ÜBER DIE NATUR

VON TORSTEN SCHWANKE



ERSTER GESANG


Pausanias, hör, du Sohn des klugen Anchitos, lausche!

Denn die Werkzeuge, die über den Gliedern der Menschen

ruhen, sind eng, und vieles armselige Drängen betäubt sie.

Kaum hat einer das Leben erfasst in einem kleinen Moment, schon

zieht das Geschick ihn dahin, wie Rauch in die Lüfte hinauf.

Jeder glaubt fest an das, was ihm selbst auf dem Weg widerfahren,

rühmt sich, er habe das Ganze mit Weisheit entdeckt.

Sehen und Hören entgeht uns, und was der Geist zu erfassen

strebt, das entgleitet uns, mehr als ein Mensch es vermag.

Du aber, Pausanias, der du nun hierher gekommen,

wisse, so viel, wie der Geist eines Menschen nur fassen kann.

Wahre im Innern der Brust das Wort in Stille und Demut.

Nun denn, ihr Götter, lenkt diesen Wahn von mir ab, der mich irret,

und aus dem heiligen Mund möge ein Quell mir entfließen,

rein und klar! Und dich, o Muse, ich flehe um Beistand,

weißarmige Jungfrau, die den Gesang mir geleitest,

lenke den Wagen des Liedes in Frömmigkeit sicher,

soviel den sterblichen Menschen erlaubt ist zu hören!

Dich soll kein menschlicher Ruhm, kein irdischer Kranz je verlocken,

über das Maß hinaus kühn in den Himmel zu sprechen.

Nein, betrachte das Einzelne mit jeglichem Sinne genau,

halte den Blick nicht vertrauenswürdiger als das Gehör,

oder das Ohr nicht höher als den Geschmack und die Zunge,

jedes erkenne so weit, wie es klar sich zeigt.

Doch die Schwachen misstrauen den Starken mit blindem Verlangen,

du aber erkenne, was aus dem Mund der Muse

klingt, nachdem durch des Geistes Sieb es gegangen.

Erst nimm auf die vierfachen Wurzeln der Dinge: Zeus, der da glänzt,

Here, die Leben gebiert, Aidoneus, Herr der Schatten,

und Nestis, die aus Tränen den sterblichen Quell entsendet.

Ungeworden die Elemente, die alles umfassen.

Doch ich verkünde dir Neues: Geburt gibt es bei den Sterblichen keine,

noch ein Ende im Tode, das endgültig alles zerfällt.

Nur die Mischung der Elemente, der Austausch des Alten,

diesen die Menschen Geburt und Tod zu nennen gewohnt.

Wenn sich die Elemente mischen, zum Licht emporsteigend,

beim Menschengeschlecht, den Tieren, den Pflanzen, den Vögeln,

dann nennen sie das Geburt, und wenn sie sich wieder trennen,

sprechen sie fälschlich von Tod, doch Unrecht haben sie hier.

Denn der Tod ist rächend und nicht in der Wahrheit begriffen.

Die Toren, sie meinen, dass aus dem Nichts könne etwas entstehen,

und dass etwas Bestehendes völlig vergehen und sterben.

Nichts kann entstehen aus dem, was nirgends je war, noch vergehen,

und stets wird es sein, wo der Ort für es ist.

Und im All gibt es weder Leeres noch Übervolles.

Denn im All gibt es kein Leeres – woher soll denn etwas entstehen?

Kein weiser Mann wird solch Trug je in seine Sinne

lassen. Solange wir leben, erleiden wir Gutes und Böses,

doch bevor wir waren, und nach dem Zerfall, sind wir nichts.

Wie es war, so bleibt es, der Streit und die Liebe sind ewig,

nichts raubt die unendliche Zeit ihnen beide dahin.


Ein Doppeltes will ich verkünden, hört meine Worte genau: 

Bald wächst ein einziges Sein aus Mehrerem, einheitlich groß,

Bald trennt es sich wieder, aus Einem wird vieles geboren. 

Wie der Sterblichen Dinge in doppelter Weise entstehen, 

So auch ihr Abgang ist doppelt; es zeugt und zerstört sich das Ganze. 

Denn es vereinigen sich die Dinge in Liebe zur Einheit, 

Doch wenn der Streit sich erhebt, fliegen sie wieder auseinander.

Dieser beständige Wechsel, er hört niemals auf im Kreise zu wandeln, 

Bald wird alles ein Eins durch die Liebe, bald trennt es der Hass.

So entsteht aus dem Vielen das Eine, zerfällt aus dem Einen

Wieder zu Mehreren, wie es die Zeiten im Kreislauf befehlen.

So auch, wenn nichts je vergeht, wenn nichts von den Dingen verloren, 

Bleiben sie unerschüttert im Wechsel, wie Götter beständig. 

Höre denn weiter mein Wort, und stärke den Geist mit dem Lernen! 

Feuer, Wasser, Erde und Luft, unendliche Weite, 

Diese vier sind die Urkraft, aus denen das All sich erschuf. 

Liebe und Streit stehen mitten in ihnen, Gegensätze groß, 

Liebe, die alles verbindet, im Einklang, den Menschen verständlich. 

Würdige sie, denn durch sie halten die Menschen sich treu, 

Wonne genannt, oder Aphrodite von sterblichen Lippen.

Alles, was lebt, folgt diesen Gesetzen im ewigen Kreislauf,

Wandel des Seins, doch es bleiben die Elemente beständig. 

Schaue die Sonne, die strahlt, den Himmel, die Erde, das Wasser,

Alles in steter Bewegung, doch Liebe eint alle im Kern. 

Tiere, die wandeln, die Fische, die tauchen, die Vögel, die fliegen,

Selbst die Götter, langlebig und reich an Ehren, entspringen

Ewigem Wechsel der Kräfte, die durcheinander sich mischen, 

Und in der Ordnung des Kosmos das immer Gleiche gestalten.

So wie der Maler mit Farben in harmonischer Mischung 

Bilder erschafft, die der Welt in ihrer Vielfalt gleichen, 

So mischt auch die Natur die Elemente zusammen 

Und aus dem Wechsel entspringt unzähliges Leben auf Erden.

Abwechselnd herrschen die vier Elemente im Kreise der Zeiten,

Werden geboren und sterben, im festen Wechsel verbunden.

Denn nur diese bestehen, im Wirbelstrom alles belebend:

Menschen, die atmen, und Tiere entstammen dem wilden Gemenge.

Bald in Liebe vereint, bald trennen im Hader die Kräfte

Sich voneinander, bis sie erneut zum Ganzen verschmelzen,

Kaum zu Einem gewachsen, schon müssen sie wieder vergehen.

So entsteht das Eine aus Vielem, und Vieles aus Einem,

In unendlichem Wechsel, der niemals zur Ruhe sich senket,

Doch im Kreislauf bleibt das Sein unerschütterlich ewig.

Dort, in der Sphairos' Kugel, siehst du nicht Helios' Glieder,

Noch die zottige Erde, das Meer mit tobenden Wellen.

Alles ruht in dem festen Verschluss der harmonischen Sphäre,

Kugelig, selig und einsam, in ewiger Stille gefangen.

Zwist und Hader sind fern, kein Streit zerrüttet die Glieder.

Diese Sphairos-Kugel, vollkommen gleich auf den Seiten,

Endlos in alle Richtungen wölbt sich, erfüllt von Einsamkeit.

Und nicht Schenkel noch Zweige, nicht Füße und Beine siehst du,

Nicht der zeugenden Glieder Gestalt, nur eine vollkommene Kugel.

Doch als Streit in den Gliedern erwuchs und zu Ehren emporkam,

War die Zeit schon gekommen, von einem Gelöbnis bezeugt,

Dass sich die Liebe erneut und der Streit im Kreise begegnen.

Alle Glieder des Gottes erbebten, als Hader sie schüttelte,

Denn das Band, das sie hält, bindet eins zum anderen fest.

Wie der Feigensaft dickt die weiße Milch und sie bindet,

So mischt sich das Leben, doch stets bleibt Hader im Innern.

Immer bleibt noch ein Teil der Mischung vom Streit unberührt,

Nicht verlässt er das Ganze, verharrt in den Gliedern verborgen.

Während der Streit voranrennt, weicht ihm die gütige Liebe,

Und aus der Mischung entstehen unzählige Sterbliche Scharen.

Die einsame Nacht, mit blindem Auge, deckt alle Wesen.

Iris, die Botin des Windes, erhebt sich hoch aus dem Meere,

Bringt uns Wolken und Regen, die Erde zu tränken mit Wasser.

Rasch aber fuhr das Feuer hinauf in die weiten Gefilde,

Viele Feuer, sie brennen, verborgen tief unter der Erde.

Denn die Lüfte, in ihrem Lauf, durchkreuzten einander,

Stießen zusammen und trennten sich wieder auf vielfache Weise.

Lüfte versanken mit tiefen Wurzeln in erdige Gründe,

Erde, ihr Schweiß, das Meer, das riesige salzige Wasser.

Salz, es erhärtete sich, als die Sonne es traf mit den Strahlen.

Ihr aber wuchsen Häupter, zahllose, ohne die Hälse,

Nackte Arme irrten im Raum, ohne Schultern zu finden,

Augen, sie wanderten suchend umher, ohne Stirne zu ruhen.

Glieder, getrennt und vereinzelt, suchten die Einheit verzweifelt.

Doch als der eine Gott mit dem anderen, Liebe und Streit,

Sich in der Weite vermählten, da fielen die Glieder zusammen,

Wie es das Schicksal bestimmt, und sie reihen sich neu zu den Formen.

Schleppende Füße mit Händen, unzählbar, wuchsen hervor.

Da gab es Wesen mit doppeltem Antlitz und doppelter Brust,

Vorne ein Mann, hinten ein Ochse, und andere folgten,

Männerleiber mit Häuptern der Stiere, seltsame Formen,

Mischungen schritten, hier männlich, dort weiblich gestaltet,

Scham durch Schatten bedeckt, von den Lüsten der Götter gezeugt.

Hör nun weiter, wie Feuer in Nacht die Gestalten entließ,

Männer und Frauen, in Kummer geboren, kamen ans Licht.

Roh und formlos stiegen sie auf aus erdigen Klumpen,

Feuer schleuderte sie hoch empor in den himmlischen Äther.

Noch nicht hatten sie Glieder, noch Stimme, noch Scham wie die Menschen.

Doch war der Ursprung der Glieder in männlicher Kraft verborgen,

Sehnsucht ergriff sie, und Liebe erweckte Erinnerung,

Samen vereinte sich dann, kalt gebar die Mädchen,

Warme Geburten erschufen die Knaben in Aphrodites Schoß.

Im warmen Schoß bringt der Körper das männliche Wesen hervor,

Darum sind Männer schwärzer, mannhafter, rauher und wilder.

Am zehnten Tag im achten Monat, wird das Blut weiß wie Schnee,

Doppelträchtig gebären im siebten und zehnten die Frauen.

Wenn du noch Zweifel hast, wie aus dem Mischen der Elemente

Soviel Gestalten und Farben entstehen, wie Liebe sie schafft,

Schau auf die Fische im Meer, die in Salzfluten gedeihen,

Schau, wie die Bäume durch Aphrodite’s Wärme erblühen.

Von den Tieren, die innen fest, doch außen weich sind,

Erhielten sie Schwammigkeit unter Aphrodites Händen.

Sieh die Schalen der Meeresbewohner, sie zeigen es deutlich,

Sieh wie die Schnecken und Schildkröten in Panzern verbergen den Körper.

So auch die Blätter, die Frucht der Bäume im Überfluss tragen,

Immer im Laufe des Jahres, mit wechselnden Winden erblühend.

Hohe Olivenbäume legen Eier in Hülle und Fülle.

Granaten reifen spät, doch Äpfel sind saftig und prangend.

Wein, er entsteht aus Rinden, vergoren im Innern des Holzes,

Haare und Federn der Vögel, sie wachsen wie Blätter an Gliedern.

Doch die Igel tragen Borsten, scharf wie nadelnde Speere.

Wie einer, der in finstrer Winternacht auf Reise bedacht ist,

Zündend des Feuers Glanz und das tanzende Licht sich bereit macht,

Schirmt er’s sorgsam vor Winden in flackernden, schützenden Wänden,

Die zwar den tobenden Sturm, doch nicht die Strahlen verhindern,

Weil das Licht so fein, durchdringend, hinaus in die Ferne,

Leuchtet empor zum Himmel mit Strahlen, die niemand erwartet:

So auch verbarg das ewige Feuer sich damals im Auge,

Hinter der runden Pupille, von Häuten umhüllt und Gewändern,

Durchlöchert von göttlich geordneten Poren, die Feuer durchlassen,

Doch das umfließende Wasser zurückhalten, weil es zu dicht war.

Zufällig war die Flamme des Auges nur leicht mit Erde vermengt.

So schuf Aphrodite, die Göttin, das Sehende Auge, voll Wunder,

Schweißend mit Nägeln der Liebe die Kräfte der Blicke zusammen.

In den Fluten des Blutes, das mächtig entgegen ihm spritzet,

Nährt sich das Herz, wo sitzt, was wir Denkkraft beim Menschen benennen.

Denn das blutende Herz, das die Gedanken umspüret,

Ist den Menschen die Quelle des Denkens, des tiefen Verstandes.

Immer gemäß dem Verhältnis des Körpers wächst der Verstand uns.

Denn aus den Elementen wird alles gefüget und formet,

Freude wie Zorn in den Menschen, das Denken entsteht aus der Mischung.

Wie sich der Mensch an dem Tage verwandelt, so ändern

Nachts sich auch seine Gedanken, vom Wechsel getrieben im Traume.

Erde erkennen wir mit der Erde, und Wasser mit Wasser,

Luft durch die Luft und das Feuer durch Feuer, das sengend uns trifft;

Liebe empfinden wir nur durch die Liebe, und Hassen durch Hassen,

Trauer erzeugt auch in uns, was von Trauer erfüllt uns umgibt.

Fester gestützt auf den Geist und mit reiner Bemühung des Denkens,

Wirst du erkennen die Lehren, die dauerhaft bleiben im Leben.

Viele noch Schätze gewinnst du daraus, denn der Weisheit Gefilde

Wachsen in dir, je nachdem wie Natur deine Seele gestaltet.

Solltest du aber nach anderen Gütern der Menschen verlangen,

Armseligen, zahllosen Dingen, die das Denken vernebeln,

Wahrlich, sie werden vergehn in der Zeit und dich bald verlassen,

Rückwärts strebend nach ihrem ursprünglichen Wesen, dem Staube.

Wisse nur eins: Alles hat seinen Teil an Bewusstsein und Denken.

Alle Gifte wirst du erkennen, die Krankheit und Alter bannen,

Denn dir allein will ich alles, dies alles im Wissen erfüllen.

Stillen sollst du die Macht der unermüdbaren Winde,

Die von der Erde her aufsteigen und Felder zerstören,

Rufen sollst du sie auch, wenn dir beliebt, aus dem Nichts her,

Regen wenden zur Trockenheit, nützlich den Menschen im Dürsten,

Umgekehrt die sommerliche Trockenheit wandeln in Fluten,

Baume nährende Wasser aus dem Himmel strömen zur Erde.

Kehren sollst du zuletzt aus dem Hades des Toten die Seele.



ZWEITER GESANG


Ihr Freunde, die in der Stadt, die am Ufer des gelben Akragas ruht,

Nahe dem heiligen Burgberg wohnt, die Pfleger der Künste,

Ihr, die den Fremden in Ehr, ohne Falschheit empfangt –

Seid mir gegrüßt! Nun wandle ich hier nicht mehr als ein Mensch,

Nein, als unsterblicher Gott, und mir huldigt das Volk, wie es ziemt,

Flicht mir den Kranz um das Haupt aus duftenden Blüten und Zweigen.

Wenn ich die blühenden Städte betrete mit männlichen Jüngern,

Weiblichen Scharen, betet man mich als Gottheit an,

Folgt mir in Massen und fragt, wo Heilung zu finden sei.

Orakel begehren die einen, die andern erbitten sich Hilfe,

Wegen der Schmerzen, die tief in den Gliedern sie quälen und plagen.

Doch was red' ich hier lang, als würd' ich etwas Großes vollbringen?

Bin ich nicht größer als sie, die sterblichen Menschen, geweiht

Dem unheilvollen Geschick, das Verderben bringt und zerstört?

O meine Freunde! Die Wahrheit liegt in den Worten verborgen,

Die ich euch künde, doch mühsam wird sie den Menschen zuteil.

Denn schwer nur findet das Herz den Glauben an göttliche Lehre.

Es gibt einen Spruch des Schicksals, einen uralten Beschluss,

Geweiht den Göttern, besiegelt mit heiligen Eiden:

Hat einer das Blut an den Händen, im sündigen Mord sich verstrickt,

Schwor einen Meineid in wütendem Streit, so muss er irren

Durch dreimal zehntausend Jahre, fern von den seligen Hallen,

Wandelnd durch viele Gestalten, geboren als sterbliches Wesen.

Die Luft jagt ihn zum Meer, das Meer speit ihn zurück auf die Erde,

Die Erde wirft ihn hinauf zu den Strahlen der leuchtenden Sonne,

Und diese treibt ihn zurück in die Lüfte, ein Kreislauf von Qual.

Alle verstoßen ihn, alle verachten die irrende Seele,

Denn auch ich gehöre zu jenen, vom Himmel verbannt.

Die Charis hasst das unerbittliche Band der Notwendigkeit.

Schon war ich Knabe und Mädchen, Pflanze, Vogel im Flug,

Auch ein stummer Fisch, der tief in den Fluten sich birgt.

Und ich weinte in Jammer, als ich die fremden Orte erblickte,

Fortgerissen aus göttlicher Macht, unter Sterbliche geworfen.

Unter den Menschen jedoch lebte ein Mann, der weise im Geiste,

Höherem Wissen geweiht, und geachtet als reichster an Künsten.

Denn wenn immer er wollte, und all seinen Kräften sich widmete,

Schaute er leicht in der Weiten der Welt in das Herz jedes Wesens,

Blickte hinein in das Innere all seiner zehn, zwanzig Leben.

Sämtliche Wesen waren dem Menschen da friedlich und freundlich,

Zahm auch die wilden Tiere, die Vögel, die durch die Luft zogen.

Flamme der Liebe verband sie, in gegenseitigem Leuchten.

Muse, o wenn du je menschlichen Sorgen geneigt warst, zu lauschen,

Wenn es dir recht war, die Plage des Menschen in Worte zu fassen,

Hör mich, Kalliope, jetzt, wenn ich lobreich die Götter besinge.

Glücklich, wer göttlichen Sinn, wer göttliche Weisheit gefunden,

Elend, den düsterer Wahn um die Götter mit Schatten umklammert.

Niemals kann man die Gottheit mit Augen erfassen, die sterblich,

Noch kann man sie greifen mit Händen, die nur dem Irdischen dienen,

Wege, die führen, so spricht man, zur Quelle des Glaubens im Herzen.

Denn sie trägt nicht ein Haupt, das den Menschen in Form sich vergleiche,

Nicht von den Schultern wachsen ihr Schwingen hernieder zur Erde,

Keine Füße besitzt sie, noch Kniee, die eilends sich beugen,

Keinerlei Glieder, wie wir sie besitzen, die sterblichen Wesen.

Nur ein heiliger Geist, der unsagbar und göttlich sich regt hier,

Flieget mit Gedanken rasch durch die Weiten des Alls hin.

Doch das Gesetz der Welt ist weit und lang ausgespannt hier,

Durch den gewaltigen Äther und den unermesslichen Himmel.

Werdet ihr nicht aufhören mit dem klagenden Morden? Ihr seht nicht,

Wie ihr einander zerfleischt in der Blindheit und Unbesonnenheit eures Herzens?

Selbst den eigenen Sohn hebt der Vater zum grausamen Tode,

Schlachtet das Kind, das die Gestalt nun gewechselt, der törichte Böse!

Und noch ein Gebet spricht er aus, während die Knechte mit Zagen

Hadern und zaudern, das Leben des Flehenden zu rauben.

Taub jedoch hört er das Winseln des Kindes, das um sein Leben

Bittet, und tötet es grausam, und rüstet zum Sündenschmaus eifrig.

Ebenso schont nicht der Sohn seinen Vater, die Kinder die Mutter,

Rauben das Leben und speisen das blutsverwandte Fleisch auf.

Mit dem Eisen die Seele der eigenen Abkunft auslöschend.

Ach, dass mich nicht früher ein harter Tag unter die Erde

Warfen, ehe der Frevel des grausamen Fraßes mich traf so!

Ganz den Blättern des Phoibos, des heiligen Lorbeers, enthaltend.

Unselige, weh, haltet die Hände zurück von den Bohnen!

Diese erfreut nicht der Palast des Zeus, der Ägisenschwinger,

Noch das Haus der Hekate, der furchtbaren Rächerin, wehe!

Schöpft ihr von fünf Quellen, fest in unwandelbarem Erze.

Von der Sünde genesen und sich reinigen, Seelenbefreite.

Denn in der Schuld befangen, werdet ihr nimmer des Herzens

Last von unseligem Kummer und Jammer zu lösen vermögen.

Endlich, zuletzt werden sie Seher und Ärzte und Sänger,

Herrscher, und steigen empor, zu den Göttern an Ehren erwachsen.

An den Herden der Unsterblichen teilend, an Tischen vereint,

Fern vom Jammer der Menschen und frei von den Leiden des Fleisches.

Erdstoff, der die Menschen umhüllt, ist der Leib, der sie schirmet.

Wolken, die sich sammeln im Wind, um die Luft zu erfüllen.

Leber, die vom Blut in den Menschen sich füllt, es zu nähren.

Aphrodite, die Leben spendet und alles entzündet.

Abend, das Greisenalter des Tages in sanftem Vergehen.

Baubo, die, wie der Bauch, uns verborgene Kräfte verkündet.

Sieben mal sieben Tage formt sich das Kind in der Mutter.




DRITTER GESANG


Das Rossegespann, das mich führte, zog mich weiter, so weit nur ich wollte,

Als es mich lenkte den vielgerühmten Pfad der Göttin,

Der durch die Städte der Wissenden führt, den Pfad der Erkenntnis.

Dorthin also ging meine Fahrt, und die Rosse,

Vielverständig und weise, zogen den Wagen hinfort,

Und die Mädchen wiesen mir sicher den Weg.

Heiße, knirschende Töne erklangen, als die Achsen sich drehten,

Denn beiderseits wurde die Fahrt von drehenden Rädern getragen,

Da die Heliadenmädchen, die aus dem Hause der Nacht kamen,

Hüllten den Schleier zurück und beschleunigten mutig die Reise.

Dort steht das Tor, wo der Pfad von Tag und Nacht sich scheidet,

Türsturz und steinerne Schwelle, und mächtige Flügeltüren,

Die von Dike, der strengen Rächerin, sorgsam verwahrt sind.

Sie baten die Göttin, mit klugen und schmeichelnden Worten,

Daß sie den Riegel gewandt von dem Tore entferne.

Schnell sprang das Tor auf, und weit öffnete sich der Zugang,

Als sich die erzbeschlagenen Pfosten in ihren Zapfen drehten.

So lenkten die Mädchen den Wagen hindurch,

Und die Göttin, mit Huld, nahm mich bei der Hand,

Ergriff meine Rechte und sprach mit mächtiger Stimme:

Jüngling, der du dich zu den unsterblichen Lenkern gesellst,

Gesegnet bist du, daß dich kein schlimmes Geschick hierher führte,

Weit ab von den Pfaden der Menschen, doch Recht und Gerechtigkeit brachten dich her.

Nun wirst du alles erfahren: der Wahrheit wohlgerundetes Herz

Und der sterblichen Wahngebilde, die keinen Bestand haben.

Doch halte dich fern von den trügerischen Wegen der Forschung,

Laß deinen Blick nicht ziellos schweifen und lausche nicht den verwirrenden Tönen,

Folge dem Rat, den ich dir gebe, und prüfe mit deinem Verstande.

Es bleibt dir nur ein Weg, den du gehen musst...“

Betrachte, wie das Ferne deinem Verstande so nah wird.

Denn das Seiende trennt sich niemals vom Seienden,

Es löst sich weder gänzlich auf noch ballt es sich völlig zusammen.

Es ist ein Ganzes, ein Eins, wohin du auch blickst,

Denn von ihm kehrt alles zurück zu seinem Ursprung.

Nun höre die Lehre: Zwei Wege der Forschung gibt es,

Der eine, dass das Seiende ist und nicht sein kann,

Ist der Weg der Wahrheit und der Überzeugung.

Der andere aber, dass das Seiende nicht ist, ist unerforschbar,

Denn das Nicht-Seiende kannst du weder denken noch aussprechen.

Denn es ist dasselbe, zu denken und zu sein.

Nur das Seiende existiert, es ist möglich,

Das Nicht-Seiende aber ist unmöglich; dies präge dir ein.

Dies ist der Weg der Wahrheit, von dem ich dich warne,

Fern davon wandeln die Sterblichen, die Unwissenden, die „Doppelköpfe“,

Verwirrte Geister, die zwischen Sein und Nichtsein schwanken,

Die in einem Widerspruch leben, blind und stumm,

Die weder das eine noch das andere begreifen.

Denn das Seiende kann nicht aus dem Nicht-Seienden hervorgehen,

Es bleibt nur ein Weg, der einzig mögliche,

Das Seiende existiert, es ist ungeboren, unvergänglich,

Ganz und unerschütterlich, ohne Ende,

Es war nie und wird nie werden, denn es ist im Jetzt,

Als Ganzes, in sich geschlossen, einheitlich und kontinuierlich.

Drum kann ja die Kraft der Überzeugung nimmer bezeugen,

Daß aus dem Nichts jemals ein Ding, das Seiendes wäre,

Werden könnte. Es hält Gerechtigkeit Werden und Schwinden

Fest in den Fesseln gebannt, und befreite es niemals davon.

Denn die Entscheidung ist diese: es ist oder ist nicht.

Daraus folgt klar, daß wir den einen Weg uns versagen,

Nämlich den Weg, der im Denken nicht denkbar, im Wort nicht sagbar,

Denn es führt uns nicht zur Wahrheit, den andern aber begehen,

Der uns als wirklich erscheint und seiend zu sein wir begreifen.

Wie könnte nun jemals das Seiende aus Zukünftigem stammen,

Oder wie einst sein Ursprung gewesen sein in der Zeit?

Denn entstand es, so ist es nicht; und in Zukunft entstünde

Es nur, wenn es jetzt nicht wäre. So löschte das Werden sich selbst aus,

Und das Vergehen verschwand im weiten Abgrund der Zeit.

Unteilbar ist es auch noch, da es sich in sich selbst gleich bleibt,

Denn es gibt kein Stärkeres, was seinen Zusammenhang sprengt,

Nichts Geringeres, das es mindern könnte, vielmehr

Ist es von allem Seienden voll, nichts Leeres ist in ihm drin.

Darum bleibt es ungeteilt, weil eins das andere berührt.

Unbeweglich liegt es nun in gewaltigen Schranken,

Ohne Anfang und Ende, denn Werden und Schwinden sind ferne

Von ihm entfernt, durch die Kraft der wahren Überzeugung verbannt.

Und so ruht es im Selbst, dem Selbigen völlig verharrend,

Denn die Not zwingt es in die Bande der mächtigen Schranken,

Die es umgibt, allseits fest und von Enden begrenzt.

Denn das Seiende muß vollkommen sein, nicht unvollkommen.

Wäre es mangelhaft, so gäbe es dort, wo der Mangel,

Nicht das vollkommene Sein, und das wäre Widerspruch selbst.

Denken und Sein sind eins, und der Gedanke umfaßt nur

Das, was ist; nichts anderes kann gedacht werden,

Denn es gibt nichts außerhalb des Seienden,

Alles andere wäre nur leere, vergebliche Worte,

Welche die Menschen fälschlich für Wahrheit gehalten haben:

Werden und Schwinden, Sein und Nichtsein,

Ortswechsel und Farbenwandel der Dinge.

Da das Seiende jedoch eine letzte Grenze besitzt,

Ist es vollendet, wie eine wohlgerundete Kugel,

Gleichmäßig nach allen Seiten hin stark in sich ruhend.

Denn es darf nicht hier mehr, dort weniger sein als Seiendes,

Da es nichts gibt, das es trennen oder zerteilen könnte.

Somit ende ich meine verlässliche Rede und Einsicht

Über die Wahrheit; von hier ab hör nun die Worte

Von Menschen, die in Wahngedanken verstrickt sind.

Man nannte die Erde verwurzelt im Wasser, gewiss so gedacht war'n

Organe, die irren, wie sie im Mischspiel sich nah'n unser'm Sinne.

Denn was da denkt, ist ein und dasselbe bei jeglichen Menschen:

Kräfte, die all ihre Glieder umspannen, der Mehrzahl Gedanken.

Rechts aus der Mutter entstehen die Knaben, auf linker die Mädchen.

Mann und Weib, wenn sie in Lieb' sich vereinen und mischen die Keime,

Bildet die Kraft aus dem Blute den Leib, wenn sie gleichmäßig schmiegt sich.

Doch wenn die Kräfte des Samens im Streit sich begegnen und kämpfen,

Wird ein grauses Geschlecht in das keimende Leben geboren.

So ist es stets gewachsen im Irrtum, besteht und wird immer

Wachsen, bis es sein Ende erreicht, und der Name, gegeben,

Bleibt als Zeichen des Irrsinns, von Menschen an Dinge geheftet.

Dort liegt ein Pfad, schaurig und lehmig, ein hohler, verlassener Weggang,

Führt in den Hain, wo Aphrodite, verehrt in der Ferne,

Winkt mit verlockendem Lichte, doch schwer ist es, fest zu begreifen.

Vorzeiten nannte man Theben die Burg auf den Inseln der Seligen.

Telchinen stiegen hervor aus den Hunden, die Aktaion jagte,

Zeus verwandelte sie und formte daraus der Menschen Gestalten.



VIERTER GESANG


Nun ist der Estrich sauber und frei von jeglicher Last an Händen,

Becher in Fülle gereicht, mit duftenden Kränzen bekrönt uns,

Einer setzt sie auf’s Haupt, und ein anderer reicht uns die Schale

Wohlriechender Salbe dar. Der Mischkrug, gefüllt bis zum Rande,

Steht, mit Frohsinn gefüllt, und auch der blumige Wein schon,

Mild, versagt sich nicht, wohl duftend aus Krügen bereit.

Inmitten unsrer Runde erhebt sich der Weihrauch zum Himmel,

Heiliger Duft zieht empor, und kaltes Wasser ist nahe,

Klar, süß und rein, bereit, uns kühle Erfrischung zu spenden.

Semmeln liegen daneben, blond, und reichlich von Käse

Beugt sich der Tisch, und fetter Honig verleiht ihm die Schwere.

Blumen geschmückt steht in der Mitte der Altar voll Erhaben,

Lieder erklingen im Haus, und die Freude des Festes ertönt.

Dann ziemt es den Weisen zuerst, den Göttern ein Loblied

Heilig zu singen, mit reinen Worten die Hymne zu weihen.

Nach dem Gebet und den Spenden dann, das Rechte zu tun uns

Stärke verleihen, ist keine Sünde, zu trinken in Maßen,

Dass, wer nicht greis, sich selbst nach Hause geleiten vermag.

Doch loben soll man den Mann, der nach dem Trunke noch wachsam,

Tugend im Herzen bewahrt, mit Gedächtnis und Stimme für Ehre.

Nicht sollen wir preisen den Kampf der Titanen, noch Kentauren

Oder die Giganten, Erfindungen der Vorzeit, die drohen,

Sondern stets den Göttern die rechte Ehre zu spenden.

Wenn einer im Lauf den Sieg erringt oder im Fünfkampf

Auf heiliger Flur des Zeus in Olympia kämpft um den Ruhm,

Im Ringen besiegt oder im harten Faustkampf besteht,

Oder im Pankration, dem furchtbaren Kampf, sich behauptet,

Mag er den Sieg erringen und Bürger zu Ehren gelangen,

Wird er gesättigt vom Staat und erhält den Ehrensitz bei Spielen,

Doch nicht ist er mehr wert als der, den Weisheit erleuchtet.

Denn besser ist Weisheit als die Kraft von Männern und Rossen.

Unrecht ist’s, die Stärke der Klugheit voranzustellen,

Denn selbst wenn ein Mann im Faustkampf geübt, im Fünfkampf

Oder im Ringkampf hervorragt, schneller läuft als die anderen,

Doch für die Stadt nicht viel bedeutet der Ruhm seines Sieges;

Nur wenig ist das für die Stadt, wenn einer in Pisa

Ruhm erlangt; doch die Stadt bleibt karg und unwohlgeordnet,

Denn solch ein Sieg macht die Kammern des Staates nicht voll.

Überfluss und Prunk lernten sie einst von den Lydern,

Als sie noch frei waren von der Tyrannen verhasstem Joch,

Da gingen sie stolz zum Markt, in purpurnen Kleidern,

Locken geschmückt und tropfend von Salben in Überfluss.

Von den Lydern kam auch das Geld, sie prägten es erstmals.

Beim Mischen im Krug jedoch, goss keiner den Wein erst hinein,

Wasser kam zuerst, und darüber ergossen sie dann den Wein.

Du sandtest die Keule eines Böckchens und erhieltst dafür den Schenkel

Fett eines Mastochsen, wie es einem Mann gebührt,

Dessen Ruhm sich ausbreitet, durch Hellas Schalle ergreifend,

Solang das Geschlecht des Gesanges der Hellenen lebt.

Doch nun, will ich wenden die Rede, einem neuen Pfad folgen.

Und es heißt, als er einst dort entlangging, wie ein Hündchen, das leidet, 

Mitleid empfand und sprach: „Hör auf mit deinem Geschlagen.

Denn die Seele des Freundes erkannte ich klar in dem Rufe,

Hörend die Stimme, die tief mir vertraut aus der Ferne erklang."

Siebenundsechzig Jahre, so lang schon erdulde ich Kummer,

Treibe ihn umher durch das hellenische Land seit den Tagen,

Da ich war fünfundzwanzig, vom Tage der Geburt an gerechnet,

Wenn ich dies sage, getreu der Wahrheit und Treue verpflichtet.

Kraftloser, viel schwächer, als je ein Mann im hohen Alter.



FÜNFTER GESANG


Für dies Wort, so ewig es ist, begreifen die Menschen

Nichts, weder zuvor noch dann, wenn sie es vernommen, verstehen.

Alles geschieht nach dem Wort, doch handeln sie töricht und blindlings,

Immer und immer erneut, wie wenn sie es nicht versucht hätten,

Dinge in Worte zu fassen, die ich in Reden zerlege,

Jedem gemäß seiner Art, um es zu deuten und prüfen.

Wissen doch nicht, was sie tun, wenn sie wachen, die anderen Menschen,

Gleich wie sie’s nicht bedenken, was sie im Schlafe vollbringen.

Drum ist’s Pflicht dem Gemeinsamen folgen, doch obgleich das Wort

Allen gemein ist, leben die meisten, als hätten sie Weisheit

Eigener Art, als wären sie einzig und anders erleuchtet.

Breit wie der Fuß eines Menschen, die Sonne misst ihre Breite.

Wär’ denn Glück nur das leibliche Wohl, so müssten die Ochsen

Glücklich sich preisen, fänden sie Erbsen reichlich zu fressen.

Sühnen von Blutschuld suchen sie, doch vergeblich, indem sie

Mit Blut beflecken sich selbst, wie wenn, wer in Kot hineingetreten,

Kot wäscht mit Kot; er wäre fürwahr dem Wahnsinn verfallen,

Wenn ihn ein kluger Mann bei solchem Treiben gewahrte.

Beten zu Götterbildern, als sprächen sie zu den Mauern,

Nicht wissen, dass die Götter und Heroen anders beschaffen.

Neu ist die Sonne stets, an jedem Tage aufs Neue.

Würden zu Rauch alle Dinge, so müssten wir mit der Nase

Alles erkennen, den Duft als Unterscheidung benutzen.

Strebt das Getrennte zusammen, aus Widerklang entsteht Harmonie,

Durch Streit erwächst alles Schöne, aus dem Kampf wird das Ganze.

Esel verachteten Gold, sie würden Häckerling wählen.

Auch das Gesetz der Natur bringt Einklang aus dem Entgegengesetzten,

Wie sie das Weib zum Manne und nicht zum Gleichen verband,

Einheit durch Gegensatz schafft, nicht durch ein gleiches Verknüpfen.

Kunst, die der Natur nachahmt, schafft solches durch ihre Mischung,

Farbige Töne, hell und dunkel, gelb und rot auf dem Bilde,

Führt durch den Einklang der Farben die Ähnlichkeit mit dem Wirklichen.

Musik verbindet hohe und tiefe, lange und kurze

Töne zusammen und formt aus vielen Stimmen Harmonie,

Sprachkunst, sie fügt die Vokale und Konsonanten zusammen,

Und aus dem einen entsteht das große Ganze der Kunst.

So auch sprach Heraklit einst: Eins ist das Ganze und nicht ganz,

Zwietracht und Eintracht zugleich, und alles wird eins und aus einem

Wird wieder alles entstehen, in einem ewigen Kreislauf.

Alles, was kriecht und lebt, wird durch Gottes Geißel zur Weide

Getrieben hin, im Wandel der Zeit zu wachsen und leben.

Wer zweimal in den Fluss steigt, dem strömt immer anderes Wasser.

Auch die Seelen entstehen aus Feuchtem und tauchen daraus auf.

Manche ergetzen sich schmutzig am Dreck, an schändlichen Dingen.

Heraklit prophezeit den Nachtschwärmern, Bakchen und Mänaden,

Magiern droht er die Strafe nach dem Tod in den Flammen,

Denn in entweihender Weise empfangen sie Weihen und Riten.

Ist es nicht Dionysos, dem sie die Prozession bieten,

Wäre es schändlich, das Phalloslied zu singen und feiern.

Hades ist eins mit Dionysos, sie toben für ihn und sie feiern

Närrisch das Fest, in dem sie den Gott und das Leben verehren.

Wie kann verborgen sein vor dem, was nimmer vergehet?

Viele, die das nicht denken, auch wenn sie es oftmals erhaschen,

Hören und sehen es nicht, doch sie bilden sich Weisheit darauf ein.

Wer nicht hofft, der wird das Unverhoffte nicht finden,

Denn es ist sonst unerforschlich und bleibt uns für immer verborgen.

Leute gibt’s, die weder zu hören noch reden verstehen.

Heraklit schien das Leben als Fluch zu betrachten, wenn er sagte:

Wenn sie geboren sind, dann beginnen sie sterben zu lernen,

Oder sich ruh’n, und hinterlassen die Kinder, die weiter

Leben und sterben, den gleichen Tod wie ihre Eltern.

Tod ist alles, was wir sehen, wenn wir im Wachen umherblicken,

Schlaf ist das wahre Leben, das wir im Träume erleben.

Viel Erde sie schaufeln, doch wenig an Gold wird gefunden.

Wär' das Unrecht nicht, so wüssten sie niemals der Dike.

Götter und Menschen, sie ehren die Toten, die fielen im Kriege.

Größerer Tod bringt stets auch größere Lohnung.

Nachts zündet der Mensch sich ein Licht, doch der Lebende bleibt nicht.

Berührt einen Toten im Schlummer, wenn sein Auge erloschen,

Wachend berührt er den Schlafenden, lebend und tot in Verbindung.

Nach dem Tode erwartet den Menschen, was er niemals erwartet.

Was der Wahrhaftigste hält für gesichert, ist bloß doch Glaubbares,

doch die Lügenmacher wird Dike schon bald noch erreichen.

Eines nur gibt es, das Beste, das alle den andern vorziehen:

Ruhm, der ewig sich hebt über vergängliche Dinge.

Doch die meisten, sie liegen gemästet wie Vieh auf der Weide.

Diese Weltordnung, dieselbe für alles, die hat kein Gott je geschaffen,

war immer und wird es auch sein: das ewig lebendige Feuer,

welches in Maßen erlischt und in Maßen entflammt sich.

Erstes der Wandlungen: Feuer wird Meer, die Hälfte von diesem

wandelt zu Erde, die andere Hälfte zu Wind, der entzündet.

Eins gibt es, das alleinige Weise, das dennoch sich weigert,

den Namen Zeus zu tragen, und doch man ihn nennt.

Gesetz heißt: einem Einzigen folgen, dem Willen des Einen.

Hörend verstehen sie nicht, wie Taube, die tot sind.

Sprichwörtlich ward es: Anwesend sind sie, doch wie Abwesende.

Wissend zu sein in vielem, das nennen die Liebenden Weisheit.

Tod für die Seelen ist's, zu Wasser zu werden, und Tod auch

für Wasser ist, zu Erde zu werden, und umgekehrt wieder.

Säue baden im Kote, und Vögel im Staub sich begnügen.

Thales zuerst hat die Sterne studiert, nach manchem Gedächtnis.

Bias lebte in Priene, der Sohn des Teutames, hoch geachtet,

Weit erstrahlte sein Ruhm, überstrahlend den aller anderen.

Vieles zu wissen lehrt nicht Verstand; sonst hätten die Weisen

Hesiod, Pythagoras, auch Xenophanes dies erfasst wohl.

Weisheit besteht in der Einsicht, Vernunft zu erkennen, die alles

Führend lenkt und das Sein auf geregelten Wegen geleitet.

Homer sollte, verwiesen vom Preis und geschlagen mit Ruten,

Archilochos ebenso, fern von dem Wettkampf verbannt sein.

Lösche den Übermut aus, bevor er verheerend entbrennet,

Schlimmer noch als das Feuer, das Häuser und Städte verzehret.

Kämpfen soll das Volk für das Gesetz wie für Mauern,

Denn das Recht ist die Festung, die Stadt zu erhalten und schützen.

Niemals findest du Grenzen der Seele, wie weit du auch wanderst;

Tiefen birgt sie, die größer als jeglicher Weg dir erscheinen.

Hochmut ist ihm verhasst, wie ein Fall, der den Stolz schnell vernichtet,

Trügerisch ist das Auge, das uns in die Irre oft leitet.

Urteilt nicht vorschnell, wenn es um Wichtiges geht, lasst euch Zeit doch!

Bogenschuss ist das Leben genannt, sein Werk aber der Tod stets.

Einer ist mir wie zehntausend wert, wenn er nur der Beste ist.

Flüsse, die immer sich ändern, und doch uns dieselben erscheinen:

Wir sind es und sind es nicht, steigen ins Wasser und fort geht’s.

Hört ihr nicht mich, sondern mein Wort, so erkennet, dass alles

Eins ist, so ist es weise, dies Wort zu begreifen und ehren.

Trennen kann das Eine sich selbst, doch vereint es sich wieder,

Gleich wie die Leier im Streit mit dem Bogen Harmonie findet.

Zeit ist ein Kind, das spielt, die Steine des Spiels hin- und herschiebt:

König ist das Kind, das das Reich aller Dinge regieret.

Krieg ist Vater und König der Welt, er gibt uns das Leben,

Macht uns Götter und Menschen, und freigibt die einen, die andern

Jagt er in Sklaverei; so regiert er die Welt mit dem Kriege.

Heimlich ist die Vereinigung besser als offener Zwiespalt.

Alles, was ich mit Augen und Ohren vernahm, das erwähl ich,

Denn das Hören und Sehen führt uns zur Wahrheit hinüber.

Menschen, die nur nach Sichtbarem forschen, sind Narren, gleich Homer,

Weisester Mann doch der Griechen, ihn täuschten die Knaben,

Die auf Läusejagd waren und ihm solche Worte zuriefen:

Alles, was wir ergreifen und sehen, das lassen wir liegen,

Doch was ungreifbar bleibt, das bringen wir heim in den Beuteln.

Lehrer der meisten ist Hesiod, sie halten ihn weise,

Doch er wusste nicht Tag von Nacht zu trennen, so spricht man.

Gut und Schlecht sind eins, doch Ärzte, die schneiden und brennen,

Fordern dennoch Lohn, obgleich sie Leiden nur mildern.

Weg der Walkerschraube, der grade und krumme zugleich ist,

Ist ein und derselbe, in seinem Verlauf kaum zu deuten.

Aufwärts und abwärts, die Straße ist doch immer dieselbe.

Wasser des Meeres, es reinigt und tötet zugleich, denn es gibt den

Fischen das Leben, doch Menschen den Tod, die es trinken.

Sterbliche leben wie Tote, die Toten wie Lebende wieder:

Leben und Tod, sie durchdringen sich ewig, und eins nährt das andre.

Auferstehung verkündet er, Fleisch wird neu erstehen,

Und der Gott wird es richten, das Fleisch und den Leib dieser Erde.

Blitz regiert das All, das ewige Feuer, das lodert,

Das Vernunft gibt und die Ordnung der Welt uns enthüllt mit den Flammen.

Mangel ist ihm die Weltbildung, Überfluss Weltbrand, die Feuers

Glut wird kommen, das All zu verzehren und neu zu erschaffen.

Gott ist alles zugleich: Tag und Nacht, Krieg und Frieden, das Leben

Wandelnd im Feuer, das Weihrauch zu Düften verwandelt und mischt sich.

Wie im Gewebe der Spinne ein Faden zerreißt und zerspringet,

Eilt sie geschwind herbei, um den Schaden hurtig zu flicken,

Also eilet des Menschen Seele bei Wunden zum Körper,

Ganz, als wäre sie zornig ob all des Leibes Zerstörung.

Heilmittel nennt er die Seelen, die heilen mit Sühne und Wirken.

Opfer sind zweierlei Art, wie Heraklit es verkündete einst schon:

Solche, die makellos rein aus dem Innersten kommen der Menschen,

Selten erscheinen sie nur, doch gibt es solche in Wahrheit,

Zählbare, wenige nur; die anderen sind von der Materie.

Kinderspiele, so nannte er stets der Menschen Gedanken.

Denke daran, dass der Mann den Weg vergaß, wohin er einst führte.

Mit dem Worte, dem Lenker der Welt, den sie täglich beständig

Brauchen und ehren sollten, entzweien sie sich und entfremden

Jene Dinge, die ihnen doch tagtäglich begegnen, als wären sie fremd.

Schlafend handeln und reden soll niemand, denn wir glauben im Traume

Auch, dass wir handeln und sprechen, doch ist's ein trügerisch' Wähnen.

Nicht wie die Kinder, die schlicht den Erzeugern nachfolgen im Tun,

Nicht so soll'n wir es tun, bloß weil wir es überkommen in Erbe.

Schlafende nennt, so denke ich, Heraklit Mitwirker an allem,

Was in der Welt sich ereignet und stetig das Dasein bewegt.

Feuer lebt, indem Erde stirbt, und die Luft durch das Feuer vergeht;

Wasser lebt durch den Tod der Luft, und die Erde wird aus dem Wasser.

Lust oder Tod ist für Seelen das Nasswerden; Leben entsteht dort,

Wenn sie ins Dasein treten; doch spricht er auch anderswo treffend:

Unser Leben ist ihres Todes, ihr Tod ist des Lebens für uns.

Menschliche Sinne erfassen das Ganze nicht, doch das Göttliche weiß es.

Kindisch erscheint der Mann dem Gotte, wie Knaben den Männern.

Kriege sind allem gemein, und der Streit ist das Recht in der Ordnung;

Alles kommt nur durch den Kampf und die Notwendigkeit in das Leben.

Rednerische Lehrsätze führen nach Heraklit stets zum Blute,

Lehren die Menschen doch an, zur Abschlachtung bereit zu sein.

Schönster Affe ist hässlich, verglichen mit Menschen, dem edlen Geschlecht.

Weise der Mensch auch sei, vor Gott wird er stehn wie der Affe,

In seiner Weisheit, der Schönheit und allem, was ihm gegeben.

Wandelnd ruht es aus, das ätherische Feuer im Menschen;

Mühsam und matt macht es, ein und demselben zu dienen.

Hart ist der Kampf mit dem Herzen, denn jeder Wunsch kostet

Seele und Frieden, erkauft mit der Tiefe des Wesens.

Göttliche Weisheit entzieht sich dem menschlichen Denken,

Weil nicht geglaubt wird daran, und das Wissen verschwindet.

Hohle Menschen erschrecken vor jedem kläglichen Worte,

Denn es fehlt ihnen Mut, um der Wahrheit zu lauschen.

Immer dasselbe wohnt in uns, Lebendes wie auch das Tote,

Wachendes wie das Schlafende, Junges und Altes zugleich.

Wandelt es sich, dann wird dies zu jenem, und jenes zu diesem;

Alles verwandelt sich stets, bleibt doch in Einem verbunden.

Eine gemeinsame Welt ist den Wachenden allen gegeben,

Doch wer im Schlummer sich wendet, dem naht nur die eigne.

Wechsel ist allzeit im Kosmos, wie Feuer dem All sich ergießet,

So wie das Gold zu den Waren, die Waren zurück in das Gold.

Niemand betritt denselben Fluss zweimal im Fließen;

Denn alles zerstreut und vereint sich im ewigen Wandel.

Rasend spricht die Sibylle, und was sie verkündet, ist ernsthaft;

Tausend Jahre durchdringt ihre Stimme, gelenkt durch den Gott.

Der Herr in Delphi, er birgt nichts und sagt auch nicht alles,

Doch er deutet es an, was verborgen im Zeichen enthalten.

Niemals überschreitet die Sonne das Maß, das ihr zukommt;

Findet sie es doch je, werden die Erinyen suchen.

Besser ist es, den Unverstand stets zu verbergen,

Doch in der Ausgelassenheit und beim Wein ist es schwer.

Leichname soll man verwerfen wie wertlosen Unrat.

Fremde Menschen, die Hunde verbellen, da sie sie nicht kennen.

Selbst die Seelen verströmen im Hades den duftenden Odem.

Wäre die Sonne nicht, so wär' es die Nacht, trotz der Sterne.

Hüterin ist die Sonne im Jahreskreis, was sie enthüllet;

Und die Horen bringen uns alle die Wechsel des Seins.

Lange suchte ich mich, doch am Ende fand ich mein Selbst.

Augen sind treuere Zeugen als Ohren, die hören das Echo.

Bei Gott ist alles schön, und gut, und gerecht, doch die Menschen

Urteilen anders, nennen das eine gerecht, und das andre nicht recht.

Anfang und Ende, sie sind eins an des Kreises Umfange.

Was aber denken sie? Blindlings glauben sie Sängern der Straße,

Und als Lehrer des Wissens wählt man die Menge, das Volk;

Wissen nicht, dass schlecht die meisten, doch nur wenige gut sind.

Homer war ein Sterndeuter, das zeigt er uns selbst in der Dichtung:

In einer Nacht sie geboren,“ so ließ er die Helden erscheinen

(Ein Zeichen des Sternenlaufs), und auch: „Keiner entrann

Sterblichem Schicksal“ – so deutet er an das Gesetz des Himmels.

Einerlei ist jeder Tag dem anderen gleich.

Schlimme Zeugen sind Augen und Ohren, wenn Menschen

Barbarenseelen tragen und hören und sehen wie Wilde.

Keiner von denen, die sprachen und die ich vernahm,

Kamen zur Weisheit, dass sie getrennt ist von allem und allem.

Besser den Unverstand bergen, als zeigen den nackten Verstand.

Wäre es besser den Menschen, erfüllte man all ihre Wünsche?

Nein, denn das Böse folgt, wo zu viel des Guten gewährt wird.

Krankheit lässt erst die Gesundheit als Wohltat erscheinen,

Übel das Gute, und Hunger schätzt den Überfluss mehr.

Denken, das Höchste von allem, ist Weisheit, und Wahrheit zu sagen,

Und mit der Natur zu handeln, auf ihre Stimme zu hören.

Allen gemeinsam ist das Denken, des Geistes Vermögen.

Willst du verständig reden, so rüste dich aus mit dem einen,

Dem, was allen gemeinsam, wie Städte sich wappnen mit Rechten.

Noch mehr, denn menschliches Recht nährt sich aus göttlichem Recht,

Das eine gebietet, soweit es nur will, und genügt allem ganz.

Eigen ist der Seele das Wort, das sich selbst vermehrt durch die Weisheit.

Allen Menschen ist es gegeben, sich selbst zu erkennen und klug sein.

Hat sich ein Mann betrunken, ein Knabe führt ihn als Führer.

Taumelnd geht er dahin und weiß nicht, wohin ihn die Schritte tragen;

Denn seine Seele ist feucht, vom Wein erfüllt und verdorben.

Trockener Glast: die weiseste Seele, die beste im Reinen.

Eigener Dämon ist jedem der Menschen, die Art und Natur,

Die ihm eigen ist, diese bestimmt ihm den Lebensweg stets.

Grenzen des Morgens und Abends sind Bär und Berg,

Dort, wo strahlender Zeus thront über dem schimmernden Gipfel.

Recht wäre den Ephesiern, sich selbst an Stricken zu hängen,

Und die Stadt dem Unmündigen zu geben, da sie

Hermodoros, den edelsten Mann, vertrieben und sprachen:

Keiner von uns soll der Beste sein, oder dann fern von der Heimat.“

Nimmer zeigt sich Natur, sie liebt es, verborgen zu bleiben.

Schönste Ordnung der Welt gleicht einem chaotischen Kehricht.

Gerstensaft wird schlecht, wenn niemand ihn sorglich umrühret.

Reichtum möget ihr haben, ihr Ephesier, im Überfluss,

Dass eure schändliche Art umso deutlicher werde.

Kälte wird zu der Wärme, die Wärme zu Kälte gewandelt,

Nasses wird wieder trocken, und Trockenes feuchtet sich an.

Dies sei gewidmet der Jungfrau von Ephesos und dem Logos.