliebt, sprach Dodo, ich weiß von Sitte und Sünde nichts, ich kenne nur Jesu durchbohrtes Herz!